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Alemannische Dialekte

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B. Boesch, Alemannisch - Seite 8fühlen sich viele Mundartdichter insofern in ihremElement, als sie dann alle ihre bodenständigenWörter anbringen können. Oft sind esMuseumsstücke. Auch das Ausbaden imGefühlsmolligen liegt nahe, und es werden allzuoftdieselben Kreise in Dur und Moll gezogen. DerDialekt ist so unverschämt und hat für diese sich imKreise Drehenden das Wort „Versli-brünzler“geschaffen. Warum nicht auch einmal Werktag inder Dichtung, und zwar staubiger Fabriktag, warumnicht auch einmal Wirtshaus und Streit, warumnicht Leidenschaften und eine Sprache, die dasUnterschwellige ausschöpft, eine Sprache, die aucheinmal so frech und unanständig ist wie das Lebenselbst? 21 ) Der Rundfunk ist in seinenanspruchsloseren Gesprächssendungen oft viellebensnaher und, ohne es zu wollen, dichterischer.Der Dialekt wird den Dichter gerade auf solchenWegen nicht im Stiche lassen, aber es gehört Mutdazu, der Mut zum Ungewohnten. Unsere Jungenunterhalten sich nicht mehr über die altväterlichenMethoden der Hanfbereitung. Sie ratschen zwarauch, aber beispielsweise auf dem Zeltplatz, undwer Martin Walsers Roman „Einhorn“ gelesen hat,weiß, daß er uns mit dem „Aufs Maul schauen“„dickePost“ bringt, oder wenn man an dieBettgespräche der Berner Verlegerin denkt. Aber istes nicht erstaunlich, wenn ein so der Gegenwartverpflichteter Schriftsteller mit einem höchstdifferenzierten Verhältnis zur modernenSchriftsprache beim Ausschöpfen all ihrerMöglichkeiten an der Mundart einfach nichtvorbeikommt, auch ohne daß er eigentlichMundartdichtung schreibt ? Er zieht alle Register,über welche die heutige Sprache verfügt, dasRegister der Mundart ist allerdings nurmehr einUnterton, für den Walser in seiner Rede bei derEntgegennahme des Bodensee-Literaturpreises einunvergeßliches Bild gebraucht hat, das diesprachliche Situation gerade der badischenLandschaften trifft und mit dem ich schließen will:. . . Man hat auch öfters das Gefühl, man habesich noch nicht ein einziges Mal ausgedrückt. Denndas., was das Sagen vom Schweigen unterscheidet,ist ja nicht der ablösbare mitgeteilte Inhalt desGesagten, sondern der Sprachlaut., Klang undGefalle, und gerade daran wird der Dialekt durchdie hochdeutsche Konvention fast restlos beraubt.Das scheint also der Nachteil zu sein, wennman in einem Dialekt daheim ist, der es nicht zurSchriftsprache gebracht hat. Aber dieser Nachteilhat viele Echos. Es kann einem zwar sovorkommen, als sei es nur traurig, immer diesehochdeutsche Garderobe passieren und darinsoviel zurücklassen zu müssen, aber manchmalkann man sich auch einbilden, daß all das, wasman dieser Umstände wegen nicht sagen kann, eineArt Goldreserve bildet; die liegt dem hochdeutschenPapier zugrunde als eine verschwiegeneDeckung; auf die kann man sich zwar nichtöffentlich berufen, aber man zieht sich auf siezurück, wenn alle übrigen Sinne schon verstörtsind. Der Dialekt ist eben genau so wichtig wie dieuntergegangene Kindheit. DerenUntergegangenheit ist nicht zu bezweifeln.Unbezweifelbar aber ist auch ihre Nachwirkung.Und ihre mächtigste Wirkung tut sie, kommt mirvor, in ihrem treuesten Zeugen: im Dialekt."22}Zweierlei sagt hier der aus Wasserburg amBodensee stammende Schriftsteller: das eine gehtauf das, was der Dialekt für die Sprache des ÜberundUntersprachlichen hergibt, was alles anNichtsagbarem allein schon in der Klangformmitschwingt. Das Zweite ist die„Untergegangenheit“ der Mundart, die doch nichtuntergehen kann so wenig wie die eigene Kindheit.Dies kann aber eigentlich nur für die gelten, dienoch in einer Mundart aufgewachsen sind oder siezum mindesten im Ohre haben.Das erste aber, dieGefühlswerte, sind mehr als nur Erinnerung. Siesind als eine Goldwährung auch in der höherenSprechweise nicht verloren und je umgangssprachlicher,je mundartlicher die Sprache ist, umsostärker ihr Anteil an diesem Unwägbaren, das sovielGewicht hat. Möge diese Goldwährung auch in derlebendigen Gegenwartssprache dieser Stadt undihrer Landschaft stets gut aufgehoben sein, damit inguten und schlechten Zeiten ein Gemeinsames undEigenes vorhanden sei, in welchem man sichgegenseitig erkennt.______________________________1) Joseph Ahlhaus, Die Landdekanate des BistumsKonstanz im Mittelalter, Stuttgart 1929, S. 11 ff.2 ) Fritz Hockenjos, Wanderungen in Alemannien, Lahr1969, S. 12.3 ) Notkers des Dichters (des Stammlers) Hymnenbuch,Lateinisch und Deutsch, hrg. von Wolfram von den Steinen,Kleine Ausgabe, Bern und München 1960, S. 70 f.4 ) Die genauen Nachweise in einer von cand. phil. GerhardSchank vorbereiteten Dissertation „Etymologie und Wortspielin Johann Fischarts Geschichtsklitterung“.5 ) Adolf Socin, Schriftsprache und <strong>Dialekte</strong> im Deutschennach Zeugnissen alter und neuer Zeit, Heilbronn 1888, S. 289ff.

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