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098 Geburtsreportage - Geburtshaus Bonn

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<strong>098</strong> <strong>Geburtsreportage</strong> 29.08.2006 11:42 Uhr Seite 108<br />

Ein besonderer Platz, um<br />

auf die Welt zu kommen: das<br />

<strong>Geburtshaus</strong> in <strong>Bonn</strong>. In<br />

sicherer Geborgenheit starten<br />

dort kleine Menschen ins<br />

Leben. Ennas Mutter Simone<br />

Hornig,37, erzählt, wie sie die<br />

Geburt ihrer Tochter erlebt hat<br />

Fotos: Stephanie Füssenich<br />

94 ELTERN 10|2006<br />

Ennas Geburts-Tag<br />

Der 31. Mai ist ein schönes Datum,<br />

finde ich. Dieser Tag steht als errechneter<br />

Geburtstermin in meinem<br />

Mutterpass. Der 6.6.06 klingt auch<br />

gut.Aber sogar diesen Tag erlebe ich noch<br />

mit Bauch.<br />

Ich bin gern schwanger. Wir sind gespannt,<br />

wann es losgehen wird,mein Mann<br />

Martin und ich. Neugierig, ja. Nervös, nein.<br />

Nun gehen wir jeden zweiten Tag in unser<br />

<strong>Geburtshaus</strong>. Jolanthe, unsere Hebamme,<br />

untersucht mich, wir plaudern.Wenn<br />

sie fragt: „Na,wie geht’s euch?“, will Jolanthe<br />

wirklich wissen, was uns bewegt.<br />

Sie hat zärtliche, kundige Hände. Ich mag<br />

es, wie sie meinem Bauch abtastet, und<br />

mit dem Hörrohr nach dem Herzschlag<br />

unseres Babys sucht.Wir wissen nicht, ob<br />

es ein Mädchen oder ein Junge ist. Es ist<br />

sein Geheimnis, bis es auf der Welt ist.<br />

Seit ich fünf Tage über dem Termin bin,<br />

wartet die ELTERN-Fotografin Stefanie<br />

Füssenich mit mir. Eine junge Frau, 26 Jahre<br />

alt, sie wird das erste Mal bei einer Geburt<br />

dabei sein. Stefanie hat Ehrfurcht vor<br />

dem, was da geschehen wird. Ich auch.<br />

Aber Ehrfurcht ist etwas anderes als Angst.<br />

Geruhsames Warten:<br />

Martin Hornig, 38,<br />

freut sich auf sein Baby.<br />

Das <strong>Geburtshaus</strong> <strong>Bonn</strong><br />

ist auch zu „seinem“<br />

Haus geworden. Wann<br />

immer er kann,<br />

begleitet er seine Frau<br />

zu den Terminen<br />

dort – „gute Stimmung<br />

tanken“. Hebamme<br />

Jolanthe Stepak,<br />

26, untersucht konzentriert,<br />

dabei<br />

sanft und liebevoll<br />

Zeit, geboren zu werden<br />

Es ist Sonntag Morgen, der 11. Juni.<br />

Endlich Sonne nach vielen kalten Regenwochen.<br />

Mein Körper fühlt sich anders an.<br />

Ich bin ganz ruhig, irgendwie gesammelt.<br />

Als der Schleimpfropf abgeht, weiß ich –<br />

jetzt bald.<br />

Alles auf Baby: Türschild am <strong>Bonn</strong>er<br />

<strong>Geburtshaus</strong> – an besonderen Tagen<br />

ein kind kommt<br />

S c h w a n g e r s c h a f t & G e b u r t<br />

Ich verbringe den Sonntag hauptsächlich<br />

im Liegen, schaue nach vorn. Essen<br />

will ich nichts.Am späten Nachmittag spüre<br />

ich ein Ziehen. Es tut noch nicht richtig<br />

weh. Aber es hat Kraft. Mein Kind<br />

macht sich auf den Weg. Ich freue mich.<br />

Gleichzeitig spüre ich eine wahnsinnige<br />

Trägheit. Ich weiß aber, dass jetzt genau<br />

das auf mich zukommt, worauf Jolanthe<br />

mich immer vorbereitet hat: Arbeit.<br />

Abends will sich Martin etwas zu essen<br />

kochen. „Lass das mal, ruf lieber Jolanthe<br />

an“, sage ich schon etwas kurzatmig zu<br />

ihm. Es zieht und zwickt so heftig und<br />

nachhaltig im Bauch, dass ich „tönen“<br />

muss: tief einatmen, den Bauch groß machen,<br />

die Luft lang ablassen und dabei<br />

alle Vokale durchtönen.<br />

Jolanthe kommt und bestätigt, was ich<br />

weiß: Unser Baby ist auf dem Weg.Wir fahren<br />

ins <strong>Geburtshaus</strong>, Jolanthe voraus, Martin<br />

und ich im eigenen Auto hinterher.<br />

Und wie immer umfängt mich das<br />

Haus am Kaiser-Karl-Ring mit seinem<br />

Schutz, im Garten blühen Holunder und<br />

Rosen, wir drücken die schöne alte Haustür<br />

auf und sind da.<br />

10|2006 ELTERN 95


<strong>098</strong> <strong>Geburtsreportage</strong> 29.08.2006 11:43 Uhr Seite 110<br />

ein kind kommt<br />

S c h w a n g e r s c h a f t & G e b u r t<br />

Ein guter Ort zum Kinderkriegen<br />

Mein Baby hier zu bekommen – das<br />

kann ich mir gut vorstellen! Schon beim<br />

ersten Besuch des <strong>Bonn</strong>er <strong>Geburtshaus</strong>es<br />

ging mir dieser Gedanke durch den Kopf.<br />

Eigentlich war ich auf der Suche nach einer<br />

Hebamme gewesen, die mich in der<br />

Schwangerschaft zusätzlich zu meiner<br />

Gynäkologin betreut und die mich dann<br />

in die Klinik begleitet. Aber dann entwickelten<br />

sich meine Gedanken einfach<br />

weiter:Trau ich mich im <strong>Geburtshaus</strong>?<br />

So um die 20.Woche herum stand dann<br />

für mich fest – ich kann es! Ich will mein<br />

Baby im <strong>Geburtshaus</strong> bekommen.<br />

Klar bin auch ich in der letzten Phase<br />

manchmal unsicher:Wann geht es los? Wie<br />

fühlt sich das an? „Du wirst eine Veränderung<br />

merken, noch bevor die Wehen losgehen“,<br />

sagt mir Jolanthe.<br />

Wasser wird mein Wehen-Element<br />

Die Wehen rollen heran, es tut unheimlich<br />

weh. Aber genau wie Jolanthe immer<br />

gesagt hat: Ich kann den Schmerz annehmen,<br />

ich habe die Kraft, mit ihm zu arbeiten.<br />

Und bekomme die Belohnung: Pausen<br />

96 ELTERN 10|2006<br />

Wasser-Arbeit: Als<br />

die Wehen heftig<br />

werden, schlägt die<br />

Hebamme ein Bad<br />

vor. Und tatsächlich<br />

– im Wasser haben<br />

die Wehen zwar eine<br />

super Kraft, aber<br />

sie sind für Simone<br />

besser auszuhalten.<br />

Das Wichtigste<br />

für die werdende<br />

Mutter sind die<br />

Ruhe und der Schutzraum<br />

um sie herum<br />

zwischen den Wehen, ich kann die Augen<br />

wieder offen halten und Geborgenheit tanken.<br />

Martin ist da.<br />

Manchmal stört mich das Klicken von<br />

Stefanies Kamera bei der Arbeit. Ich bitte<br />

sie, mal nicht zu fotografieren. Aber Steffi<br />

kann da bleiben. In der dünnhäutigen<br />

Zeit kurz vor der Geburt sind wir uns<br />

schnell nahe gekommen.<br />

Es ist etwa nachts um elf, als mir Jolanthe<br />

ein Entspannungsbad vorschlägt. Sie<br />

lässt Wasser ein und gibt Lavendelöl hin-<br />

Augen zu: Simone taucht in eine eigene<br />

Welt ab, als die Presswehen beginnen<br />

zu. Ich tauche ein in die duftende Wärme.<br />

Mal ein halbes Stündchen im Nassen, das<br />

ist okay. Für die „richtige“ Geburt kann<br />

ich ja wieder raus. Das Baby im Wasser zu<br />

gebären, kann ich mir nicht vorstellen.<br />

Die Wehen sind weiter superkräftig.<br />

Aber im Wasser kann ich sie viel besser<br />

aushalten. Ich fühle mich umhüllt, irgendwie<br />

ist es in Ordung, dass da eine Wehen-<br />

Woge heranrollt, sich vor mir auftürmt,<br />

meinen Körper weich macht – und dann<br />

wieder abebbt. Ich will nicht mehr aus<br />

dem Wasser, nie mehr.<br />

Ich bin wie weg aus der Welt<br />

„Du kriegt das Kind, ich bin nur bei<br />

dir“, hat mir Jolanthe immer gesagt. Jetzt<br />

weiß ich, was sie damit gemeint hat.<br />

Jolanthe hält mir die Hand, sie gibt mir<br />

Sicherheit, sagt aber ganz wenig. Sie lässt<br />

mich in Ruhe arbeiten.<br />

An eine Untersuchung erinnere ich<br />

mich aber gut: „Jetzt sind es sieben Zentimeter“,<br />

stellt Jolanthe so gegen Mitternacht<br />

fest. So viel Arbeit geschafft!<br />

Ich höre, wie Martin leise mit mir<br />

spricht. Ich spüre, wie er meine Hand<br />

Baby ist da! Mädchen? Junge? Simone und<br />

Martin lassen sich Zeit mit dem Nachschauen<br />

10|2006 ELTERN 97


<strong>098</strong> <strong>Geburtsreportage</strong> 29.08.2006 11:43 Uhr Seite 112<br />

ein kind kommt<br />

S c h w a n g e r s c h a f t & G e b u r t<br />

GEBURTSHAUS AUCH FÜR MICH?<br />

Infos, die bei der Entscheidung helfen:<br />

! Die Schwangerschaft verläuft normal,<br />

dem Ungeborenen geht es gut, Sie<br />

erwarten keine Zwillinge – das sind die<br />

wichtigen Voraussetzungen für eine<br />

Entbindung im <strong>Geburtshaus</strong>.<br />

! Weil Risikofälle ausgeschlossen werden,<br />

sind Geburten im <strong>Geburtshaus</strong> sehr<br />

sicher. Nach einer Studie zur „Qualitätssicherung<br />

in der außerklinischen Geburtshilfe“<br />

kommt es bei Entbindungen im<br />

<strong>Geburtshaus</strong> nicht häufiger zu Problemen<br />

bei Mutter und Kind als in der Klinik.<br />

! Etwa zehn Prozent der im <strong>Geburtshaus</strong><br />

begonnenen Entbindungen enden in<br />

der Klinik, weil sich die werdende Mutter<br />

und die Hebammen zu einer Verlegung<br />

entscheiden. Zum Beispiel, weil die Geburt<br />

nicht weiter vorangeht.<br />

! Manche Geburtshäuser ziehen für die<br />

Entbindung einen Arzt hinzu, die Regel ist<br />

das jedoch nicht.<br />

! Geburtshäuser haben keine Wochenstation.<br />

Das heißt: Mutter und Kind gehen<br />

etwa drei bis vier Stunden nach der<br />

Geburt nach Hause. Für die Nachsorge<br />

kommt die Hebamme jeden Tag.<br />

! Geburtshäuser rechnen direkt mit den<br />

Kassen ab. Übernommen werden in jedem<br />

Fall die Kosten für die Betreuung vor<br />

der Geburt, für die Entbindung selbst<br />

und für die Nachsorge. Aber: Wenn sich<br />

die Kasse stur stellt, bleiben etwa 500<br />

Euro für die Benutzung des <strong>Geburtshaus</strong>es<br />

an Ihnen hängen. Deshalb immer<br />

vorher verhandeln. Sie haben gute<br />

Argumente: Eine Entbindung im Krankenhaus<br />

kostet die Kasse mindestens dreimal<br />

so viel wie eine Geburt im <strong>Geburtshaus</strong>.<br />

! Wenn Sie sich eine Entbindung im<br />

<strong>Geburtshaus</strong> vorstellen können, nehmen<br />

Sie möglichst früh (am besten um die<br />

16. Woche herum) Kontakt auf. Es gibt mittlerweile<br />

etwa 200 Geburtshäuser in<br />

Deutschland. Sicher finden Sie eines, das<br />

für Sie in erreichbarer Nähe ist.<br />

w w w. e l t e r n . d e /g e b u r t s h a u s<br />

Alle Adressen in Deutschland.<br />

98 ELTERN 10|2006<br />

hält und mir den Schweiß von der Stirn<br />

tupft.Aber richtig wahr nehme ich in meiner<br />

Wasserkapsel die Welt draußen nicht.<br />

Mein Körper arbeitet, er weiß, was zu tun<br />

ist. Mein Kopf ist wie abgetaucht. Klar, der<br />

Schmerz kommt oben an. Es tut weh.Aber<br />

ich fühle mich nie hilflos oder allein. Nie,<br />

wirklich nie, habe ich mich nach einem<br />

Schmerzmittel gesehnt.<br />

Es überrascht mich, wie laut ich werden<br />

kann. Hemmungslos tönen, stöhnen, ächzen,<br />

alles rauslassen – das geht. Im <strong>Geburtshaus</strong><br />

darf ich alles, was mir gut tut.<br />

Ich habe nie Angst<br />

Um etwa halb eins in der Nacht wechselt<br />

Jolanthe das Wasser. Das Baby soll nicht<br />

in den Lavendelduft geboren werden, sondern<br />

in reines Wasser. Das Baby – wirklich?<br />

Ist es bald geschafft?<br />

Ich bleibe in der Wanne, es wird ein<br />

bisschen kühl, aber raus? Bitte nicht! Gegen<br />

eins ruft Jolanthe Monika an, denn zur<br />

letzten Phase der Geburt kommt eine zweite<br />

Hebamme hinzu. Also Endspurt. Jetzt<br />

kann ich das Baby herausschieben. Schieben<br />

ist etwas untertrieben. Ich arbeite mit<br />

den Presswehen mit, das sind Urgewalten.<br />

Sie reißen mich auseinander, ein brennender<br />

Schmerz. Und dennoch habe ich<br />

nie wirklich Angst. Das ist nicht schrecklich,<br />

nur gewaltig.<br />

Baby duftet so süß<br />

Was ist denn das? Ein kleiner weißer<br />

Luftballon zwischen meinen Beinen! Ein<br />

Köpfchen, ein Kind. Noch umhüllt von der<br />

Fruchtblase, die von Jolanthe jetzt geöffnet<br />

wird, damit sie das Baby freigibt.<br />

Ennas erster Hunger, etwa eine Stunde<br />

nach der Geburt. Jolanthes erster Besuch bei<br />

der jungen Familie zu Hause<br />

Ich habe die Augen zu, und dann fühle<br />

ich, wie da etwas auf meinem Bauch<br />

krabbelt. Zart und süß duftend. Erst lernen<br />

meine Hände mein Baby kennen. Schauen<br />

hat noch Zeit.<br />

Martin und Baby und ich sind allein im<br />

Raum.Wir haben unendlich viel Zeit , uns<br />

kennen zu lernen. 0b ein Mädchen oder<br />

ein Junge auf die Welt gekommen ist, haben<br />

wir immer noch nicht nachgeschaut.<br />

Unser Baby und ich steigen aus der Wanne,<br />

mit der Nabelschnur verbunden. Ich lege<br />

mich auf das große Bett im Gebärzimmer,<br />

und das Baby sucht nach meiner Brust.<br />

Doch mal schauen, was es ist? Martin und<br />

ich schieben die wärmende Decke zur Seite,<br />

halten das Kleine ein wenig weg von<br />

meiner Haut – ein Mädchen, Enna!<br />

Martin darf die Kleine abnabeln, dann<br />

wird Enna gewogen.3920 Gramm! Ein<br />

großes Baby. Ich bin bis auf einen kleinen<br />

Riss ganz heil geblieben. Nur fürs Wiegen<br />

kommt Enna kurz von mir weg, bei der<br />

ersten Untersuchung ist sie wieder bei mir.<br />

Wir kuscheln zu dritt im großen Bett,<br />

draußen ist es noch ganz still, es wird langsam<br />

hell, und dann kommt die Sonne.<br />

Um halb sieben gibt es Frühstück, Stefanie<br />

hat Brötchen geholt. Um halb acht<br />

ist es Zeit, nach Hause zu gehen. Wir<br />

packen Enna in ihren Kindersitz und<br />

schließen die schöne alte Tür des <strong>Geburtshaus</strong>es<br />

hinter uns.<br />

Sie haben noch Fragen zum Thema?<br />

Unsere Redakteurin Rosemarie<br />

Wetscher erreichen Sie Mo. bis Do. von<br />

15 bis 17 Uhr,Tel. 0 89/4 15 25 11,<br />

E-Mail:wetscher.rosemarie@muc.guj.de.

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