splash 21/2004 - DLRG-Jugend
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Florian Dallmann, 34 Jahre,<br />
Dipl. Sozialarbeiter, stellvertretender<br />
Vorsitzender des<br />
Deutschen Bundesjugendringes<br />
und Referent für Kinder- und<br />
<strong>Jugend</strong>politik bei der<br />
Arbeitsgemeinschaft der<br />
Evangelischen <strong>Jugend</strong> in der<br />
Bundsrepublik Deutschland e.V.<br />
(aej)<br />
KJHG muss<br />
Bundesgesetz bleiben<br />
Engagement der <strong>Jugend</strong>verbände für den Erhalt<br />
der Bundeszuständigkeit für die Kinder- und <strong>Jugend</strong>hilfe<br />
Im Rahmen des 12. Deutschen <strong>Jugend</strong>hilfetages vom 02. —04. Juni<br />
<strong>2004</strong> in Osnabrück brachte der Deutsche Bundesjugendring durch<br />
seine „Stopp-Schild“-Aktion einen der brisantesten jugendpolitischen<br />
Vorgänge der letzen Jahre ins Bewusstsein der Kinder- und <strong>Jugend</strong>hilfe:<br />
Die Ministerpräsidenten der Länder hatten sich darauf geeinigt, im<br />
Rahmen der Arbeit der „Kombo“ (gemeinsame Kommission von<br />
Bundestag und Bundesrat zur Erneuerung der Bundesstaatlichen<br />
Ordnung) gemeinsam die Übertragung der Zuständigkeit für die<br />
Kinder- und <strong>Jugend</strong>hilfe anzustreben.<br />
Protest aus dem Deutschen Bundesjugendring<br />
Bereits im Vorfeld, seit Mai des Jahres waren durch die Geschäftsstelle<br />
des Deutschen Bundesjugendringes erste Informationen über<br />
mögliche Auswirkungen eines solchen Schrittes weiter gegeben<br />
worden. Im Juni wurde dann deutlich, dass hinter diesem Vorgang<br />
ernsthafte Bestrebungen standen und auch innerhalb der Bundesebene<br />
der Parteien derartige Neuregelungen durchaus nicht<br />
generell abgelehnt wurden. Somit war dringender Handlungsbedarf<br />
für den Erhalt des KJHG als Bundesgesetz gegeben. Der Deutsche<br />
Bundesjugendring initiierte die „Stopp-Protestaktion“ und forderte<br />
alle Mitglieder auf, sich an Maßnahmen zum Erhalt der Bundeszuständigkeit<br />
zu beteiligen. Zahlreiche Verbände folgten z.B. dem<br />
Aufruf des DBJR-Vorsitzenden Detlef Raabe, sich mit Briefen und<br />
durch Gespräche mit Bundes- und Landtagsabgeordneten für das<br />
KJHG einzusetzen.<br />
Neben zahlreichen Gesprächen mit Politiker(inne)n auf der Bundesebene<br />
wurden auch in fast allen Bundesländern Briefe geschrieben,<br />
Gespräche geführt, Stellungnahmen, Argumentationspapiere und<br />
Stoppschilder verschickt. Wichtig war die Abstimmung mit anderen<br />
Trägern der Kinder- und <strong>Jugend</strong>hilfe und insbesondere mit den<br />
anderen <strong>Jugend</strong>verbänden in den Landesjugendringen.<br />
Das konzertierte und breite Vorgehen der Kinder- und <strong>Jugend</strong>hilfe,<br />
vor allem der <strong>Jugend</strong>verbände wurde in der Politik wahrgenommen.<br />
Ein erster Teilerfolg wurde im August erzielt, als die<br />
zuständige Projektgruppe V der gemeinsamen Kommission von<br />
Bundestag und Bundesrat zur Erneuerung der bundessstaatlichen<br />
Ordnung (kurz „Kombo“) feststellte, dass hinsichtlich der Zuständigkeitsregelung<br />
für die Kinder- und <strong>Jugend</strong>hilfe keine Einigkeit zu<br />
erzielen war und daher beschloss, dieses Thema in der Arbeitsgruppe<br />
nicht weiter zu verfolgen. Auch zahlreiche Fachpolitiker-<br />
(innen) von Landes- und Bundesebene hatten sich zu diesem<br />
Zeitpunkt bereits für einen Erhalt der Bundeszuständigkeit stark<br />
gemacht.<br />
Die im September von Ministerpräsident Christan Wulff vorgebrachte<br />
Absicht Niedersachsens, aus der Kulturministerkonferenz<br />
auszusteigen, machte noch einmal eindrücklich deutlich, wie<br />
schnell freiwillige Kooperationen an Stelle bundeseinheitlicher<br />
Regelungen an ihre Grenzen kommen können. Grade der sonst —<br />
in gerade zu anachronistischer Weise — als „positives Modell“<br />
vorgezeigte Bildungsbereich widerlegte die These, dass die Länder<br />
bestimmte Bereiche viel besser regeln könnten.<br />
Wie geht es mit dem KJHG weiter?<br />
Am 17.12.<strong>2004</strong> wird die „Kombo“ ihre Arbeit beenden, und es<br />
bleibt aktuell unklar, ob sie relevante Ergebnisse erzielen konnte.<br />
Trotz positiver Signale für einen Erhalt der Bundeszuständigkeit,<br />
sind die Forderungen der Ministerpräsidenten zum jetzigen Zeitpunkt<br />
noch nicht entgültig vom Tisch.<br />
Daher gilt es, weiter durch Gespräche und Äußerungen klar zu<br />
machen, dass die Kinder- und <strong>Jugend</strong>hilfe nicht in die Verhandlungsmasse<br />
gehört, sondern wesentlich für die Schaffung positiver<br />
Lebensbedingungen junger Menschen ist, und zur Erreichung gleichwertiger<br />
Lebensverhältnisse in ganz Deutschland nicht auf die<br />
Bundeszuständigkeit verzichtet werden kann. Unabhängig vom<br />
Ausgang der Förderalismusdebatte hat die Auseinandersetzung um<br />
die Bundeszuständigkeit für die Kinder- und <strong>Jugend</strong>hilfe deutlich<br />
gemacht, dass in breiten politischen Lagern das gesamte Gesetz<br />
oder einzelne seiner Regelungen nach guten zehn Jahren nicht<br />
mehr akzeptiert werden. Kinder- und <strong>Jugend</strong>hilfe belastet die<br />
öffentlichen Haushalte. Viele der durch das KJHG gesetzten Standards<br />
— etwa der individuelle Leistungsanspruch, Subsidiarität,<br />
Partizipation, der Anspruch freier Träger auf Förderung, das zweigliederige<br />
<strong>Jugend</strong>amt (der <strong>Jugend</strong>hilfeausschuss) — stehen Prinzipien<br />
wie EU-weitem Wettbewerb im Dienstleistungssektor, neuer<br />
Steuerung und nicht zuletzt einer Entlastung öffentlicher Haushalte<br />
durch Wegfall oder Absenkung sozialer Leistungen entgegen. Die<br />
immer wiederkehrenden Vorstöße einzelner Bundesländern im<br />
Bundesrat — aktuell etwa das sogenannte „kommunale Entlastungsgesetz“<br />
— machen deutlich, dass sich die Kinder- und <strong>Jugend</strong>hilfe<br />
nicht in Sicherheit wiegen darf, mit der (vorläufigen) Beruhigung<br />
der Föderalismusdebatte sei dauerhaft eine gesetzlich gesicherte,<br />
sinnvolle Gestalt der Kinder- und <strong>Jugend</strong>hilfe gesichert.<br />
Die Fragen gehen tief, und vieles, was 1990 nicht selbstverständlich<br />
war, wird heute in Frage gestellt. <strong>Jugend</strong>verbände und die Kinderund<br />
<strong>Jugend</strong>hilfe insgesamt müssen bestimmte, unaufgebbare<br />
Prinzipien wie Subsidiarität, Partizipation und bedarfsgerechte<br />
Ergänzungsförderung neu erklären und werden sie wahrscheinlich<br />
auch politisch verteidigen müssen. Sie werden sich mit drohenden<br />
Einschnitten in die Leistungen für junge Menschen auseinander<br />
setzen müssen.<br />
Und weil sich die Zeiten — und mit ihnen auch das deutsche<br />
Sozialsystem — ändern, werden auch die Fragen, was verzichtbar<br />
ist und wo sinnvollere Regelungen möglich sind, unausweichlich<br />
sein. Die <strong>Jugend</strong>verbände müssen sich auf diese Herausforderung<br />
vorbereiten.<br />
Bundeszuständigkeit –<br />
pro und contra<br />
Die Forderung nach einer Übertragung der Zuständigkeit auf die Länder wird<br />
nahezu durchgehend von allen Verbänden und Fachorganisationen,<br />
Fachpolitiker(inne)n und namhaften Fachjurist(inn)en abgelehnt.<br />
Unter www.dbjr.de können die wichtigsten Stellungnahmen eingesehen werden.<br />
Die wichtigsten Argumente für und gegen eine Neuregelung:<br />
u Wer bestellt, zahlt?<br />
Die Länder fordern, dass die Entscheidungskompetenz über Art und Umfang<br />
von Leistungen der Kinder- und <strong>Jugend</strong>hilfe dort liegen soll, wo die Kosten<br />
entstehen. So verhindere man den Konflikt, dass der Bund immer weitere Aufgaben<br />
den Ländern und Kommunen aufzwinge, die diese nicht mehr finanzieren<br />
könnten. Die Gegner einer Neuregelung führen an, dass die Qualität der Kinderund<br />
<strong>Jugend</strong>hilfe wesentlich durch die bestehende Entkoppelung von Gesetzgebung<br />
und Umsetzungsverantwortung gesichert werden kann. Ziel muss es<br />
vielmehr sein, die Kommunen und Kreise mit einer Reform des Steuerrechts<br />
und des Finanzausgleichs wieder in die Lage zu versetzen, ihren Aufgaben<br />
nachkommen zu können.<br />
JUGENDPOLITIK JUGENDPOLITIK<br />
u<br />
Regionalisierung oder Gleichwertigkeit der<br />
Lebensverhältnisse<br />
Die Lebensbedingungen in Ländern und Regionen in Deutschland unterscheiden<br />
sich voneinander. Kann ein bundeseinheitlicher Gesetzesrahmen Kinderund<br />
<strong>Jugend</strong>hilfe in bevölkerungs- oder strukturschwachen Gebieten ebenso regeln<br />
wie in wirtschaftsstarken Ballungsgebieten? Befürworter einer Landeszuständigkeit<br />
erhoffen sich flexiblere Regelungen für die je unterschiedlichen Verhältnisse.<br />
Einheitliche Lebensverhältnisse würden ohnehin durch das KJHG/SGB VIII nicht<br />
erreicht. Dem ist entgegenzuhalten, dass das KJHG/SGB VIII über zahlreiche<br />
Öffnungsklauseln für die Länder verfügt, die bisher nur wenig genutzt wurden.<br />
Durch das Rahmengesetz des Bundes werden jedoch unverzichtbare Mindeststandards<br />
festlegt, die in die unterschiedlichen regionalen Bedingungen mit spezifischen<br />
Konzepten umgesetzt werden können. Sie garantieren bundesweit ein<br />
vergleichbares und verlässliches Angebot an Leistungen.<br />
u<br />
Geld spielt keine Rolle?<br />
Natürlich bestreiten die Akteure der Länder energisch, dass finanzielle<br />
Motive für ihre Forderungen eine Rolle spielen. Die Gesetzesinitiativen aus<br />
verschiedenen Ländern in den letzten Monaten und Jahren sprechen eine andere<br />
Sprache. Finanzielle Motive wurden immer wieder ins Feld geführt — bei der<br />
Einschränkung der Leistungen der Eingliederungshilfe (§ 35a KJHG), bei der<br />
Abschaffung der Hilfe für junge Volljährige (§ 41 KJHG) oder bei der Ablehnung<br />
des Ausbaus von Angeboten für Unterdreijährige. In immer mehr Ländern wird<br />
auch der Rechtsanspruch der Kinder- und <strong>Jugend</strong>arbeit sowie der <strong>Jugend</strong>verbände<br />
auf Förderung in Frage gestellt; Landesjugendpläne werden massiv gekürzt und<br />
umgebaut. Die Regelungen des KJHG/SGB VIII verhindern bisher weitgehend,<br />
dass die Förderung und Unterstützung junger Menschen den knappen Kassen<br />
zum Opfer fällt.<br />
u<br />
Das Bildungssystem – kein Vorbild!<br />
In ihren Forderungen argumentieren die Ministerpräsident(inn)en, Teile der<br />
<strong>Jugend</strong>hilfe seien als „Bildung“ zu verstehen und daher — wie das Schulwesen —<br />
Ländersache. Spätestens mit PISA ist deutlich geworden, dass die Kultushoheit<br />
der Länder und ihre Folgen für das deutsche Bildungssystem kaum eine „Erfolgsgeschichte“<br />
darstellen und fachlich vermehrt nach Stärkung der Verantwortung<br />
auf Bundesebene für diesen Bereich gefragt wird. Unter diesen Vorzeichen wäre<br />
es geradezu widersinnig, die Rahmenkompetenz des Bundes in 16 autonome<br />
Einzelteile zu zerlegen.<br />
Im Übrigen greift die Gleichsetzung von „Bildung“ mit Schule zu kurz, denn das<br />
Bildungsverständnis der Kinder- und <strong>Jugend</strong>hilfe ist nicht an der Schule orientiert.<br />
Sie versteht ihr Bildungshandeln als Förderung und Ergänzung des elterlichen<br />
Erziehungsauftrags.<br />
u<br />
Anregungsfunktion der Bundesebene<br />
Der durch das KJHG/SGB VIII geschaffene bundesweite fachliche Zusammenhang<br />
ermöglicht die notwendige Auseinandersetzung auf Bundesebene über<br />
(neue) Anforderungen, Konzepte und Wirkungen. Im Zusammenführen von<br />
wissenschaftlichen Erkenntnissen und den unterschiedlichen Praxiserfahrungen<br />
kann die Kinder- und <strong>Jugend</strong>hilfe konzeptionell und rechtlich angemessen weiterentwickelt<br />
werden.<br />
Die Kinder- und <strong>Jugend</strong>hilfe ist ein lernendes Netzwerk, das seine Potentiale in<br />
einem bundesweiten rechtlichen, organisatorischen und fachlichen Zusammenhang<br />
maximal entfalten kann. Eine Zersplitterung in 16 getrennte und konkurrierende<br />
Horizonte würde die Bereitschaft und damit auch die Fähigkeit zur fachlichen<br />
Weiterentwicklung einschränken. Ebenso ginge die impulsgebende und anregende<br />
Funktion des Bundes verloren, die in der Vergangenheit zur Information über<br />
gelingende Konzepte und zur fachlichen Weiterentwicklung beigetragen hat.<br />
u<br />
Einmischen und mitgestalten – Kinder- und <strong>Jugend</strong>politik<br />
ist eine Querschnittsaufgabe!<br />
Kinder- und <strong>Jugend</strong>hilfe hat den Auftrag, „dazu beizutragen, positive<br />
Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinderund<br />
familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen“ (§ 1 Abs. 3 Ziff. 4<br />
KJHG/SGB VIII). Diesen Auftrag füllt sie insbesondere dadurch aus, dass sie sich<br />
im Interesse von jungen Menschen und Eltern in die Gestaltung von Lebensbedingungen,<br />
also in unterschiedliche Politikfelder, einmischt. Die oberste Bundesbehörde<br />
und der/die Fachminister(in) haben die Aufgabe, Gesetzesverfahren des<br />
Bundes und das Handeln von Bundesbehörden in diesem Sinne zu begleiten und<br />
zu qualifizieren. Freie Träger der <strong>Jugend</strong>hilfe sind ein weiterer wichtiger Bestandteil<br />
für die angemessene Berücksichtigung von Lebenslagen und Interessen junger<br />
Menschen in den Politikfeldern des Bundes. Von Seiten der Länder wird<br />
behauptet, dass eine Verlagerung der Regelungskompetenz auf die Landesebene<br />
die Möglichkeiten der zivilgesellschaftlichen Mitgestaltung erhöhen würde, da eine<br />
direktere Einflussnahme aller Bürger(innen) in regionalen Bezügen erleichtert<br />
würde. Dies ist jedoch zu bezweifeln: Vor allem würde die Kinder- und<br />
<strong>Jugend</strong>hilfe sich kaum mehr auf Bundesebene effektiv organisieren können. Damit<br />
verlöre der Bund aber eine notwendige Instanz für eine qualifizierte Vertretung<br />
der Sichtweisen, Interessen und Anforderungen von Kindern, <strong>Jugend</strong>lichen und<br />
ihren Eltern im politischen Geschehen.<br />
Beteiligung steht insgesamt nicht auf der politischen Agenda der Länder, denn seit<br />
Jahren fordern sie schon die Abschaffung der kommunalen und Landesjugendhilfeausschüsse<br />
— eines zentralen Instruments der partizipativen Mitgestaltung der<br />
Kinder- und <strong>Jugend</strong>hilfe. Würden die Länder sich mit ihren Interessen durchsetzen,<br />
ist flächendeckend mit der Abschaffung dieses Instruments zu rechnen.