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Autonomie bei Menschen mit Demenz? - Stiftung kreuznacher ...

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KREUZNACHER DIAKONIEETHIKFORUM 9. SEPTEMBER 2010AUTONOMIE TROTZ(T) DEMENZ?!AUTONOMIEBEI MENSCHEN MIT DEMENZ?ANSTÖßE AUS DER THEORIE FÜR DIEPRAXIS IM KRANKENHAUSProf. Dr. Marion Großklaus-SeidelEvangelische Fachhochschule Darmstadt


Kreuznacher Diakonie Ethikforum 9. September 2010<strong>Autonomie</strong> <strong>bei</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Demenz</strong>? Anstöße aus der Theorie für die PraxisProf. Dr. M. Großklaus-SeidelÜberblick1. Einleitung2. Problemstellung3. Konzeptionen von <strong>Autonomie</strong> und derUmgang <strong>mit</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Demenz</strong>im Krankenhaus3.1 <strong>Autonomie</strong> als Kennzeichen des Menschlichen3.2 <strong>Autonomie</strong> auf der Basis von Kompetenzen3.3 „Natürliche <strong>Autonomie</strong>“ als Authentizität24. Zusammenfassung und Kritik amKonzept der <strong>Autonomie</strong>


Kreuznacher Diakonie Ethikforum 9. September 2010<strong>Autonomie</strong> <strong>bei</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Demenz</strong>? Anstöße aus der Theorie für die PraxisProf. Dr. M. Großklaus-Seidel3. <strong>Autonomie</strong> und Patienten <strong>mit</strong><strong>Demenz</strong> im KrankenhausFragestellung: Verfügen <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Demenz</strong> über <strong>Autonomie</strong>?Die Beantwortung der Frage hängt <strong>mit</strong> der ausgewählten Traditionvon <strong>Autonomie</strong> zusammen.NEIN• Position von rationalistisch-empiristisch argumentierende Philosophen (z.B. P.Singer, H.Kuhse, J. Harris)• <strong>Autonomie</strong> und Lebensschutz sind gebunden an kognitive Fähigkeiten derPerson• Bei <strong>Demenz</strong> ist ein Mensch verliert der Mensch seinen personalen Kern undda<strong>mit</strong> die Möglichkeit zu autonomen Entscheidungen5Ja• Traditionelle und moderne Konzepte verankern <strong>Autonomie</strong> entweder in derVernunft oder in der Natur des <strong>Menschen</strong>.• Vernunft ist da<strong>bei</strong> keine kognitive Fähigkeit, sondern macht das Wesendes <strong>Menschen</strong> aus.• <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> und ohne <strong>Demenz</strong>erkrankung unterscheiden sich in dieserBetrachtungsweise nicht voneinander.


Kreuznacher Diakonie Ethikforum 9. September 2010<strong>Autonomie</strong> <strong>bei</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Demenz</strong>? Anstöße aus der Theorie für die PraxisProf. Dr. M. Großklaus-Seidel3.1 <strong>Autonomie</strong> als Kennzeichen desHumanenI. Kant: Aufklärung ist Aufbruch aus der selbstverschuldetenUnmündigkeit über die menschliche Vernunft.Sittlichkeit beruht auf der Idee der Freiheit und kann nicht als etwas Wirklichesoder in der menschlichen Natur Liegendes bewiesen werden.Freies Handeln ist mehr als subjektives Wollen.Die Idee der Freiheit setzt ein moralisches Gesetz voraus, nämlich die<strong>Autonomie</strong> des Willens.Sinnenwelt / Verstandeswelt:Der Mensch verfügt über Sinne (Vorstellungen, die den Dingen entspringen), Verstand(Fähigkeit, sinnliche Vorstellungen im Bewusstsein zu vereinigen) und Vernunft(Möglichkeit, Ideen von reiner Spontanität zu entwickeln, die über die Sinnlichkeithinausgehen).Vernünftige Wesen gehören <strong>bei</strong>den Welten an.<strong>Autonomie</strong> ist ein Kennzeichen des <strong>Menschen</strong> und hängt nicht vomaktuellen Stand seiner Fähigkeiten ab.6Der positive Begriff der Freiheit schafft etwas, was nicht in derNatur der Sinnenwelt verankert ist. Er veranlasst uns, <strong>mit</strong> anderen<strong>Menschen</strong> in einer Handlungsgemeinschaft so umzugehen, dassdie <strong>Autonomie</strong> des Anderen respektiert und gewürdigt wird.


Kreuznacher Diakonie Ethikforum 9. September 2010<strong>Autonomie</strong> <strong>bei</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Demenz</strong>? Anstöße aus der Theorie für die PraxisProf. Dr. M. Großklaus-Seidel3.1 Verhaltensregeln in einerHandlungsgemeinschaftAuch <strong>bei</strong> <strong>Demenz</strong> hat ein Mensch das Recht darauf, nicht alsbloßes Objekt von Entscheidungen behandelt zu werden.Ein Patient <strong>mit</strong> <strong>Demenz</strong> ist Teil der Handlungsgemeinschaft, für die<strong>Autonomie</strong> ein grundlegender Wert ist: Die <strong>Autonomie</strong> eines jedenfindet ihre Grenzen an der <strong>Autonomie</strong> des anderen.Orientierungsmaßstab können Regeln sein, z.B. „Empfehlungen fürden Umgang <strong>mit</strong> <strong>Demenz</strong> im Krankenhaus (Landesvereinigung fürGesundheit Niedersachsen.)Patienten <strong>mit</strong> Nebendiagnose „<strong>Demenz</strong>“ erhalten durchunterstützende Strukturen im Stationsalltag und durch Handeln inder Milieugestaltung Hilfestellungen.7


Kreuznacher Diakonie Ethikforum 9. September 2010<strong>Autonomie</strong> <strong>bei</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Demenz</strong>? Anstöße aus der Theorie für die PraxisProf. Dr. M. Großklaus-Seidel3.2 <strong>Autonomie</strong> für Entscheidungenauf der Basis von Kompetenz70-er/80-er Jahre des 20. Jh.: Kritik am Paternalismus in derMedizin lässt den Wunsch nach mehr <strong>Autonomie</strong> des Patientenentstehen.Beauchamps und Childress („Principles of Biomedical Ethics“)stellen ein mehrstufiges Modell des „informed consent“ als Prozessin der gemeinsamen Entscheidungsfindung zwischen Arzt undPatient dar.Das Konzept setzt ein <strong>mit</strong>tleres Maß an <strong>Autonomie</strong> voraus: EinePerson besitzt die Fähigkeit, die für eine Handlung/Entscheidungwichtigen Informationen zu verstehen, im Kontext ihrer eigenenWerte ein Urteil zu fällen und dies zu kommunizieren.Der Arzt/die Ärztin ist im Gegenzug verpflichtet, die Informationenso patientengerecht wie möglich zu kommunizieren.8Die notwendigen Kompetenzen für die Übernahme von Rechten undPflichten, lässt sich im Zweifelsfall empirisch überprüfen. Esentstehen Patientengruppen (z.B. Kinder, <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Demenz</strong>), dieden Anforderungen an <strong>Autonomie</strong> nicht genügen.


Kreuznacher Diakonie Ethikforum 9. September 2010<strong>Autonomie</strong> <strong>bei</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Demenz</strong>? Anstöße aus der Theorie für die PraxisProf. Dr. M. Großklaus-Seidel3.3 <strong>Autonomie</strong> als AuthentizitätKritik am Idealbild der biomedizinischen Ethik: Der autonomeMensch, der weiß, was für ihn gut ist und sich frei entscheidet, wenner nur ausreichend informiert ist. Maßstab für „vernünftige“Entscheidungen sind externe Normen.Philosophischer Trend: Kompatibilistische Theorien, die Freiheit undDeterminismus <strong>mit</strong>einander kombinieren. Gegen Kant gerichtet istder Mensch immer durch irgendetwas vorbestimmt.10„Natürliche <strong>Autonomie</strong>“ (z.B. H. Walter):Im Augenblick des Entscheidens gibt es kein indeterministisches Element, es isteine Selbstbestimmung ohne übernatürliche Kräfte: Bioelektrische Aktivitätendes Gehirns erzeugen eine nichtlineare Systemdynamik. Es erfolgt eineKontrolle durch das System, ohne dass dies dem <strong>Menschen</strong> kognitiv transparentist. Zentral sind:• „Authentizität“, d.h. die Identifikation einer Person <strong>mit</strong> ihrerSelbstpräsentation;• Divergenz zwischen subjektiver und objektiver Rationalität;• die dauerhaften Werte und Ziele einer Person sollen zumMaßstab autonomer Entscheidungen gemacht werden.


Kreuznacher Diakonie Ethikforum 9. September 2010<strong>Autonomie</strong> <strong>bei</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Demenz</strong>? Anstöße aus der Theorie für die PraxisProf. Dr. M. Großklaus-Seidel3.3 Umsetzungsmöglichkeiten„natürlicher <strong>Autonomie</strong>“Die Befriedigung von körperlichen /seelischen / spirituellenBedürfnissen des Patienten erfolgt biografieorientiert unterBerücksichtigung von Vorlieben bzw. Abneigungen.Schaffung einer Atmosphäre von Sicherheit und Vertrauen durchRückgriff auf Gewohntes.Kompensation kognitiver Einschränkungen <strong>bei</strong>m Patienten durchdie Nutzung anderer Kommunikationswege als abstrakte /komplizierte Sprache.Nutzung von Hilfs<strong>mit</strong>teln wie z.B. dem „Informationsbogen fürPatienten <strong>mit</strong> einer <strong>Demenz</strong> <strong>bei</strong> der Aufnahme im Krankenhaus“ derDeutschen Alzheimer Gesellschaft e. V.Gute Dokumentation von gesammelten Informationen über denPatienten durch Checklisten und Computerverar<strong>bei</strong>tung unter demAspekt der Alltagstauglichkeit.11


Kreuznacher Diakonie Ethikforum 9. September 2010<strong>Autonomie</strong> <strong>bei</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Demenz</strong>? Anstöße aus der Theorie für die PraxisProf. Dr. M. Großklaus-Seidel4. Zusammenfassung undkritische Reflexion1. Traditionelle und moderne Konzepte der <strong>Autonomie</strong> bietentheoretische Bezugspunkte für die Etablierung vonHilfsangeboten, die Schaden für Patienten <strong>mit</strong> derNebendiagnose „<strong>Demenz</strong>“ im Krankenhaus verhindern helfen.2. Nicht nur Patienten <strong>mit</strong> <strong>Demenz</strong>erkrankung profitieren voneinem bewussterem Umgang <strong>mit</strong> <strong>Autonomie</strong> im Krankenhaus:Die Organisation „Krankenhaus“ kann durch sensibleWahrnehmung, Annahme menschlicher Verletzlichkeiten undbeherztes Handeln für alle <strong>Menschen</strong> humaner werden.3. Die Betonung der <strong>Autonomie</strong> hat jedoch eine Kehrseite: DieFähigkeit zu einer in Ansätzen autonomen Lebensgestaltungwird zur Bedingung für ein gelingendes Leben.4. Es besteht die Gefahr, dass menschlichem Leben, das keineerkennbare <strong>Autonomie</strong> besitzt, die Lebensqualitätabgesprochen wird und seinen Lebensschutz verliert.<strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> einer <strong>Demenz</strong>erkrankung sind hiervon besondersbetroffen.125. Die Betonung der <strong>Autonomie</strong> sollte nicht das christlicheVerständnis von <strong>Menschen</strong>würde aushöhlen.


Kreuznacher Diakonie Ethikforum 9. September 2010<strong>Autonomie</strong> <strong>bei</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Demenz</strong>? Anstöße aus der Theorie für die PraxisProf. Dr. M. Großklaus-SeidelLiteraturhinweiseBeauchamp, T.L./Childress, J.F.: Principles of biomedical Ethics, 5. ed. Oxford 2001.Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. / Selbsthilfe <strong>Demenz</strong>: Patienten <strong>mit</strong> einer <strong>Demenz</strong> imKrankenhaus. Informationsbogen und Begleitheft, Berlin 2008.Eibach, U: <strong>Menschen</strong>würde an den Grenzen des Lebens. Einführung in die Bioethik aus christlicherSicht, Gütersloh 2000.Kant, I.: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785), Stuttgart 2000.Illhardt, F.J. (Hg.): Die ausgeblendete Seite der <strong>Autonomie</strong>. Kritik eines bioethischen Prinzips,Berlin/Münster 2008.Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen/ AG <strong>Demenz</strong> im Krankenhaus: Empfehlungen fürden Umgang <strong>mit</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Demenz</strong> im Krankenhaus, in: Pflegen Hf. 3/2007.Walter, H.: Neurophilosophie der Willensfreiheit. Von libertarischen Illusionen zum Konzeptnatürlicher <strong>Autonomie</strong>, 2. Aufl. Paderborn 1999.13


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