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Sprachförderung als grundsätzliches ... - Julia Siegmüller

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Sprachförderung<strong>als</strong> grundsätzlichesBegleitelementJULIA SIEGMÜLLERASTRID FRÖHLINGJEANNINE GIESHEIKE HERRMANNSASKIA KONOPATSCHGITTA PÖTTERim KindergartenalltagDas Modellprojekt PräSES <strong>als</strong> BeispielSchlüsselwörter:PräSESSprachförderung in der KitaSprachmodellInputspezifizierungErzieherInnenweiterbildungZ u s a m m e n f a s s u n gIn diesem Beitrag wird ein Modellprojekt zur Sprachförderung in Kindergärtenvorgestellt, das zurzeit in Brandenburg durchgeführt wird. DiesesModell (Prävention von Sprachentwicklungsstörungen, PräSES) ist <strong>als</strong> ErzieherInnen-Fortbildungkonzipiert. Es hat das Ziel, ErzieherInnen so weiterzubilden,dass sie sich im täglichen Umgang mit den Kindern sprachförderlicherverhalten können. Die sprachliche Förderung nach PräSES findetsomit für alle Kinder und alltagsintegriert statt. Sie betrifft die gesamte Kindergarten/-tagesstätten-(i. F. kurz Kita) Zeit eines Kindes und fokussiert denAufbau des Sprachverständnisses, vor allem den rezeptiven Wortschatz. Basierendauf psycho- und patholinguistischen Herangehensweisen an denkindlichen Spracherwerb wird, über die Umsetzung verschiedener abgewandeltertherapeutischer Methoden, das Sprachmodell von ErzieherInnen soweitverbessert, dass auch schwächere Kinder hieraus Nutzen ziehen können.Einleitend werden in diesem Artikel Prinzipien für das Konzipieren vonSprachförderkonzepten in Kitas vorgestellt und mit einer Auswahl bestehenderKonzepte verglichen. Im Anschluss daran wird auf die Konzeption,die Umsetzung von therapeutischer Methodik in den Kita-Alltag und auf dielaufende Evaluation von PräSES eingegangen.EinleitungDie sprachliche Förderung von Kindernsowie die Behandlung undPrävention von kindlichen Sprachentwicklungsstörungenist seit einiger Zeitein viel beachtetes Thema in ganzDeutschland. Aufgerüttelt durch Schulvergleicheauf europäischer Ebene(vgl. PISA-Studien) entwickelte sich inunserer Gesellschaft eine heftige Debatteüber das Wie, Wo und Wann dersprachlichen Förderung sowie der therapeutischenIntervention bei Sprachentwicklungsstörungen.Sprachentwicklungsstörungen (SES)zeichnen sich generell durch hohe Persistenzaus, wobei sich die Störung inverschiedenen Altersphasen durch un-84 INTERDISZIPLINÄR Jg. 15, Ausg. 2, 2007, 84 - 96


K U R Z B I O G R A F I E<strong>Julia</strong> Siegmüllerist Psycho- undPatholinguistin.Sie arbeitet seit1996 am Institutfür Linguistik/AllgemeineSprachwissenschaft am LehrstuhlPsycholinguistik/Spracherwerb. IhreAufgaben umfassen die theoretischeund praktische Ausbildung derStudierenden zu Sprachtherapeutenim Bereich der kindlichen Sprachentwicklungsstörungen.Gemeinsammit Astrid Fröhlingentwickeltesie das Konzeptfür PräSES.terschiedliche Symptome zeigt. Diefrühste Form der SES ist <strong>als</strong> Risikophasefür die voll manifestierte Störungab dem Alter von zwei Jahren zubeobachten. Kinder, die in diesemAlter einen produktiven Wortschatzvon weniger <strong>als</strong> 50 Wörtern habenoder noch keine Wortkombinationenäußern, werden <strong>als</strong> Late Talker bezeichnet(vgl. Kauschke, 2006). EinTeil dieser Kinder holt den Entwicklungsrückstandzwischen dem zweitenund dritten Geburtstag selbstständigauf (Late Bloomer). Es ist jedoch bisherunklar, ob es sich dabei um einwirkliches Aufholen handelt oder umeine illusionary recovery (scheinbareErholung), die dann kurz vor demSchulalter zusammenbricht und wiederzu sprachlichen Symptomen im Bereichder Phonologischen Bewusstheitführt (vgl. von Suchodoletz, 2004;Penner et al., 2005). Im vierten Lebensjahrwandelt sich das Leitsymptomder typischen SES hin zu Auffälligkeitender Grammatik und der Aussprache,die wahrscheinlich mit derWortschatzarmut zusammenhängen(vgl. Bates & Goodman, 1997). Diesbedeutet nicht, dass sich das Wortschatzproblemselbstständig verbesserthat. Vielmehr rücken die alten, bestehendenDefizite im Lexikon und häufigauch in der semantischen Organisationin den Hintergrund. Vor allem wennAussprachestörungen im Vordergrundstehen, sind diese ausgesprochen prominentund verschleiern das darunterliegende, alte Profil. Im weiteren Verlaufder Entwicklung tritt das frühereWortschatzproblem häufig <strong>als</strong> Wortfindungsstörung,parallel zu Defiziten inder Entwicklung der metasprachlichenPhonologischen Bewusstheit (vgl.Conti-Ramsden, 2003), wieder in Erscheinung.Hieraus resultiert dann derÜbergang von der SES zu Störungenim Schriftsprachbereich.Je älter ein Kind mit Sprachentwicklungsstörungwird, desto hartnäckigerund mehrschichtiger zeigt sich dieSymptomatik. Sowohl auf das einzelneKind abgestimmte Therapien <strong>als</strong> auchdie allgemeinen Fördermaßnahmen füralle Kinder im Kindergarten solltendeshalb so früh wie möglich ansetzen,das heißt ab dem ersten Kita-Tag. Esgeht nicht nur darum, bei Kindern mitvorhandenen Defiziten Rückständeaufzuholen, sondern allen Kindern eineoptimale Sprachentwicklung zu ermöglichen.Prinzipien und Konzepte fürdie Förderung von Sprache imKindergartenSprachförderung in Kitas liegt inDeutschland in der Zuständigkeit dereinzelnen Bundesländer, sodass sichinzwischen eine Vielfalt verschiedenerProgramme und Ansätze entwickelthat, die stark voneinander abweichen.Ein Überblick findet sich auf dem Bildungsserver(www.bildungsserver.de)unter Sprachstandserhebungen undSprachförderkonzepte der Bundesländer.Die Maßnahmen, die in den verschiedenenBundesländern durchgeführtoder vorbereitet werden, basierenauf stark variablen Grundlagen, dieeinen mehr oder weniger theoretischenRahmen besitzen. Es werden sowohlSprachstandserhebungen <strong>als</strong> auch Förderprogrammedurchgeführt.Als Sprachstandserhebungen werdenteilweise Diagnostikverfahren aus demklinischen Bereich verwendet, die –entgegen der ursprünglichen Bestimmung– von ErzieherInnen, SozialarbeiterInnenoder AmtsärztInnen durchgeführtwerden. Anstelle von fachlichenDiagnosen, die zu therapeutischerUmsetzung führen, werden mit denTests Reihenuntersuchungen durchgeführt.Auffällige Kinder werden zuärztlichen und therapeutischen Fachkräftenweitergeschickt, die nun wiederumeine erneute Diagnostik durchführen.Eventuelle Re-Test-Effektedurch Verwendung desselben Materi<strong>als</strong>oder Fehler bei der Durchführungdurch ungenügende Vorbildung derTestleiterInnen sind nicht kontrollierbar.Alternativ zu den bestehenden Diagnostikverfahrenwurden in einigenBundesländern Screenings entwickelt,die in kürzerer Zeit Kinder erfassensollen. Diese Screenings sind nur teilweisenormiert und werden nicht imklinischen Alltag verwendet.Bundesweit ist ein Vergleich aus denoben beschriebenen Gründen nurschwer möglich. Erst in der letzten Zeitbeginnt man, Rahmenbedingungen fürSprachstandserhebungen festzusetzen,um eine Vergleichbarkeit der Zahlen zugewährleisten (vgl. Ehlich et al.,2005).Ähnliches gilt für die Vielfalt anSprachförderkonzepten. Die derzeit angewandtenFörderprogramme stützensich nur zu einem sehr geringen Teilauf die aktuelle empirische Spracherwerbsforschung.Betrachtet man beste-K U R Z B I O G R A F I EAstrid Fröhlingist Logopädinund leitet seit1997 das Zentrumfür angewandtePsychoundPatholinguistikin Potsdam (ZAPP).Durch ihre Arbeit in interdisziplinärenGremien entstanddie Idee zurEntwicklungvon PräSES.Jg. 15, Ausg. 2, 2007, 84 - 96 INTERDISZIPLINÄR 85


Kriterien für die Sprachförderungim KindergartenBärenstark (Senatsverwaltungfür Bildung,Jugend und Sport Berlin,2002)KonLab (Penner & Schmid, 2005; www.kon-lab.com)Jampert (2002);Jampert et al. (2006)Anbindung an Spracherwerbs-Theorie(SE);Entwicklung von FachkräftenneinEigener theoretischer Ansatz (Heranführen an Regellernen undsomit Erhöhung der Sprachverstehenskapazität),Schulung von LehrpersonenjaSprachstandserhebung?jakeine AngabeneinWenn ja, Diagnostik durch wen?ErzieherInnen, LehrerInnen-> Interview?—-—Wenn ja, normierter Sprachtest?keine Angaben—-—-Sprachförderung?Nein, erst in der Schule -> Anregungenzur Sprachförderung sowieErläuterungen zur Entwicklungund zu Störungen im SESprachförderprogrammJa, allgemeine alltagsorientierte Förderungin den Bildungsbereichen Musik,Naturwissenschaften, Bewegung, MedienWenn ja, Förderung aller Kinder(sprachauffällig und -unauffällig)?Nur Förderungauffälliger KinderDeutschsprachige sprachauffällige Kinder sowie Kinder mitDeutsch <strong>als</strong> ZweitspracheGrundsätzlich jedes KindWenn ja, Förderung in der Gruppeoder einzeln?Keine AngabenKleingruppe von ca. 8 KindernSprachförderung ist in den Alltag integriert,Förderung in der GesamtgruppeHilfestellung bei sprachauffälligenKindern (Weiterleitung anFachpersonal, etc.)?Keine konkrete HilfestellungSich ergänzende Förderung von Kindergarten undsprachtherapeutischer Praxis—-Welche Altersgruppe?Kinder im Jahr vor derEinschulungCa. 1;5-6 JahreFörderung erfolgt über die gesamteKita-Zeit jedes KindesEvaluationneinJa, Effekte nach ca. 20 Wochen Förderzeit bei Kindern imletzten Kindergartenjahr—-Schulung der ErzieherInnenneinjaVeröffentlichungenZeitaufwandRelativ geringTäglich ca. 15 MinutenKein extra Zeitaufwand,da alltagsintegriertPersonalaufwandRelativ geringErhöht durch KleingruppenarbeitneinPraktische Umsetzung/Anwendung im Alltag—-Programm mit 44 cross-medialen Bausteinen (Bild-, Erzähl-,Audio-, DVD- und Lernsoftware-Materialien), detailliertesProgrammhandbuchAnleitung zur Umsetzung von Sprachförderungin verschiedenenpädagogischen BereichenEinbezug der Eltern—-Keine Angaben—-Förderung welcher sprachlichenFähigkeiten—-Sprachrhythmische Regeln, sprachspezifische Wortbildungsmechanismen,Prinzipien des Bedeutungserwerbs, Grammatikdes Artikelerwerbs, Grundregeln des SatzbausOrientiert an den sprachlichen Ebenen:Wortschatz, Grammatik, AusspracheTabelle 1:Unterscheidung Programm zurSprachförderung und Sprachstandserhebung.Kriterien für dieGestaltung eines sprachförderndenProgramms; sind sie berücksichtigtoder nicht?hende Konzepte (s. z. B. Auswahl inTab. 1, S. 86 u. 87) unter verschiedenenQualitätskriterien, werden diegroßen Unterschiede deutlich.Im Auftrag der Berliner Senatsverwaltungfür Bildung, Jugend und Sportwurde in den Jahren 1999 bis 2000 dasProjekt Bärenstark entwickelt (Se-86 INTERDISZIPLINÄR Jg. 15, Ausg. 2, 2007, 84 - 96


Didaktisch-methodische Empfehlungen für die Sprachförderungvor der Einschulung(www.bildungsserver.de/db/mlesen.html?Id=23096 bzw.http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C2824599_L20.pdf)(Niedersächsisches Kultusministerium, 2004)Sprachlerntagebuch(Senatsverwaltung fürBildung, Jugend undSport Berlin, 2006)Sprachverhalten undSprachförderung in der Kita(Häuser & Jülisch, 2002, 2003)Würzburger TrainingsprogrammHören-Lauschen-Lernen(Küspert & Schneider, 2003)Aus wissenschaftlich begleitetem Pilotprojekt abgeleitete„Didaktisch-methodische Empfehlungen für die Sprachförderungvor der Einschulung“ für die LehrkräfteneinTheoretischer Hintergrund bezieht sichauf Literatur aus den 80er Jahren, keineAnbindung an linguistische ForschungEinfluss von Erkenntnissen aus SE-Forschung,keine explizite Schulung von FachkräftenJa, 10 Monate vor Einschulung durch die GrundschuleNein, stattdessen Dokumentationund BeobachtungJa, zu Beginn der TrainingsphaseBei auffälligen KindernGrundschuleErzieherInnenErzieherInnenExtern in Frühförder- oder ErziehungsberatungsstellenScreening, das in verschiedenen Sprachen vorliegt, bei Verdacht aufSprachstörung zusätzliche ärztliche/logopädische UntersuchungneinJa, Sprachentwicklungstest KISTEEmpfohlen wird BISC (1998)Bei Auffälligkeiten letztes Halbjahr vor Einschulung, in enger Kooperationvon Kita und Schule, keine verbindlichen Vorgaben, Vorrang sei Kitazu geben, aufgrund vertrauter Umgebung, Bezirksregierung stellt für jedesgeförderte Kind 1,5 zusätzliche Lehrerwochenstunden zur VerfügungNein, stattdessen fortlaufendeDokumentationJa, produktionsorientiertes Trainingfür die Grammatik, vieleNachsprechübungenTrainingsprogrammNur auffällige—Auffällige KinderVorrangig Kinder, die „mit dem genauen Hinhörenauf Sprache und beim kreativen Umgangdamit Probleme haben“ (S. 17) und beidenen starke Defizite in PhonologischerBewusstheit extern diagnostiziert wurden,aber auch möglich für alle KinderAbwechselnde Phasen von individuellem und gemeinsamem Lernen undSpielen—Tägliches Training in KleingruppenKleingruppen von 4-8 KindernWeiterleitung an Ärzte/LogopädenKeine konkreteHilfestellungSprachförderung in der KitaEmpfehlung der Kontaktaufnahme mit Frühförderstellenoder ErziehungsberatungsstellenVorschulkinder 10 Monate vor Einschulung--—-Ab ca. 3 Jahren (Bildungsinterview,einzeln mit demKind) UND 1 Jahr vor derEinschulung Lerndokumentationnein—-Ja, Mitte der 90er Jahre landesweit inBrandenburg; gute TrainingseffekteFünf- bis sechsjährige Vorschulkinder imletzten KindergartenhalbjahrjaneinneinWochenendschulungnein—-Relativ hochTäglich ca. 15-20 MinutenTäglich 10 Minuten, 20 WochenerhöhtRelativ hochErhöht durch KleingruppenarbeitErhöht durch KleingruppenarbeitSprachanregung im Situationsansatz, Orientierung an bayrischemLehrplan Deutsch <strong>als</strong> Fremdsprache (Grundschule)—-Übungseinheiten in Kleingruppen,TrainingseinheitenÜbungseinheiten, die spielerisch umgesetztwerden sollenIn Bezug auf gegenseitigen Austausch, Aufklärung—-Elternberatung durch die ErzieherinVordergründig Kommunikative Entwicklung, Wortschatz und Grammatik—-GrammatikPhonologische Bewusstheitnatsverwaltung für Bildung, 2002). DieSprachstandserhebung richtet sich anKinder deutscher und nicht-deutscherHerkunft, die im Jahr vor der Einschulungstehen. Untersuchungsgrundlageist ein aus vier Bereichen bestehendessprachliches Verfahren (keine Angabenüber Normierungen), das im Sinn einesganzheitlichen Lernansatzes die BereicheWahrnehmung, Sprechen und Handelnvereinigt. In einer maximal 30-minütigen Dialogsituation mit demJg. 15, Ausg. 2, 2007, 84 - 96 INTERDISZIPLINÄR 87


Kind werden bestimmte sprachlicheAspekte abgefragt und den Kindernanschließend Punktwerte zugeteilt.Ziel ist es, die Deutschkenntnisse derKinder in einem relativ kurzen Zeitraumvon ErzieherInnen und PädagogInnenermitteln zu lassen und eventuellenFörderbedarf feststellen zu können.Mithilfe von Bärenstark wurde imJahr 2003 die Sprachdebatte neu angeregt,da vor allem nachgewiesenwurde, dass noch kurz vor der Einschulungbei vielen Kindern gravierendeDeutschmängel bestehen. Knappdie Hälfte der untersuchten Kinder(45,5 %) zeigten sprachliche Leistungen,die einer normalen bis intensivenFörderung bedurften.Der zweite Teil des Projekts („Bärenstarkhören und sprechen“) konzentriertsich auf die anschließende Förderungder schwächeren Kinder in derSchule. Das Material mit methodischdidaktischenHinweisen zur Sprachförderungund einem beigefügten Exkursüber die Entwicklung im Spracherwerbwurde für die anschließend stattfindendeFörderung <strong>als</strong> Hilfestellung zur Verfügunggestellt. Die Erfassung jüngererKinder und eine damit verbundene Optionfrüherer Förderung waren nichtvorgesehen.Das Kon-Lab-Programm zur sprachlichenFrühförderung im KindergartenK U R Z B I O G R A F I EJeannine Giesist Diplom-Patholinguistinundarbeitet <strong>als</strong> wissenschaftlicheMitarbeiterin amInstitut für Linguistikder Universität Potsdam amLehrstuhl für Psycholinguistik/Spracherwerb. Ihre Arbeitsschwerpunktesind die frühe Sprachentwicklungsowie Diagnostik undTherapie von SpezifischenSprachentwicklungsstörungen.und in Schulen (Penner & Schmid,2005) setzt Sprachförderung auf Basiseines eigenen sprachtheoretischen Ansatzesum. Ziel des Programms ist dasHeranführen der Kinder an Regellernenund somit eine Erhöhung derSprachverstehenskapazität. Das Programmrichtet sich an sprachauffälligeKinder und Kinder mit Deutsch <strong>als</strong>Zweitsprache. Es setzt keine Sprachstandserhebungvoraus und es wirdkeine Aussage darüber gemacht, wieund durch wen die Zielgruppegrundsätzlich erfasst wird und somitüberhaupt dem Förderprogramm zugeführtwerden soll. Die Förderung findettäglich circa 15 Minuten in Kleingruppenvon durchschnittlich acht Kindernstatt. Eine Wirksamkeit wurde füreinen Durchführungszeitraum von circa20 Wochen im Kindergartenjahr05/06 nachgewiesen (vgl. Penner, 2004;Penner & Schmid, 2005). Das Programmbesteht aus einem detailliertenProgramm-Manual sowie 44 verschiedenen,sogenannten Bausteinen, dieaufeinander aufbauen. Die ErzieherInnenwerden bezüglich der Durchführungdes Sprachförderprogrammsgeschult und erhalten ein Praktikum.Allerdings machen die Autoren keineAngaben zum Umfang der Schulungsmaßnahmen.Das Sprachförderprogramm vonJampert und Kollegen (2006) ist amDeutschen Jugendinstitut (DJI) imRahmen von Projekten zur Sprachförderungim Kindergarten entwickeltworden. Ziel ist es, sprachliche Förderungin jeder Kita-Situation mit einfließenzu lassen. Sie bezeichnenSprachförderung deshalb <strong>als</strong> Querschnittsaufgabe(Jampert et al. 2006,S. 43f.), welche die traditionellenpädagogischen Bereiche begleitet (S.51f.). Die Zielgruppe der Förderung istdie gesamte Kita-Gruppe, ohne dasseine einleitende Sprachstandserhebungdurchgeführt wird. Dies ist nach denPrinzipien von Jampert und Kollegenauch nicht notwendig, da Sprachförderungzu einem normalen Anteil des Kita-Alltagswerden soll und das Kindüber die gesamte Kita-Zeit begleitet.Allerdings stellt Jampert (2002) Leitfädenfür die Beobachtung von Kindernin verschiedenen Zeitpunkten imSpracherwerb vor, aus denen diesprachliche Förderung abgeleitet wird.Ein anderer wesentlicher Punkt in denPrinzipien dieses Modells ist die Anpassungder Förderung an das Entwicklungsniveauder betreffenden Kinder.Der Anspruch soll mit zunehmendemAlter steigen.Als traditionelle pädagogische Bereiche,in denen Sprache je nach Auswahlder Aktivität fördernd wirken kann,werden Musik, Bewegung, Naturwissenschaftenund Medien definiert. Welchesprachlichen Bereiche speziell gefördertwerden, hängt von den pädagogischenFörderzielen und den geplantenAktivitäten ab. Die Auswahl dersprachlichen Förderbereiche ist somitder Pädagogik nachgeordnet. Methodischlegt Jampert (2002) Wert auf einenverbesserten Input und Anteile derModellierungstechniken, zusätzlichsoll Sprache mit den pädagogischenBereichen (s. o.) verbunden werden.Die 2004 vom Niedersächsischen Kultusministeriumherausgegebenen Didaktisch-methodischenEmpfehlungenfür die Sprachförderung vor derEinschulung wurden aus einem wissenschaftlichbegleiteten Pilotprojektabgeleitet. Die Empfehlungen sollenErzieherInnen und LehrerInnen Hilfenfür die Umsetzung der im niedersächsischenSchulgesetz festgeschriebenenSprachfördermaßnahmen vor der Einschulunggeben. Das niedersächsischeSchulgesetz gibt ein gezieltes Maßnahmen-und Zeitraster bezüglich Sprachstandserhebungund Sprachförderungvor. Die Sprachstandserhebung sollzehn Monate vor der Einschulungdurch die zuständige Grundschule miteinem Screening durchgeführt werden.Interessant ist hierbei, dass sich dasScreening auf die Muttersprache einesKindes bezieht und für verschiedeneSprachen vorliegt. Bei Verdacht aufeine Sprachentwicklungsstörung sindanschließend ärztliche beziehungsweiselogopädische Untersuchungen vorgesehen.Die Sprachförderung ist für88 INTERDISZIPLINÄR Jg. 15, Ausg. 2, 2007, 84 - 96


sprachlich auffällige Kinder im letztenHalbjahr vor der Einschulung geplant.Hierbei wird allerdings keine Unterscheidungzwischen monolingualenKindern mit Sprachauffälligkeiten undauffälligen Kindern mit Deutsch<strong>als</strong> Zweitsprache vorgenommen. DieSprachförderung sowie die empfohlenebegleitende schriftliche Sprachbeobachtungmuss in enger Kooperationvon Kindergarten und Schule inhaltlichabgestimmt und durchgeführt werden,was eine große Herausforderung fürbeide Institutionen darstellt. Allerdingswerden für jedes geförderte Kind eineinhalbzusätzliche LehrerInnenwochenstundenzur Verfügung gestellt.Inhaltlich soll sich die Sprachförderungam bayrischen Lehrplan „Deutsch<strong>als</strong> Fremdsprache“ orientieren; Umfangund Methodik der Maßnahme sindden zur Verfügung stehenden Gegebenheitensowie den individuellen Bedürfnissendes einzelnen Kindes anzupassen.Vorrangige Ziele sind die Förderungder kommunikativen Entwicklung,der Wortschatzentwicklung sowieder Grammatikentwicklung. ZusätzlicheBereiche wie die Ausspracheentwicklungkönnen mit aufgenommenwerden. Es wird darauf verwiesen,dass zudem sprachtherapeutische Maßnahmennötig sein können.Im Jahr 2004 wurde in Berlin das sogenannteSprachlerntagebuch entwickelt.Nachdem es 2005 in 74 Einrichtungenerprobt wurde, wird es seitHerbst 2006 eingesetzt. Es handelt sichdabei um ein Instrument zur Beobachtungund Dokumentation von sprachlichenProzessen im Kindergartenalltag.Es soll ErzieherInnen <strong>als</strong> Rahmen dienen,um die Sprachentwicklung desKindes besser und leichter einschätzenund gegebenenfalls Fördermaßnahmeneinleiten zu können. Neben Fragenzum Kennenlernen von Kind und Familiesowie Seiten zur freien Gestaltungrund um das Kind und seine Familie,sind in sprachlicher Hinsichtzwei Teile vorgesehen. Zum einen einBildungsinterview, das mit jedem Kindab drei Jahren einzeln einmal jährlichdurchgeführt werden soll. Zum andereneine Lerndokumentation für dasJahr vor der Einschulung. Ersteres beziehtsich größtenteils auf nichtsprachlicheAspekte wie Freunde,Wünsche, Erlebnisse des Kindes et cetera.Zusätzlich enthält es einen kurzenAbschnitt, in dem ErzieherInnenKommunikationsverhalten, Aussprache,Wortschatz und Grammatik des Kindesbeurteilen sollen. Im Anschluss daranwerden die ErzieherInnen dazu angehalten,die wünschenswerten Lernfortschrittefür das Kind sowie Möglichkeiten,diese Ziele zu erreichen, zu notieren.Die Lerndokumentation erfasstvorrangig das, was das Kind in demJahr vor der Einschulung schon kann.Neben basalen Fähigkeiten zur Motorikwerden in sprachlicher HinsichtFähigkeiten zur phonologischen Bewusstheit,zum Sprachhandeln allgemeinund zur Satzbildung abgetestet,aber auch erste Erfahrungen mit BildundSchriftsprache beurteilt. In derHandreichung für ErzieherInnen wirdbewusst darauf verzichtet, einen Bezugsrahmenfür die Beurteilung dersprachlichen Entwicklung vorzugeben.Somit werden die ErzieherInnen wederüber die Sprachentwicklung hinreichendinformiert, noch können spezifischeAussagen darüber getroffen werden.Eine zusätzliche Förderung derKinder ist nicht vorgesehen. Es wirddavon ausgegangen, dass in Kindergärtenohnehin sprachlich gefördert wird,zum Beispiel durch die sprachanregendeGestaltung der Räume und Spielmaterialien,welche die Kommunikationder Kinder untereinander fördern. Nebender organisatorischen Instruktionder ErzieherInnen in einer zweitägigenFortbildung verdeutlichen auch diekontinuierlich stattfindenden Einzelinterviewsmit den Kindern sowie dasAusfüllen der einzelnen Sprachlerntagebücherden hohen Zeit- und Personalaufwanddes Projekts.Das Programm Sprachförderung undSprachverhalten in der Kita (Häuser,2003) wird <strong>als</strong> Landesprogramm inBrandenburg durchgeführt. Es orientiertsich an psychologisch basiertenTrainings- und Übungsprogrammen,K U R Z B I O G R A F I EHeike Herrmann studierte 1995-1999 Grundschullehramtander UniversitätErlangen-Nürnberg.Nach demersten Staatsexamenund freiberuflicherReferentinnentätigkeit fürverschiedene Bildungseinrichtungen,studierte sie bis Anfang 2005in Potsdam Diplom-Patholinguistik.Seit August 2005 ist sie Promotionsstipendiatinam Institut fürLinguistik der Universität Potsdamam Lehrstuhl für Psycholinguistik/Spracherwerb und arbeitet <strong>als</strong>Sprachtherapeutin im Zentrum fürangewandte PsychoundPatholinguistikin Potsdam.versteht sich <strong>als</strong> Basisförderung undrichtet sich ausschließlich an auffälligeKinder im Jahr vor der Einschulung.Diese werden zu Beginn des Übungsprogrammsvon der ErzieherIn durchdie Anwendung eines Beobachtungsinstrumentssowie einer standardisiertenSprachdiagnostik (KISTE, Häuser etal., 1994) diagnostiziert. Gefördert werdensogenannte Sprachbasisbereichewie Grammatik, Wortschatz, Ausspracheund die Phonologische Bewusstheit.Letztere durch die Anwendungdes Würzburger Programms „Hören,Lauschen, Lernen“, das unten in diesemAbschnitt vorgestellt wird. DieFörderung findet über eine Zeitspannevon drei Monaten täglich 30-40 Minutenstatt und ist <strong>als</strong> Ergänzung beziehungsweiseVorbereitung zur Sprachtherapiegedacht. Daneben sollen dieKinder in die Fördergruppen aufgenommenwerden, deren Auffälligkeitennicht stark genug sind, um in diesprachtherapeutische Behandlung weiterverwiesen zu werden. Allerdingsweisen die Autoren bei der Beschreibungihrer Evaluationsergebnisse aufder Internetseite des Landesjugend-Jg. 15, Ausg. 2, 2007, 84 - 96 INTERDISZIPLINÄR 89


K U R Z B I O G R A F I ESaskia Konopatsch ist Atem-,Sprech- undStimmlehrerinund Diplom-Patholinguistin.Zurzeit arbeitetsie therapeutischin den BereichenSprachentwicklungsstörungen undStottern sowie <strong>als</strong> Dozentin an einerBerliner Schule für Logopädieund im Rahmen verschiedenerFortbildungsveranstaltungen.amts Brandenburg darauf hin, dass dieseFörderung „bei einem großen Teilvon sprachauffälligen Kindern schonausreichend (ist), um Sprachentwicklungsrückständeaufzuholen“ (www.lja.brandenburg.de/sixcms/detail.php?id=97237), sodass auch der Einsatz <strong>als</strong>Ersatz für eine therapeutische Interventionimpliziert sein könnte. Die Quoteder auffälligen Kinder sank nach Abschlussdes Programms um 17,4 Prozent,das heißt von 27,3 auf 9,9 Prozent.Diese Verbesserungen werden <strong>als</strong>nachhaltig beschrieben. Zwei Punktewerden <strong>als</strong> Begründung für das erfolgreicheAufholen der auffälligen Kindergenannt: Zunächst wird <strong>als</strong> besondererVorteil betrachtet, dass die Förderungdurch eine dem Kind gut bekannte Bezugspersondurchgeführt wird. Weiterhingehen die Autoren davon aus, dassein Training, das länger <strong>als</strong> fünf Tageunterbrochen wird, keine Auswirkungauf das Sprachniveau eines auffälligenKindes haben kann, sodass eine KitainterneFörderung effizienter sein sollte<strong>als</strong> die übliche sprachtherapeutischePraxis (vgl. Häuser, 2003).Die Handhabung des Trainings ist relativstrikt und bedient sich sowohl positiven<strong>als</strong> auch negativen Feedbacks.Direkte Korrekturen sind zugelassen.Die Autoren beschreiben die verwendetenMethoden <strong>als</strong> Aktivierung vonobjekt- und handlungsbezogenen Wissensstrukturen.Die Beziehungsgestaltungund das förderliche Sprachangebotsollen angelehnt an das Mothereseund die mütterliche Responsivität aufgebautwerden. Letztendlich liegt derFokus jedoch auf der Produktion vonSprache. In den Kleingruppentrainingswird die Methodik im Rahmen vonÜbungen verwendet, die <strong>als</strong> Benennenvon Objekten, Handlungen und Ereignissenund Nachsprechen von Sätzen,Reimen et cetera realisiert werden. Danebenfinden die Übungsspiele desWürzburger Trainingsprogramms Anwendung.Die ErzieherInnen werdenelf Wochen geschult, in denen sie dieAnwendung der Diagnostik und diedaraus resultierende Förderung erlernen.Im Zusammenhang mit der Organisationvon Kleingruppen und derEinzeldiagnostik zu Beginn der Förderphaseverdeutlicht dies den hohenPersonalaufwand, den das Programmbenötigt.Das am häufigsten eingesetzte Instrumentist das Würzburger TrainingsprogrammHören, Lauschen, Lernen(Küspert & Schneider, 2003) zur Vorbereitungauf den Erwerb der Schriftsprache.Es fördert die Fähigkeit derPhonologischen Bewusstheit und richtetsich an fünf- bis sechsjährige Vorschulkinderim letzten Kindergartenhalbjahr.Als Vorlage diente ein schwedisches,psychologisch basiertes Trainingsprogramm.Das Würzburger Trainingsprogrammwurde in Längsschnittstudienauf seine Wirksamkeit hin überprüft.Die Durchführung des Programmssetzt keine Sprachstandserhebung voraus.Bei Anhaltspunkten für Auffälligkeitenin der Sprachentwicklung wirdaber extern eine Diagnostik bezüglicheines gefährdeten Schriftspracherwerbsin einer Frühförder- oder Erziehungsberatungsstellemit dem BISC (BielefelderScreening zur Früherkennung vonLese- und Rechtschreibschwierigkeiten,Jansen et al., 1999) empfohlen. DasProgramm ist für sprachauffälligdiagnostizierte Kinder und nicht – wieoft praktiziert – für eine flächendeckendeAnwendung konzipiert. DieFörderung findet über einen Zeitraumvon 20 Wochen, täglich zehn Minuten,in Kleingruppen von vier bis acht Kindernstatt. Die AutorInnen legen auf einestrikte Einhaltung der Programmstrukturund auf die regelmäßige Anwendungwert, allerdings in entspannterspielerischer Atmosphäre und ohnedas individuelle Entwicklungstempoeinzelner Kinder aus den Augen zuverlieren.Überlegungen zurKonzeption vonSprachförderprogrammenGenerell lassen sich die Förderprogrammein Trainingsprogramme fürauffällige Kinder im Jahr vor der Einschulungund in Förderprogramme füralle Kinder unterscheiden. Bezeichnendist, dass die Programme, welchedie Kinder früh und umfassend fördern,ohne eine grundlegende Eingangsdiagnostikauskommen. WennSprachförderung zu einem normalenAnteil des Kita-Alltags wird, dergrundsätzlich auf alle Kinder abzielt,so ist eine Erhebung des Sprachstandesin der Gruppe durch die ErzieherInnennicht notwendig. Hierdurch werden ErzieherInnenentlastet und die Trennungzwischen medizinisch verordneterSprachtherapie und pädagogischer Förderungwird deutlich.Die Alltäglichkeit von sprachlicherFörderung kommt ebenso dem Personalaufwandim Kindergarten entgegen.Wichtig für eine realistische Umsetzungvon Sprachförderung im Kita-Alltag ist, dass kein kontinuierlich erhöhterPersonalaufwand für die Förderungentsteht, was bei den verschiedenenKleingruppentrainings nicht zuverhindern ist. Eine Weiterbildung vonErzieherInnen mit dem Ziel, dass diesedurch ein verbessertes Sprachmodellden gesamten Alltag umstrukturierenund sprachförderlicher gestalten, erfordertdagegen nur einmalig während derWeiterbildung erhöhten Personalaufwand.Die Konzentration auf die Vorschulphaseund die Förderung der PhonologischenBewusstheit kennzeichnen diemeisten Programme in den verschiede-90 INTERDISZIPLINÄR Jg. 15, Ausg. 2, 2007, 84 - 96


nen Bundesländern. Es muss deutlichgesagt werden, dass dies nicht die Gesamtaufgabeerfüllt, welche die Sprachförderungim Kindergarten übernehmenmuss. Sprachförderung sollte fürjedes Kind kontinuierlich vom erstenbis zum letzten Kita-Tag stattfinden,sich in ihrem Anspruch an das Niveauder Kinder anpassen und in den normalenErlebnis- und Kommunikationsalltagder Kinder integriert werden (vgl.Jampert et al., 2006, S. 46f. und 51f.).Die Alltäglichkeit von sprachlicherFörderung ist ein extrem wichtigerFaktor, an dem sich jedes Förderprogrammmessen lassen sollte. Aus derTherapieforschung ist bekannt, dassdas „Üben“ von Sprache, im Sinne einesreinen Trainings, nur wenig Nachhaltigkeitnach Beendigung der Trainingsphaseherbeiführen kann (vgl.Ellis Weismer et al., 1993; Ellis Weismer,2000). Dies gilt vor allem für diebasalen sprachlichen Fähigkeiten derLexikon- und Grammatikentwicklung.Nicht nur die Einzeltherapie, sondernauch die allgemeinere und weniger aufdas einzelne Kind abgestimmte Förderungin der Kita sollte sich deshalbnicht auf reine Übungsprogramme beschränken.Weiter sind solche Programme zu bevorzugen,die in einer Schulungsphasedas Wissen der ErzieherInnen über denSpracherwerb verbessern. Die reineHandreichung von Manualen oderHandbüchern reicht bei einem so komplexenEntwicklungsbereich wie demsprachlichen nicht aus. Ebenso mussdie Einarbeitungszeit in die verändertePraxis fachlich begleitet werden. Nachdem Absolvieren der entsprechendenSchulung kann die/der ErzieherIn jedochselbstständig sprachliche Anregungin den Kita-Tag bringen.Es wird die Notwendigkeit deutlich,Förderung und Therapie strikt voneinanderzu trennen. ErzieherInnen sindnach entsprechender Schulung in derLage, Sprachförderung nach modernenund theoriegeleiteten Vorstellungen inder Kita durchzuführen. Die therapeutischeIntervention – ebenso wie dieDiagnostik – bei einem auffälligen Kindsollen sie jedoch nicht übernehmen.Die Therapie einer Sprachentwicklungsstörungmuss weiterhin unangetastetin sprachtherapeutischer Handbleiben. Jedoch kann einE gut fortgebildeteRErzieherIn viel dazu beitragen,dass Kinder früher therapeutischeUnterstützung bekommen. Für ErzieherInnenist es dabei wichtig, mit stichhaltigenArgumenten in Elternberatungenzu gehen und nicht nur zu ahnen,dass das betreffende Kind ein sprachlichesProblem haben könnte. Eine guteMöglichkeit sich dahingehend abzusichern,ist die Verwendung von Beobachtungsbögen.In Brandenburg wirdflächendeckend das „FrühwarnsystemGrenzsteine der kindlichen Entwicklung“eingesetzt (Laewen, 2002), indem auch sprachliche Meilensteine abgefragtwerden. Außerdem können natürlichrein sprachliche Beobachtungsbögenbenutzt werden, beispielsweiseder ELFRA 2 (Grimm & Doil, 2000).Weiter sollte die Erfassung des Kindesin der Kita jedoch nicht gehen. Wederist die/der ErzieherIn dazu ausgebildet,eine klinische Diagnostik durchzuführen,noch obliegt es ihrem/seinemAufgabenbereich.Die in diesem Artikel im Weiteren vorgestellteArt der sprachlichen Förderungin der Kita betrifft ausnahmslosalle Kinder, ohne dass diese vorhernotwendigerweise diagnostiziert wurden.Alle Kinder werden davon profitieren,jedoch ist nicht garantiert, dassschwächere Kinder im Vergleich zuden guten Kindern aufholen werden.Die Zielstellung kann nur sein, dass siedurch die Sprachförderung im Altersvergleichnicht noch weiter zurückfallen.Therapie hingegen bekommen dieKinder, die eine auffällige Sprachentwicklungzeigen. Diese Maßnahmenwerden <strong>als</strong> Heilmittel ärztlich verordnetund finden durch sprachtherapeutischeFachleute, in Eins-zu-eins-Situationen und genauestens auf dieSymptomatik des einzelnen Kindes abgestimmt,statt (vgl. Kauschke & Siegmüller,2005). In einer solchen Maßnahmebesteht die Möglichkeit, dasssprachliche Defizite aufgeholt werden.Im folgenden Kapitel wird das ModellprojektPräSES vorgestellt, in dem dieK U R Z B I O G R A F I EGitta Pötter istHeilpädagoginund Erzieherin,arbeitete von1982 bis 2001 ineiner Kindertagesstättein Wittenberge(Land Brandenburg), wurdedort stellvertretende Leiterinund wandelte diese Kindertagesstätte1989 in eine Integrationskindertagesstätteder Lebenshilfe e.V.um. Zudem baute sie eine Frühförder-und Beratungsstelle auf undleitete diese von 1991 bis 2002.1995 übernahm sie außerdem dieBereiche FamilienentlastenderDienst und Freizeitgestaltung fürMenschen mit Behinderungen. Seit2002 Leitung der ÜberregionalenArbeitsstelle Frühförderung desLandes Brandenburgs in Potsdam.Schwerpunktaufgaben sind hier dieindividuelle Fachberatung undFortbildungen von ErzieherInnensowieinterdisziplinäreProjektarbeit.bisher beschriebenen Kriterien in einrealisierbares Projekt umgesetzt wurden.Die Konzeption von PräSESPräSES ist ein Weiterbildungsprojektfür ErzieherInnen, in dem diese lernen,durch die Anwendung von abgewandeltensprachtherapeutischen Methoden,Kindern sprachliche und thematischeInhalte, im Rahmen von Projektenim Kita-Alltag nahe zu bringen. DerFokus liegt dabei auf der Verbesserungder Ansprache an das Kind, das heißt:auf dem Sprachmodell der ErzieherInnen.Zielstellung ist der Aufbau desSprachverständnisses. Als Projekte werdenThemenbereiche definiert, die denKita-Alltag über sechs bis acht Wocheninhaltlich prägen. Dazu gehören besondere,geplante Aktionen, motorischeoder dramatische Aktivitäten, neueJg. 15, Ausg. 2, 2007, 84 - 96 INTERDISZIPLINÄR 91


Spielanregungen sowie musikalischeAnteile. Außerdem soll das Projektauch in die rituellen Anteile des Kita-Tags Eingang finden. So sollen sichzum Beispiel thematische Bezüge auchim Morgenkreis oder in Tischsituationenwiederfinden lassen. Zu Beginnsteht somit die Frage nach einer Zielstellungim sprachlichen Bereich (z. B.eine Wortliste aus Vertretern einer Kategorie),der sich die Umsetzung in einerAktivität anschließt. Wichtig ist,dass die ErzieherInnen lernen, die Planungder Aktivitäten am sprachlichenZiel auszurichten. Mit diesen Grundprinzipienorientiert sich PräSES anden Landesrichtlinien zum Bildungskonzeptder elementaren Erziehung(vgl. Pesch et al., 2006).Es nehmen zehn Kitas aus dem gesamtenBundesland Brandenburg teil. Dabeiwurde auf einen etwa gleich starkenAnteil städtischer und ländlicherEinrichtungen geachtet. Das Projektumfasst 18 TeilnehmerInnen. Die ErzieherInnenarbeiten zum großen Teilin festen Gruppen, zwei Einrichtungenhaben gruppenübergreifende, offeneArbeit zum Schwerpunkt. Insgesamtbefinden sich in den teilnehmendenGruppen 234 Kinder, von denen 150für die Evaluation untersucht wurden(vgl. letzten Abschnitt dieses Beitrags).PräSES gliedert sich in drei Phasen,die über ein Kindergartenjahr verteiltliegen (s. Abb. 1). In der Informationsphaselernen die TeilnehmerInnen insechs Blöcken zu je zwölf Unterrichtseinheiten,Grundlagen über Spracherwerb,Sprachentwicklungsstörungen,das Benutzen von sprachlichen Beobachtungsbögenzum Identifizieren vonRisikokindern und die Methoden zurVerbesserung des Sprachmodells. Inden letzten beiden Blöcken wird dasProjekt sprachlich und pädagogischvorbereitet sowie die Anwendung derMethoden geübt.In der Projektphase erfolgt die Umsetzungdes konzipierten Themas. DieTeilnehmerInnen werden in dieser Phasedurch MitarbeiterInnen von PräSESvor Ort begleitet, sodass Fragen zurRealisierung in der alltäglichen Arbeitfrühzeitig aufgedeckt werden können.Abschließend findet die Reflexionsphasestatt. Deren Themen sind dieNachbereitung des durchgeführtenProjekts, Systematisierung von Planungenfür kindgerichteten Input, Vertiefungvon Vermittlungsmethoden,Reflexion der beiden vorangegangenenPhasen sowie die Vorbereitung vonneuen Projekten.Methoden für dieVerbesserung deskindgerichteten InputsAbbildung 1:DarstellungsverlaufvonPräSESIm Spracherwerb geht das Verstehendem Produzieren immer voraus. DieZeitspanne zwischen dem rezeptivenErwerb eines Wortes und der produktivenAnwendung kann mehrere Wochenumfassen (vgl. Karmiloff & Karmiloff-Smith, 2001). Fokus des umstrukturiertenKita-Alltags muss daher der Aufbaudes Sprachverständnisses sein, bevorverbesserte Produktionsleistungenvon den Kindern zu erwarten sein können.Drei Methoden (die dritte in rezeptiverund produktiver Anwendung) aus dertherapeutischen Praxis sind im Rahmenvon PräSES für die Anwendungim Kindergarten umgesetzt worden(für die Beschreibung der Methoden inder Therapie vgl. Siegmüller &Kauschke, 2006): Erstens Inputspezifizierung,zweitens Modellierung, dieim Rahmen von PräSES <strong>als</strong> Sprachespiegeln bezeichnet wird, und drittenswerden rezeptive Übungen mit denErzieherInnen erprobt, die unter denBegriffen Auswählen, Sortieren undLautspiele verwendet werden. Der Entwicklungslogikfolgend beinhaltet dieMethode der Lautspiele auch produktiveÜbungen. Die veränderten Bezeichnungenwurden gewählt, um Verwechslungenmit Begriffen aus derPädagogik und den rein therapeutischenTermini zu vermeiden. Die MethodeInputspezifizierung steht insbesonderezu Beginn des Projekts im Vordergrundder Sprachförderung.INPUTSPEZIFIZIERUNGDie Verbesserung von sprachlicher Ansprachean Kinder ist <strong>als</strong> Inputspezifizierungauch in der Therapie eine dererfolgreichsten methodischen Vorgehensweisen(vgl. Girolametto et al.,1996). Natürlich kann eine Verbesserungder allgemeinen Ansprache anKinder nicht den Techniken genügen,die für die Inputspezifizierung beispielsweisein der PatholinguistischenTherapie festgelegt werden (vgl. Siegmüller& Kauschke, 2006, Kapitel 5).Für die Sprachförderung in der Kitakönnen therapeutische Methoden nichteins zu eins übernommen, stattdessenmüssen sie übersetzt werden. Im Rahmenvon PräSES ist dies zum erstenMal systematisch realisiert worden.Bei der Spezifizierung des Inputs werdenWörter oder sprachliche Strukturenin einer Form aufbereitet, dass sie in derAnsprache an das Kind frequenter,deutlicher und stärker im Vordergrundauftreten, <strong>als</strong> dies in der alltäglichenSprache der Fall ist. Dafür werdenzunächst Wortlisten zusammengestellt,die verschiedene Wortarten (Nomen,Verben, Adjektive, Funktionswortarten)auflisten, welche mit dem gewähltenProjektthema verbunden sind undAnwendung finden können. Zudemwird in der Informationsphase die angemessenePräsentation bezüglich desan die jeweilige aktuelle Situation (Ge-92 INTERDISZIPLINÄR Jg. 15, Ausg. 2, 2007, 84 - 96


schichte, Handpuppenspiel, Fingerspiel,gemeinsames Spiel etc.) angepasstenSprachstils, die grammatikalischeKorrektheit, flexible Einbettungin den Satz sowie gemeinsame Aufmerksamkeitsausrichtungeingeübt.Während der Projektphase sollen dieTeilnehmerInnen in Interaktionssituationenmit ihren Kindergruppen Teiledieser Wortliste nach den oben aufgeführtenMaßgaben anwenden, wobeikeine direkte sprachliche Anforderungan die Kinder gestellt wird. Dabei lernendie ErzieherInnen, die Spezifizierungihres Inputs abzustufen, sodasssie bei Bedarf ihr Sprachmodell auchnoch vertiefen können. Daneben sollenDokumentationen von geplanten underfolgten Inputsituationen das Bewusstseinfür die Verwendung von Spracheinnerhalb eines thematischen Zusammenhangsfördern. Der sprachlicheInhalt eines Themas wird so zu einemgleichberechtigten Teil der Planungmit der pädagogischen Gestaltung vonSituationen.AUSWÄHLENDas Auswählen dient ebenso wie dasnachfolgend beschriebene Sortierender Festigung und weiteren Ausdifferenzierungvon neu eingeführten Wörtern.Beides soll die jeweiligen Zielstrukturennochm<strong>als</strong> fokussieren unddamit ergänzend zur Inputspezifizierungeingesetzt werden. Der Anspruchan die Kinder ist etwas höher, da sie eineaktivere Rolle einnehmen, indem sieeine sprachliche Anforderung (ein neuesWort) direkt in eine Handlungssituationumsetzen und damit eine eigenständigeVerarbeitungsleistung vollziehenmüssen. So sollen die Kinder zumBeispiel ein gesuchtes Bild nach derVorgabe des entsprechenden Wortesaus einer Menge auswählen. Ziel derMethode ist dabei nicht das Produzierenneuer Wörter. Das zu verwendendeMaterial richtet sich nach der erstelltenWortliste, wobei je nach Zeitpunkt desMethodeneinsatzes der Schwierigkeitsgradvariiert werden kann (z. B. durchAnzahl der vorgegebenen Gegenstände,Bedeutungsnähe der Ablenker).SORTIERENIm Unterschied zum Auswählen werdenbeim Sortieren keine einzelnenObjekte aus einer Menge ausgewählt,sondern Gegenstände nach bestimmtenBedeutungsmerkmalen sortiert, nachdemden Kindern die zugehörigenWörter auditiv dargeboten wurden.Ziel ist dabei, die Erweiterung desWissens über bestimmte Wörter imVergleich zu anderen, mehr oder wenigerähnlichen Wörtern, indem diesevoneinander abgegrenzt beziehungsweise<strong>als</strong> zueinander passend eingestuftwerden.LAUTSPIELELautspiele werden vorrangig im letztenJahr vor der Einschulung eingesetzt.Sie unterstützen die Entwicklung derFähigkeit zur Phonologischen Bewusstheit<strong>als</strong> zweite Säule des Modellprojektsneben der Unterstützung derWortschatzentwicklung.Lautspiele sprechen, in Spielsituationeneingebettet, <strong>als</strong> vorstrukturierteEinheiten gezielt eine Teilfähigkeit derPhonologischen Bewusstheit (z. B. Reimen,Lautsynthese) an. Hierbei werden,je nach Fähigkeit, rezeptive oder produktiveReaktionen von den Kindernerwartet. Die Auswahl der Lautspielesoll sich an den Entwicklungsphasender Phonologischen Bewusstheit orientieren.Nach Einführung in die Entwicklungshierarchieder Phonologischen Bewusstheitsowie der Verdeutlichung von Relevanzund Besonderheiten der Arbeitmit der sprachlichen Struktur auf Lautebene,werden die unterschiedlichenArten von Lautspielen mit den ErzieherInneneingeübt.SPRACHE SPIEGELNDie Anwendung dieser Methode setztvoraus, dass das Kind einen Teil desdurch die Inputspezifizierung erworbenenSprachmateri<strong>als</strong> produziert hat.Die Anwendung der Methode Sprachespiegeln erfolgt nur in Kombinationmit einer der oben genannten Methoden.Die/der ErzieherIn spiegelt mit ihrer/seinerAntwort die Produktion desKindes. Dazu hat sie/er vier Möglichkeiten:• Korrektives Feedback: Bei einemFehler in der Produktion kanndie/der ErzieherIn die kindlicheÄußerung verändern oder vervollständigen,ohne dabei eine negativeRückmeldung an das Kind zu geben.• Alternativfrage: Nach einem Fehlerdes Kindes gibt die/der ErzieherInzwei Möglichkeiten zur Auswahl,wobei eine der Möglichkeiten dief<strong>als</strong>che Produktion des Kindes istund die andere Möglichkeit die korrekteForm. Das Kind soll auswählen,welches die richtige Antwortist.• Positive Verstärkung: Diese Reaktionverstärkt die korrekte Produktiondes Kindes durch Wiederholungoder verbale Verstärkung.• Aufforderung zur Selbstkorrektur:Bei einem Fehler in der Produktionkann die/der ErzieherIn durcheine Nachfrage oder auch durch dieAufforderung zum erneuten Ausprobieren(z. B. nach dem Hören desSprachmodells von der/dem ErzieherIn)das Kind dazu animieren, denFehler zu korrigieren. Diese Möglichkeit,Sprache zu spiegeln; sollnur Verbindung mit Lautspielen undsomit im Bereich der Förderung derPhonologischen Bewusstheit eingesetztwerden.Die Anforderung an das Kind bestehtnur im (unbewussten) Abgleich der eigenenÄußerung mit der Sprachstrukturder Erzieherin.EvaluationZur Evaluierung des Modellprojektswerden von möglichen 234 Kindern150 Kinder in eine Sprachstandserhebung(30 Kinder pro Altersgruppe;Altersgruppen: 2;0-2;11, 3;0-3;11, 4;0-4;11, 5;0-5;11, 6;0-6;11) einbezogen.Zusätzlich werden 50 Kontrollkinderaus Gruppen, deren ErzieherInnennicht am Projekt PräSES teilnehmen,untersucht. Es werden zwei Erhebungen(T1 und T2) durchgeführt. T1 findetzu Beginn der Informationsphasestatt und soll den Status Quodes Sprachentwicklungsstands in denGruppen der TeilnehmerInnen erfas-Jg. 15, Ausg. 2, 2007, 84 - 96 INTERDISZIPLINÄR 93


Abbildung 2: Anzahl der auffälligen Kinder pro AltersgruppeAbbildung 3: Überblick über die auffälligen Kinder pro Altersgruppe in den untersuchten BereichenAbbildung 4: Anzahl der betroffenen Bereiche, dargestellt pro Altersgruppesen. Gegen Ende der Reflexionsphasewird T2 stattfinden.Durch die Evaluation von PräSESsollen folgende Punkte belegt werden:1. Die Kinder aus den Gruppen derteilnehmenden ErzieherInnen profitierenin den Bereichen Lexikonund Grammatik von dem verbessertenSprachmodell der ErzieherInnen.Hierfür werden die Gruppender teilnehmenden ErzieherInnenmit Gruppen von noch nicht weitergebildetenErzieherInnen verglichen.2. Die ErzieherInnen können nachder Weiterbildung sprachauffälligeKinder besser erkennen <strong>als</strong> vorher.3. Die ErzieherInnen gehen nachBeendigung des Projekts bewussterund sprachförderlicher mit auffälligenKindern um.Im Rahmen dieses Artikels wird T1der teilnehmenden ErzieherInnenund die Sprachstandserhebung derKinder der teilnehmenden Gruppenausgewertet sowie mit der Einschätzungder kindlichen Sprachleistungendurch die ErzieherInnenverglichen.Für die Sprachstandserhebung wurdenSprachdiagnostiken ausgewählt,die den Nomenwortschatz,das Verblexikon und das Satzverständnisuntersuchen. Da das Ziel,das Sprachmodell der ErzieherInnenzu verbessern, bei den Kindernzunächst das Sprachverständnisaufbauen wird, soll auch diesprachliche Leistungserhebung dierezeptiven Möglichkeiten der Kinderuntersuchen. Für die lexikalischeEbene wurden Subtests ausder Patholinguistischen Diagnostikbei Sprachentwicklungsstörungenausgewählt (Kauschke & Siegmüller,2002). Das Satzverständniswurde durch den TROG-D (Fox,2006) erhoben. Bei zweijährigenKindern wurde der TROG-D durcheinen weiteren Subtest aus der PatholinguistischenDiagnostik beiSprachentwicklungsstörungen (Verstehenvon W-Fragen) ersetzt, dader TROG-D erst bei Kindern ab94 INTERDISZIPLINÄR Jg. 15, Ausg. 2, 2007, 84 - 96


drei Jahren einsetzbar ist. Von den untersuchtenKindern ist vorher nicht bekannt,ob es sich um auffällige oder umunauffällige Kinder handelt. Die Evaluationsgruppewird zufällig aus derGesamtgruppe ausgewählt.Zunächst wurde durch die Sprachstandserhebungdie Quote der auffälligenKinder in den teilnehmendenGruppen erhoben. Ein Kind galt <strong>als</strong>auffällig, wenn es in einem der dreiverwendeten Tests unter der Norm<strong>als</strong>pannelag. Die Quote lag mit 71 auffälligenKindern bei 47,33 Prozent unddamit wesentlich höher <strong>als</strong> in den jährlichenStatistiken, in denen der jeweiligeEinschulungsjahrgang untersuchtwird. Sie liegt jedoch im gleichen Bereichwie das Ergebnis des BielefelderModellversuchs, wo sich knapp 40Prozent auffällige Kinder in der Stichprobebefanden (vgl. Grimm et al.,2004), auch in der Sprachstandserhebungvon „Bärenstark“ ergab sichein vergleichbarer Anteil auffälligerKinder (s. Tab. 1). Abbildung 2 gibt einenÜberblick, wie sich die Zahlen derauffälligen Kinder über die untersuchtenJahrgänge verteilen.An der Verteilung über die Altersgruppenist besonders zu beachten, dass esunter den zweijährigen Kindern nichtmehr auffällige Kinder <strong>als</strong> in den höherenAltersgruppen gibt. Dies wäre zuerwarten gewesen, da sich unter denzweijährigen Kindern eigentlich auchsolche befinden sollten, die am drittenGeburtstag <strong>als</strong> Late Bloomer klassifiziertwerden könnten. Nach den vorliegendenZahlen ist dies jedoch nicht zuerwarten. Ein Grund dafür ist sicherlich,dass rein rezeptive Daten erhobenwurden. Late Talker werden in der Regelüber den aktiven Wortschatz erhoben.Die anderen Altersgruppen zeigeneinen Peak in der Gruppe der fünfjährigenKinder. Abbildung 3 verdeutlicht,dass vor allem auch diese Kinder imBereich des Satzverständnisses auffallen,das heißt ein Problem in der Grammatikzeigen. Unter den Fünfjährigenzeigen genauso viele Kinder (15)Schwierigkeiten im Satzverständniswie im Bereich des Nomen- und Verbwortschatzeszusammen (8 bzw. 7 Kinder).Aber auch in den anderenAltersgruppen ist das Satzverständnisauffälliger <strong>als</strong> der Bereich des Wortschatzes.Zu keiner Zeit übersteigendie Probleme im Wortverständnis dieim Satzverständnis. Schließlich sollnoch ausgewertet werden, wie vieleKinder in einem, zwei oder allen dreiuntersuchten Bereichen auffällig waren.Dies wird in Abbildung 4 veranschaulicht.Über alle Altersgruppenzeigt sich das Bild, dass mehr Kinderin einem Bereich auffällig sind <strong>als</strong> inzwei Bereichen. In den Altersgruppenzwei bis fünf nimmt die Zahl der Kinder,die in allen drei Bereichen auffälligwaren, weiter ab. Nur bei densechsjährigen Kindern stagniert dieseZahl, wobei bei ihnen insgesamt diewenigsten Kinder auffällig waren.Als letzter Punkt der Evaluation vonT1 wird die Frage untersucht, wie gutdie ErzieherInnen den Sprachstand derKinder ihrer Gruppen einschätzen können.Hierfür wurden sie zu Beginn derInformationsphase gebeten, die Kinderihrer Gruppen nach einem Rankingzwischen eins (unauffällig) und fünf(sehr auffällig) zu bewerten. Diese Bewertungwird mit den Leistungen derKinder in der Sprachstandserhebungverglichen, wobei eins und zwei einerunauffälligen Leistung entsprechen,während drei <strong>als</strong> ein auffälliger, vier<strong>als</strong> zwei und fünf <strong>als</strong> drei auffällige Bereichegelten. In 56 Fällen stimmt dieBewertung der ErzieherIn mit dem Ergebnisder Sprachstandserhebung überein,in 94 Fällen kommt es zu keinerÜbereinstimmung. Dies ergibt in derstatistischen Berechnung einen signifikantenUnterschied (Chi-Quadrat 4,038;p = ,044) zu Ungunsten der bestehendenÜbereinstimmung. Möglicherweisefällt es ErzieherInnen besondersschwer, Kinder einer bestimmtenGruppe einzuschätzen. Daher wurdenverschiedene mögliche Faktoren dahingehendausgewertet. Die einzelnenAltersgruppen werden gleichmäßigschlecht übereinstimmend bewertet (s.Tab. 2), das heißt die ErzieherInnenschneiden bei der Einschätzung der älterenKinder nicht besser ab <strong>als</strong> bei denganz jungen Kindern. Ebenso liegendie Bewertungen der Kinder, die <strong>als</strong>unauffällig (14 Übereinstimmungenund 18 nicht bestehende Übereinstimmungen)oder <strong>als</strong> stark auffällig bewertetwurden, bei einer Übereinstimmungum 50 Prozent. In keiner dieser Einzelauswertungenwird die Übereinstimmungsignifikant. Die Sicherheit, mitder die ErzieherInnen die Kinder bewerten,hängt <strong>als</strong>o nicht vom Alteroder dem Sprachentwicklungsstand derKinder ab, sondern zeichnet sich durcheine allgemeine Unsicherheit aus.Interessant ist an den Daten außerdem,dass die ErzieherInnen sich wesentlichhäufiger bei ihren Entscheidungen sichersind, <strong>als</strong> eine Übereinstimmungvorliegt (s. Spalte 3, Tab. 1). DieserUnterschied ist signifikant (Chi-Quadrat23,092; p = ,000), was bedeutet,dass sich die ErzieherInnen auch beivielen Fehleinschätzungen ihrer Entscheidungsicher sind.FazitÜbereinstimmungSichere EntscheidungZweijährige Kinder 10/30 17/30Dreijährige Kinder 14/30 23/30Vierjährige Kinder 15/30 22/30Fünfjährige Kinder 13/30 22/30Sechsjährige Kinder 4/30 18/30Summe 56/150 102/150Tabelle 2:Übereinstimmung der ErzieherInnenbewertungmit der Sprachstandserhebung, aufgeteilt nachAltersgruppen. Auswertung, ob sich die ErzieherInbei ihrer Entscheidung sicher warAls Fazit lässt sich aus der laufendenEvaluation die Aussage ziehen, dassErzieherInnen ohne zusätzliche Bildungim Bereich des Spracherwerbsund der Sprachförderung kaum in derJg. 15, Ausg. 2, 2007, 84 - 96 INTERDISZIPLINÄR 95


Lage sind, auffällige Kinder zu erkennenoder die Kinder ihrer Gruppe hinsichtlichihres Sprachentwicklungsstandeseinzuschätzen. Dem alleinigenVerlangen von Gesellschaft und Staat,dass ErzieherInnen die Förderung vonKindern im Sprachbereich übernehmen,können diese nicht nachkommen.Letztendlich müssen sie es auch nicht,da sie durch ihre ErzieherInnenausbildungdafür nicht fachlich vorbereitetsind.Wenn der deutsche Kita-Alltag aberstärker in Richtung der sprachlichenFörderung orientiert sein soll, gehörtauch eine umfassende Weiterbildungvon ErzieherInnen – wie zum Beispieldurch PräSES gewährleistet – zu dieserUmsetzung.Daneben sind die Zahlen einer genauerenUntersuchung des Sprachverständnissesbei den Kindern zwischen 2;0und 6;11 alarmierend. Die hier durchgeführteSprachstandserhebung ist detaillierter<strong>als</strong> die normale Reihen- oderEinschulungsuntersuchung, was sicherlichdie Ergebnisse erklären kann. DieErgebnisse zeigen, wie notwendig allgemeinesprachliche Förderung im Alltagist und wie wichtig es ist, ErzieherInnen,die das Kind jeden Tag sehen,so auszubilden, dass sie auffällige Kinderbesser und früher erkennen und anFachleute zur Diagnostik und Therapieweitervermitteln können.Danksagung:Das Modellprojekt PräSES (= Präventionvon Sprachentwicklungsstörrungen) wirdmit Mitteln von Aktion Mensch gefördert.Wir danken außerdem <strong>Julia</strong> Mones und MarinaMeyer für ihre Mitarbeit.L I T E R A T U RBates, E. & Goodman, J. (1997). On the inseperabilityof grammar and the lexicon. Language &Cognitive Processes, 12, 507-584.Conti-Ramsden, G. (2003). An introduction. In Y.Levy, & J. Schaeffer (Hrsg.), Language competenceacross populations: towards a definitionof specific language impairment (S. 197-208).Mahwah: Lawrence Erlbaum.Ehlich, K., Bredel, U., Garme, B, Komor, A.,Krumm, H.-J., Mcnamara, T., Reich, H.H., Schnieders,G., Ten Thije, J.D. & Van Den Bergh, H.(2005). 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Göttingen: HogrefeAutorinnen:<strong>Julia</strong> SiegmüllerJeannine GiesHeike HerrmannProjektgruppe PräSESUniversität PotsdamInstitut für Linguistik/Allgemeine SprachwissenschaftKarl-Liebknecht-Straße 24-2514476 Golmj.siegmueller@gmx.degies@ling.uni-potsdam.deheike-herrmann@gmx.deAstrid FröhlingProjektgruppe PräSESZentrum für angewandte Psycho- undPatholinguistik Potsdam (ZaPP)Gutenbergstraße 6714467 Potsdamfroehling@patholinguistik. deSaskia KonopatschProjektgruppe PräSESManteuffelstr. 20a10997 Berlins.konopatsch@gmx.deGitta PötterProjektgruppe PräSESÜberregionale Arbeitsstelle für FrühförderungCarl-von-Ossietzky-Straße14471 Potsdamarbeitsstelle-ff-brandenburg@arcor.de96 INTERDISZIPLINÄR Jg. 15, Ausg. 2, 2007, 84 - 96

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