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Flucht in die rote Welt

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Kirby W<strong>in</strong>ter bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> Schwierigkeiten.Was soll er mit e<strong>in</strong>er alten goldenen Taschenuhr anfangen,<strong>die</strong> ihm se<strong>in</strong> verstorbener Onkel anstelle se<strong>in</strong>esMillionenvermögens vermacht hat? Wie will ersich für Straftaten rechtfertigen, <strong>die</strong> er nicht begangenhat? Und wie soll er sich vor den Nachstellungenschöner Frauen schützen?Kirby W<strong>in</strong>ters Probleme s<strong>in</strong>d alles andere als e<strong>in</strong>fach,bis er das Geheimnis der alten Uhr enträtselt undentdeckt, daß er mit e<strong>in</strong>em Knopfdruck <strong>die</strong> Zeit zumStillstand br<strong>in</strong>gen und sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere <strong>Welt</strong>flüchten kann.Doch auch dort, <strong>in</strong> der <strong>rote</strong>n <strong>Welt</strong>, gibt es Probleme,denen Kirby W<strong>in</strong>ter nicht ausweichen kann.E<strong>in</strong> utopisch-phantastischer Roman mit Humor undSex.


TTB 179JOHN D. MacDONALDFLUCHT IN DIEROTE WELT(THE GIRL, THE GOLD WATCHAND EVERYTHING)Deutsche ErstveröffentlichungMOEWIG-VERLAG MÜNCHENDieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!


Titel des amerikanischen Orig<strong>in</strong>als:THE GIRL, THE GOLD WATCH AND EVERYTHINGAus dem Amerikanischen von Birgit Reß-BohuschCopyright © 1962 by Fawcett Publications, Inc., New YorkPr<strong>in</strong>ted <strong>in</strong> Germany 1970Titelzeichnung: StephanGesamtherstellung: H. Mühlberger, AugsburgDer Verkaufspreis <strong>die</strong>ses Buchesenthält <strong>die</strong> gesetzliche Mehrwertsteuer


1Langsam und mit gezielter Anstrengung kippte Kirbydas Universum wieder an se<strong>in</strong>en richtigen Platz. Erhörte das Echo se<strong>in</strong>er Stimme, e<strong>in</strong> endloses Auf undAb, e<strong>in</strong> Schmerz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em betäubten Hirn. Die Fraugegenüber am Tisch hob sich silhouettenhaft gegendas Fenster ab – e<strong>in</strong> Fenster so groß wie e<strong>in</strong> hochgestellterTennisplatz – und durch das Fenster schimmertee<strong>in</strong> Meer, rosig angehaucht von der Dämmerung(Morgen oder Abend?). Es ließ ihre nackten, gebräuntenSchultern pfirsichfarben ersche<strong>in</strong>en undzauberte helle Reflexe <strong>in</strong> das schwere blonde Haar.Atlantik, dachte er. Sobald das Meer feststand, ließsich auch <strong>die</strong> Zeit leicht erraten. Wenn er <strong>in</strong> Floridawar, mußte es sich um <strong>die</strong> Morgendämmerung handeln.»Du bist Charla«, sagte er vorsichtig.»Natürlich, me<strong>in</strong> lieber Kirby«, erwiderte sie amüsiertund mit gutturaler Stimme. »De<strong>in</strong>e nette neueFreund<strong>in</strong> Charla.«Der Mann saß zu Kirbys L<strong>in</strong>ker, e<strong>in</strong> geschniegelterMann mit Schneideranzug und Wasserscheitel. Erlachte leise vor sich h<strong>in</strong>. »E<strong>in</strong> spanisches Wort«, sagteer. »Charlar. Plaudern. Schwätzen. E<strong>in</strong>e Ironie, dennihr großes Talent liegt nicht im Reden, sondern imZuhören.«»Me<strong>in</strong> großes Talent, Joseph?« fragte sie mit spöttischemStaunen.»De<strong>in</strong> ungewöhnlichstes, me<strong>in</strong>e Liebe. Aber es hatuns beiden Spaß gemacht, Kirby zuzuhören.«Kirby nagelte alles an e<strong>in</strong>e Wand <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kopf,


wie kle<strong>in</strong>e Beweisstücke. Charla, Joseph, Atlantik,Morgendämmerung. Er suchte nach anderen Schlüsseln.Es konnte Samstagmorgen se<strong>in</strong>. Der Beerdigungsgottes<strong>die</strong>nsthatte am Freitag um elf stattgefunden.Die Konferenz mit den Anwälten war um zwei gewesen.Und ab drei hatte er sich vollaufen lassen.Er drehte langsam den Kopf herum und warf e<strong>in</strong>enBlick auf das leere Foyer. E<strong>in</strong> Barkeeper <strong>in</strong> weißerJacke stand unter den Prismenlichtern, <strong>die</strong> <strong>in</strong> derMorgendämmerung blaß wirkten. Er hatte <strong>die</strong> Armeverschränkt und das K<strong>in</strong>n auf <strong>die</strong> Brust s<strong>in</strong>ken lassen.»Ist hier überall <strong>die</strong> ganze Nacht durch geöffnet?«fragte Kirby.»Ganz selten«, me<strong>in</strong>te Joseph. »Aber für e<strong>in</strong> netteskle<strong>in</strong>es Geldgeschenk tun sie viel. E<strong>in</strong>e Freundschaftsgeste.Als sie schließen wollten, hattest du unsnoch soviel zu sagen, Kirby.«Es wurde jetzt heller. Sie sahen ihn liebevoll an. Siewaren besonnene, hübsche Leute. Sie waren <strong>die</strong> beidennettesten Leute, <strong>die</strong> er je kennengelernt hatte. Siehatten e<strong>in</strong>en leichten Akzent, den Hauch von <strong>Welt</strong>erfahrenheit,und sie sahen ihn so warm und lieb an.Plötzlich kam ihm e<strong>in</strong> furchtbarer Verdacht. »Ihr –ihr seid doch nicht etwa von der Presse – oder so etwas?«Sie lachten schallend. »Aber ne<strong>in</strong>, Liebes«, sagteCharla.Er fühlte sich beschämt. »Onkel Omar hat – hatte –e<strong>in</strong>e schreckliche Abneigung gegen jeden Öffentlichkeitsrummel.Wir mußten immer sehr vorsichtig se<strong>in</strong>.Er zahlte e<strong>in</strong>er Firma <strong>in</strong> New York dreißigtausendDollar pro Jahr, damit sie ihm <strong>die</strong> Presse fernhieltund dafür sorgte, daß se<strong>in</strong> Name nicht <strong>in</strong> den Zeitun-


gen erschien. Aber <strong>die</strong> Schnüffler waren immer da.Sobald sie e<strong>in</strong> w<strong>in</strong>ziges Gerücht über Omar Kreppserfuhren, machten sie e<strong>in</strong>e Riesenstory daraus, undOnkel Omar wurde st<strong>in</strong>kwütend.«Charla legte mit warmem Druck ihre Hand über<strong>die</strong> se<strong>in</strong>e. »Aber liebster Kirby, das macht doch jetztnichts mehr, oder?«»Vermutlich nicht.«»Me<strong>in</strong> Bruder und ich s<strong>in</strong>d natürlich ke<strong>in</strong>e Journalisten,aber weißt du auch, daß du dich mit solchenLeuten <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung setzen könntest? Die <strong>Welt</strong>sollte erfahren, was er dir angetan hat und wie er dir<strong>die</strong> Jahre selbstloser Aufopferung gelohnt hat.«Sie war so verständnisvoll. Kirby hätte heulen mögen.Doch dann mahnte ihn e<strong>in</strong> unbequemer kle<strong>in</strong>erGeist zur Ehrlichkeit. »Nicht so ganz selbstlos. Ichme<strong>in</strong>e, wenn man e<strong>in</strong>en fünfzig Millionen schwerenOnkel hat, dann gibt es höhere Motive.«»Aber du hast uns doch erzählt, wie oft du allesh<strong>in</strong>geworfen hast«, me<strong>in</strong>te Joseph. Charla hatte ihreHand zurückgezogen, und Kirby vermißte <strong>die</strong> Wärme.»Ich g<strong>in</strong>g aber immer wieder zurück«, gestand Kirby.»Er sagte mir vor, daß ich se<strong>in</strong> Liebl<strong>in</strong>gsneffe sei,daß er mich brauchte. Wozu? Er beschäftigte mich <strong>die</strong>ganze Zeit über als Laufbursche. Ich kam gar nichtdazu, e<strong>in</strong> eigenes Leben zu führen. Verrückte Botengängeauf der ganzen <strong>Welt</strong> – elf Jahre lang, seit ichaus dem College kam. Und selbst dort bestimmte er<strong>die</strong> Vorlesungen, <strong>die</strong> ich hören sollte. Der Alte hatme<strong>in</strong> ganzes Leben regiert.«»Du hast es uns erzählt, Liebes«, sagte Charla mitzitternder Stimme. »All <strong>die</strong> Jahre der H<strong>in</strong>gabe!«»Und dann – ke<strong>in</strong>en Penny.« Joseph war sehr ernst.


Es war jetzt so hell, daß Kirbys Augen schmerzten.Er gähnte. Als er <strong>die</strong> Augen wieder öffnete, standenJoseph und Charla. Joseph g<strong>in</strong>g zum Barkeeper, undCharla nahm Kirby an der Schulter. »Komm, Liebes.Du bist ganz fertig.«Er g<strong>in</strong>g mit ihr durch <strong>die</strong> große Glastür <strong>in</strong> e<strong>in</strong>fremdes Foyer, ohne auch nur e<strong>in</strong>e Frage zu stellen.Als sie noch e<strong>in</strong> paar Meter von den Lifts entfernt waren,blieb er stehen. Sie sah fragend zu ihm auf. IhrGesicht war so makellos – <strong>die</strong> Augen groß und graugrün,<strong>die</strong> Lippen feucht schimmernd und halb geöffnet,<strong>die</strong> Pfirsichhaut e<strong>in</strong>en Ton dunkler als das Haar –daß er ganz vergaß, was er hatte sagen wollen.»Liebl<strong>in</strong>g?« fragte sie.»Ich bleibe doch nicht hier, oder?«»Joseph fand, daß es besser so sei.«»Wo ist er?«»Wir haben uns von ihm verabschiedet, Kirby.«»Tatsächlich?«»Komm jetzt, Liebes.«Der Aufzug kletterte durch e<strong>in</strong> köstliches, kuscheligesSchweigen. Kirby schwebte durch e<strong>in</strong>en langenKorridor. Sie nahm e<strong>in</strong>en Schlüssel aus e<strong>in</strong>er glitzerndenAbendtasche und ließ Kirby vorangehen. Sieschloß <strong>die</strong> Jalousien vor dem Morgenlicht und führteihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Schlafzimmer. Das Bett war gemacht. E<strong>in</strong>neuer Schlafanzug und nagelneue Toilettenartikel lagendarauf.»Joseph denkt an alles«, sagte sie. »Früher e<strong>in</strong>malbesaß er e<strong>in</strong> paar Hotels, aber als ihm das zu langweiligwurde, verkaufte er sie. Kirby, me<strong>in</strong> Liebes, dumußt e<strong>in</strong>e heiße Dusche nehmen. Dann wirst du gutschlafen.«


Als er zurückkam, <strong>in</strong> den neuen Schlafanzug gehüllt,wartete sie bereits auf ihn. Sie hatte e<strong>in</strong>en goldfarbenenMorgenmantel aus e<strong>in</strong>em sehr weichen Material übergestreiftund ihr Haar gelöst. Ohne <strong>die</strong> hochhackigenSchuhe kam sie ihm sehr kle<strong>in</strong> vor. Der Mantel warhauteng und enthüllte e<strong>in</strong>e Figur, bei der den Fotografengewisser Zeitschriften <strong>die</strong> Brillengläser angelaufenwären. Kirby sah nur noch Kurven. Er hatte das Gefühl,daß ihm jemand mit e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Gummihammerim schnellen Rhythmus auf den Kopf schlug.Aber man hatte se<strong>in</strong>e Verpflichtungen. E<strong>in</strong>er Frau wie<strong>die</strong>ser, reif, zart, luxuriös und makellos, durfte mannicht wie e<strong>in</strong> tapsiger Liebhaber kommen. Gewappnetmit der Er<strong>in</strong>nerung an zahllose Cary-Grant-Filmeschlenderte er auf sie zu, e<strong>in</strong> zärtliches, wissendesund angemessen voluptiöses Lächeln auf den Lippen.Aber er stieß mit den nackten Zehen gegen das grausamharte Be<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>en Tischchens. Mit e<strong>in</strong>emSchmerzgeheul taumelte er, aus dem Gleichgewichtgebracht, auf <strong>die</strong> Frau zu und umf<strong>in</strong>g sie – mehr <strong>in</strong>der Absicht, sich vor dem Fall zu schützen als sich ihrzu nähern. Der stürmische Angriff erschreckte sie,und sie sprang zur Seite. E<strong>in</strong>e se<strong>in</strong>er wild ruderndenHände erwischte den Goldstoff, der nach e<strong>in</strong>igemWiderstreben krachend nachgab und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Handblieb. Kirby sah noch, wie Charla stolperte, sich <strong>in</strong>sBett s<strong>in</strong>ken ließ und <strong>in</strong> den Kissen verschwand.Er setzte sich auf, warf den Goldstoff zur Seite,packte se<strong>in</strong>en verletzten Fuß mit beiden Händen undstöhnte leise vor sich h<strong>in</strong>.Ihr Wuschelkopf erschien über dem Kissenberg. Siesah ihn mit großen Augen an. »Liebl<strong>in</strong>g!« sagte sie.»Du bist so impulsiv.«


Er starrte sie mit schmerzverzerrter Miene an. »Seibitte still! Das passiert mir nun seit me<strong>in</strong>er frühen Jugendjedesmal von neuem. Ich kann auf de<strong>in</strong>e Witzewirklich verzichten.«»Du machst das immer so?«»Ich mache immer irgend etwas. Gewöhnlich renneich e<strong>in</strong>fach davon. Im Sommer 58 begleitete ich e<strong>in</strong>eschöne Frau zu ihrer Suite im siebten Stock des Cont<strong>in</strong>entalHilton <strong>in</strong> Mexiko City. Drei M<strong>in</strong>uten, nachdemich <strong>die</strong> Tür h<strong>in</strong>ter uns geschlossen hatte, brache<strong>in</strong> Erdbeben los. Der Verputz rieselte von der Deckt.Das Hotel bekam e<strong>in</strong>en Riß. Wir mußten uns <strong>in</strong> derDunkelheit nach unten tasten – und <strong>die</strong> Treppe warübersät mit Scherben. Also, sei bitte still, Charla.«»Wirf mir me<strong>in</strong>en Mantel zu, Liebes.«Er ballte ihn zusammen und warf. Dann humpelteer zum Bett und setzte sich. Sie setzte sich neben ihn.Der Mantel hüllte sie e<strong>in</strong>.»Armer Kirby«, sagte sie.»Natürlich.«Sie tätschelte se<strong>in</strong>en Arm und begann zu kichern.»Ich wurde bisher noch nie im Leben so rasch ausgezogen.«»Sehr witzig.«Sie stupste se<strong>in</strong> K<strong>in</strong>n an und drehte se<strong>in</strong>en Kopf soherum, daß er ihr <strong>in</strong> <strong>die</strong> Augen sehen mußte. E<strong>in</strong>enMoment lang wirkte sie sehr traurig. »Du bist e<strong>in</strong>eechte Versuchung für mich, Liebes. Weil du so süßund goldig bist. Die wenigsten Männer s<strong>in</strong>d heutzutageso wie du.«»Wenn alle so wie ich wären, stünde das Fortlebenunserer Rasse auf dem Spiel.«Sie zog ihn näher zu sich heran. Er küßte sie, zuerst


verschämt, doch dann mit wachsender Begeisterung.Als er sie schließlich umarmen wollte, schob sie ihnmit e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Grimasse weg. »Ne<strong>in</strong>, Liebes, Josephund ich mögen dich sehr gern. Du hast e<strong>in</strong>escheußliche Zeit h<strong>in</strong>ter dir, und Joseph sagte, daß ichmich um dich kümmern sollte. Nun spr<strong>in</strong>g schon <strong>in</strong>sHeia-Bett, zieh <strong>die</strong> Pyjama-Jacke aus und lege dichauf den Bauch. Me<strong>in</strong>e Massage wird dir guttun.«»Aber ...«»Liebl<strong>in</strong>g, sei bitte nicht lästig. Wir wollen dochunsere Freundschaft nicht so rasch platzen lassen ...«»Wenn du es so me<strong>in</strong>st ...«»Pst. Du wirst schon noch me<strong>in</strong> Liebhaber, vielleichtbald. Wer weiß? Die Spannung hat auch ihreReize. Und nun sei e<strong>in</strong> braver Junge.«Er legte sich auf den Bauch. Sie knipste alle Lichterbis auf e<strong>in</strong>es aus, goß etwas Kühles und Aromatischesüber se<strong>in</strong>en Rücken und knetete se<strong>in</strong>e Muskelnmit kräftigen F<strong>in</strong>gern durch.»Du hast großartige Muskeln, Liebes.«»So?«»Dynamische Anspannung.«»Was?«»Oh. Und jetzt ganz lockerlassen. Gib dich derDunkelheit h<strong>in</strong>, Kirby. Und dem Gefühl. Nur demGefühl.«»Hmm.«»Ausruhen, Liebes, ausruhen.«Ihre sanften Hände streichelten <strong>die</strong> ganze Anspannungfort. Er war so völlig erschöpft, daß er am liebstensofort <strong>in</strong> tiefen Schlaf versunken wäre. Aber ihreBerührung, ihre sanfte Stimme, das Bewußtse<strong>in</strong> ihrererotischen Ausstrahlung ließen ihn weiter auf der


Oberfläche der Träume dah<strong>in</strong>gleiten. Sie summte,und <strong>die</strong> Melo<strong>die</strong> kam ihm bekannt vor. Irgende<strong>in</strong>ausländischer Film, wenn er sich nicht täuschte.Er dachte an <strong>die</strong> Nacht vom Mittwoch. Wie langewar das jetzt her? Siebenundfünfzig Stunden? Ja. Dahatte ihn <strong>die</strong> Nachricht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Hotel <strong>in</strong> Montevideoerreicht. Der alte Herr war tot. Omar Krepps.Onkel Omar. Es schockierte ihn irgendwie, daß derTod es fertiggebracht hatte, se<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>ger nach demmerkwürdigen kle<strong>in</strong>en Mann auszustrecken.Während er an <strong>die</strong> Rückreise dachte, sank er tiefer<strong>in</strong> den Schlaf. Die Düsen dröhnten, und er spürte vage,wie Charla ihm <strong>die</strong> Pyjama-Jacke anzog. Ihre Lippenschlossen sich über se<strong>in</strong>em Mund, doch als erCharla an sich ziehen wollte, war sie verschwunden.


2Kirby wurde von e<strong>in</strong>em schlaksigen jungen Mädchen,das er noch nie zuvor gesehen hatte, aus dem Schlafgerüttelt. Alle Lichter im Zimmer waren e<strong>in</strong>geschaltet.Er stützte sich auf. Sie umrundete das Bett soschnell, daß es schwer war, sie im Sichtkreis zu behalten.Sie kreischte ihn an, und <strong>die</strong> Worte ergabenke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n. Sie hatte e<strong>in</strong>e wilde, weißblonde Mähne,wütende grüne Augen und e<strong>in</strong> hageres Gesicht, daszornrot aussah. Sie trug e<strong>in</strong> korallen<strong>rote</strong>s Hemd, enge,gestreifte Hosen und e<strong>in</strong>e Strohtasche <strong>in</strong> der Größee<strong>in</strong>er Wirbeltrommel.Es dauerte e<strong>in</strong>e ganze Zeitlang, bis er erkannte, daßsie ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er fremden Sprache anschrie.Als sie endlich Luft holte, sagte er schwach: »Nocomprendo, Señorita.«Sie schaltete sofort auf e<strong>in</strong>en spanischen Wortschwallum. Er selbst sprach ganz gut Spanisch, aberso gut auch wieder nicht. E<strong>in</strong>es war ihm allerd<strong>in</strong>gsklar: Ihre Idiome hätten jeden Taxichauffeur von MexikoCity <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Flucht</strong> getrieben.»Mas despacio, por favor«, bettelte er, als sie wiederLuft holte.Sie sah ihn aus schmalen Augen an. »Genügt vielleichtEnglisch?«»Wozu?«»Wo ist me<strong>in</strong>e verflixte Tante, und was zum Teufelbildet sie sich eigentlich e<strong>in</strong>, mich von der erstenduften Fernsehrolle wegzuschleppen, <strong>die</strong> mir heuerangeboten wurde? Sie kann mich doch nicht e<strong>in</strong>fachherholen, als wäre ich ihre Sklav<strong>in</strong>! Und wo ist <strong>die</strong>ser


widerliche Joseph, Freund? Wagen Sie es nicht, <strong>die</strong>beiden zu verleugnen. Ich b<strong>in</strong> noch immer mit Charlasschleimigen Sekretär-Typen fertig geworden. Los,heraus mit den Tatsachen, und möglichst fix!«Die Nase mit den zitternden Nasenflügeln war nurZentimeter von ihm entfernt. »Na? Tatsachen, Kamerad!«Sie hatte e<strong>in</strong>en schwachen Akzent, und irgendwiekam er ihm vertraut vor.»Ich glaube, Sie s<strong>in</strong>d im falschen Zimmer.«»Sie glauben es, und ich weiß es. Ich b<strong>in</strong> hergekommen,weil <strong>die</strong> anderen Räume der Suite leer s<strong>in</strong>d– deshalb b<strong>in</strong> ich im falschen Zimmer.«»Suite?«Sie stampfte mit dem Fuß. »Suite! Jawohl, Suite.Me<strong>in</strong> Gott, nun spuren Sie doch endlich, Kamerad.Kommen Sie zurück <strong>in</strong> <strong>die</strong> Wirklichkeit. Diese protzigeSuite bef<strong>in</strong>det sich im Hotel Elise, Miami Beach, imachten Stock und ist gemietet auf den Namen me<strong>in</strong>erunseligen Tante Charla Maria Markopoulo O'Rourke.Ich mußte zwanzig Dollar Tr<strong>in</strong>kgeld berappen, bisman mich endlich here<strong>in</strong>ließ, und das, nachdem ichden ganzen Weg von der Küste bis hierher per Flugzeugzurücklegte.«»Charla!« sagte er. Er wußte, wo er war und weshalbihm der Akzent des Mädchens bekannt vorgekommenwar. Bis zu <strong>die</strong>sem Augenblick hatte er geglaubt,<strong>in</strong> Montevideo zu se<strong>in</strong>. »Onkel Omar ist tot«, sagte er.»Mit dem idiotischen Kode können Sie bei mir garnichts erreichen. Ich habe mich längst von CharlasHaien getrennt. Kle<strong>in</strong>-Filiatra hat ihren Namen undihr Aussehen geändert, weil sie es bis obenh<strong>in</strong> satthatte, Charlas dreckige kle<strong>in</strong>e Tricks mitzumachen.


Ich b<strong>in</strong> jetzt Betsy Alden, amerikanische Staatsbürger<strong>in</strong>und e<strong>in</strong>e gute Schauspieler<strong>in</strong>, und wenn sie michnicht sofort wieder freiläßt, schüttle ich ihr das Hirnaus dem Kopf.«»Wenn Sie e<strong>in</strong> Stückchen zurückg<strong>in</strong>gen, könnte ichbesser denken.«Sie g<strong>in</strong>g ans Fußende des Bettes und starrte f<strong>in</strong>sterauf ihn herab. »Wo ist sie?«»Hören Sie, Sie sche<strong>in</strong>en zu glauben, daß ich für siearbeite.«»Bitte, versuchen Sie es nicht auf <strong>die</strong> schlaue Tour,Kamerad.«»Also, Ehrenwort, me<strong>in</strong> Name ist Kirby W<strong>in</strong>ter. Ichhatte gestern e<strong>in</strong>en schrecklichen Tag. Ich glaube, ichwar betrunken. Ich habe Charla gestern nacht irgendwokennengelernt. Ich wußte nicht e<strong>in</strong>mal, wiesie mit Nachnamen heißt. Ich habe ke<strong>in</strong>e Ahnung, wosie ist. Und ich habe ebenfalls ke<strong>in</strong>e Ahnung, wovonSie sprechen.«Das Mädchen sah ihn an und nagte an der Unterlippe.Das Mißtrauen und der Zorn schwanden langsam.Und dann betrachtete sie ihn mit kühler, spöttischerVerachtung.»Das tut mir aber schrecklich leid, Mister W<strong>in</strong>ter.Ich hätte mir denken können, daß Sie nicht zum Teamgehören. Sie sehen nicht klug genug aus. Mehr derTyp des Spielgefährten. Muskulös, ernsthaft und ordentlich.Aber daß Sie nicht mal ihren Namen wußten?Du liebe Güte! Charla bekommt wohl Torschlußpanik.Sagen Sie, ist sie nicht etwas zu alt fürSie?«Die Verachtung war noch schlimmer als ihr unerklärlicherZorn.


»Aber ich ...«»Melden Sie sich im Lohnbüro, bevor Sie entlassenwerden, Mister W<strong>in</strong>ter. Sie ist mit Tr<strong>in</strong>kgeldern sehrgroßzügig.«Das Mädchen wirbelte herum und schlug <strong>die</strong> Türh<strong>in</strong>ter sich zu. Der Knall setzte sich bis <strong>in</strong> <strong>die</strong> fernstenW<strong>in</strong>dungen se<strong>in</strong>es verkaterten Gehirns fort undbrachte se<strong>in</strong>en Magen <strong>in</strong> Unordnung. Kalter Schweißbrach ihm aus. Er legte sich zurück und schloß <strong>die</strong>Augen, während er gegen <strong>die</strong> Übelkeit ankämpfte. Erwollte, das Mädchen hätte trotz se<strong>in</strong>es moralischenKollers <strong>die</strong> Lichter ausgeschaltet. Ob es wohl möglichwar, daß man verdurstete, während man von Magenkrämpfengeschüttelt wurde? Gleich würde eraufstehen und <strong>die</strong> Lichter ausschalten ...*Durch <strong>die</strong> geschlossenen Jalousien drang Tageslicht.Die Lichter waren ausgeschaltet. Er stand auf und tastetesich zum Bad. Er warf e<strong>in</strong>en Blick auf <strong>die</strong> automatischeUhr. Sie war stehengeblieben. Er fühlte sichausgeruht, durstig und hungrig. Er sah <strong>in</strong> den Spiegelund erblickte leicht verschleiert se<strong>in</strong> milde lächelndesGesicht mit e<strong>in</strong>em beträchtlichen Stoppelbart. Erfragte sich, ob er das mit dem Mädchen nicht nur geträumthatte. Ebenso das von Montevideo und derBeerdigung. Daß <strong>die</strong> Sache mit Charla ke<strong>in</strong> Traumgewesen se<strong>in</strong> konnte, wußte er mit absoluter Sicherheit.Er er<strong>in</strong>nerte sich an se<strong>in</strong>e Erbschaft und war sofortkummervoll und niedergeschlagen. Aber <strong>die</strong>seStimmung hielt nicht lange an.Nach der langen Dusche, der Rasur mit dem fun-


kelnagelneuen Apparat, dem Gurgeln und dem Zähneputzenschlang er sich e<strong>in</strong> großes Handtuch um <strong>die</strong>Hüften und g<strong>in</strong>g zurück <strong>in</strong>s Schlafzimmer. Jemandhatte <strong>die</strong> Jalousien hochgezogen. Goldener Sonnenlichtströmte here<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> großes Glas mit eisgekühltemOrangensaft stand auf dem Nachttischchen, unddaneben lag e<strong>in</strong>e Notiz – violette T<strong>in</strong>te auf elegantemblaugrauem Papier. Er entzifferte <strong>die</strong> e<strong>in</strong>graviertenInitialen C.M.M.O'R. Es wirkte wie e<strong>in</strong>e verrückteAbkürzung von Commodore, und ihm wurde klar,daß er <strong>die</strong> Sache mit dem wütenden Mädchen nichtgeträumt hatte. Charla Maria MarkonochwasO'Rourke.»Kirby, Liebes. Ich hörte <strong>die</strong> Dusche. Du armer Kerlmußt wirklich am Ende de<strong>in</strong>er Kräfte gewesen se<strong>in</strong>.He<strong>in</strong>zelmännchen werden gleich mit e<strong>in</strong>er Art Care-Paket zu dir kommen. De<strong>in</strong>e Kleider habe ich weggeschafft,nachdem ich den Taschen-Inhalt auf <strong>die</strong> Spiegelkommodelegte. Die Pakete im Sessel s<strong>in</strong>d für dich.Ich habe <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge gestern abend rasch noch im Ladenunten besorgt. Wenn <strong>die</strong> Bestie gefüttert und frisiertist, kann sie sich auf den Sonnenbalkon begeben.Ich warte dort. Ob du gut geschlafen hast, braucheich gar nicht erst zu fragen. Guten Morgen, Liebl<strong>in</strong>g.De<strong>in</strong>e Charla.«Er sah aus dem Fenster. Es lag im Osten. Die Türzum Hauptraum der Suite war angelehnt. Er hob denTelefonhörer ab und fragte nach der Uhrzeit. »Zwölfnach zehn an e<strong>in</strong>em herrlichen Sonnensonntag <strong>in</strong> Florida«,sagte das Mädchen schnippisch.Siebenundzwanzig Stunden <strong>in</strong> der Falle, schätzteer. Er trat an den Sessel und wühlte <strong>in</strong> den Paketenumher. Weiße Nylongittershorts, Größe 4. Stimmte


genau. Strohsandalen. Bequem. Graue lange Hose mitAufschlag, bügelfrei. Saß tadellos <strong>in</strong> der Taille. E<strong>in</strong>kurzärmeliges Sporthemd mit Buttondown-Kragen.Sehr modisch. Aber <strong>die</strong> Farben – schmale bunte Streifen,durch Schwarz vone<strong>in</strong>ander abgesetzt!Während er das Hemd zuknöpfte, klopfte jemandan <strong>die</strong> Tür. Zwei lächelnde Kellner kamen mit e<strong>in</strong>emriesigen Wagen here<strong>in</strong> und breiteten e<strong>in</strong> duftendesFrühstück vor ihm aus. Sie hatten nicht e<strong>in</strong>mal <strong>die</strong>Sonntagszeitung vergessen. Er versuchte <strong>die</strong> Tatsachezu verbergen, daß er hungrig wie e<strong>in</strong> Wolf war. Es istalles <strong>in</strong> Ordnung, Sir. Vielen Dank, Sir. Brauchen Sienoch etwas, Sir? Er wollte, daß sie g<strong>in</strong>gen, bevor ersich <strong>die</strong> Eier mit den F<strong>in</strong>gern <strong>in</strong> den Mund stopfte.»Soll ich den Champagner gleich öffnen, Sir?«»Den was?«»Den Champagner, Sir.«»Oh, natürlich. Den Champagner. Lassen Sie ihnso, wie er ist.«Erst nachdem das Tablett leergeräumt war, warf ere<strong>in</strong>en Blick <strong>in</strong> <strong>die</strong> Zeitung. Aber er konnte sich nichtkonzentrieren. Zu viele Rätsel waren ungelöst. Erdrehte sich um und hob den Champagner aus demEiskübel. Es war e<strong>in</strong>e elegante, bis oben gefüllte Flasche.Er wickelte sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e frische Serviette, als er <strong>die</strong>beiden Gläser auf dem Servierwagen bemerkte.E<strong>in</strong>en deutlicheren H<strong>in</strong>weis brauchte er nicht. Ernahm <strong>die</strong> Flasche und <strong>die</strong> Gläser und machte sich mite<strong>in</strong>em ungeheuer weltmännischen Gefühl auf <strong>die</strong> Suchenach Charla O'Rourke. Er fand e<strong>in</strong> leeres Schlafzimmerohne Sonnenbalkon. Er fand e<strong>in</strong> zweites undviel größeres Schlafzimmer mit offener Verandatür.Er g<strong>in</strong>g lächelnd <strong>in</strong> <strong>die</strong> grelle Sonne h<strong>in</strong>aus und


überlegte sich e<strong>in</strong>e elegante Wendung zur Eröffnungdes Gespräches. Charla lag auf dem Rücken – auf e<strong>in</strong>ergroßen, breiten Camp<strong>in</strong>gliege, <strong>die</strong> Hände überden Augen. Die Sonne hatte ihre goldene Haut gerötet.Sie glänzte vor Öl.Er stand da und glotzte sie an. Die elegante Wendungwar vergessen. Gerade noch rechtzeitig hielt er<strong>die</strong> Flasche fest. Charla schien zu schlafen. Zum<strong>in</strong>destatmete sie tief und langsam. Sie trug e<strong>in</strong> lächerlichw<strong>in</strong>ziges Höschen, weiße Plastikschalen über denAugen und e<strong>in</strong> Handtuch, das sie wie e<strong>in</strong>en Turbanum den Kopf geschlungen hatte. Er stand wie e<strong>in</strong> Eselda. Das Geräusch der Brandung klang herauf, dasVerkehrsdröhnen der Coll<strong>in</strong>s Avenue, gedämpfteMusik. Überhaupt nicht dick, dachte er. Muskulöswie e<strong>in</strong>e Akrobat<strong>in</strong>, aber irgendwie zu viele Kurven.Mehr Kurven, als e<strong>in</strong>e normale Frau haben sollte.Sie nahm <strong>die</strong> Plastikschalen von den Augen undsetzte sich auf. Sie lächelte ihn an. »Armer Liebl<strong>in</strong>g,du mußt ja so erschöpft gewesen se<strong>in</strong>.«»Gah!« flüsterte er heiser.»Und du hast den Champagner mitgebracht. Wielieb von dir! Ist etwas? Ach so, natürlich. Das Puritaner-Syndrom.«Sie griff nach e<strong>in</strong>er kurzen weißenFrotteejacke und zog sie gemächlich an. Er wußtenicht, was ihm lieber war – e<strong>in</strong>e zugeknöpfte oder e<strong>in</strong>eoffene Jacke. Charla ließ sie offen. »Wir s<strong>in</strong>d so oft<strong>in</strong> Cannes, daß ich <strong>die</strong> verrückten Tabus ganz vergesse.So, du kannst jetzt wieder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere Richtungsehen, me<strong>in</strong> lieber Junge. Glaubst du, daß es für heutereicht?«»Gah?«Sie drückte mit dem Daumen <strong>in</strong> ihren rosigen Schen-


kel. Sie sahen beide zu, wie der weiße E<strong>in</strong>druck langsamverschwand. Sie sahen aufmerksam zu. »Müßtereichen«, sagte sie. »Manche Leute f<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>e dunkleBräunung sehr attraktiv, aber sie verändert das Hautgewebeund macht es schneller alt.« Sie erhob sich geschmeidigund g<strong>in</strong>g an ihm vorbei <strong>in</strong> das große Schlafzimmer.»Komm nur, Liebes«, sagte sie. Er folgte ihrmit der Flasche und den beiden Gläsern, ohne auchnur e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigen Gedanken formen zu können.Er sah nicht, daß sie stehengeblieben war. Se<strong>in</strong>eAugen hatten sich noch nicht an das verhältnismäßigeDunkel im Innern gewöhnt. Er stieß gegen sie, undunter dem plötzlichen E<strong>in</strong>fluß von Öl, Parfum undKörperwärme ließ er sich <strong>die</strong> Flasche auf den Fußfallen. Er stolperte zurück, hielt sich an ihrer Schulterfest und riß sie mit sich über e<strong>in</strong>en Fußschemel. Siesagte etwas <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sprache, <strong>die</strong> er nicht verstand. Irgendwiewar er froh, daß er sie nicht verstand.Sie rappelte sich hoch und hob <strong>die</strong> unzerbrocheneFlasche wieder auf. »Wenn du das Herumhampelnaufhören könntest, wäre ich dir für e<strong>in</strong> Glas Champagnersehr dankbar.«»Es tut mir leid.«»E<strong>in</strong> Glück, daß du mit de<strong>in</strong>en neckischen Scherzengewartet hast, bis wir vom Balkon weg waren.«»Charla, ich b<strong>in</strong> doch nur ...«»Ich weiß, Liebl<strong>in</strong>g.« Sie ließ den Pfropfen knallen.Der Champagner schäumte <strong>in</strong> <strong>die</strong> Gläser. Sie stellte<strong>die</strong> Flasche ab, nahm e<strong>in</strong> Glas, nippte daran und betrachteteKirby nachdenklich. »Bei dir werde ich baldKrücken brauchen. So, gib mir noch e<strong>in</strong> Glas undwarte dann, bis ich das Öl abgewaschen habe. Traustdu es dir zu, mir den Rücken abzuseifen?«


»Gah.«»Ne<strong>in</strong>, riskieren wir es lieber nicht. Paß auf, Kirby.Dir tropft Champagner vom K<strong>in</strong>n. Warte nebenan aufmich.«Er trug <strong>die</strong> Flasche und das Glas <strong>in</strong> das großeWohnzimmer. Se<strong>in</strong>e Knie waren weich wie Watte. Ersetzte sich vorsichtig, trank se<strong>in</strong> Glas leer undschenkte sich noch e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>. Wo er auch h<strong>in</strong>sah, immerhatte er Charlas Bild vor Augen – verkle<strong>in</strong>ert, <strong>in</strong>strahlendem Kodachrome, <strong>die</strong> glatte Haut, <strong>die</strong>schweren, rosigen Brüste und dah<strong>in</strong>ter der tropenblaueMorgenhimmel.Wenn er heftig den Kopf schüttelte, verwischte sichdas aufdr<strong>in</strong>gliche Bild. Er schüttelte ihn heftig undimmer heftiger. Schließlich purzelte es h<strong>in</strong>unter <strong>in</strong>se<strong>in</strong>en wirren Gedächtniskram. Dort lag es nun obenauf,jederzeit greifbar.Er hörte, wie das Wasser abgedreht wurde, und alser sich vorstellte, wie sie <strong>in</strong> <strong>die</strong> Fluten stieg, stöhnteer. Danke, Onkel Omar, vielen Dank. Danke, daß du e<strong>in</strong>emhilflosen Jungen e<strong>in</strong>e so gründliche Abscheu vor demweiblichen Geschlecht e<strong>in</strong>getrichtert hast, daß er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>emzweiunddreißigsten Lebensjahr ke<strong>in</strong>er halbnackten Fraugegenübertreten kann, ohne Fußkrämpfe zu bekommen und»Gah!« zu sagen.Aber er hatte den schwachen Verdacht, daß aucherfahrenere Männer bei Charlas Reizen weiche Kniebekommen hätten.Er wußte sehr wohl über se<strong>in</strong>en Komplex Bescheid.Die Suche nach sexueller Selbstbetätigung wurdeallmählich zur Zwangsvorstellung. In <strong>die</strong>ser <strong>Welt</strong>, <strong>die</strong>Hugh Hefner gemacht hatte, schien er der e<strong>in</strong>zige zuse<strong>in</strong>, der immer leer ausg<strong>in</strong>g. Und es war von se<strong>in</strong>er


Seite her betrachtet weniger Sexhunger als gekränkterStolz.Frauen fanden ihn e<strong>in</strong>igermaßen nett. Und erkonnte sich mit ihnen unterhalten und mit ihnen flirten,ohne zu verraten, daß ihm e<strong>in</strong>e entscheidendeLebenserfahrung fehlte. Aber da war se<strong>in</strong>e verdammteSchüchternheit. Wie sollte er es beg<strong>in</strong>nen?Bei Situationen, wo es e<strong>in</strong>e Menge lediger Damengab, half er sich meist mit e<strong>in</strong>em Trick. Er erwecktebei jeder se<strong>in</strong>er Anbeter<strong>in</strong>nen den Ansche<strong>in</strong>, sehr <strong>in</strong>timmit e<strong>in</strong>er der anderen Anwesenden zu se<strong>in</strong>.Aber selbst wenn er es e<strong>in</strong>mal schaffte, se<strong>in</strong>eSchüchternheit zu überw<strong>in</strong>den und zum Angriff vorzugehen,scheiterte das Unternehmen hoffnungslos.Er war ke<strong>in</strong> geborener Clown, aber er hatte schon zuviele Niederlagen e<strong>in</strong>gesteckt und war dadurch nervösgeworden.Manchmal spielte ihm <strong>die</strong> Natur e<strong>in</strong>en Streich. Sowie damals bei dem Erdbeben. Fast hätte er glaubenkönnen, verhext zu se<strong>in</strong>.Manchmal, wie letztes Jahr <strong>in</strong> Rom mit Andrea, sahes wie Zufall aus. Er hatte sie aus e<strong>in</strong>er grölendenMenge gerettet, <strong>die</strong> sie mit Elisabeth Taylor verwechselthatte. Sie hatten sich anschließend glänzend unterhalten.Sie wohnten im gleichen Hotel, im gleichenStockwerk. Sie war alle<strong>in</strong> und versuchte sich von e<strong>in</strong>erfürchterlichen Ehe und e<strong>in</strong>er widerlichen Scheidungzu erholen. Es verstand sich, daß er <strong>die</strong> paarSchritte zu ihrem Zimmer gehen und an ihre Türklopfen würde – und daß sie öffnen würde.Die Aussicht erschreckte ihn. Er hatte sich zu glattund weltmännisch gegeben. Wahrsche<strong>in</strong>lich erwartetesie Erfahrung und kont<strong>in</strong>entalen Charme. Und


das war viel verlangt – von e<strong>in</strong>em Mann, der se<strong>in</strong>e ersteund e<strong>in</strong>zige Affäre vor zwölf Jahren gehabt hatteund nur mit Schamröte daran zurückdachte, wie sehrer das pockennarbige kle<strong>in</strong>e Mädchen damals enttäuschthatte.Obwohl er nur <strong>die</strong>se e<strong>in</strong>e Erfahrung hatte – angesichtse<strong>in</strong>er Frau, <strong>die</strong> man für <strong>die</strong> Liz halten konnte –,beschloß er, <strong>die</strong>smal nicht aufzugeben. Nach e<strong>in</strong>emheißen Bad zog er se<strong>in</strong>en Morgenmantel an und g<strong>in</strong>gmit entschlossenem K<strong>in</strong>n barfuß im Zimmer auf undab. Mit e<strong>in</strong>em Ruck wandte er sich der Tür zu, marschierte<strong>in</strong> den Korridor h<strong>in</strong>aus und schlug <strong>die</strong> Türentschlossen zu. Er hatte vergessen, daß sie e<strong>in</strong> automatischesSchloß besaß und daß <strong>die</strong> Schlüssel dazuauf se<strong>in</strong>em Schreibtisch lagen. Obendre<strong>in</strong> hatte er denSaum se<strong>in</strong>es Morgenmantels e<strong>in</strong>geklemmt. Vielleichtgab es irgendwo auf der <strong>Welt</strong> Männer, <strong>die</strong> den Mutbesaßen, auch ohne an <strong>die</strong> Tür e<strong>in</strong>er Dame zu klopfen.Zum<strong>in</strong>dest brauchten sie den Zweck ihres Besuchesnicht durch lange E<strong>in</strong>leitungen zu erklären. AberKirby W<strong>in</strong>ter gehörte nicht zu ihnen.Er zog <strong>die</strong> Nase kraus und nippte an se<strong>in</strong>emChampagner. Du bist e<strong>in</strong> Clown und e<strong>in</strong> Feigl<strong>in</strong>g,Kirby W<strong>in</strong>ter – e<strong>in</strong> lausiger, neurotischer, wirrerClown – und doch spielst du den Frauen vor, duwärst e<strong>in</strong> Lustmolch. Gah!Charla betrat das Zimmer. Sie setzte sich <strong>in</strong> <strong>die</strong>Couchecke neben ihn, bevor er daran dachte, aufzustehen.Sie hatte ke<strong>in</strong>e Schuhe an. Sie trug e<strong>in</strong>en bonbonfarbenenBH und e<strong>in</strong>e rosa Schleife im Haar.Wenn er sie nicht direkt ansah, wirkte sie wie fünfzehn.E<strong>in</strong> bißchen stark entwickelt, aber nicht älter alsfünfzehn. Nur bei genauem H<strong>in</strong>sehen entdeckte man


<strong>die</strong> Falten am Hals und <strong>die</strong> L<strong>in</strong>ien um den Mund.»Noch e<strong>in</strong>es, Liebes«, sagte sie und hielt ihm ihrleeres Glas entgegen. Er füllte es und stellte <strong>die</strong> Flaschewieder <strong>in</strong> den Eiskübel. »Das Hemd ist wirklichsehr hübsch.«»Danke. Mir gefällt es auch. Ebenso <strong>die</strong> anderenSachen. Aber ich kann das wirklich nicht annehmen...«Sie schnitt e<strong>in</strong>e Grimasse. »Warum denn plötzlichso spießig? Bist du immer sauer, wenn du aufwachst?Ich meistens. Deshalb habe ich dich auch alle<strong>in</strong> gelassen,me<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Kirby.«»Ne<strong>in</strong>. Nicht gerade sauer. Es ist nur ...«»Es hätte nicht genügt, de<strong>in</strong>en Anzug nur aufbügelnzu lassen. Er kommt heute nachmittag zusammenmit der Krawatte, den Socken und dem übrigenZeug. De<strong>in</strong> Hemd habe ich weggeworfen. Hoffentlichhatte es ke<strong>in</strong>en Er<strong>in</strong>nerungswert. Es war e<strong>in</strong>fach zuschäbig. Bitte, sag doch, daß du dich besser fühlst. Ichme<strong>in</strong>e, wenn man sich besondere Mühe gibt ...«»Ich fühle mich besser, Charla.«Sie zog ihre Knie hoch und setzte sich mit überkreuztenBe<strong>in</strong>en auf <strong>die</strong> Couch. Während sie trank,bl<strong>in</strong>zelte sie ihm zu. Sie hatte e<strong>in</strong>e lange Taille. Durchdas Gewicht der Hüften und der Brüste fiel das nichtso auf. Ihre Be<strong>in</strong>e waren kurz und etwas voll, aber siepaßten genau zu ihr.»Böse auf mich?« fragte sie.»Weshalb sollte ich?«»Oh, weil ich dich e<strong>in</strong> wenig geneckt habe. Weißtdu noch?«»Ja.«»Aber manchmal me<strong>in</strong>e ich es ganz ernst.« Sie sah


ihn aus großen, unschuldigen Augen an. »Armer Kle<strong>in</strong>er.Du kannst das nicht unterscheiden, habe ichrecht?«Er suchte verzweifelt nach e<strong>in</strong>em Themawechsel.»Dieses Mädchen ...«»Ach ja. Sie hat dich aufgeschreckt. Me<strong>in</strong>e Nichte.Nennt sich jetzt Betsy Alden. Ich war sehr böse mitihr, Kirby. Ich b<strong>in</strong> es immer noch.«»Sie hat e<strong>in</strong>en ziemlichen Wirbel veranstaltet.«Charla zuckte mit den Schultern. »Ich sche<strong>in</strong>e etwasFurchtbares mit ihrer Karriere angerichtet zu haben.Das wußte ich nicht. Ich wollte nur, daß sie herkam,um mich zu besuchen. Schließlich b<strong>in</strong> ich ihree<strong>in</strong>zige Tante. Sie hatte ke<strong>in</strong>e Lust. Sie tat, als sei <strong>die</strong>seSchauspielerei wichtiger. Und da er<strong>in</strong>nerte ichmich an e<strong>in</strong>en guten Freund. Ich rief ihn an, und errief wiederum e<strong>in</strong>en se<strong>in</strong>er Freunde an. Plötzlichbrauchten sie Betsy nicht mehr. Ist das so schlimm?«»Nur wenn sie ke<strong>in</strong>en anderen Job f<strong>in</strong>den kann.«»Sie sagt, es wird schwer se<strong>in</strong>. Sie hat mich verflucht.Sie ist ziemlich laut und ord<strong>in</strong>är. Dabei war siefrüher so e<strong>in</strong> reizendes K<strong>in</strong>d. Es ist kaum zu fassen.«»Ist sie wieder abgereist?«»O ne<strong>in</strong>. Sie muß hierbleiben. Denn jetzt muß siemich bitten, daß ich alles rückgängig mache. Wennsie nett ist, rufe ich me<strong>in</strong>en Freund wieder an, unddann kann sie ihre idiotischen Fernsehd<strong>in</strong>ger weiterdrehen.Das arme K<strong>in</strong>d leidet an Geschmacksverirrung.«»Anfangs dachte sie, ich würde für dich arbeiten.Und dann kam sie auf e<strong>in</strong>e andere Idee, aber dar<strong>in</strong>täuschte sie sich ebenfalls.«Charlas Lächeln war merkwürdig unangenehm.


»Sie hat das erwähnt. Ich gebe zu, daß es nichtstimmte. Aber es hätte leicht se<strong>in</strong> können, oder?«»Vermutlich ja.«»Du bist heute so ernst, Kirby. Sogar e<strong>in</strong> wenigspießig – entschuldige. Am Freitagabend warst du soentzückend und hast e<strong>in</strong>e Menge geredet.«»Ich muß dir ganz schön zur Last gefallen se<strong>in</strong>.Und – vielen Dank, daß du mir <strong>die</strong> Gelegenheit zumAusschlafen gegeben hast. Ich muß jetzt wirklich gehen.«»Oh, nicht bevor dir Joseph unsere Idee verratenhat.«»Idee?«»Komm, Liebes. Wir wissen, daß du ke<strong>in</strong>e festenPläne für <strong>die</strong> Zukunft hast. Das hast du uns selbst erzählt.«»Wirklich? Ich werde mir eben etwas suchen ...«»Vielleicht hast du es schon gefunden, Kirby. Duhast e<strong>in</strong> paar Eigenschaften, <strong>die</strong> Joseph und ich gebrauchenkönnten. Du machst e<strong>in</strong>en guten E<strong>in</strong>druck,Liebes. Du siehst anständig, ernsthaft, verläßlich undvertrauenswürdig aus. Bei den meisten Leuten ist dase<strong>in</strong>e falsche Fassade. Aber bei dir nicht, Liebes.«»Wie bitte?«»Und du kannst so loyal se<strong>in</strong>. Ich b<strong>in</strong> sicher, daßde<strong>in</strong> Onkel Omar das weidlich ausgenutzt hat. Er hatdich ausgebildet. Und wirklich gute Leute s<strong>in</strong>d heutzutageso schwer zu f<strong>in</strong>den. Außerdem warst du <strong>in</strong>vielen Ländern unterwegs. Wir haben kle<strong>in</strong>e Probleme,bei denen du uns helfen könntest.«»Welche Art von Problemen?«Sie zuckte mit den Schultern. »Da wäre schon maldas e<strong>in</strong>e: Wir besitzen e<strong>in</strong> hübsches kle<strong>in</strong>es Schiff, <strong>die</strong>


Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> Markopoulo. Sie ist <strong>in</strong> Panama registriert.Unserer Me<strong>in</strong>ung nach betrügen uns der Kapitän undder Vermittler. Die Gew<strong>in</strong>ne s<strong>in</strong>d so ger<strong>in</strong>g. Dukönntest als me<strong>in</strong> Sonderbeauftragter an Bord gehenund herausf<strong>in</strong>den, was an der Sache nicht stimmt. Esgibt immer wieder Schwierigkeiten <strong>die</strong>ser Art. Undwir haben ke<strong>in</strong>e Lust, unser schönes Leben hier aufzugebenund sie selbst <strong>in</strong> Ordnung zu br<strong>in</strong>gen. Fürdich wäre es e<strong>in</strong>e nette Beschäftigung. Und wir zahlennicht schlecht. M<strong>in</strong>destens das Doppelte von dem,was Onkel Omar zahlte.«»Weißt du, was er mir bezahlte?«»Du hast es uns gesagt, Liebes. Und du hast ja e<strong>in</strong>wahres Vermögen davon auf <strong>die</strong> Seite gebracht.Achttausend Dollar! Me<strong>in</strong> lieber Kirby, das braucheich m<strong>in</strong>destens jeden Monat. Du wirst dir also Arbeitsuchen müssen.«»Ich habe wohl e<strong>in</strong>e Menge geredet?«»Du hast uns erzählt, was du von de<strong>in</strong>em Onkelgeerbt hast. E<strong>in</strong>e goldene Uhr und e<strong>in</strong>en Brief.«»Und den Brief bekomme ich erst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Jahr«,erzählte er und verteilte den Rest des Champagners<strong>in</strong> den Gläsern.Sie rückte näher zu ihm heran, sah ihm <strong>in</strong> <strong>die</strong> Augenund hob das Glas. »Warum willst du dann nichtmitmachen? Es ist e<strong>in</strong> Glück für uns alle, daß wir unsvorgestern nacht trafen. Wir s<strong>in</strong>d doch gute Freunde,nicht wahr? Hör zu, Kirby, wir machen es folgendermaßen:Du erledigst jetzt noch den nötigen Papierkram.Bis dah<strong>in</strong> hat <strong>die</strong> Glorianna angelegt. Unddann machen wir e<strong>in</strong>e Kreuzfahrt.«»Die Glorianna?«»Me<strong>in</strong>e Liebl<strong>in</strong>gsjacht, Schatz. In Holland gebaut.


Herrliche Kab<strong>in</strong>en und e<strong>in</strong>e fünfköpfige Besatzung.Wir haben immer reizende Gäste an Bord. Viel Geselligkeit,viel We<strong>in</strong>, vielleicht auch e<strong>in</strong> bißchen Liebe.Me<strong>in</strong>e Mannschaft br<strong>in</strong>gt das D<strong>in</strong>g jetzt von Bermudahere<strong>in</strong>. Das beste Essen, das du dir denken kannst,Liebl<strong>in</strong>g. Darauf legen wir immer Wert. Du bleibste<strong>in</strong>en Monat als Gast bei uns, und dann entscheidestdu über de<strong>in</strong>e Zukunft. Weshalb siehst du so besorgtdre<strong>in</strong>?«Er zuckte mit den Schultern. »Aberglaube vielleicht.Solche D<strong>in</strong>ge fallen mir nicht <strong>in</strong> den Schoß,Charla.«Sie stellte das leere Glas ab und rückte näher zuihm heran. Sie nahm se<strong>in</strong>e Hand und drückte sie anihre Lippen. Er kam sich dabei komisch mädchenhaftund plump vor. Sie sah ihn kokett und doch ernst an.»Du gefällst mir – zu sehr vielleicht. Wir hätten unszu e<strong>in</strong>em anderen Zeitpunkt kennenlernen sollen.«»Was me<strong>in</strong>st du damit?«»Nichts Besonderes. Weibergerede.« Es klopfte,und sie bat ihn, Joseph here<strong>in</strong>zulassen. Mit großerBegeisterung erzählte sie Joseph, daß Kirby sich entschlossenhabe, e<strong>in</strong>e Kreuzfahrt auf der Gloriannamitzumachen und dann den Job anzunehmen, den sieihm angeboten hatte. Kirby kam zu sich, als ihm Joseph<strong>die</strong> Hand schüttelte und ihm überschwenglichgratulierte. Das alles g<strong>in</strong>g ihm viel zu schnell. Er versuchte<strong>die</strong> richtigen Worte zu f<strong>in</strong>den, um Joseph zuerklären, daß noch nichts fest sei, aber <strong>die</strong> beiden befahlenihm bereits, aus se<strong>in</strong>em Hotel auszuziehenund <strong>in</strong>s Elise zu übersiedeln.»Aber ich ... aber ich ...«Joseph legte Kirby väterlich <strong>die</strong> Hand auf <strong>die</strong>


Schulter. Charla schlang ihm den Arm um <strong>die</strong> Tailleund schmiegte sich dicht an ihn. In den arktischenBereichen se<strong>in</strong>es Gehirns fielen Eisberge <strong>in</strong>s Meer.»Uns<strong>in</strong>n, me<strong>in</strong> Junge«, sagte Joseph. »Das Hotel istnicht voll. Zufällig gehört mir e<strong>in</strong> Teil davon. Wenndu mit de<strong>in</strong>em Gepäck rüberkommst, ist alles perfektgemacht. Ich b<strong>in</strong> so oft mit kle<strong>in</strong>eren Geschäftenüberlastet, und dann langweilt sich Charla. Wir wärendir beide sehr dankbar.«»Na ja, vielleicht könnte ich ...«»Großartig!« riefen sie gleichzeitig, und Charlaschmiegte sich noch etwas näher an ihn. In ihrenKurven lagen schw<strong>in</strong>delerregende Versprechungen.Ihre Augen leuchteten zu ihm auf. Joseph hatte e<strong>in</strong>egoldene Zigarettendose aus der Tasche genommen.Sie glitt ihm aus der Hand. Beide Männer bücktensich zugleich und knallten mit den Köpfen zusammen.Kirby kam taumelnd hoch und streckte <strong>die</strong> Armeaus, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Ertraf Charla mit voller Wucht am K<strong>in</strong>n. Ihre Zähneknirschten aufe<strong>in</strong>ander, und e<strong>in</strong>en Moment lang warenihre Augen starr.Sie sah ihn furchtsam an und sagte dann etwas <strong>in</strong>e<strong>in</strong>er fremden Sprache. Es klang wie e<strong>in</strong>e Beschwörung,und irgendwo <strong>in</strong> der Mitte glaubte er »OmarKrepps« zu hören.»Halt den Mund!« sagte Joseph eisig. Er hielt sich<strong>die</strong> flache Hand gegen <strong>die</strong> Stirn.»Tut mir leid«, sagte Kirby elend. »Ich sche<strong>in</strong>e nur...«»Es war e<strong>in</strong> Unfall«, sagte Charla. »Hast du dir wehgetan, me<strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>er?«»Ich ... ich gehe jetzt besser.«


3Als Kirby <strong>die</strong> Fondtür des Taxis aufmachte, schlängeltesich e<strong>in</strong> Mädchen an ihm vorbei und stieg e<strong>in</strong>.»He!« sagte er empört.Betsy Alden starrte ihn wütend an. »Halten Sie denMund und steigen Sie e<strong>in</strong>, Sie Dummkopf.«Er zögerte, stieg e<strong>in</strong> und sagte: »Aber was ...?«»Fahrer! Zur Coll<strong>in</strong>s-Avenue. Ich sage Ihnen, woSie anhalten sollen.«»Aber ich will doch ...«»S<strong>in</strong>d Sie jetzt endlich still?«Sie fuhren schweigend e<strong>in</strong>ige Straßen entlang. Erbetrachtete ihr starres Profil und dachte, daß sie ganzhübsch se<strong>in</strong> könnte, wenn sie nicht immer so wütendwäre. Das Taxi hielt bei e<strong>in</strong>em Rotlicht an. »Wir steigengleich aus«, sagte sie rasch und bezahlte den Fahrer.Als Kirby sie e<strong>in</strong>holte, g<strong>in</strong>g sie e<strong>in</strong> Stück des Wegeszurück und beobachtete sorgfältig den entgegenkommendenVerkehr.»Wollen Sie mir jetzt freundlicherweise sagen ...?«»Hier here<strong>in</strong>, glaube ich.« Sie packte ihn am Armund zerrte ihn zu e<strong>in</strong>er schmalen Auffahrt, <strong>die</strong> zumSeitene<strong>in</strong>gang e<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>eren Küstenhotels führte.Sobald sie im Foyer war, sah sie sich prüfend um undhuschte dann <strong>die</strong> Treppe nach oben. Auf halber Höhebefand sich e<strong>in</strong>e größere Diele, <strong>in</strong> der Betsy anhielt.Sie trug e<strong>in</strong>en grünen Rock und e<strong>in</strong>e weiße Bluse. IhreTasche war kle<strong>in</strong>er, und <strong>die</strong> Haarmähne wirkte ordentlicher.Als Kirby ihr <strong>die</strong> Treppe nach oben folgte,bemerkte er, daß jede ihrer Bewegungen ausdrucks-


voll war. Sogar das Schw<strong>in</strong>gen ihrer schmalen Hüftenverriet Verärgerung.»Setzen Sie sich da drüben h<strong>in</strong>«, sagte sie unddeutete auf e<strong>in</strong> imitiertes viktorianisches Sofa ausglänzendem Kunststoff, über dem e<strong>in</strong> imitierterUtrillo auf imitiertem Teakholz h<strong>in</strong>g. Er setzte sich.Sie blieb am Geländer stehen und starrte lange <strong>in</strong>sFoyer h<strong>in</strong>unter, dann zuckte sie mit den Schulternund setzte sich zu ihm.»Ich sage Ihnen e<strong>in</strong>es, und vergessen Sie es niewieder, W<strong>in</strong>ter«, begann sie. »Egal, wie vorsichtig Sies<strong>in</strong>d, es reicht wahrsche<strong>in</strong>lich nicht.« Sie sah ihn mitihren grünen Augen an.»Sagen Sie ...«»Wie reagieren Sie auf me<strong>in</strong>e liebe Tante Charla?Geht Ihr Puls schon schneller?«»Miß Alden, ich habe das Gefühl, daß wir ane<strong>in</strong>andervorbeireden.«»Wenn sie jemand an <strong>die</strong> Le<strong>in</strong>e bekommen will,br<strong>in</strong>gt sie es fertig, daß <strong>die</strong> Gabor wie e<strong>in</strong> Marktweibneben ihr aussieht. W<strong>in</strong>ter, Sie schwitzen.«»Sie ist e<strong>in</strong>e ungewöhnliche Frau.«»Und sie geht ke<strong>in</strong> Risiko e<strong>in</strong>. Sie ließ mich für alleFälle herkommen. Falls Sie etwas Jüngeres, Größeresund weniger Fettes bevorzugt hätten. Aber ich habeihr schon mehr als e<strong>in</strong>mal gesagt, daß ich ihre Spielchensatt hätte. Sie soll sich ihre Fische selbst angeln.Ich sprang mit zwanzig von ihrem Karussell ab. Undich hatte bis dah<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Menge erlebt. Charla wäreschon <strong>in</strong> Ordnung – vielleicht sogar nett –, wenn sienicht so verdammt gierig wäre.«»Was me<strong>in</strong>ten Sie mit Fisch?«»Haben Sie sich für etwas anderes gehalten? Sie


glauben wohl, daß Charla von Ihrem Charme erschlagenist?«»Miß Alden – nur zum Spaß! Wovon reden wir eigentlich?«Sie sah ihn stirnrunzelnd an. E<strong>in</strong>e Strähne fiel ihr <strong>in</strong><strong>die</strong> Stirn, und sie schob sie zurück. »Ich habe es <strong>in</strong>den Zeitungen nachgelesen. Omar Krepps war IhrOnkel. Davon sprechen wir.«»Ich verstehe Sie nicht.«»Als ich fünfzehn war, holte Charla mich aus me<strong>in</strong>emSchweizer Internat und kreuzte mit mir durch<strong>die</strong> ganze <strong>Welt</strong>. Sie und Joseph s<strong>in</strong>d Schieber, W<strong>in</strong>ter.Gold aus Kanada, Öl aus Afrika, Opium aus In<strong>die</strong>n,Mädchen aus Brasilien – das alles haben sie ge- undverkauft. Sie s<strong>in</strong>d nicht <strong>die</strong> größten und schlauestenihrer Sorte, aber sie werden reich dabei, auch wenn esihnen nie schnell genug geht. Ich war erst fünfzehn,aber ich merkte schnell, daß <strong>in</strong> ihren Kreisen der NameOmar Krepps e<strong>in</strong> Schreckgespenst war. Sie hattenabergläubische Furcht vor Ihrem Onkel. Zu oft kames vor, daß Krepps plötzlich auftauchte und denRahm abschöpfte. Ich glaube, Charla und ihre Freundehaben des öfteren versucht, ihn umzulegen, aberes ist nie geglückt.«»Onkel Omar umlegen?«»Seien Sie still und hören Sie zu. Und glauben Siemir vor allem. Dieser dicke kle<strong>in</strong>e Alte schien anneun verschiedenen Orten gleichzeitig zu se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>malf<strong>in</strong>g er Bargeld ab, das auf dem Wege zu ihrerSchweizer Bank war, und sie konnte nichts dagegentun – denn das Geld war natürlich gestohlen. Zu <strong>die</strong>serZeit trug Charla e<strong>in</strong>en R<strong>in</strong>g, der sich öffnen ließ.E<strong>in</strong> Giftr<strong>in</strong>g, schätzungsweise, mit e<strong>in</strong>em Smaragd.


Sie klappte ihn e<strong>in</strong>es Tages spielerisch auf und fande<strong>in</strong>en w<strong>in</strong>zigen Zettel dar<strong>in</strong>. ›Danke. O. Krepps‹stand darauf. Als sie aus ihrer Ohnmacht erwachte,hatte sie den tollsten Hysterieanfall, den ich je erlebthabe, und wir mußten sie für e<strong>in</strong>e Woche <strong>in</strong>s Krankenhausbr<strong>in</strong>gen. Sie müssen nämlich wissen, daß sieden R<strong>in</strong>g jahrelang nicht mehr abgenommen hatte.«»Ich kann mir nicht vorstellen, daß Onkel Omar ...«»Lassen Sie mich zu Ende reden. Krepps starbletzten Mittwoch. Sie waren auf den Bermudas. AmDonnerstagmorgen flogen sie hierher. Sie kamen amFreitagmorgen an, und am Samstagmorgen f<strong>in</strong>de ichSie bereits <strong>in</strong> Charlas Suite. E<strong>in</strong> Riesenzufall, was?«»Ich dachte, ich hätte sie tatsächlich zufällig kennengelernt.«»Die beiden lassen sich mit Fremden nicht e<strong>in</strong>. Siehaben für jede Bewegung e<strong>in</strong>en Grund. Was wollensie von Ihnen?«»Sie haben mich zu e<strong>in</strong>er Kreuzfahrt e<strong>in</strong>geladen.«»Erzählen Sie mir alles, W<strong>in</strong>ter. Jedes Wort, an dasSie sich er<strong>in</strong>nern können.«Er schilderte <strong>die</strong> Vorkommnisse der letzten Tage.Sie runzelte <strong>die</strong> Stirn. »Und Ihr Onkel Omar hat Ihnenpraktisch nichts h<strong>in</strong>terlassen? Dann wollen sie sicherherausf<strong>in</strong>den, auf welche Weise Krepps arbeitete.«»Aber ich hatte doch mit dem Geldver<strong>die</strong>nen überhauptnichts zu tun. Ich wußte nichts von se<strong>in</strong>en Geschäften.Im College belegte ich <strong>die</strong> Vorlesungen, <strong>die</strong>er mir befahl. Und später, als ich für ihn arbeitete, tatich immer nur das gleiche.«»Was?«»Ich gab Geld aus.«


»Was!«»Genau das«, sagte er hilflos. »Er hatte e<strong>in</strong>e Art Informations<strong>die</strong>nstund e<strong>in</strong>en Übersetzer<strong>die</strong>nst. Me<strong>in</strong>eAufgabe war es, Fälle zu überprüfen und Geld zuverteilen, wenn alles ordentlich war – und geheimgehaltenwurde.«»Viel Geld?«»Im Durchschnitt so an <strong>die</strong> drei Millionen jährlich.«»An Wohltätigkeitsvere<strong>in</strong>e?«»Manchmal. Manchmal an e<strong>in</strong>zelne, damit sie e<strong>in</strong>eExistenz aufbauen konnten, oder an kle<strong>in</strong>ere Firmen,<strong>die</strong> <strong>in</strong> Not geraten waren.«»Weshalb wollte er denn das Geld loswerden?«»Er nahm nie etwas ernst. Und er gab mir ke<strong>in</strong>e Erklärungen.Er sagte nur, daß es ihm Glück brächte. Erwar e<strong>in</strong> fröhlicher Mann – er liebte Witze und Kartentricksund ähnliches. Mit Vorliebe zeigte er mir,daß er se<strong>in</strong> Hemd ausziehen konnte, ohne erst <strong>die</strong>Jacke abzulegen.«»Sahen Sie ihn oft?«»Etwa e<strong>in</strong>mal im Jahr. Er wechselte dauernd denStandort. Es machte <strong>die</strong> Leute nervös. Er hatte hierse<strong>in</strong>e Wohnungen und dort se<strong>in</strong>e Häuser. Mankonnte selten sagen, wo er sich gerade aufhielt. Aberich hatte immer genug zu tun, auch wenn ich nichtpersönlich mit ihm zusammentraf. Außerdem haßteer jedes Aufsehen.«»Sie lügen mich nicht an.« Es war ke<strong>in</strong>e Frage, sonderne<strong>in</strong>e Feststellung.»Ne<strong>in</strong>. Als er noch lebte, durfte ich niemandem sagen,was ich für ihn tat. Jetzt ist es wohl nicht mehrwichtig. Ich denke, daß ihn der Reklamerummel zuBeg<strong>in</strong>n se<strong>in</strong>er Laufbahn so menschenscheu machte.«


»Reklamerummel?«»Das ist lange her. Me<strong>in</strong>e Eltern ertranken bei e<strong>in</strong>emBootsunfall, als ich sieben war, und ich lebteseitdem bei Onkel Omar und Tante Thelma. Sie warse<strong>in</strong>e ältere Schwester. Zu mir war sie gut, aber OnkelOmars Leben machte sie zur Hölle. Wir wohnten damals<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em alten Haus <strong>in</strong> Pittsburgh. Onkel Omarwar Lehrer für Chemie und Physik. Er hatte e<strong>in</strong>eWerkstatt im Keller, wo er sich an allen möglichen Erf<strong>in</strong>dungenversuchte. Ich schätzte, es war der e<strong>in</strong>zigePlatz im ganzen Haus, wo er sich wohlfühlte. TanteThelma keifte dauernd, weil er zuviel Geld für Werkzeugund Material ausgab und <strong>die</strong> Stromrechnungenlaufend anstiegen. Als ich elf war, kündigte er mittenim Schuljahr, fuhr nach Reno und gewann hundertsechsundzwanzigtausendDollar. Es stand <strong>in</strong> allenZeitungen. Man nannte ihn e<strong>in</strong> Mathematik-Genie.Man verfolgte ihn. Jeder Verrückte im Land war h<strong>in</strong>terihm her. Er h<strong>in</strong>terließ auf der Bank genügendGeld für uns und verschwand spurlos. Nach e<strong>in</strong>emJahr tauchte er wieder <strong>in</strong> Reno auf und verlor hunderttausendDollar. Danach hatte niemand mehr Interessean ihm. Er kehrte zurück und nahm uns mitnach Texas, wo er auf e<strong>in</strong>er Insel im Golf e<strong>in</strong> Hausgebaut hatte. Er setzte Tante Thelma e<strong>in</strong>e hohe Summeaus und ließ sie nach Pittsburgh zurückkehren.Ich blieb bei ihm, bis ich aufs College kam. Er hatte<strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>e Menge Geschäftsverb<strong>in</strong>dungen <strong>in</strong>der ganzen <strong>Welt</strong>. Er bezahlte me<strong>in</strong>e Ausbildung undgab mir e<strong>in</strong>en Job, als ich das Studium beendet hatte.Aber – er h<strong>in</strong>terließ mir nichts, und ich weiß nichtsvon se<strong>in</strong>en Geschäften. Um ehrlich zu se<strong>in</strong>, ich kannteihn nicht so genau. In den Zeitungen steht, daß es


sich um e<strong>in</strong>en Fünfzig-Millionen-Besitz handelt. Mirh<strong>in</strong>terließ er se<strong>in</strong>e Uhr und e<strong>in</strong>en Brief, der erst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emJahr geöffnet werden darf.«»Und Sie haben das Charla erzählt?«»Ja.«»Und Sie haben ihr erzählt, wie Sie sich Ihren Lebensunterhaltver<strong>die</strong>nten?«»Ich glaube schon.«»Und während all der Jahre haben Sie sich nicht <strong>die</strong>ger<strong>in</strong>gsten Gedanken über Ihren Onkel gemacht?«Betsy Alden ärgerte ihn allmählich. »Auch wennich Ihnen wie e<strong>in</strong> Idiot ersche<strong>in</strong>en mag – ich besitzee<strong>in</strong>e durchschnittliche Intelligenz. Me<strong>in</strong> Onkel hatden Lehrerberuf ganz plötzlich an den Nagel gehängt.Und wie viele Lehrer schaffen es, große F<strong>in</strong>anzbossezu werden?«»Er entdeckte also etwas, das ihm e<strong>in</strong>en gewissenVorteil vor den anderen verschaffte.«»E<strong>in</strong>en so großen Vorteil, daß er Geld verschenkenkonnte. Vielleicht war es das Gewissen.«Sie nickte freundlich. »Also ist Charla jetzt brennendan dem Brief <strong>in</strong>teressiert – das ist doch klar.«»Aber – ich bekomme ihn doch erst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Jahr.«»Mister W<strong>in</strong>ter, e<strong>in</strong>e Erklärung für <strong>die</strong> ArbeitsmethodenIhres Onkels ist e<strong>in</strong> Jahr Mühen wert. Und amEnde <strong>die</strong>ses Jahres hat Charla Sie so <strong>in</strong> der Hand, daßSie ihr den Brief ungeöffnet überreichen werden, wennSie ihr damit nur e<strong>in</strong>en Gefallen erweisen können.«»Sie haben ke<strong>in</strong>e schmeichelhafte Me<strong>in</strong>ung vonmir.«»Ich kenne Charla.«»Und was haben Sie <strong>in</strong> dem Spiel zu tun? WollenSie auch den Brief?«


»Glauben Sie mir, alles was ich will, ist e<strong>in</strong> Ansatzpunkt.Es ist mir egal, wie oder wo ich ihn bekomme,aber ich möchte Charla so unter Druck setzen, daß siemich für immer <strong>in</strong> Frieden läßt.« Sie stach Kirby mitspitzem F<strong>in</strong>ger <strong>in</strong> <strong>die</strong> Brust. »Und wenn ich Sie dazuverwenden kann, Charla loszuwerden, wäre ich e<strong>in</strong>glückliches Mädchen. Gleichzeitig könnte ich Ihnene<strong>in</strong>en Gefallen erweisen und Sie vor dem Sumpf retten.«»Hassen Sie Charla so sehr?«»Haß ist e<strong>in</strong> kompliziertes Gefühl. Für Charla empf<strong>in</strong>deich nur Verachtung. Sie ist eigentlich ganz leichtzu verstehen. Ihr e<strong>in</strong>ziges Motiv ist Gier, Gier nachGeld, Macht, hübschen D<strong>in</strong>gen, Bewunderung, s<strong>in</strong>nlichemVergnügen. Sie liebt ihre Macht, W<strong>in</strong>ter. BeiJoseph ist das ähnlich, aber <strong>die</strong> Ideen gehen vonCharla aus.«»Joseph ist Ihr Onkel?«»Kaum. Sie behauptet, er sei ihr Bruder, aber erdürfte höchstens e<strong>in</strong> weitläufiger Verwandter se<strong>in</strong>.Die beiden s<strong>in</strong>d so charmant, nicht wahr? Aber geradedas macht sie zu e<strong>in</strong>em tödlichen Gespann.«»Ich habe immer noch das Gefühl, daß Sie dasGanze dramatisieren. Ich glaube e<strong>in</strong>fach nicht ...«»E<strong>in</strong>en Moment. Mir ist eben etwas e<strong>in</strong>gefallen. Sies<strong>in</strong>d se<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger lebender Verwandter. Das stand <strong>in</strong>den Zeitungen, also muß auch Charla Bescheid wissen.Müßten Sie da nicht se<strong>in</strong>e persönlichen D<strong>in</strong>geausgehändigt bekommen?«»Kann se<strong>in</strong>. Ich habe bisher noch nicht daran gedacht.«»Glauben Sie mir, Charla hat daran gedacht. WagenSie es ja nicht, ihr etwas zu übergeben.«


»Wofür halten Sie mich eigentlich?«»Nun seien Sie nicht gleich e<strong>in</strong>geschnappt. Wirwissen, daß sie krampfhaft nach etwas sucht. Wirmüssen also herausf<strong>in</strong>den, was es se<strong>in</strong> könnte. Vielleichtläßt sich e<strong>in</strong> Geschäft mit Charla machen. Undnehmen Sie mich als Vermittler<strong>in</strong>. Ich weiß, wie manmit ihr umgeht.«»Das geht mir alles viel zu schnell.«»Ich b<strong>in</strong> härter als Sie, Kirby W<strong>in</strong>ter. Ich habeCharlas Schule durchgemacht. Sie ziehen jetzt <strong>in</strong>s Elise,damit niemand mißtrauisch wird.« Sie kritzelte e<strong>in</strong>eAdresse und e<strong>in</strong>e Telefonnummer auf e<strong>in</strong> StückPapier. »Wenn Sie etwas Bestimmtes herausbr<strong>in</strong>gen,setzen Sie sich mit mir <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung. Es ist e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>esApartment, das mir e<strong>in</strong> Freund zur Verfügunggestellt hat. Er ist bis über beide Ohren <strong>in</strong> mich verknallt.Hören Sie, Kirby, Sie müssen mich nicht mögen,und Sie müssen mir nicht vertrauen. Was verlierenSie dabei? Außerdem können Sie mich Betsy nennen.«»Ich verliere nichts – bis jetzt nicht. Höchstens me<strong>in</strong>enVerstand. Aber der ist nicht wertvoll.«»Spielen Sie mit, und wenn Sie etwas entdecken,können Sie es sich immer noch überlegen, ob Sie michanrufen oder nicht. E<strong>in</strong>verstanden?«»E<strong>in</strong>verstanden, Betsy.«Ihr Blick veränderte sich. »Wenn man mich nicht soherumschubst, b<strong>in</strong> ich gewöhnlich netter.«»Und ich benehme mich sonst auch nicht so konfus.«


4In se<strong>in</strong>em Fach im Hotel Birdl<strong>in</strong>e lagen neun Nachrichten.Sie alle forderten ihn auf, sich mit Mister D.Leroy W<strong>in</strong>termore <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung zu setzen – von derRechtsfirma W<strong>in</strong>termore, Stabile, Schamway undMertz, <strong>die</strong> Onkel Omars persönliche Belange vertretenhatte – im Gegensatz zu den Anwälten, <strong>die</strong> sichum <strong>die</strong> Angelegenheiten der Krepps-Unternehmenkümmerten.W<strong>in</strong>termore war e<strong>in</strong> gebrechlicher alter Herr mitweißem Haar, der, wie Onkel Omar es e<strong>in</strong>mal ausgedrückthatte, sogar dem Gesetz gegenüber skeptischwar.Kirby packte se<strong>in</strong>e persönliche Habe zusammen,bevor er W<strong>in</strong>termore anrief. Er wählte <strong>die</strong> Nummerdes letzten Zettels und traf D. Leroy W<strong>in</strong>termore <strong>in</strong>se<strong>in</strong>em Haus an. Es war natürlich Sonntag. Kirbyhatte es völlig vergessen.»Me<strong>in</strong> lieber Junge!« sagte W<strong>in</strong>termore. »Ich hattemir schon Sorgen um Sie gemacht. Als Sie <strong>die</strong> – äh –Verfügung Ihres Onkels erfuhren, waren Sie e<strong>in</strong> wenigverärgert.«»Begeistert war ich nicht gerade, das stimmt. Ichb<strong>in</strong> zwar nicht ausgesprochen habgierig, aberschließlich heißt es, daß fünfzig Millionen im Spiels<strong>in</strong>d.«»Wahrsche<strong>in</strong>lich wollte er etwas für Ihren Charaktertun, Kirby.«»Ich habe mehr Charakter, als ich im Moment gebrauchenkann.«»Nun, jedenfalls gibt es e<strong>in</strong> paar Kle<strong>in</strong>igkeiten aus-


zubügeln. Sie werden morgen um zehn bei e<strong>in</strong>erSpitzenkonferenz der Krepps-Unternehmen um IhreAnwesenheit gebeten.«»Von wem?«»Vom ehrenwerten Aufsichtsrat Ihres Onkels. Ichsoll auch dort se<strong>in</strong>. Wenn Sie e<strong>in</strong>en Rechtsbeistandbrauchen, werde ich mich auf Ihre Seite stellen.Furchtlos, versteht sich.«»Worum geht es?«»Ich habe ke<strong>in</strong>e Ahnung, aber sie sche<strong>in</strong>en derMe<strong>in</strong>ung zu se<strong>in</strong>, daß Sie und Ihr Onkel <strong>in</strong> betrügerischemE<strong>in</strong>vernehmen gehandelt haben. VersteckteGew<strong>in</strong>ne. Etwas Idiotisches. Aber sie regen sich sehrauf. Und etwas anderes bereitet ihnen Kummer. Seitletztem Mittwoch wurde jede e<strong>in</strong>zelne von OmarsWohnungen gründlich durchsucht.«»Tatsächlich?«»Die Leute wollen das nun alles mit den geheimnisvollenTätigkeiten verknüpfen, <strong>die</strong> Sie im Auftragvon Omar ausführten.«»Hat er Ihnen je gesagt, wor<strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Arbeit bestand?«»Me<strong>in</strong> lieber Junge, ich habe nie gefragt.«»Mister W<strong>in</strong>termore, im Testament s<strong>in</strong>d nur <strong>die</strong>Uhr und der Brief erwähnt, aber ich glaube, ich habeauch Anspruch auf Onkel Omars persönliche D<strong>in</strong>ge,nicht wahr?«»Im Normalfall ja.«»Aber nun geht es nicht?«»Omar erfuhr vor e<strong>in</strong>em Vierteljahr, wie schlecht esmit se<strong>in</strong>em Herzen stand. Er kam <strong>in</strong> me<strong>in</strong> Büro, holtealle persönlichen Akten und ließ mir nur <strong>die</strong> wesentlichenDokumente hier. Ich fragte ihn, was er mit den


Papieren anfangen wolle, und er erwiderte, daß er sieverbrennen würde. Dann holte er mir e<strong>in</strong>en Silberdollaraus dem l<strong>in</strong>ken Ohr. Er hatte unglaublichesGeschick für <strong>die</strong>se Zaubertricks. Soviel ich weiß, verbrannteer tatsächlich alles bis auf e<strong>in</strong>en Kasten mitDokumenten, der sich nun im Haupttresor derKrepps-Unternehmen bef<strong>in</strong>det. E<strong>in</strong> großartigerMann, me<strong>in</strong> Junge. Großartig. Nur mit e<strong>in</strong>em Hangzur Geheimniskrämerei. Und der Aufsichtsrat glaubt,daß Sie davon angesteckt wurden.«»Ich befolgte nur se<strong>in</strong>e Befehle. Ich b<strong>in</strong> um zehnUhr dort, Mister W<strong>in</strong>termore.«Er legte auf, sah sich im Zimmer um und überlegte,ob er je wieder e<strong>in</strong>en Raum im Birdl<strong>in</strong>e buchen würde.Es lag zentral, aber <strong>in</strong> manchen Nächten war esschrecklich, wenn <strong>die</strong> Leute an den falschen Türenhämmerten oder <strong>in</strong> den Gängen herumkrakeelten.Aber es war billig und e<strong>in</strong>igermaßen sauber, und erkonnte auch <strong>in</strong> der Hauptsaison e<strong>in</strong> Unterkommenf<strong>in</strong>den. Außerdem verwahrte ihm der Besitzer e<strong>in</strong>paar persönliche D<strong>in</strong>ge, <strong>die</strong> er nicht auf jeder se<strong>in</strong>erweltweiten Reisen mitschleppen wollte.Nun trug er se<strong>in</strong>e Koffer nach unten. Se<strong>in</strong> Magener<strong>in</strong>nerte ihn daran, daß er das Mittagessen ausgelassenhatte. Hoover Hess, der Hotelbesitzer, arbeiteteam Schreibtisch. Er war e<strong>in</strong> fetter, asthmatischerMann, der immer so aussah, als würde man ihm ohneNarkose das Be<strong>in</strong> amputieren. Se<strong>in</strong> Lächeln war e<strong>in</strong>ebesonders qualvolle Anstrengung. Er hatte es bis zusieben Hypotheken geschafft und war e<strong>in</strong>mal bis aufzwei heruntergekommen. Im Moment lag er bei etwavier.Er lächelte. »He, Kirb, das mit Ihrem Onkel. Tut


mir verdammt leid. Manchmal geht's eben so. Bumm– weg. Wie alt war er denn?«»Eben siebzig geworden, Hoover.«»Na, Sie s<strong>in</strong>d jetzt wohl aus dem Schneider, he?«»Nicht ganz. Ich möchte ausziehen. Ich b<strong>in</strong> drüber,im Elise an der Küste.«»Sagte ich's doch – aus dem Schneider. E<strong>in</strong>e Suite?Weshalb nicht? Leben Sie richtig, Kirb. Lassen Sie sichMädchen kommen. Tr<strong>in</strong>ken Sie e<strong>in</strong> paar gute Jahrgänge.«»Ich b<strong>in</strong> da drüben so e<strong>in</strong>e Art Gast, Hoover.«»Sicher. Bis <strong>die</strong> rechtlichen D<strong>in</strong>ge geklärt s<strong>in</strong>d. Ichverstehe. Tut mir leid, e<strong>in</strong>en guten Kunden zu verlieren.Kirb, was ich sagen wollte, wenn Sie <strong>die</strong> Sche<strong>in</strong>ekriegen, könnten Sie mal zu mir 'rüberkommen undsich <strong>die</strong> Bücher ansehen. Würde sich lohnen, bei mirzu <strong>in</strong>vestieren. Die Hypotheken tilgen und dann alsPartner e<strong>in</strong>steigen.«»Aber ich werde wirklich ke<strong>in</strong> Geld zum Investierenhaben, Hoover.«»Ich weiß schon, wie es geht. Man muß es so sagen,sonst kommt jeder Clown und streckt <strong>die</strong> Hand aus.Aber Sie kennen doch Hoover Hess, oder? Sie lassenmich nicht abfahren, dazu kenne ich Sie zu gut, Kirb.Sie s<strong>in</strong>d schon der Richtige. Immer vorsichtig undunauffällig. Ke<strong>in</strong> Getue, wenn Sie mal 'ne Kle<strong>in</strong>e mitbr<strong>in</strong>gen.«»Aber ich habe nie ...«Hoover Hess w<strong>in</strong>kte mit der sommersprossigenHand ab. »Sicher. Sie waren immer schlau. Die e<strong>in</strong>e,<strong>die</strong> von Zeit zu Zeit herkam, war e<strong>in</strong>e Lady. Brillemacht sich immer gut, dazu flache Absätze und 'nKleid wie e<strong>in</strong>e Lehrer<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>er, der sich nicht aus-


kennt, läßt sich leicht täuschen. Aber wenn man malim Geschäft war, weiß man Bescheid. K<strong>in</strong>n hoch, dasTäschchen auf- und abschw<strong>in</strong>gen und hüftenwiegendzum Aufzug.«Kirby wurde sich plötzlich klar darüber, daß Hessvon Miß Farnham sprach, von Wilma Farnham, dere<strong>in</strong>zigen Angestellten außer ihm, <strong>die</strong> über OnkelOmars Wohltätigkeits<strong>die</strong>nst Bescheid wußte. Siesuchte <strong>die</strong> Fälle aus, hielt <strong>die</strong> Akten <strong>in</strong> Ordnung, fertigteÜbersetzungen an und widmete sich mit Leibund Seele Onkel Omars heimlichem Programm. Siearbeitete seit sechs Jahren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Büro, dasweit weg war von den Verwaltungsgebäuden derKrepps-Unternehmen. Se<strong>in</strong>e Außen<strong>die</strong>nst-Berichteg<strong>in</strong>gen an <strong>die</strong>ses Büro. Die Geldd<strong>in</strong>ge wurden durch<strong>die</strong>ses Büro abgewickelt. Wenn Kirby sich <strong>in</strong> derStadt befand, hatte er oft lange Abendkonferenzenmit Miß Farnham <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Hotelzimmer. Sie wollteimmer <strong>die</strong> Hilfe für Krankenhäuser, unterernährteK<strong>in</strong>der und Lepradörfer vorantreiben. Sie rümpfte<strong>die</strong> Nase über <strong>die</strong> kle<strong>in</strong>en Unternehmer, <strong>die</strong> Kirbyausf<strong>in</strong>dig gemacht hatte, und ließ ihn deutlich spüren,daß sie ihn für leichtgläubig hielt. Sie hatte OnkelOmar angebetet. Kirby spürte e<strong>in</strong> leichtes Schuldbewußtse<strong>in</strong>,weil er zum erstenmal seit dem Tode vonOnkel Omar an sie dachte. Aber da stand HooverHess und bl<strong>in</strong>zelte ihm zu.Obwohl er wußte, daß er Miß Farnham degra<strong>die</strong>rteund <strong>in</strong> den Schmutz zerrte, erwiderte er das Bl<strong>in</strong>zelnmit Verschwörermiene.»Weg mit der Brille und 'raus aus den Jungfernkleidern– und ich wette, daß sie e<strong>in</strong>e Wucht ist, Kirby.«»Was schulde ich Ihnen <strong>die</strong>smal?«


»Es ist zwar schon über <strong>die</strong> Zeit h<strong>in</strong>aus, aber denheutigen Tag wollen wir nicht rechnen. Sie s<strong>in</strong>d amFreitagmorgen e<strong>in</strong>gezogen – sagen wir drei Nächteund zwei Telefonanrufe. Macht achtzehn vierundachtzig.Ke<strong>in</strong>e Kreditkarte?«»Ich mußte sie abgeben.«»Na, wer braucht schon Kreditkarten, wenn so vielBares im Anrollen ist? Es reicht mir, wenn Sie hierunterschreiben.«»Danke, Hoover, ich zahle bar.«Als er das Wechselgeld e<strong>in</strong>gesteckt hatte, g<strong>in</strong>g erzum Telefon, das im Foyer e<strong>in</strong>gebaut war. Es hatteke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, Wilma Farnham im Büro anzurufen. Ersah ihre Privatnummer nach. Nachdem das Telefonachtmal gekl<strong>in</strong>gelt hatte, gab er auf und nahm e<strong>in</strong> Taxizum Elise. Die Empfangsangestellten waren überfreundlich.Das Zimmer war sechsmal so groß wie imBirdl<strong>in</strong>e und besaß Sessel, Tische, sanfte Musik, sechsDusche<strong>in</strong>stellungen, e<strong>in</strong>en Sonnenbalkon, Meerblick,Vasen mit Schnittblumen, Fruchtschalen, und so fort.Se<strong>in</strong> gere<strong>in</strong>igter Anzug h<strong>in</strong>g im Schrank, <strong>die</strong> übrigeWäsche lag gestapelt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schublade. Er trat aufden Balkon. Von hier aus konnte er Charlas Sonnenterrassenicht sehen, aber er schätzte, daß sie etwafünfzehn Meter weiter rechts lag. Er sah nach unten.Kle<strong>in</strong>e braune Menschen lagen auf bunten Matten vorden Cabanas. Sie sahen wie aufgereihte Puppen aus,<strong>die</strong> auf Kunden warteten. Er g<strong>in</strong>g zurück <strong>in</strong>s Zimmerund blieb vor der größten Fruchtschale stehen. Erwählte e<strong>in</strong>e Birne, und sie war so saftig, daß er sieüber dem Badbecken essen mußte – e<strong>in</strong> rostfreiesspiegelndes Oval <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er langen Platte aus kirsch<strong>rote</strong>nFliesen. Er sah <strong>die</strong> Birne an und mußte an Charla


denken. Er sah das sanft geschwungene Becken anund mußte an Charla denken.Er g<strong>in</strong>g h<strong>in</strong>unter <strong>in</strong> das Labyr<strong>in</strong>th von Bars undLäden und Speisesälen und entdeckte e<strong>in</strong>en Grillraum,<strong>in</strong> dem er e<strong>in</strong> Steak-Sandwich und Kaffee bekam.Es war nach vier. Er versuchte <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge logischzu ordnen. Aber Logik war noch nie se<strong>in</strong>e Stärke gewesen.Zum<strong>in</strong>dest hatte sich Miß Farnham se<strong>in</strong>er Logikgegenüber sehr skeptisch verhalten.Betsy Alden verkörperte zu viele Möglichkeiten. Erwollte nicht an sie denken. Das führte nur zu dumpfenKopfschmerzen. Sie konnte Neurotiker<strong>in</strong> se<strong>in</strong> undunter Halluz<strong>in</strong>ationen leiden. Sie konnte <strong>die</strong> absoluteWahrheit sagen. Oder sie konnte irgendwo zwischen<strong>die</strong>sen beiden Extremen liegen.Ich b<strong>in</strong> nicht so bezaubernd und bemerkenswert,daß Joseph und Charla mich aus e<strong>in</strong>em wirklichenBedürfnis heraus anstellen wollen, dachte er. Siewollen etwas von mir. Und soviel ich weiß, habe ichnicht das, was sie wollen. Aber sie glauben, daß ich eshabe oder daß ich es bekommen werde. Deswegenwurden vielleicht auch alle Wohnungen und HäuserOnkel Omars durchwühlt. W<strong>in</strong>termore sagte allerd<strong>in</strong>gs,daß <strong>die</strong> E<strong>in</strong>brecher nicht e<strong>in</strong>mal auf dem Inselhausetwas hatten entdecken können.Ich erklärte ihnen, daß ich nichts besitze. Dennochschieben sie mich umher. Ich war zu betrunken, umsie anzulügen, das wußten sie. Was wollen sie? DenBrief? Oder, wie Betsy vermutete, persönliche D<strong>in</strong>ge?Und wie soll ich mich verhalten? Betsy Bescheidsagen, wenn ich e<strong>in</strong>en Anhaltspunkt gefunden habe?Schulde ich ihr etwas? Kommt darauf an, wie ehrlichsie war.


»Liebl<strong>in</strong>g!« Charla ließ sich ihm gegenüber <strong>in</strong> derNische nieder und legte ihm <strong>die</strong> Hand auf den Arm.»Wo warst du denn nur?« Sie trug e<strong>in</strong> blauweißesBaumwollkleid, das verwirrend tief ausgeschnittenwar, und e<strong>in</strong>en frivolen kle<strong>in</strong>en Hut. Sie starrte ihn soernst und warm und durchdr<strong>in</strong>gend an, daß er sichbe<strong>in</strong>ahe umgedreht hätte, um zu sehen, wen sieme<strong>in</strong>te. Sie befanden sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dunklen Ecke desGrillraums, und der sanfte Schimmer e<strong>in</strong>er rötlichenLampe spielte um <strong>die</strong> Holzvertäfelung. Charla sahaus wie e<strong>in</strong> Bild <strong>in</strong> Eastman-Color, wenn man zu naheam Schirm saß.»Ich habe nur e<strong>in</strong> paar Gänge erledigt«, sagte er.Sie ließ se<strong>in</strong>e Hand los und zog e<strong>in</strong>e Schnute. »Ichwar völlig alle<strong>in</strong>. Du hast mir schrecklich gefehlt. Ichbefürchtete schon, daß me<strong>in</strong>e wirre kle<strong>in</strong>e Nichte dichaufgehalten hat.«»Äh – ne<strong>in</strong>.«»Das ist gut, Liebl<strong>in</strong>g. Könnte se<strong>in</strong>, daß sie ihre Verrücktheitenbei dir anbr<strong>in</strong>gen möchte. Ich warne dichlieber gleich, auch wenn es vielleicht unfair ist. Schließlichist sie <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zige Tochter me<strong>in</strong>er Stiefschwester.Wir hätten schon damals erkennen müssen, wie problematischihr Charakter ist. Man warf sie nämlich ause<strong>in</strong>em vornehmen Schweizer Internat, als sie fünfzehnwar. Aber mir kam sie so reizend und unschuldigvor. Wir haben unser Bestes für sie getan, Kirby –aber sie hat wenig S<strong>in</strong>n für das wirkliche Leben, für<strong>die</strong> Realitäten. Vielleicht hätten wir sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Anstaltstecken sollen. Aber <strong>die</strong> Familie – du weißt ja, wie esist. Ich ließ sie herkommen, weil ich schon wieder e<strong>in</strong>igesüber sie erfahren mußte. Aber es hat wenigS<strong>in</strong>n, auf sie e<strong>in</strong>zureden. Sie ist und bleibt störrisch.«


»Du überwachst sie?«»Diskret natürlich. Liebl<strong>in</strong>g, ich möchte dich nichtmit me<strong>in</strong>en Familienproblemen langweilen. Aber sieist wirklich furchtbar – <strong>in</strong>stabil. Sie handelt nach ihrenPhantasien.«»Oh?«»Sie erzählt schreckliche Sachen von Joseph undmir herum. Ich weiß nicht, ob ich darüber lachen oderwe<strong>in</strong>en soll. Kirby, es könnte se<strong>in</strong>, daß sie dich zu e<strong>in</strong>erSchlüsselfigur <strong>in</strong> ihren Träumen machen will.Und wenn das der Fall ist, wirft sie sich vermutlichan dich.«»Sie wirft sich ...«»Es wird wieder e<strong>in</strong>es der kle<strong>in</strong>en Dramen se<strong>in</strong>, <strong>die</strong>sie sich zurechtträumt. Wenn es tatsächlich geschehensollte, kann ich dir nur raten, sie nicht zu beachten.Aber sei nett zu ihr, ja? Sie kann nichts dafür ...«»A-aber ...«»Vielen Dank, Liebl<strong>in</strong>g. Du bist so verständnisvoll.Ich werde versuchen, sie irgendwo <strong>in</strong> der Filmweltunterzubr<strong>in</strong>gen. Hübsch ist sie ja. Oder hältst du esfür besser, sie e<strong>in</strong>zusperren?«»N-ne<strong>in</strong>, vielleicht doch nicht.«»Wie gefällt dir de<strong>in</strong> neues Zimmer, Liebl<strong>in</strong>g? Ichhabe es persönlich ausgesucht. Morgen gehen wirbeide e<strong>in</strong>kaufen. Ich weiß genau, welche Kleider diram besten stehen. Und de<strong>in</strong> Haarschnitt ist langweilig,wenn du mir <strong>die</strong> Bemerkung gestattest. Es ist, alswolltest du durch das Leben schleichen, ohne gesehenzu werden. Dabei hast du solche Möglichkeiten,Liebes. Wenn ich dich e<strong>in</strong>gekleidet habe, wirst duaussehen wie e<strong>in</strong> Mann, dem <strong>die</strong> <strong>Welt</strong> gehört. DieFrauen werden dir nachstarren und alles mögliche


versuchen, um mit dir bekannt zu werden.«»Ich weiß nicht, ob ich das ...«»Glaube mir, du wirst es genießen. Komm jetzt,Liebl<strong>in</strong>g. Joseph wartet <strong>in</strong> der Suite auf uns. Wirnehmen e<strong>in</strong> paar Dr<strong>in</strong>ks, und um halb acht lassen wiruns <strong>in</strong> e<strong>in</strong> todschickes Restaurant br<strong>in</strong>gen.«*Um halb elf Uhr abends fiel es Kirby W<strong>in</strong>ter sehrschwer, sich deutlich auszudrücken. Wenn er e<strong>in</strong> Augeschloß, sah er Joseph so verschwommen.»Nett von euch, mich auf e<strong>in</strong>e Kreuzfahrt e<strong>in</strong>zuladen«,sagte er. »Aber ich möchte nicht ...«»Uns<strong>in</strong>n! Wir haben wirklich Platz. Und es machtuns Spaß«, unterbrach ihn Joseph.Kirby drehte sich um. »Wo ist sie?«»Vielleicht macht sie sich frisch.«»Ich tanze nicht oft, Joseph. Ich wollte ihr nicht sofest auf den Fuß treten.«»Sie hat es dir verziehen.«»Aber mir kl<strong>in</strong>gt immer noch der Schrei <strong>in</strong> den Ohren.«»War nicht so schlimm.«»...staunliche Frau«, sagte Kirby feierlich. »Sehr ersstaunlich.«»Mir ist da eben etwas e<strong>in</strong>gefallen, me<strong>in</strong> Junge.Damit du ke<strong>in</strong>e Hemmungen hast, uns auf der Gloriannazu begleiten, kannst du ja e<strong>in</strong>e Arbeit mitnehmen.Und ich wüßte etwas Großartiges.«»Ja?«»Du kennst Omar Krepps besser als jeder andere.E<strong>in</strong> phantastischer Mann mit e<strong>in</strong>er phantastischen


Karriere. Es wäre doch e<strong>in</strong>e Geste von Zuneigung,wenn du e<strong>in</strong>e Biographie von ihm schreibst. Späterkann e<strong>in</strong> Journalist <strong>die</strong> Sache ja überarbeiten. Überlegenur, wie großartig es wäre, wenn jetzt, nach se<strong>in</strong>emTode, all <strong>die</strong> Wohltaten bekanntwerden, <strong>die</strong> aufse<strong>in</strong> Konto g<strong>in</strong>gen. Und du könntest viel Geld damitmachen.«»Interessant.«»Ich glaube, daß du für e<strong>in</strong> solches Projekt ohneweiteres se<strong>in</strong>e persönlichen Papiere ausgehändigt bekommst.«»Und <strong>die</strong> nehme ich dann mit an Bord, was?«»An Bord läßt es sich sicher bequem arbeiten.«»Das Geheimnis von Omar Krepps.«»Hübscher Titel.«»Manchmal redest du wie e<strong>in</strong> englischer Snob.«»Ich wurde e<strong>in</strong> paar Jahre <strong>in</strong> England ausgebildet.«»Dann könntest du mir eigentlich dabei helfen, <strong>die</strong>Kisten mit den persönlichen D<strong>in</strong>gen zu sortieren.«»Ist denn soviel da?«»Ja, verflixt noch mal.«»Wenn du mich brauchst, stehe ich dir natürlichzur Verfügung.«Kirby kam sich schlau wie e<strong>in</strong> Fuchs vor. »Ist allesunter me<strong>in</strong>em Namen im Hotel Birdl<strong>in</strong>e stationiert.Kisten mit allem möglichen Kram.«»Das hast du letzth<strong>in</strong> gar nicht erwähnt.«»Muß ich vergessen haben.«»Wenn <strong>die</strong> Glorianna e<strong>in</strong>läuft, können wir alles anBord schicken lassen.«»Ja, natürlich.«»Du kommst mir e<strong>in</strong> bißchen komisch vor, Kirby.«»Ich? Komisch?« Als er lachte, kippte der Raum


und kam nur allmählich <strong>in</strong>s Gleichgewicht. »Joseph,alter Freund, s<strong>in</strong>d wir nicht alle komisch? Jeder aufse<strong>in</strong>e Weise? Du, ich, Charla und Betsy.«Er gr<strong>in</strong>ste breit und trank se<strong>in</strong> Glas leer. »Betsy istbesonders komisch. Sie kann e<strong>in</strong>em sagen, was passiert,noch bevor es überhaupt passiert ist. Ich glaube,sie ist e<strong>in</strong>e Hexe.«Josephs großes, glänzendes Gesicht war plötzlichganz dicht vor se<strong>in</strong>en Augen. »Was hat sie denn vorhergesagt,Kirby?«Plötzlich, aber zu spät, rasselte <strong>die</strong> Alarmanlage <strong>in</strong>se<strong>in</strong>em Gehirn.»Wer sagt was vorher, Joseph?«»Hat Betsy mit dir gesprochen?«»Entschuldige, mir ist schlecht.«Er g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>die</strong> Herrentoilette und schnitt sich imSpiegel Grimassen, bis jemand here<strong>in</strong>kam ...*»Du Schlimmer«, sagte <strong>die</strong> sanft scheltende, liebevolleStimme mit e<strong>in</strong>em dunklen Gurren. »Wirklich,e<strong>in</strong> ganz Schlimmer bist du.« F<strong>in</strong>ger strichen überse<strong>in</strong>e Stirn. Er öffnete vorsichtig <strong>die</strong> Augen. Er sah e<strong>in</strong>edunkle Gebäudeecke über sich, dazu e<strong>in</strong> paarSterne. Der Kopf, der sich über ihn beugte, verdeckteden übrigen Himmel.»Du liebe Güte«, flüsterte er.»Ja, Liebl<strong>in</strong>g, du hast zuviel getrunken.«Er bewegte den Kopf e<strong>in</strong> wenig. In se<strong>in</strong>em Nackenwar etwas Glattes, Rundes, Warmes. Als er überlegte,was es se<strong>in</strong> könnte, strich <strong>die</strong> warme Nachtbrise überihn h<strong>in</strong>weg, und er spürte, daß er völlig nackt war. Er


setzte sich abrupt auf, und e<strong>in</strong> stechender Schmerzg<strong>in</strong>g durch se<strong>in</strong>en Kopf. Charla nahm ihn an beidenSchultern und drückte ihn wieder an ihre Hüfte. Zum<strong>in</strong>destwußte er jetzt Bescheid. Er war auf e<strong>in</strong>emSonnenbalkon, lag auf e<strong>in</strong>er Luftmatratze, und Charlahatte sich so h<strong>in</strong>gesetzt, daß sie ihm als Kissen <strong>die</strong>nte.Er war heilfroh, daß zwischen ihrer Hüfte und ihmwenigstens etwas dünner Stoff war.»Halte dich still, Liebl<strong>in</strong>g.«»Ich war nur ...«»Du Schlimmer«, gurrte sie. »Läßt sich e<strong>in</strong>fachvollaufen. Und lügt mich an. Du solltest mich nichtanlügen. Du hast also Betsy getroffen.«»Für e<strong>in</strong> paar M<strong>in</strong>uten.« Er zögerte. »Wo s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>eKleider?«»Hier auf dem Boden, Liebes. Nachdem wir dichhier heraufgebracht hatten und du ohnmächtig wurdest,haben wir dich ausgezogen. Dir war so heiß undelend.«»Oh.«»Ich b<strong>in</strong> wirklich böse auf dich. Du weißt wohlnicht, wer de<strong>in</strong>e wahren Freunde s<strong>in</strong>d, nicht wahr?«»Ich fühle mich nicht besonders wohl.«»Natürlich nicht. Und du kannst nicht schauspielern.Ruh dich jetzt aus. Du hast uns den heutigenAbend verdorben. Weißt du, daß du de<strong>in</strong>er Charlaalles verdorben hast?«»Ich hatte doch ke<strong>in</strong>e Ahnung ...«»Dachtest du, ich würde ganz ord<strong>in</strong>är e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>barungmit dir treffen? Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Frau, Liebl<strong>in</strong>g.«»Der Alkohol hat mich umgeworfen.«Die F<strong>in</strong>gerspitzen schlossen se<strong>in</strong>e Augen und strichensanft über se<strong>in</strong>en Mund. »Vielleicht warst du er-


schöpft, Liebl<strong>in</strong>g. Vielleicht hat <strong>die</strong> energische kle<strong>in</strong>eBetsy all de<strong>in</strong>e Kräfte verbraucht.«»Ne<strong>in</strong>! Wir saßen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Hotel und unterhieltenuns.«»In ihrem Hotel?«»Ne<strong>in</strong>. Es war irgende<strong>in</strong> Hotel. Wir saßen im Foyer.«»Und du hast der verrückten Kle<strong>in</strong>en zugehört undan uns gezweifelt. Wo wohnt sie, Liebes?«»In e<strong>in</strong>em Apartment.«»Weißt du <strong>die</strong> Adresse?«»Ne<strong>in</strong>. Sie sagte, sie würde sich mit mir <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dungsetzen.«»Sie weiß, daß du hierhergezogen bist?«»Ja.«»Und du wirst mir sofort Bescheid sagen, wenn siedich aufsucht, ja? Sofort.«»Natürlich, Charla.«Sie seufzte. Er spürte <strong>die</strong> parfümierte Wärme ihresAtems an se<strong>in</strong>em Gesicht. »Du machst es mir schwer.Ich sagte dir doch, daß es bei mir mehr se<strong>in</strong> muß alsnur e<strong>in</strong> bißchen Liebe. Und nun hast du mich angelogen.Das hat alles zerstört.«»Das tut mir leid. Bitte, verzeih mir.«»Ich werde es versuchen, Liebl<strong>in</strong>g.«Langsam küßte sie ihn, und er legte unwillkürlich<strong>die</strong> Arme um sie. Doch im nächsten Moment zuckteer zusammen und quiekte. Sie machte sich frei, lachteleise und e<strong>in</strong> wenig spöttisch und war verschwunden.Er lag e<strong>in</strong>e Zeitlang unter den Sternen und danng<strong>in</strong>g er h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> und nahm e<strong>in</strong>e eiskalte Dusche. Es wardrei Uhr. Er stellte den Wecker auf neun. Nachdem er


se<strong>in</strong>e Kleider aufgehoben und here<strong>in</strong>getragen hatte,g<strong>in</strong>g er noch e<strong>in</strong>mal h<strong>in</strong>aus auf den Balkon und setztesich auf den rauhen Boden, <strong>die</strong> Arme um <strong>die</strong> Knie geschlungen,e<strong>in</strong>e Zigarette im Mundw<strong>in</strong>kel.Charla hatte ihn durch e<strong>in</strong> w<strong>in</strong>ziges Zwicken zumClown gemacht. Sie hatte ihm symbolisch gezeigt,daß sie se<strong>in</strong>en Stolz vernichten konnte, daß sie se<strong>in</strong>eWürde zerstören konnte.E<strong>in</strong> anderer Mann hätte sie vielleicht voller Empörunggepackt und vergewaltigt. (Aber vielleichtwollte sie das nur.)Er stöhnte, schnippte se<strong>in</strong>e Zigarette <strong>in</strong> Richtungdes Meeres und g<strong>in</strong>g h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>.


5Das Konferenzzimmer lag im sechzehnten Stock, unddurch das Fenster sah man e<strong>in</strong>en Ausschnitt derBucht, e<strong>in</strong> Stück Promenade und <strong>die</strong> pastellfarbenen,gleichförmigen Strandhotels.Es saßen acht Männer um den Tisch. Dr. LeroyW<strong>in</strong>termore hatte sich l<strong>in</strong>ks von Kirby niedergelassen.Zu se<strong>in</strong>er Rechten saß e<strong>in</strong> eckiger, blasser, bewegungsloserKerl namens Hilton Hibber. Er vertrat <strong>die</strong>Bank, <strong>die</strong> <strong>in</strong> Omar Krepps' Testament als Vollstreckergenannt war. Die anderen fünf Männer waren <strong>die</strong>leitenden Angestellten der Krepps-Unternehmen. Siedeprimierten Kirby. Das hatten sie schon immer getan.Er konnte sie nicht vone<strong>in</strong>ander unterscheiden.Sie hatten alle Namen wie Grumby, Groombaw oderGorman. Sie trugen alle schneeweiße Hemden, goldeneManschettenknöpfe und ehrerbietige Mienen.Und sie alle hatten große, fette Gesichter, <strong>die</strong> im Laufeder Zeit etwas Würdevolles angenommen hatten.Sie hatten Onkel Omar nicht gemocht, sondern ihnals verrückten kle<strong>in</strong>en Exzentriker betrachtet, der ihreernsthaften Aufgaben durch lächerliche Nebend<strong>in</strong>gekomplizierte. Und sie wurden nie müde, OnkelOmars persönliche kle<strong>in</strong>e Firma O. K. Devices <strong>in</strong> denGriff zu bekommen. In fremden Ländern hatte Kirbyimmer wieder bunte kle<strong>in</strong>e Formulare erhalten, <strong>die</strong> erausfüllen sollte. Onkel Omar hatte ihm geraten, siee<strong>in</strong>fach zu ignorieren, und er hatte es auch getan.Aber sie versuchten es weiter, und manchmalschickten sie ihm zusätzlich bitterböse Briefe.Der Mann <strong>in</strong> der Mitte bat um Ruhe und sagte:


»Me<strong>in</strong>e Herren, rekapitulieren wir noch e<strong>in</strong>mal <strong>die</strong>Bed<strong>in</strong>gungen von Mister Krepps' Testament. Der gesamteFirmenbesitz soll <strong>in</strong> <strong>die</strong> Omar-Krepps-Stiftungübergeführt werden. Die Krepps-Unternehmen werdenaufgelöst, und zwar über e<strong>in</strong>e bestimmte Zeith<strong>in</strong>weg, bis <strong>die</strong> Aktien, <strong>die</strong> <strong>in</strong> anderen Firmen stekken,transferiert werden können. Sobald der Aufsichtsrat– also wir – das Unternehmen aufgelöst hat,übernimmt er <strong>die</strong> Direktion der Stiftung.Mister W<strong>in</strong>ter, wir s<strong>in</strong>d nun der Me<strong>in</strong>ung, daß Sieirgendwie aktiv mit der Stiftung verbunden se<strong>in</strong>sollten. Wir denken dabei vor allem an <strong>die</strong> Tatsache,daß Mister Krepps Ihnen nichts h<strong>in</strong>terlassen hat. Wirbrauchen e<strong>in</strong>en Geschäftsführer für <strong>die</strong> Stiftung IhresOnkels, und wir s<strong>in</strong>d bereit, Ihnen für <strong>die</strong>se Stelle e<strong>in</strong>Jahresgehalt von fünfundzwanzigtausend Dollar zubieten.«»Ich habe Sie um nichts gebeten«, sagte Kirby.Die fünf Männer sahen ihn ernst an. »Sie s<strong>in</strong>d ohneBeschäftigung, nicht wahr?« fragte der Sprecher.»Im Moment ja.«»Me<strong>in</strong>e Herren«, mischte sich D. Leroy W<strong>in</strong>termoregewandt e<strong>in</strong>. »Soviel ich verstehe, möchten Sie me<strong>in</strong>emKlienten e<strong>in</strong> Geschäft vorschlagen. Er muß dazuallerd<strong>in</strong>gs erst genauer erfahren, was Sie von ihm erwarten.«»Ihr Klient?« sagte der Sprecher. »Ist das nicht e<strong>in</strong>Interessenkonflikt?«»Ganz und gar nicht«, erwiderte der alte Mannscharf.Hilton Hibber räusperte sich. »Vielleicht kann ichetwas Licht <strong>in</strong> <strong>die</strong> Angelegenheit br<strong>in</strong>gen. Als ich <strong>die</strong>Steuerunterlagen der letzten elf Jahre durchg<strong>in</strong>g,


mußte ich entdecken, daß etwa siebenundzwanzigMillionen Dollar von den Aktiva der Krepps-Unternehmen aus dem Firmenvermögen genommenund auf Mister Krepps' persönliche kle<strong>in</strong>e Firma O. K.Devices übertragen wurden. Da <strong>die</strong>ses Geld versteuertwar, kümmerte sich <strong>die</strong> F<strong>in</strong>anzbehörde nicht weiterdarum. O. K. Devices befand sich vollständig im Privatbesitzvon Omar Krepps. Doch nun wollen <strong>die</strong> Behördendas Geld plötzlich zum Besitz des Krepps-Unternehmens rechnen. Wenn sie es tun, müßten wir<strong>die</strong> Summe versteuern, und das würde <strong>die</strong> Stiftungerheblich verr<strong>in</strong>gern. Ich erhielt <strong>die</strong> Bücher der O. K.Devices. Sie wurden von Miß Wilma Farnham geführt,<strong>die</strong> abgesehen von Mister W<strong>in</strong>ter <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zige Angestellteder O. K. Devices war. Die Bücher zeigen e<strong>in</strong>enHaben-Stand von vierhundert Dollar. Es stehen ke<strong>in</strong>eZahlungen aus, und es s<strong>in</strong>d auch ke<strong>in</strong>e zu leisten.« Erzögerte und wischte sich mit e<strong>in</strong>em weißen Taschentuchüber <strong>die</strong> Stirn, obwohl es im Konferenzsaalkühl war. »Um es genau zu sagen, außer der Abschreibungfür <strong>die</strong> Büroausstattung existieren ke<strong>in</strong>erleiAufzeichnungen.«»Und wir wissen auch weshalb«, erklärte der Sprechermit erstickter Stimme. »Miß Farnham behauptet,daß sie im Auftrag von Mister Krepps handelte. Siemietete e<strong>in</strong>en Lastwagen und e<strong>in</strong>ige Leute und ließam Tage nach Mister Krepps' Ableben alle Bücher ane<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>same Stelle fahren, wo sie verbrannt wurden.Sie stapelte sie, übergoß sie mit Benz<strong>in</strong> und zündetesie an!«»So e<strong>in</strong> Pech!« murmelte Mister W<strong>in</strong>termore.»Die F<strong>in</strong>anzbehörden werden annehmen, daß esgeschah, um den Verbleib der siebenundzwanzig


Millionen zu verschleiern«, erklärte Mister Hibber.»Vermutlich werden sie Miß Farnham und MisterW<strong>in</strong>ter vorladen und versuchen, Informationen vonihnen zu erhalten. So schlage ich vor, daß MisterW<strong>in</strong>ter mit uns zusammenarbeitet. Es wäre – äh –fruchtbar für beide Teile.«Alle Augen richteten sich auf Kirby W<strong>in</strong>ter. »Esgeht also um folgendes«, sagte er. »Sie stecken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erSteuerklemme. Sie wissen nicht, was ich währendder letzten elf Jahre gemacht habe, und Sie sterbenvor Neugier, wenn Sie es nicht erfahren. Wenn ichIhnen erkläre, was ich gemacht habe und woh<strong>in</strong> <strong>die</strong>siebenundzwanzig Millionen verschwunden s<strong>in</strong>d,bekomme ich zur Belohnung e<strong>in</strong>e Lebensstellung, <strong>in</strong>der ich nicht viel zu tun habe und doch allerhandGeld e<strong>in</strong>streiche.«Der Sprecher lächelte. »Ihre Ausdrucksweise istunpassend. Aber falls Sie das Angebot ausschlagensollten, können wir natürlich nicht umh<strong>in</strong>, Sie derUnterschlagung zu verdächtigen ...«»Das ist üble Nachrede!« sagte W<strong>in</strong>termore sofort.»Vielleicht. Aber wir s<strong>in</strong>d doch alle Realisten. Wirmüssen uns schützen.«Kirby lehnte sich zurück und stu<strong>die</strong>rte <strong>die</strong> angespanntenGesichter. »Sie wollen also wissen, wo dasganze schöne Geld geblieben ist, was?«Sechs Männer nickten eifrig, sechs Augenpaareglitzerten.Er lächelte sie an. »Es ist weg.«»Weg!« Das war e<strong>in</strong> Verzweiflungsschrei.»Sicher. Ich habe alles weggegeben.«Die Konsternation schlug augenblicklich <strong>in</strong> Entrüstungum. »Im Augenblick s<strong>in</strong>d frivole Bemerkungen


kaum am Platze«, sagte der Sprecher eisig. »W<strong>in</strong>ter,Mister Krepps war exzentrisch, aber bestimmt nichtso exzentrisch.« Er beugte sich vor und schlug mit derFaust auf den Tisch. »Wo ist das Geld?«»Das haben Sie schon e<strong>in</strong>mal gefragt. Ich habe esweggegeben.«»Me<strong>in</strong> Klient hat Ihnen geantwortet«, stellte W<strong>in</strong>termorefest.»Angesichts der Haltung von Mister W<strong>in</strong>ter hat eswenig S<strong>in</strong>n, <strong>die</strong> Konferenz fortzusetzen«, me<strong>in</strong>te derSprecher. »Offensichtlich ist er ebensowenig wie MißFarnham gewillt, mit uns zusammenzuarbeiten. Darfich Sie nach Ihren weiteren Plänen fragen, MisterW<strong>in</strong>ter?«»Vielleicht mache ich e<strong>in</strong>e Kreuzfahrt.«»Mit siebenundzwanzig Millionen?« fragte Hibbereisig.»Ich nehme nie mehr als fünfzig Dollar <strong>in</strong> bar mit.«»Wo verstecken Sie den Rest?«»Ich habe alles weggegeben.« Er beugte sich nachrechts und flüsterte dem alten Anwalt etwas zu.W<strong>in</strong>termore streckte sich. »Als e<strong>in</strong>ziger Verwandterdes Verstorbenen hat me<strong>in</strong> Klient Anspruch auf<strong>die</strong> persönlichen Papiere und Dokumente von MisterKrepps.«Die fünf Männer sahen unbehaglich dre<strong>in</strong>. »Er hate<strong>in</strong>e Kiste mit Dokumenten <strong>in</strong> unserem Tresor gelassen«,erklärte der Sprecher. »Als <strong>die</strong>ses – <strong>die</strong>ses Probleman uns herantrat, untersuchten wir sie. DasGanze kam uns wie e<strong>in</strong> schlechter Scherz vor. Die Kisteenthält e<strong>in</strong>en Zentner Texte über Karten- undZaubertricks. Dazu Geräte wie <strong>die</strong> doppelten R<strong>in</strong>geund gez<strong>in</strong>kte Kartenspiele. Der alte Herr war – e<strong>in</strong>


wenig komisch. Die Kiste bef<strong>in</strong>det sich im Tresor. Siekönnen sie jederzeit haben.«Als sie mit dem Taxi zu W<strong>in</strong>termores Büro fuhren,war der alte Anwalt schweigsam und nachdenklich.Doch als sie sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Privaträumen befanden,lachte er plötzlich los. Er lachte, bis se<strong>in</strong> Gesicht rotangelaufen war.»Me<strong>in</strong> Gott, me<strong>in</strong> Gott«, keuchte er schließlich. »Siemüssen mir verzeihen. Ich kenne Omar Krepps. Ach,du me<strong>in</strong> Gott! Es gibt nur e<strong>in</strong>e Antwort. Sie habendas Geld tatsächlich weggegeben.«»Das habe ich den Leuten doch erzählt.«»Aber, so verstehen Sie doch! Die Kerle werden dasniemals glauben. Es ist e<strong>in</strong> so absurder Gedanke, daßsie ihn ablehnen. Omar hatte se<strong>in</strong>en Spaß an praktischenScherzen. Und das ist der größte praktischeScherz <strong>in</strong> der F<strong>in</strong>anzgeschichte. Wo er jetzt auch se<strong>in</strong>mag, er lacht ebenso wie ich. Diese armen ernsthaftenStreber! Und ich b<strong>in</strong> überzeugt davon, daß Miß Farnhamgenau nach se<strong>in</strong>en Anweisungen handelte, alssie <strong>die</strong> Aufzeichnungen verbrannte.« W<strong>in</strong>termoreschneuzte sich und stand auf. »Ich hole Ihre Uhr.«»Muß ich nicht warten, ob das Testament angefochtenwird?«»Nicht bei Er<strong>in</strong>nerungsstücken.«W<strong>in</strong>termore kam nach wenigen Sekunden mit e<strong>in</strong>erriesigen, altmodischen Golduhr zurück, <strong>die</strong> an e<strong>in</strong>er abgewetztenKette h<strong>in</strong>g. Die Uhr tickte und stimmte auf<strong>die</strong> Sekunde genau. Am anderen Ende der Kette befandsich e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Verzierung <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Teleskops.Kirby hielt das kle<strong>in</strong>e D<strong>in</strong>g gegen das Licht und sahh<strong>in</strong>durch. Er entdeckte e<strong>in</strong> sehr realistisches Interieur.Kirby schluckte und sah W<strong>in</strong>termore fragend an.


»Me<strong>in</strong> lieber Junge, Ihr Onkel hatte etwas gegenEhefrauen. Aber das heißt nicht, daß er Frauengrundsätzlich ablehnte. Er war e<strong>in</strong> Mann wie Sie undich.«»Ich habe das Gefühl, als würde ich ihn nicht wiedererkennen.«»Niemand durchschaute ihn ganz.«»Er war immer so – ungeduldig mit mir, so alshätte ich ihn enttäuscht.«W<strong>in</strong>termore lehnte sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Ledersessel zurück.»Er sprach nicht viel über Sie, Kirby, aber wenner es tat, spürte ich e<strong>in</strong>e gewisse Angst bei ihm. Eswar, als wartete er sehnsüchtig darauf, daß Sie endlichreif würden. Als hätte er e<strong>in</strong>e große Aufgabe fürSie. Er war durchaus mit Ihrer Intelligenz zufrieden.Aber er befürchtete, daß Sie nie im Leben auf eigenenFüßen stehen würden.«»Ich habe es wirklich oft genug versucht.«»Davonlaufen und sich beleidigt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Höhleverkriechen, so nannte er es. E<strong>in</strong>mal fragte er <strong>in</strong> me<strong>in</strong>erGegenwart, ob Sie Ihr Leben lang e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>faltsp<strong>in</strong>selbleiben würden. Verzeihen Sie, ich zitiere nur.«»Ich b<strong>in</strong> nicht beleidigt. Manchmal frage ich michdas gleiche.«»Wenn Omar Sie heute vormittag gesehen hätte,wären se<strong>in</strong>e Hoffnungen gestiegen.«»Tatsächlich?«»Sie waren großartig, me<strong>in</strong> Junge. Skeptisch, <strong>in</strong>digniert,<strong>in</strong>different. Ich hatte erwartet, daß Sie sichvielmals bei den Herren für jede Unannehmlichkeitentschuldigen und anschließend dankbar <strong>die</strong> angeboteneStellung akzeptieren würden.«»Ehrlich gesagt, ich staune, daß ich es nicht getan


habe.« Kirby sah wieder durch das Teleskop, seufzteund steckte <strong>die</strong> Uhr <strong>in</strong> <strong>die</strong> Tasche. »Sollen sie e<strong>in</strong>eZeitlang zappeln. Ich werde sie vom Haken nehmen,wenn ich Lust habe. Vielleicht auch nicht. Ich weißnoch nicht.«»Sie glauben doch nicht, daß <strong>die</strong> Leute ruhig sitzenbleiben? Auf e<strong>in</strong>en Gegenangriff müssen Sie sichschon gefaßt machen.«»Wenn es soweit ist, können Sie mir ja sagen, wasich tun soll. Sie s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong> Anwalt.«»Ich möchte wissen, was Omar im S<strong>in</strong>n hatte.Schade, daß wir den Brief nicht öffnen können, den erfür Sie h<strong>in</strong>terlassen hat. Aber ich habe me<strong>in</strong> Lebenlang ethisch gehandelt, und das nur, weil ich wußte,daß ich mir nicht selbst trauen durfte. Wir haben e<strong>in</strong>enMister Vitts hier im Büro, e<strong>in</strong>en Mann mit e<strong>in</strong>ergeradezu psychotischen Verläßlichkeit. Ich gab ihmden Brief zur persönlichen Aufbewahrung. Mister Vittsliebt solche Vertrauenssachen. Wenn man ihn <strong>in</strong> Öl siedenwürde, so gäbe er den Brief dennoch nicht her.«»Vielleicht weiß ich mehr, bevor das Jahr um ist.«»Wenn Sie etwas vermuten, dann kommen Sie zumir und verraten Sie es mir. Omar war e<strong>in</strong> merkwürdigerMensch. Er machte ke<strong>in</strong>en falschen Schachzug.Ich fragte mich oft, wor<strong>in</strong> das Geheimnis se<strong>in</strong>es Erfolgesbestand, und <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zige Lösung sche<strong>in</strong>t me<strong>in</strong>erMe<strong>in</strong>ung nach dar<strong>in</strong> zu liegen, daß er vor langerZeit e<strong>in</strong>en mathematischen Prozeß fand, mit dem er<strong>die</strong> Zukunft vorhersagen konnte. Das würde auch erklären,weshalb er solche Angst um Sie hatte. Denn<strong>die</strong> Fähigkeit, <strong>die</strong> Zukunft vorherzusagen, br<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>efurchtbare Verantwortung mit sich.«Kirby nickte mit gerunzelter Stirn. »Es wäre auch


e<strong>in</strong>e Lösung für se<strong>in</strong>e hohen Spielgew<strong>in</strong>ne von damals.Und später verlor er mit Absicht, um von denLeuten <strong>in</strong> Ruhe gelassen zu werden.«*Kirby g<strong>in</strong>g von W<strong>in</strong>termores Büro <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en benachbartenDrugstore und bestellte e<strong>in</strong> Sandwich mit Kaffee.E<strong>in</strong> Wort rumorte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gehirn. E<strong>in</strong>faltsp<strong>in</strong>sel.E<strong>in</strong> altmodisches Wort. Und doch gab es ke<strong>in</strong>modernes mit der gleichen Bedeutung. E<strong>in</strong>faltsp<strong>in</strong>sel– der sanfte, ewig lächelnde, sich verkriechendeMensch, der sich entschuldigt, wenn ihm jemand aufden Fuß tritt, den man anpumpt, weil man weiß, daßer das Geld nie zurückfordern wird ...Komisch, warum hatte er auf der Konferenz andersals gewöhnlich reagiert? Gewiß, er hatte ihnen <strong>die</strong>Wahrheit gesagt, aber er hatte genau gewußt, wie siedarauf reagieren würden – und genau deshalb hatteer es getan.Als <strong>die</strong> dralle Be<strong>die</strong>nung zum Kassieren kam, hober den Kopf zwei Zentimeter höher und sagte: »DerKaffee ist <strong>die</strong> re<strong>in</strong>ste Spüle.«»Wie?«»Der Kaffee ist <strong>die</strong> re<strong>in</strong>ste Spüle.«Sie lächelte ihn h<strong>in</strong>reißend an. »Als ob ich das nichtselbst wüßte, Junge!«Er g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e der Telefonzellen und rief WilmaFarnham an. Sie antwortete mit kühler Stimme.»Kirby W<strong>in</strong>ter. Ich versuchte Sie schon gestern zuerreichen.«»Was gibt es?«»Ich dachte, wir sollten uns e<strong>in</strong>mal unterhalten.«


»Wirklich?«»Was ist denn los mit Ihnen?«»Überhaupt nichts, Mister W<strong>in</strong>ter. Das Büro ist geschlossen.Ich habe <strong>die</strong> Bücher den Anwälten übergeben.Im Moment b<strong>in</strong> ich auf Stellungssuche. MisterKrepps hat mir e<strong>in</strong>e großzügige Übergangssummegewährt, aber ich werde sie erst <strong>in</strong> e<strong>in</strong> paar Monatenbekommen. Unsere Verb<strong>in</strong>dung ist damit gelöst, MisterW<strong>in</strong>ter. Leben Sie wohl.«Er ließ nicht locker. »E<strong>in</strong>en Moment, Miß Farnham– Wilma. Ich hörte, daß Sie alle Aufzeichnungen verbrannthaben.«»Das ist richtig.«»Es könnte also se<strong>in</strong>, daß uns <strong>die</strong> F<strong>in</strong>anzleute vorladen...«»Mister W<strong>in</strong>ter! Ich wußte, daß Sie mich anrufenwürden. Ich wußte, daß Sie beim Tode von MisterKrepps sofort Ihr Wort brechen würden. Ich halte dasme<strong>in</strong>e. Lieber lasse ich mich <strong>in</strong>s Gefängnis stecken,als daß ich <strong>die</strong>sen großartigen Mann verrate. Sie könnenmich jedenfalls nicht dazu überreden. Sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>elender Kriecher und Feigl<strong>in</strong>g, Mister W<strong>in</strong>ter. IhrOnkel hat Sie se<strong>in</strong> Leben lang überschätzt. BelästigenSie mich bitte nie wieder.«Sie hatte aufgelegt.Zwanzig M<strong>in</strong>uten später drückte er auf <strong>die</strong> Kl<strong>in</strong>gelihrer Wohnung. Als sie sich per Sprechanlage meldeteund se<strong>in</strong>en Namen hörte, öffnete sie nicht. Erdrückte wahllos auf e<strong>in</strong> paar andere Kl<strong>in</strong>geln. DerTüröffner summte, und er betrat den kle<strong>in</strong>en Vorraum.Der Aufzug war <strong>in</strong> Betrieb, und so g<strong>in</strong>g er zuFuß <strong>in</strong> den zweiten Stock, wo er ihr Apartment entdeckte.Er trommelte mit der Faust gegen <strong>die</strong> Tür.


»Gehen Sie weg!« kreischte sie.Er trommelte weiter. E<strong>in</strong>e Tür am anderen Endedes Korridors g<strong>in</strong>g auf. E<strong>in</strong>e Frau starrte ihn an. Ergr<strong>in</strong>ste sie an und schnitt e<strong>in</strong>e Grimasse, und sie verschwandverängstigt.Schließlich öffnete sich <strong>die</strong> Tür. Wilma Farnhamversuchte ihm den Weg zu versperren, aber er schobsich gewaltsam an ihr vorbei und schloß <strong>die</strong> Tür.»Wie können Sie es wagen!«»Das ist der blödeste Ausspruch des Jahres, Wilma.«»Sie s<strong>in</strong>d st<strong>in</strong>kbetrunken!«»Ich b<strong>in</strong> st<strong>in</strong>kwütend. Jetzt setzen Sie sich, haltenSie den Mund und hören Sie mir zu!« Er packte sie anden Schultern, schob sie zur Couch und setzte sie h<strong>in</strong>.Sie fauchte wütend.»Ich werde sofort ...«»... den Mund halten!« Er starrte sie an. Sie trug e<strong>in</strong>unförmiges Frotteekleid <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em abscheulichenBraun. Das Kastanienhaar fiel ihr auf <strong>die</strong> Schultern.Sie hatte ihre Brille abgenommen und bl<strong>in</strong>zelte ihnkurzsichtig an. »Wie zum Teufel kommen Sie darauf,Wilma, daß Sie Tugend, Ehre und Treue gepachtethätten? Wer gibt Ihnen das Recht, mich zu beurteilen,wenn Sie mich überhaupt nicht kennen?«»A-aber Sie schienen immer mit der M-masse ...«»Still! Sie haben getan, was Ihnen befohlen wurde.Schön. Ich gratuliere. Aber deswegen stehen Sie nichte<strong>in</strong>zigartig <strong>in</strong> der <strong>Welt</strong> da. Ich habe auch getan, wasmir befohlen wurde. Ich habe ihnen ke<strong>in</strong> Wort verraten.«Sie sah ihn zweifelnd an. »Ke<strong>in</strong> Wort?«»Nichts.«


»Aber <strong>die</strong>se Anwälte haben mir erklärt, daß Sie allessagen würden. Sie me<strong>in</strong>ten, das sei der e<strong>in</strong>zigeWeg für Sie, noch Geld aus Omar Krepps' Vermögenzu bekommen.«»Die Leute haben sich ebenso verschätzt wie Sie,Wilma.«»Haben Sie – überhaupt nichts gesagt? Haben Siee<strong>in</strong>fach <strong>die</strong> Aussage verweigert?«»Etwas viel Schlaueres. Ich sagte ihnen etwas, dassie unmöglich glauben konnten – ich sagte ihnen, daßich alles weggegeben hätte.«Ihre Augen waren mit e<strong>in</strong>emmal riesig und rund.»Aber – das ...«Plötzlich begann sie zu kichern. Er hätte nicht geglaubt,daß sie zu so k<strong>in</strong>dischem Gekicher fähig wäre.Dann lachte sie laut und schrill. Er lachte mit ihr. IhrLachen g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Schluchzen über. Tränen kullerten ihrüber das Gesicht.Er g<strong>in</strong>g zu ihr und setzte sich neben sie. Zwischenwilden Schluchzern stieß sie hervor: »Tut mir leid –so alle<strong>in</strong> – nicht so geme<strong>in</strong>t – muß mich schämen ...«Er legte ihr den Arm um <strong>die</strong> Schulter und tätscheltesie. »Na, na, na ...«Endlich beruhigte sie sich. Er spürte, wie frisch ihrHaar roch und wie weich sich ihre Figur unter demfurchtbaren Kittel abzeichnete. Ganz plötzlich versteiftesie sich und rutschte ans andere Ende der Couch.»Kommen Sie nicht <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Nähe. Rühren Siemich nicht an, Sie – Sie Bock!«»Wilma!«»Ich kenne Sie. Vielleicht machen <strong>die</strong> anderen mit,aber ich nicht – das können Sie sich merken.«»Was zum Teufel soll das jetzt wieder?«


»Spielen Sie nur den Unschuldsknaben! Ich weißgenau, was Sie im S<strong>in</strong>n hatten, als Sie unsere Konferenzen<strong>in</strong> <strong>die</strong>ses schmuddelige kle<strong>in</strong>e Hotel verlegten.Ich war jeden Augenblick auf das Schlimmste gefaßt.Ich wußte, daß Sie wie e<strong>in</strong> Verrückter h<strong>in</strong>ter mir herse<strong>in</strong> würden, wenn ich Ihnen nur <strong>die</strong> ger<strong>in</strong>gste Gelegenheitgeben würde.«»Was ...?«»Ich hatte nicht <strong>die</strong> Absicht, Ihr Miami-Püppchenzu werden, Mister W<strong>in</strong>ter. Sie konnten genug Mädchenbei Ihren Reisen durch <strong>die</strong> ganze <strong>Welt</strong> haben.Ich g<strong>in</strong>g nur mit Angst und Schrecken <strong>in</strong> <strong>die</strong>ses Hotelzimmer.Ich wußte, wie Sie mich ansahen. Und ichhabe dem lieben Gott gedankt, daß ich häßlich b<strong>in</strong>,denn sonst hätten Sie ganz <strong>die</strong> Beherrschung verloren.Und jetzt, da alles vorbei ist, kann ich Ihnen etwasgestehen, Mister W<strong>in</strong>ter, was mich ganz krankvor Scham macht. Manchmal hätte ich mich trotz allerVerachtung am liebsten an Ihren Hals geworfen.«»An me<strong>in</strong>en ...«»Es war der Teufel <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Innern, Mister W<strong>in</strong>ter.Es war <strong>die</strong> Krankheit des Fleisches, e<strong>in</strong> verrückterDrang, mich zu entwürdigen. Aber ich habe me<strong>in</strong>enLüsten nicht nachgegeben. Ich habe mir nichts anmerkenlassen.«»Aber wir saßen doch nur im Zimmer und g<strong>in</strong>gen<strong>die</strong> Berichte durch ...«»So sah es aus, ja. Ah, aber <strong>die</strong> ungesagten D<strong>in</strong>ge,Mister W<strong>in</strong>ter, der <strong>in</strong>nere Aufruhr und <strong>die</strong> Anspannung.Was sagen Sie dazu?«Er hob <strong>die</strong> Rechte. »Miß Farnham, ich schwöre vorGott, daß ich niemals, ke<strong>in</strong>en Augenblick lang, auchnur <strong>die</strong> ger<strong>in</strong>gste Absicht ...«


Er unterbrach sich mit e<strong>in</strong>emmal. Er erkannte,weshalb das Apartment so unpersönlich und sterilwirkte. Er sah, wie sich das Gesicht des Mädchensveränderte. Und er wußte, daß er ihr das nicht antunkonnte, auch wenn sie e<strong>in</strong> wenig verrückt war.Er senkte <strong>die</strong> Hand und bl<strong>in</strong>zelte ihr zu. »Na, ichsehe schon, damit komme ich nicht durch, was?«»Wie bitte?«Er bl<strong>in</strong>zelte wieder. »Verflixt, Baby, wenn ich dichso hüftewiegend zum Aufzug gehen sah, dachte ichmir: Weg mit der Brille und 'raus aus den Jungfernkleidern,und <strong>die</strong> Kle<strong>in</strong>e wäre e<strong>in</strong>e Wucht.«»S-sie Tier!«Er zuckte mit den Schultern. »Aber wie gesagt, Baby,du hast nie e<strong>in</strong>e Andeutung gemacht.«Sie war mit e<strong>in</strong>em Sprung an der Tür. Ihr Gesichtwirkte blaß. »Warum hast du denn nie etwas gesagt?«flüsterte sie.In dem bebenden Schweigen fiel ihm nur e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige,nämlich <strong>die</strong> wahre Antwort e<strong>in</strong>. »Weil – ichAngst vor Frauen habe. Ich versuche es zu verbergen,aber Frauen erschrecken mich.«Sie sah ihn mit e<strong>in</strong>em Ausdruck absoluter Ungläubigkeitan. »Aber du bist so – gewandt und ...«»Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e verfluchte Niete, Wilma. Ich renne jedesmaldavon wie e<strong>in</strong> Hase.«Sie biß sich auf <strong>die</strong> Lippen. »Ich – ich hatte nichtviele Chancen, davonzurennen. Aber ich habe es auchso wie du gemacht. Immer davongelaufen. Nur – beidir kann ich es e<strong>in</strong>fach nicht verstehen.«»Du bist der erste Mensch, dem ich mich anvertraue.«Plötzlich begann sie wieder zu lachen, aber <strong>die</strong>smal


konnte er nicht mitlachen. Er hörte zu, wie sich ihreStimme zur Hysterie steigerte.»Ne<strong>in</strong>!« sagte er. »Bitte nicht wieder!«Sie rannte h<strong>in</strong>aus und schlug <strong>die</strong> Tür zu. Er hörte,wie sie im Bad rumorte, als sei e<strong>in</strong>e mittlere R<strong>in</strong>derherdeausgebrochen und stampfte nun durch Sumpfland.»Wilma!« rief er.»Gleich«, erwiderte sie mit schluchzender Stimme.Er zog <strong>die</strong> Golduhr heraus, sah durch das kle<strong>in</strong>eTeleskop und zuckte zusammen. Während er dasverschnörkelte Monogramm auf dem Deckel betrachtete,öffnete sich <strong>die</strong> Tür.»Er hat sie immer bei sich gehabt«, sagte Wilma.»Immer.«»Ich werde mir e<strong>in</strong>e Weste für das D<strong>in</strong>g schneidernlassen.«Sie stand h<strong>in</strong>ter ihm, und plötzlich schwamm er <strong>in</strong>e<strong>in</strong>er Wolke von Parfüm. »Manchmal sah er durchdas kle<strong>in</strong>e Teleskop, und dann lachte er.«»Das glaube ich.«Sie kam um den Stuhl herum, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiten Bogen,so daß er sie genau ansehen konnte. Er wollteschlucken, aber nicht e<strong>in</strong>mal das gelang ihm. »Ich habees vor zwei Jahren gekauft und erst e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zigesmalanprobiert«, flüsterte sie heiser.Sie hatte ihr braunes Haar gebürstet, bis es glänzte,und zum erstenmal sah er den rötlichen Schimmerdar<strong>in</strong>. Sie stand da wie e<strong>in</strong> Rekrut, der eben wegense<strong>in</strong>er schlechten Haltung ausgesondert worden war.Sie zitterte nicht. Sie vibrierte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em so schnellenRhythmus, daß das Auge nicht folgen konnte. Erhatte das Gefühl, daß sie jeden Moment <strong>in</strong> knistern-


den Flammen und rauchender Isolation aufgehenwürde.Kirby würgte. Sie trug e<strong>in</strong> Gewand, dessen Zweckkaum zu erraten war. E<strong>in</strong>e schwarze Spitzenkrauselag um den Hals. Zwei ähnliche Krausen zierten <strong>die</strong>Handgelenke. E<strong>in</strong>e vierte Krause umgab ihre Hüften,war aber etwas zu weit. Diese Krausen wurden vone<strong>in</strong>er hauchdünnen Substanz zusammengehalten, <strong>die</strong>an Ruß auf der W<strong>in</strong>dschutzscheibe er<strong>in</strong>nerte. Undüber all dem saß das rosa, verwe<strong>in</strong>te Gesicht.E<strong>in</strong>e Zehntel Sekunde lang wunderte er sich überden Scharfblick von Hoover Hess, und dann rannte ermit e<strong>in</strong>em Verzweiflungsschluchzer über se<strong>in</strong>e eigeneUnfähigkeit aus der Wohnung. Er hörte ihr Heulenund ihren langgezogenen, bibbernden Schrei: »Oh,du Ba-a-sta-ard!«Zwei Straßenblöcke entfernt merkte er plötzlich,daß er »Um Himmels willen, Wilma!« sagte. Er hattees auf dem ganzen Weg vor sich h<strong>in</strong>gemurmelt. Zweialte Damen sahen ihn ängstlich an. Er hatte immernoch <strong>die</strong> goldene Uhr <strong>in</strong> der Hand. Langsam steckteer sie <strong>in</strong> <strong>die</strong> Tasche und lächelte <strong>die</strong> beiden Damenan. Die e<strong>in</strong>e erwiderte se<strong>in</strong> Lächeln, doch <strong>die</strong> anderehob das spitze K<strong>in</strong>n und rief mit überraschend festerStimme: »Haltet den Dieb!«Er raste los und blieb erst an der nächsten Ecke mitzitternden Knien stehen. Er starrte <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Buchhändlerschaufenster,bis se<strong>in</strong> Atem wieder ruhiger g<strong>in</strong>g.Nur e<strong>in</strong>en Straßenblock weiter war das Birdl<strong>in</strong>e.Er g<strong>in</strong>g h<strong>in</strong>. Hoover Hess kam ihm freudestrahlendentgegen. »Na, Kirby, haben Sie schon über unser Geschäftnachgedacht?«»Noch nicht, Hoover, im Moment ist so viel zu er-


ledigen. Es ist nur wegen der D<strong>in</strong>ge, <strong>die</strong> ich bei Ihnenh<strong>in</strong>terlegt hatte ...«»Natürlich, Kirby, ich habe Ihnen doch gesagt, daßich ke<strong>in</strong>en Penny für <strong>die</strong> Lagerung berechnen würde.Das hat sich durch <strong>die</strong> Erbschaft nicht geändert. Ichwar natürlich gerührt über <strong>die</strong> fünfzig Dollar ...«»Fünfzig?«Hess sah ihn schockiert an. »War es mehr? Habensich <strong>die</strong>se Kerle etwas abgezweigt?«»Äh – ne<strong>in</strong>.«»Na, dann ist es gut. Sie haben den Koffer und <strong>die</strong>große Holzkiste heute um elf abgeholt, Kirby.«»Wer?« fragte er schwach.»Die Kerle vom Elise. Ich habe <strong>die</strong> Hotelaufschriftam Laster gesehen. Aber, Mann, Sie werden dochnoch wissen, wen Sie nach Ihren Koffern losgeschickthaben! Und nun setzen Sie sich e<strong>in</strong>en Moment zu mir,damit wir über <strong>die</strong> Hypotheken sprechen können. Ichhatte übrigens e<strong>in</strong>e großartige Idee. Wir könnten dasHotel ›Haus W<strong>in</strong>ter‹ nennen ...«»Später vielleicht, Hoover.«»Schon gut, schon gut, ich sage ja nichts mehr.«Er g<strong>in</strong>g um e<strong>in</strong>en selig lächelnden Matrosen herumzur Telefonzelle. Er rief Betsy an. Die Nummer wußteer auswendig.»Kirby! Ich wollte schon nach Ihnen sehen. Ich habees dutzendmal im Hotel versucht. S<strong>in</strong>d Sie jetztdort?«»Ne<strong>in</strong>. Hören Sie, ich glaube, Sie hatten recht.«»Vielen Dank!«»Nicht so sarkastisch! Sie dürfen nicht vergessen,daß ich praktisch ke<strong>in</strong>em Menschen trauen kann.«»Kirby, Kirby, Ihre Zähne klappern vor Angst.«


»Ich glaube, ich habe e<strong>in</strong>e Dummheit gemacht. Zuersthielt ich es für klug, aber da war ich auch betrunken.«»Schon wieder!«»Ich weiß. Jedenfalls werden sie jetzt verdammtwütend se<strong>in</strong>. Und ich sollte mich um zwei mit Charlatreffen. Sie will mit mir e<strong>in</strong>kaufen gehen.«»Das Übliche. Sie hat e<strong>in</strong>e herrliche Art, alle ihreMänner zurechtzubügeln, daß sie am Ende wie Super-Skilehreraussehen. Braungebrannt, Kotelettenund bunter Schlips. Schlipse haben es ihr angetan.Außerdem ist zwei Uhr längst vorbei, Kirby.«»Ich habe das Gefühl, daß es jetzt besser wäre,nicht h<strong>in</strong>zugehen. Ich ...«»Kommen Sie zu mir. Ich unterhalte mich nichtgern per Telefon.«»Ich – ich – lieber nicht ...«»Nun beeilen Sie sich aber, Sie Clown.« Sie legteauf.E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Wort drängte sich <strong>in</strong> den Vordergrundse<strong>in</strong>er Gedanken. Es bestand aus fett gedrucktenBuchstaben – ne<strong>in</strong>, sie waren aus e<strong>in</strong>em rosigen Material,das Ähnlichkeit mit Wilmas Gesicht hatte.EINFALTSPINSEL. Es wurde verschleiert von Wilmashauchdünnem Spielanzug.Er stieg <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Taxi, und der Fahrer steuerte vorsichtigan betrunkenen Matrosen, Gassenjungen undmüden Polizisten vorbei.Der Mann fluchte, bis er endlich <strong>die</strong> Adresse gefundenhatte. Das Gebäude befand sich an e<strong>in</strong>er verw<strong>in</strong>keltenUferstraße, und man hatte es im Laufe derJahre willkürlich erweitert und angestückelt. ApartmentVier befand sich im ersten Stock und war nur


über e<strong>in</strong>e offene Eisentreppe zu erreichen. Die Türwar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em knalligen Orange gestrichen. Über derKl<strong>in</strong>gel stand b. sabhith. »E<strong>in</strong>faltsp<strong>in</strong>sel«, flüsterte ersich zu und drückte auf <strong>die</strong> Kl<strong>in</strong>gel. E<strong>in</strong> grünes Augeerschien am Spion. Die Tür g<strong>in</strong>g auf.»Kommen Sie und sehen Sie sich <strong>die</strong>sen Ort desGrauens an«, sagte sie. Sie trug wieder lange Hosen.Kariert. Und e<strong>in</strong>e ärmellose blaue Bluse. Sie war barfuß.Im Mundw<strong>in</strong>kel h<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e Zigarette.Das Apartment bestand <strong>in</strong> der Hauptsache aus e<strong>in</strong>emriesigen Atelierraum. Er entdeckte e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>eKochnische und e<strong>in</strong>e Badtür. E<strong>in</strong>e Glastür führte aufe<strong>in</strong>e w<strong>in</strong>zige Veranda.Betsy umfaßte das Ganze mit e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen Handbewegung.»Da! Knöcheltiefe Teppiche. StrategischeBeleuchtung. Süßer kle<strong>in</strong>er Kam<strong>in</strong> mit – man glaubtes kaum – e<strong>in</strong>em Plüschtiger davor. Aus den Sesselnkommt man ohne Hilfe nicht mehr heraus. Diesesverdammte Bett hat zwei fünfzig mal zwei fünfzig –ich habe es eigens ausgemessen. In der Bibliotheknichts als Erotika. Siebzehn Spiegel. Ich habe sie gezählt.E<strong>in</strong>unddreißig Kissen. Ebenfalls gezählt. AnVorräten haben wir: e<strong>in</strong>e halbe Schachtel ausgetrockneteCracker, e<strong>in</strong>e halbe Schachtel uralten Puffmais,e<strong>in</strong>undzwanzig Dosen Cocktail-Zutaten, zwei FlaschenG<strong>in</strong>, vierzehn Flaschen We<strong>in</strong>. Dreimal dürfenSie raten, W<strong>in</strong>ter. Welches Hobby hat Bernie?«»Äh – Philatelie?«Sie drehte sich herum und gr<strong>in</strong>ste ihn an. »Siestarten langsam, aber dann s<strong>in</strong>d Sie um so netter. Ichdachte schon, ich müßte Sie zu den hoffnungslosenLangweilern zählen. Ich empfehle Ihnen <strong>die</strong> Couchdort drüben. Das e<strong>in</strong>zige Möbel, aus dem man selb-


ständig hochkommt.« Sie setzte sich und deutete aufden Platz neben sich. »Und nun e<strong>in</strong>en ausführlichenBericht, Freund.«Er erzählte ihr alles. Sie wirkte ruhiger und nachdenklicherals beim erstenmal. »Und was war nun <strong>in</strong>der Kiste, <strong>die</strong> Sie im Birdl<strong>in</strong>e aufbewahrt hatten?«»Nur persönlicher Kram. Bücher, Schallplatten,Fotos. E<strong>in</strong>e Tennisausrüstung. Sogar Schlittschuhe.«»Schlittschuhe! Das wird sie freuen. Aber wir s<strong>in</strong>dnun doch e<strong>in</strong> Stück weitergekommen. Wir wissen, daßsie etwas suchen. Vermutlich e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis <strong>in</strong> denAufzeichnungen Ihres Onkels. Und Sie s<strong>in</strong>d ganz sicher,daß ke<strong>in</strong>e solchen Aufzeichnungen existieren?«»Ganz sicher.«»Könnte <strong>die</strong>se Farnham etwas versteckt haben? IhrenSchilderungen nach ist sie allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> Musteran Ehrlichkeit.«»Das ist sie.«»Charla und Joseph werden ziemlich wütend se<strong>in</strong>,Kirby. Aber <strong>die</strong> beiden brauchen Sie. Ich schätze, daßsie selbst nicht genau wissen, was sie suchen. Manwird Sie deshalb weiterh<strong>in</strong> wie e<strong>in</strong> rohes Ei behandeln.Und Sie haben me<strong>in</strong>e Adresse bestimmt nichtverraten, als Sie betrunken waren?«»Wenn ich es getan hätte, wären Sie nicht mehrhier.«»Hm, mag se<strong>in</strong>. Hören Sie zu. Sie sollten zurück <strong>in</strong>sElise gehen und herauszubr<strong>in</strong>gen versuchen, worumes den beiden eigentlich geht. Tun Sie, als wüßten Siealles. Geben Sie ruhig zu, daß das mit der Kiste e<strong>in</strong>Trick war. Sagen Sie, daß Sie Angeboten durchausnicht abgeneigt seien. Vielleicht br<strong>in</strong>gt Sie das e<strong>in</strong>enSchritt weiter.«


»Ich glaube, ich b<strong>in</strong> bei solchen D<strong>in</strong>gen nicht sonderlichgut.«»Ich weiß, daß Sie es nicht s<strong>in</strong>d.«»Wissen Sie, <strong>die</strong>se Verwirrung macht mich nochganz krank. Nach elf Jahren bekommt man es e<strong>in</strong>fachsatt, immer wieder mit Leuten zu verhandeln, vondenen man nie wieder im Leben etwas hört. Ichträumte immer davon, irgendwo ganz abseits e<strong>in</strong>enOrt zu entdecken, <strong>in</strong> dem es nicht mehr als achtundzwanzigE<strong>in</strong>wohner gab, <strong>die</strong> ich alle mit Namenkannte. Dort wollte ich mich für den Rest me<strong>in</strong>es Lebensniederlassen.«»Und ich denke immer noch an <strong>die</strong>se Schule zurück«,sagte sie. »Sie müssen wissen, ich war ganzesechs Jahre dort. Von neun bis fünfzehn.«»Charla hat Sie damals weggeholt?«»Sie kam mit e<strong>in</strong>em Riesenschlitten an, mit livriertemChauffeur und e<strong>in</strong>er englischen Lady, <strong>die</strong> beimLachen immer röchelte. Ich sollte bei e<strong>in</strong>emSchultheater mitmachen, aber das war ihnen piepegal.Sie fuhren mit mir nach Paris und kauften mire<strong>in</strong>e Menge neuer Kleider. Wir trafen dort mit e<strong>in</strong>paar anderen Leuten zusammen und flogen dannnach Kairo.«»Manchmal ist Ihr Akzent stärker – jetzt zum Beispiel.«»Ich kann ihn ganz unterdrücken, wenn ich will.«»Wäre es möglich, daß Charla <strong>die</strong> Häuser undWohnungen me<strong>in</strong>es Onkels durchsuchen ließ?«»Weshalb nicht? Es ist nicht ihre normale Arbeitsweise– zu grob und vermutlich ziemlich teuer. Abersie denkt immer praktisch.«»Sie werden an <strong>die</strong>sen Brief nicht herankommen.«


»Sie können es sich leisten, e<strong>in</strong> Jahr lang zu warten.Sie h<strong>in</strong>gegen besitzen nichts – außer e<strong>in</strong>em Er<strong>in</strong>nerungsstück.«Er holte <strong>die</strong> Uhr aus der Tasche. Betsy griff danach.»E<strong>in</strong>e richtige Großvateruhr.« Bevor er sie daran h<strong>in</strong>dernkonnte, sah sie durch das Teleskop. »HeiligerStrohsack«, sagte sie müde. »Lassen Sie das Bernienicht sehen. Es ist genau das, was <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wohnungnoch fehlt.« Sie sah noch e<strong>in</strong>mal h<strong>in</strong>. »Das Zeug wird<strong>in</strong> Japan hergestellt. E<strong>in</strong> Mädchen <strong>in</strong> der Schule hattee<strong>in</strong>en ganzen Karton davon.« Sie gab ihm <strong>die</strong> Uhr zurück.Während sie sich vorbeugte, streifte sie ihn.Kirby hatte se<strong>in</strong>e demütigende <strong>Flucht</strong> aus WilmasWohnung immer noch nicht vergessen. Er hatte sichgeschworen, nie wieder zurückzuweichen, und sozog er Betsy an sich. Er spürte ihre weiche Haut unterder Bluse. Und im nächsten Augenblick spürte ernoch etwas.Betsy gab ihm e<strong>in</strong>e schallende Ohrfeige. Mit derZungenspitze fischte er etwas Metallisches aus demMund. Es war e<strong>in</strong>e Zahnfüllung.Betsy holte sich ruhig e<strong>in</strong>e Zigarette aus se<strong>in</strong>erPackung und zündete sie an.»Das Dekor hat Sie wohl konfus gemacht?«»Ich dachte nur ...«»Vielleicht hat Charla Ihre Wertbegriffe verwirrt,me<strong>in</strong> Lieber. Bei ihr ist es e<strong>in</strong>e Geste, als würde sieIhnen <strong>die</strong> Butter reichen. Bei mir nicht, W<strong>in</strong>ter. Ichschätze mich höher e<strong>in</strong>.«»Sie sagte, es sei genau andersherum«, erklärte erelend.»Wie viele Lügen schlucken Sie eigentlich?«»Von jetzt an wohl ke<strong>in</strong>e mehr.«


»Ich wollte nicht so fest schlagen, Kirby.«»Und ich hatte auch schon bessere Tage als denheutigen.«Sie schaltete <strong>die</strong> Musik e<strong>in</strong>. Es klang, als sei e<strong>in</strong> Düsenjägerauf das Haus gestürzt. Betsy drehte leiser,und plötzlich hörte er sanfte late<strong>in</strong>amerikanische Musik.»H<strong>in</strong> gehört mit zu Bernies Tour. In der ganzenWohnung s<strong>in</strong>d Lautsprecher versteckt.«»Hat laut geklungen, nicht wahr?«»Die Platten liegen hier unten.« Sie tänzelte zurMusik h<strong>in</strong> und her. »Wenn wir nur genau wüßten,was sie suchen.«»Hm – ich gehe jetzt zurück und sehe, was ich tunkann.«»Verraten Sie ihnen nicht, wo ich mich verstecke.Das könnte unangenehm werden.«Er versuchte sich Charla bei etwas Unangenehmemvorzustellen. Aber plötzlich schien <strong>die</strong> Luft zu dünnzu werden. Er sah sie <strong>in</strong> Wilmas rauchigem Flatteranzug,und sie hatte Betsys kle<strong>in</strong>en Busen. Betsy sah ihnforschend an. »Hat es Sie erwischt?«»Mich?«»Versuchen Sie es mit e<strong>in</strong>er kalten Dusche, Atemübungenund re<strong>in</strong>en Gedanken, W<strong>in</strong>ter. Und jetztverschw<strong>in</strong>den Sie, damit ich schlafen kann.«


6Er kam um Viertel vor fünf im Elise an, und obwohler direkt auf se<strong>in</strong> Zimmer g<strong>in</strong>g, ohne am Empfangstehenzubleiben, kl<strong>in</strong>gelte das Telefon zehn Sekunden,nachdem er <strong>die</strong> Tür geschlossen hatte.»Hättest du mir nicht sagen können, daß du verh<strong>in</strong>dertbist, Liebes?« fragte Charla.»Entschuldige.«»Bist du alle<strong>in</strong>?«»Ja.«»Komisch.«»Weshalb?«»Haben berühmte Leute nicht immer e<strong>in</strong>enSchwarm von Reportern um sich?«»Berühmte Leute?«»Kirby, Liebl<strong>in</strong>g, du bist so süß begriffsstutzig.Komm lieber schnell <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Suite, bevor der Himmele<strong>in</strong>stürzt. Ich glaube, es war e<strong>in</strong> Glück, daß wirke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>käufe machten. Wenn wir uns beeilen,schaffen wir es noch auf <strong>die</strong> Glorianna, Liebl<strong>in</strong>g. Siekam heute morgen here<strong>in</strong>.«»Wovon sprichst du eigentlich?«»Du liebe Güte, du weißt es wirklich nicht?«»Ne<strong>in</strong>.«»Dann komm schnellstens zu mir und laß es dir erzählen.«Sie legte auf. Im nächsten Moment kl<strong>in</strong>gelte dasTelefon wieder. Er nahm ab. E<strong>in</strong>e heisere Männerstimmefragte: »Kirby W<strong>in</strong>ter?«»Ja?«»Hören Sie zu, Freund. Sagen wir zwotausend-


fünfhundert pro Zeile für e<strong>in</strong>en Vierundzwanzigstunden-Exklusivbericht.Sie sprechen mit Joe Hopper.Vergessen Sie den Namen nicht, ja? Ich sorge dafür,daß Sie bis morgen unbelästigt bleiben. Ist das e<strong>in</strong>Vorschlag?«»Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden.«»Nur ke<strong>in</strong>e Ziererei, Freund. Sie müssen schnellhandeln. Sie haben sich ja bis jetzt gut versteckt, abernun hat sich Ihr Aufenthaltsort herumgesprochen,und <strong>die</strong> Kerle s<strong>in</strong>d auf dem Weg nach oben.«»Wer?«»Ja, Herrgott, s<strong>in</strong>d Sie nun Kirby W<strong>in</strong>ter odernicht?«Er hörte Lärm im Korridor. Jemand hämmerte anse<strong>in</strong>e Tür. »Entschuldigen Sie, aber da draußen istjemand.«»Das s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> anderen, Sie Esel! Ist es nun abgemachtoder nicht?«Kirby seufzte und legte auf. Zögernd g<strong>in</strong>g er auf<strong>die</strong> Tür zu. Da draußen schien sich allerhand Volkangesammelt zu haben. Plötzlich klopfte jemandkräftig an der verschlossenen Zwischentür. Er hörtee<strong>in</strong>e unterdrückte Stimme. »Kirby?« Es war Charla.»Öffne den Riegel, Liebl<strong>in</strong>g.«Er gehorchte. Sie lächelte und deutete auf <strong>die</strong> E<strong>in</strong>gangstür.»Was habe ich gesagt? Sie werden gleichüber dich herfallen.« Sie trug e<strong>in</strong>e mandar<strong>in</strong>gelbeJacke über weißen Bermudashorts, und sie hatte e<strong>in</strong>eriesige Sonnenbrille aufgesetzt.»Wer?«»All <strong>die</strong> Zeitungsreporter, Liebster. Ich dachte mirschon etwas Ähnliches, und so mieteten wir denRaum zwischen de<strong>in</strong>em Zimmer und unserer Suite.


Wir mußten e<strong>in</strong> reizendes Hochzeitspaar ausquartierenlassen.«»Was wollen <strong>die</strong>se Leute?«»Steh hier nicht wie e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>faltsp<strong>in</strong>sel herum, Liebl<strong>in</strong>g.Es kl<strong>in</strong>gt, als wollten sie tatsächlich <strong>die</strong> Tür aufbrechen.«Er g<strong>in</strong>g mit ihr <strong>in</strong> <strong>die</strong> Suite. Sie verriegelte <strong>die</strong> Zwischentürund händigte ihm e<strong>in</strong>e Nachmittagsausgabeder Miami News aus. Se<strong>in</strong> Bild prangte riesig auf derersten Seite. Darunter stand: GEHEIMNISVOLLERNEFFE VON OMAR KREPPS AN STEUERHINTER-ZIEHUNGEN BETEILIGT?Kirby setzte sich.Der Artikel berichtete ausführlich, wie er und MißFarnham sich geweigert hatten, über <strong>die</strong> verschwundenenMillionen auszusagen. Er schloß damit, daß esbisher unmöglich gewesen sei, Kirby W<strong>in</strong>ter oder <strong>die</strong>Farnham anzutreffen und daß man mit e<strong>in</strong>er <strong>Flucht</strong>der beiden <strong>in</strong>s Ausland rechnen müßte.»Heiland!« sagte Kirby und starrte Charla aus leerenAugen an.Sie setzte sich dicht neben ihn und nahm <strong>die</strong> Sonnenbrilleab. »Weißt du, was das zur Folge hat, Liebl<strong>in</strong>g?«»Ich schätze, sie wollen mich alle <strong>in</strong>terviewen.«»Die vielen Millionen üben e<strong>in</strong>e schreckliche Fasz<strong>in</strong>ationaus. Die Leute zittern bei der Vorstellung, <strong>in</strong>welchen romantischen Ecken unserer schönen <strong>Welt</strong>du das viele Geld versteckt haben könntest. Sie hassendich, weil du es besitzt. Und heimlich bewundernsie dich, daß du es gestohlen hast.«»Aber es war doch gar nicht so!«»Und macht das im Grunde etwas aus?«


»Aber wenn ich me<strong>in</strong>e Tätigkeit <strong>in</strong> allen E<strong>in</strong>zelheitenerkläre ...«»Ohne Unterlagen? Und du hast hier und da etwasauf <strong>die</strong> Seite geschafft, oder? Sieh mich nicht so beleidigtan. Wenn du es nicht getan hast, bist du e<strong>in</strong> Idiot.«Sie seufzte. »Aber du mußt dir nicht nur wegender Zeitungsleute Sorgen machen, Liebl<strong>in</strong>g.«»Was me<strong>in</strong>st du damit?«»Lieber Kirby, <strong>die</strong> <strong>Welt</strong> ist voll von Tieren, <strong>die</strong> dichund de<strong>in</strong>e Miß Farnham auf kle<strong>in</strong>er Flamme röstenwürden, um nur e<strong>in</strong> Prozent <strong>die</strong>ser Summe zu bekommen.«Sie war dicht an ihn herangerückt, und erwar unauffällig ausgewichen. Nun saß er am Endeder Couch und spürte ihre schwere Brust auf se<strong>in</strong>emArm.»Du brauchst uns mehr denn je.«»Wie?«»Die Glorianna, Liebl<strong>in</strong>g. Sei doch nicht so dumm.Entweder wir schmuggeln dich weg, oder <strong>die</strong> <strong>Welt</strong>zerreißt dich <strong>in</strong> Stücke. Das heißt, eigentlich solltenwir dir gar nicht helfen. Der Trick mit den Schlittschuhenwar h<strong>in</strong>terhältig.«»Ich wollte mich nur vergewissern.«»Joseph war ganz weiß vor Wut, aber ich sagteihm, daß es uns recht geschehen sei, weil wir dichunterschätzt hatten. Du hast wirklich schlau gehandelt.Aber ich möchte wetten, daß du nicht so mißtrauischgewesen wärst, wenn Betsy dir nicht <strong>die</strong> falschenE<strong>in</strong>drücke vermittelt hätte.«»Aber – ich habe das Gefühl, daß ihr etwas von mirwollt.«»Natürlich, Liebl<strong>in</strong>g! Ist es nicht für alle e<strong>in</strong>e Erleichterung,mit offenen Karten zu spielen?«


»Wahrsche<strong>in</strong>lich.«»Ke<strong>in</strong>e Geheimnisse mehr?«»Na – das kommt darauf an.«»Worauf, Liebl<strong>in</strong>g – du glaubst doch nicht etwa?Ne<strong>in</strong>, als Dirne habe ich mich noch nie hergegeben.Das würde alles so schrecklich gewöhnlich machen.Und wir wollen uns doch über <strong>die</strong> Masse stellen,oder?«Er dachte an Betsy und wählte se<strong>in</strong>e Worte sehrsorgfältig. »Ich denke an e<strong>in</strong>en ganz anderen Handel.An <strong>die</strong> Sicherheiten, <strong>die</strong> ich habe, und an me<strong>in</strong>enGew<strong>in</strong>n.«Sie war so nahe, daß er e<strong>in</strong>en w<strong>in</strong>zigen Bernste<strong>in</strong>fleck<strong>in</strong> ihrer Iris erkennen konnte. Nun verengte sie<strong>die</strong> Augen und holte tief Luft. »Dann hast du es also!«»Was habe ich?«»Mister W<strong>in</strong>ter, werde nicht zu schlau. Du könntestdir <strong>die</strong> Sache verderben, me<strong>in</strong> Lieber.«»Inwiefern?«»Ganz plötzlich hat de<strong>in</strong> lieber toter Onkel e<strong>in</strong>enstärkeren Druck auf dich ausgeübt, als wir es je vermochthätten. Ich glaube, du wirst auf unseren Handele<strong>in</strong>gehen, weil du ke<strong>in</strong>e andere Wahl hast.«Er fühlte sich vorsichtig weiter. Das war e<strong>in</strong>e neueund sehr gefährliche Charla. Sie paßte zu Betsys Beschreibung.»Angenommen, ich brauche dich nicht –trotz des Druckes, der auf mich ausgeübt wird.«»Oh?«»Angenommen, e<strong>in</strong> Teil des Geldes wurde tatsächlichabgezweigt und steht mir zur Verfügung? Undangenommen, ich komme auf <strong>die</strong> Idee, daß ihr e<strong>in</strong>wenig zu grob mit anderen Leuten umspr<strong>in</strong>gt?«»Grob?« fragte sie mit dünner, erschreckter Stimme.


»Wer hat denn Onkel Omars Wohnungen durchwühlt?«Sie betrachtete ihn aufmerksam. »Du bist also auche<strong>in</strong> guter Schauspieler? Das macht dich doppelt gefährlich.«Sie hielt den Kopf schräg. »Und was sollten<strong>die</strong> Ahs und Ohs und all <strong>die</strong> Huckleberry-F<strong>in</strong>n-Reaktionen auf me<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>en Aufmerksamkeiten?«»Ich wirke gern entwaffnend.«»Du liebe Güte, du bist entwaffnend! Und wasmacht dich nun immun? Ist <strong>die</strong> Farnham so gut?«»Vielleicht.«Sie stand langsam auf. Er bemerkte, daß sie <strong>in</strong> denletzten M<strong>in</strong>uten ihren Akzent völlig vergessen hatte.»Sehr schön. Da denkt man, <strong>die</strong> Beute sei <strong>in</strong> der Falle,und dabei zappelt man selbst <strong>in</strong> der Schl<strong>in</strong>ge.« Sie sahihn an. »Ich nehme an, du denkst an e<strong>in</strong>e Partnerschaft.«»Eigentlich nicht.«»Ist es da, wo auch das Geld ist?«»Was?«Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Spiel dich nicht soauf! Du weißt genau, daß wir es auch anders hättenanpacken können. Wir hätten dich an e<strong>in</strong>en Ort br<strong>in</strong>genkönnen, wo ke<strong>in</strong>er de<strong>in</strong> Schreien gehört hätte. Josephhat nicht den Magen dafür, aber mir macht esüberhaupt nichts aus.«Er schluckte. »Wenn du es nicht getan hast, sonehme ich an, daß du e<strong>in</strong>gesehen hast, wie wenig esdir e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen würde.«»Dir würde es überhaupt nichts e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen.«»Du darfst mir ruhig glauben, daß ich weiß, wasich tue.«»Allmählich glaube ich es.« Sie nickte zögernd.


»Aber was zum Teufel hat sich de<strong>in</strong> Onkel dabei gedacht?Er muß gewußt haben, was passieren würde.«»Vielleicht hat er es so geplant.«Sie deutete auf <strong>die</strong> Zeitung. »Wenn du das bewußtauf dich geladen hast, Kirby, dann mußt du e<strong>in</strong>eMenge Selbstvertrauen besitzen.«»Ich habe <strong>in</strong> der Öffentlichkeit ke<strong>in</strong> Wort gesagt.«Er g<strong>in</strong>g ans Telefon. »Ich möchte sehen, ob ich Grumbyerreiche.«»Laß das mich machen. Das Mädchen an der Vermittlungbraucht nicht zu erfahren, wo du bist.«Er sah <strong>die</strong> Nummer nach, und Charla rief an. Alssie Grumby am anderen Ende des Apparates hatte,drückte sie Kirby den Hörer <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand.»E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante Pressekonferenz, <strong>die</strong> Sie da abgehaltenhaben, Grumby.«»Ah, W<strong>in</strong>ter! Sie werden verstehen, daß wir unsschützen müssen.«»Dann werden Sie auch me<strong>in</strong>e Gegenerklärungverstehen.«»Ich ... Wie me<strong>in</strong>en Sie das?«»Ich kann nur sagen, daß ich e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Angestellterwar. Onkel Omar hat mir ke<strong>in</strong>en Penny h<strong>in</strong>terlassen.Ich kann nur sagen, daß O. K. Devices e<strong>in</strong>e ganz vertrackteFirma war, <strong>die</strong> ich nie ganz durchschaute. Ichverstand nicht, weshalb ich all das Geld <strong>in</strong> Grundstükkenund Sicherheiten im Ausland verschwenden und<strong>die</strong> Unterlagen zu Schweizer Banken br<strong>in</strong>gen mußte, wosie <strong>in</strong> Ihrem und im Namen Ihrer Kollegen h<strong>in</strong>terlegtwurden. Aber ich habe es natürlich getan, weil ich dafürbezahlt wurde. Und ich kann den Reportern sagen,daß Miß Farnham ebenso verblüfft war wie ich, alsSie ihr befahlen, <strong>die</strong> Aufzeichnungen zu verbrennen.«


Es entstand e<strong>in</strong> langes Schweigen. Dann fragte Grumbymit ziemlich rauher Stimme: »Was soll das alles,Mister W<strong>in</strong>ter?«»Ich möchte nur vermeiden, daß man mich überhauptzu e<strong>in</strong>er Stellungnahme zw<strong>in</strong>gt.«»E<strong>in</strong>e Stellungnahme wie <strong>die</strong>se – so erlogen sieauch ist – könnte uns alle vernichten.«»Da Sie ke<strong>in</strong>e Unterlagen haben, sitzen Sie schön <strong>in</strong>der T<strong>in</strong>te. Ich rate Ihnen nur, ke<strong>in</strong>e solchen Tricksmehr zu versuchen.«»Vielleicht haben wir Sie unterschätzt, MisterW<strong>in</strong>ter.«»Sie können das Zeitungs<strong>in</strong>terview nicht mehr ungeschehenmachen. Aber Sie können sich <strong>die</strong> nächstenErklärungen <strong>die</strong>ser Art sparen. Ich b<strong>in</strong> ohneh<strong>in</strong><strong>in</strong> Schwierigkeiten.« Er legte auf.Charla sah ihn anerkennend an. »Du kannst jaziemlich scharf se<strong>in</strong>.«»Im Grunde me<strong>in</strong>es Herzens b<strong>in</strong> ich e<strong>in</strong> Feigl<strong>in</strong>g.«»Es ist e<strong>in</strong>e wirksame Tarnung. Omar sah wie e<strong>in</strong>netter, zerstreuter alter Herr aus. Wir hätten uns denkenkönnen, daß du ihm nachgerätst.«Das Telefon kl<strong>in</strong>gelte, und sie hob ab. »Wer? Achja, natürlich. Aber ne<strong>in</strong>, me<strong>in</strong>e Liebe. Me<strong>in</strong> Bruderund ich kennen den jungen Mann kaum. Mit ihm zusammengesehen? Du mußt dich täuschen. Nicht, daßes mir etwas ausmachen würde. Ich f<strong>in</strong>de es aufregend,daß er im gleichen Hotel wohnt wie wir. Sogarim gleichen Stock, wie ich erfuhr. Er muß e<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressanterMann se<strong>in</strong>. All das Geld! Schade, daß me<strong>in</strong>Bruder und ich heute abreisen müssen. Ich würde mirden Spaß gerne ansehen. Ne<strong>in</strong>, natürlich nicht. Dubist herzlich willkommen.«


Sie legte auf. »E<strong>in</strong> schlaues Mädchen. Wahrsche<strong>in</strong>lichhaben <strong>die</strong> Zimmer<strong>die</strong>ner, <strong>die</strong> dich gestern nachoben trugen, geplaudert. Ich versuchte mich herauszuhalten,aber <strong>die</strong> Burschen beobachten gut. Liebes,du solltest de<strong>in</strong>e Koffer holen und uns auf <strong>die</strong> Gloriannafolgen. Sie ist <strong>in</strong>zwischen sicher aufgetankt. Undes ist genau das, was du brauchst – das dramatische,geheimnisvolle Verschw<strong>in</strong>den.«»Das ist das letzte, das ich brauche.«»Wir können unseren Handel auf See festmachen.«»Ja?«»Me<strong>in</strong> lieber Junge, etwas Intelligenz kannst du mirschon zutrauen. Wenn du nicht an e<strong>in</strong>em Handel <strong>in</strong>teressiertwärst, hättest du dich längst aus dem Staubgemacht.«»Wahrsche<strong>in</strong>lich. Äh – ich nehme jetzt e<strong>in</strong>e Duscheund ziehe mich um.«»Laß dir Zeit, Liebl<strong>in</strong>g. Es kann noch Stunden dauern,bis wir <strong>die</strong> Sache h<strong>in</strong>ter uns haben. Soll ich dirden Rücken waschen?«»Ne<strong>in</strong>, danke.«»Friß mich nicht gleich. Ich dachte ja nur.«Als er wieder <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Zimmer war, g<strong>in</strong>g er unruhigauf und ab. Charlas Drohungen hatten ihm zudenken gegeben. Er schwitzte.Um halb acht stand er auf der Eisentreppe vor BernieSabbiths Apartment, und e<strong>in</strong> grünes Auge betrachteteihn durch den Spion.»Ich b<strong>in</strong> es«, sagte er e<strong>in</strong> wenig schrill. »Ich.«Betsy ließ ihn here<strong>in</strong>. »Du liebe Güte«, sagte sie leise.»Ist Ihnen jemand gefolgt? Ne<strong>in</strong>, wahrsche<strong>in</strong>lichnicht.«Er zog <strong>die</strong> Hoteljacke aus und zog das Kissen aus


dem Gürtel. Dann ließ er sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Sessel s<strong>in</strong>kenund sagte: »Sie haben e<strong>in</strong>en Dicken nach oben geschickt.«»E<strong>in</strong>en dicken was?«»E<strong>in</strong>en dicken Kellner. Ich rief vom Zimmer desHochzeitspaares an.«»Des was?«»Ich habe mit dreizehn zum letztenmal jemand niedergeschlagen.Er stellte das Tablett ab und drehte sichum – und da erwischte ich ihn. Ich ließ e<strong>in</strong>en Fünfzig-Dollar-Sche<strong>in</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Hand. Dann g<strong>in</strong>g ich mittendurch <strong>die</strong> anderen, ohne daß sie etwas merkten.«»Welche anderen?«»Weshalb haben sie bloß so gräßliche Uniformen?Lachs mit Smaragdgrün.«»Kirby, ich habe <strong>in</strong> den Sechs-Uhr-Nachrichten gehört,was mit Ihnen los se<strong>in</strong> soll, und ich dachte mirschon, daß <strong>die</strong> Reporter h<strong>in</strong>ter Ihnen her se<strong>in</strong> würden,aber es ist doch besser, wenn Sie von Anfang anerzählen. Ich fange sonst noch zu schreien an.«»Sie sagte auch etwas vom Schreien, und das warabscheulich.«»Kirby!«»Schon gut, schon gut.« Er erzählte ihr alles. Siehörte sehr aufmerksam zu.»Sie hat also jetzt <strong>die</strong> Zähne gezeigt, was?«»Me<strong>in</strong> Gott, ich möchte alles andere als auf <strong>die</strong>serJacht se<strong>in</strong>. Und es ist verdammt anstrengend, dauerndmit jemand zu reden, ohne zu wissen, worüber.«»Ich muß sagen, daß Sie sich tapfer geschlagen haben.Aber wir s<strong>in</strong>d nicht weitergekommen. Sie denkt,daß Sie wissen, worum es geht. Aber Sie haben ke<strong>in</strong>eAhnung?«


»Nicht <strong>die</strong> ger<strong>in</strong>gste.«»Und sie ist sich im klaren darüber, daß sie entwederverdammt schlau vorgehen muß oder Sie als Partner akzeptierenmuß. Worum könnte es sich nur handeln?«»Ich kann nur an e<strong>in</strong>e Art Erf<strong>in</strong>dung denken.«Sie nickte ernst. »Das war auch me<strong>in</strong> E<strong>in</strong>druck.Vielleicht wissen Charla und Joseph auch nichts Genauesüber <strong>die</strong> Erf<strong>in</strong>dung. Aber sie vermuten, daß <strong>in</strong>se<strong>in</strong>en persönlichen Papieren etwas darüber steht.«»Und sie glauben, ich wüßte genau, worum es sichhandelt.«»Es wäre verdammt nützlich, Kirby, wenn Sie endlichherausbr<strong>in</strong>gen könnten, wor<strong>in</strong> <strong>die</strong>se Erf<strong>in</strong>dungwirklich besteht.«Er schloß <strong>die</strong> Augen. »Ich b<strong>in</strong> völlig fertig. Die ganze<strong>Welt</strong> glaubt, ich hätte siebenundzwanzig Millionenauf <strong>die</strong> Seite gebracht. Nur sechs Menschen wissen,daß ich das Geld weggegeben habe. Sie, ich, Wilma,W<strong>in</strong>termore, Charla und Joseph. Und ich versuchtebei Charla den E<strong>in</strong>druck zu erwecken, daß ich e<strong>in</strong>enTeil davon tatsächlich besitze. Aber sie will etwas anderes,und ich weiß nicht, was es ist. Sie wissen esebenfalls nicht, und allem Ansche<strong>in</strong> nach weiß esCharla selbst nicht.«»Bleibt nur noch Wilma, nicht wahr?«Er riß <strong>die</strong> Augen auf. »Könnte sie Bescheid wissen?«»Vielleicht nicht direkt. Aber sie könnte uns unbewußte<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis geben.«»Dann rufe ich sie lieber an.«Er rief Wilma an. E<strong>in</strong>e Männerstimme meldete sich.»Wer möchte Miß Farnham sprechen?«Er zögerte. Betsy hatte mitgehört und nickte. »KirbyW<strong>in</strong>ter.«


»Könnten Sie mir das beweisen?«»Wie soll ich ...?«»E<strong>in</strong>en Augenblick bitte. Ich muß mir <strong>die</strong> Fragenholen, <strong>die</strong> sie aufschrieb. So.« Er raschelte mit e<strong>in</strong>emBlatt Papier. »Mit welchem Mann haben Sie verhandelt,als Ihr Onkel starb?«»Ah – mit Manuel Hernandez y Gomez.«»Und wie heißt der Mann, den Sie im Dezember <strong>in</strong>Rangoon trafen?«»Dr. Na Dan Boala.«»Danke, Mister W<strong>in</strong>ter. Ich habe me<strong>in</strong>er Schwester<strong>die</strong>se Vorsichtsmaßnahme vorgeschlagen. Sie befandsich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Schockzustand, daß sie nichtmit ihrer gewohnten kühlen Umsicht handelte. Ichb<strong>in</strong> Roger Farnham. Sie hoffte, daß Sie anrufen würden.Nun kann ich Gott sei Dank <strong>die</strong> Wohnung verlassen.Ich f<strong>in</strong>de, me<strong>in</strong>e Schwester hätte nach ihreraufopfernden Tätigkeit e<strong>in</strong>en besseren Lohn ver<strong>die</strong>ntals das hier.«»Ich hatte nichts damit zu tun ...«»Das weiß ich natürlich. Obwohl mir Wilma sehrwenig über <strong>die</strong>se mysteriöse Angelegenheit erzählenwill, ist mir klar, daß sie sich niemals <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e unrechteSache e<strong>in</strong>lassen würde.«»Ne<strong>in</strong>, das täte Wilma nicht.«»Man wird mich zweifellos verfolgen, wenn ich <strong>die</strong>Wohnung me<strong>in</strong>er Schwester verlasse, aber ich habe<strong>die</strong> Befriedigung, daß ich <strong>die</strong> Schnüffler nicht zumVersteck me<strong>in</strong>er Schwester führen werde. Die Reporterhaben Wilma fast zur Hysterie getrieben.«»Das tut mir aber leid.«»Es war gar nicht leicht, sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong> sicheres Versteckzu br<strong>in</strong>gen.«


»Das kann ich mir vorstellen.«»Und es wäre schlimm, wenn Sie ihren Aufenthaltsortverraten würden.«»Das tue ich ganz bestimmt nicht.«»Sie ist zu zart für <strong>die</strong>se Aufregungen. Ich überlassees Ihnen, e<strong>in</strong>en Ausweg aus <strong>die</strong>sem Dilemma zuf<strong>in</strong>den. Man sollte den Schmutzkerl, der <strong>die</strong>se zweideutigenD<strong>in</strong>ge an <strong>die</strong> Presse weitergab, eigentlichverklagen.«»Ich b<strong>in</strong> ziemlich sicher, daß er ab jetzt nichts mehrveröffentlichen wird.«»Nun, der Schaden ist schon geschehen. Aber ichmuß mich jetzt wieder um me<strong>in</strong>e eigene Familiekümmern. Ich kann mir me<strong>in</strong> Leben nicht durch me<strong>in</strong>eSchwester ru<strong>in</strong>ieren lassen.«»Wo ist sie?«»Ich habe sie <strong>in</strong> das Haus e<strong>in</strong>es Kollegen geschmuggelt.Er verbr<strong>in</strong>gt se<strong>in</strong> Universitätsjahr <strong>in</strong>Frankreich und hat mir den Schlüssel übergeben.Leider ist das Telefon abgemeldet. Haben Sie e<strong>in</strong>enBleistift? Zwei-zehn Sunset Way, Hallandale. DasHaus ist durch e<strong>in</strong>en wuchernden Garten gut von derAußenwelt abgeschirmt. Wilma müßte vor Neugierigeneigentlich geschützt se<strong>in</strong>. Aber sie ist natürlicherregt. Kl<strong>in</strong>geln Sie e<strong>in</strong>mal kurz und e<strong>in</strong>mal lang,dann weiß sie, daß es e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>geweihter ist.«»Danke.«»Ke<strong>in</strong>e Ursache, Sir. Es war e<strong>in</strong>e Pflicht me<strong>in</strong>erSchwester gegenüber. Guten Abend.«»So!« sagte Betsy, als er auflegte. »Wie hübsch dasse<strong>in</strong> wird! Mit Wilma <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em reizenden kle<strong>in</strong>enHäuschen zusammen!«»Und wie komme ich h<strong>in</strong>? In <strong>die</strong>ser Uniform?«


»Sie haben etwa Bernies Größe, und se<strong>in</strong> Schrankist vollgestopft mit Klamotten. Seien Sie se<strong>in</strong> Gast.«»Sie würde es nicht zulassen, daß ich mit ihr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emHaus wohne.«»Machen Sie Witze?«»Ne<strong>in</strong>. Sie ist – e<strong>in</strong> sonderbares Mädchen. Äh – sehrpenibel.«»Sogar unter <strong>die</strong>sen Umständen?«»Ich möchte es lieber nicht riskieren. Außerdemwäre es e<strong>in</strong> Risiko, <strong>die</strong> Wohnung zu verlassen. JederTaxifahrer hat me<strong>in</strong> Bild gesehen.«»Und wenn ich nun auch e<strong>in</strong> prüdes Mädchenb<strong>in</strong>?«»Betsy, vielleicht könnte ich ihr e<strong>in</strong>en Zettel schreiben,daß sie Ihnen vertrauen soll. Dann können Sie zuihr h<strong>in</strong>ausfahren und sich heute abend mit ihr unterhalten.Vielleicht br<strong>in</strong>gen Sie heraus, was Charla eigentlichwill. Sie kommen morgen früh zurück, undwenn Sie etwas erfahren haben, können wir handeln.Wenn nicht, werden wir <strong>in</strong> aller Ruhe den nächstenSchritt überlegen.«Anfangs zögerte Betsy, aber schließlich mußte siezugeben, daß der Gedanke nicht dumm war. Kurzbevor sie g<strong>in</strong>g – es war gegen neun – zeigte sie ihm<strong>die</strong> Fernsteuerung des Fernsehgerätes, das man vomBett aus be<strong>die</strong>nen konnte.»Wenn Charla Sie hier entdeckt, können Sie ja mitihr fernsehen.«»Wenn es nach mir g<strong>in</strong>ge, würde ich <strong>die</strong>se Frau niewiedersehen.«»Was ist los? Haben Sie Angst vor ihr?«»Und wie!«Betsy lächelte schwach. »Ehrlich gesagt, ich auch.«


7Nachdem er noch e<strong>in</strong>mal überprüft hatte, daß alleTüren geschlossen waren, und nachdem er endlichden Lichtschalter entdeckt hatte, kroch Kirby <strong>in</strong> <strong>die</strong>Mitte des gigantischen Bettes. Es roch verwirrendnach Betsy. Die Nacht war warm, <strong>in</strong> der Ferne murmelteder Verkehr, und das Dröhnen der Flugzeugedrang verschwommen zu ihm here<strong>in</strong>. In den Zehn-Uhr-Nachrichten kamen <strong>die</strong> nächsten Bilder von ihm.Er sah darauf aus wie e<strong>in</strong> gr<strong>in</strong>sender Handelsvertreter.Auch e<strong>in</strong>e streng dre<strong>in</strong>blickende Wilma Farnhamwar zu sehen. Der Nachrichtensprecher stempelte siezu den beiden Verbrechern des Jahrhunderts ab.Nach <strong>in</strong>formierten Kreisen waren W<strong>in</strong>ter und <strong>die</strong>Farnham bereits im Ausland untergetaucht. Sie hattensich den Damen und Herren von der Presse aufmysteriöse Weise entzogen.Kirby dachte über Wilma und Betsy nach. Sie würdensich unterhalten, und er konnte sich WilmasJungmädchengeständnisse vorstellen: »... und er hatschreckliche Angst vor Frauen. Sie hätten sehen sollen,wie entsetzt er vor mir davonlief.«Er war erschöpft, aber se<strong>in</strong>e Gedanken rasten weiter.Und dann hatte er wilde Alpträume. Wilma öffnetekichernd Reißverschlüsse <strong>in</strong> den langen, bleichenHüften, um ihm zu zeigen, daß sie mit Dollarnotenausgestopft waren. Charla hatte e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Goldschere,mit der sie kle<strong>in</strong>en rosa Kan<strong>in</strong>chen <strong>die</strong> Ohren abschnitt.Sie war nackt und dampfend, und als sie sichumdrehte, sah er <strong>die</strong> ord<strong>in</strong>äre kle<strong>in</strong>e Tätowierung:»E<strong>in</strong>faltsp<strong>in</strong>sel«. Er betrat das Zimmer <strong>in</strong> dem kle<strong>in</strong>en


Teleskop und sah Onkel Omar gr<strong>in</strong>send <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Eckestehen. Er hatte e<strong>in</strong> Kartenpaket <strong>in</strong> der Hand undforderte ihn auf, e<strong>in</strong>e Karte zu nehmen. Als er sienahm, war sie schwer und weich, und plötzlich befander sich auf dem Rücksitz se<strong>in</strong>es Wagens, und erhatte e<strong>in</strong> glattes, rundes Geschöpf neben sich. Er versuchtees wegzustoßen, aber es kam <strong>in</strong> sanfter Aggressionimmer näher, und dann verlor er se<strong>in</strong>eFurcht und kam endlich zu se<strong>in</strong>em langersehntenZiel.Vage überlegte er, ob er Charla, Betsy oder Wilmaneben sich hatte – doch dann war es ihm egal. Er warzu sehr mit dem Augenblick beschäftigt.Und plötzlich war er hellwach. An se<strong>in</strong>er Schulterpreßte sich e<strong>in</strong> Kopf, und das Mädchen atmete heftigund streichelte ihn mit zärtlichen Handbewegungen.»Hallo – Junge«, flüsterte sie. »He, Bernie! Du bistdoch der Beste.«»Hmmm«, sagte er, froh darüber, daß sich se<strong>in</strong>Herz entschlossen hatte, <strong>in</strong>nerhalb des Brustkastenszu bleiben.»Überrascht, was, me<strong>in</strong> Süßer? War's e<strong>in</strong>e netteÜberraschung?«»Mmm.«»Der verdammte Schlüssel wollte erst nicht passen,und ich dachte schon, du hättest das Schloß ändernlassen. Doch dann klappte es, und ich tastete michzum Bett h<strong>in</strong>. Ich hatte schon zwei Paar Füße erwartet,Bernie-Boy, und da hättest du den herrlichstenKrach <strong>in</strong> de<strong>in</strong>em jungen Leben bekommen ...«»Mm.«»Du redest nicht viel, dafür, daß wir uns so langenicht gesehen haben, Schatz. Du glaubst doch nicht,


daß ich gekommen b<strong>in</strong>, um e<strong>in</strong>e Rolle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>die</strong>serMist-Fernsehstücke zu kriegen, bei denen immer sospillerige Tanten herumtanzen? Ne<strong>in</strong>, me<strong>in</strong> Lieber,ich b<strong>in</strong> hier, weil es mir bei dir Spaß macht, und Spaßhat es gemacht, oder?«»Mm.«Sie fuhr mit der F<strong>in</strong>gerspitze über se<strong>in</strong>e Oberlippe.»He! Du hast ihn abrasiert. Also da b<strong>in</strong> ich aber neugierig,wie das aussieht!«Sie spielte mit den Knöpfen am Bettende, undplötzlich war e<strong>in</strong> grelles Licht auf se<strong>in</strong> Gesicht gerichtet.Er schloß <strong>die</strong> Augen und bl<strong>in</strong>zelte.Sie kniete neben ihm, e<strong>in</strong> tiefgebräuntes, langbe<strong>in</strong>igesMädchen. Ihre braunen Augen waren rund undgroß. Ihr Mund war zu e<strong>in</strong>em entsetzten O geformt.Ihre runden Brüste wirkten neben dem übrigen Körperhell. Die be<strong>in</strong>ahe weißen Locken umrahmten e<strong>in</strong>reizendes, unschuldiges Gesicht.»Also Sie – Sie Hundskerl!« kreischte sie. »Was wardas für e<strong>in</strong> Trick, he? Ich reiße Ihnen den Kopf ab!«Ihre F<strong>in</strong>ger krümmten sich.»Moment mal!«»Weshalb? Und wo ist überhaupt Bernie?«»Das weiß ich nicht.«»Verdammt noch mal, ich dachte, Sie seien er.«»Das kann ich doch nicht wissen.«»Man müßte Ihnen e<strong>in</strong> rostiges Messer zwischen<strong>die</strong> Rippen jagen.«Er setzte sich auf und funkelte sie wütend an. »Waszum Teufel ist denn los mit Ihnen«, brüllte er. »Ich habefest geschlafen. Ich wußte nicht, wer Sie s<strong>in</strong>d, und ichweiß es auch jetzt noch nicht. Ich habe so fest geschlafen,daß ich nicht e<strong>in</strong>mal merkte, was Sie waren.«


E<strong>in</strong> Mundw<strong>in</strong>kel zuckte. »Sie hätten auf den allgeme<strong>in</strong>enGedanken kommen können, daß ich e<strong>in</strong>Mädchen b<strong>in</strong>.«»Das allerd<strong>in</strong>gs!«»Brüllen Sie mich nicht so an, Sie h<strong>in</strong>terhältigerKnilch! Sie s<strong>in</strong>d früh genug aufgewacht, und Sie hättensich denken können, daß es sich um e<strong>in</strong>en Irrtumhandelt, wenn Sie schon <strong>in</strong> Bernies Bett schliefen.Aber Sie haben ke<strong>in</strong>en Ton gepiepst!«Er starrte sie an. »Wann hätte ich denn etwas sagensollen? Und was? Me<strong>in</strong> Gott, Mädchen, das ist, alswenn e<strong>in</strong>er vom Dach 'runterfiele und Sie erwarteten,daß er unterwegs se<strong>in</strong>e Schuhe zub<strong>in</strong>det und <strong>die</strong> Uhraufzieht.«Wieder zuckte ihr Mundw<strong>in</strong>kel. Und dann schlugsie plötzlich <strong>die</strong> Hände vor <strong>die</strong> Augen und begannohne Warnung zu schluchzen. Sie rollte sich zusammenund heulte wie e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>d.»Was soll das?« fragte er verzweifelt.»Hi-h<strong>in</strong>terhältiger K-knilch!«»Weshalb we<strong>in</strong>en Sie denn?«»W-weil Sie mir das angetan haben. Ich hatte nochnie im Leben was mit e<strong>in</strong>em Kerl, den ich nichtkannte. Ich komme mir vor wie e<strong>in</strong>e Sch-schlampe.«»Jetzt beruhigen Sie sich doch!«»Sie wissen nicht mal, wie ich heiße.« Wiederschluchzte sie. »Bonny Le Beaumont, verdammt nochmal.«»Ich heiße – äh – Kirk W<strong>in</strong>ner.« Er zog ihre Rechtevon ihrem Gesicht weg und schüttelte sie. »So, nuns<strong>in</strong>d wir vorgestellt. Und nun hören Sie endlich zuheulen auf.«»Aber zuerst habe ich Sie doch nicht gekannt.«


»Wenn Sie gewußt hätten, daß ich e<strong>in</strong> Unbekannterb<strong>in</strong>, hätte es doch nicht geschehen können, oder?«Sie hob plötzlich den Kopf und sah ihn an. »Wiewar das noch mal?«»Sie dachten, ich sei Bernie. Stimmt's? Also habenSie gar ke<strong>in</strong>en Grund, sich zu schämen.«Sie schwieg e<strong>in</strong>en Moment lang, schluckte undnickte. »So kann man's wohl auch sehen. Aber ich habee<strong>in</strong>en geheimen Schwur getan, als ich vierzehnwar. Ich wollte nie mit e<strong>in</strong>em Mann schlafen, den ichnicht liebte. Es ist zwar e<strong>in</strong> Mißgeschick, aber immerh<strong>in</strong>– es ist passiert. Und außerdem können wir unsduzen, weil es eben passiert ist. Wie heißt du?«»Kirk W<strong>in</strong>ner.«»E<strong>in</strong> Freund von Bernie?«»Um e<strong>in</strong> paar Ecken.«»Auch beim Fernsehen?«»Ne<strong>in</strong>.«»Verheiratet?«»Ne<strong>in</strong>.«Sie hielt den Kopf schräg. »So schlecht siehst duübrigens gar nicht aus.«»Danke.«Die glatte junge Stirn runzelte sich nachdenklich.»Was mich stört, Kirk, ist, daß es so toll war. Ich me<strong>in</strong>e,ich habe mir immer e<strong>in</strong>gebildet, man muß verliebtse<strong>in</strong>, damit es toll ist, aber wenn es mir auch andersgefällt, komme ich mir wie e<strong>in</strong> Tier vor.«»Du hast nur <strong>die</strong> Liebe ausgedrückt, <strong>die</strong> du fürBernie fühlst. Deswegen war es so schön, Bonny Lee.«Sie lachte. »Du f<strong>in</strong>dest fe<strong>in</strong>e Ausreden für mich. Duwillst wohl alle me<strong>in</strong>e Probleme lösen?«»Gern, wenn ich kann.«


»Ich frage mich immer noch, wie Bernie ohneSchnurrbart aussehen würde. Verdammt, darum hastdu mich nun gebracht.«»Wie alt bist du, Bonny Lee?«»Praktisch zwanzig.«»Du liebe Güte! Wohnst du bei de<strong>in</strong>en Leuten?«»Bei me<strong>in</strong>en Leuten? Du hast wohl 'n Knall? Me<strong>in</strong>eLeute haben e<strong>in</strong> Stück Pachtboden unten <strong>in</strong> Südkarol<strong>in</strong>a.Ich machte mit vierzehn e<strong>in</strong>en Schönheitswettbewerbmit, bei dem man eigentlich sechzehn se<strong>in</strong>mußte. Ich kann dir sagen, ich sah wie sechzehn aus.Beim Talenttest war ich nicht besonders gut, aber ichgewann e<strong>in</strong>e Reise nach New Orleans, und von dortb<strong>in</strong> ich nie wieder heimgegangen. War e<strong>in</strong>mal verheiratet,aber das g<strong>in</strong>g nicht glatt, und ich b<strong>in</strong> den Kerlschnell wieder losgeworden – er spielte Klar<strong>in</strong>etteund war dauernd blau. Dann f<strong>in</strong>g ich zu s<strong>in</strong>gen an.Im Augenblick b<strong>in</strong> ich im Rio <strong>in</strong> Nord-Miami. Ichs<strong>in</strong>ge und strippe e<strong>in</strong> bißchen, aber nicht zu toll. Fürmich zählt jetzt nur <strong>die</strong> Karriere, weil ich nach dervermurksten Heirat <strong>die</strong> Nase voll habe. Aber Berniewar gut zu mir, und wir haben uns verstanden. Ichkann dir ganz ehrlich sagen, daß das Zusammentreffenmit dir mich ziemlich fertiggemacht hat.«Sie g<strong>in</strong>g mit langen Schritten vom Bett weg, und ersah <strong>die</strong> beiden hellen Streifen des Bik<strong>in</strong>is.»Me<strong>in</strong>e Leute!« sagte sie und fauchte. »Ich habevon morgens bis abends <strong>die</strong> Hacke geschwungen,und wenn ich unten geblieben wäre, hätte ich jetztschon e<strong>in</strong>e Herde von halbnackten kle<strong>in</strong>en Fratzen.Wenn man bei uns unten mit fünfzehn noch nichtsKle<strong>in</strong>es hat, muß man schon häßlich wie e<strong>in</strong> Froschse<strong>in</strong>. Und das war ich nicht.«


»Ne<strong>in</strong>, ganz bestimmt nicht.«Sie nahm ihre Kleider vom Boden, schüttelte sieaus und hängte sie ordentlich über den Stuhl. Dannkam sie mit e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Tasche zurück, holte zweiZigaretten heraus und zündete sie an. Sie gab ihm e<strong>in</strong>e.Kirby merkte erst jetzt, wie prächtig er sich fühlte.Er hätte e<strong>in</strong>en Handstand machen und mit den ZehenTeller jonglieren können.»Was f<strong>in</strong>dest du denn so komisch?« fragte sie.»Oh – ich habe gar nicht gemerkt, daß ich lachte.«»Wovon lebst du, Kle<strong>in</strong>er?«»Ich – ich suche gerade nach e<strong>in</strong>em neuen Job.«»In welcher Richtung?«»Äh – Investments.«»Und du hast Pech gehabt? Tja, so geht es manchmal,Freund.«»Äh – Bonny Lee?«»Ja?«»Du – äh – du sagst, es hätte dir Spaß gemacht?«»So tief hast du nicht geschlafen, stimmt's, me<strong>in</strong>Lieber? Und was willst du nun? E<strong>in</strong>e Ehrenmedaille?Ich hoffe, daß ich e<strong>in</strong>es schönen Tages auf e<strong>in</strong>enMann treffe, dem ich nicht hoch und heilig versichernmuß, daß er der Beste war. Was ist nur mit euchMännern los? E<strong>in</strong> Mädchen will geliebt werden, dasist alles. Aber ihr verflixten Männer versucht gleich,e<strong>in</strong>en olympischen Wettbewerb daraus zu machen.Ihr habt wohl Angst, ihr könntet euch blamieren. Undh<strong>in</strong>terher marschiert ihr herum, als hättet ihr e<strong>in</strong>eHeldentat vollbracht. Dabei schafft es jeder Mäuserichschneller als ihr. Na schön, durchgefallen bist dujedenfalls nicht. Zufrieden?«


»Tut mir leid, daß ich überhaupt davon gesprochenhabe.«»Mir auch, Liebl<strong>in</strong>g, mir auch. Es langweilt mich zuTode, über solche D<strong>in</strong>ge quasseln zu müssen. Was ist,wenn du e<strong>in</strong>en guten Dr<strong>in</strong>k gehabt hast? Starrst duh<strong>in</strong>terher das leere Glas an und überlegst, welcheTemperatur er hatte?«»Ich sagte, daß es mir leid täte.«»Jesusmaria, brüll mich nicht so an. Du hast e<strong>in</strong>ganz schönes Temperament.« Sie seufzte. »Ich macheuns jetzt e<strong>in</strong> paar Sandwiches. Das bessert <strong>die</strong> Laune.Weißt du, daß es drei Uhr morgens ist?«Sie g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>die</strong> Kochnische und schaltete das Lichte<strong>in</strong>. Er stopfte sich e<strong>in</strong> paar Kissen <strong>in</strong> den Rücken, umsie besser beobachten zu können.Sie summte vor sich h<strong>in</strong> und begann dann zu s<strong>in</strong>gen.Ihr Gesang war m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>e Oktave tiefer alsihre Sprechstimme. Kirby kam das Lied bekannt vor.»Billie!« sagte er plötzlich.Sie drehte sich um und lachte ihn an. »Ich habe ihrePlatten gespielt, bis sie nur noch e<strong>in</strong> Rauschen vonsich gaben. Ohne Lady Day hätte ich kaum Karrieregemacht, Liebl<strong>in</strong>g. Magst du e<strong>in</strong>en ihrer Songs besondersgern?«»God Bless the Chile.«Sie klatschte begeistert <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hände. »Verdammt,Kirk, das ist me<strong>in</strong> Song. An <strong>die</strong> siebentausendmal habeich ihn nun gesungen, aber es dreht mir immer nochdas Herz dabei um. Ich könnte heulen, wenn ich andas arme Mädchen denke, das von der <strong>Welt</strong> so geschundenwird. Nach dem Essen machst du <strong>die</strong> Augen zu,und ich s<strong>in</strong>ge es dir vor. Du wirst mich nicht von ihrwegkennen. Magst du e<strong>in</strong>en Longdr<strong>in</strong>k mit Eis?«


»Prima, Bonny Lee.«Sie brachte <strong>die</strong> Gläser und dicke Sandwiches aufweißen Servietten. Kirby hatte das Gefühl, noch nieetwas Besseres gegessen zu haben. »Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>Nachtmensch«, gestand sie. »Um drei oder vierkönnte ich e<strong>in</strong> Spanferkel anknabbern. Dafür steheich erst mittags auf. Ich schwimme e<strong>in</strong> paar Runden,das hält mich fit.«Sie trug das Tablett weg. »So und jetzt mach <strong>die</strong>Augen zu und höre dir Billie an.«Sie sang wunderbar, mit e<strong>in</strong>er sanften, rauchigenStimme.Er ließ sich zurücks<strong>in</strong>ken, und sie löschte das Lichtund kam zu ihm. Nach e<strong>in</strong>er Weile fragte sie: »Kirk,sag mal, warum zitterst du so? Bedeutet es dir soviel?«Und als sie es wußte, flüsterte sie: »Dann bedeutetes für mich zehnmal soviel, und du sollst esmerken. Jesusmaria, da verknalle ich mich schonwieder und ausgerechnet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Yankee, der michdauernd anbrüllt. Ich glaube, ich fange zu heulen an.«


8E<strong>in</strong>e Hornisse von der Größe e<strong>in</strong>er Seemöwe saß vorse<strong>in</strong>em Gesicht und surrte. Sie hatte graugrüne Augen,e<strong>in</strong> verquollenes Gesicht und e<strong>in</strong>en häßlichenkle<strong>in</strong>en Mund, auf dem dick Lippenstift verschmiertwar.Und dann war sie weg. E<strong>in</strong> Telefon kl<strong>in</strong>gelte. Ersetzte sich auf und sah sich immer noch vorsichtignach der Hornisse um. Am anderen Ende des Riesenbetteskamen e<strong>in</strong> paar Locken und e<strong>in</strong> schlanker Nakkenaus den Kissen. Die Er<strong>in</strong>nerung warf sich wie e<strong>in</strong>eLaw<strong>in</strong>e über ihn.Das Telefon kl<strong>in</strong>gelte weiter. Neunzehn, zwanzig ...Die Logik sagte ihm, daß es Betsy war. Jeder anderehätte längst aufgegeben. Er fand den Apparat <strong>in</strong>e<strong>in</strong>er Nische l<strong>in</strong>ks vom Nachtkästchen.»Ja?«»Guten Morgen, Kirby«, sagte Joseph, und se<strong>in</strong>dunkler Bariton klang wie Gelat<strong>in</strong>e.»Äh – wie ...«»Du machst uns <strong>in</strong> letzter Zeit sehr viel Arbeit, Kirby.Aber das alles wollen wir vergessen, wenn du unsjetzt hilfst. Der Angriff auf den armen Kellner war e<strong>in</strong>dummer Fehler. Aber du sche<strong>in</strong>st recht geschicktvorzugehen, und so wird es dir sicher gel<strong>in</strong>gen, von<strong>die</strong>sem komischen Apartment zur Glorianna zu gelangen.Hör genau zu, Junge. Die Jacht liegt an derBiscayne Mar<strong>in</strong>a, Dock E. Du mußt bis spätestenszehn an Bord se<strong>in</strong>.«»Wieviel Uhr ist es jetzt?«»Zwanzig nach sieben. Du hast also genug Zeit.«


»Aber ich ...«»Betsy ist e<strong>in</strong> dummes, gefühlsbetontes K<strong>in</strong>d. Siewollte überschlau se<strong>in</strong>. Vielleicht rechnete sie auchmit e<strong>in</strong>er Sentimentalität, <strong>die</strong> nicht existiert. Oder siewollte uns gegen dich ausspielen. Im Augenblick läßtsich das nicht erkennen. Sie spricht ziemlich zusammenhanglos.Ich gratuliere, daß du ihr nicht alles anvertrauthast. Denn sie erzählte uns alles, was siewußte. Wir wissen, wo wir dich erreichen können.Und <strong>in</strong> Kürze kommt Miß Farnham an Bord. Charlafreut sich schon auf <strong>die</strong> Unterredung mit ihr. Aberunangenehme Fragen stellen wir ihr erst ab zehn.«»Was versuchst du eigentlich ...«»Ich will dich dazu br<strong>in</strong>gen, an Bord zu kommen,me<strong>in</strong> Junge. Ich rechne mit de<strong>in</strong>em Verantwortungsgefühlfür Betsy. Und mit de<strong>in</strong>er Sentimentalität. Sieist nämlich eigentlich zu zart für unsere Behandlung.Wir erwarten dich, Kirby.«Die Leitung war tot. Er legte auf und merkte, daßse<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>ger zitterten. Er streifte Shorts über und g<strong>in</strong>gzu Bonny Lee. Sie schlief vollkommen entspannt. Erlegte <strong>die</strong> Hand auf ihre warme braungebrannteSchulter und rüttelte sie. »Bonny Lee, Liebl<strong>in</strong>g. He,Bonny Lee!«Mit e<strong>in</strong>em Knurren drehte sie sich auf <strong>die</strong> andereSeite herum. Er rollte sie wieder zurück und schütteltesie heftiger.Schließlich öffnete sie <strong>die</strong> Augen und starrte ihnmit zusammengekniffenen Brauen an. »Mitten <strong>in</strong> derNacht«, murmelte sie. »Bist du wahns<strong>in</strong>nig? Laß mich<strong>in</strong> Frieden.« Und sie war wieder e<strong>in</strong>geschlafen. Er zogihr <strong>die</strong> Decke weg. Ganz langsam setzte sie sich auf.Es dauerte e<strong>in</strong>e Zeitlang, bis sie wußte, wo sie war.


»Was zum Teufel soll das, Kirk?«»Bitte, wach auf, Bonny Lee!«Sie bl<strong>in</strong>zelte zur Veranda h<strong>in</strong>über. »Noch nicht malMorgen. Bei dir stimmt doch was nicht!«»Ich hätte dich schlafen lassen, aber ich brauchede<strong>in</strong>e Hilfe.«Sie sah ihn mißtrauisch an. »Wehe, wenn es nichtsWichtiges ist, Freund.«Schwankend g<strong>in</strong>g sie <strong>in</strong>s Bad. Er hörte <strong>die</strong> Dusche.Er nahm ihre Kleider – e<strong>in</strong>e gelbe Hose, e<strong>in</strong>e weißeBluse und e<strong>in</strong> kurze gelbe Jacke, dazu e<strong>in</strong> paarhauchdünne Dessous – vom Stuhl und legte sie aufden Hocker vor dem Bad. Dann untersuchte er BerniesGarderobe und wählte e<strong>in</strong> graues Sporthemdund e<strong>in</strong>e dunkelblaue Hose.Bonny Lee kam lächelnd aus dem Bad und zog denGürtel ihrer Hose enger. »Sobald man wach ist,kommt es e<strong>in</strong>em nicht mehr so schlimm vor. Ichglaube, ich wache sehr schwer auf, nicht wahr?«»Du bist hochgesprungen, als ich nur de<strong>in</strong>en Namenflüsterte.«»Du bist der nächste. Ich mache <strong>in</strong>zwischen hiersauber. Warum starrst du mich so an?«Er er<strong>in</strong>nerte sich, was e<strong>in</strong> Kollege von MickeyMantle gesagt hatte: »Je mehr er auszieht, desto größerwirkt er.«Die Kleider hatten Bonny Lee verwandelt. Von ihrerweichen, herrlichen Figur war nichts mehr zu sehen.Vor ihm stand e<strong>in</strong>e hübsche, etwas zu schlankeFremde.Ihr Lächeln schwand, und sie riß <strong>die</strong> Augen auf. »AchGott, du hast mich noch nie <strong>in</strong> Kleidern gesehen.« Siewurde rot. »Ich schäme mich zu Tode, Liebl<strong>in</strong>g.«


»Wir wissen ja beide, wie es gekommen ist.«»Sicher, aber wenn ich das jemandem erklärenmüßte – Jesusmaria, das könnte hübsch kl<strong>in</strong>gen.«»Du mußt es ja nicht erklären.«»Hast du mich geweckt, weil jemand herkommt?«»Ne<strong>in</strong>.«»Durch wen kennst du Bernie eigentlich?«»Durch e<strong>in</strong>e Schauspieler<strong>in</strong>.«»Oh!«»Ich glaube, Bernie ist verliebt <strong>in</strong> sie.«»Bernie ist <strong>in</strong> alles verliebt, was e<strong>in</strong>en Rock anhat.Nimm jetzt e<strong>in</strong>e Brause.«Als er zurückkam, mit e<strong>in</strong>em Hemd, das <strong>in</strong> denSchultern zu eng war, und e<strong>in</strong>er Hose, <strong>die</strong> e<strong>in</strong> paarZentimeter über den Schuhen endete, roch er bereitsKaffee. Bonny Lee hatte das Bett gemacht. Nun kamsie mit drohender Miene auf ihn zu. Die bunte Kellner-Uniformlag auf dem Bett, säuberlich ausgebreitet.»Du trägst Bernies Zeug, Kirk. Du warst doch ke<strong>in</strong>Kellner im Elise? Was zum Teufel geht hier eigentlichvor?«»Bonny Lee, ich kann es dir im Moment nicht erklären...«»Du wirst es mir auf der Stelle erklären, sonstkannst du etwas erleben.«Er nahm zweimal Anlauf und sagte dann: »Ich heiße<strong>in</strong> Wirklichkeit Kirby W<strong>in</strong>ter.«Sie hielt den Kopf schräg. »Du sagst das, als wärees e<strong>in</strong> bekannter Name.«»Ich werde seit gestern viel <strong>in</strong> den Zeitungen genannt...«»Ich lese nicht viel ...« Sie unterbrach sich abrupt


und legte <strong>die</strong> Hand vor den Mund. Ihre Augen warenentsetzt. »Liebl<strong>in</strong>g, du bist das! SiebenundzwanzigMillionen! Du hast das ganze Geld gemopst und versteckt.«»Ich habe es nicht gestohlen. Und ich besitze esauch nicht.«Sie schüttelte verwundert den Kopf. »Bist du verwandtmit <strong>die</strong>sem Kroops?«»Krepps. Me<strong>in</strong> Onkel.«Sie setzte sich steif aufs Bett und sah zu ihm auf.»Du und <strong>die</strong>se Tante mit dem Lehrer<strong>in</strong>nengesicht –ihr habt es gemopst. Und während <strong>die</strong> ganze <strong>Welt</strong>nach dir sucht, machst du dir e<strong>in</strong>e gemütliche Nachtmit Bonny Lee Beaumont!«»Ich habe ke<strong>in</strong>en Cent gestohlen.«Sie sah ihn genau an. »Kirk, Liebl<strong>in</strong>g, ich me<strong>in</strong>eKirby, das weiß ich doch. Ich kenne <strong>die</strong> Typen, <strong>die</strong>sowas fertigbr<strong>in</strong>gen – <strong>die</strong> Schläger und auch <strong>die</strong> fe<strong>in</strong>enGentlemen. Du gehörst nicht dazu. Aber wenndu das Zeug nicht hast, weshalb gehst du dann nichth<strong>in</strong> und sagst ihnen, wie es war?«»Ich kann es nicht. Es gibt so viele Gründe, und ichhabe jetzt ke<strong>in</strong>e Zeit, um sie dir alle zu erklären. Ich –ich hoffe nur, daß du mir trotzdem hilfst.«»Trotzdem! Mach mich nicht wütend, Liebl<strong>in</strong>g. Duhast mir auf <strong>die</strong>sem Riesenbett da gezeigt, wer dubist, und ich werde für dich tun, was du willst. Aberjetzt haben wir wohl beide e<strong>in</strong>e Zigarette und Kaffeenötig.«Sie tranken den Kaffee draußen auf der Frühstücksveranda.In der Bucht spiegelte sich <strong>die</strong> Sonne.»Hast du e<strong>in</strong>en Wagen?«»Sicher. E<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en gelben Sunbeam. Uralt.«


»Weißt du, wo Biscayne Mar<strong>in</strong>a liegt?«»Klar. Ich kannte mal e<strong>in</strong>en Jungen, der se<strong>in</strong> Bootdort liegen hatte.«»Ich möchte, daß du mich dorth<strong>in</strong> fährst, Bonny Lee.«»Ist das alles?«»E<strong>in</strong>e Menge Leute kennen me<strong>in</strong> Gesicht. Das Ganzekann scheußlich für dich werden.«»Willst du per Boot fliehen?«»Ich – ich hoffe es.«»Ich kann das Verdeck an me<strong>in</strong>em Wagen nichthochziehen, weil ich ke<strong>in</strong>es mehr habe. Vielleichtkannst du dich ducken. Ich muß mal sehen, was sichfür dich f<strong>in</strong>den läßt.« Sie g<strong>in</strong>g <strong>in</strong>s Innere, und er hörte,wie sie <strong>in</strong> den Schubladen kramte. Schließlich kamsie mit e<strong>in</strong>em breitrandigen Pflanzerhut und e<strong>in</strong>ergroßen Sonnenbrille zurück. »Im Moment hält sicherjeder nach dir Ausschau. Da, probier mal das hieran.«Der Hut war e<strong>in</strong> wenig eng, aber er konnte ihn tief<strong>in</strong> <strong>die</strong> Stirn ziehen.Sie nickte. »Du siehst jetzt aus wie jeder x-beliebige.Mit e<strong>in</strong>er Kamera um den Hals würdest du <strong>in</strong> ganzFlorida nicht auffallen. Brauchst dich gar nicht zuducken.«»Weißt du auch, daß es Folgen für dich habenkann, wenn sie uns erwischen?«»Folgen? Du me<strong>in</strong>st, sie könnten mich mit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>ziehen?Kirby, wenn ich jemand liebe, dann macheich, was er will.«Er nahm <strong>die</strong> Brille und den Hut ab. »Liebe?«»Hast du mir im Bett nicht zugehört, Freund?«»Ja, doch, aber ich dachte – es sei e<strong>in</strong>e Art Redewendung.«


»War es eben nicht. Hast du was dagegen?«»Ne<strong>in</strong> – es ist nur – du akzeptierst ohne weiteres,daß ich vielleicht mit e<strong>in</strong>em Boot verschw<strong>in</strong>de unddich nie wiedersehe. Und es sche<strong>in</strong>t dich ganz kaltzulassen,und da dachte ich ...«»Me<strong>in</strong> lieber Junge, du bist das, was sie übergebildetnennen.«Sie wischte sich den Lippenstift mit der Papierservietteab und kam lächelnd um den Tisch herum. Siesetzte sich auf se<strong>in</strong>en Schoß und küßte ihn mit Energieund Erfahrung. Nach e<strong>in</strong>iger Zeit war ihm ganzschw<strong>in</strong>dlig. Sie hielt den Kopf schräg und sah ihn lächelndan.»Ich liebe dich echt, Kirby. Und Liebe ist etwasSchönes. Ke<strong>in</strong> Grund zu Tragö<strong>die</strong>n. Das war nie derS<strong>in</strong>n der Sache. Die meisten Leute würgen <strong>die</strong> Liebedurch Eifersuchtsszenen und Eher<strong>in</strong>ge ab. He – Moment,das s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Nachrichten.«Sie g<strong>in</strong>gen nach dr<strong>in</strong>nen und setzten sich auf e<strong>in</strong>eCouch. Kirbys Fall kam gleich nach der Politik. Ausführlichwurde beschrieben, wie er den Zimmerkellnerheraufgelockt und niedergeschlagen hatte. BonnyLee sah Kirby fragend an, und er nickte schuldbewußt.»Dr. Roger Farnham, außerordentlicher Professorder Florida-Eastern-Universität, der Bruder von MißWilma Farnham, hat erklärt, daß se<strong>in</strong>e Schwesternach e<strong>in</strong>em kurzen ergebnislosen Gespräch gesternihre persönlichen D<strong>in</strong>ge packte und spurlos verschwand.Außerdem fand <strong>die</strong> Polizei heraus, daß <strong>die</strong>Farnham und W<strong>in</strong>ter sich des öfteren heimlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emHotel von Miami trafen.Die Frage, <strong>die</strong> uns alle bewegt, betrifft natürlich <strong>die</strong>


verschwundenen siebenundzwanzig Millionen. Manist allgeme<strong>in</strong> der Me<strong>in</strong>ung, daß <strong>die</strong> Farnham undW<strong>in</strong>ter ihren Riesenbetrug über längere Zeit h<strong>in</strong>wegplanten und vorbereiteten.Der Aufsichtsrat der Firma Krepps-Unternehmenhat e<strong>in</strong>e Belohnung von zehntausend Dollar für jedenH<strong>in</strong>weis ausgesetzt, der zur Ergreifung e<strong>in</strong>es oderbeider Täter führen könnte. Die Gesuchten erwartete<strong>in</strong> Verfahren der Steuer- und F<strong>in</strong>anzfahndung.W<strong>in</strong>ter ist e<strong>in</strong>s fünfundachtzig groß. Er hat strohblondesHaar, dunkelblaue Augen und e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>eNarbe auf der l<strong>in</strong>ken Wange. Er ist zweiunddreißigJahre alt, sehr höflich, außerordentlich <strong>in</strong>telligent undwirkt im allgeme<strong>in</strong>en liebenswürdig.«Bonny Lee schaltete das Gerät aus und kam kopfschüttelndzurück. »Du bist jetzt e<strong>in</strong>e Berühmtheit.«Sie strich über se<strong>in</strong>e Wange. »Woher hast du <strong>die</strong> Narbe?«»E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Mädchen hat mir e<strong>in</strong>en Ste<strong>in</strong> nachgeworfen,als ich sechs war. Könntest du zehntausendDollar brauchen?«»Hoffen wir, daß ich sie nie im Leben so notwendigbrauche. So, und jetzt br<strong>in</strong>ge ich dich zu <strong>die</strong>sem Boot,bevor man dich hier erwischt.«»Oder bevor ich mich nicht mehr h<strong>in</strong>auswage.«Er setzte den Hut und <strong>die</strong> Sonnenbrille auf unddurchsuchte <strong>die</strong> Taschen se<strong>in</strong>er alten Klamotten. Erholte <strong>die</strong> goldene Uhr aus der Hosentasche. VielenDank für alles, Onkel Omar, dachte er.Der Sunbeam war schäbig, schmutzig und halbverrostet. Aber der Motor sprang sofort an, und BonnyLee jagte den Wagen geschickt durch <strong>die</strong> engenStraßen. Es war fast neun.


Sie erreichten das Ufer, und plötzlich schwenkteBonny Lee ab und fuhr vorbei. Kirby sah im letztenMoment <strong>die</strong> Streifenwagen und <strong>die</strong> Polizisten, <strong>die</strong> amDock warteten. Sie fuhr um <strong>die</strong> nächste Ecke undhielt an e<strong>in</strong>em schmalen Parkplatz an.»Ich schließe <strong>die</strong> Tür ab«, sagte sie.»Ich habe ke<strong>in</strong>e Ahnung, was ich tun soll.«»Bleib sitzen und warte, bis ich zurückkomme. Wieheißt das Boot?«»Glorianna.«Sie fand e<strong>in</strong>e Zeitung unter dem Sitz und reichte sieihm. »Da – versteck dich dah<strong>in</strong>ter. Ich b<strong>in</strong> gleich wiederzurück.«Sie war fünfzehn unerträgliche M<strong>in</strong>uten lang verschwunden.Dann schloß sie den Wagen auf, setztesich h<strong>in</strong>ter das Steuerrad und fuhr nach Westen. Beie<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>kaufszentrale blieb sie stehen.»Hat e<strong>in</strong>e Zeitlang gedauert, bis ich e<strong>in</strong>en Polizistenfand, der sich vor mir großtun wollte. Also – <strong>die</strong>Glorianna ist vor zwanzig M<strong>in</strong>uten ausgelaufen, und<strong>die</strong> Bullen kamen zehn M<strong>in</strong>uten zu spät. Offenbar hatman herausgefunden, daß de<strong>in</strong>e Sachen von so e<strong>in</strong>emBumshotel weggebracht und auf das Boot geschafftwurden. Sie denken, daß du an Bord bist – mitsamtde<strong>in</strong>en Millionen. Die Küstenwache ist schon h<strong>in</strong>terdem Kahn her. Was hast du nun wirklich an Bord geschafft,Liebl<strong>in</strong>g?«»Persönliches Zeug. Gesamtwert vielleicht zweihundertDollar. Sogar Schlittschuhe s<strong>in</strong>d dabei.«Sie sah ihn verblüfft an. »Schlittschuhe!«»Jetzt weiß ich nicht mehr, woh<strong>in</strong> ich gehen soll,Bonny Lee.«»Ehrlich gesagt, allmählich <strong>in</strong>teressiert mich <strong>die</strong>


Geschichte von Anfang an. Sollen wir zurück zu BerniesWohnung?«»Lieber nicht.«»Wir brauchen e<strong>in</strong>en Platz, wo wir uns unterhaltenkönnen. Und zuallerletzt werden sie dich an e<strong>in</strong>emöffentlichen Strand suchen.«»Gut, Bonny Lee.«Der Lärm ihres Wagens schnitt <strong>die</strong> weitere Unterhaltungab. Sie fuhr zum Strand. Gegen zehn saßensie auf e<strong>in</strong>er Betonbank <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en offenen Pavillonund sahen auf <strong>die</strong> blauen Wogen des Atlantiksh<strong>in</strong>aus. Obwohl es e<strong>in</strong> Dienstagmorgen im April war,lagen Hunderte im Sand. Kirby war schon wiederdeprimiert.»So, nun erzählst du mir alles, Freund, und dannkönnen wir geme<strong>in</strong>sam überlegen.«Er schnurrte <strong>die</strong> Fakten herunter, farblos und ohneHoffnung. Je weiter er kam, desto entmutigter wurdeer. Er begann bei der ersten Konferenz nach dem Todevon Onkel Omar und hörte bei Josephs Anruf auf.Dann starrte er sie müde an. »Glaubst du, daß ichdas der Polizei erklären könnte?«»Ke<strong>in</strong> altes Aas würde dir glauben. Verdammt,Kirby, sie würden nachprüfen, ob du Hasch genommenhast.«»Glaubst du mir?«»Ich liebe dich, vergiß das nicht. Aber es ist schonverflixt schwer für e<strong>in</strong>en Außenstehenden. Und <strong>die</strong>seCharla – verrückter Name übrigens. Aber wenn siejetzt mit dem anderen Mädchen – mit Betsy – an Bordist, sitzt sie ebenso <strong>in</strong> der Klemme wie du.«»Das bezweifle ich.«Er nahm Onkel Omars goldene Uhr aus der Tasche


und spielte geistesabwesend damit herum. Er zog sieauf und stellte sie nach se<strong>in</strong>er Armbanduhr. Sie hattee<strong>in</strong>en Stunden-, e<strong>in</strong>en M<strong>in</strong>uten- und e<strong>in</strong>en Sekundenzeiger.Aber es war noch e<strong>in</strong> vierter Zeiger da, derreglos auf zwölf deutete. Er war nicht aus Gold wie<strong>die</strong> drei andern, sondern aus Silber. Kirby fragte sich,welchen Zweck er wohl erfüllen mochte. Und dannentdeckte er, daß sich der Zeiger bewegen ließ, wennman das Rädchen zum Aufziehen nach <strong>in</strong>nen drückteund dann verstellte.Im gleichen Augenblick, <strong>in</strong> dem er es tat, wurde <strong>die</strong><strong>Welt</strong> still. Se<strong>in</strong>e Sicht trübte sich. Se<strong>in</strong> erster Gedankewar, daß er e<strong>in</strong>en Herzanfall erlitt. Das Schweigenwar so vollkommen, daß er das Blut <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Ohrenrauschen hörte. Jeder vernünftige Gedanke wurdevon e<strong>in</strong>er primitiven, unerklärlichen Angst ausgelöscht.Er sprang auf, keuchend und zitternd, und riß sich<strong>die</strong> Sonnenbrille von den Augen. Er spürte e<strong>in</strong>ensonderbaren Widerstand, als er sich erhob – so alswerde er von e<strong>in</strong>em unsichtbaren W<strong>in</strong>d zurückgedrängt.Die <strong>Welt</strong> war still. Ohne <strong>die</strong> Sonnenbrille saher sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em blassen Rot. Er hatte sie schon e<strong>in</strong>malso gesehen, als er durch e<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>se mit Rotfilter geblickthatte. Aber damals hatten sich <strong>die</strong> Gestaltenwenigstens bewegt. Jetzt standen sie wie verste<strong>in</strong>ert<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er rosa Wüste.E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zelne Welle schwebte über dem Strand undzögerte, ihn zu überschwemmen. Die Möwen aus rosaSte<strong>in</strong> h<strong>in</strong>gen an unsichtbaren Drähten. Er drehtesich um und sah auf das Mädchen herunter. Ihre Gesichtsfarbewar unangenehm, und ihre Lippen wirktenschwarz. Sie hatte <strong>die</strong> Hand zu e<strong>in</strong>er Geste erho-


en, und ihr Mund war mitten <strong>in</strong> der Rede erstarrt.Er schloß <strong>die</strong> Augen ganz fest und öffnete sie erstnach e<strong>in</strong>iger Zeit. Nichts hatte sich verändert. Er warfe<strong>in</strong>en Blick auf <strong>die</strong> goldene Uhr. Der Sekundenzeigerrührte sich nicht. Auch se<strong>in</strong>e Armbanduhr war stehengeblieben.Und dann entdeckte er <strong>die</strong> schwacheBewegung des Silberzeigers. Er hielt <strong>die</strong> Uhr ans Ohrund hörte e<strong>in</strong>e anhaltende helle Note. Kirby hatte denSilberzeiger auf zehn verschoben. Nun stand er aufsieben M<strong>in</strong>uten vor zwölf. Offenbar war er nun seitdrei M<strong>in</strong>uten <strong>in</strong> der <strong>rote</strong>n <strong>Welt</strong> des Schweigens.Er machte versuchsweise zwei Schritte. Wiederspürte er den merkwürdigen Widerstand. Und se<strong>in</strong>eSchuhe fühlten sich an, als würden sie Zentner wiegen.Es war schwer, <strong>die</strong> Füße zu heben und wiederaufzusetzen. Er schien sich durch e<strong>in</strong>e klebrige Massezu bewegen. Und der Druck gegen se<strong>in</strong>en Körperschien von den Kleidern auszugehen. Er bückte sichund hob e<strong>in</strong>en weggeworfenen Pappbecher auf. Eswar, als müßte er e<strong>in</strong> Bleigewicht heben. Er spürtedas Gewicht während des Hochhebens, doch als <strong>die</strong>Bewegung aufhörte, erschien der Becher gewichtslos.Vorsichtig ließ er ihn los. Das D<strong>in</strong>g h<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Luft,an der gleichen Stelle wie zuvor. Er streckte <strong>die</strong> Handaus und schob ihn an. Der Becher bewegte sich, aberer hielt sofort an, wenn Kirby zu schieben aufhörte.Offenbar blieb <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser <strong>rote</strong>n <strong>Welt</strong> e<strong>in</strong> Körper nichtlange <strong>in</strong> Bewegung.Er sah wieder auf <strong>die</strong> Uhr. Drei vor zwölf. Er warfe<strong>in</strong>en Blick auf <strong>die</strong> bewegungslosen Menschen amStrand. Er betrachtete <strong>die</strong> Uferstraße und sah den erstarrtenVerkehrsstrom. Hoch über der Stadt klebtee<strong>in</strong>e Düsenmasch<strong>in</strong>e <strong>in</strong> der Luft.


Vorsichtig rückte er den silbernen Zeiger zurückauf zwölf. Er wußte, daß er ke<strong>in</strong>e drei M<strong>in</strong>uten mehr<strong>in</strong> <strong>die</strong>ser <strong>rote</strong>n <strong>Welt</strong> zubr<strong>in</strong>gen konnte.Als er auf das Rädchen drückte, hüllte ihn derStrandlärm mit e<strong>in</strong>emmal wieder e<strong>in</strong>. Das Rot warverschwunden. Die Welle schlug gegen den Strand,<strong>die</strong> Möwen segelten dah<strong>in</strong>, der Becher fiel zu Boden.Bonny Lee starrte ihn an, schluckte und starrte ihnwieder an. »Liebl<strong>in</strong>g, du kannst dich aber rasch bewegen.Dachte gar nicht, daß du so gut <strong>in</strong> Form bist.«Er sah sie an und lachte. Er lachte, bis ihm <strong>die</strong> Tränenüber <strong>die</strong> Wangen liefen und er <strong>die</strong> Hysterie <strong>in</strong>se<strong>in</strong>er Stimme hörte. Bonny Lee versuchte mitzulachen,aber nach e<strong>in</strong>er Weile gab sie es auf und sah ihnbesorgt an.»Kirby! Kirby, verdammt noch mal!«»Ich b<strong>in</strong> großartig <strong>in</strong> Form«, keuchte er. »Ich warnoch nie besser <strong>in</strong> Form.«»Verdammt, bist du übergeschnappt, Liebl<strong>in</strong>g?«Er ließ sich von dem silbernen Zeiger wieder <strong>in</strong> <strong>die</strong><strong>rote</strong> <strong>Welt</strong> br<strong>in</strong>gen. Er brauchte Zeit, Zeit, um se<strong>in</strong>Gelächter zu überw<strong>in</strong>den, Zeit zum Nachdenken. DasGelächter stellte er schnell e<strong>in</strong>. Es klang <strong>in</strong> der vollkommenenStille hohl und geisterhaft. Bonny Lee saßwie e<strong>in</strong>e Statue da und sah ihm <strong>in</strong> <strong>die</strong> Augen.Er schauderte und schüttelte sich wie e<strong>in</strong> nasserHund. Er warf e<strong>in</strong>en Blick auf <strong>die</strong> Uhr. Der Zeigerstand auf Viertel vor zwölf. E<strong>in</strong>e Viertelstunde, wenner wollte. Oder, wenn er früher zurückkehren wollte,konnte er auf das Rädchen drücken.Das also war das Geheimnis. Die <strong>Welt</strong> blieb stehen.Ne<strong>in</strong>, das stimmte nicht. Die <strong>Welt</strong> lief weiter, aber ertrat aus ihr h<strong>in</strong>aus, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere Zeit. E<strong>in</strong>e Stunde <strong>in</strong>


der <strong>rote</strong>n <strong>Welt</strong> entsprach dem Bruchteil e<strong>in</strong>er Sekunde<strong>in</strong> der echten <strong>Welt</strong>.Damit ließ sich auch <strong>die</strong> Schwere aller Gegenständeerklären. Sie war e<strong>in</strong> Produkt aus der natürlichenSchwerkraft und der enormen Geschw<strong>in</strong>digkeit, <strong>die</strong>der Gegenstand <strong>in</strong> der »echten« <strong>Welt</strong> hatte.Plötzlich wußte er, weshalb Onkel Omar so gut <strong>in</strong>Zaubertricks gewesen war. Er konnte sich den plumpen,nervösen kle<strong>in</strong>en Hochschullehrer vorstellen,wie er mit se<strong>in</strong>em schäbigen Anzug am grünen Tischsaß und von der <strong>rote</strong>n <strong>Welt</strong> aus den Würfel zur richtigenNummer h<strong>in</strong>lenkte. Wenn er sich <strong>in</strong> <strong>die</strong> echte<strong>Welt</strong> zurückkatapultierte, war der Würfel immernoch nicht an se<strong>in</strong>em Ziel angekommen.Und ihm war klar, woher das andere Geld kam,und weshalb Onkel Omar soviel davon ausgegebenhatte. Er wußte, daß er se<strong>in</strong> Erbe erhalten hatte. DieFragmente fügten sich zu e<strong>in</strong>em Bild zusammen. Erkonnte Onkel Omars Beherrschung und Vorsicht nurbewundern.Er berührte <strong>die</strong> Wange des Mädchens mit den F<strong>in</strong>gerspitzen.Die Haut fühlte sich weder warm nochkalt an. Fast hatte er den E<strong>in</strong>druck, daß sie aus Plastikbestand. Die hellen Locken waren wie Eisendraht. Alser sie nach h<strong>in</strong>ten strich, blieben sie <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Lage.Er durfte nicht den Fehler begehen anzunehmen,daß sich <strong>die</strong> echte <strong>Welt</strong> verändert hatte. Jetzt erstmerkte er, weshalb Onkel Omar ihn dazu gezwungenhatte, Vorlesungen über Logik zu hören. Bonny Leebefand sich <strong>in</strong> der »echten« <strong>Welt</strong>. In ihren Augen warer nichts anderes als e<strong>in</strong>e Bewegung, <strong>die</strong> sich zuschnell für ihre Ret<strong>in</strong>a abspielte.Und er erkannte e<strong>in</strong>e der Hauptregeln, <strong>die</strong> er ab


jetzt beachten mußte. Er mußte genau da <strong>in</strong> <strong>die</strong> echte<strong>Welt</strong> zurückkehren, wo er sie verlassen hatte. Sonstbrachte er <strong>die</strong> anderen Menschen noch zum Wahns<strong>in</strong>n.Trotz aller Vorsicht hatte man Omar Krepps füre<strong>in</strong>en Sonderl<strong>in</strong>g und Exzentriker gehalten. Vielleichtwar er von Zeit zu Zeit zu leichts<strong>in</strong>nig gewesen. Nunwußte er auch, weshalb Charla und Joseph e<strong>in</strong>enHeidenrespekt vor Onkel Omar gehabt hatten. Bei<strong>in</strong>ternationalen F<strong>in</strong>anzbetrügereien mußte <strong>die</strong> goldeneUhr Onkel Omar e<strong>in</strong>en unüberw<strong>in</strong>dlichen Vorteile<strong>in</strong>räumen.Und <strong>die</strong>sen Vorteil hatten sie gewollt, ohne genausagen zu können, wor<strong>in</strong> er bestand! Es lief ihm kaltüber den Rücken, wenn er daran dachte, was Charlamit <strong>die</strong>ser Uhr anfangen würde.Noch zehn M<strong>in</strong>uten. Er beschloß, den Zeiger weiterlaufenzu lassen und abzuwarten, ob das Ergebnisdas gleiche war. Er wollte e<strong>in</strong> Stück gehen, aber se<strong>in</strong>eSchuhe waren so schwer, daß er nicht vorankam. Erzog sie aus. E<strong>in</strong>er schwebte <strong>in</strong> der Luft, und er wollteihn zu Boden stoßen. Dann merkte er, daß es gleichgültigwar. Sobald er <strong>in</strong> <strong>die</strong> echte Zeit zurückkehrte,fiel der Schuh automatisch <strong>in</strong> den Sand. Er g<strong>in</strong>g <strong>in</strong>sWasser. Runde Tropfen h<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> der Luft, und se<strong>in</strong>Fuß h<strong>in</strong>terließ e<strong>in</strong>en tiefen E<strong>in</strong>druck.Fünf M<strong>in</strong>uten.Er g<strong>in</strong>g durch <strong>die</strong> Menge. E<strong>in</strong> Mädchen fütterte <strong>die</strong>Möwen. Die Körner h<strong>in</strong>gen dicht neben ihren F<strong>in</strong>gern,und <strong>die</strong> Tiere schwebten e<strong>in</strong> paar Schritte vonihr entfernt. E<strong>in</strong> dicker Junge mit wutverzerrtem Gesichthatte e<strong>in</strong>e Schaufel nach dem Mädchen geworfen,und das Blechd<strong>in</strong>g h<strong>in</strong>g reglos <strong>in</strong> der Luft. Kirbylenkte es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Richtung, wo es ke<strong>in</strong>en Schaden an-


ichten konnte. Dann nahm er e<strong>in</strong>e der Möwen undsteckte sie dem boshaften Knirps unter das Strandhemd.Zwei M<strong>in</strong>uten.Er g<strong>in</strong>g zurück zum Pavillon. Er zog <strong>die</strong> Schuhe anund setzte sich <strong>in</strong> <strong>die</strong> gleiche Stellung wie vorher. Mite<strong>in</strong>em Gr<strong>in</strong>sen holte er e<strong>in</strong>e Zigarette heraus undsteckte sie Bonny Lee zwischen <strong>die</strong> Lippen. Der Silberzeigerrückte auf zwölf zu ...Helles Vormittagslicht übergoß <strong>die</strong> Szene.Bonny Lee zuckte zusammen und nahm <strong>die</strong> Zigaretteaus dem Mund. »Verdammt!« sagte sie.»E<strong>in</strong> Trick, den me<strong>in</strong> Onkel mir beigebracht hat«,me<strong>in</strong>te er lachend. Er drehte sich um und sah zumStrand. Möwen fraßen Körner. E<strong>in</strong>e Sandschaufellandete harmlos am Boden. E<strong>in</strong> dicker Junge lief kreischenddavon, und e<strong>in</strong>e Möwe arbeitete sich kreischendaus se<strong>in</strong>em Hemd. Die Fußspuren im Sandund im Wasser waren verschwunden.Bonny Lee wirkte kühl. »Tricks s<strong>in</strong>d ja schön undgut, Kirby, aber bei mir ziehen sie nicht. Mir lief esganz kalt über den Rücken.«Er setzte sich neben sie auf <strong>die</strong> Betonbank. »Es tutmir leid, Bonny Lee.«»Also, ehrlich, Kirby, erst tust du, als würde <strong>die</strong><strong>Welt</strong> untergehen, dann lachst du wie e<strong>in</strong> Verrückter,und schließlich führst du mir unheimliche Tricks vor.Ich dachte, ich würde dich kennen ...«»Etwas sehr Wichtiges ist plötzlich geschehen,Bonny Lee.«»Das verstehe ich nicht.«»Ich möchte e<strong>in</strong> – Experiment machen. Sieh genau<strong>die</strong>sen Fleck auf der Bank zwischen uns an. Ganz ge-


nau. Dann sagst du mir, was passiert und wie du dichdabei fühlst.«»Weißt du, Liebl<strong>in</strong>g, allmählich machst du michnervös.«»Bitte, Bonny Lee.«Er g<strong>in</strong>g wieder <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>rote</strong> <strong>Welt</strong>. Diesmal hatte erden Zeiger soweit wie möglich zurückgedreht – ume<strong>in</strong>e Stunde. Das war also das Maximum. Er ließ <strong>die</strong>Uhr vorsichtig los. Nichts veränderte sich. Dann saher e<strong>in</strong>e Muschel e<strong>in</strong> paar Schritte entfernt liegen. Erhob sie auf und legte sie auf <strong>die</strong> Betonbank, so daßBonny Lee sie sehen mußte. Dann ließ er den Zeigerzurückschnappen.Bonny Lee zuckte zusammen. Sie war grau geworden.E<strong>in</strong>en Moment lang schloß sie <strong>die</strong> Augen undschluckte. »Bitte, hör mit <strong>die</strong>sen grausigen Tricks auf,Kirby. Bitte!«»Was ist geschehen?«»Du hast es doch gesehen. Verdammt noch mal, duhast es getan! Ganz plötzlich lag <strong>die</strong> Muschel da. Sie istnicht gewachsen oder sonst was – sie lag e<strong>in</strong>fach da!«»Wie hast du dich gefühlt?«»Furchtbar.«»Ich me<strong>in</strong>e, was hast du gefühlt?«»Wie me<strong>in</strong>st du das, Liebl<strong>in</strong>g? Ich habe doch nichtsgefühlt. Ich sah <strong>die</strong> Bank an und – schwupp! – lag <strong>die</strong>Muschel da. Jetzt verstehe ich dich, du Bastard, duhypnotisierst mich. Das ist verboten, wenn der Partnernicht damit e<strong>in</strong>verstanden ist, hörst du? Also laßes gefälligst bleiben.«»Ich hypnotisiere dich nicht. Und sei jetzt bitte nichtmehr wütend. Ich möchte, daß du noch etwas versuchst.Es wird dich anfangs vielleicht erschrecken ...«


»Hör auf, Kirby!«»Hast du nicht gesagt, daß du mir helfen wolltest?«»Sicher, aber ...«»Und du liebst mich?«»Wahrsche<strong>in</strong>lich, aber ...«»Dann laß es mich versuchen. Ich schwöre, daß dirdabei nichts geschieht, und ich werde es dir erklären,wenn es funktioniert.«Sie sah ihn zweifelnd an und nickte dann. Er rücktenahe an sie heran und legte ihr den Arm um <strong>die</strong>Schultern. Dann hielt er <strong>die</strong> goldene Uhr mit beidenHänden vor sie h<strong>in</strong>. »Leg de<strong>in</strong>e Hände über me<strong>in</strong>e.«Sie tat es und begann: »Was soll <strong>die</strong> alte Zwiebel...«Die <strong>Welt</strong> wurde starr, und Bonny Lee rührte sichnicht. Offensichtlich konnte man e<strong>in</strong>e andere Personnicht mit <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>rote</strong> <strong>Welt</strong> nehmen.»... bei dem Experiment?« beendete sie den Satz.»Diesmal mußt du das Rädchen hier nach <strong>in</strong>nendrücken und um e<strong>in</strong>en Ruck verstellen ...«Er saß alle<strong>in</strong> auf der Bank und umarmte e<strong>in</strong> Mädchen,das nicht mehr existierte. Auch <strong>die</strong> Uhr warverschwunden.Ne<strong>in</strong>, zwei Menschen konnten nicht h<strong>in</strong>über.Er saß da, von Schuldgefühlen geplagt, und überlegte,was er Bonny Lee aus Dummheit angetan hatte.


9Erst als Kirby aufstand, sah er neben der Betonbanke<strong>in</strong> Häufchen Kleider liegen – e<strong>in</strong>e gelbe Hose, weißeSandalen, e<strong>in</strong>e weiße Bluse. Er legte alles auf <strong>die</strong>Bank. Es fehlte nur <strong>die</strong> Unterwäsche.Ihre Stimme klang zehn Schritte h<strong>in</strong>ter ihm auf.»Hey! Hey, Liebl<strong>in</strong>g, das macht Spaß!«Er wirbelte herum und sah sie im Sonnenlicht stehen,braungebrannt und voller Erregung. Die goldeneUhr blitzte. Sie legte den F<strong>in</strong>ger auf das Rädchen.»Gib her!« schrie er, aber sie war schon wieder verschwunden.Er hörte dünne Schreie, <strong>die</strong> sich mit dem Krächzender Möwen vermischten. Er warf e<strong>in</strong>en Blick zumStrand h<strong>in</strong>unter, wo <strong>die</strong> Menge am dichtesten war. Esschien, als seien alle zugleich verrückt geworden.Er bl<strong>in</strong>zelte und glaubte Bonny Lee e<strong>in</strong>en Momentlang zu erkennen, doch dann war sie wieder verschwunden.Ihm wurde klar, daß er ihre Reaktion auf <strong>die</strong> <strong>rote</strong><strong>Welt</strong> falsch e<strong>in</strong>geschätzt hatte. Bonny Lee hatte e<strong>in</strong>durch und durch praktisches Gemüt. Die Theorie warihr schnuppe. Für sie war nur wichtig, daß <strong>die</strong> Uhrfunktionierte, und wie sie funktionierte, hatte er ihrerklärt. Obwohl sie ihm bewiesen hatte, daß sie e<strong>in</strong>ereife Frau war, er<strong>in</strong>nerte er sich doch, daß sie nochke<strong>in</strong>e zwanzig war – »praktisch zwanzig« hatte siegesagt – und daß jetzt das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ihr auf dummeGedanken kommen konnte.Er wußte, welche Befriedigung es ihm verschaffthatte, dem kle<strong>in</strong>en dicken Jungen <strong>die</strong> Möwe unter das


Hemd zu stecken. Wahrsche<strong>in</strong>lich g<strong>in</strong>g Bonny Leemit ihren Streichen noch weiter.Zwei Gestalten kamen vom Strand her gerannt. Erstarrte sie an. Es waren zwei Frauen, und sie wolltenoffensichtlich zum Parkplatz. Zwei Frauen von reichlichemUmfang und splitternackt.E<strong>in</strong> Tourist <strong>in</strong> gesetzten Jahren blieb <strong>in</strong> der Näheder Bank stehen und starrte den davonlaufendenFrauen nach. Er trug e<strong>in</strong> buntes Hemd, e<strong>in</strong>en Bahama-Hut,Bermuda-Shorts und blaue Segeltuchschuhe.Er wartete, bis <strong>die</strong> beiden um <strong>die</strong> Kurve verschwundenwaren, und sah dann Kirby fragend an.»Bis heute, me<strong>in</strong> Junge, habe ich mir etwas aufme<strong>in</strong>e guten Augen e<strong>in</strong>gebildet.«»Sir?«»Könnten Sie mir vielleicht sagen, wer hier ebenvorbeikam?«»Äh – zwei Frauen.«Der Mann kam näher. »Junge, was haben <strong>die</strong> beidenIhrer Me<strong>in</strong>ung nach getragen?«»Überhaupt nichts.«Der Alte sah ihn kopfschüttelnd an. »Wenn ich <strong>in</strong>Ihrem Alter wäre, Junge, würde ich h<strong>in</strong>terherrasen.Und Sie bleiben e<strong>in</strong>fach sitzen! S<strong>in</strong>d Sie krank?«»Ich kam erst vorgestern von Michigan her. Vielleichtb<strong>in</strong> ich noch zu fremd. Hierzulande s<strong>in</strong>d <strong>die</strong>Sitten sicher freier.«»Nun, ich weiß nicht ...«»Heiliger Florian, da kommt <strong>die</strong> nächste!«Es war e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e sonnenverbrannte Rothaarige,<strong>die</strong> am Ende ihrer Kräfte zu se<strong>in</strong> schien. In e<strong>in</strong>erHand hatte sie e<strong>in</strong> Transistorgerät, <strong>in</strong> der anderen e<strong>in</strong>eThermosflasche.


Nachdem auch sie außer Sicht war, seufzte der alteMann schwer. »E<strong>in</strong>es muß man Ihnen lassen, Junge.Sie haben sich den besten Aussichtspunkt gewählt.Glauben Sie, daß das <strong>die</strong> neue Mode wird?«»Ke<strong>in</strong>e Ahnung.«»Nun, ich hoffe es.« Er hielt <strong>die</strong> Hand über <strong>die</strong> Augenund sah zum Strand h<strong>in</strong>unter.Plötzlich war Bonny Lee dicht neben Kirby undließ e<strong>in</strong> Häufchen Papiergeld auf se<strong>in</strong>en Schoß flattern.Es verteilte sich auf der Bank und im Sand. Sielachte noch e<strong>in</strong>mal und war verschwunden.Der Alte wirbelte herum. »Sie haben aber e<strong>in</strong>e hoheStimme, Junge. He, was verlieren Sie da?«»Ach, das da?«»Geld, nicht wahr?«»Ja«, sagte Kirby herzhaft. »Was denn sonst?« Erpackte <strong>die</strong> Banknoten, bevor der W<strong>in</strong>d sie weitertragenkonnte.»Ich glaube, <strong>die</strong> Sonne hat mich erwischt«, me<strong>in</strong>teder alte Mann. »Ich gehe besser <strong>in</strong> den Schatten.« Ertrollte sich.E<strong>in</strong> paar andere Leute waren <strong>in</strong> <strong>die</strong> Nähe gekommenund starrten das Geld neugierig an. Kirby sammeltees rasch e<strong>in</strong>. Bonny Lee hatte sich nicht mitDollarsche<strong>in</strong>en abgegeben, und auch Fünfer warennur wenige vertreten. Das Bündel war so dick, daß eres kaum <strong>in</strong> der Tasche der geborgten Hose unterbrachte.Er nahm Bonny Lees Kleider und g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>die</strong>nördliche Richtung. Er wußte, daß sie ihn jederzeitf<strong>in</strong>den konnte, da er <strong>in</strong> der <strong>rote</strong>n <strong>Welt</strong> reglos war. Ermerkte, daß auf der Zufahrtsstraße e<strong>in</strong> furchtbaresVerkehrschaos herrschte. In der Ferne klangen Polizeisirenenauf. Er kam an e<strong>in</strong>em Mann vorbei, der


langsam im Kreis herumg<strong>in</strong>g und sich mit der Faustgegen <strong>die</strong> Stirn schlug.Plötzlich hatte Kirby e<strong>in</strong>e neue Pfeife <strong>in</strong> der Hand,e<strong>in</strong>en Rosenstrauß unter dem Arm und e<strong>in</strong>en Goldr<strong>in</strong>gmit e<strong>in</strong>em großen Diamanten am kle<strong>in</strong>en F<strong>in</strong>ger.Bonny Lee stand <strong>in</strong> ihrer hübschen türkisblauen Unterwäscheneben ihm. Er wollte sie an der Handnehmen, aber sie war schon wieder verschwunden.Später erfuhr er, daß <strong>die</strong> Viertelstunde Abwesenheit<strong>in</strong> Wirklichkeit vier Stunden für sie gewesen waren,vier Stunden, <strong>in</strong> denen sie <strong>die</strong> tollsten D<strong>in</strong>ge angestellthatte.Aus Bonny Lees Mund klang es folgendermaßen:»Da schmorten sie <strong>in</strong> der Sonne, so nackt, wie es dasGesetz erlaubt, und versuchten sich e<strong>in</strong>en Spielgefährtenzu angeln. Ich fand es viel ehrlicher, auch <strong>die</strong>letzten Stoffreste zu entfernen, damit <strong>die</strong> Jungs auchsahen, woran sie waren. Ich habe e<strong>in</strong>e halbe Stundewie e<strong>in</strong> Roß geschuftet, bis ich <strong>die</strong> Dämchen ausgezogenhatte. Neun von zehn sahen mit Badeanzug besseraus als ohne. War das e<strong>in</strong> Spaß! Ich fiel mit me<strong>in</strong>erUnterwäsche gar nicht auf, weil sie alle noch viel wenigertrugen.«Kirby schüttelte den Kopf.»Jesusmaria, Freund, du hättest es sehen sollen.Von sechzig Mädchen nahmen es vielleicht vier oderfünf kühl auf. Die anderen f<strong>in</strong>gen zu kreischen anund suchten nach ihren Handtüchern, aber <strong>die</strong> hatteich auch versteckt. Die e<strong>in</strong>en rannten <strong>in</strong>s Wasser –und <strong>die</strong> Jungs immer feste h<strong>in</strong>terher – <strong>die</strong> ganzSchlauen klauten sich von anderen Leuten <strong>die</strong>Handtücher, und der Rest versuchte sich irgendwozu verstecken. Ich mußte lachen, bis ich e<strong>in</strong>en


Schluckauf bekam. Zwei der Jungs nützten <strong>die</strong> Situationaus und wollten mir nahekommen, und da verschwandich <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>rote</strong> <strong>Welt</strong> und stülpte ihnen Sandeimerüber den Kopf.«»Und wie war das mit dem Geld?«»Geld?«»Das Geld, das du mir <strong>in</strong> den Schoß geworfenhast.«»Ach so. Das holte ich von den Läden dort drüben.Jedesmal, wenn ich an e<strong>in</strong>er offenen Kasse vorbeikam,angelte ich mir e<strong>in</strong> paar Noten. Aber bis ich dasZeug zu dir geschleppt hatte, das war e<strong>in</strong>e Heidenarbeit!«»Und <strong>die</strong> Verkehrsstauung?«»Junge, das war <strong>die</strong> Wucht! Ich zog überall <strong>die</strong>Zündschlüssel ab und warf sie <strong>in</strong> den Abfallkorb ander Straßenecke. Alle hupten wie wild, aber ke<strong>in</strong>erkonnte weiter. Ich kletterte auf den Rücksitz e<strong>in</strong>esschnittigen Kabrios und gr<strong>in</strong>ste den Fahrer an, als ersich umdrehte. Er machte <strong>die</strong> Augen zu und wurdeganz grün. Bevor er sie wieder öffnete, war ich verschwundenund holte von den Autos auf der anderenStraßenseite <strong>die</strong> Zündschlüssel zusammen. Sie hattenes alle so eilig, und da schadete es gar nicht, daß siee<strong>in</strong>e Zeitlang warten mußten.«»Ich kann mir ihren Zorn vorstellen.«»Inzwischen hatte ich e<strong>in</strong>en Mordsappetit nach allder schweren Arbeit. Ich holte mir aus den Läden etwaszu essen und machte e<strong>in</strong> Picknick am Strand.Außerdem entdeckte ich noch e<strong>in</strong>en ekligen Kerl, derdauernd an se<strong>in</strong>er netten jungen Frau herummeckerte,und dem habe ich es gezeigt.« Sie lächelte. »Weiterunten wurde gerade e<strong>in</strong> Pavillon gestrichen, und ich


malte den Dicken grün an. Er lag schließlich auf demBauch wie e<strong>in</strong> fettes Riesenbaby und blubberte, weiler Sand im Mund hatte.«»Me<strong>in</strong> Gott!«»Und dann war noch e<strong>in</strong>e bissige alte Sp<strong>in</strong>atwachtelda, <strong>die</strong> dauernd mit ihrem armseligen Mann herumkeifte.Sie gönnte es ihm nicht, daß er <strong>die</strong> jungenMädchen ansah. Ich habe ihm <strong>die</strong> ganze Decke mitniedlichen nackten Krabben vollgepackt und dann<strong>die</strong> echte <strong>Welt</strong> angeknipst. Du hättest <strong>die</strong> Alte schreienhören sollen! Aber er nahm das gar nicht auf. Ersaß bloß da und lächelte.«*Doch wie gesagt, das erfuhr er später. In dem Augenblick,<strong>in</strong> dem sie ihn mit e<strong>in</strong>er Pfeife, e<strong>in</strong>em Rosenstraußund e<strong>in</strong>em Diamantr<strong>in</strong>g beschenkte, war er nicht sicher,ob er sie je wiedersehen würde. Onkel Omarhatte bestimmt nicht gewollt, daß se<strong>in</strong>e Uhr so mißbrauchtwurde. Kirby steckte den R<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>die</strong> Tasche,warf <strong>die</strong> Pfeife <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Gebüsch und stopfte <strong>die</strong> Rosen <strong>in</strong>e<strong>in</strong>en Abfallkorb. Das ständige Hupen von der Straßeher machte ihn verrückt. E<strong>in</strong>e Menge Frauen schwammenim Wasser und riefen den Männern, <strong>die</strong> am Uferstanden, etwas zu. Plötzlich bemerkte er das starkePolizeiaufgebot, das am Strand aufmarschierte. Dietapferen Gesetzeshüter bliesen auf ihren Trillerpfeifenund trugen nur zur allgeme<strong>in</strong>en Verwirrung bei.Als e<strong>in</strong> großer junger Polizeioffizier vorbeig<strong>in</strong>g,wandte sich Kirby zu hastig ab. Der Polizist blieb stehenund starrte ihn durchdr<strong>in</strong>gend an. »Nehmen Siemal <strong>die</strong> Brille ab, Freund«, sagt er.


»Aber ich habe doch nur ...«E<strong>in</strong> häßlicher Revolver zielte plötzlich mitten aufse<strong>in</strong>e Brust. »Geben Sie mir mal Ihren Ausweis, aberschön langsam und ohne Zicken. Wenn ich nervöswerde, schieße ich.«Kirby reichte dem Mann langsam und ohne Zicken<strong>die</strong> Brieftasche. Der Polizist sah sich den Ausweis e<strong>in</strong>enMoment lang an. Dann gr<strong>in</strong>ste er und wippte mitden Fersen. »Oh ihr lieben zehntausend Eierchen!Mann, Sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Weihnachtsgeschenk! Sagen Sienur, daß Korporal Tannenbaumer Sie geschnappt hat.Das können Sie sich merken, oder? Tannenbaumer!Wenn Sie es vergessen, schlage ich Ihnen <strong>die</strong> Zähneaus. Wie war der Name?«»Korporal Tannenbaumer.«»Brav. Und jetzt legen Sie beide Hände h<strong>in</strong>ter denKopf. So ist es gut. Harry! He, Harry! Komm her undsieh dir mal an, was ich da gefangen habe.«Harry warf e<strong>in</strong>en Blick auf <strong>die</strong> Ausweispapiere undschüttelte den Kopf. »Also, Tanny, du kannst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emAbwassergraben landen und tauchst mit e<strong>in</strong>erGoldkrone wieder auf. Soll ich den Sergeanten holen?«»Ne<strong>in</strong>, Harry. Du kriegst e<strong>in</strong>en Tausender ab, undwir schaffen ihn geme<strong>in</strong>sam weg. Du willst wohl, daßder Sergeant <strong>die</strong> Piepen kassiert?«»Für zwei, Tanny.«»Anderthalb.«»Wir müssen e<strong>in</strong>en weiten Weg mit ihm zurücklegen,Tanny.«»Dann feßle ihn an mich.«»Weshalb nicht an mich?«»Weil du mir mit zehntausend Lappen ohne weite-


es durchgehen würdest, Harry. Also quatsche nichtlange, sondern mach dich an <strong>die</strong> Arbeit. Was warüberhaupt am Strand los?«»Jemand rief uns an, daß am Strand nackte Mädchen<strong>in</strong> Hülle und Fülle 'rumhüpfen würden. Dasstimmt. Und e<strong>in</strong> anderer Bericht besagte, daß vierzigFahrer plötzlich ihre Zündschlüssel verloren hätten.Die Abschleppwagen s<strong>in</strong>d bereits unterwegs. Und irgendwoläuft e<strong>in</strong> grün bemalter Kerl herum, den sienoch nicht erwischt haben. Soweit wir es beurteilenkönnen, hat e<strong>in</strong>e schlaue Bande das alles <strong>in</strong>szeniert,um <strong>in</strong> Ruhe <strong>die</strong> Läden da drüben auszuräumen. Verdammt,Tanny, wir haben noch viel Arbeit vor uns.«»Ich habe schon genug geleistet. Also, du bekommstanderthalb, sobald ich <strong>die</strong> Belohnung kassiert habe.«Tannenbaumer trat neben Kirby und streckte <strong>die</strong>l<strong>in</strong>ke Hand aus. Kirby wurde befohlen, <strong>die</strong> Rechteauszustrecken. Harry holte <strong>die</strong> Handschellen herausund sah Bonny Lees Kleider am Boden liegen. »Wassoll denn das da?«»Mädchenkleider. Na und? Vielleicht wollte er sichverkleiden. Du willst wohl warten, bis der Sergeantaufkreuzt? Der schnappt sich <strong>die</strong> zehntausend undschenkt uns e<strong>in</strong>e Schachtel Zigaretten.«Harry verhedderte sich <strong>in</strong> den Handschellen undstand plötzlich mit gefesselten Handgelenken da.Tannenbaumer starrte ihn an. »Harry, du geme<strong>in</strong>erKerl, du willst Zeit sch<strong>in</strong>den!«»Weshalb verhaftet ihr ihn?« fragte Bonny Lee.Harry und Tannenbaumer drehten sich um undstarrten sie an. Tannenbaumer sagte: »Das Tragenvon Unterwäsche an öffentlichen Stränden ist verboten.Ziehen Sie sich rasch etwas an, Miß!«


»Öffne doch <strong>die</strong> Handschellen«, beschwerte sichHarry. »Der Schlüssel ist <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Hemdtasche.«»W<strong>in</strong>ter, wenn Sie abhauen, während ich hier beschäftigtb<strong>in</strong>, mache ich Knochensalat aus Ihnen.«Tannenbaumer öffnete e<strong>in</strong>e der Handschellen undhatte sie plötzlich am eigenen Handgelenk. »Mußausgerutscht se<strong>in</strong>«, me<strong>in</strong>te er entschuldigend. »Wo istder Schlüssel?«»Den hast doch du, Tanny.«»Ich hatte ihn.«»Muß <strong>in</strong> den Sand gefallen se<strong>in</strong>.«»Harry, der Sergeant ist <strong>in</strong> der Nähe. Mädchen,ziehen Sie schnell was an.«»Ich störe doch ke<strong>in</strong>en, oder?« me<strong>in</strong>te Bonny Lee.»Wenn ich nicht so beschäftigt wäre, würde siemich stören. Tanny. Wie ist's mit dir?«»Schnauze. Hör mal, Harry, wir fesseln ihn an me<strong>in</strong>freies Handgelenk und gehen so zum Revier.«»Wird das nicht komisch aussehen, Tanny?«»Das kann man nicht ändern.«»Und wie willst du fahren, Tanny?«»Wir setzen uns alle nach vorn. Strecken Sie <strong>die</strong>Hand aus, W<strong>in</strong>ter. Harry, habe ich dir me<strong>in</strong> Schießeisengegeben?«»Ne<strong>in</strong>, Tanny. He, Kle<strong>in</strong>e, hat er mir das Schießeisengegeben?«»Laß das Mädchen aus dem Spiel und gib mir de<strong>in</strong>eKanone.«»Verdammt, sie müssen beide <strong>in</strong> den Sand gefallense<strong>in</strong>. Tanny, im Verhaften sche<strong>in</strong>en wir nicht sehr gutzu se<strong>in</strong>.«»Wo s<strong>in</strong>d sie denn, wenn sie <strong>in</strong> den Sand gefallens<strong>in</strong>d?«


»Vielleicht wurde Sand drübergeweht.«Bonny Lee drückte Kirby rasch <strong>die</strong> Uhr <strong>in</strong> <strong>die</strong> Handund sagte: »Trag du mich weg von hier. Du bist mirzu schwer.«Tannenbaumer drehte sich um und brüllte: »He,gehen Sie weg von ...« Und dann war er e<strong>in</strong>e <strong>rote</strong>Statue auf e<strong>in</strong>em rosa Strand. Kirby warf e<strong>in</strong>en Blickauf <strong>die</strong> Uhr. Er hatte sie um zwanzig M<strong>in</strong>uten verstellt.Vorsichtig steckte er sie e<strong>in</strong> und legte BonnyLee <strong>die</strong> Arme um <strong>die</strong> Taille. Sie fühlte sich an wie ausSte<strong>in</strong>. Langsam und vorsichtig hob er sie vom Boden,dann ließ er sie schweben. Er stemmte beide Händegegen <strong>die</strong> festen, runden Kurven und schob sie e<strong>in</strong>paar Meter weit.Dort ließ er sie stehen und überlegte. Er konnte <strong>die</strong>beiden Polizisten nicht mit leeren Händen zurücklassen.Das wäre unvorsichtig gewesen. Der Fall wurdeerheblich e<strong>in</strong>facher, wenn es sich um e<strong>in</strong>e Verwechslunghandelte. Er g<strong>in</strong>g zu den <strong>rote</strong>n Statuen am Erfrischungsstandund wählte zuerst e<strong>in</strong> Mädchen aus. Siehatte Bonny Lees Größe und Haarfarbe und wärerecht hübsch gewesen, wenn sie mehr K<strong>in</strong>n besessenhätte. Mit Kleidern konnte er sie nicht vorwärtsbewegen,und so entfernte er erst e<strong>in</strong>mal ihren Rock und<strong>die</strong> schwarzen Spitzen-Dessous. Dann schleppte er siewie e<strong>in</strong>e Holzpuppe zu den beiden Polizeibeamten.Sie lächelte immer noch mit vorstehenden Zähnen.Bei der Suche nach e<strong>in</strong>em geeigneten Mann zog ervorher se<strong>in</strong>e Schuhe aus. Als er endlich mit demFremden auf der Bildfläche erschien, zitterten ihm <strong>die</strong>Knie. Nachdem er sich e<strong>in</strong> wenig ausgeruht hatte,holte er se<strong>in</strong>e Brieftasche aus Tannenbaumers Hemdund steckte <strong>die</strong> des Fremden h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Er nahm Bonny


Lees Kleider und se<strong>in</strong>e Schuhe auf und dirigierte dasMädchen mit Stößen <strong>in</strong> Richtung Parkplatz.Und dann war es um ihn plötzlich wieder hell.Bonny Lee flog im Bogen an ihm vorbei und stürzte.»Kannst du nicht aufpassen?« schrie sie ihm zu.»Die Zeit war zu schnell um«, erklärte er.»Das kann gefährlich se<strong>in</strong>«, me<strong>in</strong>te sie. »E<strong>in</strong>er derKerle, <strong>die</strong> mich im Rio immer belästigten, g<strong>in</strong>g gerade<strong>in</strong>s Wasser, als ich ihn entdeckte. Ich verpaßte ihm e<strong>in</strong>D<strong>in</strong>g und kehrte dann <strong>in</strong> <strong>die</strong> Normalzeit zurück. DerKnabe sauste wie e<strong>in</strong>e Kanonenkugel fünfzehn Meterüber <strong>die</strong> Wellen, bis er endlich <strong>in</strong>s Wasser platschte.«»Bist du verletzt?«Sie tastete ihre Schulter und ihre Hüfte ab. »DieHaut ist ganz schön abgeschürft. Was machen wirjetzt?«»Zuerst könntest du de<strong>in</strong>e Kleider anziehen.«»Jesusmaria, ich b<strong>in</strong> schon ganz durchgedreht. Wos<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Polypen?«»Die jagen den Falschen.«»Du hast e<strong>in</strong>en anderen Kerl h<strong>in</strong>gestellt?«»Und e<strong>in</strong> anderes Mädchen.«»Ganz schöne Arbeit, was?«»Ja, aber ab jetzt müssen wir aufpassen, Bonny Lee.Wenn zu viele D<strong>in</strong>ge passieren, <strong>die</strong> wir nicht erklärenkönnen, merken sie noch etwas.«Sie knöpfte ihre Bluse zu und schüttelte den Sandaus den Haaren. Dann stiegen sie <strong>in</strong> den Sunbeam.Zum Glück mündete <strong>die</strong> Ausfahrt des Parkplatzesnicht <strong>in</strong> <strong>die</strong> Straße mit der Verkehrsstauung.»Wie hast du eigentlich <strong>die</strong> ganze Verwirrung herbeigeführt?«fragte Kirby.»Das erzähle ich dir später.«


»Woh<strong>in</strong> fahren wir?«»Wir brauchen e<strong>in</strong>en sicheren Ort, oder? Ich brechejetzt me<strong>in</strong> größtes Tabu. Bis jetzt hat noch ke<strong>in</strong> Mannme<strong>in</strong>e Wohnung betreten. Das wissen alle. Du kannstohne weiteres ungesehen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gehen.«»Wie denn?«»Liebl<strong>in</strong>g, manchmal fragst du dämlich.«»Ach so, natürlich. Entschuldige.«»Wie spät ist es?«»Zwanzig nach elf.«»Vormittags?«»Jawohl, Bonny Lee.«*Sie hatte e<strong>in</strong> Garagen-Apartment im alten Teil derStadt, h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>em pompösen Haus im spanischmaurischenStil. Sie erzählte ihm, daß man <strong>die</strong> Räume<strong>in</strong> Apartments gegliedert hatte, <strong>die</strong> jetzt hauptsächlichvon alten Damen mit ger<strong>in</strong>gem E<strong>in</strong>kommen gemietetwaren. »Sie tuscheln natürlich ganz schön,wenn ich morgens komme und abends gehe. Aber sieverscheuchen auch <strong>die</strong> Männer, und mit den meistenkomme ich ganz gut aus. Sie br<strong>in</strong>gen mir sogar Kuchenund ähnliches.«Sie erklärte ihm, wie er <strong>in</strong> <strong>die</strong> Wohnung gelangenkönnte, und setzte ihn e<strong>in</strong>en Block früher ab. Erschlenderte zehn M<strong>in</strong>uten durch <strong>die</strong> schmale schattigeStraße mit ihren großen Alleebäumen. Dann lehnteer gegen e<strong>in</strong>en Eisenzaun und schlüpfte <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>rote</strong><strong>Welt</strong>.Im H<strong>in</strong>terhof des Hauses saßen drei alte Damenunter e<strong>in</strong>em Sonnenschirm und strickten. Er betrat


<strong>die</strong> offene Garagentür und g<strong>in</strong>g nach rechts zurTreppe, wie sie es beschrieben hatte. Der Weg warmühsam. Das kle<strong>in</strong>e Wohnzimmer wirkte durch <strong>die</strong>schwere Röte bedrückend, aber er konnte erkennen,daß es bei Tageslicht e<strong>in</strong> reizender kle<strong>in</strong>er Raum mitKorbmöbeln und bunten Kissen se<strong>in</strong> mußte.Bonny Lee war <strong>in</strong> ihrem kle<strong>in</strong>en Schlafzimmer. Siehatte <strong>die</strong> Bluse ausgezogen und rieb e<strong>in</strong>e Flüssigkeit<strong>in</strong> <strong>die</strong> Schürfstellen der Schulter.Er hatte noch e<strong>in</strong>e Viertelstunde Zeit. Und er zögerte,<strong>in</strong> <strong>die</strong> wirkliche <strong>Welt</strong> zurückzukehren. Zu vielwar auf ihn e<strong>in</strong>gestürmt. Er setzte sich auf das Bettund erschrak im ersten Moment über <strong>die</strong> Härte. Aberdann er<strong>in</strong>nerte er sich, daß <strong>in</strong> der <strong>rote</strong>n <strong>Welt</strong> alleshärter und zäher war.Er sah Bonny Lee an, <strong>die</strong> zwei Meter von ihm entferntauf e<strong>in</strong>em Stuhl saß. Er er<strong>in</strong>nerte sich an e<strong>in</strong>Fernsehstück, das er vor längerer Zeit gesehen hatte.E<strong>in</strong>e Schaufensterpuppe – dargestellt von Ann Francis– war plötzlich lebendig geworden. Nachdem siee<strong>in</strong>e Zeitlang frei herumgelaufen war, wurde sie wieder<strong>in</strong> den Laden verbannt, und <strong>in</strong> der letzten Szenewar sie steif und wächsern geworden. So sah BonnyLee jetzt aus – steif und wächsern.Noch fünf M<strong>in</strong>uten. Er hielt <strong>die</strong> Uhr fest <strong>in</strong> derHand. Sie war der e<strong>in</strong>zige Gegenstand <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser <strong>rote</strong>n<strong>Welt</strong>, der leicht und handlich wirkte. Und er spürtee<strong>in</strong>e überwältigende Achtung vor all dem, was <strong>die</strong>Uhr repräsentierte, vor all den Versuchungen, denenihr Besitzer ausgesetzt war. Hier war absolute Machtund absolute Freiheit. Die Freiheit war so absolut,daß sie schon wieder zum Zwang wurde, zur Verhexung.


Die Möglichkeiten, <strong>die</strong> er hatte, waren schw<strong>in</strong>delerregend,aber zugleich mißtraute Kirby sich. DieVerpflichtungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ser Besitz mit sich brachte,waren hart. Er durfte <strong>die</strong> Uhr nur zu guten Zweckenverwenden. Und er mußte <strong>die</strong> Macht der Uhr verbergen.Angenommen, es gab fünfzig oder fünfhundertsolcher Geräte auf der <strong>Welt</strong>? Chaos, Anarchie, Verwirrungund Furcht mußten folgen. Es wäre, als hättesich e<strong>in</strong>e Mutation des Menschen gebildet, der Übermensch,der Privatleben und Besitz der anderen bedeutungslosmachte.Und er empfand e<strong>in</strong>e tiefe Bewunderung für OmarKrepps. Zwanzig Jahre lang hatte er <strong>die</strong>sen Vorsprunggehabt, und er hatte es verstanden, ihn geheimzuhalten.Wenn er <strong>die</strong> Fähigkeiten, welche <strong>die</strong>Uhr ihm gab, zur Schau gestellt hätte, wären andereWissenschaftler auf <strong>die</strong> Idee gekommen, Nachforschungen<strong>in</strong> der gleichen Richtung anzustellen. Ja, erkonnte das Schema erkennen, nach dem OmarKrepps gelebt hatte ...Der Lärm und <strong>die</strong> Helligkeit der echten <strong>Welt</strong> kehrtenzurück. Kirby verstellte rasch den Zeiger und ließsich noch e<strong>in</strong>mal zurück <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>rote</strong> <strong>Welt</strong> gleiten.Wie hatte Onkel Omar das viele Geld angehäuft,wenn er immer ethisch handelte? Und dann erkannteer, daß das gar nicht so schwer war, wenn man sichim Börsengeschäft auskannte. Onkel Omar konnte <strong>in</strong>der <strong>rote</strong>n <strong>Welt</strong> alle nötigen Papiere durchschnüffelnund besaß dadurch so etwas wie e<strong>in</strong>en sechsten S<strong>in</strong>n.Und wenn erst e<strong>in</strong>mal Geld vorhanden war, vermehrtees sich rasch.Aber warum hatte Onkel Omar <strong>die</strong> Uhr nicht mit


<strong>in</strong>s Grab genommen, wenn er wußte, was für e<strong>in</strong>e Gefahrsie darstellte?Vielleicht aus e<strong>in</strong>er Art Egoismus heraus. Jemandmußte Bescheid wissen. Und vor langer Zeit hatteOnkel Omar se<strong>in</strong>en Neffen Kirby als Nachfolger ausgewählt.Er hatte ihm <strong>die</strong> richtige Ausbildung zuteilwerden lassen, so daß er <strong>die</strong> Uhr mit Überlegung benutzenkonnte. Soziologie, Psychologie, Philosophie,alte Geschichte, vergleichende Religionen, Ethik undLogik, Anthropologie, Archäologie, Sprachen, Semantikund Ästhetik. Und dann elf Jahre Praxis, <strong>in</strong>denen Zurückhaltung, Wurzellosigkeit und Heimlichkeitzu se<strong>in</strong>er zweiten Natur geworden waren.Er spürte jetzt, daß es <strong>die</strong> ideale Erziehung gewesenwar. Der neue Besitzer der Uhr konnte sie zumWohl der Menschheit e<strong>in</strong>setzen.Aber weshalb hatte ihm dann Onkel Omar <strong>die</strong> Lagenicht schon vor langer Zeit erklärt? Weil er ihn für e<strong>in</strong>enSchwächl<strong>in</strong>g, für e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>faltsp<strong>in</strong>sel gehalten hatte.Und dann, nach dem ersten Herzanfall, hatte sichOnkel Omar auf den Tod vorbereitet. Zuerst solltese<strong>in</strong> Neffe <strong>die</strong> Uhr bekommen – und e<strong>in</strong> Jahr späterden Brief. Er wußte, daß der Brief sich auf <strong>die</strong> Uhrbeziehen würde. Was wäre geschehen, wenn er dasDokument <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schublade vergessen hätte? Waswäre geschehen, wenn er selbst irgendwo <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emAuto oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Eisenbahn mit dem silbernen Zeigergespielt hätte? Der Aufprall beim Übertritt <strong>in</strong> <strong>die</strong><strong>rote</strong> <strong>Welt</strong> hätte ihn zermalmt. Weshalb hatte OnkelOmar alles so e<strong>in</strong>gerichtet, daß er und Miß Farnhamunmittelbar nach se<strong>in</strong>em Tod <strong>in</strong> <strong>die</strong> größten Schwierigkeitengelangten? Ganz bestimmt hatte sich OnkelOmar ausrechnen können, was sich abspielen würde.


Es schien alles zu e<strong>in</strong>em Test zu gehören, aber erkonnte noch ke<strong>in</strong>en Zusammenhang erkennen.Zum erstenmal untersuchte er <strong>die</strong> Uhr genauer. Dieverschnörkelten Initialen OLK waren verschliffen. Inder Nähe des Aufziehrädchens befand sich e<strong>in</strong> Häkchen,mit dem man den Deckel öffnen konnte. Er zögerte,doch dann drückte er mit dem Daumennageldagegen. Im Innern befand sich e<strong>in</strong> zweites Gehäuseaus glattem, grauem Metall, das man nicht öffnenkonnte. Auf der Innenseite des Golddeckels warene<strong>in</strong>ige verschnörkelte late<strong>in</strong>ische Worte e<strong>in</strong>graviert.Er entzifferte sie mühsam. »Die Zeit wartet auf denMenschen.« Das war der echte Humor von OmarKrepps. Kirby verschloß <strong>die</strong> Uhr. Er überlegte, welcheEnergiequelle sie wohl <strong>in</strong> Gang hielt. Die Verzerrungenvon Zeit, Raum und Energie konnten sichernur durch enormen Kraftverbrauch erreicht werden.Er hielt <strong>die</strong> Uhr ans Ohr und glaubte wieder das fe<strong>in</strong>eS<strong>in</strong>gen zu hören. Und er fragte sich, wie lange <strong>die</strong>Energie im Innern anhalten würde. Aber das standvielleicht <strong>in</strong> dem Brief.Was nun? Wenn er <strong>die</strong> Uhr sorgfältig und planmäßige<strong>in</strong>setzte, konnte er um <strong>die</strong> Anklagen, <strong>die</strong> gegenihn erhoben wurden, herumkommen. Aber er mußteso vorgehen, daß das Interesse der Öffentlichkeit abflauteund nicht zunahm. Berühmtheit – das hatteOnkel Omar schon früh erkannt – würde se<strong>in</strong> Lebenunmöglich machen. Verrückte, Ungeheuer, Gauner,Fanatiker und Reporter würden ihn heimsuchen.Er wußte, daß der Anfang alles andere als gut gewesenwar. Als er <strong>die</strong> Uhr <strong>in</strong> Bonny Lees Hände gab,hatte er unabsichtlich <strong>die</strong> ihm auferlegte Verantwortungmißbraucht.


Wieder waren fünf M<strong>in</strong>uten übrig. Er sah BonnyLee an, und mit e<strong>in</strong>emmal war wieder das Verlangenda, heftig wie e<strong>in</strong> elektrischer Stromschlag. Er g<strong>in</strong>g zuihr h<strong>in</strong>über, beugte sich zu ihr herunter und drückteauf das Rädchen. Die <strong>Welt</strong> wurde normal. BonnyLees Lippen waren weich und warm. Sie zuckte zusammenund schrie e<strong>in</strong> wenig auf.»Das war h<strong>in</strong>terhältig«, flüsterte sie. »Daran werdeich mich nie gewöhnen, Freund.«Sie wischte sich <strong>die</strong> F<strong>in</strong>ger an e<strong>in</strong>em Stück Zellstoffab und g<strong>in</strong>g <strong>in</strong>s andere Zimmer, wo sie <strong>die</strong> E<strong>in</strong>gangstürfest verriegelte. Als sie zurückkam, küßtesie ihn leicht aufs K<strong>in</strong>n und gähnte ausgiebig. »Ichb<strong>in</strong> völlig fertig, Kirby«, sagte sie. Sie setzte sich aufsBett und rieb sich <strong>die</strong> Augen.»Ich habe e<strong>in</strong>e Menge Probleme zu lösen, BonnyLee.«Sie schleuderte <strong>die</strong> Sandalen von den Füßen undlegte sich h<strong>in</strong>. »Ich kann jetzt nicht mehr denken, solangeich nicht geschlafen habe. Bist du nicht auchmüde?«»Doch.« Er setzte sich an den Bettrand und küßtesie fest.Sie lachte leise. »Na, du hast noch schöne Energien.«»Bonny Lee?«»Ne<strong>in</strong>, du würdest de<strong>in</strong> Talent jetzt nur verschwenden.Bitte, laß mich erst schlafen, Liebl<strong>in</strong>g.Warum legst du dich nicht auf <strong>die</strong> Couch?«»Ich möchte nicht soviel Zeit mit Schlaf verschwenden...«Sie w<strong>in</strong>kte mit e<strong>in</strong>er raschen Handbewegung ab.»Gib mir mal <strong>die</strong> Uhr, Liebl<strong>in</strong>g.«


»Ich weiß nicht, ob ...«»Ich möchte doch nur etwas ausprobieren, duDummkopf! Ich b<strong>in</strong> viel zu müde, um irgend etwasanzustellen. Aber du mußt mir vertrauen, sonstkommen wir nicht weiter.«Er reichte ihr zögernd <strong>die</strong> Uhr. Sie drückte dasRädchen nach <strong>in</strong>nen. Im nächsten Moment lag sie <strong>in</strong>e<strong>in</strong>er völlig anderen Stellung da – <strong>die</strong> Uhr e<strong>in</strong> paarZentimeter von ihrer Hand entfernt, <strong>die</strong> Augen festgeschlossen. Als Kirby sie ansprach, gab sie ke<strong>in</strong>eAntwort. Er schüttelte sie. Sie murrte vor sich h<strong>in</strong> unddrückte wieder das Rädchen der Uhr nach <strong>in</strong>nen. Imnächsten Augenblick war sie nackt. Noch zweimalmachte Kirby das Spiel mit. Dann schlug sie <strong>die</strong> Augenauf, streckte sich und gähnte wohlig.Sie lächelte ihn an und sagte mit ihrer leisen, rauchigenStimme: »Drei ganze Stunden geschlafen.Mmm. Und jetzt du.« Sie rutschte zur Wand. »Maches dir richtig bequem, Liebl<strong>in</strong>g, denn <strong>in</strong> der <strong>rote</strong>n<strong>Welt</strong> ist das Bett verdammt hart. Und zieh dich aus.Die Kleider fühlen sich wie Beton an.«Er streckte sich aus und wanderte <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>rote</strong> <strong>Welt</strong>.Als er wieder <strong>in</strong> <strong>die</strong> normale <strong>Welt</strong> zurückkehrte, lagBonny Lee dicht neben ihm. Es war heller Tag. E<strong>in</strong>wenig verschämt drückte er auf das Uhrenrädchenund schlief von neuem <strong>in</strong> der <strong>rote</strong>n <strong>Welt</strong> e<strong>in</strong>. BonnyLee rüttelte ihn wach. Ihr Gesicht war nur Zentimetervon dem se<strong>in</strong>en entfernt. »Ist das nicht wunderbar?«flüsterte sie.Er gähnte und überlegte verwundert, wie rasch esBonny Lee fertiggebracht hatte, alle Möglichkeitender Erf<strong>in</strong>dung auszuschöpfen.»Ich habe mich oft über Onkel Omar gewundert«,


me<strong>in</strong>te er. »Er schien manchmal vollkommen ohneSchlaf auszukommen.«»Der alte Herr war großartig, Kirby. Möchtest dunoch e<strong>in</strong>e Stunde schlafen?«»N-nicht jetzt.«»Oh, ich glaube, heute breche ich alle Regeln, <strong>die</strong>ich mir gesetzt habe«, flüsterte sie und rückte näheran ihn heran. Sie war so dicht neben ihm, daß er <strong>die</strong>Wärme ihres Atems spürte. »Es ist so schön, dich zulieben«, murmelte sie. »Du bist irgendwie so ängstlichund nervös dabei. Und süß. Weißt du, Kirby, dumachst es wichtig. Und dabei wird mir ganz schw<strong>in</strong>deligund komisch.«


10Kirby W<strong>in</strong>ter und Bonny Lee Beaumont hatten e<strong>in</strong>eherrliche Zeit. Zwischen ausgiebigen Schlafpausen <strong>in</strong>der <strong>rote</strong>n <strong>Welt</strong> und erfrischenden Duschen beschäftigtensie sich <strong>in</strong>tensiv mite<strong>in</strong>ander. Kirby hatte dasGefühl, e<strong>in</strong> anderer Mensch geworden zu se<strong>in</strong>.Er freute sich plötzlich über se<strong>in</strong>en Körper und se<strong>in</strong>eMuskeln und fand Spaß an Spielen, <strong>die</strong> ihn frühermit Scham erfüllt hätten. Kurz – se<strong>in</strong>e Verklemmunghatte sich gelöst. Und Bonny Lee half ihm dabei.*Sie hörten sich verblüfft <strong>die</strong> Zwei-Uhr-Nachrichtenan. Danach kam e<strong>in</strong> viertelstündiger Bericht überKirby W<strong>in</strong>ters Abenteuer.Erst als <strong>die</strong> Börsenberichte begannen, stellte sie daskle<strong>in</strong>e Transistorgerät ab. »Noch verrückter als <strong>die</strong>Nachrichten f<strong>in</strong>de ich <strong>die</strong> Tatsache, daß es erst zweiUhr ist, Liebl<strong>in</strong>g. Jetzt wird nicht mehr geschlafen. Duweißt, was sonst wieder los ist. Wenn wir so weitermachen,s<strong>in</strong>d wir bald völlig ausgepumpt.« Sie setztesich auf. »Sag mal, sah de<strong>in</strong> Onkel Omar eigentlichälter aus, als er war?«»Weshalb?«»E<strong>in</strong> Tag hat vierundzwanzig Stunden, Liebl<strong>in</strong>g.Weißt du auch, daß ich heute elf Stunden zusätzliche<strong>in</strong>geschaltet habe? Wenn ich das jeden Tag machenwürde, sähe ich plötzlich wie dreißig aus.«»Doch, du hast recht. Er wirkte tatsächlich älter, als erwar. Bonny Lee, hast du <strong>die</strong> Nachrichten nicht gehört?«


»Was soll denn <strong>die</strong> dumme Frage? Natürlich habeich sie gehört. Die Kerle werden immer verrückter.«»Ich habe also zwei Polizisten überwältigt, entwaffnetund mit ihren eigenen Handschellen gefesselt.Das heißt, daß ich ab jetzt als bewaffnet gelte.«Sie kicherte. »Man wird dir Eliot Ness auf <strong>die</strong> Fersenhetzen. Außerdem konnten <strong>die</strong> Polypen ke<strong>in</strong>erichtigen Aussagen machen. Liebl<strong>in</strong>g, ich b<strong>in</strong> amVerhungern. Ich habe e<strong>in</strong> paar Steaks im Kühlschrank.Wie soll ich das de<strong>in</strong>e braten?«»Halbgar.«Er er<strong>in</strong>nerte sich an das Geld, an <strong>die</strong> Verwirrungam Strand, an <strong>die</strong> Pfeife, <strong>die</strong> Rosen und den R<strong>in</strong>g. Erfragte sie, was sie getan hatte. Sie legte <strong>die</strong> Steaks <strong>in</strong><strong>die</strong> Pfanne und erzählte.Er holte das Geldbündel und den R<strong>in</strong>g aus der geliehenenHose. Sie beobachtete ihn schweigend, währender das Geld zählte. Er starrte sie an und sagteschließlich: »SechstausendsechshundertzwanzigDollar, Bonny Lee!«Sie zuckte mit den Schultern. »Tja, Liebl<strong>in</strong>g, es istwohl gestohlen, obwohl es mir nicht so vorkam. Eswar alles so unecht. Aber du hast gehört, was sie <strong>in</strong>den Nachrichten sagten. Zwanzigtausend. Verdammt,<strong>die</strong> Burschen runden für <strong>die</strong> Versicherung auf.«»Und was ist mit dem R<strong>in</strong>g?«»Ach, der. Bei den Umkleidekab<strong>in</strong>en stand e<strong>in</strong> fetteralter Kerl mit zwei Raufbolden, und sie hatten e<strong>in</strong>enanderen Kerl <strong>in</strong> <strong>die</strong> Zange genommen. Mir paßtees gar nicht, daß sie zu dritt gegen e<strong>in</strong>en losg<strong>in</strong>gen.Dem Dicken holte ich den Gürtel aus der Hose undfesselte ihm damit <strong>die</strong> Be<strong>in</strong>e. Den beiden anderen gabich e<strong>in</strong>en ganz leichten Schubs. Dann zog ich dem


Dicken den R<strong>in</strong>g vom F<strong>in</strong>ger und g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> paar Meterzur Seite. Du hättest <strong>die</strong> Knilche sehen sollen! E<strong>in</strong>erlandete <strong>in</strong> e<strong>in</strong> paar Kakteen, der Dicke lag auf derNase, und der letzte spuckte den Sand aus, den er beise<strong>in</strong>em Sturz geschluckt hatte. Und der Kerl, auf densie es abgesehen hatten, rannte davon wie e<strong>in</strong> Wiesel.«Sie nahm ihm den R<strong>in</strong>g aus der Hand undkratzte gegen das leere Milchglas. »Echter Diamant«,sagte sie. »War nichts für <strong>die</strong>sen Scheißkerl.«Sie bemerkte se<strong>in</strong>en Ausdruck.»Ich rede nicht besonders fe<strong>in</strong>, was?«Ihre rasche Auffassungsgabe verwirrte ihn. »Dasmacht doch nichts, Bonny Lee.«Sie warf den R<strong>in</strong>g auf das Tablett. »Vielleicht doch.Vielleicht paßt es mir selbst nicht. Aber vielleichtkann ke<strong>in</strong>er von uns was dagegen tun, verdammtnoch mal. Liebl<strong>in</strong>g, ich war leider schon e<strong>in</strong>e Frau,bevor ich e<strong>in</strong>e Dame werden konnte. Ich war <strong>in</strong>sgesamtvier Jahre auf der Schule. Wenn du e<strong>in</strong> Teedämchenbrauchst, mußt du dir eben e<strong>in</strong>s besorgen, hörstdu? In den Mädchenpensionaten gibt's genug davon.Mit denen kannst du dann über Kunst und Kulturquatschen, aber wehe, du willst sie mit <strong>in</strong>s Bett nehmen,me<strong>in</strong> Lieber. Da geht nichts, solange du ke<strong>in</strong>enEhevertrag unterschrieben hast und solange du ke<strong>in</strong>enGehaltsstreifen vorgewiesen hast.«»Bonny Lee!«»Ach, sieh mich nicht so treudoof an, du Affe! Ichkomme schon durch, und ich brauche weder dichnoch sonst e<strong>in</strong>en Kerl.« Sie warf sich aufs Bett undbegann zu schluchzen. Es klang wie bei e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>enJungen, der e<strong>in</strong>e Tracht Prügel e<strong>in</strong>gesteckt hatte.Er streichelte sie und zog sie zu sich heran.


Schließlich stand sie auf, g<strong>in</strong>g <strong>in</strong>s Bad und wuschsich das Gesicht. Sie gr<strong>in</strong>ste verlegen und schluchztenoch e<strong>in</strong> bißchen. »Alles gelogen«, sagte sie. »Und duweißt es. Es macht mich nervös, daß du so gebildetbist. Ich möchte ja mehr können, aber wie denn? Jesusmaria,ich arbeite sechs Nächte <strong>in</strong> der Woche, undgenau da laufen <strong>die</strong> Kurse der Abendschulen. Tut mirleid, Liebl<strong>in</strong>g. Ich drehe sonst nicht so leicht durch.Aber der heutige Tag hat es <strong>in</strong> sich gehabt. Ich b<strong>in</strong>eben nur e<strong>in</strong> Bauernmädchen aus Südkarol<strong>in</strong>a.«»Nur nicht untertreiben! Ich habe selten jemand gesehen,der so schnell begreift wie du.«»Weiblicher Inst<strong>in</strong>kt, sonst nichts. Aber lassen wirdas jetzt.«Er nahm das Geldbündel und legte es neben sieh<strong>in</strong>. »Du hast das Geld geholt. Nimm es doch für e<strong>in</strong>enAbendkurs her, wenn du unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>en besuchenwillst.«Sie sah e<strong>in</strong>en Moment lang nachdenklich dre<strong>in</strong>,doch dann schüttelte sie den Kopf. »Du hast wohl <strong>die</strong>Nachrichten nicht gehört? Im Moment gibt es wichtigereD<strong>in</strong>ge zu tun, Kirby.«Die Nachrichten waren deprimierend gewesen.Man hatte <strong>die</strong> Glorianna <strong>in</strong> der Nähe von D<strong>in</strong>ner Keyabgefangen und <strong>in</strong> den Hafen gebracht, wo <strong>die</strong> Metropolitan-Polizeie<strong>in</strong>e Durchsuchung veranlaßte. Aufder Jacht hatte sich e<strong>in</strong>e Notmannschaft von dreiLeuten befunden, dazu Mister Joseph Locordolos, e<strong>in</strong>Spanier, der mit Hotels und Grundstücken spekulierte;Mrs. Charla O'Rourke, se<strong>in</strong>e Schwester und e<strong>in</strong>ebekannte Dame der <strong>in</strong>ternationalen Gesellschaft;ferner Miß Betsy Alden, <strong>die</strong> Nichte von Mrs. O'Rourke.Die Jacht war im Schiffsregister von Panama e<strong>in</strong>-


getragen. Mister Locordolos hatte sich über <strong>die</strong> erzwungeneKursänderung sehr erregt. Se<strong>in</strong>e Papierewaren völlig <strong>in</strong> Ordnung. Er erklärte, daß er e<strong>in</strong>ekurze Kreuzfahrt unternommen habe, um <strong>die</strong> neu <strong>in</strong>stallierteRadaranlage zu testen. Sowohl er als auchse<strong>in</strong>e Schwester sagten aus, daß sie im Hotel Elise <strong>die</strong>Bekanntschaft Kirby W<strong>in</strong>ters gemacht hatten und daßsie mit se<strong>in</strong>em Onkel Omar Krepps flüchtig bekanntgewesen waren. Da ihnen Mister W<strong>in</strong>ter sehr deprimierterschienen war, hatten sie ihm angeboten, ihnnach Nassau zu br<strong>in</strong>gen. Mister W<strong>in</strong>ter war unentschlossengewesen, und sie hatten nicht mehr geglaubt,daß er sie begleiten würde, bis plötzlich se<strong>in</strong>eSachen an Bord gebracht wurden. Mister Locordolosgab zu, daß es e<strong>in</strong> Fehler gewesen war, nicht <strong>die</strong> Polizeizu verständigen, nachdem er von dem Riesenbetruggehört hatte, aber er hatte bei der Durchsuchungder Koffer nichts von Bedeutung gefunden. Selbstverständlichhatte er nach Bekanntwerden des Betrugesnicht mehr daran gedacht, Mister W<strong>in</strong>ter mitzunehmen,und der Betrüger hatte sich bei ihm auchnicht mehr gemeldet. Mister Locordolos war so großzügig,<strong>die</strong> Durchsuchung se<strong>in</strong>es Schiffes zu gestatten,obwohl <strong>die</strong> Glorianna unter Panama-Flagge lief. DiePolizei beschlagnahmte das Eigentum W<strong>in</strong>ters,konnte aber ke<strong>in</strong>e Spur von ihm selbst entdecken.Während der Bootsdurchsuchung hatten sich <strong>die</strong>Beamten auch mit der bettlägerigen Schauspieler<strong>in</strong>Betsy Alden unterhalten, <strong>die</strong> sich nach e<strong>in</strong>em Nervenzusammenbruchauf der Jacht erholen wollte. Siehatte mit schwacher Stimme alle Aussagen bestätigt.Da man W<strong>in</strong>ter gegen elf Uhr vormittags e<strong>in</strong>deutigam Strand erkannt hatte, wurden alle Ausgänge der


Stadt hermetisch abgeriegelt. Die Polizei war derMe<strong>in</strong>ung, daß der Betrüger ihnen bald <strong>in</strong>s Netz gehenmußte. Man hoffte sogar, daß er den Aufenthalt derFarnham verraten würde.Mister Grumby hatte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er weiteren Presseerklärunggewarnt, daß W<strong>in</strong>ter im Notfall falsche Beschuldigungengegen den Aufsichtsrat der Krepps-Unternehmen erheben würde. Er sagte unter Eid aus,daß Mister Krepps trotz wiederholter Bitten niemalsverraten hatte, woh<strong>in</strong> <strong>die</strong> siebenundzwanzig Millionengeflossen waren.Für den morgendlichen Aufruhr am Strand hatteman e<strong>in</strong>e ordentliche Erklärung parat. E<strong>in</strong>e Hordevon Jugendlichen war am Strand Amok gelaufen,hatte den Frauen <strong>die</strong> Badeanzüge vom Leib gerissen,Autoschlüssel gestohlen, Laden<strong>die</strong>bstähle verübt undallerlei Schabernack mit unschuldigen Passanten getrieben.Man munkelte von e<strong>in</strong>em neuen Rauschgift,das unter den Jugendlichen vertrieben wurde.»Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Riesenbande von Jugendlichen«, gr<strong>in</strong>steBonny Lee.»Sie besitzen <strong>die</strong> Beschreibung e<strong>in</strong>es Bandenmitglieds,das hast du selbst gehört. Sie ist braungebrannt,hat kurzgeschnittenes blondes Haar und trägttürkisblaue Unterwäsche.«»Aquablau.«»Das Mädchen, das ich Tannenbaumer und Harryh<strong>in</strong>stellte, hatte leider schwarze Wäsche an.«»Gut gebaut?«»Es g<strong>in</strong>g. Etwas Besseres ließ sich <strong>in</strong> der Eile nichtf<strong>in</strong>den.«»Blond?«»Was sonst?«


»Schön?«»Wunderschön. Nur ihr Profil ließ zu wünschenübrig. Die Stoßzähne g<strong>in</strong>gen ziemlich direkt <strong>in</strong> denHals über.«»Das kl<strong>in</strong>gt schon besser. Hat dir <strong>die</strong> EntkleidungsnummerSpaß gemacht?«»Ich war so nervös, daß ich gar nicht darauf achtete.«»Das ist süß von dir, Liebl<strong>in</strong>g.«»Ich mache mir verdammte Sorgen um Wilma.«»Wilma? Ach so, <strong>die</strong> Zimperliche. Dieser Josephwollte sie an Bord br<strong>in</strong>gen. Ob er sie irgendwo versteckthat?«»Das glaube ich nicht. Charla erzählte mir, daß <strong>die</strong>Mannschaft der Jacht aus fünf Mann besteht. In denNachrichten war von drei Mann <strong>die</strong> Rede. Ich schätzealso, daß <strong>die</strong> beiden übrigen Wilma holen sollten undnicht mehr rechtzeitig an Bord kamen. Joseph mußerfahren haben, daß <strong>die</strong> Polizei sich für me<strong>in</strong>e Koffer<strong>in</strong>teressierte, und da wurde er nervös und fuhr los.Aber wo s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> beiden jetzt mit Wilma?«Sie zuckte mit den Achseln. »Ziemlich e<strong>in</strong>fach. Siebefand sich an e<strong>in</strong>em sicheren Ort, bis Betsy Joseph<strong>die</strong> Adresse verriet. Ich schätze, sie blieben mit demMädchen <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Versteck und warten nun, daß Josephsich wieder mit ihnen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung setzt.«»Hm, das wäre logisch. Aber so schnell wird sichJoseph nicht melden. Er muß damit rechnen, daß <strong>die</strong>Polizei ihn überwacht.«»Du hast gesagt, daß sie ke<strong>in</strong> Telefon haben. Wiewar <strong>die</strong> Adresse?«»Äh – zwei zehn Sunset Way, Hallandale.«»Das könnten wir eigentlich f<strong>in</strong>den.«


»Aber der große Strohhut und <strong>die</strong> Sonnenbrille habennicht viel genützt, Bonny Lee. Der Polizist ließsich nicht täuschen.«»Weil du zusammengezuckt bist. Wenn du ihn gefragthättest, was eigentlich los sei, hätte er dich nichtmal angesehen. Du mußt nur schön den Kopf hochhalten,Liebl<strong>in</strong>g, dann schaffen wir es schon. Ich ziehemich <strong>in</strong>zwischen an.«*Es war e<strong>in</strong>e stille Straße mit häßlichen kle<strong>in</strong>en Stuckhäusernund Riesengärten, <strong>die</strong> noch aus der Vorkriegszeitstammten. Die Häßlichkeit wurde etwasdurch <strong>die</strong> wuchernden tropischen Pflanzen gemildert,<strong>die</strong> Professor Wellerly <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Garten gesetzthatte. Es war e<strong>in</strong> heißer, schläfriger Nachmittag. E<strong>in</strong>paar Häuser weiter entfernt schnurrte e<strong>in</strong> elektrischerRasenmäher. Vögel kreischten <strong>in</strong> den üppigen Beerensträuchernam Weg.E<strong>in</strong> Wäschereifahrzeug überholte sie. Bonny Leewurde langsamer und bog <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>fahrt, als derLastwagen nicht mehr zu sehen war.Bonny Lee trug jetzt e<strong>in</strong>e schwarzweißkarierte Bluseund e<strong>in</strong>en gestärkten weißen Rock. »Liebl<strong>in</strong>g, ichwarte hier. Bitte, zeig dich bald wieder, damit ichweiß, daß nichts passiert ist.«Er nickte und stellte den Silberzeiger auf e<strong>in</strong>e volleStunde e<strong>in</strong> – für alle Fälle. Er fand es merkwürdig,daß er sich an das <strong>rote</strong> Licht schneller gewöhnenkonnte als an <strong>die</strong> Stille. Es war, als würde man mit e<strong>in</strong>emmal<strong>in</strong> e<strong>in</strong> schalldichtes Gewölbe gestoßen. Erzog <strong>die</strong> Schuhe aus und g<strong>in</strong>g drei Häuser zurück, bis


er am Garten von Professor Wellerly war. Die Jalousienwaren geschlossen. Als er um <strong>die</strong> Hausecke bog,erschreckte ihn e<strong>in</strong>e Amsel. Sie h<strong>in</strong>g reglos <strong>in</strong> Höhese<strong>in</strong>es Gesichts. Er g<strong>in</strong>g um sie herum. Und dann saher <strong>die</strong> h<strong>in</strong>tere Stoßstange e<strong>in</strong>es Wagens. Er erkannte,daß Bonny Lee mit ihrer Vermutung recht behaltenhatte. Der Wagen war ziemlich neu und e<strong>in</strong> billigesModell. Wahrsche<strong>in</strong>lich handelte es sich um e<strong>in</strong> Leihauto.Auf dem Vordersitz lag e<strong>in</strong>e dunkelblaueBaseballmütze.Er umkreiste das Haus. Es war vollkommen verschlossen.E<strong>in</strong> paarmal versuchte er, e<strong>in</strong>e Tür zu öffnen,aber <strong>die</strong> bleierne Schwere aller Gegenstände <strong>in</strong>der <strong>rote</strong>n <strong>Welt</strong> lähmte ihn. Und dann er<strong>in</strong>nerte ersich, was Bonny Lee über das seltsame Verhalten vonbewegten Gegenständen gesagt hatte. Er holte aus e<strong>in</strong>emBlumentopf e<strong>in</strong>ige Kiesel. Fünf plazierte er mitten<strong>in</strong> der Luft an der H<strong>in</strong>tertür, vier weitere an e<strong>in</strong>emder h<strong>in</strong>teren Fenster. Er gab ihnen e<strong>in</strong>en vorsichtigenStoß. Dann g<strong>in</strong>g er zurück zu Bonny Leeund schaltete <strong>die</strong> Normalzeit e<strong>in</strong>. In der Ferne hörteman e<strong>in</strong> Klirren und Krachen.»Was <strong>in</strong> aller <strong>Welt</strong> ...«»Ich b<strong>in</strong> gleich wieder da.« Er begab sich sofortwieder <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>rote</strong> <strong>Welt</strong>. Die H<strong>in</strong>tertür h<strong>in</strong>g schräg <strong>in</strong>e<strong>in</strong>er Angel. Das Holz war zersplittert. Auch vomFensterglas war nicht mehr viel zu sehen. Er betrat<strong>die</strong> Küche und entdeckte, daß <strong>die</strong> Ste<strong>in</strong>e bis <strong>in</strong> <strong>die</strong>Geschirrschränke e<strong>in</strong>gedrungen waren. E<strong>in</strong>en Momentlang überlegte er entsetzt, was wohl geschehenwäre, wenn Wilma <strong>in</strong> der Nähe gestanden hätte. E<strong>in</strong>eneue Lektion, <strong>die</strong> verdaut werden mußte.Sie befanden sich im Wohnzimmer. Zwei bullige


junge Männer waren mitten im Kartenspiel erstarrt.Die Deckenlampe war e<strong>in</strong>geschaltet, und <strong>die</strong> beidenschwitzten. Offensichtlich war es sehr heiß im Zimmer.Der Dicke mit dem blonden Haar hatte se<strong>in</strong>Hemd ausgezogen und e<strong>in</strong> Handtuch um den Halsgeschlungen. Auf se<strong>in</strong>en Armen zeigten sich <strong>die</strong> verrücktestenTätowierungen. Der andere war kle<strong>in</strong>erund untersetzt. Se<strong>in</strong> Gesicht zeigte <strong>die</strong> dunkle Bräunung,<strong>die</strong> durch e<strong>in</strong> Leben auf See entsteht. Beidehatten lange Koteletten und ziemlich primitive Gesichtszüge.Die beiden sahen verwirrt <strong>in</strong> Richtung Küche.Wilma Farnham stand an e<strong>in</strong>er Bücherwand <strong>in</strong> derNähe e<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>en Kam<strong>in</strong>s. Das braune Haar fiel ihrwirr über <strong>die</strong> Schultern und ließ ihr Gesicht nochkle<strong>in</strong>er ersche<strong>in</strong>en. Die Brille saß schief, <strong>die</strong> Bluseh<strong>in</strong>g halb aus dem Rock, und auch sie starrte mit offenemMund zur Küche h<strong>in</strong>über. Der Dr<strong>in</strong>k <strong>in</strong> ihrerHand war halb ausgekippt.Er machte sich an <strong>die</strong> Arbeit. Es war nicht leicht,aber irgendwie machte es ihm Spaß. In fünfzehnsubjektiven M<strong>in</strong>uten hatte er den Tätowierten undden Dunkelhaarigen gefesselt. Er hatte Verpackungsschnurgefunden und sie den beiden um <strong>die</strong> HandundFußgelenke gewickelt. In den Mund hatte er ihnenWaschlappen gesteckt. Schließlich rollte er sie <strong>in</strong>Bettlaken und umwickelte sie von den Zehen bis zuden Schultern mit Wäschele<strong>in</strong>e.Er eilte zurück zum Wagen. Bonny Lee schrak zusammen,als er ankam.»Was soll <strong>die</strong> Verzögerung?«»Tut mir leid. Ich muß schnell wieder zum Hauszurück, aber du kannst jetzt nachkommen. Der H<strong>in</strong>-


tere<strong>in</strong>gang ist offen. Br<strong>in</strong>g den Wagen mit und parkeihn so, daß wir gleich starten können.«»In Ordnung.«Wieder stapfte er durch <strong>die</strong> stille <strong>rote</strong> <strong>Welt</strong>. Wilmawar <strong>in</strong>zwischen zwei Schritte näher an <strong>die</strong> beidenMumien herangetreten und vertropfte immer nochihren Dr<strong>in</strong>k. Kirby tauchte e<strong>in</strong> Stück h<strong>in</strong>ter ihr aufund rief leise: »Wilma!«Sie drehte sich unsicher um und starrte ihn an. Siegab ihrer Brille e<strong>in</strong>en Schubs und sagte: »Das darfdoch nicht wahr se<strong>in</strong>! S-sir Lance-lot, wie er leibt undlebt!«»Bist du betrunken?«Sie schwankte gr<strong>in</strong>send auf ihn zu. »Na klar, duschlauer Vogel, du. Da arbeitet m-man se<strong>in</strong> Lebenlang s-selbstlos und wie e<strong>in</strong> Tier, und was kriegt man,was? Die Polypen auf'n Hals. Und <strong>die</strong>se Bessy, <strong>die</strong>mich unmögliches Zeug fragt. Der alte Omar ist mause-tot,ich habe ke<strong>in</strong>en Job, und me<strong>in</strong> Bruderherzkriegt'n Magengeschwür, weil s-se<strong>in</strong> Name öffentlichgenannt wird. Und du – was machst du?« Er hörteden Sunbeam näher kommen. »Du läufst davon!«Sie zog sich e<strong>in</strong> paar Schritte zurück. »Und dannkommen zwei Matrosen, und ich denke, es ist umme<strong>in</strong>e Un-schuld gescheh'n, und was tun sie? SpielenKar-ten. 'türlich b<strong>in</strong> ich betrunken, zum erstenmal imLeben.« Sie strahlte ihn an. »Und es is' schön!« Siewandte sich den stöhnenden, e<strong>in</strong>gewickelten Paketenzu. »Was is'n nu mit René und Raoul los?« fragte siewe<strong>in</strong>erlich.Bonny Lee kam here<strong>in</strong> und starrte Wilma an. Wilmadrehte sich um und bl<strong>in</strong>zelte kurzsichtig zu BonnyLee h<strong>in</strong>über. »Wer bist'n du, schönes Mädchen?«


»Puh!« sagte Bonny Lee. »Als ich das Bild sah,hätte ich Sie für 'ne Sonntagsschullehrer<strong>in</strong> gehalten.Tut mir leid, daß ich Sie verkannt habe, Gnädigste.«Wilma nahm sich zusammen und sprach deutlicher.»Ich b<strong>in</strong> auch mehr der <strong>in</strong>-tel-lektuelle Typ.«Bonny Lee seufzte. »Du willst wahrsche<strong>in</strong>lich mitihr reden, was, Liebl<strong>in</strong>g?«»Wenn es geht.«»Wer steckt denn <strong>in</strong> den Paketen?«»René und Raoul, zwei tapfere Seefahrer.«»Sieht so aus, als würde <strong>die</strong> Verschnürung halten.Suche mal nach, ob es Kaffee <strong>in</strong> der Küche gibt.«Bonny Lee g<strong>in</strong>g auf Wilma zu, und man hatte denE<strong>in</strong>druck, als würde sie jeden Moment <strong>die</strong> Ärmelhochkrempeln und sich <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hände spucken. Sieschob <strong>die</strong> p<strong>rote</strong>stierende Wilma aus dem Zimmer.Kirby entdeckte lediglich Schnellkaffee e<strong>in</strong>er unbekanntenMarke. Aber er sah dunkel aus und rochstark, und auf der Verpackung stand nirgends »Koffe<strong>in</strong>frei«.Irgendwo im Haus hörte man Wilma kreischenund Badewasser rauschen. Er g<strong>in</strong>g zurück unduntersuchte noch e<strong>in</strong>mal Renés und Raouls Fesseln.Die beiden knurrten wütend. Er konnte es ihnen nichtverübeln. In den Bettüchern war es sicher zum Erstikkenheiß.Er füllte e<strong>in</strong>en riesigen Ste<strong>in</strong>guttopf mit dem starken,dampfenden Kaffee und trug ihn <strong>in</strong>s Schlafzimmer.Die Badezimmertür stand halb offen. Wilmasund Bonny Lees Kleider lagen auf dem Bett. Er stellteden Topf auf das Nachtkästchen und g<strong>in</strong>g. Bonny Leeschien Sieger<strong>in</strong> zu bleiben. Er hörte nur das Rauschender Dusche und h<strong>in</strong> und wieder e<strong>in</strong> zaghaftes Wimmern.Er g<strong>in</strong>g ans Bücherregal und sah sich <strong>die</strong> Bände


an. Professor Wellerly hatte sich offensichtlich Bücheraus jedem Fachgebiet besorgt, wenn der Titel nurlangweilig klang.»Kirby, Liebl<strong>in</strong>g!« rief Bonny Lee. Er g<strong>in</strong>g <strong>in</strong>sSchlafzimmer. Bonny Lee hatte sich wieder angezogen.Wilma hatte sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Herren-Bademantelgewickelt und saß <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ecke des Bettes.»Nun tr<strong>in</strong>k mal den schönen Kaffee, Liebes«, befahlBonny Lee.»Ne<strong>in</strong>, danke«, erwiderte Wilma mit leiser Stimme.»Ich will doch nicht krank werden.«»Tr<strong>in</strong>k den schönen Kaffee, oder ich halte dichnoch e<strong>in</strong>mal unter <strong>die</strong> Dusche und reibe dich mit derharten Bürste ab.«Wilma zuckte zusammen und trank brav ihren Kaffee.»Schlecht ist sie nicht«, me<strong>in</strong>te Bonny Lee. »Ihre Figurist sogar gut.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber <strong>die</strong>Drahtbrille und <strong>die</strong> Heilsarmee-Kleider und <strong>die</strong>seschreckliche Frisur ...«»Ich habe <strong>die</strong>se billigen bunten Fetzen nicht nötig«,erklärte Wilma eisig.»Wenn du e<strong>in</strong>e große Lippe riskierst, zerstampfeich de<strong>in</strong>e Brille am Boden, Liebes. Da stehen alle Männerder <strong>Welt</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Riesen-Nasch-Schaufenster, unddu traust dich nicht <strong>in</strong> den Laden. Hat schon mal e<strong>in</strong>Kerl h<strong>in</strong>ter dir hergepfiffen? Oder dich <strong>in</strong>s H<strong>in</strong>terteilgezwickt?«»Ne<strong>in</strong>, Gott sei Dank.«»Bilde dir nichts e<strong>in</strong>, Liebes. Ich würde dir grüneKontaktl<strong>in</strong>sen verpassen, dich à la Kleopatra schm<strong>in</strong>kenund dir e<strong>in</strong> Kleid anziehen, <strong>in</strong> dem du dich nichth<strong>in</strong>setzen kannst. Dazu Stöckelschuhe, Busen 'raus,


Bauch 're<strong>in</strong>, große Ohrr<strong>in</strong>ge und e<strong>in</strong> schweres Parfüm.Nicht me<strong>in</strong> persönlicher Geschmack, aber <strong>die</strong> Kerlewürden umfallen, wenn sie dich sähen.«»Kleopatra?« fragte Wilma schüchtern.»Na ja, <strong>die</strong> Ägypten-Masche siehe Liz.«»Liz?«»Ach du liebe Güte, rede du mit ihr«, sagte BonnyLee zu Kirby.»Hat dir Betsy me<strong>in</strong>e Notiz gebracht?«»Ja, Kirby.«»Und du hast dich mit ihr unterhalten?«»Fast <strong>die</strong> ganze Nacht. Sie wollte, daß ich mich analle E<strong>in</strong>zelheiten er<strong>in</strong>nerte, <strong>die</strong> de<strong>in</strong>en Onkel betrafen.Sie glaubte, daß uns nur der Ansatzpunkt fehlenwürde. Aber ich kenne ihn nicht. Ich habe ke<strong>in</strong>e Ahnung.De<strong>in</strong> Onkel war e<strong>in</strong> sehr ungewöhnlicherMann. Er war so klug, daß er gar ke<strong>in</strong>e besonderenTricks brauchte. Ich habe nur immer das getan, waser von mir verlangte, und ganz gleich, was man mitmir vorhat, ich werde nie ...«»De<strong>in</strong>e Treue <strong>in</strong> Ehren, Wilma. Könnte es se<strong>in</strong>, daßdu aus <strong>die</strong>ser Treue heraus etwas verschweigst, dasdu weißt?«»Ich schwöre, es ist nicht so, Kirby. Betsy sagte mir,wo du dich bef<strong>in</strong>dest. Wie konntest du nur bei e<strong>in</strong>emso ord<strong>in</strong>ären Menschen Unterschlupf suchen?«»Da ich den Mann nicht kenne, gebe ich auch ke<strong>in</strong>Urteil über ihn ab.«»Und hast du bei ihm <strong>die</strong>ses T<strong>in</strong>geltangel-Mädchengetroffen, Kirby? Wer ist sie?«»Bonny Lee ist e<strong>in</strong>e gute – oh, Pardon. Bonny Leeist das Mädchen, das ich liebe.«»Ach, du liebe Güte«, sagte Wilma.


Bonny Lee bl<strong>in</strong>zelte Kirby zu. »Noch mal Glückgehabt, me<strong>in</strong> Freund.«»Dann hast du damals gelogen, nicht wahr?« sagteWilma tonlos. »Du hattest gar ke<strong>in</strong>e Angst vor Frauen.Du wolltest nur nicht, daß ich me<strong>in</strong> Gesicht verliere?Du – du hast sicher gelacht, als du weg warst.«»Ich habe dir <strong>die</strong> Wahrheit gesagt, Wilma. Ich b<strong>in</strong><strong>in</strong> panischer Angst davongerannt.«»Aber – du sche<strong>in</strong>st dich verändert zu haben. Duhast überhaupt ke<strong>in</strong>e Angst mehr – vor niemand.«»Oh, ich fürchte e<strong>in</strong>e Menge D<strong>in</strong>ge.«»Aber mit den Mädchen treibt er es <strong>in</strong> letzter Zeitziemlich wild«, sagte Bonny Lee und kicherte, als sieKirbys wütenden Blick sah. »Er soll sogar an e<strong>in</strong>emöffentlichen Strand e<strong>in</strong>es ausgezogen haben. Er kanntesie nicht mal.«Wilma war entsetzt. »Kirby! Bist du krank?«»Ich b<strong>in</strong> völlig gesund«, fauchte er.»Das arme D<strong>in</strong>g konnte sich nicht e<strong>in</strong>mal rühren«,fuhr Bonny Lee fort.»Bitte, Bonny Lee! Bitte!«»Schon gut, Liebl<strong>in</strong>g, ich b<strong>in</strong> wieder brav.«»Wilma, hast du <strong>die</strong> Nachrichten verfolgt?«»Ich glaube schon, aber an e<strong>in</strong>iges kann ich michnicht mehr genau er<strong>in</strong>nern. Wie war das mit <strong>die</strong>serJacht, auf der de<strong>in</strong>e Sachen gefunden wurden? Unddann sollst du zwei Polizisten <strong>die</strong> Waffen weggenommenhaben. Das hätte ich dir nicht zugetraut.«»Wann brach Betsy von hier auf?«»Sehr früh. Sie sagte, sie wolle e<strong>in</strong>en Bluff aufziehen.Ich verstand nicht, was <strong>die</strong> damit me<strong>in</strong>te.«»Du hast <strong>in</strong>zwischen wohl erkannt, daß ihr Bluffnicht ankam.«


»Ich verstehe überhaupt nichts. Etwa drei Stundenspäter kamen <strong>die</strong>se beiden Matrosen her. Sie kl<strong>in</strong>geltennach dem vere<strong>in</strong>barten Zeichen, und da dachteich, es sei Roger oder Betsy. Sie drängten sich e<strong>in</strong>fachhere<strong>in</strong>. Aber sie waren auf ihre grobe Art recht –freundlich. Als ich sie streng anredete, drehte mirRené – das ist der Große – den Arm herum, bis ich <strong>in</strong><strong>die</strong> Knie g<strong>in</strong>g. Ich habe jetzt noch e<strong>in</strong> komisches Gefühl<strong>in</strong> der Schulter. Ich merkte, daß es besser war,ihnen zu gehorchen. Aus ihren Worten hörte ich heraus,daß sie mich auf e<strong>in</strong>e Jacht br<strong>in</strong>gen wollten unddaß Betsy auch schon dort war. Sie bugsierten mich<strong>in</strong>s Auto, und ich mußte mich auf den Boden unterdas Armaturenbrett setzen. Es war heiß und sehrschmutzig. Und dann lief alles schief. Sie gerieten <strong>in</strong>Streit und brüllten auch mich an. Es stellte sich heraus,daß das Boot ohne sie abgefahren war. Sie kamennach hierher zurück, und <strong>in</strong> den Nachrichten hörteich dann <strong>die</strong> Sache mit der Jacht. Es hieß auch, daßBetsy krank sei. Sie kam mir zwar nervös vor, aberich hätte ihr niemals e<strong>in</strong>en Nervenzusammenbruchzugetraut.«»Mädchen, bist du begriffsstutzig!« sagte BonnyLee. »Diese Mistkerle haben Betsy an Bord gebrachtund dort solange gequält, bis sie ihnen de<strong>in</strong>e Adresseverriet. Dann riefen sie Kirby an und sagten, wenn ernicht auf das Schiff käme, würden sie dich ebenso wieBetsy behandeln. Sie wollen unbed<strong>in</strong>gt das Geheimnisder vielen Millionen ergründen.«Wilma starrte Bonny Lee an. »Sie haben Betsy gequält?«»Me<strong>in</strong> liebes K<strong>in</strong>d, wenn du e<strong>in</strong>e Nacht auf der falschenSeite von New Orleans verbr<strong>in</strong>gst, kannst du


de<strong>in</strong> Leben lang verkrüppelt se<strong>in</strong>. Wo bist du eigentlichaufgewachsen, Liebes?«»Das ist ja schrecklich«, sagte Wilma. »De<strong>in</strong> Onkelhätte das auch gefunden, Kirby. Wir müssen ihnenunbed<strong>in</strong>gt geben, was sie wollen, oder wir müssenihnen beweisen, daß sie e<strong>in</strong>em Phantom nachjagen.«Bonny Lee lachte spöttisch. »Wir wissen, was siewollen, aber sie bekommen es nicht.«»Was ist es?« fragte Wilma.»Bonny Lee!« rief Kirby.»Ke<strong>in</strong>e Angst, Liebl<strong>in</strong>g. Sie würde es nie im Lebenverstehen. Sie ist e<strong>in</strong>fach nicht dafür gemacht. Wiegeht es jetzt übrigens weiter?«»Wir br<strong>in</strong>gen sie weg von hier.«»Aber woh<strong>in</strong>? Ach so, zu mir. Der e<strong>in</strong>zige Ort, den<strong>die</strong>se Schufte noch nicht kennen.«Wilma starrte Kirby mit offenem Mund an. »Hastdu <strong>die</strong>se beiden Seeleute – überwältigt, Kirby?«»Aufpassen, W<strong>in</strong>ter«, sagte Bonny Lee. Sie wandtesich an Wilma. »Im Tr<strong>in</strong>ken bist du nicht sehr gut.Liebes.«Wilma wurde rot. »Ich – es war mir plötzlich allesegal. Das Leben war so verwirrend, daß ich michnicht mehr zurechtfand.«»Du wärst überrascht, Kle<strong>in</strong>es, um wieviel verwirrenderdas Leben für e<strong>in</strong>e Säufer<strong>in</strong> wird. Verschw<strong>in</strong>demal, Kirby, damit ich sie anziehen kann.«»Ich habe Kleider.«»Ich weiß. Und e<strong>in</strong>e Brille. Und e<strong>in</strong> Foto <strong>in</strong> derZeitung.«Kirby verließ das Schlafzimmer. Als er den erstenSchritt <strong>in</strong>s Wohnzimmer tat, explo<strong>die</strong>rte etwas <strong>in</strong> se<strong>in</strong>emKopf. Er sah den Boden auf sich zukommen und


etrachtete ihn mit Interesse. Während es um ihndunkel wurde, hörte er weit weg e<strong>in</strong>en spitzen Aufschrei.


11Kirby kam aus weiter Ferne zurück. Er öffnete <strong>die</strong>Augen, und das Licht ätzte. Über se<strong>in</strong>em Ohr pulsierteetwas ganz langsam.Jemand nahm ihn am K<strong>in</strong>n und schüttelte se<strong>in</strong>enKopf unsanft h<strong>in</strong> und her. Er wunderte sich, daß se<strong>in</strong>eZähne nicht durche<strong>in</strong>andergerieten.Er bl<strong>in</strong>zelte <strong>in</strong> Renés Gesicht. »Sieh dir mal e<strong>in</strong> paarrichtige Knoten an, Buddy«, sagte René freundlich.Kirby saß <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Lehnstuhl. Er sah an sich herunter.E<strong>in</strong> Stück Wäschele<strong>in</strong>e fesselte se<strong>in</strong>e Arme unterhalbder Ellbogen. Se<strong>in</strong>e Hände waren frei, aber siehatten e<strong>in</strong>en begrenzten Bewegungsradius.»Merk dir e<strong>in</strong>es, Buddy. Niemals <strong>die</strong> Handgelenkefesseln! Ebensowenig <strong>die</strong> Fußgelenke. Siehst du <strong>die</strong>Knoten? Du kannst sie weder mit den F<strong>in</strong>gern nochmit den Zähnen erreichen.«E<strong>in</strong> zweiter Knoten hielt Kirbys Knie zusammen.Die Enden der beiden Knoten waren zu e<strong>in</strong>em drittenKnoten verschlungen.»Sie haben Ihre Fesseln wohl gelöst?« fragte Kirbymutlos.»Und <strong>die</strong> von Raoul. Aber der hätte auch nichtmehr lange gebraucht. Dann stellte ich mich an <strong>die</strong>Tür und peng!«»Ja«, sagte Kirby. »Peng.« Er sah sich im leerenZimmer um. »Wo ist Miß Beaumont? Und Miß Farnham?«»Beaumont? Das war <strong>die</strong> Blonde, was? Die hat sichentschlossen, nicht hierzubleiben.« Se<strong>in</strong>e Stimmeklang verärgert. Er trug e<strong>in</strong>en provisorischen Ver-


and am Handgelenk und tiefe Kratzspuren am Hals.»Als wir sie festhalten wollten, explo<strong>die</strong>rte sie. Michsprang sie an wie e<strong>in</strong> Tiger, und Raoul bekam e<strong>in</strong>saufs Auge, und dann war sie draußen.«Kirby versuchte logisch zu denken. René saß vollkommenruhig auf der Couch.»Haben Sie ke<strong>in</strong>e Angst, daß Miß Beaumont <strong>die</strong>Polizei holen könnte?«»Die? Nee. Die ist direkt dem Boß und e<strong>in</strong> paar hiesigenHelfern <strong>in</strong> <strong>die</strong> Arme gelaufen. E<strong>in</strong> Schlag aufden Kopf hat genügt.«Kirby hob <strong>die</strong> Hand und warf e<strong>in</strong>en Blick auf se<strong>in</strong>eArmbanduhr. Es war zwanzig vor fünf. »Und wasgeschieht jetzt?«René zuckte mit den Schultern. »Wir warten e<strong>in</strong>fach.Der Boß überlegt sich, wie er Sie und Wilma auf<strong>die</strong> Glorianna schaffen kann. Vielleicht besorgt er sichalle Papiere zum Auslaufen und ankert dann irgendwodraußen, wo wir <strong>die</strong> Jacht mit e<strong>in</strong>em Boot erreichenkönnen.«»Hm.«»Der Boß hat sich richtig gefreut, als er Sie sah,W<strong>in</strong>ter. Ich schätze, Sie s<strong>in</strong>d der Joker <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Spiel.Der Boß me<strong>in</strong>t, jetzt wäre alles gut. E<strong>in</strong>e Zeitlang sahes böse aus. Zuviel Publicity. Das mag der Boß beiGeschäften nicht. Und wenn es wirklich stimmt, daßSie irgendwo siebenundzwanzig Millionen versteckthaben, dann lohnt sich der Aufwand.«»Woh<strong>in</strong> wollten sie Miß Beaumont br<strong>in</strong>gen?«»Weiß ich nicht. Ich habe ke<strong>in</strong>e Ahnung, ob sich <strong>die</strong>Polizei noch für <strong>die</strong> Jacht <strong>in</strong>teressiert. Wenn ja, dannmußte der Boß sie irgendwo <strong>in</strong> der Stadt unterbr<strong>in</strong>gen.Wie ist das mit den Millionen, W<strong>in</strong>ter?«


»Wie ist was?«»H<strong>in</strong>ter denen ist der Boß doch her, oder?«»Ke<strong>in</strong>e Ahnung.«»Wenn e<strong>in</strong>er so viel klaut, kann er es nicht zusammenhalten.Der Nächstbeste nimmt es ihm ab. DieMillionen nützen überhaupt nichts, wenn man denDiebstahl nicht geheimhalten kann.«»Ich b<strong>in</strong> froh über den Rat e<strong>in</strong>es Experten.«René kam langsam auf <strong>die</strong> Be<strong>in</strong>e, nahm Kirbys Nasezwischen <strong>die</strong> schwieligen F<strong>in</strong>ger und drehte sieherum. Es war e<strong>in</strong>e degra<strong>die</strong>rende und sehrschmerzhaft Geste. Kirby liefen <strong>die</strong> Tränen über <strong>die</strong>Wangen.»Mit mir mußt du freundlicher reden«, erklärteRené. »Wir müssen lange mite<strong>in</strong>ander auskommen.«Er setzte sich und begann se<strong>in</strong>e schwarzen F<strong>in</strong>gernägelmit dem Taschenmesser zu stutzen. E<strong>in</strong> paarM<strong>in</strong>uten verg<strong>in</strong>gen, dann me<strong>in</strong>te Kirby. »Wannwollte uns Joseph hier abholen lassen?«»Wer?«»Mister Locordolos.«»Habe ich nicht gesehen. Nur der Boß war hier.Mrs. O'Rourke.«»Ach so.«René schüttelte traurig den Kopf. »Und <strong>die</strong>se Wilmawar sehr hochnäsig mit dem Boß. Das hat sichnicht ausgezahlt. Der Boß gab ihr e<strong>in</strong>e Spritze. Nachdreißig Sekunden schnarchte sie wie e<strong>in</strong> Elefant.«Raoul kam aus der Küche. Se<strong>in</strong> l<strong>in</strong>kes Auge wargeschwollen. Er löffelte etwas aus e<strong>in</strong>er Dose <strong>in</strong> sichh<strong>in</strong>e<strong>in</strong>.»Was ist denn das schon wieder?« fragte René verächtlich.


»Bohnen.«»Warum denn immer Bohnen?«»Hm – schmecken fabelhaft.«Raoul setzte sich und löffelte <strong>die</strong> Bohnen fertig. Erstellte <strong>die</strong> Dose zur Seite, fuhr sich mit dem Ärmelüber den Mund und starrte Kirby e<strong>in</strong>e Zeitlang unverwandtan. Dann unterhielt er sich mit René <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erSprache, <strong>die</strong> Kirby nach kurzer Zeit als das VulgärfranzösischNordafrikas entzifferte. Es war durchsetztvon spanischen, italienischen und arabischenWorten. Obwohl Kirby nicht alles verstand, war ihmdoch klar, daß Raoul sich mit dem schlafenden Kükenvon nebenan amüsieren wollte.Zu Kirbys Entsetzen reagierte René nicht mit derangemessenen Entrüstung. Im Gegenteil, <strong>die</strong> Sacheschien ihn zu langweilen. Er stellte e<strong>in</strong>e beiläufigeFrage, <strong>die</strong> Kirby nicht verstand, und Raoul erwiderte,daß das ke<strong>in</strong> Mensch beweisen könne.Kirby spürte e<strong>in</strong> würgendes Gefühl <strong>in</strong> der Kehle.Für Wilma Farnham konnte jetzt alles zu Ende se<strong>in</strong>,und es stand nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Macht, ihr zu helfen.René machte den Vorschlag, daß sie abwartensollten, da sie vermutlich <strong>die</strong> ganze Nacht im Hausbleiben müßten. Se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach machte esmehr Spaß, wenn das Mädchen wach war. Außerdemkonnte man sie als Gew<strong>in</strong>n beim Kartenspiel e<strong>in</strong>setzen.Raoul gähnte und zuckte mit den Achseln.Kirbys Augen hatten endlich zu tränen aufgehört.Se<strong>in</strong>e Nase fühlte sich wie e<strong>in</strong> weicher Keks an.Die beiden Männer g<strong>in</strong>gen zum Kaffeetisch h<strong>in</strong>über.Während René mischte, starrte er zu Kirby h<strong>in</strong>über.


»Wie hast du uns erledigt?«»Ich hatte Hilfe.«»Dachte ich mir. E<strong>in</strong>e Art Gas, oder?«»So etwas Ähnliches.«»Der Boß hat sich schon gewundert. Sie wird dasZeug wahrsche<strong>in</strong>lich zu ihrem eigenen Gebrauch habenwollen.«»Gib«, knurrte Raoul.Die Karten klatschten <strong>in</strong> <strong>die</strong> bedrückende Stille.Kirby glaubte nicht, daß ihm <strong>die</strong> Männer <strong>die</strong> Uhr ausder rechten Hosentasche genommen hatten. Ermachte e<strong>in</strong>en krummen Rücken und fuhr mit dem gefesseltenEllbogen an der Hüfte entlang. Die Uhr warda. Er hörte das leise Klirren der Kette.»Daß du mir nicht auf dumme Gedanken kommst«,sagte René plötzlich.Raoul sagte etwas im Patois der afrikanischen Hafenstädte.Kirby verstand das Wesentliche. Laß dochden Bürohocker <strong>in</strong> Ruhe, Mensch, der hat <strong>die</strong> Hosen sovoll, daß er uns ke<strong>in</strong>en Kummer machen wird.Die Hilflosigkeit war <strong>die</strong> größte Gefahr. Sie machte<strong>die</strong> Gedanken starr und lähmte <strong>die</strong> Phantasie. Kirbysah sich schon auf der Glorianna, zusammen mit derrüden Besatzung und den unglücklichen Mädchen.Vielleicht erzählte Bonny Lee schon jetzt Charla vondem Geheimnis der goldenen Uhr. Vielleicht kamCharla <strong>in</strong> Kürze und probierte den Mechanismus aus.Und wenn sie erst e<strong>in</strong>mal im Besitz der Uhr war,würden alle Mitwisser am Grunde des Golfes vonMexiko landen – mit Gewichten beschwert.Das Bewußtse<strong>in</strong> der Niederlage war wie e<strong>in</strong>eKrankheit. Und er konnte nur mit se<strong>in</strong>em Stolz dagegenankämpfen. Jetzt muß ich das werden, was Onkel


Omar von mir erwartete, sagte er sich vor – oder ichkann gleich aufgeben.Er fragte sich, ob Bonny Lees kle<strong>in</strong>er Wagen immernoch draußen stand. Wahrsche<strong>in</strong>lich hatten sie ihnzurückgelassen. Er war zu auffällig. Für Charla stellteBonny Lee e<strong>in</strong>en neuen Faktor <strong>in</strong> der Gleichung dar.Aber er spürte, daß sich Charla mit unglaublicherSchnelligkeit auf neue Faktoren umstellen konnte. Erwar doppelt dankbar, daß er Bonny Lee alles erzählthatte. So konnte sie Charlas Schachzüge besser voraussehen.Er hoffte nur, daß Bonny Lee <strong>die</strong> Ahnungslosespielte. Wenn sie auch nur andeutete, daßsie etwas wußte, würde Charla sie nicht mehr loslassen,bis sie das Geheimnis kannte.Wenn Bonny Lees Wagen draußen stand, stecktenvermutlich <strong>die</strong> Schlüssel, denn Bonny Lee hatte gewußt,daß vielleicht e<strong>in</strong> schneller Rückzug nötig war.René und Raoul waren <strong>in</strong> Streit geraten. Offenbarfühlte sich Raoul betrogen.»Es ist wegen der siebenundzwanzig Millionen«,sagte Kirby.Die beiden starrten ihn an. »Ja?«»Es ist ziemlich langweilig und unbequem, so dazusitzen.Wir könnten doch alle drei spielen. Um e<strong>in</strong>enTeil des Geldes.«»Du hast ke<strong>in</strong> Geld«, sagte René. »Wir haben es dirabgenommen und geteilt. Zwölfhundert.« Der Restlag unter Bonny Lees Matratze.»Ich könnte euch e<strong>in</strong>en Schuldsche<strong>in</strong> ausschreiben.«René sah ihn verächtlich an. »Und der Boß würdeihn e<strong>in</strong>lösen, was?«»Ich würde ihn e<strong>in</strong>lösen.«


»Du wirst überhaupt nichts.«Und das war <strong>die</strong> bittere Wahrheit. Die Niederlageh<strong>in</strong>g an e<strong>in</strong>er Wäschele<strong>in</strong>e, <strong>die</strong> sich eng um se<strong>in</strong>e Armeschlang. Er lächelte <strong>die</strong> beiden Männer an. »Wundertihr euch gar nicht, weshalb ich <strong>die</strong> Sache so ruhigh<strong>in</strong>nehme?«René wirkte e<strong>in</strong> wenig unsicher. »Du bist andersals <strong>die</strong> meisten Kerle, <strong>die</strong> wir für den Boß holenmußten. Ich dachte mir, daß du mich bestechen würdest.Nicht, daß ich drauf 're<strong>in</strong>falle. Aber es ist mirkomisch vorgekommen, daß du es nicht getan hast.«»Gib«, sagt Raoul.»Schnauze. W<strong>in</strong>ter, ich kann mir nicht vorstellen,daß du e<strong>in</strong>en Trumpf im Ärmel hast. Drei Tage anBord, und du würdest uns de<strong>in</strong>e Schwester überschreiben.Der Boß wird dich fertigmachen, und dannbehält sie dich zum Spielen oder wirft dich weg, jenachdem.«»Gib«, wiederholte Raoul.»Mehr als e<strong>in</strong>e Partnerschaft kann Mrs. O'Rourkenicht von mir bekommen.«»Na, das wird sie aber sehr überraschen.«»Das glaube ich auch. Me<strong>in</strong>e Konten s<strong>in</strong>d nämlichdurch Daumenabdrücke gesichert. Ich kann sie nurpersönlich abheben. Sechshundert Konten <strong>in</strong> neunverschiedenen Ländern – und alle auf <strong>die</strong> gleicheWeise e<strong>in</strong>gerichtet.«René überlegte e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>ute. »Und wenn du jetztstirbst, kann ke<strong>in</strong>er an den Zaster 'ran?«»Sobald fünf Jahre vergehen und e<strong>in</strong> Konto nichtangerührt wird, schickt <strong>die</strong> betreffende Bank dasGeld automatisch an <strong>die</strong> Person oder Organisation,<strong>die</strong> ich angegeben habe. Tot nütze ich also dem Boß


nichts, und zw<strong>in</strong>gen kann sie mich auch zu nichts.«»Aber sie weiß das nicht?«»Noch nicht. Doch sobald sie es erfährt, wird siemich und <strong>die</strong> Mädchen sehr nett behandeln müssen.«»Und wenn man sie <strong>in</strong>zwischen schon schlecht behandelthat?«»Dann werde ich Mrs. O'Rourkes Anteile verr<strong>in</strong>gern,als e<strong>in</strong>e Art Strafe für Geldgier und schlechtesBenehmen. Sehen Sie, me<strong>in</strong> Freund, es steht nichtschlecht für mich – wenn Mrs. O'Rourke e<strong>in</strong>e logischeFrau ist.«René sah ihn scharf an. »Und weshalb dann dasganze Theater?«»Warum sollte ich überhaupt mit jemand teilen?Aber nun hat sie ihre Runde gewonnen, und ich werdesie mitmachen lassen. Schließlich ist genug da, wassagen Sie?«René gr<strong>in</strong>ste schief. »Die Hälfte e<strong>in</strong>es Siebenundzwanzigstelswürde mir für den Rest me<strong>in</strong>es Lebensreichen.«»Um so hohe Summen spiele ich nicht. Aber Sie sehen,daß ich durchaus <strong>in</strong> der Lage b<strong>in</strong>, me<strong>in</strong>e Spielschuldenzu bezahlen.«»Sie hat gesagt, er bleibt gefesselt«, knurrte Raoul.»Gib.«»Wir können ihn gefesselt lassen und trotzdem amSpiel beteiligen.«»Gefällt mir nicht«, me<strong>in</strong>te Raoul.René g<strong>in</strong>g zu se<strong>in</strong>em Argot über und er<strong>in</strong>nerteRaoul daran, was er selbst über <strong>die</strong> Harmlosigkeit desGefangenen gesagt habe. Dann erklärte er ihm, daßsie beide ihre Gew<strong>in</strong>ne gesondert aufschreibenkönnten, um zu wissen, wer das Küken im Schlaf-


zimmer zuerst bekommen sollte. Raoul gab schließlichnach.René kam an den Tisch und hob Kirby mitsamtse<strong>in</strong>em Stuhl hoch. Es war e<strong>in</strong>e schockierende Demonstrationder rohen Gewalt. Er stellte den Stuhlvor dem Kaffeetisch ab. Mit e<strong>in</strong>em schnellen Schnittse<strong>in</strong>er scharfen Seemannskl<strong>in</strong>ge trennte er <strong>die</strong> Fesselnan Kirbys Armen durch. Dann band er mit geschicktenBewegungen Kirbys l<strong>in</strong>ken Arm an <strong>die</strong> Stuhllehne.E<strong>in</strong>e leichte Schl<strong>in</strong>ge fesselte Kirbys Oberkörperan <strong>die</strong> Rückenlehne. Kirby erkannte, daß er ziemlichwenig erreicht hatte, auch wenn er nicht mehr so verkrampftdasaß. Se<strong>in</strong> rechter Arm war frei, aber erkonnte ihn nicht e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hosentasche steckenund <strong>die</strong> Uhr betätigen. Außerdem würde er <strong>in</strong> der<strong>rote</strong>n <strong>Welt</strong> ebenso hilflos se<strong>in</strong> wie hier. Er wußte, daßder Strick <strong>die</strong> Härte e<strong>in</strong>es Stahlseiles annehmen würde.»Du brauchst nur e<strong>in</strong>e freie Hand«, sagt René. Erlegte zweihundert Dollar vor Kirby h<strong>in</strong>. »Du schuldestmir zweihundert, Kumpel.«»Willst du es schriftlich?«»Ich sorge schon dafür, daß du dich er<strong>in</strong>nerst.«»Schreiben wir es lieber auf, wie es sich gehört.Hast du e<strong>in</strong> Stück Papier? Ich glaube, ich habe e<strong>in</strong>enFüller bei mir.« Se<strong>in</strong>e Hand fuhr <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hosentasche.»Halt!« schrie René.Se<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>ger berührten das Rädchen und drücktenes nach <strong>in</strong>nen. Die <strong>Welt</strong> wurde rot. Die beiden Seeleutestarrten ihn an. Er legte <strong>die</strong> goldene Uhr auf denTisch und versuchte <strong>die</strong> Fesseln an se<strong>in</strong>em l<strong>in</strong>kenArm zu lösen. Die Knoten rührten sich nicht. Der silberneZeiger bewegte sich. Die beiden goldenen Zei-


ger waren auf dreiviertel sechs stehengeblieben.Er wußte, daß er sich auf e<strong>in</strong>e bessere Gelegenheitvorbereiten mußte, aber er hatte ke<strong>in</strong>e Ahnung, wieer es bewerkstelligen sollte. Die Uhr – er mußte sie ane<strong>in</strong>en günstigeren Platz br<strong>in</strong>gen.Und dann kam ihm e<strong>in</strong> Gedanke. Er schob sie sounter se<strong>in</strong>e Hüfte, daß das Rädchen herausstand.Dann drückte er auf den Knopf und war wieder <strong>in</strong>der echten <strong>Welt</strong>.»Ich dachte, ich hätte Schreibzeug mit«, sagte erund zog langsam <strong>die</strong> Hand aus der Tasche. »War e<strong>in</strong>Irrtum.«»Wir brauchen nichts Schriftliches. Faß nicht mehr<strong>in</strong> <strong>die</strong> Tasche«, knurrte René.»Er hat nichts bei sich«, sagte Raoul.»Der Kerl mit der Rasierkl<strong>in</strong>ge im Hut hatte auchnichts bei sich, und er hat dich doch ganz schön zerschnitten.«»Schnauze. Gib lieber.«Raoul verlor ständig. Er war der ewige Optimist,der sich damit tröstete, daß der letzte Stich alles gutmachenwürde.»De<strong>in</strong> Freund hat sehr viel Glück«, sagte Kirby zuRaoul.»Gib.«Kirby fuhr sich mit der Zunge über <strong>die</strong> Lippen.»Und er hat schnelle Hände.«Raoul spannte sich an. Er beugte sich zu René undredete so rasch auf ihn e<strong>in</strong>, daß Kirby ke<strong>in</strong> Wort verstand.Kirby senkte <strong>die</strong> Hand unauffällig zur Uhr.Raoul hatte se<strong>in</strong>e Warnung beendet, und um sie zuunterstreichen, legte er das Messer neben sich auf denTisch.


Während René se<strong>in</strong>e Unschuld beteuerte, drückteKirby auf das Uhrenrädchen. Er beugte sich so weitwie möglich vor, aber er konnte das Messer nicht erreichen.Er nahm e<strong>in</strong>e Karte ganz am Rand undstreckte sie aus. Sie berührte das Messer. Millimeterum Millimeter rollte er das Messer zu sich heran.Endlich konnte er es mit den F<strong>in</strong>gerspitzen erreichen.Er ließ <strong>die</strong> Karte los, und sie schwebte <strong>in</strong> der Luft.Dann nahm er das Messer und schob es zwischense<strong>in</strong>en Arm und <strong>die</strong> Schnur. Er gab dem Messer e<strong>in</strong>enRuck nach oben, drückte auf <strong>die</strong> Uhr und stellte siesofort wieder zurück, als der silberne Zeiger <strong>die</strong>Zwölf erreicht hatte. In dem w<strong>in</strong>zigen Augenblick derRealität hörte er e<strong>in</strong>en lauten Fluch von René. Dannwar er wieder <strong>in</strong> der <strong>rote</strong>n <strong>Welt</strong>. Das Messerschwebte e<strong>in</strong>en halben Meter über se<strong>in</strong>em Kopf. DieWäschele<strong>in</strong>e war durchtrennt. Kirby machte se<strong>in</strong>enl<strong>in</strong>ken Arm frei. Er legte <strong>die</strong> Uhr auf den Tisch undbewegte <strong>die</strong> Muskeln, bis das Blut wieder zirkulierte.Dann löste er vorsichtig <strong>die</strong> Schl<strong>in</strong>ge um se<strong>in</strong>enOberkörper. Er stand auf und holte sich das Messer.Dann wandte er das gleiche Verfahren bei se<strong>in</strong>enBe<strong>in</strong>fesseln an. Bevor er sich <strong>in</strong> <strong>die</strong> echte <strong>Welt</strong> zurückbegab,warf er Raoul und René e<strong>in</strong>en Blick zu.Sie sahen ihn an, und <strong>in</strong> ihren Mienen zeigte sichleichtes Erstaunen.Er arbeitete noch rascher als beim erstenmal. Diesmalblieb das Messer <strong>in</strong> Augenhöhe hängen. Er standauf und spürte <strong>die</strong> vertraute Schwerkraft. Mühsamzog er <strong>die</strong> Schuhe aus und wanderte im Zimmer umher.Zu beiden Seiten des Kam<strong>in</strong>s stand e<strong>in</strong> Blumentopf.Die Gewächse dar<strong>in</strong> waren längst verdorrt. Kirbynahm <strong>die</strong> Töpfe und plazierte sie nach reichlicher


Überlegung fünfzehn Zentimeter über den Köpfender Matrosen.Es hatte wenig S<strong>in</strong>n, plötzlich zu verschw<strong>in</strong>den,vor allem nicht, wenn es zwei Augenzeugen gab. Alsosetzte er sich wieder <strong>in</strong> den Stuhl und zog <strong>die</strong>Schuhe an. Er ließ den Zeiger auf zwölf Uhr schnellen.Die Karte flatterte auf den Tisch. Das Messer landete<strong>in</strong> der Balkendecke über ihm. Die beiden Blumentöpfebumsten nach unten. René fiel schlaff auf<strong>die</strong> Couch. Raoul kippte langsam nach vorn, bis ermit der Stirn auf der Tischplatte lag.Sobald Kirby sich davon überzeugt hatte, daß <strong>die</strong>beiden atmeten, fesselte er sie <strong>in</strong> der Art und Weise,<strong>die</strong> sie ihm eben beigebracht hatten. Da er befürchtenmußte, daß sie e<strong>in</strong>ander beim Lösen der Fesseln helfenwürden, band er ihre Stühle außerdem am Kam<strong>in</strong>beziehungsweise am Fensterriegel fest.Wilma trug immer noch den riesigen Morgenmantel.Sie lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Bettund schnarchte rhythmisch. Nachdem er sie zehnM<strong>in</strong>uten lang gerüttelt, gestoßen und geschüttelthatte, gab er <strong>die</strong> Hoffnung auf, sie je aufwecken zukönnen. Sie war und blieb e<strong>in</strong>e schlaffe Puppe, unddas Schlimmste an der Sache war, daß sie zu lächelnschien.Doch ihm war klar, daß er sie aus dem Haus br<strong>in</strong>genmußte. Er hatte bereits mehr Geiseln aus derHand gegeben, als er sich leisten konnte. Er zog Wilmaan und bemühte sich, sie nicht mehr als nötig anzustarren.Bis sie endlich <strong>in</strong> ihrer derben, hausbackenenWäsche steckte, lief Kirby der Schweiß von derStirn.Nach e<strong>in</strong>igen Versuchen, das widerspenstige Haar


zu frisieren, durchwühlte er <strong>die</strong> Schubladen, bis ere<strong>in</strong> buntes Tuch fand. Er band es ihr um. Jemand warauf ihre Brille getreten und hatte sie völlig zermalmt.Dann g<strong>in</strong>g er zu René und holte ihm das Geld ausder Tasche. René öffnete langsam <strong>die</strong> Augen, zucktezusammen und schüttelte den Kopf.»Wie zum Teufel hast du das geschafft?« fragte erschwach.»Ich hatte Hilfe.«René schloß <strong>die</strong> Augen. »Die sche<strong>in</strong>st du immer imrechten Augenblick zu bekommen.«Kirby fand das restliche Geld und <strong>die</strong> Schlüssel desMietwagens <strong>in</strong> Raouls Taschen. Raoul schlief immernoch. Kirby fühlte ihm besorgt den Puls, aber er g<strong>in</strong>glangsam und regelmäßig.Dann kehrte er <strong>in</strong>s Schlafzimmer zurück und hievtesich Wilma auf <strong>die</strong> Schulter.»Mrs. O'Rourke wird wütend se<strong>in</strong>«, sagte René.»Me<strong>in</strong>e Freunde haben Sie überfallen. Was hättenSie dagegen tun können?«»Ihr fällt sicher e<strong>in</strong>e Antwort auf <strong>die</strong>se Frage e<strong>in</strong>.«Er legte Wilma auf den Boden des Mietwagens.Dann fuhr er den Sunbeam aus dem Weg und stiegselbst <strong>in</strong> den Mietwagen. Er setzte sich <strong>die</strong> Sonnenbrilleund <strong>die</strong> Baseball-Mütze auf und fuhr los. Erjagte nach Osten und hielt am erstbesten Motel an.E<strong>in</strong> alter Mann stand am Empfangsschalter. Erhatte e<strong>in</strong> Zimmer im Parterre frei.»Sie und <strong>die</strong> Madam, ja?« Er sah an Kirby vorbei.»Wo ist sie?«»Schläft h<strong>in</strong>ten im Wagen.«Kirby unterschrieb und bezahlte für e<strong>in</strong>e Nacht.Er fuhr <strong>in</strong> den Parkplatz und holte Wilma aus dem


Wagen. Er faßte sie hart unter den Schulter undschleppte sie zum Hotel. Das hieß, er wollte es tun.Plötzlich stand der alte Mann neben ihm. »Madam istwohl sehr müde, Mister? Es fehlt ihr doch nichts?«»Ne<strong>in</strong>, ne<strong>in</strong>. Sie schläft immer so tief.«»Also, krumme Sachen dulde ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Hausnicht. Wo haben Sie Ihr Gepäck, Mister?«»H<strong>in</strong>ten.«»Darf ich es sehen?«»Ich möchte sie zuerst h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen.«»Setzen Sie sie lieber h<strong>in</strong>. Wenn Sie nämlich ke<strong>in</strong>Gepäck haben, können Sie gleich weiterfahren.«Kirby drückte Wilma <strong>in</strong> den Sitz. Er mußte zugeben,daß ihr Anblick nicht vertrauenerweckend war.Sie wirkte berauscht, und sie war es.Er g<strong>in</strong>g zum Kofferraum und sperrte ihn auf.Gleichzeitig drückte er auf das Rädchen der Uhr.Zehn Meter entfernt lud e<strong>in</strong> Mann se<strong>in</strong>e Koffer aus.Er stellte sie der Reihe nach auf das Pflaster. Kirbyg<strong>in</strong>g h<strong>in</strong>über und holte sich zwei kle<strong>in</strong>ere Taschen. Erstellte sie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Kofferraum und begab sich zurück<strong>in</strong> <strong>die</strong> normale <strong>Welt</strong>.»Ich bestehe darauf, daß me<strong>in</strong>e Gäste Gepäck haben«,me<strong>in</strong>te der Alte entschuldigend.»Natürlich«, sagte Kirby und hob Wilma hoch. Sielegte ihm <strong>die</strong> Arme um den Hals.»So müde«, murmelte sie. »Soo müde.«Der alte Mann trug <strong>die</strong> Taschen nach dr<strong>in</strong>nen. Kirbylegte Wilma auf das Bett, wo sie sofort zu schnarchenbegann.»Na, <strong>die</strong> schläft wirklich fest«, sagte der Alte.Nachdem er fort war, versetzte sich Kirby sofortwieder <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>rote</strong> <strong>Welt</strong> und brachte <strong>die</strong> Taschen zu-


ück. Der Fremde stand perplex am Randste<strong>in</strong> undzählte immer wieder se<strong>in</strong> Gepäck. Kirby stellte <strong>die</strong>fehlenden Sachen h<strong>in</strong>ter ihm ab und g<strong>in</strong>g zurück <strong>in</strong>das Zimmer. Als er den Zeiger auf <strong>die</strong> Zwölf stellte,fiel <strong>die</strong> Tür h<strong>in</strong>ter ihm <strong>in</strong>s Schloß. Er schrieb e<strong>in</strong>e kurzeNotiz für Wilma. »Du bist hier sicher. Ich kommezurück, sobald es mir möglich ist. Verlasse unter ke<strong>in</strong>enUmständen de<strong>in</strong> Zimmer und telefoniere auchnicht. Am besten ist es, wenn du <strong>die</strong> Kette vorlegst.Ich klopfe fünfmal lang und dreimal kurz.«Er nahm den Zimmerschlüssel mit und vergewissertesich, daß <strong>die</strong> Tür verschlossen war. Dann fuhr erzu e<strong>in</strong>er Telefonzelle und rief <strong>die</strong> Polizei an. Er gaban, daß er <strong>in</strong> Wellerlys Haus am Sunset Way verdächtigeGeräusche gehört habe und daß <strong>die</strong> Wellerlysim Ausland seien. Als der Beamte <strong>die</strong> erste Fragestellte, legte er auf.Er fuhr nach Süden <strong>in</strong> Richtung Miami. Es wardreiviertel sieben. Er hatte das Gefühl, daß er zuvielZeit vertrödelte.Die letzten schrägen Sonnenstrahlen fielen über dasWasser, als er <strong>in</strong> der Nähe der Docks war. Er fuhr denWagen an den Straßenrand und hielt <strong>die</strong> Zeit an. Erzog <strong>die</strong> Schuhe aus und stopfte sie <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Hemd.Dann nahm er <strong>die</strong> Sonnenbrille ab und steuerte auf<strong>die</strong> Docks zu. Ungeh<strong>in</strong>dert kam er durch das hoheE<strong>in</strong>gangstor.Die Glorianna lag am Ende des Anlegeplatzes, undsie war etwas kle<strong>in</strong>er, als er erwartet hatte. Sie hatteim Verhältnis zum Deckraum zuviel Kab<strong>in</strong>enräumeund wirkte dadurch etwas plump. Dennoch schiensie sehr seetüchtig zu se<strong>in</strong>.Er betrat <strong>die</strong> Gangway und dann das Deck. Das


Schiff war tadellos gepflegt, bequem und luxuriös. Erkonnte oben niemanden entdecken. Alle Luken warengeschlossen, also hatte <strong>die</strong> Glorianna vermutliche<strong>in</strong>e Klimaanlage. Er versuchte <strong>in</strong>s Innere zu gelangen,aber <strong>in</strong> der <strong>rote</strong>n <strong>Welt</strong> war er hilflos. Ebensoguthätte e<strong>in</strong>e Maus versuchen können, e<strong>in</strong>en Kühlschrankzu öffnen.Er suchte den E<strong>in</strong>gang zu den Kab<strong>in</strong>en, wechselteblitzschnell <strong>in</strong> <strong>die</strong> echte <strong>Welt</strong> und zog <strong>die</strong> Tür e<strong>in</strong>enSpalt auf.Er g<strong>in</strong>g h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> und ließ <strong>die</strong> Tür h<strong>in</strong>ter sich offen.E<strong>in</strong>e schmale Treppe brachte ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Korridor.Die Hauptkab<strong>in</strong>e schien sich direkt vor ihm zu bef<strong>in</strong>den.Die Tür war angelehnt. Er stemmte <strong>die</strong> Schulterdagegen, und es gelang ihm, sie e<strong>in</strong>en Spalt zu öffnen.Charla stand <strong>in</strong> der burgunder<strong>rote</strong>n <strong>Welt</strong>, e<strong>in</strong>Glas <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>ken. Sie sprach mit Joseph. Das Haarh<strong>in</strong>g ihr bis auf <strong>die</strong> Schultern, und sie trug e<strong>in</strong>en kurzen,offenen Bademantel. Joseph lehnte an e<strong>in</strong>erHolzwand <strong>in</strong> der Nähe des Bettes. Er hatte <strong>die</strong> Armeüberkreuzt. Se<strong>in</strong> Gesichtsausdruck war skeptisch. Ertrug e<strong>in</strong>en dunklen Geschäftsanzug mit weißemHemd und bunter Krawatte.Kirby trat dicht an Charla heran und betrachtetesie. Er hatte schon vergessen, wie makellos ihre Hautwar. Aber dann sagte er sich vor, daß er für solcheD<strong>in</strong>ge im Moment ke<strong>in</strong>e Zeit hatte.Er wollte sich schon auf <strong>die</strong> Suche nach Bonny Leeund Betsy machen, als ihm e<strong>in</strong>fiel, daß es vielleichtvon Vorteil war, Charla und Joseph zuzuhören. Wennsie sich beide hier befanden, wurden <strong>die</strong> Mädchenwohl <strong>in</strong> Ruhe gelassen. Er suchte nach e<strong>in</strong>em geeignetenVersteck. Unter dem Bett war Platz genug. Mit


der Uhr konnte er <strong>die</strong> Szene jederzeit anhalten, wennihm Gefahr drohte. Er zwängte sich unter das Bettund glättete <strong>die</strong> Decke.Er stellte <strong>die</strong> echte <strong>Welt</strong> e<strong>in</strong>, und im nächsten Momenthörte er e<strong>in</strong>en Schwall fremder Worte, <strong>die</strong> ernicht verstand. Dann g<strong>in</strong>g Charla an <strong>die</strong> Tür undknallte sie zu. Sie sagte etwas mit harter, befehlenderStimme.Joseph erwiderte e<strong>in</strong> paar gleichgültige Sätze.»Wenn ich sage, daß wir Englisch sprechen, Joseph,dann tun wir es auch. Weshalb g<strong>in</strong>g <strong>die</strong> Tür auf?René ist der e<strong>in</strong>zige, der fließend Englisch spricht,und er ist nicht an Bord. Ich habe es im Leben nur soweit gebracht, weil ich ke<strong>in</strong>em Menschen vertraue.«»Nicht e<strong>in</strong>mal dir selbst«, sagte Joseph.»Wir können <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Angelegenheit nicht vorsichtiggenug se<strong>in</strong>. Bitte, mach ke<strong>in</strong>e dummen Scherze.Wir haben bei Krepps e<strong>in</strong> paarmal äußerste Vorsichtangewandt, und immer g<strong>in</strong>g es elend schief. Ichmuß wissen, was ihm <strong>die</strong>se Überlegenheit verschaffte.«Das Bett quietschte, als sich Joseph setzte. Kirbysah Charlas nackte Füße auf dem Teppich. Sie kamennäher und blieben neben dem Bett stehen.»Was erwartest du?« fragte Joseph ironisch. »E<strong>in</strong>Gerät zum Gedankenlesen? E<strong>in</strong>en Mantel, der ihn unsichtbarmachte?«»Er hat unsere Gedanken gelesen, Joseph. Er hatunsere Pläne erraten. Er war e<strong>in</strong> Teufel. Und W<strong>in</strong>terweiß, wor<strong>in</strong> der Vorteil bestand. Aber er ist nicht ausdem gleichen Holz geschnitzt wie der Alte. Wir müssenihm das D<strong>in</strong>g abnehmen, bevor er zu gut damitumgehen kann.«


»Das D<strong>in</strong>g – wenn er es kennt.«»Ich b<strong>in</strong> überzeugt davon. Ich sagte dir doch, wieer mit mir umg<strong>in</strong>g.«»Vielleicht hat er geblufft.«»Nun, ich möchte auf alle Fälle Gewißheit haben.«Joseph seufzte hörbar. »Es ist immer noch e<strong>in</strong>everteufelte Situation. Mir wäre wohler, wenn <strong>die</strong>sesverdammte Mädchen nicht so fix und schlau gewesenwäre. Was ist, wenn sie <strong>die</strong> Polizei <strong>in</strong>formiert? Daswürde alles schwierig machen.«Charta lachte und setzte sich neben Joseph. Kirbyhätte ihre Fersen berühren können. »Dieses Mädchenwill nichts mit der Polizei zu tun haben. Ich mußte anmich selbst denken, als ich sie kämpfen sah. Natürlichwaren <strong>die</strong> Kerle, <strong>die</strong> du angeheuert hattest, ke<strong>in</strong>e Superklasse,aber selbst wenn sie ihre Sache besser gemachthätten – ich weiß nicht ...«»Aber wie hat sie es nur geschafft?«»E<strong>in</strong>er de<strong>in</strong>er Leute wußte e<strong>in</strong> sicheres Versteck,wo wir sie e<strong>in</strong> wenig zurechtstutzen und bescheidenermachen wollten. Er beschrieb mir <strong>die</strong> Lage, undsie war wirklich <strong>in</strong> Ordnung. Eigentlich hätte ich gewarntse<strong>in</strong> müssen, weil sie schon Raoul und Renéentwischt war. Aber ich machte mir Sorgen um sie.Sie schien vollkommen bewußtlos zu se<strong>in</strong>. Als ich e<strong>in</strong>eZigarette <strong>in</strong> <strong>die</strong> Nähe ihrer Hand hielt, rührte siesich nicht. Ich überlegte, was wir mit ihr machensollten, wenn sie ernsthaft verletzt war. Die Wohnung,<strong>die</strong> de<strong>in</strong> Helfer vorschlug, lag am Strand, undzwar an e<strong>in</strong>em Kanal. Wir konnten h<strong>in</strong>ter dem Hausparken. Als wir sie aus dem Wagen hoben, explo<strong>die</strong>rtesie plötzlich. Ich fiel ziemlich schmerzhaft aufme<strong>in</strong>e vier Buchstaben, und <strong>die</strong> beiden Idioten, <strong>die</strong>


du angeheuert hattest, tapsten stöhnend durch <strong>die</strong>Gegend. Sie waren im ganzen Gesicht zerkratzt undhatten e<strong>in</strong> paar kräftige Boxhiebe abbekommen. DasMädchen rannte e<strong>in</strong> paar Meter und hechtete dannüber <strong>die</strong> niedrige Mauer <strong>in</strong> den Kanal. Bis ich <strong>die</strong>Mauer erreicht hatte, war sie bereits an der Biegungzum öffentlichen Strand. Ich hatte ihre billige Tascheund e<strong>in</strong> paar blaue Flecken. Ne<strong>in</strong>, Joseph, <strong>die</strong> gehtnicht zur Polizei. Sie weiß, wer W<strong>in</strong>ter ist. Sie riechtjetzt Geld, und <strong>die</strong> Polizei wird ihr nicht dabei helfen,etwas zu kassieren. Ich weiß nicht, ob W<strong>in</strong>ter sieschon lange kennt, aber sie sche<strong>in</strong>t ihre Fähigkeitenzu haben. Sie könnte uns noch mehr nützen als Betsy.Vielleicht geht sie uns <strong>in</strong> <strong>die</strong> Falle, wenn wir ihrW<strong>in</strong>ter als Köder vor <strong>die</strong> Nase halten. Ich habe ihreAdresse <strong>in</strong> der Tasche gefunden und de<strong>in</strong>e Idiotenh<strong>in</strong>geschickt, damit sie <strong>die</strong> Wohnung beobachten.«»Werden <strong>die</strong> Männer sie herbr<strong>in</strong>gen, wenn sieauftaucht?«»Natürlich nicht. Sie werden sie <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Wohnungam Strand festhalten, bis wir kommen.«»Und wenn sie zu dem anderen Haus zurückkehrt?«»René weiß Bescheid. Er wird sie <strong>in</strong> Empfang nehmen.«»Das hier ist e<strong>in</strong> scheußliches Land, Charla«, sagteJoseph. »In jedem vernünftig regierten Staat könnteman <strong>die</strong> Angelegenheit auf e<strong>in</strong> paar kle<strong>in</strong>ere Beamtebeschränken, und man wüßte genau, was sie verlangen.Hier werden <strong>die</strong> delikatesten Angelegenheitenper Rundfunk verbreitet und <strong>in</strong> den Zeitungen ausposaunt,so daß jeder Passant zu e<strong>in</strong>em Problemwird. Hier s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Geschäfte zu machen. In ande-


en Ländern waren wir glücklicher – vor allem <strong>in</strong>Spanien, wo uns Juan March half.«»Heul nicht gleich, Liebl<strong>in</strong>g. Wir hatten ke<strong>in</strong>e andereWahl. W<strong>in</strong>ter und Farnham s<strong>in</strong>d jedenfalls <strong>in</strong>unseren Händen. Betsy wird uns ke<strong>in</strong>e Schwierigkeitenmehr machen. Und selbst wenn es uns nichtgel<strong>in</strong>gt, <strong>die</strong>se Beaumont zu erwischen, so macht daswenig. Wer wird ihr schon glauben? Außerdem s<strong>in</strong>dwir bald außer Reichweite. Es wird schon glatt gehen.E<strong>in</strong>e Zeitlang war <strong>die</strong>ser W<strong>in</strong>ter ziemlich lästig, dochdas dürfte vorbei se<strong>in</strong>.«»Mir gefällt <strong>die</strong> Sache mit den Kisten nicht.«»Wie sollen wir sie sonst an Bord br<strong>in</strong>gen? Danielwird den Laster um elf starten, und gegen zwölf könnenwir sie bereits auf dem Schiff haben. Die Polizeihat den Zwischenraum im Rumpf völlig übersehen,weshalb sollte er dann dem Zoll auffallen? Und wirkönnen ihnen sogar <strong>die</strong> Kisten zeigen, wenn wir sievorher mit Schiffsvorräten füllen. Liebl<strong>in</strong>g, wenn <strong>die</strong>beiden Unschuldslämmer erwachen, liegen sie <strong>in</strong>weichen Betten und s<strong>in</strong>d mitten auf hoher See. MißFarnham können wir ja den Männern zur Verfügungstellen, wenn wir das Geschäftliche besprochen haben.Oder hattest du Privatpläne mit ihr?«»Ihr Bild hat mich nicht so sehr begeistert.«»Sie ist e<strong>in</strong>e steife, e<strong>in</strong>gebildete, ichbezogene Hexemit e<strong>in</strong>em natürlichen Talent zur Jungfräulichkeit.Komischerweise hat sie e<strong>in</strong>e gute Figur. Aber, ichschätze, nicht e<strong>in</strong>mal du brächtest es fertig, sie zurFrau zu machen.«»Soll das e<strong>in</strong>e Herausforderung se<strong>in</strong>?«»Vielleicht.«»Ich muß sie erst ansehen.«


»Joseph, wo bleibt de<strong>in</strong> S<strong>in</strong>n für das Abenteuer?«Sie lachten, und dann verschwanden Charlas Füßevom Boden. »Vielleicht komme ich mit zunehmendemAlter zu der Ansicht, daß nur das Beste gut genugist«, flüsterte Joseph.Kirby drückte mit schwitzenden F<strong>in</strong>gern auf daskle<strong>in</strong>e Rädchen und ließ <strong>die</strong> <strong>Welt</strong> stillstehen. Vorsichtigkroch er unter dem Bett hervor und g<strong>in</strong>g zurTür. E<strong>in</strong> Blick auf das Paar zeigte ihm, daß er <strong>die</strong> Türunbesorgt e<strong>in</strong>en Spalt öffnen konnte.Er schloß sie h<strong>in</strong>ter sich und verbrachte noch e<strong>in</strong>paar Sekunden <strong>in</strong> der echten Zeit, um <strong>die</strong> Kl<strong>in</strong>ken derübrigen Kab<strong>in</strong>entüren herunterzudrücken. Drei derRäume waren leer, der vierte war verschlossen.Er überlegte. Dann versetzte er sich wieder <strong>in</strong> <strong>die</strong><strong>rote</strong> <strong>Welt</strong> und kehrte zurück <strong>in</strong> Charlas Kab<strong>in</strong>e. Eswar ihm pe<strong>in</strong>lich, <strong>die</strong> beiden zu stören, auch wenn sienichts von der Störung merkten. Vorsichtig tastete erJosephs Anzug nach Schlüsseln ab.Die Schlüssel, <strong>in</strong>sgesamt sechs, h<strong>in</strong>gen an e<strong>in</strong>em goldenenR<strong>in</strong>g. Er strich den Anzug glatt, ließ <strong>die</strong> Schlüssel<strong>in</strong> der Luft schweben und beförderte sie durch kle<strong>in</strong>eStöße h<strong>in</strong>aus. Wieder konnte er <strong>die</strong> Tür öffnen undschließen, ohne daß <strong>die</strong> beiden es bemerkten.Es mußte e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Schlüssel se<strong>in</strong> – und derzweite paßte. Er öffnete <strong>die</strong> Tür. Betsy starrte ihnverwirrt an. Sie hatte offenbar durch das dick verglasteBullauge das Meer beobachtet. Ihr blondes Haarwar wirr, ihr Gesicht blaß und ohne Make-up. Sietrug e<strong>in</strong>en orange Coverall mit kurzen Ärmeln, e<strong>in</strong>emdurchgehenden Reißverschluß und e<strong>in</strong>er silbernenSchnalle. Die Farbe stand ihr nicht.»Was <strong>in</strong> aller <strong>Welt</strong> ...«


Er legte den F<strong>in</strong>ger an <strong>die</strong> Lippen, schloß <strong>die</strong> Türund verriegelte sie von <strong>in</strong>nen. Als er sie wieder ansah,versuchte sie zu lächeln. Aber <strong>die</strong> Tränen liefen ihrüber <strong>die</strong> Wangen. Sie kam zu ihm, und er drückte siefest an sich. Sie zitterte, aber sie we<strong>in</strong>te lautlos.Schließlich machte sie sich los und g<strong>in</strong>g mit unsicherenSchritten zu der Koje h<strong>in</strong>über. Sie setzte sichund stützte den Kopf <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hände. Dann lächelte sieschüchtern. »Tut mir leid. Ich wäre be<strong>in</strong>ahe ohnmächtiggeworden. Das ist mir noch nie passiert.« IhrGesicht verzerrte sich. »Es war e<strong>in</strong>fach zuviel. Sie hatmir so – weh getan.«Er setzte sich neben sie. »Es war me<strong>in</strong>e Schuld.«»Ne<strong>in</strong>.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich mußte unbed<strong>in</strong>gt<strong>die</strong> Held<strong>in</strong> spielen. Ich dachte, ich könnte ihrgegenübertreten. Ich – ich glaubte nicht, daß sie miretwas antun würde. Und als ich merkte, daß ich michgetäuscht hatte, schwor ich mir, tapfer zu se<strong>in</strong>. Johannaam Scheiterhaufen. Und nach e<strong>in</strong> paar M<strong>in</strong>utenw<strong>in</strong>selte ich um Gnade und verriet alles. Es tutmir so leid, Kirby, und ich schäme mich so. Ich verrietihnen, wo sie dich und Wilma f<strong>in</strong>den könnten. Bitte,verzeih mir.«»Du hättest alles sagen sollen, bevor sie dir wehtaten.«»Das nächstemal b<strong>in</strong> ich klüger. Es ist e<strong>in</strong>e so e<strong>in</strong>facheMethode. E<strong>in</strong>er <strong>die</strong>ser elektrischen Apparate, <strong>die</strong>man zu Abmagerungskuren benutzt. Sie setzt <strong>die</strong> Vibrationskissenan den Stellen an, wo es am meistenschmerzt, und geht dann mit der Stromstärke immerhöher, bis man das Gefühl hat, daß e<strong>in</strong>en <strong>die</strong> eigenenMuskel zerreißen. Und h<strong>in</strong>terher s<strong>in</strong>d nicht <strong>die</strong> ger<strong>in</strong>gstenSpuren zu sehen. Sie ist e<strong>in</strong> Satan, Kirby. Wie


ist du hergekommen? Und wo ist Charla?«»Leise, Betsy. Sie und Joseph bef<strong>in</strong>den sich am anderenEnde des Korridors. Aber ke<strong>in</strong>e Angst. Es wirdnoch alles gut.«»Wilma hatte ke<strong>in</strong>e Ahnung. Me<strong>in</strong> Gott, Kirby, dasist ja e<strong>in</strong> schrecklich prüdes Mädchen. Wo bef<strong>in</strong>detsie sich übrigens?«»An e<strong>in</strong>em sicheren Ort – wenigstens für den Augenblick.E<strong>in</strong>e Zeitlang wurde sie von zwei Matrosender Jacht bewacht. René und Raoul.«»An René kann ich mich er<strong>in</strong>nern. Raoul ist wohle<strong>in</strong> Neuer. René ist Charla treu ergeben. Mir hat esnie gepaßt, wie er mich angesehen hat.«»Mich hatten sie auch gefangen – <strong>in</strong> dem Haus desProfessors, zusammen mit Wilma –, aber uns gelang<strong>die</strong> <strong>Flucht</strong>.«Sie sah ihn verwirrt an. »Du bist den beiden entkommen– und hierher aufs Schiff gelangt? Kirby, ichglaube, ich habe dich unterschätzt.«»Joseph und Charla wissen noch nicht, daß ich geflohenb<strong>in</strong>. Sie wollten mich und Wilma heute nacht<strong>in</strong> Packkisten an Bord br<strong>in</strong>gen.«»Bist du sicher, daß du ihnen nicht <strong>die</strong> Hälfte derArbeit erspart hast?«»Ich glaube, daß alles gut wird. Siehst du, ich weißjetzt, was sie von mir wollen.«»Tatsächlich?«»Ich weiß noch nicht, wie ich <strong>die</strong> vielen legalenProbleme lösen kann, aber ich b<strong>in</strong> sicher, daß es mirgel<strong>in</strong>gen wird, dich von Bord zu schaffen.«»Was ist es? E<strong>in</strong>e Masch<strong>in</strong>e, mit der man Gedankensteuern kann? Oder e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong> Strahler, mit demman große Löcher <strong>in</strong> Schiffe bohrt?«


»Das kl<strong>in</strong>gt schon mehr nach Betsy.«»Ich b<strong>in</strong> eben e<strong>in</strong> wenig skeptisch. Zeig mir dasD<strong>in</strong>g.«»Es hat – gewisse Grenzen, und ich kenne sie nochnicht genau. Aber ich werde dir zeigen, wie es funktioniert.Du – du darfst nicht erschrecken, Betsy. Eswiderspricht aller Vernunft. Du mußt versuchen, jedeHysterie zu vermeiden, wenn es dich erschreckt, Betsy.«»Hysterie kann ich mir jetzt nicht leisten, KirbyW<strong>in</strong>ter.«»Du brauchst nur das Ergebnis zu kennen.«»Du me<strong>in</strong>st, es hat etwas mit der alten ...«Er trat <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>rote</strong> <strong>Welt</strong> und überlegte, ob er sie allmählichan den Schock gewöhnen sollte. Doch dannfand er, daß sie stark genug war, um <strong>die</strong> Konsequenzengleich im vollen Ausmaß kennenzulernen. Erhievte sie vom Bett hoch, schob sie vorsichtig zumStuhl am anderen Ende der Kab<strong>in</strong>e und setzte sie h<strong>in</strong>.Als sie ganz sicher saß, g<strong>in</strong>g er selbst zur Tür.»... Uhr zu tun?« sagte sie und zuckte zusammen.Sie war totenblaß geworden. »Me<strong>in</strong> Gott«, flüstertesie. »Ich hatte ke<strong>in</strong>e Ahnung, was mich erwartete,aber das da ...« Sie runzelte <strong>die</strong> Stirn. »War ich ohnmächtig?«»Ne<strong>in</strong>, es hat sich alles im Handumdrehen abgespielt.«»Dann hast du mich hierhergebracht? Auf welcheEntfernung h<strong>in</strong> funktioniert das?«»Etwa so weit, wie ich e<strong>in</strong>en mittelschweren Herdtragen könnte.«»Du hast mich irgendwie getragen?«»Unter der größten Anstrengung.«


»Während <strong>die</strong> Zeit ausgeschaltet war?«»Genau.«»Du könntest mich an jemandem vorbeitragen, ohnedaß es <strong>die</strong>ser Jemand bemerkte?«»Ja.«Sie nickte langsam. »De<strong>in</strong> verehrter Onkel, me<strong>in</strong>Freund, war alles andere als dumm. Wenn man bedenkt,was er mit <strong>die</strong>ser Erf<strong>in</strong>dung alles anfangenkonnte, dann werden <strong>die</strong> siebenundzwanzig Millionen,<strong>die</strong> er verschenkte, zu e<strong>in</strong>er lächerlichen Summe.Weshalb hat er se<strong>in</strong>en Vorsprung nicht ausgenutztund sich zum Herrn der <strong>Welt</strong> gemacht? Geschaffthätte er es.«»Vielleicht langweilte ihn <strong>die</strong> Aussicht. Er spieltelieber den Weihnachtsmann. Vielleicht mußte er auchunauffällig bleiben, um andere nicht auf se<strong>in</strong>e Erf<strong>in</strong>dungaufmerksam zu machen.«Sie nickte wieder. »Charla war überzeugt davon,daß es sich um etwas Besonderes handelte.« Sie verlorihren nachdenklichen Ausdruck und starrteängstlich zur Tür. »E<strong>in</strong>es wissen wir bestimmt, KirbyW<strong>in</strong>ter. Die Erf<strong>in</strong>dung darf niemals <strong>in</strong> <strong>die</strong> Händeme<strong>in</strong>er Tante gelangen. Sie hat alles aufgekauft, wassie irgendwie immun machen kann, und sie setzt ihreHilfsmittel rücksichtslos e<strong>in</strong>.«Plötzlich hörte man hastige Schritte im Korridor.Stimmen klangen auf, und dann hämmerte etwasschwer gegen <strong>die</strong> Tür.Über der Koje rauschte und knisterte es, undCharlas sanft schnurrende Stimme drang durch denVerstärker <strong>in</strong> <strong>die</strong> Kab<strong>in</strong>e.»Hallo, me<strong>in</strong>e Lieben«, sagte sie. »Wie scheußlichfür euch, daß ich <strong>die</strong> Verb<strong>in</strong>dung nicht unterbrochen


hatte. Und wie gut für mich, daß ich mir <strong>die</strong> Mühemachte, <strong>die</strong> Unterhaltung anzuhören. Der gute Josephbesaß sogar <strong>die</strong> Geistesgegenwart, euer Gesprächauf Band zu nehmen. Wir können es also immerwieder abspielen, falls uns etwas unklar ist. Aberich glaube, daß ich verstanden habe. Wie sagte dochBetsy? Die Zeit wird ausgeschaltet. Ich muß sagen,daß me<strong>in</strong> Respekt vor Omar Krepps gesunken ist. Mit<strong>die</strong>ser Erf<strong>in</strong>dung hätte er mehr leisten können.Übrigens, das Hämmern, das ihr vorh<strong>in</strong> gehörthabt, war e<strong>in</strong> Holzkeil, der zwischen eure Kab<strong>in</strong>entürund <strong>die</strong> Korridorwand gekeilt wurde. Eure Erf<strong>in</strong>dungwird euch leider nichts nützen, wenn ihr e<strong>in</strong>gesperrtseid. Und wir brauchen jetzt alle Zeit zum Nachdenken.«Kirby zuckte zusammen und sah Betsy an. IhreAugen waren geschlossen. Sie biß sich auf <strong>die</strong> blutleerenLippen und murmelte:»Das habe ich nicht gewußt. Das habe ich nichtgewußt. Aber ich kenne sie und hätte es mir denkenkönnen.«Er flüsterte ihr <strong>in</strong>s Ohr: »Wir müssen sie nur dazubr<strong>in</strong>gen, <strong>die</strong> Tür zu öffnen.«»Eigentlich komisch«, fuhr Charla fort. »Ich hatte<strong>die</strong> Uhr schon <strong>in</strong> der Hand. Das kle<strong>in</strong>e Teleskop iste<strong>in</strong>e raff<strong>in</strong>ierte Tarnung. Und ich muß ehrlich gestehen,daß ich Notizen oder Formeln erwartet hatte.Mit e<strong>in</strong>em fertigen Instrument hatte ich niemals gerechnet.Was sagst du, Joseph? E<strong>in</strong>en Augenblick,me<strong>in</strong>e Lieben.«»Verdammte Hexe«, sagte Betsy laut.Charla sprach wieder durch den verborgenen Lautsprecher.»Joseph hat e<strong>in</strong>e ausgezeichnete Idee. Wir


wollen e<strong>in</strong> Loch <strong>in</strong> <strong>die</strong> Stahltür brennen, gerade großgenug für <strong>die</strong> Uhr. Falls ihr euch weigern solltet, sieherauszugeben, könnte <strong>die</strong> Lage unangenehm füreuch werden.«Kirby holte tief Atem. »Bevor ich dir <strong>die</strong> Uhr gebe,Charla, schlage ich sie so lange gegen <strong>die</strong> Stahltür, bisnur noch Splitter übrig s<strong>in</strong>d.«»Futterneidisch?«»So könnte man es nennen.«»Du bluffst gut, Kirby.«»Es ist ke<strong>in</strong> Bluff, Charla. Ich leide an e<strong>in</strong>er chronischenKrankheit mit dem häßlichen Namen Verantwortungsgefühl.Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> sehr edler Mensch. Ichwürde <strong>die</strong> Uhr vernichten, bevor ich sie dir übergebe.«»Edelmut verwirrt mich immer«, me<strong>in</strong>te Charla.»Es ist e<strong>in</strong>e Jugendkrankheit. Bist du nicht e<strong>in</strong> bißchenzu alt dafür, Kirby?«»Ich habe e<strong>in</strong>e verspätete Jugend, Mrs. O'Rourke.Aber bitte, du kannst me<strong>in</strong>e Behauptung überprüfen.Schneide ruhig das Loch <strong>in</strong> <strong>die</strong> Stahltür. Im gleichenMoment, <strong>in</strong> dem der Schneidbrenner durch ist, schlageich <strong>die</strong> Uhr an <strong>die</strong> Wand.«Es kam ke<strong>in</strong>e Antwort.»Du hast sie beunruhigt«, flüsterte Betsy.»Soll sie sich ruhig Sorgen machen«, sagte Kirbylaut. »Ich me<strong>in</strong>e es verdammt ernst. Ich komme hiernicht heraus. Schön. Aber ihr soll das gar nichts nützen.«Charla sprach weiter. »Das würde mich sehr wütendmachen, Kirby. Ich glaube, ihr beide müßtet e<strong>in</strong>enqualvollen Tod sterben. Siehst du, Betsy würdemitleiden, weil du den Helden spielen willst. Und


Miß Farnham. Und Miß Beaumont. Me<strong>in</strong> lieber Kirby,du nimmst e<strong>in</strong>e große Verantwortung auf dich.«»Und wenn er dir <strong>die</strong> Uhr gibt, Charla?« fragte Betsymit zitternder Stimme.»Dann würde ich euch <strong>die</strong> Freiheit schenken. Unde<strong>in</strong>e beträchtliche Geldsumme. Ich b<strong>in</strong> nicht kle<strong>in</strong>lich.«Kirby flüsterte Betsy zu: »Sie kann niemanden amLeben lassen, der das Geheimnis kennt.« Betsy saß erstarrtda und nickte dann langsam.Charla lachte leise. »Oder, wenn du das nichtglaubst, dann kann ich dir zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>en schnellenund völlig schmerzlosen Tod versprechen. Ihr habtgenug Zeit, um es euch zu überlegen, me<strong>in</strong>e Lieben.Niemand wird an Bord kommen, solange wir denHafen nicht verlassen.«»Charla?« rief Betsy. »Charla!«Aber der Lautsprecher schwieg.


12Betsy Alden lag auf dem Rücken, <strong>die</strong> Blicke starr zurDecke gerichtet. Kirby W<strong>in</strong>ter durchsuchte <strong>die</strong> Kab<strong>in</strong>e.Sie war fünf Meter lang und dreie<strong>in</strong>halb Meterbreit. H<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>er Schiebetür befand sich e<strong>in</strong>e Toilette,e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Waschbecken aus rostfreiem Stahl unde<strong>in</strong> Mediz<strong>in</strong>schränkchen. Die beiden Bullaugen warenzu kle<strong>in</strong> zur <strong>Flucht</strong>, wenn er es schaffen sollte, dasschwere Glas e<strong>in</strong>zuschlagen. Er entdeckte das E<strong>in</strong>laßgitterder Klimaanlage und den Luftabzug. Zweimalversetzte er sich <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>rote</strong> <strong>Welt</strong>, um nachzudenken.E<strong>in</strong> Gedanke kristallisierte sich immer deutlicher.Kirby setzte sich auf <strong>die</strong> Koje und sagte: »Ich glaube,ich weiß e<strong>in</strong>en Ausweg.«»Es hilft nichts«, sagte sie starr.»Hör dir me<strong>in</strong>en Vorschlag wenigstens an.«»Kirby, uns kann nichts mehr retten.«Sie hörte zu. Sie hielt den Plan für Wahns<strong>in</strong>n. Aberihr fiel nichts Besseres e<strong>in</strong>. Und sobald sie ihn akzeptierthatte, half sie Kirby tatkräftig. Sie tränkten Dekkenmit Wasser. Sie breiteten <strong>die</strong> Decken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ekkeaus. Das restliche Bettzeug wurde zusammen mitallem möglichen brennbaren Material <strong>in</strong> der Nähe derTür gestapelt. Das Feuer entfachte sich nur langsam.Erst als <strong>die</strong> beiden sicher waren, daß es nicht mehrausgehen würde, krochen sie unter <strong>die</strong> Decken. Siebanden sich nasse Handtücher um <strong>die</strong> Gesichter. DerRauch wurde immer undurchdr<strong>in</strong>glicher.Plötzlich hörte man Charlas wütende Stimme. »Sehrklug, me<strong>in</strong>e Lieben, aber es wird euch nichts nützen.Haltet ihr brennendes Papier an den Luftauslaß?«


Kirby begann zu husten. Es klang, als müßte er jedenMoment ersticken. Die Möbel begannen zu knistern,und er hoffte nur, daß sie es bis oben hörenkonnte. Er spürte <strong>die</strong> Hitze.Nun war Betsy an der Reihe. Sie stieß e<strong>in</strong>en Schreiaus, der nach wahns<strong>in</strong>niger Angst und Hilflosigkeitklang. E<strong>in</strong>en Moment lang fragte sich Kirby, ob dasFeuer sie tatsächlich erreicht hatte. »Hilfe!« schrie sie.»Hilfe! Laßt mich doch 'raus!« Sie begann leise zuwimmern.Er hörte den Aufruhr im Korridor. Er wußte, wasals nächstes geschehen würde. Sie würden <strong>die</strong> Stahltürberühren und <strong>die</strong> Hitze spüren. Die Decken begannenzu dampfen. Draußen hämmerte jemand an<strong>die</strong> Tür. Da Kirby sie vorher entriegelt hatte, war siebald offen. E<strong>in</strong>e Pistole zielte auf Kirby. Und dannstand alles still.Die Hitze war fort. Der Dampf stand wie e<strong>in</strong>e festeSäule über den Decken. Kirby arbeitete sich mühsamaus dem steifgewordenen Material. Joseph stand <strong>in</strong>der Tür, umgeben von erstarrten Flammen. Er hattee<strong>in</strong>e langläufige Pistole auf Kirby gerichtet, und derMündungsblitz war deutlich zu sehen. Kirby entdeckte<strong>die</strong> Kugel auf halbem Wege zwischen Josephund sich.Und er sah mit Erstaunen, daß sie sich bewegte. Eswar der erste Gegenstand <strong>in</strong> der <strong>rote</strong>n <strong>Welt</strong>, den er <strong>in</strong>Bewegung sah. Kopfschüttelnd betrachtete er <strong>die</strong> Kugel.Doch dann erwachte er aus se<strong>in</strong>er Trance. Er zogBetsy zu sich hoch und an Joseph vorbei <strong>in</strong> den Korridorh<strong>in</strong>aus. Charla stand mit ängstlichem Gesichtsausdruckneben der Tür.Kirby ließ Betsy im Gang schweben, kehrte zurück


<strong>in</strong> <strong>die</strong> Kab<strong>in</strong>e und holte <strong>die</strong> Bleikugel aus der Luft. Ernahm sie mit <strong>in</strong> den Korridor, zielte genau auf Charlasmakellose Stirn und gab dem w<strong>in</strong>zigen StückchenBlei e<strong>in</strong>en Stoß. Dann g<strong>in</strong>g er zu Joseph, bog se<strong>in</strong>enArm so herum, daß <strong>die</strong> Pistole auf se<strong>in</strong>e Stirn zielte,und drückte den F<strong>in</strong>ger auf den Abzug. Dann zerrteer Betsy nach oben und aus dem Schiff. Draußen war<strong>die</strong> Dunkelheit here<strong>in</strong>gebrochen. Im Sche<strong>in</strong> der <strong>rote</strong>n<strong>Welt</strong> wirkte sie unheimlich.Kirby stolperte vor Müdigkeit, als er Betsy über dasDock schob. Im Schatten e<strong>in</strong>es Baumes stellte er sieab. Er warf e<strong>in</strong>en Blick auf <strong>die</strong> Uhr. Noch e<strong>in</strong> paarM<strong>in</strong>uten. Als er den F<strong>in</strong>ger auf das Rädchen legte,wußte er, daß es e<strong>in</strong> Abzugshahn war. Sie ver<strong>die</strong>ntenden Tod. Und doch hatte er das Gefühl, daß er mitihnen zugrunde gehen würde, wenn er sie tötete.Weshalb sollte er das Höchste Gericht spielen?Plötzlich spürte er trotz se<strong>in</strong>er Müdigkeit e<strong>in</strong>e wildeFreude. Bonny Lee war frei. Wilma befand sich <strong>in</strong>Sicherheit. Betsy war gerettet. Die <strong>Welt</strong> war wiederneu. Er drehte sich um und rannte, so schnell erkonnte, durch das rötliche Dunkel. Er g<strong>in</strong>g zurück <strong>in</strong><strong>die</strong> Jacht. Die Bleikugel berührte <strong>die</strong> helle Stirn. Er rißsie weg und warf sie <strong>in</strong> <strong>die</strong> Flammen. Er zog den Pistolenlaufvon Josephs Schläfe und trat <strong>in</strong> dem Momentzur Seite, <strong>in</strong> dem <strong>die</strong> <strong>rote</strong> Zeit um war.Die Pistole krachte, <strong>die</strong> Flammen knisterten, undCharlas Miene verriet Besorgnis. Kirby tauchte vonneuem <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>rote</strong> <strong>Welt</strong>. Er sah <strong>die</strong> beiden jetzt mitden gleichen Augen an wie se<strong>in</strong> Onkel. LächerlichesVolk. Sie ver<strong>die</strong>nten so etwas Dramatisches wie denTod nicht. Im Tod lag zuviel Würde. Mit Hilfe derUhr konnte er e<strong>in</strong>e geeignetere Strafe f<strong>in</strong>den. Doch im


Moment war er zu erschöpft, um etwas zu unternehmen.Er suchte sich e<strong>in</strong>e Kab<strong>in</strong>e und streckte sich aufder Koje aus. Er stellte <strong>die</strong> Uhr e<strong>in</strong>e Stunde zurückund legte sich e<strong>in</strong>en schweren Aschenbecher e<strong>in</strong> paarZentimeter über <strong>die</strong> Brust.Er erwachte sehr erfrischt, hielt <strong>die</strong> echte Zeit vonneuem an und überlegte, was er mit Charla und Josephtun konnte. Er schleppte Charla von der Jachtund über <strong>die</strong> Docks, bis er an der Straßenkreuzungstand. Ratlos sah er sich um. Und dann hatte er e<strong>in</strong>eE<strong>in</strong>gebung. Vor der Ampel stand e<strong>in</strong> großer Armee-Laster. An <strong>die</strong> dreißig Mann saßen auf den Bänkendes Anhängers. Sie waren ke<strong>in</strong>e Rekruten, das sahman ihnen an. Ihre verwitterten, braungebranntenGesichter verrieten, daß sie auch mit den ungewöhnlichstenSituationen fertig wurden.Langsam und vorsichtig schälte er Charla aus ihremBademantel. Noch e<strong>in</strong>mal warf er e<strong>in</strong>en bedauerndenBlick auf <strong>die</strong> glatte, helle Haut. Dann schob ersie <strong>in</strong> den Lastwagen und legte sie quer über <strong>die</strong> Knievon fünf Soldaten. Die Männer saßen gelangweilt da,ohne etwas von ihrer Last zu ahnen.Es hatte zwanzig M<strong>in</strong>uten gedauert, bis er Charlauntergebracht hatte. Nun holte er Joseph. Der Spanierwar nicht nur schwerer, es bereitete Kirby auch Kopfzerbrechen,wo er ihn plazieren sollte.Wiederum <strong>in</strong>spirierte ihn <strong>die</strong> Straßenkreuzung.Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich e<strong>in</strong>eCocktailbar, und sie war gut besucht. Kirby g<strong>in</strong>gdurch <strong>die</strong> Räume, bis er e<strong>in</strong>e größere Speisekammerentdeckte. Die Tür war nur angelehnt. Er wählte vonden Besucher<strong>in</strong>nen des Lokals drei reife Damen ohneEher<strong>in</strong>g aus. Sie wirkten kräftig und zielbewußt.


Nache<strong>in</strong>ander brachte er sie <strong>in</strong> <strong>die</strong> Kammer und entkleidetesie. Das gleiche machte er mit Joseph, unddann verschloß er <strong>die</strong> Tür.Er g<strong>in</strong>g zurück zu Betsy. Dann erst schaltete er <strong>die</strong>Normalzeit wieder e<strong>in</strong>.Betsy drehte sich um und stieß e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Schreiaus. »Daran werde ich mich nie gewöhnen können.Aber – es hat funktioniert.«Er warf e<strong>in</strong>en Blick auf <strong>die</strong> Kreuzung. Die Ampelschaltete auf Grün. Der Armee-Laster fuhr langsaman. Vom Meer her kam e<strong>in</strong>e dunkle Rauchwolke. Sirenenklangen auf.»Es hat funktioniert«, sagte er.»Wir wären um e<strong>in</strong> Haar verbrannt oder ermordetworden, und du stehst da und gr<strong>in</strong>st wie e<strong>in</strong> Idiot!Was ist denn los mit dir?« Sie trat näher an ihn heran.»Hast du sie umgebracht?«»Ne<strong>in</strong>.«»Weshalb nicht?«Er fand, daß ihr Mund e<strong>in</strong>en häßlichen Zug angenommenhatte. Sie befanden sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Park, wo sievor neugierigen Blicken geschützt waren. Ihr feuchterorange Coverall roch nach Rauch. Ihr Haar h<strong>in</strong>g wirr<strong>in</strong> <strong>die</strong> Stirn, und sie hatte Rußflecken im Gesicht.»Um ehrlich zu se<strong>in</strong>, zuerst wollte ich es tun.«»Du Idiot! Halte sofort alles an! Geh zurück undbr<strong>in</strong>ge sie um. Wer wird es je beweisen können? Dumußt sie töten. Sie werden niemals aufgeben, solangesie leben.«Er sah sie genau an. Und er dachte daran, daß erbe<strong>in</strong>ahe das getan hätte, was sie vorschlug. Aberdann wäre se<strong>in</strong> Leben verändert gewesen. Und erhätte nie mehr Freude am Stillstehen der Zeit emp-


f<strong>in</strong>den können. Bonny Lee hatte das <strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktiv verstanden.E<strong>in</strong> Mord hätte <strong>die</strong> Uhr zu e<strong>in</strong>em Instrumentdes Vorwurfs gemacht – denn der Besitzer der Uhrhatte es nicht nötig, andere Menschen zu töten.»Betsy, Charla und Joseph s<strong>in</strong>d im Moment so beschäftigt,daß sie sich gar nicht um uns kümmmernkönnen.«»Beschäftigt?«»Tante Charla macht sich e<strong>in</strong>en vergnügten Abendper Auto, und Joseph schließt neue Bekanntschaften.«»Du tust, als wäre das alles e<strong>in</strong> Witz!« sagte siewütend.Er hörte Männer auf den Docks rufen. Die Feuerwehrenfuhren auf. Er nahm Betsy am Arm und brachtesie weg. Sie hielten sich an Seitenwege, <strong>die</strong> im Schattenlagen. Als sie <strong>in</strong> <strong>die</strong> Nähe e<strong>in</strong>es Geschäftsviertelskamen, ließ er sie im Schatten e<strong>in</strong>es Ladens stehenund versetzte sich <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>rote</strong> <strong>Welt</strong>. Er entdeckte e<strong>in</strong>Geschäft, das noch geöffnet hatte, und trat e<strong>in</strong>. Dr<strong>in</strong>nenwählte er sorgfältig <strong>die</strong> leichtesten Sandalen, <strong>die</strong>er f<strong>in</strong>den konnte, und streifte sie über. Dann suchte erKleider für Betsy und sich aus, packte sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>enleichten Koffer und hievte ihn <strong>in</strong>s Freie. Er hatte nurSachen genommen, wenn niemand <strong>in</strong> der Nähe stand.Er wußte, daß es unethisch war, <strong>die</strong> anderen Menschenzu erschrecken. Bei Charla und Joseph hatte er <strong>die</strong>sesKonzept durchbrochen. Aber <strong>die</strong> Soldaten würdensich kaum Gedanken über <strong>die</strong> Herkunft des unerwartetenGeschenks machen. Und <strong>die</strong> Damen, <strong>die</strong> erzu Joseph <strong>in</strong> <strong>die</strong> Speisekammer gebracht hatte, warensicher zu sehr mit subjektiven D<strong>in</strong>gen beschäftigt, umsich über <strong>die</strong> objektive Lage zu wundern.Betsy zog sich h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong> paar Büschen im Park um


und wusch sich das Gesicht an e<strong>in</strong>em Tr<strong>in</strong>kbrunnen.Charlas feuchten Anzug ließ sie e<strong>in</strong>fach liegen.Dann w<strong>in</strong>kte er e<strong>in</strong> Taxi heran und gab dem Fahrere<strong>in</strong>e Adresse <strong>in</strong> der Nähe des Birdl<strong>in</strong>e an. Betsy g<strong>in</strong>galle<strong>in</strong> <strong>in</strong>s Hotel und mietete unter falschem Namene<strong>in</strong> Zimmer. Kirby wartete zehn M<strong>in</strong>uten, hielt dann<strong>die</strong> Zeit an und betrat ebenfalls das Hotel. Er sah imRegister nach, daß sie Zimmer 305 bekommen hatte.Er g<strong>in</strong>g nach oben. Die Tür war angelehnt, wie sie esvere<strong>in</strong>bart hatten. Als er vor ihr auftauchte, erschraksie nicht e<strong>in</strong>mal. Er schloß <strong>die</strong> Tür und me<strong>in</strong>te: »Dubeherrschst dich gut.«»Ich glaube, ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>fach zu müde, um noch zureagieren. Wie fühlst du dich eigentlich, wenn du <strong>die</strong>Zeit anhältst?«»Es ist alles ganz still und reglos. Es ist wie e<strong>in</strong>sonderbarer Traum.«»Kommst du dir dabei böse vor? Oder ist das e<strong>in</strong>eidiotische Frage?«»Ne<strong>in</strong>, durchaus nicht. Es könnte böse se<strong>in</strong>. Ichglaube, es kommt darauf an, wer den Mechanismusbenutzt. Man kann se<strong>in</strong>e Träume verwirklichen. Mangenießt absolute Freiheit. Und wenn <strong>die</strong> Träumekrankhaft s<strong>in</strong>d, kann man sie ebenso wahr machen.Es ist e<strong>in</strong>e Macht wie jede andere. Aber ich hatte nochnicht viel Zeit, um über <strong>die</strong>se D<strong>in</strong>ge nachzudenken.Und ich habe auch jetzt wenig Zeit. Ich muß e<strong>in</strong> Mädchensuchen. Du dürftest hier sicher se<strong>in</strong>.«»Irgende<strong>in</strong> Mädchen?«»Ne<strong>in</strong>.«»De<strong>in</strong> Gesicht ist schmutzig.«»Ich werde so frei se<strong>in</strong> und de<strong>in</strong>e Dusche benutzen.«»Natürlich. Fang ruhig an.«


Er nahm e<strong>in</strong>e Dusche und zog <strong>die</strong> gestohlenenKleider an. Als er <strong>in</strong> <strong>die</strong> Tasche der alten Hose fuhr,war <strong>die</strong> Uhr verschwunden. Er sah Betsy an. Sie saßzusammengekauert auf dem Bett und starrte denZeiger an. »Ich hatte nicht den Mut«, flüsterte sie.»Was wolltest du tun?«»Bitte, sei mir nicht böse. Ich wollte es nur versuchen.Aber ich schaffte es nicht. Vielleicht hatte ichAngst vor me<strong>in</strong>en eigenen Träumen. Sie – s<strong>in</strong>d nichtbesonders schön.« Sie sah ihn trotzig an. »Ich hätte sieumgebracht.«»Ich weiß.«»Du hattest ebenso viele Gründe wie ich. Aber duhast es nicht getan. Vielleicht hast du das Recht, <strong>die</strong>Uhr zu benützen – und ich nicht.«»Du warst so vernünftig, es nicht zu versuchen.Das ist schon viel.«Sie stand seufzend auf und lehnte sich an ihn. Erküßte sie flüchtig.»Kommst du hierher zurück?« fragte sie.»Ich weiß nicht. Ich lasse dir auf alle Fälle Geldhier. Und ich werde dich anrufen.«Als sie zu ihm aufsah, waren ihre Augen weicherals sonst. Ihr Haar roch immer noch nach Rauch. »Ichhabe dir viel zu verdanken«, sagte sie. »Wenn du e<strong>in</strong>malnicht weißt, was du tun sollst, kannst du e<strong>in</strong> neurotisches,aber sehr dankbares Mädchen besuchen.«»Betsy, du bist sehr lieb, aber im Moment solltestdu dich lieber h<strong>in</strong>legen und schlafen.«»Schon gut.« Sie seufzte und berührte lächelnd se<strong>in</strong>eWange. »Geh, und such de<strong>in</strong> Mädchen.«*


Zwei Straßenzüge vom Hotel entfernt erbeutete er e<strong>in</strong>eVerkleidung, <strong>die</strong> ihn im nächtlichen Miami völligunauffällig machen mußte. Er erbeutete sie von e<strong>in</strong>emMann, der nicht mehr merkte, was mit ihm geschah.Kirby zog sich um und betrachtete sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emSchaufenster. E<strong>in</strong> billiger Derby-Hut, e<strong>in</strong> knall<strong>rote</strong>rPlastikstock und e<strong>in</strong> riesiges rundes Abzeichenmit e<strong>in</strong>er Menge Schleifen und der Aufschrift: »Ed<strong>die</strong>Beeler – Lubbock, Texas. Reserve hat Ruh'!« Er rülpstese<strong>in</strong> Spiegelbild an und nickte befriedigt.Dann w<strong>in</strong>kte er e<strong>in</strong> Taxi herbei und ließ sich zumRio br<strong>in</strong>gen.»Du hast wohl noch nicht genug, Kumpel, was?«fragte der Fahrer.»Die Kameraden warten auf mich.«»Na ja, ist mir egal. Wenn ihr anschließend noch stehenkönnt, br<strong>in</strong>ge ich euch zu e<strong>in</strong> paar schicken Puppen.«Der Mann fuhr los und schaltete das Radiogeräte<strong>in</strong>. »... das gleiche Schiff, das <strong>in</strong> <strong>die</strong> Affäre KirbyW<strong>in</strong>ter verwickelt war. Durch das schnelle E<strong>in</strong>greifender Hafen-Feuerwehr wurde größerer Schaden verh<strong>in</strong>dert.Brandstiftung kann nicht ausgeschlossen werden,doch <strong>die</strong> drei Mannschaftsmitglieder, <strong>die</strong> sich zur Zeitdes Unglücks an Bord befanden, konnten ke<strong>in</strong>erlei Auskunftgeben. Bis jetzt konnte <strong>die</strong> Polizei weder MißBetsy Alden, <strong>die</strong> Insass<strong>in</strong> der ausgebrannten Kab<strong>in</strong>e,noch <strong>die</strong> Schiffsbesitzer<strong>in</strong> Mrs. O'Rourke ausf<strong>in</strong>dig machen.Während das Feuer bekämpft wurde, verhafteteman den Mitbesitzer der Jacht, Mister Joseph Locordolos,<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Cocktailbar. Er hatte sich <strong>in</strong> äußerstschamloser Weise drei Besucher<strong>in</strong>nen des Lokals genähertund war von ihnen bis zum E<strong>in</strong>treffen der Polizei


festgehalten worden. Er erlitt e<strong>in</strong>en Nervenzusammenbruchund konnte bisher noch nicht vernommen werden.E<strong>in</strong> weiterer geheimnisvoller Faktor ist <strong>die</strong> Festnahmevon René Bichat und Raoul Feron, zwei Besatzungsmitgliedernder Glorianna. E<strong>in</strong> anonymer Anruferschickte <strong>die</strong> Polizei <strong>in</strong> das Haus von ProfessorWellerly, wo <strong>die</strong> beiden Männer gefesselt aufgefundenwurden. Sie verweigerten jede Auskunft.Allem Ansche<strong>in</strong> nach hielt sich Wilma Farnham e<strong>in</strong>eZeitlang im gleichen Hause auf. Professor Wellerlybef<strong>in</strong>det sich zur Zeit mit se<strong>in</strong>er Familie auf e<strong>in</strong>er Europareise,und er ist mit Professor Roger Farnham,dem Bruder der gesuchten Wilma Farnham, eng befreundet.Professor Farnham bestreitet allerd<strong>in</strong>gs, etwasüber den Verbleib se<strong>in</strong>er Schwester zu wissen.Ungeklärt ist bisher auch <strong>die</strong> Anwesenheit e<strong>in</strong>es Sportwagens,der h<strong>in</strong>ter Wellerlys Haus gefunden wurdeund auf <strong>die</strong> Nachtklubsänger<strong>in</strong> Bonny Lee Beaumontaus Miami versichert ist. Bis jetzt gelang es der Polize<strong>in</strong>icht, Verb<strong>in</strong>dung mit Miß Beaumont aufzunehmen.Man nimmt allgeme<strong>in</strong> an, daß zwischen den Inhabernder Glorianna und Kirby W<strong>in</strong>ter doch e<strong>in</strong> engererZusammenhang bestand, als man anfänglich glaubte.Doch das Geheimnis um <strong>die</strong> verschwundenen MillionenOmar Krepps' verdichtet sich immer mehr.«Die Nachrichten waren zu Ende. Der Fahrerschüttelte den Kopf. »Diese Polizei ist und bleibtdämlich. Dieser W<strong>in</strong>ter wollte eben mit se<strong>in</strong>em Mädelauf der Glory Annie abhauen, mitsamt den Moneten.Aber bei dem vielen Geld versuchte sich jeder e<strong>in</strong>emöglichst dicke Scheibe abzuschneiden, und da gab'sam Ende Krach. Ist das so schwer zu erraten?«


»Aber wo s<strong>in</strong>d sie jetzt?«»Wer soll das wissen, Kumpel? In unserer Stadtgibt es e<strong>in</strong>e Million von Zimmern für Durchreisende.Wie soll man da e<strong>in</strong>en f<strong>in</strong>den? Noch dazu, wo <strong>die</strong>ganze Stadt verrückt spielt. Nackte Weiber amStrand, Verkehrsstauungen, Gespenster. Wenn Siemich fragen, das macht <strong>die</strong> Feuchtigkeit und <strong>die</strong> Hitze.Ich habe das schon mehr als e<strong>in</strong>mal erlebt.«Als sie am Rio waren, sagte Kirby dem Fahrer, daßer nicht warten solle. Das Gebäude sah aus wie e<strong>in</strong>eKreuzung aus Mount Vernon und e<strong>in</strong>er Pagode. DasGanze hatte man anschließend zugenagelt und alsTesth<strong>in</strong>tergrund für Neonröhren verwendet.Die Neonröhren flackerten über drei Sperrholzmädchen,<strong>die</strong> m<strong>in</strong>destens zehn Meter hoch aufragten.Die erste war e<strong>in</strong>e Brünette namens Perry Mason. Diemittlere war Bonny Lee. Die dritte hatte den fürchterlichenNamen Pooty-Tat O'Shaugnessy. Alle drei lächelten.Sie trugen ke<strong>in</strong>e Kleider. An den strategischenPunkten stand <strong>in</strong> Leuchtschrift ihr Name. Kirbywar entrüstet. Er fühlte sich wie e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Junge, derse<strong>in</strong>e Schokolade mit der ganzen Klasse teilen mußte.Als er <strong>die</strong> Tür öffnete, schlug ihm e<strong>in</strong> solcher Lärmentgegen, daß er e<strong>in</strong>en Schritt nach rückwärts tat. Erschwankte durch den Garderobenraum, ohne denkomischen Hut und den Stock abzugeben, und betratden halbdunklen Saal. Kellner hetzten durch <strong>die</strong>schmalen Lücken zwischen den Tischen. Alle schienenzu schreien, um sich über den Lärm der Bandverständigen zu können. Die Twist-Version von»Smoke Gets <strong>in</strong> your Eyes« war ohrenbetäubend. DieHälfte der Anwesenden brüllten im Rhythmus: »Go!«Am anderen Ende des Raumes, angestrahlt von


Sche<strong>in</strong>werfern, stand Miß Pooty-Tat O'Shaugnessyauf e<strong>in</strong>er Plattform. Sie trug e<strong>in</strong> schläfriges Lächeln,e<strong>in</strong>e Bik<strong>in</strong>ihose <strong>in</strong> Feigenblattgröße und zwei Silberquasten.Die Quasten rotierten im Rhythmus desStückes – und zwar jede <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anderen Richtung.»'tschuldigung!« knurrte e<strong>in</strong> Kellner und schobKirby zur Seite. Kirby g<strong>in</strong>g an <strong>die</strong> überfüllte Bar undfand e<strong>in</strong>e w<strong>in</strong>zige Lücke zwischen zwei bulligenKerlen. Die Be<strong>die</strong>nung war schnell, der Whisky miserabelund teuer. Als ihm der Barkeeper das Wechselgeldgab, wollte er ihn nach Bonny Lee fragen, aberder Mann schoß sofort zum nächsten Kunden. Pooty-Tat verschwand von der Bühne.»Sie is' heute nicht hier«, sagte e<strong>in</strong>er der Bullen.»Krach mit den Polypen, hat es geheißen«, me<strong>in</strong>teder andere.»Wie kommt'n das?«»Ihr Wagen war <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e krumme Sache verwickelt.Warum ist sie nicht zur Polizei gegangen und hat gesagt,daß man ihr den Karren geklaut hat? Wenn manvor den Kerlen abhaut, lassen sie e<strong>in</strong>en nie mehr <strong>in</strong>Frieden.«Als der Barkeeper Kirbys leeres Glas erwischte,nahm ihn Kirby am Handgelenk. »Wie kann ich michmit Bonny Lee <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung setzen?«Der Mann machte sich los. »Versuch's mal mit 'nerAnnonce.«Fünf M<strong>in</strong>uten später klopfte ihm jemand auf <strong>die</strong>Schulter. Er drehte sich um und sah e<strong>in</strong>en Kellner mitdem Gesicht e<strong>in</strong>er müden Bulldogge. Der Mannmachte e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Kopfbewegung, und Kirby folgteihm. Zehn Schritte von der Bar entfernt blieb er stehen.


»Wir machen e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Spiel, ja? Ich sage dir e<strong>in</strong>enVornamen, und du nennst mir den Nachnamen.Bernie?«Kirby starrte ihn verständnislos an. Als der Altesich achselzuckend abwandte, sagte er plötzlich:»Sabbith!«»Hätte schneller se<strong>in</strong> können. Komm mit.«Kirby folgte ihm durch e<strong>in</strong>e Küche zu e<strong>in</strong>em Korridormit vielen Türen. Der Kellner klopfte an e<strong>in</strong>e davon.»Ja?« fragte e<strong>in</strong>e helle Stimme.»Ich b<strong>in</strong> es, Raymond. Ich habe den Kerl, den dusuchst.«»Laß ihn here<strong>in</strong>, Freund. Und vielen, vielen Dank.«Raymond öffnete <strong>die</strong> Tür. Kirby betrat e<strong>in</strong>en unglaublichvollgestopften Raum, der von e<strong>in</strong>er grellenNeonröhre erhellt wurde. Pooty-Tat saß auf e<strong>in</strong>erschäbigen Couch, umgeben von Unterwäsche, Zeitschriften,leeren Cola-Flaschen, Schallplatten und anderemUnrat. Sie trug e<strong>in</strong>en blauen Kittel.»Setzen Sie sich.« Er setzte sich auf den Schm<strong>in</strong>khocker.Das Mädchen hatte e<strong>in</strong>e unangenehm exakteenglische Stimme.»Ehrlich gesagt, me<strong>in</strong> Freund, so e<strong>in</strong>e Aufmachunghatte ich nicht erwartet. Aber <strong>die</strong> kle<strong>in</strong>e Narbe saßgenau da, wo sie se<strong>in</strong> sollte. Nehmen Sie doch denverrückten Hut ab, Mister W<strong>in</strong>ter.«»Geht es ihr gut?«»Das haben Sie hübsch gesagt. Soweit ich es beurteilenkann, geht es ihr blendend.«»Wo ist sie?«»Alles der Reihe nach, Mister W<strong>in</strong>ter. Ich habe vielüber Sie nachgedacht. Wir mögen Bonny Leeschrecklich gern. Wenig Ausbildung natürlich, aber


e<strong>in</strong>en großartigen Inst<strong>in</strong>kt. Manchmal allerd<strong>in</strong>gs verläßtsie <strong>die</strong>ser Inst<strong>in</strong>kt, und dann landet sie bei irgende<strong>in</strong>emMistkerl. Dann tun wir, was wir können.Sie verstehen ...«»Ich würde gern wissen, wo sie ...«»S<strong>in</strong>d Sie ganz sicher, daß Sie ihr Glück br<strong>in</strong>gen,Mister W<strong>in</strong>ter? Sie sche<strong>in</strong>en sie bereits <strong>in</strong> e<strong>in</strong> paardumme Sachen verwickelt zu haben. Und Sie brauchenim Moment noch mehr Hilfe als Bonny Lee. Ichweiß nicht viel über <strong>die</strong> ganze Angelegenheit, aberSie sche<strong>in</strong>en doch über e<strong>in</strong>e Menge Geld zu verfügen?Sehen Sie mich nicht so ängstlich an, ich verrateSie nicht.«»Ich wollte Bonny Lee nicht <strong>in</strong> Schwierigkeitenbr<strong>in</strong>gen.«»Sie s<strong>in</strong>d tatsächlich so harmlos, wie Sie aussehen.Hören Sie, ich stand eben auf, als sie mich anrief. Ichmußte sie am Strand abholen. Sie stand tropfnaß <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em Drugstore am Telefon und mußte immer wiedere<strong>in</strong>en aufdr<strong>in</strong>glichen kle<strong>in</strong>en Angestellten abwimmeln.Aber sie nahm sich nicht e<strong>in</strong>mal <strong>die</strong> Zeitzum Umziehen. Sie hatte schreckliche Angst um Sie.Ich konnte ihr gar nicht schnell genug se<strong>in</strong>. Wir fuhrenzur Bodybuild<strong>in</strong>g-Schule, und ich holte drei me<strong>in</strong>erFreunde ab. Wissen Sie, ich habe e<strong>in</strong> lächerlichesFaible für muskulöse Männer. Sie s<strong>in</strong>d doof wie Ochsenund langweilige Sexpartner, aber manchmal kannman sie ganz gut gebrauchen, wenn es nach Raufereiriecht. Wir fuhren also nach Hallandale. Als wir ankamen,wimmelte es von Polypen. Ich parkte e<strong>in</strong>enStraßenblock entfernt und schickte me<strong>in</strong>en klügstenOchsen h<strong>in</strong>, damit er <strong>die</strong> Polypen aushorchte. Erkonnte weder Sie noch <strong>die</strong>ses andere Mädchen ent-


decken, von dem Bonny Lee gesprochen hatte. Nurzwei ziemlich ord<strong>in</strong>äre Typen, <strong>die</strong> <strong>in</strong> den Polizeiwagenverfrachtet wurden. Ich schickte also me<strong>in</strong>eFreunde zurück zu ihren Muskelübungen. Bonny Leeüberlegte, was sie mit ihrem Sunbeam machen sollte,der immer noch am Haus stand. Sie hatte sich beruhigtund schien sich sogar über etwas zu amüsieren.Ich brachte sie zu ihrer abscheulichen Bude bei denalten Weibern, aber ganz plötzlich duckte sie sich undzischte mir zu, ich sollte nach rechts abbiegen. Zweiwiderliche Kerle standen auf der Straße. Offenbarwaren es <strong>die</strong> gleichen, denen sie am Kanal entwischtwar. Sie wollte mich dazu überreden, noch e<strong>in</strong>malme<strong>in</strong>e Freunde zu holen und sie den beiden Typengegenüberzustellen, aber ich muß gestehen, daß mirdas H<strong>in</strong> und Her allmählich reichte. Ich setzte sie <strong>in</strong>me<strong>in</strong>er Wohnung ab, damit sie endlich ihr nassesZeug ausziehen konnte.«»Ist sie jetzt dort?«»Sie s<strong>in</strong>d aber ungeduldig. Sie wollte zur Arbeitkommen, bis wir <strong>in</strong> den Nachrichten hörten, daß <strong>die</strong>Polizei sich gern mit ihr unterhalten hätte. Anfangshatte sie sogar <strong>die</strong> Absicht, sich zu stellen und alleszu erklären, aber je mehr sie darüber nachdachte, destomehr zögerte sie. Sie hatte Angst, daß man siefesthalten könnte und daß Sie dann etwas Idiotischesversuchen würden. Sie war überzeugt davon, daß Sienach ihr suchen würden. Als ich e<strong>in</strong> paar leise Zweifeläußerte, wurde sie ziemlich giftig. Wir vere<strong>in</strong>bartendann, wie ich Kontakt mit Ihnen aufnehmen sollte,wenn Sie hierherkämen.«E<strong>in</strong> gedämpftes Trampeln und Pfeifen drang vomSaal here<strong>in</strong>. Miß O'Shaugnessy hielt den Kopf schräg.


»Diese Perry! An der Stelle ihrer Vorführung bekommtsie immer Sonderapplaus. Das K<strong>in</strong>d ist ungeheuerbeweglich.«»Ich muß unbed<strong>in</strong>gt Bonny Lee sprechen.«»Natürlich müssen Sie, und ich hätte Sie postwendend<strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Wohnung geschickt, wenn Sie früherangekommen wären. Aber es ist jetzt nach elf, undum elf kommt e<strong>in</strong> lieber Freund zu mir, e<strong>in</strong> Riese vone<strong>in</strong>em Piloten mit den erstaunlichsten Muskeln, <strong>die</strong>Sie je gesehen haben. Der arme Kerl hat gerade Verstandgenug, um se<strong>in</strong>e Knöpfchen im Flugzeug zubetätigen, aber <strong>die</strong> Anwesenheit von Bonny Lee <strong>in</strong>me<strong>in</strong>er Wohnung wäre zu verwirrend für se<strong>in</strong>e Gehirnw<strong>in</strong>dungen.So haben wir vere<strong>in</strong>bart, daß sie vorelf verschw<strong>in</strong>den würde. Sie hat me<strong>in</strong>en Wagen unde<strong>in</strong> paar Kleider von mir, und sie wird um Mitternacht<strong>in</strong> Bernie Sabbiths Apartment warten. Sie hofft,daß Sie h<strong>in</strong>kommen, andernfalls möchte sie Bernieund se<strong>in</strong>e Schar um Hilfe bitten. Ich persönlich b<strong>in</strong>der Me<strong>in</strong>ung, daß Bernie <strong>die</strong> Verwirrung nur verschlimmernkann, aber das ist vielleicht <strong>in</strong> Ihrem Fallnicht das Schlechteste. Wissen Sie übrigens, daß Sieke<strong>in</strong> Auge von me<strong>in</strong>em Sandwich gelassen haben?«Sie g<strong>in</strong>g zurück <strong>in</strong> <strong>die</strong> Küche. Nach e<strong>in</strong> paar M<strong>in</strong>utenkehrte sie zurück und brachte e<strong>in</strong> Sandwich unde<strong>in</strong>e Tasse Kaffee mit.»Hat Bonny Lee e<strong>in</strong>e ähnliche – äh – Nummer wieSie, Miß O'Shaugnessy?«»Ich heiße <strong>in</strong> Wirklichkeit Lizbeth, me<strong>in</strong> Lieber.Lizbeth Perk<strong>in</strong>s. Sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> ziemlich prüder Typ,was? Und wenn sie nun e<strong>in</strong>e ähnliche Nummer vorführt?Wäre sie Ihnen dann weniger wert?«»Ich habe ja nur gefragt«, sagte er verlegen.


»Ke<strong>in</strong>e Angst, me<strong>in</strong> Lieber. Je weniger man kann,desto mehr muß man ausziehen. Ihre Herzallerliebstehat e<strong>in</strong>e großartige Stimme, und <strong>die</strong>se Bongos gel<strong>in</strong>genihr mit jedemmal besser. Wahrsche<strong>in</strong>lich habenSie <strong>die</strong> Bilder draußen verwirrt, nicht wahr? BonnyLee hat sich auch schon darüber beschwert. Aber esg<strong>in</strong>g ihr nicht um das bißchen nackte Haut, me<strong>in</strong> Lieber,sondern um den Ruf. Sie wollte nicht als Stripteasegirl,sondern als Sänger<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gestuft werden. IhrMänner werdet eure puritanischen Skrupel e<strong>in</strong>fachnicht los. Ich kann ke<strong>in</strong>en Ton s<strong>in</strong>gen, und als K<strong>in</strong>dbekam ich Ballettstunden – aber wer hat schon malvon e<strong>in</strong>er Primaballer<strong>in</strong>a mit den Maßen 102–62–95gehört? Diese Idioten da draußen haben ke<strong>in</strong>e Ahnung,welche Sch<strong>in</strong>derei es bedeutet, se<strong>in</strong>e Muskelnso zu üben, daß man sie vollkommen beherrscht.Gewiß, Mister W<strong>in</strong>ter, es ist ke<strong>in</strong>e Fähigkeit von historischerBedeutung, aber es macht den Leuten Spaß,sichert mir e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>kommen und gibt mir e<strong>in</strong>e erstaunlicheGesundheit. Ich f<strong>in</strong>de es nicht schlimmer,als wenn man sich se<strong>in</strong>en Lebensunterhalt durchBaseballspielen ver<strong>die</strong>nt. Du liebe Güte, hoffentlichhat sich Bonny Lee nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Moralistenverknallt ...«»Ich wollte nicht ...«»Ich möchte Ihnen nur beibr<strong>in</strong>gen, Bonny Lee mitden richtigen Augen zu sehen. Sie ist e<strong>in</strong> lieber Kerl,ehrlich, fröhlich und sehr gefühlvoll. Und Sie müssensich an ihr freuen, so wie Sie sich an e<strong>in</strong>em Gartenoder an der Sonne freuen. Wenn Sie versuchen, sie <strong>in</strong>e<strong>in</strong> passenderes Schema zu pressen, wird sie Ihnendas Herz brechen. Sie ist noch so schrecklich jung. Inmancher H<strong>in</strong>sicht vielleicht frühreif, aber sonst viel


zu jung. Könnte se<strong>in</strong>, daß sie e<strong>in</strong>es Tages berühmtwird, wenn Kerle wie Sie ihr ke<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derwertigkeitskomplexee<strong>in</strong>jagen.«»Ich glaube, ich verstehe, was Sie me<strong>in</strong>en.«»Hoffentlich. Wenn ich nicht geahnt hätte, daß e<strong>in</strong>paar Fähigkeiten <strong>in</strong> Ihnen stecken, hätte ich me<strong>in</strong>eZeit und me<strong>in</strong>e Worte gar nicht an Sie verschwendet.«»Ich b<strong>in</strong> nicht sehr – erfahren mit Mädchen, Lizbeth.«»Um so besser. Erfahrene Männer gehen immernach dem gleichen Schema vor. Sie führen sich auf,als täten sie uns Mädchen e<strong>in</strong>en Riesengefallen. Ichmag es, wenn sich Männer dankbar zeigen, und dastun <strong>die</strong> wenigsten. Ich habe es satt, mit e<strong>in</strong>em Cellooder Sportwagen verwechselt zu werden. Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>eziemlich direkte Frau, Mister W<strong>in</strong>ter, und Liebe sollfür mich etwas Direktes und Behagliches se<strong>in</strong>, ke<strong>in</strong>eAnstrengung. Machen Sie sich ke<strong>in</strong>e Sorgen wegenIhrer Unerfahrenheit. Ich kann mir denken, daß BonnyLee es süß f<strong>in</strong>det. Und grübeln Sie nicht über ihrefrüheren Verhältnisse nach. Das vergiftet Ihre Phantasieund verdirbt alles. Bonny Lee wird Ihnen vollkommengehören, solange <strong>die</strong> Beziehung anhält, undmehr können Sie me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach nicht erwarten.«Er stellte <strong>die</strong> leere Tasse ab. »Das ist ja alles sehr<strong>in</strong>teressant, und Sie s<strong>in</strong>d wahrsche<strong>in</strong>lich e<strong>in</strong>e ungewöhnlicheFrau, und vielleicht können Sie nichts dafür,daß Sie so verdammt stachelig tun, aber mirreicht es jetzt bis obenh<strong>in</strong>, dauernd Belehrungen vonFrauen h<strong>in</strong>nehmen zu müssen. Ich habe <strong>die</strong>se vere<strong>in</strong>fachtenkle<strong>in</strong>en Philosophietraktate satt. Zufällig b<strong>in</strong>


ich der Me<strong>in</strong>ung, daß <strong>die</strong> <strong>Welt</strong> etwas komplizierterist. Und mit Ihrer freundlichen Erlaubnis, liebe Lizbeth,werde ich me<strong>in</strong>e eigenen prüden, sentimentalenund verrückten Fehler machen. Ich habe e<strong>in</strong>en Tagwie noch nie im Leben h<strong>in</strong>ter mir, und ich b<strong>in</strong> am allerletztenEnde. Mir ist es egal, ob Sie <strong>die</strong> unmöglichstenMuskeln kreisen lassen oder nicht. Ich machenicht den Versuch, Sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e bestimmte Kategoriee<strong>in</strong>zuordnen, und ich bitte Sie, daß Sie das gleichetun. Vielen Dank, daß Sie Bonny Lee ausgeholfen habenund daß Sie mich verständigt haben. Aber me<strong>in</strong>eAnschauungen und me<strong>in</strong> Verhalten dürften me<strong>in</strong>ePrivatangelegenheit se<strong>in</strong>. Leben Sie wohl. Es tut mirleid, wenn ich Sie gekränkt habe.«Sie sah ihn nachdenklich an und nickte. »Ich wünscheIhnen viel Glück, Mister W<strong>in</strong>ter. Bonny Lee hatsich nicht <strong>in</strong> Ihnen getäuscht.«


13In der Gasse vor Bernie Sabbiths Apartment parktee<strong>in</strong>e Unmenge Wagen. Als Kirby <strong>die</strong> Eisentreppehochstieg, hörte er schallendes Gelächter und dasKlirren von Glas. Die Tür stand e<strong>in</strong> paar Zentimeteroffen. Er klopfte, aber dann sah er e<strong>in</strong>, daß ihn beidem Höllenlärm niemand hören konnte, und trat e<strong>in</strong>fache<strong>in</strong>.Das ganze verrückte Beleuchtungssystem war e<strong>in</strong>geschaltet,und durch <strong>die</strong> verborgenen Lautsprecherkam dröhnende Musik. Man hatte e<strong>in</strong>e Tischbar aufgebaut,und e<strong>in</strong> Mann <strong>in</strong> weißer Jacke mixte unaufhörlichDr<strong>in</strong>ks. Auf den ersten Blick schienen etwafünfzig Personen anwesend zu se<strong>in</strong>, aber dann erkannteer, daß <strong>die</strong> Spiegel <strong>die</strong> Anzahl verdoppelten.Da war e<strong>in</strong>e Gruppe von merkwürdig ähnlichenjungen Männern – alle <strong>in</strong> dunklen Anzügen, mitStrickkrawatten, Buttondown-Hemden und e<strong>in</strong>er ironischhochgezogenen Augenbraue. Sie hielten großeWhiskygläser mit Eiswürfeln <strong>in</strong> den Händen undverbreiteten den Duft von Reklame-Sauberkeit. Dieübrigen jungen Männer wirkten kaum älter, aber siesahen aus, als würden sie ihre Haare selbst schneiden,ihre Kleider aus Altwarensammlungen beziehenund nur, wenn es dr<strong>in</strong>gend nötig war, e<strong>in</strong> Bad imMeer nehmen.Auch <strong>die</strong> Mädchen waren <strong>in</strong> zwei Gruppen geteilt– <strong>die</strong> e<strong>in</strong>en schmal, knochig und <strong>in</strong> elegante Kleidergehüllt; <strong>die</strong> anderen zerrupft, lärmend und sehr orig<strong>in</strong>ellmit Lumpen ausstaffiert. E<strong>in</strong>e dickliche Kle<strong>in</strong>ekam mit Freudenschreien auf ihn zu.


»Mal raten!« kreischte sie. »Du bist e<strong>in</strong> Traditioneller!Du heißt – äh – Ed<strong>die</strong> Beeler. Du hast Actiongehört, o Traditioneller, und du hast sie mit unglaublichemInst<strong>in</strong>kt bis zum Ursprung aller Action verfolgt.Ich, Gretchen Firethorn, werde de<strong>in</strong>e Mentor<strong>in</strong>se<strong>in</strong>, Ed<strong>die</strong>.«»Wer von den Leuten ist Bernie Sabbith?«»Mußt du alles verderben, du Quatschkopf? Da,der dort mit der weißen Jacke. Ne<strong>in</strong>, nicht der Mixer,weiter drüben. Er drückt gerade e<strong>in</strong>e Blond<strong>in</strong>e gegenden Spiegel.«Während Kirby zögerte, erwischte <strong>die</strong> Dicke mite<strong>in</strong>er schnellen Bewegung se<strong>in</strong>en komischen Hut, denStock und das Abzeichen und verschwand kreischend.Er bahnte sich zwischen den Twistern e<strong>in</strong>enWeg zu Bernie Sabbith, der auf <strong>die</strong> halberdrückteBlond<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>flüsterte. Bernie war e<strong>in</strong> großer, eckigerMann, der nur aus Ellbogen und Knöcheln zu bestehenschien.Erst nach e<strong>in</strong>iger Zeit gelang es Kirby, <strong>die</strong> AufmerksamkeitBernies zu erhaschen. »Schön, daß dugekommen bist, Freund. Da drüben ist <strong>die</strong> Bar.« Erwandte sich wieder der Blond<strong>in</strong>e zu.»Haben Sie Bonny Lee Beaumont gesehen?«Bernie drehte sich wieder um. »Bonny Lee! Wo istsie? Hast du sie mitgebracht?«»Ne<strong>in</strong>, ich suche sie.«»Sie ist heute abend nicht hier. Da drüben ist <strong>die</strong>Bar. Be<strong>die</strong>n dich ...«»Sie soll aber um Mitternacht ankommen.«Die Blond<strong>in</strong>e wollte sich aus dem Staub machen.Bernie packte sie und preßte sie wieder gegen denSpiegel. »Freund, du bist bestimmt amüsant, aber im


Moment habe ich ke<strong>in</strong>e Zeit für e<strong>in</strong>e Unterhaltung.Noonan!« E<strong>in</strong>er der dunklen Anzüge kam näher.»Noonan, kümmere dich um <strong>die</strong>sen Conférencier. Ichkann ihn nicht gebrauchen.«Noonan führte Kirby sanft weg. »Mister Sabbithsche<strong>in</strong>t im Augenblick ke<strong>in</strong>e Zeit zu haben, Sir. Worumgeht es? Handelskammer? Presse, Rundfunk,Fernsehen, Talentsuche?«»Ich soll hier e<strong>in</strong> Mädchen treffen.«»Sir, wenn das so abgemacht war, dann sollen Siee<strong>in</strong>es bekommen. Sie dürfen selbst wählen. Ich würdee<strong>in</strong>es unserer Kellerk<strong>in</strong>der vorschlagen, aber wennSie mehr für Modelle schwärmen, dann nehmen Siebesser zwei, Sir. Die Mädchen haben e<strong>in</strong>en so niedrigenEnergiepegel, daß sie sich den letzten Funkendavon für das Lächeln vor der Kamera aufheben.«»Ich me<strong>in</strong>e e<strong>in</strong> bestimmtes Mädchen!« brüllte Kirbyüber <strong>die</strong> Musik h<strong>in</strong>weg. Er machte e<strong>in</strong>e hilflose Geste,und jemand drückte ihm e<strong>in</strong>en Dr<strong>in</strong>k <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand.»Wissen Sie ihren Namen nicht mehr?«»Ich weiß ihn.«»Aber Sie wissen nicht, wie sie aussieht?«»Sie muß herkommen. Ich will auf sie warten.«»Sir, Sie sagen das so feierlich. Das paßt nicht hierher.Heute ist <strong>die</strong> epochale Nacht <strong>in</strong> der kurzen blendendenGeschichte von Parmalon.«»Was?«Noonan schwankte und griff sich ans Herz. »TunSie mir das nicht an, Freund. Parmalon! Sieben Nuancen,sieben Lotionen, sieben geheime Bestandteile, <strong>die</strong>sieben liebenswerten Leben e<strong>in</strong>er schönen Frau.Mensch, Mann, wir s<strong>in</strong>d hier, um zehn tropischeCommercials zu drehen, <strong>die</strong> sämtlichen miesen Haus-


frauen Amerikas das Herz aus dem Leib reißen sollen.«Er tippte Kirby an <strong>die</strong> Brust. »Wissen Sie, werBernie Sabbith ist?«»Ich glaube schon.«»Er ist Top. Absolute Spitze. Wir werden hier umgebenvon unseren Getreuen, vor und h<strong>in</strong>ter der Kamera.Schlaue Agenten, brillante Techniker. Talent,Schönheit, Würde, Geldgier.« Er tippte Kirby wiederan. »Sabbith f<strong>in</strong>g als Texter an. Wissen Sie, was erjetzt ist? Er ist der Texter und der Regisseur und derProduzent. Das feiern wir, Freund. Und Steifheit wirdnicht geduldet. Holen Sie sich e<strong>in</strong>e Puppe, schöpfenSie We<strong>in</strong>, hüpfen Sie herum. Was ist Ihr Fachgebiet,Freund?«Kirby sah ihn schräg an. »Philanthropie.«»Du liebe Güte, schon wieder e<strong>in</strong>e Agentur?«Wieder klirrten Gläser. E<strong>in</strong> sp<strong>in</strong>deldürres Mädchenführte auf dem Bett e<strong>in</strong>en Trampol<strong>in</strong>-Akt vor underntete gelangweilten Beifall. Die nächste Platte warkubanisch, aus der Zeit, als <strong>die</strong> Kubaner noch e<strong>in</strong>fröhliches Volk waren.E<strong>in</strong>e Vision schwebte zu Noonan und Kirby herüber.Sie war e<strong>in</strong>e junge Ingrid, e<strong>in</strong>e jüngere Greta,e<strong>in</strong>e jugendliche Marlene. Sie schwebte dah<strong>in</strong>, als seisie eben erwacht oder als habe sie e<strong>in</strong>e über den Kopfbekommen. Sie hatte große, schräge, verträumteblaugraue Augen, hohle Wangen, fe<strong>in</strong>es goldenesHaar und e<strong>in</strong>en überlangen Hals. Sie schien am Randeder Tränen zu se<strong>in</strong>, und <strong>in</strong> ihrer rauchigen Stimmeklang Herzzerbrechen mit.»Noony«, gurrte sie, »hat der da me<strong>in</strong>en Schm<strong>in</strong>kkoffergebracht?«Noonan g<strong>in</strong>g mit ihr um, als sei sie <strong>die</strong> letzte


Überlebende e<strong>in</strong>er unvorstellbaren Katastrophe.»Ne<strong>in</strong>, Liebl<strong>in</strong>g, tut mir leid. Zeig ihm mal, was dukannst.« Er wandte sich an Kirby. »Wie war dochgleich Ihr Name? Ed<strong>die</strong>? Ed<strong>die</strong>, das hier ist M<strong>in</strong>taBurleigh. Fang an, M<strong>in</strong>ta.«Sie sah Noonan und ihre leeren Hände an undfragte trauernd: »Was soll ich nehmen?« Noonanreichte ihr se<strong>in</strong>e Zigarettendose. Sie drehte sich langsamum und richtete den Blick auf Kirby. Sie hielt <strong>die</strong>Zigarettendose hoch. Sie lächelte Kirby an, und eswar, als sei e<strong>in</strong> Sonnenstrahl durch den schläfrigenNebel gedrungen. »Für <strong>die</strong> siebente E<strong>in</strong>samkeit«,sagte sie mit bebendem Alt. »Parmalon! In derSchmuckkassette für <strong>die</strong> verwöhnte Frau!« Ihre Augenwurden glanzlos, als hätte man <strong>die</strong> elektrischenLichter e<strong>in</strong>es Weihnachtsbaumes ausgeschaltet.»Sei nett zu Ed<strong>die</strong>, Liebl<strong>in</strong>g«, sagte Noonan. »Ichmuß mich um Harry kümmern.«M<strong>in</strong>ta schwankte leicht und sah Kirby an. Die großenAugen schienen e<strong>in</strong>en Moment lang zu schielen.Dann legte sie ihm <strong>die</strong> weiche Wange an <strong>die</strong> Brust.»Okay«, murmelte sie. »Aber mach me<strong>in</strong>e Frisur nichtkaputt.«Bonny Lee erschien h<strong>in</strong>ter M<strong>in</strong>ta und sah Kirby mite<strong>in</strong>em sonderbaren Gesichtsausdruck an. »Na, amüsierstdu dich?«Kirby versuchte sich sanft von M<strong>in</strong>ta zu lösen. Erhatte Angst, ihr etwas zu brechen. »Ich habe hier aufdich gewartet«, erklärte er.»Und dir <strong>die</strong> Zeit vertrieben. Wo hast du denn <strong>die</strong>sesPestopfer aufgegabelt?«M<strong>in</strong>ta drehte sich schwankend um und sah BonnyLee an. »Wo kommen denn all <strong>die</strong> Bauern her?«


Bonny Lee zog langsam <strong>die</strong> geballte Rechte zurück.Kirby entdeckte e<strong>in</strong>en der Snobs <strong>in</strong> dunklem Anzug,der mit geschlossenen Augen zu den late<strong>in</strong>amerikanischenRhythmen h<strong>in</strong> und her schaukelte. Er hobM<strong>in</strong>ta an der zerbrechlichen Taille hoch und lehntesie gegen den Jüngl<strong>in</strong>g. Sie schmiegte sich sofort anse<strong>in</strong>e Brust. Der Mann öffnete nicht e<strong>in</strong>mal <strong>die</strong> Augen.Nach wenigen Sekunden begannen <strong>die</strong> beidenträge zu tanzen.»Genauso war es bei mir, Bonny Lee«, sagte Kirby.»Klar. Und du hast sie festgehalten – für den Fall,daß ich nicht auftauchen sollte.«»Bonny Lee, wir haben soviel zu besprechen, daßwir jetzt nicht mit e<strong>in</strong>er Szene anfangen können. Ichhabe mir große Sorgen um dich gemacht. Wir müssenüberlegen, was wir als nächstes tun wollen.«»Sieht so aus, als wüßtest du es bereits.« Sie warfe<strong>in</strong>en Blick auf <strong>die</strong> Partyteilnehmer. »Mensch, vondenen ist ke<strong>in</strong>e Hilfe zu erwarten. Die s<strong>in</strong>d bereitsh<strong>in</strong>über. Ich begrüße rasch noch Bernie, und dannverdrücken wir uns.«»Mußt du ihn denn überhaupt begrüßen?«»Weshalb nicht? Du tanzt mit jedem Skelett, undich darf nicht mal e<strong>in</strong>en Freund begrüßen?«»Du machst dir e<strong>in</strong> falsches Bild von dem Mädchen,Bonny Lee. Es war überhaupt nichts zwischenuns beiden. Aber ich mache mir ke<strong>in</strong> falsches Bildvon Bernie.«Sie trat e<strong>in</strong>en Schritt näher und funkelte ihn an.»Bernie ist e<strong>in</strong> Freund von mir und nicht mehr alsdas, und ich b<strong>in</strong> es gewöhnt, me<strong>in</strong>e Freunde zu begrüßen,klar?«»Nicht mehr als e<strong>in</strong> Freund! Halte dich daran.«


Er sah ihr nach, wie sie sich durch <strong>die</strong> Tanzendenschlängelte, und setzte e<strong>in</strong>e wütende Miene auf, alsBernie sie umarmte. Dann drehte er sich um und g<strong>in</strong>gzur Tür. Bonny Lee kam ihm nach, stolperte im Gewühlund hielt sich an ihm fest. Er spürte ihre Hand<strong>in</strong> der Seitentasche der Kordjacke. Plötzlich war sieverschwunden und tauchte e<strong>in</strong>en Meter rechts vonihm wieder auf. Sie gab ihm <strong>die</strong> Uhr mit e<strong>in</strong>emfreundlichen Lächeln.Mitten im Saal wurde M<strong>in</strong>ta plötzlich hysterisch.Alle Augen waren auf sie gerichtet, als sie hochsprang,aufschrie, im Kreis herumwirbelte und wildmit den Armen ruderte. Ihre Augen rollten, und <strong>die</strong>Adern an ihrem durchsche<strong>in</strong>enden Hals standen vor.Als ihre Zuckungen allmählich schwächer wurden,drängte Bonny Lee Kirby zur Tür. Während sie <strong>die</strong>Eisentreppe h<strong>in</strong>unterg<strong>in</strong>gen, kicherte sie.»Was hast du angestellt?« fragte er.»Ich habe ihr Eis aus dem Sektkübel <strong>in</strong> <strong>die</strong> Höschengefüllt, me<strong>in</strong> Lieber. Offenbar lebt sie doch noch.Aber sie ist verdammt spillerig.«Lizbeths Wagen, e<strong>in</strong> englischer Ford, war am E<strong>in</strong>gangder Seitenstraße geparkt. Sie stiegen e<strong>in</strong>, undBonny Lee warf sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Arme. »Du hast mirverdammt gefehlt, Liebl<strong>in</strong>g. Oh, <strong>die</strong>se Charla ist e<strong>in</strong>geme<strong>in</strong>es Wesen. Aber sie hat mich nicht erwischt.Und <strong>die</strong> beiden Kerle, <strong>die</strong> sie mir auf den Halsschickte, werden noch lange an mich denken.«»Ich möchte ...«»Man kann <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge der Reihe nach ausbügeln,wenn man sie direkt angeht. Ich habe übrigens schondamit angefangen und mir den Kellner vorgenommen,den du niedergeschlagen hast.«


»Was?«»Er will bei der Polizei <strong>die</strong> Anklage gegen dich zurückziehen,und selbst wenn er es sich anders überlegthaben sollte, nützt ihm das nichts, denn ich habemir das Papier da von ihm unterschreiben lassen.«Er sah sich das Blatt im Sche<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Streichholzflammean. In krakeliger Schrift stand darauf: »DerMann, der mich niederschlug, war an <strong>die</strong> sechzig undglatzköpfig. Ich nannte Mister W<strong>in</strong>ter, weil ich auchmal <strong>in</strong> den Zeitungen stehen wollte.« Darunter waren<strong>die</strong> Unterschriften des Kellners und zweier Zeugen.»Wie hast du das geschafft?«»Ich saß bei Lizbeth herum und wurde immer unruhiger.Als ich von dem Feuer hörte, dachte ich, daß<strong>die</strong> beiden Kerle vielleicht von me<strong>in</strong>er Wohnung verschwundenseien. Ich sah nach, und sie waren tatsächlichweg. Also zog ich mich um, denn LizbethsOberweite sah bei mir komisch aus. Ich holte Geldunter der Matratze vor und g<strong>in</strong>g <strong>in</strong>s Elise. Dort unterhieltich mich mit dem Kellner. Irgendwann imGespräch kam ihm <strong>die</strong> Idee, daß er mit e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>enSumme besser be<strong>die</strong>nt war als mit e<strong>in</strong>em Prozeß, derihm nichts e<strong>in</strong>brachte. Ich gab ihm fünfhundert.Liebl<strong>in</strong>g, ich b<strong>in</strong> überzeugt, daß es sich <strong>die</strong> beidengeldgierigen Polypen auch überlegen würden, wennich mit ihnen reden könnte.«»Allmählich glaube ich, daß du alles kannst.«»Me<strong>in</strong>e Sorge um dich schwand jedenfalls, als michLizbeth mit ihren Muskelprotzen zu dem kle<strong>in</strong>en rosaHaus fuhr und ich sah, daß du verschwunden warst.Aber du hättest me<strong>in</strong>en Wagen mitnehmen sollen.Das hätte weniger Ärger gegeben. Liebl<strong>in</strong>g, du erzählstmir jetzt am besten ganz genau, was passiert


ist, bevor ich auf dumme Gedanken komme. Ich habemir nämlich überlegt, daß du e<strong>in</strong>e Menge Zeit mit<strong>die</strong>ser Wilma verbracht haben könntest.«Sie saßen <strong>in</strong> dem kle<strong>in</strong>en Wagen. Kirby nahm ihreHände und erzählte ihr, was sich ereignet hatte. Alser berichtete, daß er Charla und Joseph doch nichtgetötet hatte, atmete sie erleichtert auf.»Halte mich ganz fest«, sagte sie.»Hätte es viel ausgemacht, wenn ich sie umgebrachthätte?«»Für uns vielleicht nicht«, flüsterte sie. »Wir hättensicher Gründe genug gefunden, um uns zu beruhigen.Aber es wäre e<strong>in</strong>e dreckige Sache gewesen.«»Ich spüre es auch. Aber weshalb?«»Weshalb es dreckig gewesen wäre? Weil sie unsunterlegen s<strong>in</strong>d. Ebensogut könntest du e<strong>in</strong> paar Käferzertreten. Und Menschen s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Käfer. Nichte<strong>in</strong>mal Menschen wie Charla und Joseph. Und wennwir mit dem D<strong>in</strong>g erst e<strong>in</strong>mal jemand umgebrachthaben, könnten wir nie wieder unseren Spaß damithaben. Ich könnte nie wieder e<strong>in</strong>er blöden Ziege Eis<strong>in</strong> <strong>die</strong> Hose tun.«Sie löste sich von ihm und sah ihn an. »Liebl<strong>in</strong>g, dubehandelst <strong>die</strong> Uhr zu feierlich. Wenn du so weitermachst,verbeugen wir uns noch vor dem D<strong>in</strong>g, unddann haben wir das Kommando verloren. Wir wollendoch unseren Spaß damit haben.«»Du glaubst, ich müßte leichts<strong>in</strong>niger se<strong>in</strong>?«»Es würde dir nicht schaden.«»Was hättest du an me<strong>in</strong>er Stelle mit Charla angefangen?«»Hmm. Dem alten Mädchen hätte ich e<strong>in</strong>en ordentlichenSchrecken gegönnt.«


»Wenn ich sie nun ausgezogen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Lastwagenzu Soldaten gesteckt hätte?«Sie küßte ihn rasch. »Wenn du dir solche D<strong>in</strong>geausdenkst, dann machst du Fortschritte.«»Ich habe es übrigens tatsächlich getan.«»Was?«»Und der Lastwagen ist langsam losgefahren.«Sie sprang auf dem Sitz h<strong>in</strong> und her und hielt sich<strong>die</strong> Rippen vor Lachen, besonders, als er ihr JosephsLos schilderte.Doch dann wurde sie wieder ernst. »Abgesehenvon Charla, was ist übrigens aus de<strong>in</strong>en anderenFrauen geworden?«»Wilma ist <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Motel <strong>in</strong> Hallandale. UndBetsy habe ich im Birdl<strong>in</strong>e gelassen.«»Du verteilst de<strong>in</strong>e Freund<strong>in</strong>nen wohl auf <strong>die</strong> ganzeStadt?« Sie gr<strong>in</strong>ste. »Aber warte nur, alle<strong>in</strong> wirstdu sie nicht besuchen. Ich komme mit. Fangen wirgleich bei Wilma an.«»Wie soll das nur alles enden?«»Daran habe ich eben gedacht«, sagte sie ruhig.»Wir können fliehen, so weit wir wollen.«»Und du möchtest e<strong>in</strong>fach <strong>die</strong>sen Wirrwarr zurücklassen?Das Gesetz würde nie aufgeben.«»Was sollte ich sonst tun?«»De<strong>in</strong> Onkel hat <strong>die</strong>sen Wirrwarr geschaffen. Undich habe das Gefühl, daß er es mit Absicht tat. Vielleichtf<strong>in</strong>dest du den Grund <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Brief, den erdir h<strong>in</strong>terlassen hat.«»Aber ich bekomme den Brief erst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Jahr.«»Vielleicht gibt es e<strong>in</strong>e Möglichkeit, ihn früher zubekommen.«Plötzlich wurde ihm klar, was sie me<strong>in</strong>te.


»Natürlich!«»Und vielleicht wollte de<strong>in</strong> Onkel sogar, daß du dirden Brief früher beschaffst, Kirby.«Er zog sie zu sich heran und sagte: »Du bist e<strong>in</strong>sehr kluges Mädchen, Bonny Lee Beaumont.«M<strong>in</strong>uten später machte sie sich vorsichtig frei.»So«, sagte sie bedauernd. »Jetzt sehen wir e<strong>in</strong>malnach de<strong>in</strong>en anderen Frauen.«


14Am Mittwochmorgen erhielt Mister Vitts vom AnwaltsbüroW<strong>in</strong>termore, Stabile, Schamway und Mertz denkomischen anonymen Anruf. Er mußte den ganzenVormittag daran denken. Er wußte, daß es Uns<strong>in</strong>n war,und doch war ihm klar, daß er erst wieder zur Ruhekommen würde, wenn er sich vergewissert hatte, daßdas ihm anvertraute Paket noch an se<strong>in</strong>em alten Platzlag. Um elf Uhr verschob er se<strong>in</strong>e restlichen Besprechungenund g<strong>in</strong>g zur Bank. Er unterzeichnete <strong>die</strong>Karte zum Tresorraum, ließ sich von dem Bankbeamtennach unten br<strong>in</strong>gen und öffnete das kle<strong>in</strong>e Privatfach,das er gemietet hatte.Das Paket, das Mister W<strong>in</strong>termore ihm anvertrauthatte, lag noch an Ort und Stelle. Er kam sich wie e<strong>in</strong>Narr vor.Und plötzlich war es verschwunden.Er schloß <strong>die</strong> Augen ganz fest und öffnete sie wieder.Das Paket war fort. Er tastete mit zitternden F<strong>in</strong>gerndas Innere des Schließfachs ab. Er ließ sich auf <strong>die</strong>schmale Bank fallen und schloß <strong>die</strong> Augen. Er wußte,daß er überarbeitet war. E<strong>in</strong> Mann, der se<strong>in</strong>en eigenenS<strong>in</strong>nen nicht mehr trauen konnten, war es nicht wert,daß man ihm e<strong>in</strong>e besondere Verantwortung übertrug.Er wußte auch, daß er sofort zu Mister W<strong>in</strong>termore gehenund den Verlust des Krepps-Paketes melden mußte.Dabei hatte er ke<strong>in</strong>e Ahnung, woh<strong>in</strong> es verschwundenwar. Er mußte um Urlaub bitten. Wahrsche<strong>in</strong>lichkonnte er froh se<strong>in</strong>, wenn man ihn nicht entließ.Als er sich erhob, glichen se<strong>in</strong>e Bewegungen denene<strong>in</strong>es alten Mannes. Das Paket war wieder im Schließ-


fach. Wenn ihm e<strong>in</strong>e Kobra entgegengezüngelt hätte,so wäre er nicht stärker zusammengezuckt. Es dauertee<strong>in</strong>e Zeitlang, bis er den Mut fand, es zu berührenund aus dem Fach zu nehmen. Zuerst kam es ihmso vor, als hätte es e<strong>in</strong> anderes Gewicht und e<strong>in</strong>enanderen Umfang, aber dann half ihm se<strong>in</strong>e Logik.Wer sollte das Paket wohl berührt haben? Er hatte e<strong>in</strong>eHalluz<strong>in</strong>ation erlebt, <strong>die</strong> zweifellos durch nervöseAnspannung und Überarbeitung zu erklären war. DieSache g<strong>in</strong>g völlig <strong>in</strong> Ordnung. Er mußte <strong>in</strong> Zukunftetwas mehr an se<strong>in</strong>e Freizeit denken. Vielleicht sollteer auch öfter Spazierengehen. Er verließ den Tresorraumund g<strong>in</strong>g zurück <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Büro. Während desHeimwegs atmete er tief und langsam.*Den Hauptanteil des Paketes machten ausführliche,von e<strong>in</strong>em Notar unterzeichnete Dokumente aus, <strong>in</strong>denen der Verbleib der siebenundzwanzig Millionen<strong>in</strong> allen E<strong>in</strong>zelheiten dargelegt wurde. Es wurde bestätigt,daß es sich bei O. K. Devices um e<strong>in</strong>e Wohltätigkeitsorganisationgehandelt hatte, und da <strong>die</strong> siebenundzwanzigMillionen versteuert waren, konntedas F<strong>in</strong>anzamt ke<strong>in</strong>e Ansprüche stellen.Bonny Lee kniete auf dem Bett h<strong>in</strong>ter Kirby undsah ihm über <strong>die</strong> Schulter, während er den persönlichenBrief vorlas, den ihm Onkel Omar h<strong>in</strong>terlassenhatte.»Me<strong>in</strong> lieber Neffe!Es ist durchaus möglich, daß Du <strong>die</strong>sen Brief nichtverstehst. Du wirst ihn für das Produkt e<strong>in</strong>es senilen Al-


ten halten, wenn Du Es nicht entdeckt hast – und wennDu Es nicht dazu benützt hast. Dir den Brief vor Ablaufder Frist anzueignen.Ich habe raff<strong>in</strong>ierte Sicherheitsvorkehrungen getroffen.E<strong>in</strong>e davon war selbstverständlich, Dich so ausbilden zulassen, daß Du Es richtig benutzen kannst, aber ich hattebis zu me<strong>in</strong>em Tode das Gefühl, daß Du noch nichtreif genug für Es warst. Deshalb beschloß ich, Es soschwer zugänglich wie möglich zu machen und damitvielleicht e<strong>in</strong>e endgültige Prägung De<strong>in</strong>es Charaktersherbeizuführen.Die anderen Sicherheiten s<strong>in</strong>d technischer Art, undsie s<strong>in</strong>d so vollkommen, daß nach me<strong>in</strong>em Tod kaum e<strong>in</strong>Fremder Es benutzen kann. Ich habe Es im Laufe derJahre immer wieder verbessert und zur Perfektion gebracht.Die technischen Daten habe ich selbstverständlichvernichtet. Wenn Du Es entdeckt hast, brauchst Dunur folgendes zu wissen: Es ist für immer versiegelt undbenutzt kosmische Strahlung als Energiequelle. Es bestehtke<strong>in</strong>e Gefahr, daß <strong>die</strong> Energie je zu schwach wird,aber sollte man Es e<strong>in</strong>mal fünfzig Tage lang nicht benutzen,wird <strong>die</strong> Energie zu stark und überlastet <strong>die</strong>Stromkreise, so daß Es für immer vernichtet wird. Dasist e<strong>in</strong>e Sicherung. Sollte jemand versuchen, Es gewaltsamzu öffnen, wird Es ebenfalls vernichtet. Und letztlichist noch zu sagen, daß Es nach me<strong>in</strong>em Tode höchstenszwanzig bis fünfundzwanzig Jahre funktionierenwird, bevor Materialverschleiß Es unbrauchbar macht.Ich darf h<strong>in</strong>zufügen, daß ich auch e<strong>in</strong>e psychologischeSicherung e<strong>in</strong>gebaut habe. Ich befahl W<strong>in</strong>termore, daß erDir Es persönlich aushändigte. Er ist der Mann, der Esbestimmt nicht zu früh aus den Händen gibt und auchnicht daran herumspielt.


Wenn Du e<strong>in</strong> ganzes Jahr gewartet hast, um <strong>die</strong>senBrief zu lesen, me<strong>in</strong> Junge, dann wirst Du ke<strong>in</strong>e Ahnunghaben, wovon ich spreche.Wenn Du andererseits <strong>die</strong> Eigenschaften me<strong>in</strong>es Erbeserkannt hast, wirst Du wissen, weshalb ich so vorsichtigwar. Es wäre vielleicht moralisch gewesen, Es zuzerstören, als ich erfuhr, daß ich bald sterben mußte.Aber <strong>die</strong> Eitelkeit hat mich davon abgehalten. Wenn DuEs kennst, wirst Du erkennen, welche Last der Verantwortungich mit mir herumschleppte.Ich f<strong>in</strong>de mich sogar mit der Tatsache ab, daß e<strong>in</strong>Fremder <strong>die</strong>sen Brief an sich br<strong>in</strong>gt und Du ihn nie zuGesicht bekommst. Dann habe ich wirklich e<strong>in</strong>en Dämonlosgelassen.Aber wenn Du weißt, was Es ist, und wenn Du <strong>die</strong>senBrief verstehst, dann brauche ich Dir De<strong>in</strong>e Pflichtennicht erst zu erklären. Ich habe versucht, Dich für<strong>die</strong> Aufgabe vorzubereiten. Wenn sie Dir zu schwerwird, brauchst Du Es nur fünfzig Tage lang nicht anzufassen.Ich möchte nur e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Warnung aussprechen:Behalte Es für Dich. Teile Es nicht mit anderen. DerMensch, der Es besitzt, ist der Mächtigste der Erde. Esist e<strong>in</strong>e Macht, <strong>die</strong> man nur unter größter Gefahr übertragenkann.«*Nachdem man <strong>die</strong> Presse und den Aufsichtsrat derKrepps-Unternehmen verständigt hatte, starteteWilma Farnham ihren ersten öffentlichen Auftritt.Haarfarbe, Make-up und Kleider waren von BonnyLee ausgewählt worden.


Wilma war von Kirby und Bonny Lee sorgfältig tra<strong>in</strong>iertworden. Sobald man sich darauf gee<strong>in</strong>igt hatte,daß sämtliche Anklagen gegen sie und Kirby W<strong>in</strong>terzurückgezogen würden, falls sie Auskunft über denVerbleib der siebenundzwanzig Millionen gebenwürde, machte sie ruhig ihre Aussage.KREPPS HAT ALLES VERSCHENKT. Das waren <strong>die</strong>Schlagzeilen der Zeitungen.Die Sache mit Bonny Lees kle<strong>in</strong>em Wagen warschnell geklärt. Wilma erzählte, daß sie ihn sich ausgeliehenhatte.Betsy Alden meldete sich als nächste. Sie hatte <strong>die</strong>Glorianna e<strong>in</strong>e Stunde vor Ausbruch des Feuers verlassenund sich <strong>in</strong> der Wohnung e<strong>in</strong>es gewissen BernieSabbith aufgehalten (bestätigt von Mister Sabbith).Später hatte sie sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Hotel der Innenstadtunter e<strong>in</strong>em Pseudonym e<strong>in</strong>gemietet (dagegengab es ke<strong>in</strong> Gesetz). Sie war dort geblieben, bis sie zufällig<strong>in</strong> der Zeitung gelesen hatte, daß <strong>die</strong> Polizei siesprechen wolle.SCHAUSPIELERIN FREI VON JEDEM VERDACHTmeldeten kle<strong>in</strong>ere Schlagzeilen.Als Kirby W<strong>in</strong>ter <strong>in</strong> der Öffentlichkeit auftrat, hattesich das allgeme<strong>in</strong>e Interesse schon wieder anderenD<strong>in</strong>gen zugewandt – beispielsweise dem Spielklub <strong>in</strong>Coral Gables, <strong>in</strong> dem elf junge Männer ihre Frauen alsPfänder e<strong>in</strong>gesetzt hatten. Die Sache g<strong>in</strong>g gut, bis sichherausstellte, daß e<strong>in</strong>er von ihnen mogelte. Man kamihm auf <strong>die</strong> Spur, weil er nie se<strong>in</strong>e eigene Frau erwischte.Als er im Krankenhaus aufwachte, gestander, daß er mit gez<strong>in</strong>kten Karten gespielt hatte.Das e<strong>in</strong>zige, was für Kirby W<strong>in</strong>ter übrigblieb, ware<strong>in</strong>e leichte Entrüstung, daß er <strong>die</strong> Millionen nun


doch nicht gestohlen hatte. Es half ihm nichts, daß erimmer wieder von den guten Werken erzählte, <strong>die</strong> derverstorbene Omar Krepps vollbracht hatte. Die Öffentlichkeithat ke<strong>in</strong> großes Interesse an guten Werken.KREPPSERBE BERICHTET VOM LEBEN SEINESONKELS lauteten w<strong>in</strong>zige Schlagzeilen.Betsy Alden verschwand ohne jeden Reklamerummel.Sabbith nahm sie mit nach New York.Seitdem tauchte sie immer wieder <strong>in</strong> Werbespots aufund erzählte, weshalb ihre Blusen weißer, ihreWaschbecken sauberer und ihr Mundgeruch re<strong>in</strong>erals bei anderen Leuten war.Wilma Farnham wurde nach e<strong>in</strong>igen Lektionen beiBonny Lee zu e<strong>in</strong>er reifen kle<strong>in</strong>en Odaliske mit bauschigemHaarschopf, blauen Kontaktl<strong>in</strong>sen, e<strong>in</strong>errauchigen Stimme und Kleidern, <strong>die</strong> zu eng zumH<strong>in</strong>setzen waren. Walton Grumby ließ sie immerwieder <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Büro kommen und erklären, was siefür Omar Krepps getan hatte. Als er sich für e<strong>in</strong>e Reisenach Paris, Kairo und Rangun entschloß, wo sichoffenbar geschäftliche Schwierigkeiten ergeben hatten,nahm er Wilma mit – nur für den Fall, daß ihmweitere Fragen e<strong>in</strong>fielen.Nach e<strong>in</strong>er teilweisen Genesung von se<strong>in</strong>em Nervenzusammenbruchdurfte Joseph Locordolos auf <strong>die</strong>Glorianna zurückkehren. Die Anklage wurde fallengelassen,weil er <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge auf privatem Wege mitbeträchtlichem Geldaufwand regelte. Se<strong>in</strong> Visum,ebenso wie <strong>die</strong> Visa se<strong>in</strong>er fünf Besatzungsmitglieder,liefen aus und wurden nicht erneuert. Man befahl ihnen,an Bord zu bleiben, bis <strong>die</strong> Reparaturen beendetwaren. Joseph tat alles, was <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Macht stand, um<strong>die</strong> Reparaturen h<strong>in</strong>auszuzögern, <strong>in</strong> der Hoffnung,


Charla würde vorher noch auftauchen. Er machtesich Sorgen um sie. Insgeheim fürchtete er, daß <strong>die</strong>serschreckliche W<strong>in</strong>ter sie umgebracht und ihre Leicheverscharrt hatte. Wenn er an <strong>die</strong> tote Charla dachte,kamen ihm Tränen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Augen.Am achten Tag nach dem Brand erschien Charlavöllig ruhig an Bord. Sie g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hauptkab<strong>in</strong>e undsagte: »Hallo, Joseph.« Sie setzte sich. Er war aufgesprungen.Er sah sie verwirrt an. Sie war um fünfzehnPfund leichter. Ihre Wangen wirkten hohl. IhreAugen waren riesig. Ihr hübsches helles Haar warkurzgeschnitten. Sie trug e<strong>in</strong>e billige kle<strong>in</strong>e Bluse unde<strong>in</strong>en billigen Rock und schwang e<strong>in</strong>e große, ord<strong>in</strong>äre<strong>rote</strong> Tasche.Er lief auf sie zu, kniete vor ihr nieder, schlang se<strong>in</strong>eArme um sie und schluchzte. »Me<strong>in</strong> armer Liebl<strong>in</strong>g,was ist mit dir geschehen?«»Wie geht es dir, Joseph?« Ihre Stimme kam vonweit her.»Wie es mir geht?« schluchzte er. »Schrecklich!« Ersprang hoch und schilderte <strong>in</strong> lebhaften Worten, wasihm zugestoßen war. »Sie waren wie Tiger! Er hat <strong>die</strong>gleichen Teufelsideen wie se<strong>in</strong> Onkel. Me<strong>in</strong> Gott, ichsehe immer noch <strong>die</strong> drei Weiber!« Er kniete wiederneben ihr nieder. »Wir müssen ihm <strong>die</strong>se Erf<strong>in</strong>dungentreißen, Charla. Wir müssen sie haben. DieserSchwachkopf hätte uns umbr<strong>in</strong>gen sollen, als er <strong>die</strong>Gelegenheit dazu hatte. Hör zu, Liebl<strong>in</strong>g. Ich habemir e<strong>in</strong> paar Informationen erkauft. Er fuhr von hiernach New York. Bonny Lee Beaumont, das Mädchen,das dir entwischt ist, begleitet ihn. Sie ist Sänger<strong>in</strong>.Die beiden wollen nach Paris.« Er unterbrach sichund sah sie an. »Du hörst mir nicht zu, Liebl<strong>in</strong>g.«


Sie starrte <strong>die</strong> vertäfelte Kab<strong>in</strong>enwand an. »Weißtdu, was unerlaubte Entfernung von der Truppe ist?«»Ne<strong>in</strong>, weshalb?«»Weißt du, sie waren sehr <strong>in</strong> Sorge. DreiunddreißigMann, <strong>die</strong> sich unerlaubt von ihrer Truppe entfernten.In e<strong>in</strong>em Armeelaster.« Sie sah ihn sanft an. »Siewaren nämlich auf dem Weg von Port Evergladesnach Key West. Dort liegt ihr Zerstörer. Auf KeyWest.«Joseph schlug sich <strong>die</strong> Faust an <strong>die</strong> Stirn. »Wovonsprichst du eigentlich? Wo warst du?«»Plötzlich befand ich mich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Lastwagen, zusammenmit e<strong>in</strong>er Menge Matrosen.«»Wie entsetzlich!«»E<strong>in</strong> Zerstörer ist das kle<strong>in</strong>ste Kampfschiff. Es mißtim allgeme<strong>in</strong>en dreihundert bis vierhundert Fuß undhat e<strong>in</strong>e Wasserverdrängung von zweitausend bisdreitausend Tonnen. Zerstörer haben <strong>die</strong> Aufgabe,andere Schiffe abzuschirmen, bestimmte Gebiete zubewachen oder größere Schiffe zu eskortieren.«»Charla!«»Zerstörer s<strong>in</strong>d Langstreckenschiffe mit hohen Geschw<strong>in</strong>digkeiten.Geschützt s<strong>in</strong>d sie durch wasserdichteAbteilungen. Die Seeleute nennen <strong>die</strong> Zerstörerim allgeme<strong>in</strong>en Konservendosen, weil sie nur e<strong>in</strong>endünnen Metallrumpf besitzen.«Er packte sie und schüttelte sie, bis ihre Zähne ane<strong>in</strong>anderschlugen,aber als er sie losließ, nahm sie ihrenS<strong>in</strong>gsang wieder auf.»Der häufigste Zerstörerertyp <strong>in</strong> der amerikanischenMar<strong>in</strong>e heißt 692 Class und wurde im Zweiten<strong>Welt</strong>krieg entwickelt. Er hat zwei getrennte Gruppenvon Hochdruck-Dampfturb<strong>in</strong>en mit e<strong>in</strong>er Gesamtlei-


stung von mehr als sechzigtausend Pferdestärken. DieMasch<strong>in</strong>enräume nehmen drei Viertel des Raumes unterdem Hauptdeck e<strong>in</strong>.«Er beugte sich vor und sah ihr <strong>in</strong> <strong>die</strong> Augen. Erentdeckte e<strong>in</strong>e Ruhe <strong>in</strong> ihnen, e<strong>in</strong>e schrecklicheGleichgültigkeit – so, als seien alle Feuer erloschen.»Hör mir zu, Liebl<strong>in</strong>g. Wir brechen morgen auf. Wirgehen nach Nassau, Charla, und von dort fliegen wirnach Paris. In Paris suchen wir Kirby W<strong>in</strong>ter, unddann ...«»Ne<strong>in</strong>, Liebl<strong>in</strong>g«, sagte sie sanft und freundlich.»Was?«Sie stand auf, gähnte und streckte sich. Er bemerkte,daß sie trotz ihrer Müdigkeit e<strong>in</strong>e ausgezeichneteFarbe hatte. »Ich b<strong>in</strong> nur an Bord gekommen, um mire<strong>in</strong> paar Kleider und Geld zu holen.«Er folgte ihr. »Aber woh<strong>in</strong> gehst du?« fragte er bittend.Sie sah ihn kopfschüttelnd an. »Nach Key Westnatürlich.«»Aber Charla!«»Sie warten auf mich, Liebl<strong>in</strong>g. Zerstörer s<strong>in</strong>d mitTorpedos bestückt ...«Sie g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>die</strong> Kab<strong>in</strong>e. Er hörte, wie sie vor sichh<strong>in</strong>summte. Er konnte sich an den Titel des Liedesnicht er<strong>in</strong>nern. Es hatte irgend etwas mit Ankern zutun. Er blieb im E<strong>in</strong>gang stehen. Sie begann sich umzuziehen.Aber sobald sie nackt vor ihm stand, mußteer sich abwenden und h<strong>in</strong>legen. Er hörte, wie sie g<strong>in</strong>g,und rief ihr nach: »Ich warte <strong>in</strong> Nassau auf dich!«Er betete, daß sie lange fortbleiben würde. Wenigstensso lange, bis er sich mit der neuen Tätowierungauf ihrem Körper ausgesöhnt hatte.


Und während Charla geschickt <strong>in</strong> den wartendengrauen Jeep kletterte, hob Kirby W<strong>in</strong>ter fünfunddreißigtausendFuß über dem Atlantik e<strong>in</strong> Glas Champagneran <strong>die</strong> Lippen e<strong>in</strong>es blonden Mädchens.ENDE


Als nächster Roman<strong>in</strong> der Reihe »Terra«-Taschenbuch ersche<strong>in</strong>t:Die Tramps von Lunavon Robert A. He<strong>in</strong>le<strong>in</strong><strong>Welt</strong>raumpioniere aus PassionDie Familie Stone, bestehend aus Buster, dem Jüngsten,den Zwill<strong>in</strong>gen Castor und Pollux, der TochterMeade, den geplagten Eltern und Hazel, der streitbaren,coltschw<strong>in</strong>genden Großmutter, gehört zu derSorte von Menschen, <strong>die</strong> es an e<strong>in</strong>em Ort niemalslange aushält.Die Stones s<strong>in</strong>d Raumpioniere, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Abwechslunglieben. Der Mond, ihr bisheriger Wohnort, ist ihnenzu langweilig geworden. Und so legen sie e<strong>in</strong>es Tagesihre Ersparnisse zusammen, kaufen sich e<strong>in</strong> gebrauchtesRaumschiff und beg<strong>in</strong>nen ihre Kreuzfahrtquer durch das Solsystem.Es wird e<strong>in</strong>e Reise mit H<strong>in</strong>dernissen und Überraschungen– e<strong>in</strong>e Reise, <strong>die</strong> es <strong>in</strong> sich hat. E<strong>in</strong> <strong>Welt</strong>raumabenteuervoller Spannung und Humor.Terra-Taschenbuch Nr. 180 erhalten Sie <strong>in</strong> Kürze imBuch- und Bahnhofsbuchhandel und im Zeitschriftenhandel.Preis DM 2,60.

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