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Seumes Nachleben - bei Johann Gottfried Seume

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Bei dem Aufsatz „<strong><strong>Seume</strong>s</strong> <strong>Nachleben</strong>“ handelt es sich um die Grundlage für einen Vortrag, den der<br />

Autor am 24.11.2012 in der Evangelischen Akademie Bad Boll gehalten hat. Seine Verwendung ist<br />

zwar kostenfrei, aber der Autor bittet um eine Mitteilung an „karl-w.biehusen@ewetel.net“<br />

<strong><strong>Seume</strong>s</strong> <strong>Nachleben</strong>: Rauhe Schale edler Kern?<br />

Von Karl W. Biehusen<br />

Einleitung: <strong>Seume</strong> lebt<br />

„Aufklärung ist richtige, volle, bestimmte Einsicht in unsere Natur, unsere Fähigkeiten<br />

und Verhältnisse, heller Begriff über unsere Rechte und Pflichten und ihren<br />

gegenseitigen Zusammenhang...“ 1<br />

Ich kenne keine überzeugendere Definition des Begriffs „Aufklärung“, als diese von<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>, der 1763 geboren wurde und 1810 starb. Als Aufklärer<br />

wurde er und wird er bis heute beachtet und geachtet. Als ein Mann und Autor, dem<br />

die Wahrheit über alles ging, der lieber ärmlich lebte, als seine Überzeugungen zu<br />

verraten.<br />

Nur wenigen Zeitgenossen fiel auf, was Forscher aktuell thematisieren: <strong><strong>Seume</strong>s</strong><br />

Biographie ist in sich widersprüchlich und auch sein Werk weist um so mehr<br />

Widersprüche auf, je näher man sich mit ihm beschäftigt und mit <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Lebenslauf<br />

abgleicht. Nicht nur mir scheint, dass unser Bild von <strong>Seume</strong> weniger der Wahrheit<br />

entspricht, als der Skizze, die <strong>Seume</strong> vorzeichnete.<br />

Aber vielleicht sind es gerade die Widersprüche, die den Mann so interessant<br />

machen, dass man ihn seit über 200 Jahren nicht vergessen hat. Ganz sicher boten<br />

und bieten die Widersprüche vielen Interpretationen und Interpreten des Lebens- und<br />

Lebenswerks von <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> Gelegenheiten, den Menschen und<br />

Autoren zu instrumentalisieren – für An- und Absichten, die scheinbar wenige<br />

miteinander zu tun haben.<br />

Virtuell lebt <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> noch immer – etwa so, wie Elvis Presley. Der<br />

„King of Rock and Roll“ hat vielleicht ein paar mehr Fans, aber <strong>Seume</strong> bringt mindest<br />

ebenso viele Pilgerinnen und Pilger auf die Beine; Menschen, die ihm konkret und


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physisch folgen. Auf <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Spuren wandern und Radeln sie etwa bis nach Syrakus<br />

und schreiten in Sachsen jeden Weg ab, auf dem er vorgewandert sein könnte.<br />

Kaum zu überschauen ist auch die Zahl der Autorinnen und Autoren, die ihm auf der<br />

Spur bleiben wollten und wollen. So verzichtet kaum eine Zitaten-Sammlung, wie<br />

man sie im Internet findet, auf einen <strong>Seume</strong>-Spruch der Art „Wo man singt da lass<br />

Dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder“. 2<br />

Gedruckt und nachgedruckt wurden <strong>Seume</strong>-Werke schon zu seinen Lebzeiten und,<br />

vor allem, nach seinem Tode. Insbesondere „Der Spaziergang nach Syrakus im<br />

Jahre 1802“ fand und findet immer neue Herausgeber und Auflagen. Groß ist auch<br />

die Zahl der Ar<strong>bei</strong>ten über <strong>Seume</strong>, sein Leben und Wirken – und wird immer größer,<br />

seit sich 2002 sein „Spaziergang“ und 2010 sein Todestag zum zweihundertsten Mal<br />

jährten.<br />

Eine willkürliche Auswahl der jüngsten Sekundärliteratur zeigt, wie breit sich<br />

heutzutage das Spektrum des Interesses an <strong>Seume</strong> fächert - und der Ansichten über<br />

ihn.<br />

Urs Meyer: Politische Rhetorik. Theorien, Analysen und Geschichte der<br />

Redekunst am Beispiel des Spätaufklärers <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> (Paderborn<br />

2001)<br />

„Alle <strong>bei</strong>sammen. Wandern mit <strong>Seume</strong>, Goethe, Heine�“ (Hg: Karin Baseda-<br />

Maass, BUCH her! Verlag, Hamburg 2002)<br />

„<strong>Seume</strong>: ‚Der Mann selbst‘ und seine ‚Hyperkritiker‘“ (Hg.: Jörg Drews, Aisthesis<br />

Verlag, Bielefeld 2004)<br />

„<strong>Seume</strong> und einige seiner Zeitgenossen. Beiträge zu Leben und Werk eines<br />

eigensinnigen Spätaufklärers“ (Dirk Sangmeister, Ulenspiegel Verlag, Erfurt und<br />

Waltershausen 2010)<br />

„<strong>Seume</strong> und Münchhausen. Mit dem kommentierten Neudruck der<br />

"Rückerinnerungen" von 1797 (Robert Eberhardt, Wolff Verlag, Schmalkalden<br />

2010)


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„�daß ich in Leipzig glücklich seyn werde �: Unterhaltsame literarische<br />

Spaziergänge durch das alte Leipzig“ (Otto Werner Förster, J.G. <strong>Seume</strong> Verlag,<br />

Leipzig 2012)<br />

Man sieht, <strong>Seume</strong> ist aus geistwissenschaftlicher Perspektive ebenso interessant,<br />

wie aus sportlicher und heimatkundlicher Sicht. Die meisten Autorinnen und Autoren<br />

schätzen ihren <strong>Seume</strong>. Etwa als Wanderer, Reiseführer, Rebell, Aufklärer,<br />

gelegentlich als Dichter. Selbst wer <strong>Seume</strong> als Autor oder Mensch kritisch gegenüber<br />

steht, kann sich der Faszination kaum entziehen, die er offenbar schon zu Lebzeiten<br />

auf seine Umgebung ausgeübt hat. Und sei es ob seiner skurrilen Persönlichkeit und<br />

seines bizarren Lebenslaufs.<br />

Seine Ansichten von der Welt im allgemeinen und der herrschenden Klasse im<br />

spezielle, lesen sich sehr apodiktisch – und oft genug widersprüchlich. Selbst sein<br />

Fürstenhass hat nicht daran gehindert, eine Ode auf Weimars Herzoginnen-Mutter<br />

Anna Amalia zu schreiben. Und 1798 schrieb er an seinen väterlichen Freund<br />

<strong>Johann</strong> Wilhelm Gleim: „� ich werde vielleicht gelegentlich wieder in Kriegsdienste<br />

zu gehen suchen“ 3 . Jahre später schäumte er: „Es ist ein unbegreiflicher Wahnsinn<br />

des menschlichen Geistes, wie der Name Soldat ein Ehrentitel werden konnte“. 4<br />

Es mag an der Fülle seiner, meist recht apodiktisch vorgetragenen Erkenntnisse<br />

liegen, dass es Exegeten seines Werk nicht schwer fällt, <strong>Seume</strong> gegen <strong>Seume</strong><br />

auszuspielen. Dass <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Leben, Handeln und Schreiben<br />

interpretierbar ist, spricht jedoch nicht gegen die Qualität des Autoren und seines<br />

Werk: unkompliziertere Literaten sind längst vergessen.<br />

Nachrufe<br />

Seine Zeitgenossen kannten und schätzten ihren <strong>Seume</strong> vor allem als<br />

bemerkenswerte, eher skurrile Persönlichkeit und als guten Freund. 5 Jenseits des<br />

Kreises persönlicher Bekanntschaften war er vor allem als Verfasser weitschweifiger<br />

Gedichte und als Autor des „Spaziergangs nach Syrakus“ berühmt – und berüchtigt.<br />

Caroline Herder urteilte besonders harsch: „<strong><strong>Seume</strong>s</strong> Spaziergang ist unerträgliches<br />

Zeug voller Arroganz, Gemeinheit, Großtun im Nichts“. 6 Sie war nicht die einzige, die


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sich angewidert zeigte von jemandem, der Themen wie Landwirtschaft und Hunger<br />

aufgriff, so unerquicklicher Menschen wie Straßenräuber beschrieb und über so<br />

degoutante Lokalitäten wie Wirtshäuser berichtete.<br />

<strong>Seume</strong> beschrieb halt seine Welt, und nicht die feine Welt der Weimarer Elite. Und<br />

doch musste sich der Sohn eines Bauern und Gastwirts im Milieu saturierter,<br />

gebildeter Honoratioren behaupten. Womöglich hat er sich deshalb in einer<br />

großspurigen Art und Weise zum autonom denkenden und handelnden Subjekt<br />

seines Lebens stilisiert, die etlichen seiner Zeitgenossen und heutigen Lesern sauer<br />

aufstößt: „<strong><strong>Seume</strong>s</strong> von Caroline Herder so mitleidlos verhöhntes ‚Großtun im Nichts‘<br />

war nackte Notwehr 7 meint der <strong>Seume</strong>-Analytiker Bruno Preisendörfer in seinem<br />

lesenswerten Buch: „Der waghalsige Reisende. <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> und das<br />

ungeschützte Leben.“ (Berlin 2012)<br />

<strong>Seume</strong> verstand sich selber als provokanter Publizist politischer Anliegen. Als<br />

solcher war er aber zu Lebzeiten weniger einem breiteren Publikum bekannt, als den<br />

Herausgebern einschlägiger Ar<strong>bei</strong>ten, die seine Texte im Zweifelsfall aus Furcht vor<br />

der Zensur nicht herausgeben wollten. 8 So erschienen zum Beispiel die meisten<br />

„Aprokryphen“ erst Jahre nach <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Tod.<br />

Entsprechend unpolitisch fielen denn auch die ersten Nachrufe aus. Die „Zeitung für<br />

die elegante Welt“ rief <strong>Seume</strong> wenige Tage nach seinem Tod nach: „Er war, wie<br />

seine Schriften, ernst, kräftig, gediegen. Unter einer scheinbar kalten und rauhen<br />

Hülle schlug ein warmes, gefühlvolles Herz voll Liebe für Wahrheit und Recht.“ 9 .<br />

Immerhin die Augsburger Allgemeine Zeitung rühmte ihn gleich nach seinem Tod<br />

ausdrücklich als „ enthusiastische(n) Freund der Freiheit�“ Aber dieser Nachruf ist<br />

vermutlich von einem engen Freund des Verstorbenen verfasst worden. 10<br />

Noch 1836 notierte der „Brockhaus“ unter dem Stichwort <strong>Seume</strong> (mit falschem<br />

Vornamen): „<strong>Seume</strong> (Joh. Gottlieb), bekannt durch seine Schriften und Schicksale,<br />

mehr noch durch seinen sonderbaren, aber kräftigen Charakter�“ 11 .<br />

Noch viel später, als <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Gesamtwerk zugänglich war, Im Jahr 1892,<br />

veröffentlichte „Pierers Konversations-Lexikon“ deutlich distanzierter unter dem<br />

Stichwort <strong>Seume</strong>: „S. war ein ehrlicher, stolzer, unabhängiger Charakter; auch in


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seinen Werken sucht er mehr seiner Gesinnung Ausdruck zu verleihen, als nach<br />

Vollendung der Form zu streben.“ 12 <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Qualität als politischer Denker und<br />

Aufklärer spielte auch für die „Allgemeine Deutsche Biographie“ von 1892 keine<br />

sonderliche Rolle: „S. ist, wenn auch kein Dichter im vollen Sinne des Wortes, doch<br />

ein Schriftsteller von weitgehender Bedeutung, ein Mann von Geist und Charakter.“<br />

Und Meyers Konversations-Lexikon von 1897 (Leipzig und Wien 1897), vermerkt<br />

unter dem Stichwort „<strong>Seume</strong>“: „S. gehört zu den Schriftstellern, deren literarische<br />

Bedeutung zumeist in dem persönlichen Charakter des Autors ruht. Er war ein<br />

grundehrlicher Mensch, von stolzer Unabhängigkeit, ja bäurischer Rauheit im<br />

Denken und Schreiben; er sagte in unerschütterlicher Wahrheitsliebe was er über<br />

Menschen und Dinge dachte, und seine spartanische Genügsamkeit spiegelte sich in<br />

seiner herben und derben Lyrik, die aller weicheren Töne ermangelte.“<br />

Dem systemkritischen, lettischen Autoren Garlieb Merkel (1769 – 1850), der ihn als<br />

Freund, Kollege und in gewisser Weise auch als Konkurrenten kannte, war <strong>Seume</strong><br />

durchaus als politischer Autor in Erinnerung geblieben und als reiner, edler und<br />

fester Charakter: „aber er war zugleich derjenige, an dem mir der Unterschied<br />

zwischen Stärke und Kraft, das heißt zwischen dem Vermögen zu widerstehen, und<br />

jenem, zu wirken oder zu schaffen, am hellsten eingeleuchtet hat.“ 13<br />

Einer, der <strong>Seume</strong> noch länger gekannt hatte, war ein gewisser Karl von<br />

Münchhausen (1759 - 1836). Und dieser Mann war unter dem Strich gar nicht gut auf<br />

seinen Ex-Freund zu sprechen. Beider Freundschaft hatte in den Jahren 1782/1783<br />

in Halifax begonnen, wo sie gemeinsam in Garnison lagen – und endete im Grunde<br />

auch dort. Erst brach <strong>Seume</strong> sein Versprechen Kontakt zu halten, dann zeigte er<br />

dem alten Kameraden die kalte Schulter. Und als Münchhausen, angeblich erst kurz<br />

vor seinem eigenen Tod, in <strong><strong>Seume</strong>s</strong> „Selbstbiographie“ lesen musst: „Die einzige<br />

Bedenklichkeit in unserer Freundschaft war, daß Münchhausen ein Edelmann war,<br />

der den Kopf voll alten Ritterwesens hatte, welches ich auf alle Fälle für halbe<br />

Barbarei hielt und noch halte�“ 14 da wurde er wütend. „Man wähnt oft im barocken<br />

Kopfe / Ein groß Original-Genie, / Und fällt der Deckel von dem Topfe / So kriecht<br />

darin nur Maden-Vieh.“ 15 Veröffentlicht hat Münchhausen die Abrechnung mit der<br />

„Lüg-Biographie“ und dessen Autor, aus der diese Verse stammen, nicht. Das


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Publikum hätte sich auch gewundert: Jahrzehnte lang hatte Münchhausen seine<br />

Dichterkarriere durch Berufung auf seine Freundschaft mit dem weitaus bekannteren<br />

<strong>Seume</strong> zu fördern gesucht.<br />

Deutschnationaler Kernbursche<br />

<strong>Seume</strong> hat sich selber eifrig und erfolgreich selber darum bemüht, seinen<br />

Zeitgenossen und der Nachwelt als kerniger Naturbursche darzustellen. Aber auch<br />

als unbeugsamer Verkünder der Wahrheiten, mit denen die Aufklärer des 18.<br />

Jahrhunderts und die französischen Revolutionäre von 1789 gegen den<br />

europäischen Adel und seine Privilegien zu Felde zogen.<br />

Nicht von ungefähr zählt denn auch die folgende Aussage <strong><strong>Seume</strong>s</strong> zu seinen bis<br />

heute besonders häufig zitierten Merksprüchen: „Wenn man mir vorwirft, daß dieses<br />

Buch zu politisch ist, so ist meine Antwort, daß ich glaube, jedes gute Buch müsse<br />

näher oder entfernter politisch sein. Ein Buch das dieses nicht ist, ist sehr überflüssig<br />

oder gar schlecht“. Diesen Satz schrieb er in das Vorwort zu seinem zweiten großen<br />

Reisebericht (nach dem „Spaziergang“): „Mein Sommer 1805“ 16 . In ihm verdammte<br />

er den russischen Despotismus und pries die aufgeklärte Regierung Schwedens.<br />

„Politisch“ können Autoren freilich auf mancherlei Weise sein. Konservativ genauso<br />

wie progressiv, links genauso wie rechts und liberal (um heutzutage übliche<br />

Kategorien zu verwenden). Auf den politischen Autoren <strong>Seume</strong> haben sich denn<br />

auch im 20.Jh. bundesdeutsche Linken berufen, im 19. Jahrhundert aber vor allem<br />

vaterländisch gesonnene Ideologen, die sich allenfalls als Liberale fühlten, später<br />

jedoch oft als kaiserlich-wilhelminische Nationalisten. <strong>Seume</strong> musste es sich<br />

posthum gefallen lassen, von Propagandisten aller möglichen Richtungen<br />

instrumentalisiert zu werden.<br />

Anfangs beanspruchten vor allem deutsche Nationalisten die Deutungshoheit: „Im<br />

19. Jahrhundert wurde <strong>Seume</strong> als deutschnationaler Kernbursche vereinnahmt, sein<br />

politischer Scharfblick jedoch ignoriert“, meint Dirk Sangmeister, einer der eifrigsten<br />

„Seumologen“. 17


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Vergessen hatte man <strong>Seume</strong> immerhin nicht. Das beweist schon die umfangreiche<br />

Liste „seumischer“ Schriften, die im 19. Jh. erschienen. Sie wurden 1995 in der<br />

Ausgabe 126 der Literaturzeitschrift „Text + Kritik“, aufgelistet. 18 Nach <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Tod<br />

bis zum Ende des 19.Jhs sind über zwanzig Veröffentlichungen verzeichnet. Von<br />

Gesamtausgaben über Anthologien bis zur Auswahl einzelner seiner Werke. Es gab<br />

also immer wieder Verleger, die sich um <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Nachwirken kümmerten. Da<strong>bei</strong> sind<br />

in der Liste Raubdrucke nicht berücksichtigt worden, die zumindest im<br />

unübersichtlich zergliederten Deuschland vor der Reichsgründung gang und gäbe<br />

waren – glaubt man den Klagen, die der Verleger Göschen führte. 19<br />

Georg Joachim Göschen (1752 -1828) war nicht nur einer der engsten Freunde von<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>, sondern auch zeitweilig sein Ar<strong>bei</strong>tgeber und Verleger.<br />

Außerdem hat er dessen Autobiographie (zusammen mit einem gemeinsamen<br />

Freund, dem Arzt Clodius) vollendet und 1813 unter dem Titel „J.G. <strong>Seume</strong> - Mein<br />

Leben“ herausgegeben. Diese Ar<strong>bei</strong>t ist heute u.a. als Reclam Buch erhältlich - und<br />

zeichnet ein arg geschöntes Bild von <strong>Seume</strong> 20 .<br />

Nicht zuletzt diese Lebensbeschreibung liegt nach Ansicht des jüngsten <strong>Seume</strong>-<br />

Biographen, Eberhard Zänker, den bis heute verbreiteten Vorstellungen vom<br />

Charakter <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong><strong>Seume</strong>s</strong> und seinem Anliegen als Autor zugrunde: „�<br />

denn <strong>bei</strong>de Autoren (Anm KWB: Göschen und Clodius) schrieben aus der Sicht<br />

sentimentaler Erinnerung und Verehrung und trugen dadurch zur Entstehung eines<br />

wenig differenzierten und wahrheitsgetreuen <strong>Seume</strong>bildes <strong>bei</strong>, das von den<br />

kommenden Generationen ziemlich unkritisch übernommen wurde und eine <strong>Seume</strong>-<br />

Legende entstehen ließ, an der allerdings auch <strong>Seume</strong> selbst schon zu seinen<br />

Lebzeiten mitgewirkt hat.“ 21<br />

Besonders wirkungsvoll im nationalistisch-vaterländischen Sinn, hat sich <strong><strong>Seume</strong>s</strong><br />

erster echter Biograph, der Holzhändler, Konsul und Sammler Oskar Planer (1854 –<br />

1931) hervorgetan. Sein Werk „<strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>. Geschichte seines Lebens<br />

und seiner Schriften“ ist 1898 in Leipzig erschienen und nur noch antiquarisch<br />

erhältlich 22 .


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So unverzichtbar diese Biographie bis heute für jeden <strong>Seume</strong>-Forscher ist, so muss<br />

sie sich doch die folgende Kritik gefallen lassen: „Planer/Reißmanns Buch ist geprägt<br />

von wilhelminischem Nationalismus, ziemlich unkritischer <strong>Seume</strong>-Verehrung und<br />

einem ebenso eifrigen wie in Details bedenklichen Sammel- und Datierungsbetrieb<br />

für Seumianer.“ Autor dieser Anmerkung ist Jörg Drews, der jüngst verstorbene<br />

<strong>Seume</strong>-Spezialist schlechthin. 23<br />

Ganz in Planers Geist ist die Gedenktafel getextet, die bis heute an einem Haus in<br />

Poserna zu sehen ist, jenem Dorf (heute der Stadt Lützen zugehörig) in dem <strong>Seume</strong><br />

geboren wurde:<br />

Geburtsstätte<br />

des Dichters<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>,<br />

geb. 29. Januar 1763<br />

gest. 13. Juni 1810<br />

Natur- Menschen- Vaterlandsfreund<br />

Rauhe Schale edler Kern<br />

So klar, knapp und eindeutig, formal geradezu „seumig“ knapp gehalten, die Tafel<br />

beschriftet sein mag: Sie ist fragwürdig. Oder besser: hinterfragwürdig – wie so viele<br />

Dokumente, die wir von und über <strong>Seume</strong> besitzen. So ist die Tafel nicht etwa an<br />

<strong><strong>Seume</strong>s</strong> Geburtshaus angebracht worden (wie der Text suggeriert), sondern an<br />

einem Nachfolgebau. Die Kate in der <strong>Seume</strong> geboren wurde ist angeblich im Zuge<br />

der „Völkerschlacht zu Leipzig“ verbrannt, die tatsächlich auch Poserna tangierte.<br />

Dieser Höhepunkt der deutschen „Befreiungskriege“ gegen die französisch-<br />

napoleonische Besatzung fand bekanntlich 1813 statt - mithin jubiläumswürdige 50<br />

Jahre vor der Enthüllung der Gedenktafel. Und sicher nicht zufällig ebenso<br />

jubiläumswürdige 100 Jahre nach der Geburt von <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> im Jahre<br />

1763.<br />

Noch ein zweites Denkmal gilt einem im vaterländisch, ja deutsch-nationalem Sinn<br />

instrumentalisierten <strong>Seume</strong>. Es ist das Denkmal, das 1859 im tschechischen Teplice<br />

(seinerzeit: Teplitz) enthüllt wurde. Dort in Teplitz ist <strong>Seume</strong> 1810 gestorben. 24 Sein<br />

Grab befindet sich unweit des Denkmals auf einem inzwischen aufgelassen Friedhof


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<strong>bei</strong> der sogenannten „Kreuzkirche“ und verdankt sich der Initiative der seinerzeit sehr<br />

bekannten Charlotte Elisabeth Konstanze (Elisa) von der Recke (1754 – 1833).<br />

1859, <strong>bei</strong> der Enthüllung des <strong>Seume</strong>-Denkmals hielt Dr. August Sauer, damals<br />

Professor an der Deutschen Universität in Prag, die Festrede und würdigte darin<br />

<strong>Seume</strong> sowohl als Wanderer, als auch als Repräsentanten des deutschen<br />

Volkstums: „Als ein Vorläufer des Turnwesens, ein Gesinnungsgenosse von Jahn<br />

(Anm. KWB: dem nationalistisch gesinnten „Turnvater“) u.a. zählt der rüstige<br />

Wanderer zu den Erneuerern unseres Volkstums.“ 25 Mit derartigen Interpretationen<br />

seines Werkes rückt <strong>Seume</strong> bereits in die Nähe des sogenannten Dritten Reichs.<br />

Und man hat ihn auch in diesem Sinne instrumentalisiert. 26<br />

Nun sind Regeln (hier: die vaterländisch-nationalistische bis wilhelminische<br />

Interpretation des seumischen Werks), nur an seinen Ausnahmen als Regeln<br />

erkennbar. Eine Ausnahme bildet das <strong>Seume</strong>-Denkmal in Bremen 27 . Es ist<br />

ursprünglich 1864 eingeweiht und nach dem zweiten Weltkrieg an fast der gleichen<br />

Stelle wieder errichtet worden. Es zeigt das Portrait unseres bemerkenswerten<br />

Sachsen und trägt die Inschrift: „1783 wurde der Dichter auf seiner Flucht von<br />

Bremer Bürgern gerettet“. Gedacht wird also des Deserteurs <strong>Seume</strong>.<br />

Der Mann, dem wir den Bremer „Denkstein“ verdanken, war Hermann Allmers (1821-<br />

1902). Ein reicher niedersächsischer Bauer, Dichter, Heimatforscher, Kunstmäzen<br />

und in seiner Jugend aktiver Streiter für ein demokratisches, geeintes Deutschland,<br />

das bekanntlich 1848 in der Frankfurter Paulskirche greifbar nahe schien. Angesichts<br />

der Baustelle der „unvollendeten Kattenburg“ des Kurfürsten Wilhelm I von Hessen-<br />

Kassel, war Allmers der Gedanke gekommen: „Für das Schand- und Blutgeld der<br />

verkauften zwölftausend Landeskinder sollte dieser riesige Palast gebaut werden –<br />

davon ein Würfelquader, das wäre der rechte Denkstein für <strong>Seume</strong>“ 28 . In diesem<br />

Sinn, wenn auch aus anderem Material erbaut, gibt das Denkmal noch heute zu<br />

denken. Dass Allmers später selber ziemlich „wilhelminisch“ dachte und sein<br />

Biograph Theodor Siebs ein Erz-Nazi war, sei nicht verschwiegen.


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Nationalsozialismus<br />

Auch im sogenannten „Dritten Reich“ blieb <strong>Seume</strong> aktuell. Mein Zeuge ist Kurt Arnold<br />

Findeisen (1883 - 1863). Engagiert und sprachlich unbedingt auf der Höhe seiner<br />

Zeit hat dieser Autor <strong>Seume</strong> für den Nationalsozialismus vereinnahmt. „<strong>Johann</strong><br />

<strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> Wanderer, Soldat, Patriot“: so lautet sein Beitrag in der<br />

Schriftenreihe „Große Sachsen – Diener des Reichs“.<br />

Der Aufsatz erschien 1938 als Band Nr. 3 im Dresdner „Verlag Heimatwerk<br />

Sachsen“ 29 . Im Vorwort schreibt Findeisen: “Es ist ein wundervolles Bewußtsein, daß<br />

das Deutsche Reich, das damals nur in <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Herzen lebte, heute in machtvoller<br />

Wirklichkeit dasteht�“. Band Nr. 2 war übrigens „Richard Wagner, wie wir ihn heute<br />

sehen“ gewidmet.<br />

Weitere Hinweise auf die Instrumentalisierung <strong><strong>Seume</strong>s</strong>‘ Werks und Lebens aus<br />

dieser Zeit habe ich bislang nicht gefunden. Das kann ihn entlasten, aber ich<br />

vermute, dass die Nazis mit den vorliegenden deutschnationalen, völkischen<br />

Ar<strong>bei</strong>ten ganz zufrieden waren. Man –und ich – sollten weiter suchen.<br />

<strong>Seume</strong> in der DDR<br />

Verblüffender als das Fehlen seumischer Spuren im sogenannten „Dritten Reich“ ist<br />

die Tatsache, dass der erwähnte Autor Findeisen seinen <strong>Seume</strong> übergangslos auch<br />

im sogenannten „Ersten sozialistischen Staat auf Deutschem Boden“ verkaufen<br />

konnte. Fünfzehn Jahre lang hatte er nach der Veröffentlichung seines<br />

nationalsozialistischen Aufsatzes weiter an dem <strong>Seume</strong>-Stoff gear<strong>bei</strong>tet. Dann hatte<br />

sich das schmale Propaganda-Heft zum Roman gemausert. Er erschien, von der<br />

Zensur offenbar gebilligt, 1953 unter dem Titel „Eisvogel. Der Roman <strong>Johann</strong><br />

<strong>Gottfried</strong> <strong><strong>Seume</strong>s</strong>“ in der DDR 30 . Bis 1967 erlebte dieses Buch fünf Auflagen.<br />

1966 erschien im Aufbauverlag Berlin / Weimar ein zweiter Roman mit <strong>Seume</strong>bezug<br />

„Zu Fuß zum Orient“ 31 . Sein Autor, Ludwig Renn (eigentlich Friedrich Vieth von<br />

Golßenau, 1889 – 1979), konnte eine lupenrein kommunistische Biographie<br />

aufweisen, wurde mehrfach ausgezeichnet und später u.a. Ehrenpräsident der


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Akademie der Künste. Er hat die Reise, die er beschrieb, tatsächlich 1925/26 selbst<br />

unternommen, angeblich bewusst auf <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Spuren 32 .<br />

<strong>Seume</strong> war, sozusagen offiziell, im Ar<strong>bei</strong>ter- und Bauernstatt angekommen – aber<br />

keineswegs vorbehaltlos willkommen. Im DDR-Kulturbetrieb konnte man nämlich<br />

kaum begeistert sein von dem Wanderer, lässt sich die Vokabel „Wandern“ doch<br />

lässig zum subversiven Begriff „Unterwandern“ erweitern. Und <strong>Seume</strong> ist, wenn<br />

schon nicht ausgewandert, so doch immerhin ins Ausland und im Ausland<br />

gewandert. Sogar in das westlichen Ausland und im westlichen Ausland. So<br />

zeichnete denn auch der (Ost-)Deutsche Schriftsteller Friedrich Christian Delius<br />

<strong>Seume</strong> in seiner Erzählung „Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus“ als<br />

Mutmacher für DDR-Flüchtlinge. 33<br />

Ignorieren konnten DDR- den fragwürdigen <strong>Seume</strong> andererseits auch nicht. Schon<br />

deshalb, weil sein Andenken in seiner engeren Heimat immer gegenwärtig gewesen<br />

geblieben war. Vor allem in der Gegend von Leipzig und Grimma und im Gedächtnis<br />

der Menschen hatte er Spuren hinterlassen. Nicht zuletzt als Wanderer. 34<br />

Es galt mithin, <strong>Seume</strong> möglichst für den DDR-Sozialismus zu instrumentalisieren,<br />

zumindest aber seine Attraktivität zu kanalisieren. Für <strong>Seume</strong> sprach immerhin seine<br />

proletarische Herkunft. Seine gesellschaftspolitischen An- und Absichten waren zwar<br />

unklar, boten aber ob ihrer Vielfalt gelegentlich Anknüpfungspunkte für Lenin-Zitate.<br />

Wenn man selber die Herausgabe seiner Werke in die Hand nahm, behielt man<br />

zumindest die Interpretationshoheit.<br />

Was immer hinter Verlags- und Regierungs-Türen verhandelt wurde: bereits im Jahr<br />

1954, ist in Weimar, im Thüringer Volksverlag, ein Sammelwerk arg verstümmelter<br />

<strong>Seume</strong>-Schriften erschienen. Unter dem Titel: „SEUME – Ein Lesebuch für unsere<br />

Zeit“ 35 . Und 1977 durfte der „Aufbau-Verlag“ (Berlin und Weimar) „<strong><strong>Seume</strong>s</strong> Werke in<br />

zwei Bänden“ herausgeben 36 , soweit ich weiß ohne inhaltlich eingreifen zu müssen.<br />

Die Einleitungen zu <strong>bei</strong>den genannten Werken zeugen in ihrer Ausführlichkeit und in<br />

der gewundenen Ausdrucksweise von den Problemen, <strong>Seume</strong> als klassenbewussten<br />

Vorläufer des Ar<strong>bei</strong>ter- und Bauerstaats zu präsentieren. 37


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1989, Im letzten Lebensjahr der DDR, kam <strong>bei</strong> Rütten & Löning in (Ost) Berlin<br />

sorgfältig editierte und kommentierte Ausgabe von <strong><strong>Seume</strong>s</strong> „Spaziergang nach<br />

Syrakus im Jahre 1802“ heraus 38 . Im Nachwort heißt es erst vorsichtig: „Man könnte<br />

<strong>Seume</strong> als einen plebejischen Demokraten bezeichnen“, ein Jakobiner sei er aber<br />

nicht gewesen. Aber immerhin ein Moralist, und „ein philanthropischer Einzelgänger,<br />

ein stolzer, vernünftiger rechtlicher Mann‘“. 39<br />

<strong>Seume</strong> im Westen<br />

Im Westen Deutschlands, in der BRD, schien sich anfangs niemand für <strong>Johann</strong><br />

<strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> zu interessieren. Jedenfalls kein Verleger 40 . Das änderte sich erst in<br />

den 1960 Jahren, dann aber im Zeichen eines echten Neuanfangs der <strong>Seume</strong>-<br />

Rezeption.<br />

1961 erschien, sozusagen als Auftakt einer <strong>Seume</strong>-Renaissance eine neue Ausgabe<br />

von „Mein Leben“ (Stuttgart 1961) als Reclam-Heft. Ein Jahr später, 1962 erschien<br />

in Köln eine bahnbrechende –Ausgabe von <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Prosaschrifte, editiert und<br />

kommentiert von Werner Kraft 41 . Das Verdienstdieser Ausgabe ist es vor allem,<br />

außer den eher bekannten Schriften (wie „Mein Leben“, dem „Spaziergang nach<br />

Syrakus“ und „Mein Sommer 1805“) auch fast vergessene Texte zu enthalten. Auch<br />

politische. Etwa „Einige Nachrichten über die Vorfälle in Polen 1794“, „Zwei Briefe<br />

über die neuesten Veränderungen in Rußland seit der Thronbesteigung Paul I.“ und<br />

das Vorwort zum (nie geschriebenen) Kommentar zum Plutarch. Und der<br />

merkwürdige Aufsatz „Über Prüfungen und Bestimmung junger Leute zum Militär“,<br />

mit der sich der russische Söldner <strong>Seume</strong> für seine Beförderung zum Leutnant<br />

bedanken wollte. Der <strong>Seume</strong>-Kenner Drews meinte, diese Ar<strong>bei</strong>t „klingt wie eine<br />

Mischung aus Platitüden und Eisenfresserei“ 42<br />

Mit dieser sorgfältigen und sauberen Edition von <strong>Seume</strong>-Werken hat der<br />

Herausgeber Werner Kraft die Tür zu einem neuen Verständnis von JGS geöffnet –<br />

ohne sie wirklich zu durchschreiten: „Durch Herauslösung aus dem historischen<br />

Kontext wird <strong>Seume</strong> zu einer moralischen Kraft stilisiert, die außerhalb der Zeit steht<br />

und deshalb auch für alle Zeiten Gültigkeit hat. <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Selbsteinschätzung wird<br />

nicht nur unkritisch übernommen, sondern sein Leben und seine Schriften werden<br />

darüber hinaus zu einem Exempel des sittlichen Verhaltens erhoben, aus dem die


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Nachwelt ‚lernen‘ soll“ 43 . Diese Einschätzung trifft nicht nur für die Kraft-Edition zu.<br />

Mit ihr kann man die Sicht der meisten traditionellen <strong>Seume</strong>-Interpreten beschreiben.<br />

Diese kritische Würdigung stammt von Inge Stephan, einer Wissenschaftlerin, die mit<br />

ihrer Dissertation „<strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>, ein politischer Schriftsteller der<br />

deutschen Spätaufklärung“ 44 wirklich einen neuen Weg zum Verständnis von <strong>Seume</strong><br />

und seinem Werk beschritt 45 . Nicht zufällig erschien dieses Werk 1973, in einer Zeit,<br />

da die Studentenbewegung <strong>Seume</strong> zu entdecken begann. Und ich. Einer meiner<br />

einschlägigen Lieblingszitate: „Der Staat sollte die Wohlhabenheit Aller zu befördern<br />

suchen, befördert aber nur den Reichtum der Einzelnen.“ 46<br />

Mit diesem <strong>Seume</strong>-Zitaten könnte sich auch die Partei „Die Linke“ <strong>bei</strong> <strong>Seume</strong><br />

munitionieren. Ebenso mit der Apokryphe: „Wenn nur jeder sicher hätte, was er<br />

verdiente, so würde alles allgemein gut genug gehen.“ 47<br />

Tatsächlich musste und müssen jedoch auch politisch links orientierte Exegeten<br />

<strong><strong>Seume</strong>s</strong> Werk recht selektiv auswerten, um es in ihrem Sinn zu nutzen. Hatte doch<br />

schon Inge Stephan darauf verwiesen, dass <strong>Seume</strong> im Laufe seines Strebens zwar<br />

immer politisch argumentiert und polemisiert hat, da<strong>bei</strong> aber keineswegs konsequent<br />

war. Die Monarchie hat er meistens verteidigt und gelegentlich sogar die Religion als<br />

stabilisierendes Element in der Gesellschaft gewürdigt 48 .<br />

<strong>Seume</strong> schwärmte zwar für die Republik – aber war keineswegs der Einzige, der<br />

darunter einen vernünftig verfassten Staat verstand, wer immer ihn regierte. Lange<br />

gehörte zum Beispiel Napoleon Bonaparte zu seinen Hoffnungsträgern. Nur von den<br />

deutschen Fürsten seiner Zeit erwartete (meistens!) wenig: „Der gewöhnliche Schlag<br />

der deutschen sogenannten Großen und Fürsten frißt, säuft, jagt, hurt, prügelt und<br />

hat in dem Himmelreich der Privilegien das Privileg der Dummheit; und daraus will<br />

man ein gutes Resultat für die Nation erwarten“ 49 Freilich, <strong>Seume</strong> konnte auch ganz<br />

anders. 1807 (am 21. April) hatte <strong>Seume</strong> in der „Zeitung für die elegante Welt“ der<br />

kurz zuvor verstorbenen „Herzoginnenmutter“ Anna Amalia gehuldigt: „Lieb‘ und<br />

Verehrung werde das Monument / Für die erhabne Fürstenfrau �“ 50 .


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<strong>Seume</strong> aktuell<br />

Mein Eindruck ist: Nie war <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> populärer als gegenwärtig. Einen<br />

Anteil an dieser Entwicklung hat nach meiner Einschätzung die Erzählung „Der<br />

Spaziergang von Rostock nach Syrakus“. Womöglich nicht zufällig bieten seit dessen<br />

Erscheinen im Jahr 1995 etliche Veranstalter von Bildungsreisen Busfahrten auf<br />

<strong><strong>Seume</strong>s</strong> Spuren an, vorzugsweise nach und durch Italien.<br />

Auch die Ar<strong>bei</strong>t des „Internationalen <strong>Johann</strong>-<strong>Gottfried</strong>-<strong>Seume</strong>-Vereins ‚ARETHUSA‘<br />

e.V. Grimma“ trägt Früchte. Er hält in Grimma (im „Göschenhaus“ und im „<strong>Seume</strong>-<br />

Haus“) mit Ausstellungen und Vorträgen <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Gedenken wach. Seine Mitglieder<br />

haben Wanderer und Radler jeden Alters und Geschlechts schon zu<br />

schweißtreibenden Ausflügen nach Syrakus und an die Ostsee animiert und erleben<br />

alle zwei Jahre, dass ihr „<strong>Seume</strong>-Literaturpreis“ nicht nur dichtende Amateure<br />

sondern auch Profis interessiert. 51<br />

Unüberhörbar ist der Ruf der literarischen „<strong>Johann</strong>-<strong>Gottfried</strong>-<strong>Seume</strong>-Gesellschaft zu<br />

Leipzig e.V.“ in der Welt der Wissenschaft. Sie sorgt mit Publikationen und Tagungen<br />

seit Jahren dafür, dass <strong>Seume</strong> als bedeutender Vertreter der Aufklärung im<br />

Gespräch bleibt. 52 .<br />

Zusammenfassung<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Leben und Werk lassen sich nur gemeinsam würdigen und<br />

interpretieren und eignen sich ob ihrer Widersprüchlichkeit zur Interpretationsfolie<br />

zahlreicher gesellschaftlicher Strömungen und politischer Ideologien. 53 <strong>Seume</strong> hat<br />

sich auf derart überzeugende Weise selber erfunden und inszeniert, dass die<br />

Widersprüche und Brüche lange nicht auffielen – oder sich, wie Bruno Preisendörfer<br />

meint, fast als Einheit herausstellen. Auf jeden Fall kann jeder „seinen“ und jede<br />

„ihren“ <strong>Seume</strong> wiederfinden – in der virtuellen Welt der Buchstaben und in der realen<br />

Welt der Buchen.


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Anmerkungen<br />

1 Zitat aus <strong><strong>Seume</strong>s</strong> „Apokryphen“. Zitiert nach Jörg Drews (Hg.): <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> - Werke in<br />

zwei Bänden, Band II, Deutscher Klassiker Verlag Frankfurt am Main 1993, Seite 129<br />

2 Populäre Version der ersten Zeilen des Gedichts „Die Gesänge“, die eigentlich lauten: „Wo man<br />

singet, laß dich ruhige nieder / Ohne Furcht was man im Lande glaube, / Wo man singet wird man<br />

nicht beraubt: / Bösewichter haben keine Lider.“ Zitiert nach: Jörg Drews (Hg.): <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong><br />

<strong>Seume</strong> - Werke Deutscher Klassiker Verlag Frankfurt am Main 1993, Band II, S. 502<br />

3 Brief an Gleim vom 01. Mai 1798. In: Jörg Drews / Dirk Sangmeister: <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> Briefe,<br />

Frankfurt am Main 2002. S. 156ff. Es handelt sich da<strong>bei</strong> um den dritten Band der ursprünglich auf zwei<br />

Bände angelegten Herausgabe von <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Werken im Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt a.M.<br />

4 zitiert nach Jörg Drews (Hg.): <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> - Werke in zwei Bänden, Band I, Deutscher<br />

Klassiker Verlag Frankfurt am Main 1993, Apokryphen S. 32. Zu Widersprüchen und Ungereimtheiten<br />

in <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Leben und Werk siehe auch: Karl Wolfgang Biehusen: Kratzen am Mythos. Anmerkungen<br />

zur Rezeption <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong><strong>Seume</strong>s</strong>. In: Jörg Drews (Hg.): „<strong>Seume</strong>:‚Der Mann selbst‘ und seine<br />

‚Hyperkritiker‘“, Bielefeld 2004<br />

5 So hat sich <strong>bei</strong>spielsweise Wilhelm von Kügelgen, ein Sohn des Dresdner Malers und <strong>Seume</strong>-<br />

Freundes Gerhard von Kügelgen, noch in den 1860er Jahren aus seiner Kindheit in Dresden an “den<br />

störrigen Wanderer <strong>Seume</strong>“ erinnert, „der zwar eigentlich in Leipzig wohnte, den Weg von da nach<br />

Dresden aber als Spaziergang ansah und schneller als die Post zu Fuß durchschritt“ (Wilhelm von<br />

Kügelgen (1802 – 1867): 1870 Jugenderinnerungen eines alten Mannes, Berlin 1870) Vom seinerzeit<br />

gepflegte Freundschaftskult zeugt das „Gleimhaus“ in Halberstadt, in dem auch <strong><strong>Seume</strong>s</strong> gedacht wird.<br />

Seinen Ausdruck fand es u.a. in dem seumischen Briefwechsel (siehe Fußnote 4).<br />

6 Zitiert nach Bruno Preisendörfer „Der waghalsige Reisende. <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> und das<br />

ungeschützte Leben“, Berlin 1912 S. 11.<br />

7 ebenda S. 11<br />

8 Sein Reisebericht „Mein Sommer 2005“ wurde z.B. in etlichen deutschen Staaten und in Rußland<br />

sofort verboten.<br />

9 Zeitung für die elegante Welt, Nr. 122 vom 19.06.1810, zitiert nach Eberhard Zänker: <strong>Johann</strong><br />

<strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>, Eine Biographie, Leipzig 2005, S. 393<br />

10 Allgemeine Zeitung (Augsburg, Cotta, Nr. 179, 28. Juni 1810), nach Ansicht des <strong>Seume</strong>-Forschers<br />

Kurt <strong>Seume</strong> von Karl August Böttiger (1760 – 1835) verfasst.<br />

11 Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände“, Conversations-Lexikon, Leipzig<br />

F.A. Brockhaus 1836<br />

12 „Pierers Konversations-Lexikon“ Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1892<br />

13 Garlieb Merkel: <strong>Seume</strong>. In: Jörg Drews (Hg.): „Wo man aufgehört hat zu handeln, fängt man<br />

gewöhnlich an zu schreiben“, <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> in seiner Zeit, Bielefeld 1991, S. 312/313<br />

14 <strong>Seume</strong>: „Mein Leben“, zitiert nach Jörg Drews (Hg.): <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> - Werke in zwei<br />

Bänden, Band I, Deutscher Klassiker Verlag Frankfurt am Main 1993, Seite 94.<br />

15 Robert Eberhardt: <strong>Seume</strong> und Münchhausen, Schmalkalden 2010, S. 87


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16 Zitat aus dem Vorwort von „Mein Sommer 1805“. Zitiert nach Jörg Drews (Hg.): <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong><br />

<strong>Seume</strong> - Werke in zwei Bänden, Band I, Deutscher Klassiker Verlag Frankfurt am Main 1993, Seite<br />

544.<br />

17 Dirk Sangmeister: Welch ein Geist, welch ein Herz!. In: Die Zeit 50/2001<br />

18 TEXT + KRITIK Zeitschrift für Literatur Ausgabe 126 IV/95: „<strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>“, München<br />

1995<br />

19 Eberhard Zänker: Georg Joachim Göschen, Beuche 1996, S. 69ff: „Kampf gegen die Nachdrucker“<br />

20 Mein Leben. Nebst der Fortsetzung . G. J. Göschen u. C.A.H. Clodius, Reclam Universal-Bibliothek<br />

Band 1060,Stuttgart 1961<br />

21 Eberhard Zänker: <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>. Eine Biographie. Verlag Faber & Faber, Leipzig 2005.<br />

22 Oskar Planer und Camillo Reißmann: Joann <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>. Geschichte seines Lebens uns seiner<br />

Schriften. G. J. Göschen’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1898<br />

23 Jörg Drews [Hg.]: <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>, Werke, Deutscher Klassiker Verlag, Band I, Frankfurt<br />

am Main1993, Seite 71. Nicht zu bestreiten ist freilich, dass in <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Schriften der<br />

Begriff „Vaterland“ durchaus vorkommt. „Ein Vaterland – mich schaudert, es zu sagen – ein Vaterland<br />

haben wir nicht mehr; der Fremde hat uns gänzlich in seiner Gewalt, hat uns unterjocht, zu Sklaven<br />

gemacht.“ Diese Worte lesen wir in seinem (in lateinischer Sprache verfassten) Vorwort zu „Ein<br />

Bändchen Bemerkungen und Konjekturen zu zahlreichen schwierigen Stellen des Plutarch“ – einem<br />

Spätwerk, für das er seit 1808 bis zu seinem Tod keinen Verleger fand. Darin schrieb er allerdings<br />

auch die Worte: „Jetzt haben wir Haufen von Fürsten und Scharen von Edelleuten, während es auf der<br />

Welt nichts Unedleres als diese geben kann: das Vaterland ist dahin“ (Jörg Drews [Hg.]: <strong>Johann</strong><br />

<strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>, Werke, Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 1993 Band II, S. 348ff). Das<br />

klingt genauso wenig deutschtümelnd wie seine „Apokryphe“: „Die Bedingung der Vaterlandsliebe ist<br />

Freiheit und Gerechtigkeit“ (Jörg Drews [Hg.]: <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>, Werke, Deutscher Klassiker<br />

Verlag, Frankfurt am Main 1993 Band II, S. 136) – ein Satz, der schon fast nach Text aus dem<br />

Umkreis der Literaten des „jungen Deutschlands“ (etwa: Heinrich Heine) klingt.<br />

24 Zu den Umständen von <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Tod siehe Frank <strong>Seume</strong>: „<strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>, Krankheit, Tod<br />

und letzte Ruhe in Teplitz“. In: Mark Reichel (Hg.): „Und nun� <strong>Johann</strong> Gottfries <strong>Seume</strong> (1763-1810)<br />

aus Poserna – der eigenartige Kosmopolit und berühmte Spaziergänger nach Syrakus“, im<br />

Eigenverlag herausgegeben 2012 von der Stadt Lützen als Träger des Museums Lützen.<br />

Nachzulesen auch in „<strong>Seume</strong>.de“. Zur Beantwortung der oft gestellten Frage nach <strong><strong>Seume</strong>s</strong><br />

Todesursache zitiert Frank <strong>Seume</strong> (der übrigens kein Nachfahre von <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> ist) in<br />

diesem Aufsatz einen Urologen, der 1931 auf der Grundlage zeitgenössischer Quellen als<br />

Todesursache „Harnblasentuberkolose“ annahm.<br />

25 August Sauer: <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>. Festrede zur Enthüllung seines Denkmals in Teplitz am<br />

15.Sept. 1895. In: „Sammlung gemeinnütziger Vorträge“, herausgegeben vom Verein zur Verbreitung<br />

gemeinnütziger Kenntnisse (im Verlag gleichen Namens), Nr. 208, Prag im Januar 1869<br />

26 Sauers „Auffassung von einem auf Volks- und Stammestum basierenden ‚Nationalgeist‘ wurde von<br />

völkischen und NS-Literaturhistorikern �. aufgegriffen“. Zitat: Stefan Jordan, Beitrag: „Sauer, August<br />

Rudolf Josef Karl“. In: Neue Deutsche Biographie 22 [2005], S. 451-452 [Onlinefassung]; URL:<br />

http://www.deutsche-biographie.de/pnd118605747.html<br />

27 Zur Geschichte des <strong>Seume</strong>-Denkmals in Bremen siehe: Karl Wolfgang Biehusen: „Drei Männer und<br />

ein Denkmal: <strong>Seume</strong>, AIlmers, Meyenburg“ in Männer vom Morgenstern, Heimatbund an Elb- und<br />

Wesermündung, Jahrbuch (Nr. 83) für 2004, Bremerhaven 2005 sowie www.<strong>Seume</strong>.de / Biehusen


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28 Zitiert nach Theodor Siebs: Hermann Allmers, Sein Leben und Dichten unter Benutzung seines<br />

Nachlasses, Berlin 1915 S. 170.<br />

29 „Im Oktober 1936 wurde auf Initiative des sächsischen Gauleiters Martin Mutschmann und der<br />

sächsischen Staatskanzlei das ‚Heimatwerk Sachsen - Verein zur Förderung des sächsischen<br />

Volkstums e.V.‘ gegründet. Seine offiziellen Ziele waren die zentrale Steuerung aller<br />

regionalkulturellen Bestrebungen in Sachsen und ihre Einbeziehung in den politischen<br />

Erziehungsauftrag der NSDAP. Damit wurde das ‚Heimatwerk Sachsen‘ dem Anspruch nach zur<br />

kulturellen Vorfeldorganisation der sächsischen NSDAP, die auch Nicht-Parteimitglieder über ein<br />

spezifisches regionales Identifikationsangebot für das Dritte Reich mobilisieren sollte.“ (Dr. Thomas<br />

Schaarschmidt, Kolloquium 28.4.1999, zitiert nach www.uni-leipzig.de)<br />

30 Kurt Arnold Findeisen: Eisvogel. Der Roman <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong><strong>Seume</strong>s</strong>, Verlag der Nationen, Berlin<br />

1953. Der Verlag stand der DDR-Blockpartei „Nationale Partei Deutschlands“ nahe, die 1990 von der<br />

FDP geschluckt wurde.<br />

31 Ludwig Renn: Zu Fuß zum Orient, Aufbau Verlag Berlin und Weimar 1966. Eine Art Fortsetzung<br />

erschien unter dem Titel „Ausweg“ 1967 am gleichen Ort. Später erschienen mehrere Ausgaben<br />

<strong>bei</strong>der Romane in einem Buch. Zitate in dieser Ar<strong>bei</strong>t beziehen sich auf eine derartige Doppel-<br />

Ausgabe (Berlin und Weimar 1981).<br />

32 „So werde ich den Leuten erzählen, ich wollte eine Reise nach Syrakus mach. Das werden sie als<br />

Sport auffassen und richtig finden. Da<strong>bei</strong> ist es nicht einmal originell. Das hat schon einer gemacht,<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>. Er gehörte zu denen, die eine Freiheit erstrebten, die im damaligen<br />

Deutschland der Fürstenherrschaft nicht erreicht werden konnte.“ (ebenda S. 8)<br />

33 Friedrich Christian Delius: „Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus“, erschienen 1995 <strong>bei</strong><br />

Rowohlt in Reinbek <strong>bei</strong> Hamburg. Erst kürzlich hat mir ein ehemals in Bautzen inhaftierter DDR-<br />

Dissident erzählt, dass er sein Überleben als Häftling unter anderem der Lektüre des oben erwähnten<br />

Romans „Eisvogel“ verdanke. Das Vorbild <strong><strong>Seume</strong>s</strong> habe in moralisch den Rücken gestärkt.<br />

34 Das „Göschenhaus“ in Grimma-Hohnstädt spielte eine große Rolle. Nicht zuletzt der privaten<br />

Initiative der bemerkenswerten Frau Renate Sturm-Franke ist es zu verdanken, dass dieses Landhaus<br />

des Verlegers, <strong>Seume</strong>-Freundes und <strong>Seume</strong>-Ar<strong>bei</strong>tgebers G. J. Göschen der Öffentlichkeit in der<br />

DDR und darüber hinaus bis heute zugänglich ist. Siehe: http://www.goeschenhaus.de<br />

35 Peter Goldammer und Heinz Pietsch (Hg.): <strong>Seume</strong>. Ein Lesebuch für unsere Zeit, Weimar 1954.<br />

36 Anneliese und Karl-Heinz Klingenberg (HG. Und Einleitung): <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Werke in zwei Bänden,<br />

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1977<br />

37 .„<strong><strong>Seume</strong>s</strong> politischen Anschauungen sind – wie die vieler führender Geister jener Zeit – unklar und<br />

voller Widersprüche.“ So heißt es etwa im „Lesebuch“ (Goldammer/Pietsch S. 16). Der Aufbauverlag<br />

nahm später die gleiche Kurve eleganter: „Er war ein politischer Publizist und Historiker der<br />

Zeitgeschichte von hohem Rang“ (A. und K.H. Klingenberg S. 30). Diese Ausgabe kann sich übrigens<br />

sehen lassen und findet zum Glück noch heute Käufer.<br />

38 Gotthard Erler unter Mitar<strong>bei</strong>t von Therese Erler (Hg.): <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>, Spaziergang nach<br />

Syrakus im Jahre 1802, Berlin 1989, mit einem Nachwort von Gotthard Erler.<br />

39 Ebenda S. 493<br />

40 Ich (KWB) bin <strong>Seume</strong> erstmals über ein zerlesenes Exemplar des DDR-“Lesebuchs“ von<br />

Goldammer Pietsch begegnet, dass irgendwie den Weg in ein westdeutsches Antiquariat gefunden<br />

hatte.


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41 Werner Kraft (Hg. und Einleitung): „<strong>Seume</strong>, <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong>: Prosaschriften“, Köln 1962,<br />

erschienen im Joseph Melzer Verlag. Dessen Anliegen war es laut „Wikipedia“, den „deutschen<br />

Lesern die von den Nationalsozialisten verbotenen Bücher wieder zugänglich zu machen.“ (Wikipedia,<br />

Stichwort Joseph Melzer Verlag). Bei dem Herausgeber Werner Kraft handelte es sich um einen „<br />

deutsch-israelischer Bibliothekar, Literaturwissenschaftler und Schriftsteller jüdischer Herkunft“<br />

(Wikepedia, Stichwort: Werner Kraft).<br />

42 Jörg Drews (Hg.): <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> - Werke Deutscher Klassiker Verlag Frankfurt am Main<br />

1993, Band I, S. 639<br />

43 Inge Stephan: <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>, Ein politischer Schriftsteller der deutschen Spätaufklärung.<br />

Stuttgart 1973, S. 11<br />

44 Inge Stephan: <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>, Ein politischer Schriftsteller der deutschen Spätaufklärung.<br />

Stuttgart 1973<br />

45 Eine Art Vorläufer war in gewisser Weise Hermann Schweppenhäuser, der 1966 die „Apokryphen“<br />

neu herausgegeben und mit einem Essay versehen hatte, in dem er <strong>Seume</strong> als „Citoyen in<br />

Deutschland“ (titel-)würdigte. (Hermann Schweppenhäuser: <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>: Apokryphen,<br />

Frankfurt am Main 1966)<br />

46 Jörg Drews (Hg.): <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> - Werke Deutscher Klassiker Verlag Frankfurt am Main<br />

1993, Band II, S. 71<br />

47 Ebenda S. 54<br />

48 <strong><strong>Seume</strong>s</strong> „Kurzes Pflichten- und Sittenbuch für Landleute“ war selbst seinem Auftraggeber Göschen<br />

nicht geheuer, weshalb es erst1811 von M. J. S. Vertraugott Schiek (in Leipzig) herausgegeben, unter<br />

dem Titel: „Ein Nachlaß moralisch religiösen Inhalts.“ Es passt so gar nicht zu dem Mann, der sich im<br />

„Spaziergang nach Syrakus“ gar nicht genug über „Möncherei“ und „Pfafferei“ echaufieren konnte und<br />

andernorts auch diden Protestantismus nicht schonte„Die Pfaffen haben die Erbsünde geschaffen,<br />

und der Adel verewigt sie: die Despotie verewigt alles zusammen“. Zitiert nach Jörg Drews (Hg.):<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> – Werke, Deutscher Klassiker Verlag Frankfurt am Main 1993, Band II,<br />

Apokryphen, S. 135<br />

49 Jörg Drews (Hg.): <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong> - Werke Deutscher Klassiker Verlag Frankfurt am Main<br />

1993, Band II, S. 99<br />

50 Zitat aus dem Gedicht „Amalia“, Jörg Drews [Hg.]: <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>, Werke, Deutscher<br />

Klassiker Verlag, Frankfurt am Main1993 Band II, Seite 515<br />

51 Liste der bisherigen PreisträgerInnen:<br />

2001: Götz-Ulrich Coblenz ”Mein Spaziergang von Arkona nach Pisa“<br />

2003: Wolfgang Büscher ”Berlin - Moskau Eine Reise zu Fuß“<br />

2005: Andreas Altmann ”34 Tage, 33 Nächte - Von Paris nach Berlin zu Fuß und ohne Geld“<br />

2007: Andreas Reimann ”Und Rotwein rauscht an meiner Seele Süden“ (Italien-Sonette)<br />

2009: Helga M. Novak „Wo ich jetzt bin“<br />

2011: Peter Winterhoff-Spurk:„Unternehmen Babylon. Wie die Globalisierung die Seele gefährdet“<br />

52<br />

Einige Beispiele von Aufsätzen, die in Publikationen der <strong>Seume</strong>-Gesellschaft aufgrund von<br />

Tagungen erschienen sind:<br />

Rupert Gaderer: „[�] auf einer neuen Wanderung begriffen“. Literarische Raumkonzeptionen in<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Spaziergang nach Syrakus und Mein Sommer 1805. In: Jörg Drews (Hg.):<br />

In Polen, Palermo und St. Petersburg, Bielefeld 2008<br />

Gabi Pahnke: <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>Seume</strong>: Die Kommunikation eines Sonderlings als sonderbare<br />

Kommunikation? In: Jörg Drews (Hg.): In Polen, Palermo und St. Petersburg, Bielefeld 2008


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Lois Musmann: <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Observations on music. Reflections of an Enlightened Poet. In: Jörg Drews /<br />

Gabi Pahnke (Hgg.) „Weimar ist unser Athen.“ Mit <strong>Seume</strong> in Weimar, Bielefeld 2010<br />

Albert Meier: Polemisches Reisen. Über die Unzuverlässigkeit von <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong><strong>Seume</strong>s</strong><br />

Beschreibung seiner Reise durch Italien und Frankreich. In: Jörg Drews (Hg.): „<strong>Seume</strong>:‚Der Mann<br />

selbst‘ und seine ‚Hyperkritiker‘“, Bielefeld 2004.<br />

Karl Wolfgang Biehusen: Kratzen am Mythos. Anmerkungen zur Rezeption <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong><br />

<strong><strong>Seume</strong>s</strong>. In: Jörg Drews (Hg.): „<strong>Seume</strong>:‚Der Mann selbst‘ und seine ‚Hyperkritiker‘“, Bielefeld 2004 und<br />

www.seume.de / Biehusen / Bibliographie<br />

Georg Meyer-Thurow: Erfundene Geschichten aus <strong><strong>Seume</strong>s</strong> Leben. Eine Anmerkung zur<br />

Monographie von Oskar Planer und Camillo Reißmann. In: Jörg Drews (Hg.): „<strong>Seume</strong>:‚Der Mann<br />

selbst‘ und seine ‚Hyperkritiker‘“, Bielefeld 2004<br />

53 Das <strong>Seume</strong>-Denkmal in Bremen bildet ebendort seit den 1970 Jahren immer wieder den<br />

argumentativen Ansatzpunkt von Auseinandersetzungen. Auf der einen Seite stehen Mitglieder der<br />

Friedensbewegung, die sich ein Denkmal für den „unbekannten Deserteur“ wünschen und ihren<br />

Gegnern zurufen: „Warum zögert Ihr? Ihr duldet doch sogar ein Denkmal für einen sehr bekannten<br />

Deserteur!“ Die pfiffige Antwort aus dem Rathaus: „Eben darum. Wir brauchen nicht noch ein zweites<br />

Denkmal zu diesem Thema.“

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