Marcolinis Waldschlößchen – Staffageobjekt in einer ...
Marcolinis Waldschlößchen – Staffageobjekt in einer ...
Marcolinis Waldschlößchen – Staffageobjekt in einer ...
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<strong>Marcol<strong>in</strong>is</strong> <strong>Waldschlößchen</strong> <strong>–</strong><br />
<strong>Staffageobjekt</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er landschaftlichen Szenerie<br />
Vortrag, gehalten von Heidrun Laudel am 9. Juni 2010 auf Veranstaltung „Es gibt e<strong>in</strong>e<br />
Zukunft für das <strong>Waldschlößchen</strong>“, die vom Bauherrn Klaus Dilcher (Kl<strong>in</strong>ik am <strong>Waldschlößchen</strong>)<br />
geme<strong>in</strong>sam mit dem Vere<strong>in</strong> Dresdens Erben ausgerichtet wurde.<br />
Nicht erst das gewaltige Brückenbauwerk, zu dem se<strong>in</strong> lieblicher Name so gar nicht<br />
recht passen will, hat vergessen gemacht, was es mit dem „<strong>Waldschlößchen</strong>“<br />
eigentlich auf sich hat.<br />
Dem Baudruck auf dieses Gebiet <strong>in</strong> herrlicher Lage hat schon das 19. Jahrhundert<br />
nicht stand gehalten. Und so kommt es, dass selbst viele Dresdner mit dem Namen<br />
„<strong>Waldschlößchen</strong>“ den stattlichen, weith<strong>in</strong> sichtbaren Bau an der Bautzner Straße<br />
verb<strong>in</strong>den, bei dem es sich <strong>in</strong> Wahrheit um e<strong>in</strong> Brauereigebäude handelt, das erst<br />
Jahrzehnte später entstanden ist. Eigentlich kann es jeder lesen, der am Gelände<br />
vorbeifährt. An der unteren Mauer prangt seit e<strong>in</strong>iger Zeit <strong>in</strong> großen güldenen<br />
Lettern wieder die ursprüngliche Bezeichnung: „Brauhaus am <strong>Waldschlößchen</strong>“.<br />
Zum eigentlichen „<strong>Waldschlößchen</strong>“ mit der Adresse Radeberger Straße 60 f<strong>in</strong>den die<br />
wenigsten Menschen den Weg. Obwohl auf der obersten Kuppe des Hanges liegend,<br />
ist es heute so umbaut, dass man es allenfalls zufällig entdeckt. Tritt man näher<br />
heran, ist man e<strong>in</strong>igermaßen erstaunt, vor allem weil sich das kle<strong>in</strong>e, annähernd<br />
würfelförmige Gebäude <strong>in</strong> so eigenartigen Formen präsentiert. Fritz Löffler, dem das<br />
Verdienst gebührt, uns das barocke Dresden nahe gebracht zu haben, schien die zur<br />
Stadt gewandte Schaufassade denn auch etwas suspekt. Se<strong>in</strong>e aufzählende
<strong>–</strong> 2 <strong>–</strong><br />
Beschreibung der gotischen Details <strong>–</strong> gekoppelte Kielbogenfenster, Kreuzblumen,<br />
Kleeblattfries <strong>–</strong> endet <strong>in</strong> dem lakonischen Satz: „Die architektonische Leistung ist<br />
nicht bedeutend“. 1<br />
E<strong>in</strong> solches Pauschalurteil provoziert allerd<strong>in</strong>gs die Frage: Ist dem Gebäude tatsächlich<br />
mit e<strong>in</strong>er sezierenden Analyse von Stilelementen beizukommen? Verlangt<br />
der Bau nicht e<strong>in</strong>en ganz anderen Betrachtungshorizont? Und wiederum ist es Fritz<br />
Löffler, der uns die Fährte weist. Denn er hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em „Alten Dresden“ mit e<strong>in</strong>er<br />
der seltenen Darstellungen aus der Entstehungszeit des Gebäudes bekannt gemacht,<br />
mit e<strong>in</strong>em Kupferstich, für den Gottlob Friedrich Thormeyer (1775<strong>–</strong>1842) die<br />
zeichnerische Vorlage lieferte. Das Bild war für e<strong>in</strong>en Prachtband bestimmt, den der<br />
Kunsthändler und Verleger He<strong>in</strong>rich Rittner <strong>in</strong> den Jahren 1808/1809 herausbrachte<br />
und der unter dem Titel „Dresden mit se<strong>in</strong>en Prachtgebäuden und schönsten<br />
Umgebungen“ auf dünnem Bütten 25 Panorama-Bilder darbot.<br />
Betrachtet man das komplette Blatt, von dem Löffler nur e<strong>in</strong>en Ausschnitt publiziert<br />
hat, wird e<strong>in</strong>em schlagartig bewusst, welche Bedeutung dem Gebäude tatsächlich<br />
zukam. Was Thormeyer hier aufgenommen hatte, war e<strong>in</strong>e komplette Landschaftsszenerie.<br />
Offensichtlich zählte die Zeit sie zu den besonders bemerkenswerten<br />
Schöpfungen. Wer weiß, vielleicht hatte der junge Architekt <strong>–</strong> der Absolvent der<br />
Dresdner Kunstakademie und spätere Hofbaumeister (ab 1812) <strong>–</strong> gar e<strong>in</strong>e Aktie an<br />
deren Entstehung. Das wäre dann so etwas wie die Jugendsünde e<strong>in</strong>es Mannes, den<br />
wir als Vertreter e<strong>in</strong>es ausgesprochen puristischen Klassizismus kennen.<br />
Erhellend ist auch die Bezeichnung: „La maison gothique apartenant au comte<br />
Marcol<strong>in</strong>i pres Dresde“. E<strong>in</strong> „gotisches Haus“ sollte es se<strong>in</strong>, wie es sich Leopold<br />
Friedrich Franz von Anhalt-Dessau seit 1773 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Park <strong>in</strong> Wörlitz bauen ließ:<br />
gedacht als Refugium, als Rückzugsdomizil und gleichermaßen als Stimmungsbild <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Landschaftsraum. Von dem anhalt<strong>in</strong>ischen Fürst wird gesagt, dass er se<strong>in</strong>en<br />
Freund und Hausarchitekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff für dieses<br />
Vorhaben nicht gew<strong>in</strong>nen konnte. Der Baudirektor Hesekiel schuf ihm die<br />
gewünschte gotische Schaukulisse.<br />
Nicht anders verhält es sich mit dem Gebäude, das Camillo Graf Marcol<strong>in</strong>i (1739<strong>–</strong><br />
1814), der Günstl<strong>in</strong>g am sächsischen Hofe, auf e<strong>in</strong>e Anhöhe am Rande des Heidewaldes<br />
setzte. Auch <strong>Marcol<strong>in</strong>is</strong> „gotisches Haus“ diente als <strong>Staffageobjekt</strong> zur<br />
Belebung e<strong>in</strong>er weitgreifenden landschaftlichen Szenerie. Im Vergleich zu Wörlitz tritt<br />
dieser Schaucharakter beim Dresdner <strong>Waldschlößchen</strong> sogar noch deutlicher hervor.<br />
Die der Elblandschaft zugewandte Fassade ist <strong>in</strong> Sandste<strong>in</strong> durchgebildet und damit<br />
demonstrativ vor e<strong>in</strong> Gebäude gestellt, dessen übrige Umfassungsmauern e<strong>in</strong>e Holzverkleidung<br />
tragen.<br />
Da mag der kenntnisreiche Kunsthistoriker den Kopf schütteln. Denn anders als <strong>in</strong><br />
Wörlitz, wo sehr schnell die Adaption der Hauptfassade der Kirche Maria dell’ Orto <strong>in</strong><br />
Venedig (1460<strong>–</strong>1464) zu erkennen ist, zeigt sich die ste<strong>in</strong>erne Front des <strong>Waldschlößchen</strong>s<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em seltsamen Formenkonglomerat: Da sehen wir Vorhangbögen<br />
der heimischen Spätgotik neben Tellerkapitellen mit glockenförmigem Hals, wie sie<br />
eigentlich nur <strong>in</strong> der englischen Frühgotik auftauchen. Welch’ seriöser Architekt<br />
kommt auf e<strong>in</strong>en solchen E<strong>in</strong>fall? Hat Marcol<strong>in</strong>i vielleicht den Theatermaler Johann<br />
Gottlieb Benedict Theil (1745<strong>–</strong>1797) herangezogen, der ihm damals die<br />
1 Fritz Löffler, Das Alte Dresden. Leipzig 6 1982, S. 341.
<strong>–</strong> 3 <strong>–</strong><br />
Ausmalungen im Japanischen Palais besorgte. Wir wissen es nicht. Wir wissen nur<br />
e<strong>in</strong>es: Uns begegnen hier jene unbekümmerten Anfänge des Historismus im Landschaftsgarten,<br />
von denen e<strong>in</strong> ganz besonderer Reiz ausgeht. 2<br />
Nicht zuletzt erschließt sich uns das ungewöhnliche Bauwerk über die Persönlichkeit<br />
des Bauherrn, über Camillo Graf Marcol<strong>in</strong>i, um den die etablierte Geschichtswissenschaft<br />
gern e<strong>in</strong>en Bogen macht. Die zwielichtige Rolle, die Marcol<strong>in</strong>i am Hofe<br />
des sächsischen Kurfürsten Friedrich August III. (1750<strong>–</strong>1827) gespielt hat, ist sicher<br />
nicht zu bestreiten. Doch bleibt die Frage offen, weshalb der so streng auf die<br />
Stabilisierung des Staatshaushalts bedachte Kurfürst diesen mehr oder weniger<br />
zufällig an den sächsischen Hof gelangten Italiener derart mit Ämtern überhäufte<br />
(Direktor der Meißner Porzellanmanufaktur 1774, Generaldirektor der Kunstakademie<br />
und der Kunstsammlungen 1780), weshalb er ihn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em politischen Testament<br />
von 1787 se<strong>in</strong>em Bruder und potentiellen Nachfolger ausdrücklich empfahl, <strong>in</strong>dem er<br />
schrieb: „Schenken Sie ihm Vertrauen, so ich ihm gezeigt habe, hören Sie se<strong>in</strong>en Rat<br />
an, aber beschließen Sie selbst: denn se<strong>in</strong> Eifer führt ihn manchmal weit, und suchen<br />
Sie ihm um sich zu halten. Es wird Sie nicht gereuen.“ 3 Alle<strong>in</strong> sentimentale<br />
Anhänglichkeit an den Gespielen se<strong>in</strong>er Jugend, wofür Marcol<strong>in</strong>i e<strong>in</strong>st an den Hof<br />
geholt wurde, dürfte es nicht gewesen se<strong>in</strong>.<br />
Wir s<strong>in</strong>d es gewohnt, <strong>in</strong> Friedrich August III. den nüchtern-kalkulierenden Landesvater<br />
zu sehen, der nicht nur gänzlich im Schatten des glanzvollen Augusteischen<br />
Zeitalters stand, der sich auch den aufklärerischen Zeiten weitgehend verschloss. Bei<br />
dieser Betrachtung geht e<strong>in</strong> ganz wesentlicher, für das ausgehende 18. Jahrhundert<br />
kennzeichnender Aspekt völlig verloren: die allgeme<strong>in</strong>e Begeisterung für die Naturschönheit,<br />
die auch ganz wesentlich zum Lebensstil des Kurfürsten gehörte.<br />
Es waren vor allem die Maler und Zeichner, die die stimmungsvolle, <strong>in</strong> besonderes<br />
Licht getauchte Landschaft entdeckten und neben arkadischen Gefilden, wie sie ihrer<br />
Phantasie entsprangen, immer wieder ganz bestimmte Gegenden im Bild festhielten.<br />
Dazu gehörten <strong>in</strong> der weiteren Umgebung die Sächsische Schweiz, die ihren Namen<br />
den gebürtigen Schweizern Anton Graff und Adrian Z<strong>in</strong>gg verdankt, das südliche<br />
gelegene Tharandt mit se<strong>in</strong>er Burgru<strong>in</strong>e und vor allem der wildromantische<br />
Plauensche Grund.<br />
Im heutigen Dresdner Stadtgebiet bevorzugten sie Landschaftspanoramen, wie sie<br />
das östliche Elbtal bereit hielt:<br />
− etwa den Blick von der Altstädter Seite auf das ufersäumende Schloss Pillnitz<br />
(Kupferstich von Franz Taubert. 1810) oder<br />
− den Blick von den Höhen auf Schloss und Dorf Pillnitz (Kupferstich von Johann<br />
Gottfried Jentzsch, um 1800),<br />
− das we<strong>in</strong>bergumsäumte Loschwitz (Kupferstich von Christian Gottlieb Hammer,<br />
1806),<br />
2<br />
Auf den Zusammenhang zwischen der Ausgestaltung des Landschaftsgartens und dem Historismus<br />
des 19. Jahrhunderts hat erstmals umfänglich Kurt Milde aufmerksam gemacht. Kurt Milde, Die<br />
Neorenaissance <strong>in</strong> der deutschen Architektur des 19. Jahrhunderts. Grundlagen, Wesen und<br />
Gültigkeit. Dresden 1981, <strong>in</strong>sbesondere S. 9<strong>–</strong>24. Für Fritz Löffler war das noch e<strong>in</strong> Phänomen, das<br />
außerhalb se<strong>in</strong>es Blickfeldes lag.<br />
3<br />
Politisches Testament des Kurfürsten Friedrich August III. vom 6. Dezember 1787, abgedruckt <strong>in</strong>:<br />
Archiv für Sächsische Geschichte 10/1872, S. 339<strong>–</strong>390.
<strong>–</strong> 4 <strong>–</strong><br />
− vor allem aber Ansichten, wie sie sich von den Lichtungen der Bautzner Chaussee<br />
auf die Silhouette der Stadt boten (kolorierter Kupferstich von Carl Wizani nach<br />
Veith, um 1815).<br />
Was Marcol<strong>in</strong>i anbelangt, so konnte er sich rühmen, den S<strong>in</strong>n für die Naturschönheit<br />
beim Kurpr<strong>in</strong>zen wenn vielleicht auch nicht entfacht, so doch entwickelt und auf<br />
dieser Grundlage später die verschiedensten landschaftsgestalterischen Projekte<br />
angeregt zu haben.<br />
Das begann unmittelbar nach dem Regierungsantritt von Friedrich August mit der<br />
besonders bekannt gewordenen, etwas kuriosen Anlage am Moritzburger Großteich,<br />
wo die gesuchte ländliche E<strong>in</strong>samkeit bisweilen durch das Spektakel von <strong>in</strong>szenierten<br />
Seeschlachten unterbrochen wurde. Das setzte sich fort mit der Ausgestaltung der<br />
Gegend um Pillnitz, die der junge Kurpr<strong>in</strong>z schon frühzeitig zu se<strong>in</strong>em Fluchtort<br />
auserkoren hatte. Dort ließ Marcol<strong>in</strong>i ab 1775 den unwegsamen Meixgrund <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />
Spazierpfad verwandeln, der zu Ehren des Kurfürsten zunächst „Friedrichsthal“, dann<br />
„Friedrichsgrund“ genannt wurde. Mit ihm entstand e<strong>in</strong> landschaftsgestaltendes<br />
Paradeobjekt. Die Künstler überboten sich gegenseitig, dessen e<strong>in</strong>zelne Partien <strong>in</strong><br />
kolorierten Stichen festzuhalten.<br />
Vom Friedrichsgrund existiert sogar e<strong>in</strong> <strong>in</strong> Feder gezeichneter Grundplan, <strong>in</strong> dem<br />
skizzenhaft die topographischen Verhältnisse wiedergegeben und die szenischen<br />
Elemente e<strong>in</strong>getragen s<strong>in</strong>d: „Opservatorium“ (auch Eremitage, e<strong>in</strong> unregelmäßig<br />
aufgeschichteter Ste<strong>in</strong>haufen mit e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en unterirdischen Zimmer), „gemachte<br />
Ru<strong>in</strong>en“ (am E<strong>in</strong>gang), „Wasserfälle“, „Rosenhügel“, alles <strong>in</strong> allem Zutaten, mit<br />
denen das Zeitalter der Empf<strong>in</strong>dsamkeit den Naturgenuss zu steigern pflegte.<br />
In diesem Kontext gew<strong>in</strong>nt <strong>Marcol<strong>in</strong>is</strong> Erwerb „e<strong>in</strong>iger Plätze <strong>in</strong> Elbnähe“ e<strong>in</strong>e ganz<br />
andere Bedeutung als es die harmlose Formulierung im kurfürstlichen Reskript aus<br />
dem Jahre 1785 vermuten lässt. 4 Nicht alle<strong>in</strong> wurden ihm damit vergleichsweise<br />
ausgedehnte Ländereien zugesprochen. Er nahm zugleich e<strong>in</strong>e landschaftlich äußerst<br />
reizvolle Situation <strong>in</strong> Beschlag, die er mit S<strong>in</strong>n für räumliche Wirkungen zu besetzen<br />
wusste: mit dem Vorwerk an der Elbe und dem als Absteige für die Jagd gedachten<br />
Schlösschen auf der Anhöhe.<br />
Hier, wo <strong>–</strong> geomorphologisch gesehen <strong>–</strong> zwei unterschiedliche Formationen<br />
aufe<strong>in</strong>ander treffen, wo die Heidesandterrasse zur Lausitzer Granitplatte ansteigt,<br />
hielt die Natur e<strong>in</strong> besonderes Erlebnis bereit. Wer aus der dunklen Dichte des<br />
Waldes trat, dem tat sich mit e<strong>in</strong>em Mal die Weite der Landschaft auf, die <strong>in</strong> der<br />
Ferne die Silhouette der Stadt frei gab.<br />
Ke<strong>in</strong> Motiv ist <strong>in</strong> Zeichnungen, Stichen, Gemälden häufiger festgehalten worden als<br />
der Blick mit der ausgedehnten Wiesenaue des Großen Elbbogens im Vordergrund,<br />
der über die ersten Landsitze <strong>–</strong> unter ihnen das <strong>Marcol<strong>in</strong>is</strong>che Vorwerk <strong>–</strong> h<strong>in</strong>weg zum<br />
Panorama der Altstadt gelenkt wird.<br />
Erst mit dem Wissen um se<strong>in</strong>e bisherigen, geme<strong>in</strong>sam mit dem Kurfürsten<br />
betriebenen Projekte, vermag man zu erahnen, welche umfassenden gestalterischen<br />
Absichten Marcol<strong>in</strong>i hegte, als er den Kurfürsten bat, ihm doch diese nicht gerade<br />
fruchtbaren Feldfluren mit angrenzendem Waldstück zu überlassen. Erstmals hatte er<br />
4 Kgl. Reskript vom 9. November 1785, e<strong>in</strong>geheftet <strong>in</strong>: Sächs. HStA Dresden, MdI Nr. 11.493 „Den<br />
Scheppachschen Bebauungsplan an der äußeren Bautzner Chaussee … betr. 1844<strong>–</strong>1898, S. I.
<strong>–</strong> 5 <strong>–</strong><br />
hier e<strong>in</strong>en eigenen zusammenhängenden Besitz, den er nach Gutdünken und <strong>in</strong><br />
großem Stile umzugestalten vermochte. Dass es vordergründig wirtschaftliche<br />
Interessen waren, die ihn antrieben, ist unbestritten. Davon legen die Fakten<br />
reichlich Zeugnis ab, darunter die Tatsache, dass er se<strong>in</strong>en Besitz 1804 um das Areal<br />
der Hofewiese erweiterte, immerh<strong>in</strong> der größten landwirtschaftlich genutzten Fläche<br />
<strong>in</strong>nerhalb der Heide. 5 Wenn wir den Überlieferungen Glauben schenken können,<br />
gelang es Marcol<strong>in</strong>i, das erworbene freie Land b<strong>in</strong>nen kürzester Zeit <strong>in</strong> Felder, Obstplantagen<br />
und Hopfenpflanzungen zu verwandeln. 6 Am Hofe quittierte man se<strong>in</strong>e<br />
Aktivitäten gewohnt abfällig. Marcol<strong>in</strong>i „habe sich viel mit dem Verdienst hervorgetan,<br />
e<strong>in</strong>en unfruchtbaren Boden, den er sich zudem schenken ließ, urbar gemacht<br />
zu haben“, hieß es. 7<br />
Wir, die wir im zeitlichen Abstand über <strong>Marcol<strong>in</strong>is</strong> Planungen bef<strong>in</strong>den, <strong>in</strong>teressieren<br />
solche <strong>–</strong> möglicherweise berechtigten <strong>–</strong> Vorwürfe nur am Rande. Für uns ist von<br />
Bedeutung, dass das ausgehende 18. Jahrhundert im Allgeme<strong>in</strong>en den Charakter<br />
e<strong>in</strong>er Landschaft respektierte und dass Marcol<strong>in</strong>i im Besonderen e<strong>in</strong>en Faible für<br />
deren Gestaltung entwickelte. Der Bau des <strong>Waldschlößchen</strong>s zeigt es an. Marcol<strong>in</strong>i<br />
g<strong>in</strong>g daran, die Landschaft ganz im S<strong>in</strong>ne der Zeit zu kultivieren: als bewirtschaftete<br />
Fläche und als Raum des Landschaftsgenusses. Die Fachwelt kennt dafür den Begriff<br />
der „ornamental farm“. Heute zeugen von diesem umfassenden Unternehmen nur<br />
noch wenige Spuren, und auch die gilt es erst zu entdecken. Das hat etwas mit der<br />
baulichen Entwicklung zu tun, wie sie schon wenige Jahrzehnte nach <strong>Marcol<strong>in</strong>is</strong> Tod<br />
im Jahre 1814 e<strong>in</strong>setzte.<br />
Nun wird Dresden <strong>–</strong> und zwar völlig zu Recht <strong>–</strong> ob se<strong>in</strong>er mustergültigen Bauordnung<br />
gerühmt, die beispielsweise jenseits des 26er R<strong>in</strong>ges e<strong>in</strong>e landschaftsbezogene,<br />
offene Bebauung vorschrieb. Doch haben die Bauvorschriften nicht verh<strong>in</strong>dern<br />
können, dass auch <strong>in</strong> dieser, Flusslandschaft geprägten Stadt ohne Respekt vor den<br />
gegebenen landschaftlich-topographischen Verhältnissen gebaut wurde. Das<br />
<strong>Waldschlößchen</strong>-Areal ist dafür e<strong>in</strong> besonders krasses Beispiel. Ausgerechnet e<strong>in</strong><br />
Raum, der den Entdeckern der Landschaft um 1800 so wertvoll war, ist rigoros<br />
überformt worden.<br />
Dabei waren es durchaus honorige Herren <strong>–</strong> unter ihnen der angesehene Stadtkämmerer<br />
He<strong>in</strong>rich Wilhelm Rachel <strong>–</strong>, die den Anfang machten, die sich 1836 zu<br />
e<strong>in</strong>er „Sozietät“ vere<strong>in</strong>igten und als Kampagne gegen den Branntwe<strong>in</strong>genuss am<br />
14. Juli d. J. den Beschluss fassten, unterhalb des Meisenberges <strong>–</strong> an der Straße<br />
nach Bautzen <strong>–</strong> e<strong>in</strong>e Brauerei zu errichten. 8 Für die unmittelbaren Belange schien das<br />
Gelände bestens geeignet zu se<strong>in</strong>: Die Nähe des Stroms erleichterte den Vertrieb,<br />
5 Am 21. Juli 1804 wird die Hofewiese Eigentum <strong>Marcol<strong>in</strong>is</strong>. Der Kurfürst überlässt ihm die Wiese,<br />
die 1547 erstmals als „Langebrucker Wiese“ urkundlich erwähnt wird, zur ewigen Erbpacht. Bis zu<br />
diesem Zeitpunkt wurde sie vom Langerbrücker Förster genutzt. Ganz sicher lag es <strong>in</strong> der Absicht<br />
<strong>Marcol<strong>in</strong>is</strong>, all’ die erworbenen Areale auch gestalterisch mite<strong>in</strong>ander zu verb<strong>in</strong>den.<br />
6<br />
So schreibt August Schumann <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em 1815 <strong>in</strong> Zwickau erschienenen Staats-, Post- und<br />
Zeitungslexikon: Es seien „im Laufe von drei Jahren aus e<strong>in</strong>er grossen Sandsteppe herrliche Felder,<br />
Obst-, Holz- und Hopfenpflanzungen entstanden“.<br />
7<br />
Carl Wilhelm Ferd<strong>in</strong>and von Funck, Im Banne Napoleons: aus den Er<strong>in</strong>nerungen des Sächsischen<br />
Generalleutnants und Generaladjutanten des Königs Ferd<strong>in</strong>and von Funck; nach der im<br />
Sächsischen Hauptstaatsarchive verwahrten Urschrift, hg. von Artur Brabant. Dresden 1928, S. 98.<br />
8<br />
Vgl. Dresden, Stadtarchiv, Ratsarchiv H XXIII, Nr. 121: Acta, die von der Brau-Actien-Societät<br />
beabsichtigte Erbauung e<strong>in</strong>es neuen Brauhauses betr.
<strong>–</strong> 6 <strong>–</strong><br />
d. h. den Abtransport der Fässer, die man e<strong>in</strong>fach schräg den Hang h<strong>in</strong>ab rollen<br />
konnte. Vor allem aber war den Gästen e<strong>in</strong>e phantastische Aussicht zu bieten. Überdies<br />
eignete sich die idyllisch <strong>in</strong> die Natur e<strong>in</strong>gebettete e<strong>in</strong>stige Absteige <strong>Marcol<strong>in</strong>is</strong><br />
bestens als Firmenzeichen. Ob es die Aktionäre der Brauerei waren, die den Namen<br />
„<strong>Waldschlößchen</strong>“ kreierten, oder ob der Begriff schon zuvor h<strong>in</strong> und wieder<br />
verwendet wurde, war den Quellen bislang nicht zu entnehmen. Nur das ist sicher:<br />
Von nun begann sich „<strong>Waldschlößchen</strong>“ gegenüber den bisher verwendeten<br />
Bezeichnungen „Jagdschlößchen“ oder „Gotisches Haus“ durchzusetzen.<br />
Wie e<strong>in</strong> Gemälde der Therese Judeich aus dem Jahre 1854 zeigt, 9 wurde schon mit<br />
dem Erstl<strong>in</strong>gsbau e<strong>in</strong>e Baumasse platziert, die den landschaftlichen Verhältnissen<br />
nicht angemessen war. In der weiteren Entwicklung, die sicher von den Männern der<br />
ersten Stunde so nicht abzusehen war, hatte das Gelände e<strong>in</strong>fach den<br />
Anforderungen e<strong>in</strong>es gewöhnlichen Fabrik-Areals zu dienen. E<strong>in</strong> Ortsstatut, das<br />
Fabrikdistrikte <strong>in</strong> weniger attraktive Gebiete (<strong>in</strong>sbesondere entlang der Eisenbahn)<br />
verwies, wurde erst 1878 verabschiedet. (Der Gerechtigkeit zuliebe ist anzumerken,<br />
dass Dresden mit e<strong>in</strong>er solchen gesetzlichen Regelung unter den europäischen<br />
Städten auch dann noch Vorreiter war.)<br />
So ersche<strong>in</strong>t der Bau der <strong>Waldschlößchen</strong>brauerei gleichsam als Sündenfall, der e<strong>in</strong>e<br />
Kettenreaktion auslöste, die nicht zu bremsen war. Freilich, nach E<strong>in</strong>stellung des<br />
Brauereibetriebs hätte e<strong>in</strong>e Denkpause e<strong>in</strong>gelegt werden können. Doch dachte <strong>in</strong><br />
Zeiten, da Hoffnungen auf „blühende Landschaften“ ganz anderer Art aufkeimten,<br />
ke<strong>in</strong>er daran, an das e<strong>in</strong>st so groß angelegte Projekt, Wirtschafts-, Park- und Naturraum<br />
mite<strong>in</strong>ander zu vere<strong>in</strong>igen, anzuknüpfen, zumal die Ansätze längst verschüttet<br />
waren.<br />
Erst die Rettungsaktionen für die stattliche Buche an der Angelikastraße, haben uns<br />
plötzlich mit der Nase drauf gestoßen, dass es ja noch Reste der <strong>Marcol<strong>in</strong>is</strong>chen<br />
Parkraumes gab, dass das dortige Villengebiet zu Beg<strong>in</strong>n des 20. Jahrhunderts <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e vorhandene Anlage mit kurvig geführten Wegen e<strong>in</strong>gefügt worden ist. Als der<br />
Baum gefällt war und Dendro-Bestimmung vorlag, hatten wir Gewissheit, wenn es<br />
auch e<strong>in</strong>e traurige war. Mit 1805 wurde genau jenes Jahr als Pflanzzeit ermittelt, <strong>in</strong><br />
dem der <strong>in</strong>zwischen zum Kab<strong>in</strong>ettm<strong>in</strong>ister ernannte Marcol<strong>in</strong>i se<strong>in</strong>e Ländereien um<br />
die Loschwitzer Fluren bis zur Fischhausstraße ausdehnte. 10 Bislang galt diese<br />
Erweiterung als weiteres Zeugnis der Geschäftstüchtigkeit <strong>Marcol<strong>in</strong>is</strong>, der hierh<strong>in</strong> das<br />
Chausseehaus verlegen ließ, um die E<strong>in</strong>reisenden von Radeberg auf die Bautzner<br />
Chaussee zu lenken und abzukassieren. Jetzt wissen wir, dass er sofort begann, das<br />
erworbene Land <strong>in</strong> englische Anlagen zu verwandeln, wie sie e<strong>in</strong>e Karte aus dem<br />
Jahre 1868 ausweist.<br />
Doch nach wie vor ist es der Ursprungsbau, der sich <strong>–</strong> trotz allem <strong>–</strong> noch thronend<br />
über dem Gelände erhebt und die Er<strong>in</strong>nerung an Zeiten e<strong>in</strong>es sensiblen Umganges<br />
mit Naturräumen wach hält. Auch weil e<strong>in</strong> solcher Umgang heute zur Überlebensfrage<br />
geworden ist, ist es gut, dass es e<strong>in</strong>e Zukunft für das „<strong>Waldschlößchen</strong>“ gibt.<br />
9<br />
Verwalter: Stadtmuseum Dresden.<br />
10<br />
Am 15. Juni 1805 erteilte der Kurfürst Friedrich August dem Geheimen F<strong>in</strong>anzkollegium die Order,<br />
dass Marcol<strong>in</strong>i das östlich an se<strong>in</strong>en bisherigen Besitz angrenzende Areal bis zur Fischhausstraße<br />
unter e<strong>in</strong>em Erbz<strong>in</strong>s von 1 Taler zu überlassen sei. Vgl. Sächs. HStA Dresden, Loc. 2481: Acta, den<br />
neuen Anbau auf dem Sande ..., Vol. III. 1804, S. 68.