„Unser Ziel war und ist es, neue Wege zu gehen.“ Wachstum ...

Editorial
Wohl kaum einer anderen volkswirtschaftlichen Kennzahl
schenken Politik, Wirtschaft und eine interessierte Öffentlichkeit
mehr Beachtung als dem Wirtschaftswachstum. Die
Veränderungsrate des Bruttoinlandsprodukts gilt als der
wichtigste Indikator für die aktuelle ökonomische Kraft –
oder Schwäche – eines Landes. Sie war lange das Erfolgskriterium
schlechthin für gelungene Politik, prosperierende
Unternehmen und gesellschaftlichen Wohlstand. Doch das
einseitige Verständnis von Wachstum als eines „immer weiter,
immer grösser, immer mehr“ wird zunehmend infrage
gestellt. Der Volkswirt Hans Christoph Binswanger etwa,
mit dem wir für diese Ausgabe des „Entrepreneur“ über das
Thema diskutierten, ist einer der renommiertesten Kritiker
eines Wirtschaftsmodells, das allein auf unqualifiziertes
Wachstum setzt. In vielen Industrieländern beschäftigen
sich deshalb mittlerweile hochrangig besetzte Gremien mit
einer neuen Definition von Wachstum und Wohlstand.
Ohne Zweifel müssen Unternehmen wachsen und sich verändern,
wenn sie langfristig im Wettbewerb und am Markt
bestehen wollen. Doch über die Ziele und die Mittel machen
sich gerade Entrepreneure verstärkt Gedanken. „Wir wollten
den Betrieb nicht vergrössern, um mehr Masse zu produzieren“,
sagen beispielsweise die Brüder Frommelt, Holzbauexperten
aus Liechtenstein mit internationaler Kund-
schaft, „sondern um noch spannendere, individuelle Bauvorhaben
aus Holz ohne qualitative Abstriche realisieren zu
können.“ Das uneingeschränkte Bekenntnis zur Qualität
prägt seit jeher auch das unternehmerische Selbstverständnis
von Jean-Claude Rouiller. Mit ultrafeinen und zugleich
hochbiegsamen Bohrern und Fräsen verhilft er vom Zahn-
weh Geplagten so wirkungsvoll wieder zum Lächeln, dass
seine FKG Dentaire seit Jahren Wachstumsraten im zweistelligen
Bereich aufweist. Eine unbesetzte Nische zu entdecken,
bewusst gegen den Strom zu schwimmen, das können
ausserordentlich erfolgreiche Wachstumsstrategien
sein. Den Beweis erbringen etwa John Spence, der mit seiner
Karma Royal Group gerade dort Luxusferienresorts baut,
wo die breiten Touristenströme nicht hinfliessen, oder der
brasilianische Chocolatier Alexandre Costa, der mit der
qualitativ hochwertigen Eigenproduktion von 2 000 Schoko-
Ostereiern den Grundstein zur grössten Schokoladenkette
der Welt legte, weil er sich bewusst an den als Klientel vernachlässigten
Mittelstand seines Landes wandte.
Wachstum meint dabei nicht nur das Unternehmen, sondern
auch die Menschen, die damit zu tun haben. Da ist zunächst
der Entrepreneur selbst, der oft mit der Entwicklung seiner
Firma über sich hinauswächst, aber es sind auch die Mitarbeiter,
deren persönliches Wachstum an herausfordernden
Aufgaben erst ermöglicht, dass das Unternehmen gedeiht.
Rolf Dobelli etwa, erst erfolgreicher Unternehmer, heute
ebenso erfolgreicher Autor, sieht die wichtigste Dimension
seiner persönlichen Weiterentwicklung in der Akkumulation
von Wissen. In diesem Sinn wünsche ich Ihnen eine anregende
Lektüre.
Bruno Chiomento
CEO Ernst & Young (Schweiz)