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Ludwig Dinzinger Kurze Erläuterung zum Horoskop des Michel ...

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<strong>Ludwig</strong> <strong>Dinzinger</strong><br />

<strong>Kurze</strong> <strong>Erläuterung</strong> <strong>zum</strong><br />

<strong>Horoskop</strong> <strong>des</strong> <strong>Michel</strong> Nostradamus (1565)<br />

für den späteren Kaiser Rudolf II.<br />

1997


1. Zur Form der Herausgabe 1<br />

Die vorliegende Ausgabe versucht dem originalen Zustand <strong>des</strong><br />

Werkes möglichst nahe zu kommen.<br />

Übernommen wurde Seiteneinteilung, Schreibweise, Interpunktion<br />

und Gliederung. Die Gestaltungsweise soll einen "unmittelbaren"<br />

Eindruck <strong>des</strong> ursprünglichen Textes bewahren - beispielsweise<br />

durch die Darstellung nur der deutlichen Satzzeichen und die<br />

Annäherung an das grafische Aussehen <strong>des</strong> Textes in der<br />

Verwendung verschiedener Schrifttypen nach dem Vorbild der<br />

Quelle.<br />

In Klammern (n) werden die Seitenzahlen <strong>des</strong> Originales<br />

angegeben; die Rückseite <strong>des</strong> jeweiligen Blattes ist mit (_)<br />

gekennzeichnet. Die Seitenzahlen in dem Manuskript müssen<br />

später hinzugefügt worden sein, denn an einer Stelle folgt die<br />

Zählung nicht dem inhaltlichen Sinn. Dort wurde die Nummerierung<br />

korrigiert, gekennzeichnet mit (n*).<br />

Kürzel, die der Schreiber verwendete, werden ausgeschrieben,<br />

jedoch zwischen zwei Striche // gesetzt.<br />

Unlesbare oder verdorbene Stellen werden mit ... gekennzeichnet.<br />

Es handelt sich dabei jeweils nur um wenige Buchstaben.<br />

1 Eine Veröffentlichung erfolgte nicht, Stand 2011.


2. Zur Geschichte <strong>des</strong> Werkes<br />

Das Manuskript wurde im Jahr 1992 in der Oettingen-Wallerstein-<br />

Bibliothek der Universitätsbibliothek Augsburg (Cod. I 4 4° 1) durch<br />

Dr. Paul-Berthold Rupp aufgefunden. Eine Übertragung <strong>des</strong> Textes<br />

ins Lateinische befindet sich in der Herzog-August-Wilhelm-<br />

Bibliothek in Wolfenbüttel (Cod. Guelf. 208 Extrav., mit 28<br />

zusätzlichen, kurzen Aphorismen), eine Übertragung ins Deutsche<br />

findet sich in der Königlichen Bibliothek in Stockholm (Ms. D.<br />

1343).<br />

Einen gewissen Reiz hätte sicherlich die Gegenüberstellung mit<br />

der deutschen Übersetzung geboten. Allerdings wurde darauf<br />

verzichtet, denn in Vergleich mit dem französischen "Urtext" gehen<br />

in diesen Bearbeitungen die Vielschichtigkeit der Sprache und die<br />

umfassende Bedeutungsfülle verloren. Gegenüber den<br />

Sprachkaskaden <strong>des</strong> Nostradamus und seiner unstrukturiert<br />

wirkenden Indifferenz erreichen die Übersetzungen eine eher<br />

rationalistisch-philologische Dimension.<br />

Durch den (sicherlich nur <strong>zum</strong> geringen Teil) erhaltenen<br />

Briefwechsel <strong>des</strong> <strong>Michel</strong> Nostradamus (Dupebe, J., Nostradamus<br />

Lettres inedites, Geneve, 1983) sind wir über die<br />

Entstehungsgeschichte <strong>des</strong> Werkes sehr gut informiert. In den<br />

Briefen sind die erste Anfrage, die späteren Mahnungen, die<br />

Lieferung astronomischer Berechnungen aus Deutschland,<br />

schließlich die Schwierigkeit der Übermittlung <strong>des</strong> Textes durch<br />

Boten dokumentiert. Dabei steht der Fundort <strong>des</strong> Manuskriptes -<br />

Augsburg - in engen Zusammenhang mit dem Werden <strong>des</strong><br />

Auftrages.


Michael Nostradamus unterhielt seit Ende der 50er Jahre enge<br />

Verbindungen nach Augsburg. Im Vorfeld der Arbeiten für das<br />

<strong>Horoskop</strong> suchten Personen aus der Augsburger Patrizierfamilie<br />

Rosenberger Kontakt zu ihm (vgl. Lutzmann, I., Die Augsburger<br />

Handelsgesellschaft Hans und Marquard Rosenberger [1535-<br />

1560], Kallmünz, 1937). In diesem Zusammenhang fertigte er für<br />

mehrere Mitglieder der Familie ausführliche <strong>Horoskop</strong>e. Diese<br />

gingen nach Fieberbrunn, denn die Familie hatte Augsburg nach<br />

einem Bankrott im Jahr 1560 verlassen müssen. In Tirol hatten die<br />

Rosenberger mehrere Bergwerke.<br />

Maßgebliche Berechnungen für diese Arbeiten ("directiones"),<br />

auch einen Brief an Nostradamus, lieferte der seit 1551 in<br />

Augsburg und später in Lauingen lehrende Mathematiker und<br />

Astronom Cyprianus Leovitius, ein Schüler Melanchtons (Mayer, J.,<br />

Der Astronom Cyprian Leovitius (1514-1574) und seine Schriften,<br />

in: Bibliotheca mathematica, 3, Bd. 4, Stockholm/Leipzig 1903,<br />

134-159). Leovitius war einer der bedeutendsten Astronomen <strong>des</strong><br />

damaligen Deutschland - er hinterließ mehrere umfangreiche<br />

astronomische Tafelwerke, die die damals verbreiteten<br />

Ephemeriden <strong>des</strong> Regiomontanus deutlich verbesserten, eine<br />

Schrift über die Konjunktionen der großen Planeten<br />

(Universitätsbibliothek Augsburg: 02/VIII.3.2.35; 02/VIII.3.4.11;<br />

Dillingen, Studienbibliothek, IX 1499; s. Gelehrtes Schwaben,<br />

Austellungskatalog, 1990/1991, S. 91/92), eine riesige Menge von<br />

<strong>Horoskop</strong>en (in der oben genannten Oettingen-Wallerstein-<br />

Bibliothek, Teil der UB), astrologische Lehrbücher (vgl. "Cyprianus<br />

Leovitius: Lehre von der Beurteilung der Nativitäten", in:<br />

Strauch/Leovitius, Astrologische Aphorismen, Bad Tölz 1924, 45 -<br />

226). Leovitius nahm auch Einfluss auf den jungen Tycho de<br />

Brahe, der ihn in Lauingen für kurze Zeit aufsuchte.<br />

Für den Transport der Manuskripte - auch <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>es für<br />

Rudolf - wurden ebenfalls Beziehungen der Familie Rosenberger


genutzt: Kurierdienste übernahmen Angestellte der<br />

Rosenbergischen Faktorei in Lyon. In dieser leitend tätig war<br />

Christoph Kraft (s.a. Lutzmann, 20, u.a.a.O.), der im Briefwechsel<br />

mit Nostradamus Erwähnung findet.<br />

Eine bemerkenswerte Beziehung, die ebenfalls nach Augsburg<br />

weist, ergab sich in dieser Zeit - in der Hochphase seines<br />

Schaffens - zwischen Michael Nostradamus und dem Studenten<br />

der Rechte, Laurentius Tubbe, in Bourges. Bourges galt zur<br />

damaligen Zeit als die Eliteuniversität für das Studium der<br />

Rechtswissenschaft. Die Augsburger Patrizier - bei den Fuggern ist<br />

dies mehrfach nachweisbar - ließen immer wieder junge begabte<br />

Leute auf ihre Kosten an den besten Universitäten studieren.<br />

Nostradamus und der junge Tubbe - der wiederum auch<br />

Botendienste nach Lyon erledigt - traten in einen ausführlichen<br />

Briefwechsel. Ihr Kontakt begann über das <strong>Horoskop</strong> von Tubbes<br />

"Herrn" Johannes Rosenberger, im Jahr 1559.<br />

Ab Mitte <strong>des</strong> Jahres 1565 steht der erhaltene Briefwechsel nahezu<br />

völlig im direkten Zusammenhang mit der vorliegenden Nativität<br />

von Rudolf II.. Der Anwalt Dr. Johannes Lobbetius (s. Dupebe,<br />

153) treibt die Angelegenheit im Auftrag eines anderen Augsburger<br />

Patriziers, Daniel Rechlinger (s. Strieder, J., Zur Genesis <strong>des</strong><br />

modernen Kapitalismus, Leipzig, 1904, S. 10 ff.) weiter. Am 13.<br />

Juni 1565 erfahren wir, Nostradamus möge doch die beiden<br />

<strong>Horoskop</strong>e für Rudolf und <strong>des</strong>sen jüngeren Bruder Ernst, die "er<br />

im letzten Jahr machte", doch "möglichst bald an ihn schicken"<br />

und ihm "sofort antworten".<br />

Diese Nachricht wird ergänzt durch eine Mitteilung <strong>des</strong><br />

französischen Arztes vom 5. August 1565 - das <strong>Horoskop</strong> selbst ist<br />

datiert auf den "7. August 1565" - er habe "mehr als 14 Monate an<br />

den Berechnungen und Erklärungen gearbeitet" (Dupebe, 166).


Damit wird dieses <strong>Horoskop</strong> <strong>zum</strong> Hauptwerk der letzten<br />

Lebensjahre <strong>des</strong> Michael Nostradamus. Er starb am 2. Juli 1566,<br />

also nicht einmal ein Jahr später.<br />

In einem weiteren Brief <strong>des</strong> Nostradamus vom 7. August an<br />

Lobbetius - der sich damals gerade in Lyon aufhielt - erfahren wir<br />

noch mehr über die Begleitumstände: Rechlinger habe ihm "80<br />

libr." für beide <strong>Horoskop</strong>e gegeben, und "6 escus" für den<br />

Schreiber. Der Schreiber habe das <strong>Horoskop</strong> für Rudolf<br />

geschrieben, sei aber beim zweiten für Ernst "müde" geworden.<br />

Und so sei "der Rest" von ihm selbst geschrieben worden. Das hier<br />

vorliegende Manuskript <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>es für Rudolf II. ist also nicht<br />

eigenhändig von Michael Nostradamus geschrieben. Das<br />

Übersenden der Manuskripte nach Deutschland solle "aufs<br />

Sorgfältigste" geschehen.<br />

Es könnte also noch ein weiteres, bisher unbekanntes großes<br />

Werk von Nostradamus in den deutschen Archiven liegen: die<br />

Genitur für Ernst, den zweitgeborenen Sohn Maximilians, den<br />

späteren Statthalter der Niederlande (1593 - 1595; er lebte von<br />

1553 bis 1595). Und dieses wäre zu einem großen Teil von<br />

Nostradamus selbst geschrieben.<br />

Es folgt im Dezember 1565 noch ein weiterer Brief an Lobbetius,<br />

bezüglich mehrerer <strong>Horoskop</strong>e für andere Augsburger Patrizier,<br />

namentlich Kaspar Flechamer, Anton Schorer und Konrad<br />

Schwarz. Aus diesem geht hervor, daß Daniel Rechlinger, "der<br />

vielfältig gelehrte und gebildete Mann", selbst gerade dabei war,<br />

die "Nativität" Rudolfs "aus dem Französischen ins Deutsche zu<br />

übersetzen". Diese drei <strong>Horoskop</strong>e dürften zu den letzten Arbeiten<br />

<strong>des</strong> Nostradamus gehören und sind bis heute unbekannt.


3. Der historische Zusammenhang<br />

Es ist sicherlich kaum als geschichtlicher Zufall zu werten, dass<br />

gerade für die umstrittene Herrscherfigur Rudolf II. - stehend im<br />

Zwielicht der Sternengläubigkeit, verdächtig, ein Adept der<br />

Alchemie zu sein, im Ruch der Praktizierung der Magie - ein<br />

<strong>Horoskop</strong> vorhanden ist; und dieses gerade nicht von einem x-<br />

beliebigen oder nachrangigen Astrologen, sondern von der<br />

anerkannt größten astrologischen Kapazität der Renaissance. Es<br />

zeigt gerade dieses Zusammentreffen, welche Themen die Zeit der<br />

ausgehenden Renaissance beherrschten.<br />

Michael Nostradamus ist ähnlich umstritten wie Rudolf von<br />

Habsburg, ebenso übel beleumundet, ebenso verdächtigt, und<br />

sicherlich damit genauso schief beurteilt. Beider Lebenszeit<br />

überschneidet sich nur um 14 Jahre, sie sind Vertreter<br />

verschiedener Generationen - und doch wird in ihren Personen ein<br />

verwandter Geist, erwachsen aus der gleichen Zeitströmung,<br />

deutlich.<br />

Sosehr diese Zeit durch die religiösen Differenzen gekennzeichnet<br />

ist, so scheinen gerade die überragenden Figuren etwas anderes<br />

als diese Oberfläche zu leben. Bei dem Versuch der<br />

geistesgeschichtlichen Einordnung <strong>des</strong> <strong>Michel</strong> Nostradamus wurde<br />

vorgeschlagen (<strong>Dinzinger</strong>, L., Nostradamus: Die Ordnung der Zeit,<br />

Aichach, 1991; 1992; 1993), Nostradamus keinem der beiden<br />

religiösen Lager zuzuordnen, sondern ihn eher als einen Vertreter<br />

jener dritten zeitlichen "Kraft" einzuschätzen, die als


"humanistisch" gesinnt zu bezeichnen wäre und auf Grund ihrer<br />

geistigen Potenz - gehörten zu ihr doch die bedeutendsten<br />

Wissenschaftler, vorab Erasmus von Rotterdam und Willibald<br />

Pirckheimer - überhaupt nicht unterschätzt werden könne. Dieses<br />

kann nun mit den Ergebnissen zu diesem <strong>Horoskop</strong> in diese<br />

Richtung bestätigt werden – es geht um eine Position, wie sie auch<br />

von Rudolf oder dem französischen König Heinrich IV. in<br />

verwandter Weise interpretiert wurde.<br />

In den näheren <strong>Erläuterung</strong>en folgen wir einer Formel, die<br />

Gertrude von Schwarzenfeld für Rudolf II. gefunden hat. Aus dem<br />

Boden <strong>des</strong> "Humanistischen" sei bald danach etwas Neues<br />

erwachsen, das anders geworden sei als der Wurzelgrund, dem es<br />

entstamme. Sie schreibt dazu und über Rudolf: "Das Neue seines<br />

Verhaltens lag in der Abkehr von den alten Antithesen und in der<br />

Hinwendung zu neuen Inhalten der Kultur. Durch den Zwang der<br />

Gegensätze geriet er oft in eine zwiespältige Lage, die seinem<br />

inneren Zwiespalt entsprach. Aber seine Zwitterstellung brachte in<br />

seinem Umkreis neue kulturelle Interessen zur Entfaltung, welche<br />

die alten Gegensätze hinter sich ließen. Die Tatsache, daß er<br />

mitten in der Gegenreformation - zu gleicher Zeit wurde Giordano<br />

Bruno in Rom verbrannt - dem Calvinisten Tycho de Brahe und<br />

den Lutheraner Johannes Kepler an seinen Hof berief, zeigt<br />

deutlich, daß er sich über die Vorurteile seiner Zeitgenossen<br />

hinwegsetzte, wenn es galt, dem Neuen zu dienen. Das Neue war<br />

um das Jahr 1600 die selbständige wissenschaftliche Forschung"<br />

(Schwarzenfeld, G.v., Rudolf II., München, 1979, 13; vgl. a. Trunz,<br />

E., Wissenschaft und Kunst im Kreise Kaiser Rudolfs II. 1576-<br />

1612, Neumünster, 1992).<br />

Dieselben Zusammenhänge können für Nostradamus in<br />

modifizierter Form gelten: es sei an dieser Stelle nur an jene


Tatsache erinnert, daß Nostradamus enographische<br />

Rechenergebnisse nur in einer schnellen und bedingungslosen<br />

Rezeption der Lehre <strong>des</strong> Kopernikus in den dreißiger und vierziger<br />

Jahren <strong>des</strong> Jahrhunderts erklärbar sind. (Der Vollständigkeit halber<br />

sei erwähnt, dass eine Schule der philologischen Forschung zu<br />

Nostradamus zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen<br />

kommt, Gründe dafür in: Brind´ Amour, P., Nostradamus Astrophile,<br />

Ottawa, 1993.) Dabei ist Nostradamus - weitaus stärker als der<br />

spätere Rudolf - noch sehr bedeutend von den Ursprüngen <strong>des</strong><br />

neuen Denkens geprägt, vor allem von Erasmus von Rotterdam,<br />

zudem von den protestantischen Denkern und ihrer biblischen<br />

Orientiertheit (vor allem was die eschatologischen Aussagen<br />

anbetrifft, in denen er auch an Joachim von Fiore anknüpft). Es ist<br />

aber nicht zu unterschätzen, daß Nostradamus auch geprägt ist<br />

von einer scholastisch-mystischen, damit traditionell religiösen<br />

Einstellung, die dem Augustinusmus Bonaventuras und den<br />

Lehren <strong>des</strong> Duns Scotus, damit der frühen und späten<br />

Franziskanerschule nahe steht ist.<br />

Damit sind Kernthemen angeschnitten, die die Sozialisation der<br />

beiden historischen Exponenten bestimmen.<br />

Grillparzer hat viel später versucht, Rudolf - in seinem "Bruderzwist<br />

im Hause Habsburg" - als Herrscher-Weisen zu rechtfertigen. Der<br />

Geschichtsschreibung galt er jedoch lange als geistig umnachteter<br />

"Sonderling auf dem Kaiserthron". Ähnliche Verhältnisse finden wir<br />

im Nostradamus-Verständnis von Anfang an bis jetzt noch:<br />

manchen seiner Zeitgenossen galt er als trunken und wirr, oft<br />

<strong>zum</strong>in<strong>des</strong>t jedoch dunkel, unverständlich, bewusst vieldeutig.<br />

Jedoch fehlt bei ihm, im Gegensatz zu Rudolf, der von Jahr zu<br />

Jahr verstandener und rehabilitierter erscheint, ein tieferes<br />

Verstehen bis heute noch völlig.


<strong>Michel</strong> Nostradamus missverstandene Worte liefern beliebige<br />

Versatzstücke billiger Sensation, wenn es die Verkaufsziffern<br />

fordern. Damit ist er brauchbar für Schlagzeilen, die die Angstlust<br />

<strong>des</strong> modernen Menschen periodisch zu befriedigen im Stande sind<br />

– und dieses ist so weit weg wie kaum vorstellbar von der dem<br />

Visionär zukommenden Position von hohem wissenschaftlichen<br />

Rang und von ebensolcher geistiger und religiöser Stufe. Ja, es<br />

erscheint heute geradezu als absurd, für diesen als völlig<br />

hoffnungslos eingeschätzten "Fall" ernsthafte wissenschaftliche<br />

Beschäftigung und Auseinandersetzung zu fordern. So blieb er den<br />

Halbgebildeten und ihrer vorschnellen Subjektivität überlassen:<br />

jeder Generation, die ihn mit ihren allzu einfachen Mitteln<br />

ausdeuten wollte, geriet er weiter ins Abstruse, ins Erregte, ins<br />

Hysterische, zuletzt und zutiefst unserer Zeit sogar ins sogenannte<br />

"Okkultistische".<br />

Welches Missverständnis gegenüber einem Menschen, den die<br />

Geistesgeschichte eines Tages rehabilitieren wird als "die Zierde<br />

seiner Zeit", wie er selbst vorhersagt - und dieses bedeutet bei<br />

Zeitgenossen wie Leonardo, <strong>Michel</strong>angelo oder Karl V. schon<br />

einiges! In "fünfhundert Jahren" nach dem Erscheinen seiner<br />

"Propheties" (1555; III, 94) setzt er dieses Ereignis an.<br />

Es kann als ein unerhörter Glücksfall eingeschätzt werden, daß<br />

dieses Original seines umfangreichen <strong>Horoskop</strong>s für den späteren<br />

Rudolf II. in Augsburg erhalten worden ist: ein Glücksfall für die<br />

historische Kenntnis der davon berührten geschichtlichen Figuren,<br />

ein Glücksfall für das Wissen um Astrologie und<br />

Astrologiegeschichte, ein Glücksfall für die zukünftig daraus<br />

erwachsenden Vorstellungen, Begriffsbildungen und<br />

wissenschaftlichen Operationen.


So kann die Begegnung der beiden Personen auch in die Zukunft<br />

hinein fruchtbar wirken: das Aufeinandertreffen <strong>des</strong> allmählich von<br />

der Welt Abschied nehmenden, gesundheitlich bereits schwer<br />

angeschlagenen Propheten mit dem zukünftigen Kaiser <strong>des</strong><br />

römischen Reiches deutscher Nation, gerade zwölfjährig bei der<br />

Abfassung <strong>des</strong> Vorhersage - den der Hofmeister damals noch als<br />

langsam begreifend beklagt, der aber bei Tanz und Turnier bereits<br />

Aufsehen erregt.<br />

Noch einmal sollen gewisse Gemeinsamkeiten zitiert sein: Rudolf<br />

schreibt am 5. Februar 1583 an Kurfürst August von Sachsen<br />

"...daß mier nits höchers angelegen als frid und ruehe im reich zu<br />

erhalten" (Schwarzenfeld, 10); und Jeremias Martius, ein<br />

Augsburger Arzt, der in Montpellier studierte und Nostradamus an<br />

seinem Wohnort Salon (de Provence) besuchte, eröffnet von<br />

jenem "...das er in der beywonung gegen jederman freundlich/<br />

holdselig gewesen/ und mennigklich gern gedient hat" (<strong>Dinzinger</strong>,<br />

1991, 21).<br />

Gerade dieses <strong>Horoskop</strong> könnte einen Schritt in Richtung der<br />

Rehabilitierung <strong>des</strong> Sehers bedeuten. Denn in ihm zeigt sich<br />

Nostradamus in "seiner" Wissenschaft, mit seiner "Meisterschaft".<br />

Hier liegt neben dem Text die Grundlage, aus der er seine<br />

Aussagen schöpft - nämlich die Sterne und ihre Konstellation: hier<br />

kann man in seine Werkstatt blicken.<br />

4. Lebensdaten Rudolfs


Rudolf wurde am 18. Juli 1552 (julian.) in Wien als erstes von 15<br />

Kindern <strong>des</strong> späteren Kaisers Maximilian und seiner Gemahlin<br />

Maria, einer Tochter Karls V., geboren. Seine frühen Jahre sind<br />

gekennzeichnet durch die Liberalität <strong>des</strong> aufgeschlossenen Vaters,<br />

die die streng katholische Mutter von dem Kinde fernzuhalten<br />

suchte. Der Vater war humanistisch gesinnt, sprach sieben<br />

Sprachen und war überaus kunstinteressiert; er pflegte in seinem<br />

Sohn diese Interessen - und so waren die ersten starken<br />

Eindrücke <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> die Schätze der "Kunst- und<br />

Wunderkammern" seines Vaters, die wilden Tiere aus der ganzen<br />

Welt in ihren Gehegen und die hoch geschätzte Gartenkunst.<br />

Ein "spanischer" Einfluss sollte diese Entwicklungen korrigieren.<br />

Ein Bruder der Mutter, Nachfolger von Karl V., und König der<br />

damals noch unbestrittenen Weltmacht Spanien, Philipp II. von<br />

Spanien (1556 - 1598), hatte im August 1561 seine beiden ältesten<br />

Neffen, Rudolf und Ernst, förmlich eingeladen, an seinen Hof nach<br />

Madrid zu kommen. Die beiden Prinzen zogen, nachdem ihr Vater<br />

die Abreise nicht mehr verzögern konnte, im Herbst 1563 mit<br />

Gefolge und Lehrern nach Spanien, und wurden am 17. März 1564<br />

in Barcelona mit hohen Gunstbeweisen empfangen. In der Zeit<br />

dieser Reise muss der Auftrag für die <strong>Horoskop</strong>e über Daniel<br />

Rechlinger an Nostradamus ergangen sein.<br />

Der Vater Rudolfs, Maximilian, war 1562 <strong>zum</strong> römischen König<br />

gekrönt und zwei Jahre später, nach dem Tod Ferdinands I., am<br />

25.7.1564, <strong>zum</strong> Kaiser gewählt worden. Damit steht der Auftrag<br />

auch mit diesem Datum im Zusammenhang.<br />

Die beiden Erzherzöge blieben sieben Jahre in Spanien, erlebten<br />

dort 1566 den Aufstand in Flandern, die Affäre und den Tod <strong>des</strong>


Sohnes Philipps, Don Carlos, 1568, dann den Tod der Ehefrau<br />

Philipps, seine Wiederverheiratung mit Anna, einer Schwester der<br />

beiden, und schließlich Rudolfs Verlobung mit der Infantin Isabella.<br />

Erst im Mai 1571 nahmen sie Abschied von Spanien, fuhren die<br />

erste Etappe mit Galeeren von Barcelona nach Genua zurück.<br />

Ein Jahr später, 1572, erhielt Rudolf die Krone Ungarns, 1575 die<br />

Krone Böhmens, die traditionelle Voraussetzung der römischen<br />

Krone. Bereits im Jahr darauf starb der Vater in Regensburg<br />

(12.10.1576); drei Wochen später, am 1. November, wurde Rudolf<br />

im Dom zu Regensburg feierlich <strong>zum</strong> Kaiser gekrönt.<br />

Rudolf hat in seiner sechsunddreißigjährigen Regierungszeit dem<br />

Reich den Frieden erhalten können, in einer Zeit schwerster<br />

Spannungen zwischen den Konfessionen, die z. B. Frankreich in<br />

einem langen Bürgerkrieg führten. Sechs Jahre nach der durch<br />

seinen Bruder Mathias erzwungenen Machtablösung - der Rudolfs<br />

Tod bald folgte - begann 1618 der dreißigjährige Krieg in<br />

Deutschland.<br />

5. Der Inhalt der Prognostik<br />

<strong>Michel</strong> Nostradamus selbst fasst in einem Brief an Johannes<br />

Lobbetius (Dupebe, 166/167) den Inhalt der Nativität zusammen:<br />

"...ich habe Ihm (Rechlinger) die Nativität <strong>des</strong> Prinzen und<br />

zukünftigen Königs Rudolf geschickt, in der sind viele<br />

Gegenstände umfassend enthalten, zuerst betreffend sein Leben,


die Gesundheit und die Disposition <strong>des</strong> Körpers, °<strong>des</strong> Besitzes,<br />

der Reisen, der Religion, °der Brüder, Schwestern, °der Vorfahren<br />

väterlicherseits, <strong>des</strong> Onkels, der Großväter und Urgroßväter, °der<br />

Kinder, von Freuden und Vergnügungen und Unternehmungen,<br />

°von Krankheiten, über die Diener, °die Heirat und aus welcher<br />

Familie und welchem Land die Frau stammt, und wann, und<br />

wieviele Frauen, über die öffentlichen Feinde und andere, °den<br />

Tod und die Art dieses, und wann, und über das, was die Toten<br />

ihm hinterlassen werden an Regierungen, Erbschaften, über Angst<br />

und Furcht, Gift, °über Reisen, Religionen, Wanderungen, und in<br />

welcher Zeit er die Religion wechselt, °über das Reich, die<br />

Beamtenschaft, die Willfährigkeit, über die Erhöhung und die<br />

höchste Macht, °über die nicht verwandten Freunde, ihre große<br />

Zahl, °über die geheimen und verborgenen Feinde, Gefängnisse,<br />

Verbannungen und Gefangenschaften durch Feindschaft. Und alle<br />

diese und andere Signifikationen sind in der genannten Nativität<br />

ausführlich erklärt und gemäß den Kapiteln und der Bedeutung der<br />

Angelegenheit ausgebreitet".<br />

Diese Darstellung folgt dem bekannten System der zwölf<br />

astrologischen Häuser (durch ° gekennzeichnet). Sie weist im<br />

letzten Satz weiter auf die Gliederung <strong>des</strong> Werkes in "Kapitel".<br />

Diese sollen hier im Überblick vorgestellt werden.<br />

Schon die Überschriften der Kapitel bieten eine gewaltige Fülle<br />

von Information, und bereits auf sie bezogen kann jener Satz<br />

gelten, mit dem Nostradamus im Brief an Lobbetius fortfährt:<br />

"Wenn durch Gottes Gnade diese meine kleine Arbeit in die Hände<br />

<strong>des</strong> Kaisers, <strong>des</strong> Vaters gelangen könnte - ich wäre sicher, er hätte<br />

nicht wenig Freude daran, und seine Majestät wäre voller<br />

Bewunderung".


a) Die 46 Kapitel <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>es<br />

"Kap. I<br />

Die Signifikationen der Gesichter Kap. II<br />

Über den ersten Signifikator Eurer Genitur Kap. III<br />

Über den zweiten Herren der Genitur Kap. III<br />

Über den zweiten Herren der Genitur Kap. IV<br />

Über den dritten Herren der Genitur Kap. V<br />

Die Signifikationen <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>os Kap. VI<br />

Über Saturn den Herrn <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>os Kap. VII<br />

Die Signifikationen der zwölf Häuser nach dem <strong>Horoskop</strong><br />

Kap. VIII<br />

Die Signifikationen der Planeten nach dem <strong>Horoskop</strong> Kap.<br />

IX<br />

Über Saturn im Haus von Venus und Jupiter Kap. X<br />

Die Signifikationen von Jupiter im achten Haus vom<br />

<strong>Horoskop</strong> aus Kap. XI<br />

Die Signifikationen Jupiters im Haus <strong>des</strong> Mars und der<br />

Sonne Kap. XII<br />

Die Signifikationen <strong>des</strong> Mars im sechsten <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>s<br />

Kap. XIII<br />

Die Signifikationen von Mars im Haus <strong>des</strong> Merkur Kap.<br />

XIIII<br />

Die Signifikationen der Sonne im achten <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>s<br />

Kap. XV<br />

Die Signifikationen der Sonne im eigenen Haus und Haus<br />

<strong>des</strong> Mars Kap. XVI<br />

Die Signifikationen der Venus im siebten <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>s<br />

Kap. XVII<br />

Die Signifikationen der Venus im eigenen Haus und <strong>des</strong><br />

Mon<strong>des</strong> Kap. XVIII<br />

Die Signifikationen <strong>des</strong> Merkur im siebten <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>s<br />

Kap. XIX<br />

Die Signifikationen <strong>des</strong> Merkur im Haus der Venus und<br />

<strong>des</strong> Mon<strong>des</strong> Kap. XX<br />

Die Signifikationen <strong>des</strong> Mon<strong>des</strong> im sechsten <strong>des</strong><br />

<strong>Horoskop</strong>s Kap. XXI<br />

Die Signifikationen <strong>des</strong> Mon<strong>des</strong> im Haus Merkurs Kap.<br />

XXII<br />

Die Signifikationen <strong>des</strong> Drachenkopfes im zweiten <strong>des</strong><br />

<strong>Horoskop</strong>s Kap. XXIII<br />

Die Signifikationen <strong>des</strong> Drachenschwanzes im zweiten<br />

<strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>s Kap. XXIIII<br />

Die Signifikationen <strong>des</strong> Herren <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>s Saturn Kap.<br />

XXV<br />

Die Signifikationen <strong>des</strong> Glückspunktes nach dem<br />

<strong>Horoskop</strong> Kap. XXVI<br />

Die Signifikationen der Planeten nach dem Beschluss <strong>des</strong><br />

Tierkreises Kap. XXVII


Die Signifikationen Saturns im Haus <strong>des</strong> Jupiter nach dem<br />

Beschluss <strong>des</strong> Tierkreises Kap. XXVIII<br />

Die Signifikationen Jupiters im Löwen nach dem<br />

Beschluss <strong>des</strong> Tierkreises Kap. XXIX<br />

Die Signifikationen <strong>des</strong> Jupiter im Haus der Sonne nach<br />

dem Beschluss <strong>des</strong> Tierkreises Kap. XXX<br />

Die Signifikationen <strong>des</strong> Mars in den Zwillingen nach dem<br />

Beschluss <strong>des</strong> Tierkreises Kap. XXXI<br />

Die Signifikationen <strong>des</strong> Mars im Haus <strong>des</strong> Merkur nach<br />

dem Beschluss <strong>des</strong> Tierkreises Kap. XXXII<br />

Die Signifikationen der Sonne im Löwen nach dem<br />

Beschluss <strong>des</strong> Tierkreises Kap. XXXIII<br />

Die Signifikationen der Sonne im eigenen Haus nach dem<br />

Beschluss <strong>des</strong> Tierkreises Kap. XXXIIII<br />

Die Signifikationen der Venus im Krebs nach dem<br />

Beschluss <strong>des</strong> Tierkreises Kap. XXXV<br />

Die Signifikationen der Venus im Haus <strong>des</strong> Mon<strong>des</strong> nach<br />

dem Beschluss <strong>des</strong> Tierkreises Kap. XXXVI<br />

Die Signifikationen Merkurs in den ersten Graden <strong>des</strong><br />

Löwen Kap. XXXVII<br />

Die Signifikationen <strong>des</strong> Merkur im Haus <strong>des</strong> Mon<strong>des</strong> Kap.<br />

XXXVIII<br />

Die Signifikationen <strong>des</strong> Mon<strong>des</strong> in den Zwillingen nach<br />

dem Beschluss <strong>des</strong> Tierkreises Kap. XXXIX<br />

Die Signifikationen <strong>des</strong> Mon<strong>des</strong> im Haus Merkurs nach<br />

dem Beschluss <strong>des</strong> Tierkreises Kap. XL<br />

Die Signifikationen <strong>des</strong> Abflusses <strong>des</strong> Mon<strong>des</strong> und <strong>des</strong><br />

Hinflusses auf Mars und weiter zu Sonne<br />

Venus Merkur und Jupiter Kap. XLI<br />

Die Signifikationen Merkurs mit Venus im <strong>Horoskop</strong> im<br />

siebten Kap. XLII<br />

Die Signifikationen der Venus, die die anderen Taten und<br />

Wirkungen Eures Lebens zeigt Kap. XLIII<br />

Die Signifikationen der Breite und Länge der fünf Planeten<br />

Kap. XLIIII<br />

Die Aspekte der Planeten und ihre Signifikationen (Kap.<br />

XLV*)<br />

Die Signifikationen von Sternen im Urteil Kap. XLVI<br />

An den Kaiser"<br />

Michael Nostradamus gliedert die Deutung <strong>des</strong> Geburtsbil<strong>des</strong> in<br />

fünf Teile: 1. Teil (Kap. I bis V): die "Herren" <strong>des</strong> Geburtsbil<strong>des</strong>; 2.<br />

Teil (Kap. VI bis VIII): Aszendent, kardinale Punkte, die "Herrscher"<br />

der zwölf Häuser; 3. Teil (Kap. IX bis XXVI): Planeten und Punkte<br />

im <strong>Horoskop</strong>; 4. Teil (Kap. XXVII bis XLIIII): Bedeutung der


Planeten im Bezug <strong>zum</strong> "Tierkreis"; 5. Teil (Kap. XLV und XLVI):<br />

die Aspekte der Planeten, die Erörterung der Bedeutung von<br />

Fixsternen.<br />

Zwischen diesen Teilen vermitteln Kapitel, die die bereits<br />

angesprochene Themen abrundend noch einmal aufgreifen. Der<br />

einführende Teil (1.) verfolgt eine sehr allgemeine Richtung; der<br />

zweite Teil bringt die klassische Astrologie; im 3., 4. und 5. Teil<br />

spricht Nostradamus das gesamte Geburtsbild dreimal durch.<br />

b) Voraussetzungen der Beschäftigung mit dem <strong>Horoskop</strong><br />

Die Titel der Kapitel sind bewusst sehr wörtlich übersetzt. Grund ist<br />

die Vermutung einer deutlichen Unterscheidung der Begriffe<br />

"Genitur" oder "<strong>Horoskop</strong>"; oder der Ausdrücke "Haus" oder "im<br />

sechsten", oder "im sechsten nach dem <strong>Horoskop</strong>". Zu beachten<br />

ist in diesem Zusammenhang auch die ungewöhnliche und<br />

enigmatische Aussage "nach dem Beschluss <strong>des</strong> Tierkreises".<br />

Bewusst wurde auch der alte Begriff der "Signifikation"<br />

aufgegriffen: er vermeidet den irreführenden Begriff von der<br />

"Wirkung" von Gestirnereignissen. Die Erscheinungen am Himmel<br />

sind "zeichenhaft": Nostradamus bezeichnet sie in der Vorrede zu<br />

seinem Hauptwerk, "Propheties", als "significatrices du cas<br />

futures".<br />

Um der Astrologie eines Michael Nostradamus gerecht zu werden,<br />

muss man sich frei machen von den Verkürzungen üblicher -<br />

moderner wie vormaliger - Astrologie. Es geht ihm um weitaus<br />

mehr, als um ein schematisches Ablesen der „himmlischen“<br />

Aussagen. Michael Nostradamus will einen weiteren Kosmos von<br />

Bedeutung erschließen, will hineinleuchten in die verschiedenen<br />

Ebenen innerer wie äußerer Entsprechungen der Welt und der<br />

Geschichte. Astrologie und Astronomie bedeuten ihm im Grunde


eine "universale" Weisheitslehre, eine allumfassende<br />

Wissenschaft. (Fast möchte man meinen, hier melde sich die<br />

„Pansophie“ <strong>des</strong> Kreises um Rudolf II. an.)<br />

Um solchen Ansprüchen gerecht zu werden, sollte ein Leser sich<br />

öffnen für große Vielfalt und Ebenen von Bedeutung, auch für die<br />

Stufen einer "prophetischen Schau". In einem Prozess<br />

vorurteilsfreien Eingehens können sich gewisse "Bestände" von<br />

Gemeintem herauskristallisieren. Dieses ist eher eine<br />

phänomenologische denn eine elementaristische Methode; sie<br />

widerspricht recht deutlich dem heute üblichen wissenschaftlichen<br />

Procedere.<br />

Michael Nostradamus nutzt alle Möglichkeiten und Vielfältigkeiten<br />

<strong>des</strong> astrologischen Bedeutungssystems: und sein sprachlicher<br />

Umgang damit vermeidet eine vorschnelle "Akzentuierung"<br />

sinnenfälliger Strukturen. Dieses würde die Bedeutung, die er<br />

umkreist, zu schnell in eine bestimmte Richtung verflachen. Und so<br />

wird sich auch jenem, der sich ernsthaft auf diese sprachliche<br />

Form und Redeweise einlassen will, und der es zulassen kann,<br />

nicht sofort "Positives" fassen zu müssen - die besprochenen<br />

Inhalte verweisen auf keine Gegenstände, sondern auf<br />

Verwobenheiten von "Schicksal und Gemüt" - allmählich "Wissen"<br />

erschließen. Der Text verlangt – mit Karlfried Graf Dürckheim<br />

gesprochen - eine "inständliche" Balance und ein kontemplatives<br />

Erwägen, keinen "gegenständlichen" Zugriff und keine<br />

abgrenzende Definition. Es geht <strong>Michel</strong> Nostradamus nicht um<br />

blankes Wissen - es geht um die Vertiefung in einen<br />

Weltzusammenhang.


Dabei ist immer im Auge zu behalten, daß sich Michael<br />

Nostradamus als "Seher" versteht; aus Bescheidenheit vermeidet<br />

er den Begriff "Prophet": "diese Vermessenheit würde Gott nicht<br />

gefallen". Immer wieder beruft er sich auf einen "prophetischen<br />

Impuls", eine „göttliche Inspiration“, die ihn leitet. Er benennt<br />

diesen Impuls mit einem biblisch-metaphorischen Begriff als<br />

"kleine Flamme" (alle Zitate in der Vorrede seines Hauptwerkes<br />

"Propheties", ab 1555). Diese übernatürliche Herkunft und "Schau"<br />

bereichert die übliche astrologische Vorgehensweisen in immer<br />

wieder überraschender Weise, fast wie in „Ausbrüchen“, in<br />

feuerigen Begeisterungen.<br />

Nur unter diesem Gesichtspunkt ist auch zu verstehen, warum sich<br />

Michael Nostradamus selbst nicht primär für einen "Astrologen"<br />

hält. Er mahnt sogar "alle blinden barbarischen Astrologen", sich<br />

seinen weissagenden Schriften "fernzuhalten" (Propheties, VI,<br />

100). In dem Satz ist aber auch enthalten, es könne auch<br />

Astrologen anderer Qualität geben, die sich sehr wohl mit seinen<br />

Schriften beschäftigen sollen, und er sagt auch vorher, dieses<br />

werde „mehr in der Zukunft als zu meinen Lebzeiten“ (Vorrede<br />

Propheties) geschehen.<br />

Er selbst gibt sich – eben diese Bedeutungsnuance aufgreifend -<br />

den Beinamen "astrophil" (in seinem Testament). In solchen<br />

Differenzierungen stellt sich sein anderes, sehr eigenständiges<br />

Verhältnis zur Sternenkunde dar.<br />

Damit ist auch das <strong>Horoskop</strong> für Rudolf II. kein übliche<br />

astrologische Deutung eines Geburtsbil<strong>des</strong>. Bereits der 1. Teil der<br />

Gliederung eröffnet in sehr deutlicher Weise das andere<br />

Herangehen <strong>des</strong> Michael Nostradamus an das zeichenhafte Bild:<br />

er widmet sich sehr ausführlich der Ermittlung von "Herren" der<br />

Zeit, in der die Geburt stattfindet. Diese archaisch anmutende


Technik steht im Zusammenhang der wesentlich<br />

geschichtsastrologischen Betrachtungsweise, von der Michael<br />

Nostradamus ausgeht. Sie fundiert sein astrologisches Können.<br />

In der bisherigen Forschung zu Michael Nostradamus war nicht<br />

bekannt, daß seine Astrologie einen überwiegenden<br />

überindividuellen Teil besitzt: er arbeitet mit einem ausgeprägten<br />

System von Zyklen der Gestirnen. Dieses muss sich auch im<br />

<strong>Horoskop</strong> einer Einzelperson niederschlagen: so unterscheidet er<br />

deutlich zwischen allgemeinen, überindividuellen Anzeigen, die<br />

längere Zeiträume charakterisieren - und Anzeigen <strong>des</strong><br />

Geburtsbil<strong>des</strong> eines Individuums, die nur für Bruchteile von<br />

Sekunden am Himmel erscheinen und sich schnell weiter wandeln.<br />

Er ergänzt die Konstanz der überindividuellen Strukturen mit den<br />

vergänglichen, menschlich-individuellen Zügen, bezieht sie in der<br />

Deutung aufeinander.<br />

Diese beiden Ebenen der astronomischen Mitteilung verknüpft er<br />

in einer kunstvollen, für den Uneingeweihten aber recht<br />

verwirrenden Weise. So ist mit großem Bedacht zu überlegen, in<br />

welcher Ebene der Deutung er sich gerade bewegt, und wie die<br />

daraus entstehende Auskunft einzuordnen ist. So beziehen sich<br />

nach unserer Meinung die Ausdrücke "Genitur" und "<strong>Horoskop</strong>"<br />

gerade auf diese zwei Ebenen: der erste auf die allgemeine und<br />

"enographische", der zweite auf die individuelle und<br />

"astrologische". Damit hat der Begriff "Genitur" eine wesentlich<br />

umfassendere Bedeutungsebene als der Begriff "<strong>Horoskop</strong>".<br />

c) Das Bild <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>es<br />

Dem Text vorangestellt ist das Schema <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>es:<br />

Aszendent 19°6´ (19°55´) Steinbock; Saturn 3°10´ (2°21´)


ückläufig Fische; Jupiter 11°50´ (12°25´) Löwe; Mars 14°25´<br />

(14°16´) Zwillinge; Sonne 4°53´ (5°15´) Löwe; Venus 14°58´<br />

(14°49´) Krebs; Merkur 20°16´ (20°33´) rückläufig Krebs; Mond<br />

20°7 Zwillinge (2° Krebs); Mondknoten 18°47 Wassermann<br />

(18°11); Glückspunkt 17° Skorpion: dieser Punkt markiert den<br />

Stand der Sonne bei der Zeugung: eine kaum gebräuchliche<br />

Weise der Bestimmung dieses "Loses". (In Klammern eine<br />

moderne Berechnung, mit Dank an Konrad Gruber, Ingolstadt.)<br />

Am Aszendent ist der Fixstern Atair, "Aquila seu Vultur volans", ein<br />

Stern zweiter Größe von Mars/Jupiter-Natur (Stadius, J.,<br />

Ephemeri<strong>des</strong> novae et exactae, Köln, 1554 [nachweisbar im Besitz<br />

<strong>des</strong> Nostradamus]) deutlich angegeben. Links neben dem Schema<br />

befindet sich eine Auflistung der wichtigsten Aspekte der Planeten<br />

untereinander, darunter eine Charakterisierung <strong>des</strong> aktuellen<br />

Stan<strong>des</strong> im Verhältnis zur Ekliptik. Das Häusersystem <strong>des</strong><br />

<strong>Horoskop</strong>es ist Regiomontanus - dieses System, damals sicher<br />

das Modernste, wendet Nostradamus durchgängig an (wir nehmen<br />

an nach: Leovitius, Ephemeridum novum ... 1556 usque ad 1606,<br />

Augsburg 1557; vgl. Brind´Amour, (s.o.), 517, und 379).<br />

Der Stand <strong>des</strong> Mon<strong>des</strong> unterscheidet sich von anderen,<br />

zeitgenössischen Berechnungen: nach Pitatus, Almanach<br />

novum...ab anno 1544-1556, Tübingen, 1544 - einer damals in<br />

Europa gängigen Ephemeride - ist die Position für Mittag 29°7<br />

Zwillinge, und damit gegen Sonnenuntergang etwa 2° Krebs - wie<br />

es auch die moderne Berechnung angibt. Die von Nostradamus<br />

gewählte Gradzahl dürfte einen einfachen Grund haben: wie Brind´<br />

Amour bemerkt hat, interpoliert Nostradamus astronomische<br />

Stände nicht, sondern übernimmt sie einfach aus dem ihm zur<br />

Verfügung stehenden Ephemeriden (a.a.O., 327 - 399). Vermutlich<br />

stand in seiner Ephemeride der angegebene Wert.


Modernen Astrologen dürfte dieses als unverzeihliches<br />

Versäumnis erscheinen. Dieses Faktum ist jedoch aus einem<br />

geschichtsastrologischen Blickwinkel zu bewerten: Nostradamus<br />

Umgang mit den Gestirnsymbolen misst der Rechengenauigkeit im<br />

individuellen Bild nicht den vorrangigen Wert bei.<br />

d) Die Vorhersage<br />

Gleich im ersten Satz eröffnet Michael Nostradamus das <strong>Horoskop</strong><br />

mit der Bemerkung: "das ist eine überaus große zukünftige<br />

Sache". - Im Übrigen könnte man diesen Satz auch so übersetzen:<br />

"das wird ein großer zukünftiger König". -<br />

Danach bringt Nostradamus einige Bemerkungen zu den<br />

Geburtsbildern der Vorfahren Rudolfs väterlicherseits, beginnend<br />

mit Friedrich III. (1452 - 1493) und seiner Frau. Danach führt<br />

Michael Nostradamus deren Sohn Maximilian I. (1493 - 1519) an -<br />

mit astronomischen Angaben, die exakt mit dem <strong>Horoskop</strong> in<br />

Lucas Gauricus "Tractatus astrologicus", Venedig, 1552, S. 51<br />

übereinstimmen. Sein Nachfolger, Karl V., hatte 1521 die<br />

habsburgischen Erblande seinem Bruder Ferdinand, dem<br />

Großvater Rudolfs übergeben - <strong>des</strong>sen Daten kommen danach<br />

(vgl. Gauricus, 41). Danach wird das Geburtsbild <strong>des</strong> Vaters,<br />

Maximilian II., angesprochen (1564-1576; Gauricus, 41).<br />

Schließlich kommt <strong>des</strong>sen Bruder Ferdinand (1556-1564;<br />

Gauricus, 43).<br />

(Es fällt auf, daß das bekannte <strong>Horoskop</strong> Karls V. nicht genannt<br />

wird; in Gauricus Werk werden zu seinem Geburtsbild drei<br />

verschiedene Nativitäten dargestellt: man kannte wohl seinen


Geburtstermin nicht genau. Es ist augenscheinlich, dass dabei<br />

eine Häufung Glück anzeigender Gestirne ins zweite Haus, dem<br />

Ort der Signifikation von Besitz und Reichtum, geschoben ist; eine<br />

ähnliche Praxis pflegte Gauricus auch beim <strong>Horoskop</strong> Luthers (S.<br />

70), indem er die Häufung der Planeten ins neunte Haus, dem Ort<br />

der Religion und Philosophie, verlegte.)<br />

Danach bezeichnet Michael Nostradamus noch einmal den<br />

Prinzen Rudolf als "futurus rex", "zukünftigen König". Dieses auf<br />

Grund der "Anzeigen in Summe". Er begründet die Aussage mit<br />

Details aus dem <strong>Horoskop</strong>. Dazu geht er das ganze <strong>Horoskop</strong> in<br />

der Reihenfolge Sonne, Mond, Saturn, Jupiter, Mars, Venus,<br />

Merkur und einige weitere bemerkenswerte Konstellationen durch.<br />

Das zweite Kapitel befasst sich mit den Anzeigen der "Gesichter";<br />

dieses sind jeweils zehn Grade <strong>des</strong> Tierkreises umfassende<br />

Gliederungselemente <strong>des</strong> Tierkreises (vgl. dazu Bouche-Leclercq<br />

(BL), L´astrologie grecque, Aalen, 1979, S. 215 ff.: der Abschnitt<br />

über die "Dekane"). Nostradamus zitiert innerhalb <strong>des</strong> Textes<br />

umfangreich aus Agrippa von Nettesheims "De occulta<br />

philosophia" (Nördlingen, 1987, S. 309 ff.), wobei er die Aussagen<br />

nicht unbedingt auf Rudolf bezieht. Danach behandelt er erneut die<br />

Signifikationen der Planeten, in der oben schon genannten<br />

Reihenfolge. Zu Jupiter erwähnt er "Euren Schutzherren, den<br />

unvergleichlichen Karl V.".<br />

Interessant sind die gängigen astrogeographischen Patronate <strong>des</strong><br />

Saturn am Ende <strong>des</strong> Kapitels (ganz ähnlich z.B. bei Leovitius,<br />

a.a.O., S. 140 ff.). Auf vielen Abbildungen innerhalb seiner<br />

Schriften kommt <strong>zum</strong> Ausdruck, daß sich Michael Nostradamus<br />

auch als Chorograph versteht. Er wird in der den Chorographen


ikonographisch kennzeichnenden Pose mit einem Zirkel am<br />

Globus messend dargestellt. Auch dieses ist in der bisherigen<br />

Forschung völlig unberücksichtigt. Dieser Vorgang erklärt sich<br />

leicht: eine überindividuelle Sternenkunde wird sich mehr auf<br />

Länder als auf Einzelpersonen beziehen; sie muss über einen<br />

ausgebauten Bestand astrologischer Geographie verfügen.<br />

Michael Nostradamus kennzeichnet diesen Teil seiner Arbeit mit<br />

dem Begriff "Topographie".<br />

In Kap. III wird ein erster wesentlicher Signifikator genant: "nach<br />

Hermes" wäre dies der "Herr der Stunde", Mars (s. BL, 479 f.).<br />

Dieses wird hier nicht explizit erwähnt, erst zu Beginn <strong>des</strong><br />

übernächsten Kapitels; jedoch weisen die mitgeteilten<br />

Bedeutungszusammenhänge - z.B. "Zorn", u.v.a.m. - in diese<br />

Richtung. Deutlicher setzt Nostradamus die Diskussion <strong>des</strong><br />

Signifikators Saturn fort: er sei nach seiner Meinung der "Herr <strong>des</strong><br />

Aszendenten".<br />

Dann werden die Bedeutungen der Sonne ausgeführt:<br />

Nostradamus spricht von ihrem Ort bei den Fixsternen in "den<br />

Nüstern <strong>des</strong> Löwen" (epsilon leonis, südlich im Löwen; in der<br />

modernen Astrologie weist diese Signifikation auf "Depression,<br />

fiebrige Erkrankungen, Unfallgefahren", vgl. Ebertin R./Hoffmann<br />

G., Die Bedeutung der Fixsterne, Freiburg, 1988, S. 40). Die<br />

Konjunktion der Sonne mit Jupiter wird leitend. Sonne, wie Merkur<br />

"verbinden ihren Einfluß mit denen anderer Planeten, mit denen<br />

sie assoziiert sind" (Ptolemy, Tetrabiblos, Cambridge/London,<br />

1971, S. 38/39). Jupiter weiter gilt auch als Signifikator der<br />

religiösen Dinge (Leovitius, 144) - <strong>des</strong>wegen folgt danach die<br />

Erörterung dieser Zusammenhänge.


Am Anfang <strong>des</strong> nächsten Kapitel steht, daß dieses Zeichen - mit<br />

"Jupiter" - "Herr der Genitur" ist: dieses ist der wesentliche, auch<br />

überindividuelle Bedeutungsträger <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>s. In der<br />

Kombination von Sonne und Jupiter ist dieses nach der<br />

astrologischen Lehre ein wahrhaft fürstliches, ja kaiserliches<br />

Zeichen, was auch der Text betont. Überhaupt erschienen in den<br />

bisherigen Ausführungen nur Signifikationen der "oberen"<br />

Planeten; auch solche verweisen auf den überragenden und<br />

adeligen Stand der Person.<br />

Das Kapitel IV beginnt mit der expliziten Erwähnung der<br />

angesprochenen "Herren" <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>s und mit der Aussage,<br />

der Native werde "sein heiß und feucht aber so gemäßigt, daß<br />

durch die Art und Weise seiner Natur belegt wird er sei vom<br />

Himmel geschickt um die Sterblichen dieser Welt völlig<br />

wiederherzustellen... Verbreiter der halb gefallenen<br />

universellen Christenheit". Dabei beruht das Urteil über das<br />

"gemäßigte Temperament" wohl auf der Vielfalt und der<br />

überragenden Stellung der Signifikatoren, die bereits in die ersten<br />

astrologischen Überlegungen eingegangen sind. Der<br />

weitergehende Schluss, diese "Mischung" bedinge eine<br />

Harmonisierung, die sogar imstande sei, auf die ganze Welt<br />

auszustrahlen, eröffnet erneut die bereits angesprochene<br />

geschichtsastrologische Dimension der Deutung.<br />

Offensichtlich werden hier auch Vorstellungen der<br />

humoralpathologischen Medizin einschlägig: wie im Körper<br />

Gesundheit angezeigt wird, wenn die verschiedenen Säfte in<br />

ausgewogener Mischung stehen, so scheint gesellschaftliches<br />

Gedeihen angezeigt, wenn in der "Komplexion" <strong>des</strong> Königs eine<br />

gelungenen Fülle von einander "sympathischen" Anzeigen<br />

Einseitigkeit und Enge vermeiden, und Vielfalt und Harmonie


anschlagen. Ein solches Temperament "diene" schließlich dem<br />

Geist einer "universellen Christenheit". Dieses sind Aussagen, die<br />

in der Dichte ihres Inhaltes gegenwärtig noch gar nicht ganz<br />

auszuloten sind.<br />

Der <strong>zum</strong> Ausdruck kommende Zusammenhang scheint zentral für<br />

die astrologisch gestützte und mystisch überhöhte<br />

Geschichtsbetrachtung und Geschichtsschreibung <strong>des</strong> <strong>Michel</strong><br />

Nostradamus zu sein. In ihr stehen die politischen Leitfiguren - in<br />

seinen Worten "les principaux culteurs" - zentral. Ihr Wesen<br />

scheint nicht nur völlig der zeitlichen Qualität zu entsprechen, in<br />

der sie geboren werden und leben, sie bestimmen den Charakter<br />

und die Art ihrer Epoche sogar in ausschlaggebender Weise mit.<br />

Solche Vorstellungen trifft man am ehesten in alten Vorstellungen<br />

über das Königtum, aber auch in manchen Begründungen<br />

absoluter Regierungsführung. Dem modernen Verständnis stellt<br />

diese Überlegung eine erhebliche Schwierigkeit dar, vor allem in<br />

der Verknüpfung mit religiösem Inhalt. - Die "universelle<br />

Christenheit" ist nach prophetischer Sicht bereits "halb gefallen".<br />

Welche konkreten historischen Umstände mit diesem Fall zu<br />

verknüpfen wären, und welcher Teil der "gefallene" ist, bleibt in<br />

typisch orakelhafter Redeweise im Dunkel. -<br />

Obwohl noch niemand "außer Ascletation" sich an der Vorhersage<br />

<strong>des</strong> To<strong>des</strong> eines römischen Kaisers versucht habe, beschäftigt sich<br />

<strong>Michel</strong> Nostradamus in der weiteren Folge dieses Kapitels mit der<br />

Frage, wann das Reich vom Vater Maximilian an den Sohn Rudolf<br />

übergehe. Er schreibt von einer großen To<strong>des</strong>gefahr für den Vater:<br />

"1589 im letzten Monat <strong>des</strong> Mon<strong>des</strong> abnehmend sein Licht". Diese<br />

Aussage kann wieder auch zyklisch bedingt sein.<br />

Im Kapitel V geht die Erörterung der Signifikatoren Jupiter und<br />

Mars weiter, erst gegen Ende <strong>des</strong> Kapitels wird über den "dritten


Herren" <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>s, Venus (Thema "Heirat") gesprochen. Die<br />

Vorhersage über die Eheschließung ist im Allgemeinen und in den<br />

Details - die im Laufe der Darstellung <strong>des</strong> Geburtsbil<strong>des</strong> weiter<br />

ausgebaut werden - nicht eingetreten. Es gab mehrere Pläne zur<br />

Eheschließung Rudolf II.; sie wurden nicht verwirklicht. Zu erwägen<br />

ist hier, daß der Kaiser in einem eheähnlichen Verhältnis mit der<br />

Tochter seines Antiquars Jacopo della Strada, Katharina, lebte.<br />

Aus der Verbindung gingen sechs Kinder hervor; der älteste Sohn<br />

war, wie es auch das <strong>Horoskop</strong> erwähnt, Zeit seines Lebens krank<br />

(Schwarzenfeld, S. 60).<br />

Vom Standpunkt prophetischer Geschichtsbetrachtung<br />

beachtenswert ist die Aussage, daß die "Vorfahren" <strong>des</strong> Kaisers<br />

von "Philipp, König von Mazedonien, Vater Alexanders <strong>des</strong><br />

Großen abstammten". Dazu kann die Astrogeographie<br />

Hintergründe liefern: Mazedonien gehört zu den Patronaten <strong>des</strong><br />

Steinbockes. Die Gründung der neuen Dynastie durch Philipp<br />

geschah in einer geschichtlichen Periode, die nach der Enographie<br />

<strong>des</strong> französischen Arztes im Zeichen <strong>des</strong> Steinbocks steht (367 bis<br />

350). Sein Sohn Alexander regiert unter dem Zeichen der Waage,<br />

der Vertretung <strong>des</strong> Steinbock durch Erhöhung (Ära ab 335);<br />

zugleich ist aber Libra auch das Analogon Österreichs. So<br />

verknüpft er Rudolf II. mit Alexander und Philipp. - Erneut ist an<br />

dieser Stelle ein ziemlich weiterführender Schluss über gewisse<br />

geschichtsastrologischen Auffassungen in den Urteilen <strong>des</strong><br />

Nostradamus möglich; sie werden in ihren Anwendungen auf das<br />

individuelle <strong>Horoskop</strong> sogar recht deutlich. -<br />

Mit dem Kapitel V endet die Besprechung der "Herren" <strong>des</strong><br />

<strong>Horoskop</strong>s, der erste Teil <strong>des</strong> Geburtsbil<strong>des</strong>. Er wurde hier<br />

ausführlicher behandelt, da gerade die Handhabung der<br />

allgemeineren und übergeordneten Signaturen ein in der<br />

modernen Astrologie kaum noch übliches Vorgehen darstellt.


Nun folgt der zweite Teil <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>s: die Darstellung der<br />

klassischen Elemente der Astrologie. In Kapitel VI werden die<br />

wesentlichen Anzeigen der "kardinalen" Punkte der Nativität - die<br />

Signifikationen <strong>des</strong> Aszendenten (griech. horoskopos), und die<br />

anderen wesentlichen Punkte im Zenith, am Deszendenten und in<br />

"imo coeli" - angesprochen. Die genannten Punkte berühren die<br />

Komplexion <strong>des</strong> Nativen, seine Partnerin, seine Mutter, seinen<br />

Vater. Bezüglich <strong>des</strong> Vaters ist die Aussage der hohen Zuneigung<br />

von Vater und Sohn bedeutsam. - Die Fülle der Deutungen ist<br />

überwältigend. Manche sehr bildhafte Aussage - beispielsweise<br />

"Eure Majestät wird sich finden auf einem hohen Thron hinter<br />

einem großen hohen Berg, es wird ein Sturm entstehen, der mit<br />

aller Macht versucht, Euch schwerwiegend zu belästigen und zu<br />

schädigen und Euch von Eurem sehr hohen Thron herabstolpern<br />

zu lassen aber wird vergeblich sein..." - gemahnt an einen<br />

seherischen Ursprung.<br />

Nachdem das Thema "Saturn als Herr <strong>des</strong> Aszendenten" bereits<br />

mehrmals aufgegriffen wurde, kommt dieser Punkt nach den<br />

allgemeinen Erörterungen der vier kardinalen Orte in Kapitel VII<br />

noch einmal <strong>zum</strong> Tragen. Die Betrachtung der Genitur scheint von<br />

den allgemeineren Beständen zu den spezielleren zu schreiten;<br />

zuerst erschien Saturn als Bestandteil zyklischer Inhalte, dann als<br />

wesentliches Zeichen <strong>des</strong> kardinalen Kreuzes; jetzt geht es um<br />

den Planeten Saturn, individuell lociert im hier im ersten Haus,<br />

dem "horoskopos", an der Häuserspitze <strong>des</strong> zweiten.<br />

Im Blick auf diesen Planeten wird auch der Fortgang dieses kurzen<br />

Kapitels verständlich: es werden sozusagen alle Verknüpfungen,<br />

die dieses Zeichen besitzt, der Reihe nach durchgesprochen. Der<br />

auffallendste Akzent dabei ist die Anzeige <strong>des</strong><br />

Geschwisterkonfliktes - Quadrat Saturn-Mars aus 3. (vom


Aszendenten aus gerechnet) auf III. (Zwillinge, allgemein drittes<br />

Zeichen <strong>des</strong> Tierkreises). Dann wird erneut die "vollkommene<br />

Übereinstimmung mit dem Vater" (Trigon Saturn-Venus, aus 1. auf<br />

IV.) erwähnt; in diesem Zusammenhang wird auch die Opposition<br />

mit Sonne (in 7.) erwähnt, daraus Auseinandersetzungen über die<br />

Eheschließung gefolgert. Die Technik der astrologischen Deutung<br />

folgt hier den üblichen Methoden; trotz alledem werden die<br />

Signifikationen souverän und ungezwungen zusammengestellt und<br />

entwickelt.<br />

Es folgt das längste Kapitel der gesamten Prognostik, das Kapitel<br />

VIII. In ihm werden die Herren der zwölf Häuser <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>s<br />

besprochen. Dieses ist eigentlich die hohe Schule der alten<br />

Astrologie. Es zeigt sich jedoch ein bedeutsamer Unterschied in<br />

der Ermittlung der leitenden Planeten: die Entscheidung, welches<br />

Gestirn die Aussage trägt, wird mit überindividuellen oder<br />

enographischen Hintergründen verwoben. Diesen Umständen ist<br />

es zuzurechnen, daß die Ermittlung der jeweiligen "Herren" der<br />

Anzeige etwas anders ausfällt als erwartet. Diese Vorgehensweise<br />

soll nun beispielhaft dargestellt werden, stellvertretend für die<br />

Gewinnung der Aussagen zu den anderen Häusern.<br />

Aufgegriffen werden soll die bedeutsamste Signifikation <strong>des</strong><br />

<strong>Horoskop</strong>s, die Anzeige <strong>des</strong> Königtums. Michael Nostradamus<br />

schreibt zu Beginn <strong>des</strong> achten Kapitels: "le seigneur de la<br />

premiere maison, dans la premiere maison, dans la dixiesme...".<br />

(Eine Anwesenheit <strong>des</strong> Herren <strong>des</strong> zehnten Hauses im ersten und<br />

umgekehrt ist das überlieferte Zeichen <strong>des</strong> Königtums.)<br />

Dieses trifft nicht ohne Weiteres für das <strong>Horoskop</strong> Rudolfs zu:<br />

Saturn steht von Nostradamus selbst in das zweite Haus platziert,


in Fische; doch eigentlich ist Saturn rechnerisch noch im ersten, 4°<br />

vor der Häusergrenze. Der Planet ist aber durch Erhöhung und<br />

Zusammenstirnung (Ptolemy, Tetrabiblos, Cambridge/London,<br />

1971, 5. Aufl., S. 237, genauer 233; oder: Tetrabiblos, übers. v.<br />

Pfaff, J. W., Astrologisches Jahrbuch, Erlangen, 1822 / 1823,<br />

Nachdruck Hannover, o.J., S. 19 - 22, S. 38 - 39) Herr der<br />

Himmelsmitte, <strong>des</strong> Zeichens Skorpion. Aber Saturn steht<br />

keineswegs, wie Nostradamus formuliert „im zehnten“, wenn auch<br />

doch „im ersten“. Im zehnten Haus befinden sich in Rudolfs<br />

Geburtsbild keine Planeten; das erweiterte Wort <strong>des</strong><br />

provenzalischen Arztes muss andere Gründe haben, vor allem<br />

bezüglich eines Gestirns im 10. Haus.<br />

Geht man enographisch weiter, erkennt man das kulminierende<br />

Zeichen (zehntes Haus) der Zeit zwischen 1542 und 1557,<br />

Wassermann, im ersten Haus <strong>des</strong> individuellen Bil<strong>des</strong>. Zugleich<br />

steht die allgemeinere Präsenz der Sonne (Sonnenzyklus) im<br />

nachgeordneten individuellen Bild in 10., und weiter befindet sich<br />

geschichtsastrologisch das Zeichen Fische in der Saturnrevolution,<br />

metaphorisch gesprochen also noch einmal „Saturn in 1.“. 2 Dieses<br />

sind ganz erhebliche Verquickungen der beiden Deutungsebenen:<br />

sie konzentrieren übergeordnete und individuelle Aussagen auf<br />

das 10. und erste Haus, und sie ermöglichen, die Ausführungen<br />

<strong>des</strong> Nostradamus noch deutlicher zu ergründen.<br />

Nostradamus wird nicht müde, im Verlauf <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>s immer<br />

wieder diese Signatur anzusprechen. Das makrokosmisch zehnte<br />

Haus im mikrokosmisch ersten Haus fasziniert ihn, und ergibt<br />

zwangsläufig das Urteil: inhaltlich ist Saturn der "Herr <strong>des</strong><br />

Aszendenten". Hinzu kommt, daß diese Signifikation noch durch<br />

2 Darüber hinaus hat Saturn enographisch noch eine zweite Präsenz in Zwillinge, und<br />

dieses ist der verdoppelte Hinweis auf den Geschwisterkonflikt, es steht Saturn auf<br />

mehreren Ebenen in 3..


viele weitere Details unterstrichen wird: z.B. durch die<br />

Häuserspitze <strong>des</strong> ersten astrologischen Hauses im saturninen<br />

Steinbock, durch den völlig im ersten Haus eingeschlossenen<br />

Wassermann, dem anderen Analogon Saturns im Tierkreis; dazu<br />

mit der ebenfalls im ersten astrologischen Haus enthaltenen<br />

Anzeige Fische, die das enographisch aktuellen Symbol Saturns<br />

darstellt, und zugleich auch noch den astronomisch aktuellen<br />

Saturn zur Zeit der Geburt enthält. Eine deutlichere Verknüpfung<br />

<strong>des</strong> "ersten" und <strong>des</strong> "zehnten Hauses" auf individueller und<br />

transpersonaler, biographischer und geschichtlicher Ebene ist<br />

kaum vorstellbar.<br />

Dieser Konnex und dieses Wort <strong>des</strong> provenzalischen Arztes und<br />

Astrologen dürften die herausragende Quelle sein, Rudolf bis in<br />

die Neuzeit herauf als "saturninen Kaiser" (Schwarzenfeld, S. 9; s.<br />

v. a. S. 60) zu charakterisieren. Saturn gilt der<br />

Geschichtsastrologie als Herrscher <strong>des</strong> "goldenen Zeitalters"<br />

(Peuckert, W.E., Astrologie, Stuttgart, 1960, S. 74). Octavian und<br />

Karl der Große wurden ebenfalls für „saturnine Kaiser“ gehalten;<br />

dass Octavianus Augustus für sich selbst einen besonderen Bezug<br />

zu Steinbock - dem zodiakalen Aspekt Saturns - in Anspruch<br />

nahm, ist bekannt (Chadraba, R., Gemma Augustea und<br />

rudolfinische Allegorie, in: Umeni 3, 1970, 289 ff.; vgl. Knappich,<br />

W., Geschichte der Astrologie, 82 f.).<br />

e) Exkurs: Der Kupferstich von Matheus Greuter<br />

Mit diesen Ergebnissen ist eine Deutung <strong>des</strong> Stiches von Matheus<br />

Greuter (s. Abb. vorne) möglich.<br />

Dieses Bild stellt Rudolf neben die beiden genannten Kaiser<br />

Oktavian und Karl. Über den drei Adlerköpfen werden die drei


Kaiser genannt. Sie regieren in genau achthundertjährigem<br />

Abstand. Und ihr Geburtsbild hat anscheinend bei allen<br />

"denselben Aszendenten", "horoscopus idem", getragen. Darauf<br />

bezieht sich auch die Umschrift auf dem äußeren Ring: das Reich,<br />

das Augustus begründete, und Karl fortführte, werde Rudolf II.<br />

neuerlich "aufrichten", im Jahr "1600".<br />

In dem mittleren Kreis stellt Greuter das <strong>Horoskop</strong> Rudolf II.<br />

bildhaft vor: am "Aszendenten", links, steigt der Steinbock mit<br />

seinem Fischschwanz auf, über ihm schwingt sich der Adler - mit<br />

gestirnter Brust, ein Sternbild, bereits als "vultur volans" genannt.<br />

Gegenüber, am "Deszendenten", im Zeichen <strong>des</strong> Löwen, steht das<br />

andere bedeutsame Zeichen, im achten Haus ("vom Aszendenten<br />

aus"), zugleich im Sextil <strong>zum</strong> 10.; ihm verknüpft sich zugleich ein<br />

doppeltes Sextil zu Mars und Mond in den Zwillingen. Es bedeutet<br />

das Erbe eines riesigen Reiches, in der Ballung der<br />

konjugierenden Zeichen Sonne, Jupiter und Drachenkopf und ihrer<br />

Aspekte.<br />

Die kreisrunden Embleme links und rechts unten zeigen das<br />

"Schicksal" (mit der Umschrift: "Fata regunt orbem: fieri iubet<br />

omnia FATUM") - einen Greis mit den sieben Sternen - und die<br />

"Zeit" ("Et qua fata iubent, ea perficit omnia TEMPUS") - Saturn mit<br />

Sichel und Sanduhr.<br />

Das Bild wurde von "Raym. Urso, seiner Kaiserlichen Majestät<br />

Mathematiker" erfunden, und von "Matheus Greuter 1594"<br />

gestochen. Mathematiker bedeutet aber zu dieser Zeit auch<br />

„Astrologe und Astronom“.


f) Weitere Inhalte der Vorhersage<br />

Nun zusammengefasst die wesentlichen anderen Aussagen <strong>des</strong><br />

Kapitels VIII: Gesundheit und langes Leben (1. Haus), riesiger<br />

Besitz, große Schätze und Reiche (2.), große Rivalitäten und<br />

Auseinandersetzungen mit den Brüdern (3.); Rudolf wird große<br />

Besitztümer erwerben, zugleich ist er der "Beste seines Stammes"<br />

(4.); er wird viele Freuden erleben, reiche Kinder haben (5.); er<br />

wird über eine überaus gute Dienerschaft verfügen, jedoch an<br />

Melancholie leiden (6.); er wird mehrere kriegerische<br />

Auseinandersetzungen bestehen und eine königliche Gattin<br />

heimführen (7.); ihm droht der Tod von mehreren Kindern, und er<br />

wird an Krankheit sterben (8.); er wird zuerst "unterrichtet sein in<br />

guter Lehre", dann aber von dieser abfallen: "achten Sie, Sire, daß<br />

Gott sie nicht verlässt" (9.); die königlichen Ziele sind bedroht<br />

durch die Brüder, das Kaisertum Rudolfs ist gekennzeichnet durch<br />

die persönliche Schwäche Zorn und Wildheit (10.); er wird viele<br />

Freunde besitzen, die ihm nicht ebenbürtig sind; zwischen 45 und<br />

52 Jahren wird ihm auf Grund seiner religiösen Haltung "die<br />

universelle Monarchie der christlichen Welt übertragen". Dieses ist<br />

wieder ein bedeutsamer geschichtsastrologischer Hinweis, der auf<br />

die enographische Situation der Jahre 1598 bis 1605 anspielt: dort<br />

entsteht ein leiten<strong>des</strong> Zeichen <strong>des</strong> Wassermann, unterstützt durch<br />

das astrogeographische Äquivalent Wiens, Waage, und durch die<br />

mehrfache Beifügung <strong>des</strong> anderen venerischen Zeichens, Stier;<br />

dieses dürfte die „stärkste“ Zeit <strong>des</strong> Kaiser Rudolf II. bedeuten;<br />

seine Feinde werden schwach sein (12.). Schließlich folgt der<br />

zusammenfassende Satz: "dieses alles sind sehr sichere Zeichen".<br />

Nun beginnt der dritte Teil <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>s. Die Kapitel IX bis XXVI<br />

besprechen die entwickelten Aussagen in den Details. Das<br />

Vorgehen wandelt sich: ausgehend von den Planeten und Punkten<br />

in der Reihe ihrer Würde folgt ein erster Durchgang durch das<br />

gesamte Geburtsbild. Dadurch ergeben sich Modifikationen bereits


gefallener Aussagen, was eine moderne und positivistischere<br />

Deutungslehre zu vermeiden suchte.<br />

Dazu einige Beispiele: durch Saturn im zweiten Haus sei eine<br />

Mäßigung <strong>des</strong> materiellen Erfolges zu erwarten (Kap. IX); durch<br />

"Mars in 6" würden viele Krankheiten angezeigt (Kap. XIII) - in<br />

dieser Signifikation befänden sich viele Anzeigen, "die nicht<br />

königlich wären"; der Tod werde unter großen Ehrungen<br />

geschehen (Kap. XV); es werde ein Verlangen nach der Magie<br />

angezeigt (Kap. XVI); der Native werde viel Freude mit Frauen<br />

haben (Kap. XVII); er verfüge über eine große Sprachbegabung,<br />

die sich erst langsam entwickele (Kap. XIX); sein Geist sei<br />

beweglich, und er besitze viele Freunde (Kap. XX); der Native<br />

verfüge über ein großes Können in der Zähmung von Tieren (Kap.<br />

XXI); er habe eine Vorliebe für "kleine Mädchen" (Kap. XXII).<br />

Diese Passage abschließend geht <strong>Michel</strong> Nostradamus noch<br />

einmal auf das wesentliche Zeichen "Saturn als Herr <strong>des</strong><br />

Aszendenten" ein. Er rahmt die detaillierenden Aussagen durch<br />

das Aufgreifen der bereits besprochenen allgemeineren und<br />

überragenden Anzeigen dieses Planeten. Den Schlusspunkt<br />

dieses Teiles setzt die Besprechung der Lage <strong>des</strong> Glückspunktes.<br />

Michael Nostradamus führt aus, er habe ihn nach den "ältesten<br />

Methoden der Chaldäer, Babylonier und Ägypter" berechnet, und<br />

nicht, wie es Ptolemäus vorschlägt. Er kommt noch einmal zu einer<br />

entschiedenen Vorhersage <strong>des</strong> Königtums für "diesen Knaben" -<br />

"das ist ein zukünftiger König" - "er wird nichts ohne großen<br />

Belang tun". Und da der Native so sehr von Glück begleitet sei,<br />

werde sich "sein Reich von Tag zu Tag mehren" und er werde in<br />

den "Chroniken einen großen Namen besitzen".


Danach folgt im vierten thematischen Komplex der nächste<br />

Durchgang durch das gesamte <strong>Horoskop</strong>. Der erste und zweite<br />

Teil, in dem die Bestimmung der "Herren" im Mittelpunkt stand,<br />

entwarf ein allgemeines, sehr positives Bild; dabei richtete sich der<br />

zweite Teil völlig nach dem bekannten astrologischen<br />

Deutungssystem. Der dritte, eben behandelte Teil, vertiefte diese<br />

Aussagen, ging jedoch von einzelnen Planeten und Orten aus; er<br />

fügte manches Bedenkenswerte und auch Bedenkliche den<br />

Vorhersagen hinzu. Der vierte Teil nun versucht die Zeichen noch<br />

tiefer zu deuten: er wird dabei enigmatischer und dunkler. Die<br />

Sprache wird assoziativer, streckenweise inhaltlich sprunghaft:<br />

jedoch ist dieses alles geleitet von den Symbolen der Gestirne.<br />

So berührt die Signifikation "Saturn im 2. Haus" (Kap. XXVII)<br />

Themen wie: riesiges Reich, schwierige Eroberungen, Aufstände,<br />

Hindernisse bei der Eheschließung, große Krankheiten, ein<br />

Schaden im Aussehen der Gattin, Verschwörungen, Veränderung<br />

der Regierung in einem Teil <strong>des</strong> Reiches. Dazwischen wird<br />

geradezu ermutigend eingeschoben, auch graphisch<br />

hervorgehoben: "Du wirst das römische Volk regieren!"<br />

Folgend unternimmt <strong>Michel</strong> Nostradamus erneut eine Vorhersage<br />

<strong>des</strong> Regierungsantrittes Rudolfs. Er werde regieren, und zwar "mit<br />

26 und 27 Jahren" ab "1577 oder 1578"; diese Zahlen sind wohl<br />

mit einfachen Direktionen ermittelt. (Die Wahl <strong>zum</strong> deutschen<br />

Kaiser erfolgte 1576.)<br />

Es folgen weitere Bedeutungen immer noch dieses Zeichens: um<br />

1590 "große Bedrängnis durch die Barbaren, größer als je zuvor",<br />

Tod der Gattin, Verluste durch "Mittelmaß". Schließlich folgen eine<br />

Menge zeitlicher Angaben, gestützt auf den Lauf Saturns durch


den Tierkreis, also einer allgemeineren Form von Transiten; sie<br />

bedeuten eine genaue Kenntnis der Gestirnstände min<strong>des</strong>tens bis<br />

<strong>zum</strong> Jahr "1593". Cyprianus Leovitius, der nachweisbar an der<br />

Berechnung der Gestirnstände beteiligt war, hat für diesen<br />

Zeitraum Ephemeriden hinterlassen.<br />

Einen bemerkenswerten Einblick in die medizinischen<br />

Auffassungen <strong>des</strong> Nostradamus liefert die Opposition Saturns mit<br />

der Sonne am "29. März 1584": sie "droht bis in den September".<br />

Um sich vor ihrer Kraft zu schützen, rät der französische Arzt dem<br />

Kaiser zu "einem Bett aus Lorbeer". Auch diese Auffassungen<br />

lassen sich enographisch begründen: der angesprochene Zeitraum<br />

ist makrokosmisch von einer gegenseitigen Vernichtung von Löwe<br />

(Jupiterrevolution 1577) und Wassermann (Saturnrevolution 1584)<br />

gekennzeichnet; diese wird anscheinend durch den aktuellen<br />

Transit Saturns durch Widder - das dem Saturn schädlichste<br />

Zeichen im Tierkreis - verstärkt und virulent. Löwe und<br />

Wassermann stehen sich im Tierkreis gegenüber: die<br />

grundsätzliche Antipathie zwischen Saturn, mit Steinbock und<br />

Wassermann, und den Lichtern, mit Löwe und Krebs, ist<br />

angesprochen. Hilfreich erscheint nun aus der damaligen<br />

medizinischen Sicht ein "Bett" von solarischer Qualität: "Lorbeer"<br />

gehört nach Agrippa zu den Entsprechungen der Sonne (1987, S.<br />

67). - Dieser Abschnitt vermag mit seinen Grundgedanken einen<br />

Zugang zu den an den Sympathien orientierten Heilweisen der<br />

alten Humoralpathologie zu eröffnen: man verwendete analoge<br />

Mittel, die Gefahr <strong>des</strong> Ungleichgewichtes, der Dyskrasie,<br />

aufzuheben. -<br />

Ein weiteres langes Kapitel berührt die "Signifikation Jupiter im<br />

Löwen" (Kap. XXIX). Beispielhaft seien noch einmal die berührten<br />

Themen aufgezählt: viele Arbeit und Bedrängnisse "von allen


Seiten", Triumphe in den achtziger Jahren, Sexualität; dann folgen<br />

Deutungen von Direktionen über Auseinandersetzungen innerhalb<br />

<strong>des</strong> Reiches. - Es wird bereits an diesen beispielhaften<br />

Ausschnitten deutlich, welche Fülle an Information in diesem<br />

vierten Teil <strong>des</strong> <strong>Horoskop</strong>s verborgen ist. -<br />

In den folgenden Kapiteln werden teils bekannte Zusammenhänge,<br />

z.B. die königliche Konstitution durch die Sonne im Löwen (Kap.<br />

XXXI), das Erbe <strong>des</strong> großen Reiches im Zusammenhang der<br />

Signifikation der Sonne (Kap. XXXIV), die Vorliebe für Kunst und<br />

Luxus (Kap. XXXV), <strong>zum</strong> anderen Teil aber auch neue<br />

angesprochen, z.B. ungehemmte Libido und Wankelmut (Kap.<br />

XXXVI), Strenge und Vorliebe für das Militär (Kap. XXXVII),<br />

"Begleitung durch viele Kurtisanen" (XXXVII). Doch ist hier die<br />

Aussage zuweilen so allgemein, daß man sich fragen muss, ob<br />

hier noch über die Person <strong>des</strong> Nativen gesprochen wird.<br />

Dann folgt der letzte Teil. Erneut wird das gesamte Geburtsbild<br />

durchgenommen, beginnend im Kapitel XLV. Hier wird von den<br />

Aspekten der Planeten und der Punkte zueinander ausgegangen.<br />

Dazu Beispiele: das Sextil Mars/Merkur bedeute "Klugheit,<br />

Schläue, überlegene Feinheit <strong>des</strong> Geistes, Interesse an den<br />

Wissenschaften, an der Kunst der Strategie, an der Reitkunst, an<br />

den verborgenen Wissenschaften, Beredsamkeit, vor allem in der<br />

aufmunternden Rede an die Soldaten"; oder das Quadrat<br />

Saturn/Mars bedeute "alles vorher Gesagte werde gemindert, es<br />

drohen große Verluste, es gibt Widrigkeiten, Hinderungen,<br />

Krankheiten" usw.. Solche Deutungen stehen ganz im üblichen<br />

Kontext astrologischer Aussagen. Doch erschöpft sich damit die<br />

Mitteilung meist nicht: stellenweise sind auch hier wieder Sätze


eingestreut, die den Rahmen eines individuellen <strong>Horoskop</strong>s<br />

verlassen.<br />

Vollends erreicht wird die geschichtliche Ebene wohl im letzten<br />

Kapitel (XLVI). Michael Nostradamus nutzt die Beziehung der<br />

Planeten und Punkte zu gewissen Fixsternen nur scheinbar für<br />

individualastrologische Aussagen. In Wirklichkeit behandelt er die<br />

zukünftige deutsche (und europäische) Geschichte: er nutzt die im<br />

<strong>Horoskop</strong> enthaltenen - sicherlich sehr bedacht ausgewählten<br />

Sterne und Konstellationen - für sehr weit führende prophetisch<br />

anmutende Hinweise. Dieses Vorgehen ist dem mit seinen Texten<br />

Vertrauten bekannt: er verwendet die bekannten Motive seiner<br />

Weissagung in ähnlicher Folge wie an anderen Orten seines<br />

Werkes - vor allem in der Vorrede der "Propheties" (Ausgabe 1568,<br />

2. Teil).<br />

Dazu ein letztes Beispiel: am Beginn <strong>des</strong> 45. Kapitels erwähnt<br />

Nostradamus einen "Stern vierter Größe von der Natur Saturns<br />

und Merkurs". Dieser treffe sich unter bestimmten Bedingungen<br />

mit einem "Stand der Sonne im Zenith". Er zeige<br />

"Nachdenklichkeit, Melancholie, und zugleich wunderbaren Fleiß,<br />

Einfallsreichtum, Gelehrsamkeit, Weisheit, Wahrheitsliebe" an. Und<br />

sofort geht die Deutung über in einen allgemeinen<br />

Zusammenhang: es werde im "Königreich Böhmen einen<br />

religiösen Streit geben", begleitet von "großer Dürre und extremer<br />

Hitze". - Böhmen gehört zu den astrogeographischen Patronaten<br />

<strong>des</strong> Löwen; mit der Anspielung auf "Saturn" ist hier wohl erneut die<br />

bereits oben besprochene mögliche Widrigkeit zwischen Löwe und<br />

Wassermann angedeutet. -


Einige Abschnitte weiter, für eine Zeit, in der "Mond im Aufgang<br />

stehe", sagt Michael Nostradamus vorher: "Wanderungen...der<br />

Feind ist noch nicht gekommen, hat aber eine riesige Zahl von<br />

Menschen geschickt. Es kommt der völlige Ruin, die Zerstörung<br />

der Edelsten, der Vornehmsten und Herausragendsten...es<br />

entsteht großer Verrat und Hinterlist...man macht eine endlose<br />

Chose von Neuheiten, Gesetzen, neuen Proklamationen, neuen<br />

Edikten und dann überhaupt nichts mehr, die Zeit ist sehr schlecht,<br />

trügerisch und wirr". – Eine solche Aussage bezieht sich nicht<br />

mehr auf die zeit Rudolfs, sie führt viel weiter in die Zukunft, in jene<br />

Endzeit, die nach <strong>Michel</strong> Nostradamus unter dem Zeichen <strong>des</strong><br />

Mon<strong>des</strong> steht. Und so können Inhalte dieses <strong>Horoskop</strong>s<br />

eingegliedert werden in die großen Zusammenhänge seiner<br />

Vorhersagen. -<br />

Der letzte der 13 Absätze dieses Kapitels bringt eine sehr<br />

pessimistische Vorausschau auf den "völligen Ruin und den<br />

Niedergang der römischen Religion, genannt papistisch oder<br />

evangelisch"; "niemand ergreife mehr einen religiösen Beruf"; "es<br />

sei eine sehr schlechte Zeit"; "der Stier stehe in sechs". Aber nach<br />

"Pest, Hunger und Täuschung werde der Teufel <strong>des</strong> Westens und<br />

Nordens ein wenig befriedet".<br />

Gerade dieser Abschnitt ist aufschlussreich für <strong>Michel</strong><br />

Nostradamus Einstellung zur religiösen Frage seiner Zeit. Indem er<br />

weit in die Zukunft schaut, werden ihm die Auseinandersetzungen<br />

seiner Gegenwart klein, und er vereint die „papistischen und<br />

evangelischen“ Kontrahenten in einer „römischen Religion“. Das<br />

sind wahrlich bedeutsame und ungewöhnliche Begriffsbildungen,<br />

die weit hinein leuchten in eine Zukunft, in der sich das „Religiöse“<br />

unter dem Diktat <strong>des</strong> Mittelmaßes und <strong>des</strong> Gemeinen einen wird,<br />

und der Nordwesten der Welt seine oft sich diabolisch<br />

auswirkenden Antagonismen überwindet.


Wenn „das Zeichen Stier in sechs steht“, dann befindet sich<br />

Jungfrau im medium coeli. Virgo an einem solchen Ort aber<br />

bedeutet himmlische Begünstigung „Babylons“: Babylon gehört zu<br />

den topografischen Analogien dieses merkurialen Zeichens. <strong>Michel</strong><br />

Nostradamus verweist hier verschlüsselt auf die Endzeit („das<br />

achte Zeitalter“, von 2100 bis 3600), das große Thema seiner<br />

Weissagung, und die dort statt findenden vergeblichen und<br />

niederrangigen Versuche, die Problematiken zu lösen.<br />

Gerade durch solche Weisen, ein Geburtsbild zu vervollständigen,<br />

kann noch einmal deutlich werden, daß es sich in der Astrologie<br />

<strong>des</strong> <strong>Michel</strong> Nostradamus um eine andere Sternenkunde handelt:<br />

sie zielt primär nicht auf die korrekte Aussage für irgendein<br />

"Schicksal" eines Einzelnen, sondern will das Individuum ins<br />

Ganze einbetten; will über die makrokosmischen Entsprechungen<br />

klarer zur Person zurückfinden, über das "Universelle" einen Weg<br />

<strong>zum</strong> Verstehen <strong>des</strong> Menschen finden.<br />

Die Prognostik endet mit einem kurzen Schreiben an den Vater<br />

Rudolfs, Maximilian II.. Michael Nostradamus erwähnt, daß er<br />

vieles, was er jetzt nicht erkläre, im <strong>Horoskop</strong> für Rudolfs Bruder<br />

Ernst darlegen werde. Er schließt das <strong>Horoskop</strong>, er habe "nicht<br />

100 oder 200 Fußnoten einfügen wollen", in denen er seine<br />

Aussagen an Hand der astrologischen Autoritäten hätte erläutern<br />

können, und er unterzeichnet als "medizinischer und<br />

mathematischer Berater <strong>des</strong> französischen Königs, Eurer Milde<br />

ergebendster Michael de Nostredam".

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