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Georg Joachim Rhetikus - Vorarlberg

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Vierteljahresschriftfür Geschichteund Gegenwart<strong>Vorarlberg</strong>s57. Jahrgang2005 Heft 4


Für die gewährte Unterstützung dankt der Verlag den Förderern:<strong>Vorarlberg</strong>er Landesregierung<strong>Vorarlberg</strong>er Kraftwerke AG<strong>Vorarlberg</strong>er Illwerke AGHerausgeber und Verleger: <strong>Vorarlberg</strong>er Verlagsanstalt, Aktiengesellschaft, DornbirnSchriftleitung: Karl Heinz Burmeister, Bregenz und Alois Niederstätter, BregenzOffenlegung: Landeskundliche Darlegung aller Belange <strong>Vorarlberg</strong>s in Vergangenheit und GegenwartHersteller und Verwaltung:<strong>Vorarlberg</strong>er Verlagsanstalt, Aktiengesellschaft, A-6850 Dornbirn, Schwefel 81, Telefon 05572/24697-0,Fax: 05572/24697-78, Internet: www.vva.at, E-Mail: office@vva.atBindung: Konzett Buchbinderei, BludenzBezugspreise: Jahresabonnement (4 Hefte inkl. Zustellung), Inland s 34,00, Ausland s 54,00. Einzelheft s 14,00.Doppelheft s 28,00 (Schüler und Studenten 15-% ermäßigt).Einzahlungen: Konto-Nr. 0000-044172 bei der Dornbirner Sparkasse Dornbirn, BLZ 20602Abonnement-Abbestellungen für das folgende Jahr sind spätestens bis 31. Oktoberdem Verlag schriftlich bekanntzugeben.Nachdrucke und Auszüge sind nur mit Quellenangabe gestattet.Es wird gebeten, Besprechungsexemplare von Büchern und Zeitschriften an dieobige Anschrift der Verwaltung zu senden.Die in der „Montfort“ erscheinenden Aufsätze werden in „Historical Abstracts“,American Bibliographical Center, Santa Barbara, Kalifornien, USA, angezeigt.ISBN 3-85430-330-0


InhaltManfred Tschaikner Die Grafschaft im Walgau, Blumenegg, Guggais und Sonnenberg . . . 303Karl Heinz Burmeister <strong>Georg</strong> <strong>Joachim</strong> <strong>Rhetikus</strong> – ein Bregenzer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308Markus Erath Die Juden in <strong>Vorarlberg</strong> und Tirol im Dreißigjährigen Krieg . . . . . . . 328Ferdinand Pfefferkorn Tagebuch eines Bergpfarrers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346Helmut Tiefenthaler Weitwanderwege durch <strong>Vorarlberg</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381Judith Maria Rollinger/Robert Rollinger (Hrsg.), Montafon 1.Mensch – Geschichte – Naturraum. Die lebensweltlichen Grundlagen.Hugo von Montfort: Das poetische Werk.Norman Douglas. A Portrait.Brunold, Ursus – Saulle Hippenmeyer, Immacolata: Jahrzeitbücher, Urbareund Rödel Graubündens, Bd. II.Delphina Burtscher. Meine Lebensgeschichte.Obermair, Hannes: Bozen Süd – Bolzano Nord.Die Verfasser und ihre Anschriften:Univ.-Prof. em. DDr. Karl Heinz Burmeister, Am Stäuben 18, D-88131 Enzisweiler/Post Lindau – Univ.-Doz. Dr. PeterBußjäger, Institut für Föderalismus, Maria-Theresien-Straße 38b, A-6020 Innsbruck – Mag. Markus Erath, Oberdorf 292,A-6874 Bizau – Mag. Dr. Ulrike Längle, Klausmühle 5, A-6900 Bregenz – Ferdinand Pfefferkorn, Pfarramt Levis, A-6800Feldkirch – em. Univ.-Prof. Guntram A. Plangg, Institut für Romanistik, Universität Innsbruck, Innrain 52 – MMag.Dr. Andreas Rudigier, Montafoner Museen, Kirchplatz 15, A-6780 Schruns – Mag. Dr. Helmut Tiefenthaler, Kummenweg8a, A-6900 Bregenz – Mag. Dr. Manfred Tschaikner, <strong>Vorarlberg</strong>er Landesarchiv, Kirchstraße 28, A-6901 Bregenz.


<strong>Georg</strong> <strong>Joachim</strong> <strong>Rhetikus</strong> – ein Bregenzer?VON KARL HEINZ BURMEISTERDer große Gelehrte <strong>Georg</strong> <strong>Joachim</strong> <strong>Rhetikus</strong>(1514-1574), berühmt als der Künder des kopernikanischenWeltbildes, wird allgemein als einbesonderes Ruhmesblatt der Kulturgeschichteseiner Heimatstadt Feldkirch gesehen. BenediktBilgeri hat in einem Aufsatz „Zum 450. Geburtstagdes Astronomen Rhätikus“ neben Feldkirchaber auch Bregenz als einen der Orte genannt, die<strong>Rhetikus</strong> als seine engere Heimat betrachtet 1 .1542, schreibt Bilgeri, war <strong>Rhetikus</strong> Bregenzergeworden. Auch in seiner Geschichte der StadtBregenz (1980) hat Bilgeri <strong>Rhetikus</strong> einen Platzeingeräumt, auch wenn er meist in weiter Fernetätig war 2 (Wittenberg, Leipzig, Wien, Krakau).Ebenso hebt Bilgeri in seiner Geschichte <strong>Vorarlberg</strong>shervor, dass <strong>Rhetikus</strong> „jahrzehntelang mitBregenz verbunden“ 3 war.Die <strong>Rhetikus</strong>forschung hat in den letzten Jahrzehnteneiniges dazu beitragen können, dieses aufden ersten Blick überraschende Bild vom „Bregenzer“<strong>Rhetikus</strong> zu festigen und zu vertiefen, sodasses an der Zeit scheint, die These Bilgeris näher zubetrachten und verständlicher zu machen.Als <strong>Rhetikus</strong> 1528 gerade 14 Jahre alt war, wurdesein Vater, der Feldkircher Stadtarzt Dr. med.<strong>Georg</strong> Iserin wegen Zauberei und anderer Deliktemit dem Schwert hingerichtet. Die Witwe, einemit Reichtümern gesegnete lombardische Adeligenamens Thomasina de Porris, blieb mit zweiunmündigen Kindern, der Tochter Magdalena unddem Sohn <strong>Georg</strong> <strong>Joachim</strong>, allein zurück. Die Kinderlegten den Namen ihres Vaters ab und benanntensich seither nach ihrer Mutter „de Porris“;gelegentlich verdeutschten sie ihren italienischenNamen aber auch in „von Lauchen“. <strong>Rhetikus</strong> hatin seinen Siegeln auch stets das Wappen seinerMutter geführt 4 .Dieses Wappen der sehr alten Familie Porro 5 istnach einer Beschreibung in der Mailänder Matrikelvom 7. September 1779 wie folgt zu beschreiben:„Unter goldenem Schildeshaupte, worin eingekrönter schwarzer Adler sind in dem von Rotund Gold sechsmal schrägerechts abgetheiltenSchilde, drei weisse Lauchstauden mit aufwärtsgekehrten grünen Blättern neben einandergestellt“ 6 . Mit dieser Wappenbeschreibung stimmtdas Wappen im Siegel von <strong>Georg</strong> <strong>Joachim</strong> <strong>Rhetikus</strong>überein.Die Wiederverheiratung der Thomasinade PorrisDie reiche Witwe Thomasina de Porris blieb aufdie Dauer nicht unverheiratet. Und da Reichtumund Reichtum einander schon immer angezogenund ehestiftend gewirkt haben, ist es nicht überraschend,dass Thomasina de Porris in zweiter Eheden reichen Bregenzer Kaufmann <strong>Georg</strong> Wilhelmgeheiratet hat, der ebenfalls Witwer war; er war inerster Ehe mit der Bregenzerin Ursula Mock verheiratetgewesen und brachte u. a. einen SohnBartholomäus mit in die zweite Ehe. Wann dasgewesen ist, entzieht sich vorerst unserer Kenntnis.Vermutlich hat Thomasina de Porris mit ihrerWiederverheiratung nicht lange gewartet, da sieihren Kindern möglichst bald einen Vormund undneuen Vater geben musste. Eine Notiz vom Jahre1542 im Stadtarchiv Bregenz besagt, dass <strong>Georg</strong>Wilhelm kurz vorher das der Mutter des <strong>Rhetikus</strong>gehörige Haus in Feldkirch verkaufte und ihr dafürsein eigenes Haus in Bregenz überschrieb. „Seitdieser Zeit war Rhätikus also ein Bregenzer geworden“7 .Das Haus in der Kirchstraße Nr. 13Es ist den Forschungen von Benedikt Bilgeri zuverdanken, dass dieses in Frage stehende Objektmit dem Haus Nr. 13 am Talbach in der BregenzerKirchstraße identifiziert werden konnte, dem bisgegen Ende des 20. Jahrhunderts jedermannbekannte Schirmgeschäft Heinrich 8 . <strong>Rhetikus</strong> hatnach dem Tode seines Stiefvaters und seiner Mutterdieses Haus noch bis in seine späteres Lebensjahreim Besitz gehabt 9 . Das bedeutet, dass hier indiesem Haus über mehr als 30 Jahre die Heimatvon <strong>Georg</strong> <strong>Joachim</strong> <strong>Rhetikus</strong> war.Im 16. Jahrhundert waren viele Häuser mit denaufgemalten Wappen ihrer Inhaber geziert, so wiewir es in Lindau heute noch vielfach sehen können.Es ist gut vorstellbar, dass das Haus in derKirchstraße Nr. 13 mit den farbigen Wappen derWilhelm und der Porro geschmückt war. Wie wirim folgenden sehen werden, lassen sich heutenoch Nachweise dafür finden, wie dieses Hauseinst von <strong>Rhetikus</strong> Anwesenheit erfüllt war: Hierhat er Gäste empfangen, Briefe geschrieben undseinen Hausrat verwahrt, insbesondere Bücher308


und von ihm selbst verfasste Drucke. Die StadtThorn (Toruń , Polen) hat das Andenken an dasGeburtshaus des Nikolaus Kopernikus, dem <strong>Rhetikus</strong>mit seinem Lebenswerk verpflichtet war, alsein Museum eingerichtet 10 ; hier wird auch miteinigen Objektes des <strong>Georg</strong> <strong>Joachim</strong> <strong>Rhetikus</strong>gedacht. Angesichts der historischen Bedeutungdieses Hauses in der Kirchstraße Nr. 13 wäre eseine Überlegung wert, eine Erinnerungstafel anden Schüler des Kopernikus anzubringen, wie esdie Stadt Bregenz auch sonst schon in vielen anderenFällen zum Gedenken an die großen Persönlichkeiten,die in ihren Mauern gewirkt haben,gehandhabt hat.Der Stiefvater <strong>Georg</strong> WilhelmDer Lindauer Lateinschulmeister Kaspar Bruschschreibt 1547, dass im benachbarten Bregenz diesteinreichen und angesehenen („opulentissimosac in aliqua auctoritate constitutos“ 11 ) Eltern von<strong>Rhetikus</strong> lebten. <strong>Georg</strong> Wilhelm war also einmalsteinreich, zum andern eine Person von einigemAnsehen.<strong>Georg</strong> Wilhelm war ein Sohn des Jakob Wilhelmund der Magdalena Boeler. Was zunächst denReichtum angeht, so war <strong>Georg</strong> Wilhelm Kaufmannund besonders im Garnhandel tätig. AlsStadtammann von Bregenz erwirkte er am 7. Januar1548 auf dem Augsburger Reichstag bei KönigFerdinand I. ein Privileg für einen Wochenmarktauf jeden Freitag in Bregenz; die Untertanen solltenangehalten werden, den Markt mit Flachs,Garn und anderen Waren zu besuchen und für ihreBedürfnisse dort einzukaufen 12 . 1551 ließ Wilhelmsich vom Bregenzer Lateinschulmeister einRechenbuch einbinden „zu dem Garnhandeldienend“ 13 .Den Autoritätsanspruch konnte Wilhelm alsRatsmitglied und wegen seines Amtes als Stadtammannvon Bregenz erheben, in das er mehrfachgewählt wurde. 1541 besuchte Wilhelm als Abgeordneterden gesamtösterreichischen Ausschusslandtagin Linz 14 . <strong>Georg</strong> Wilhelm war Stadtammann1542/43 15 , 1543 16 , 1546 17 , 1547 18 , 1548 19 .Wilhelm war ein erfahrener Mann. Er galt 1542 beider Regierung in Innsbruck als besonderer Kennerder Eidgenossenschaft 20 . 1542 reiste er nach Frankfurtam Main 21 . Zu den öffentlichen Ehrungen, die<strong>Georg</strong> Wilhelm zuteil wurde, gehörte eine Wappenbestätigung,ausgestellt am 14. April 1544 inSpeyer 22 . 1553 wird die Witwe <strong>Georg</strong> Wilhelmsgenannt 23 . Im Jahrzeitbuch der Bregenzer PfarrkircheSt. Gallus wird seiner und seiner Familiegedacht (vgl. unten). <strong>Georg</strong> Wilhelm führte imSiegel und Wappen einen nach rechts aufspringendenWolf (?) 24 .Besuche in der Heimat am Bodensee 1542In den Monaten vom Mai 1542 bis Oktober 1542vollzog <strong>Rhetikus</strong> seinen Wechsel von seinemWittenberger Lehrstuhl nach Leipzig. Zwischendiesen Terminen hielt er sich meist in Nürnbergauf, nutzte diese Zeit aber auch zu mehreren Besuchenin seiner Heimat: Wir treffen ihn in Feldkirch,Bregenz und Lindau.Wie wir aus einem Brief Melanchthons vom25. Juli 1542 wissen, trug sich <strong>Rhetikus</strong> in diesenMonaten auch mit Heiratsplänen („cum erit paterfamilias,nam ea de re cogitare eum intellexi“) 25 .Wer die auserwählte Braut des <strong>Rhetikus</strong> gewesenist, wissen wir nicht. Man könnte an Nürnbergdenken, wo am 17. Juli 1542 der mit <strong>Rhetikus</strong> engbefreundete Mathematiker und Gräzist ThomasGächuf, genannt Venatorius, mit MargarethaKobolt den Bund der Ehe einging 26 . Thomas Venatorius,der in seiner Ausgabe des Archimedes(Basel 1544) <strong>Rhetikus</strong> als „civis meus“ (meinenMitbürger) bezeichnet 27 , ist vermutlich ein Sohnoder Verwandter des berühmten Thurgauer SöldnerführersKonrad Gächuf 28 , der zeitweise in Feldkirchresidierte. Wahrscheinlicher aber müssenwir die Braut des <strong>Rhetikus</strong> in Lindau suchen.Besuch in Bregenz im Juni 1542<strong>Rhetikus</strong> ist am 20. Juni 1542 in Feldkirch nachweisbar.Es darf als sicher gelten, auch wenn dieausdrücklichen Belege dafür fehlen, dass er vonNürnberg aus nur über Bregenz nach Feldkirchgelangen konnte.309


Besuch in Feldkirch im Juni 1542Über den ersten Besuch in Feldkirch am 20. Juni1542 sind wir durch die Widmung eines Buches anAchilles Pirmin Gasser unterrichtet. <strong>Rhetikus</strong>brachte aus Wittenberg ein dort 1542 erschienenesBuch unter dem Titel „De lateribus et angulistriangulorum“ mit, die Trigonometrie des Kopernikus,ein Beweis dafür, wie Gasser offenbar allenNeuigkeiten, die Kopernikus betrafen, entgegengefiebert hat. Die von Gasser in das Buch eingetrageneWidmung lautet: „Veldkirchij 20 Iunij åChristi 1542. Clarissimo viro d[omino] AchilliGassaro v[triusque] medicinae doctor. IoachimusRheticus d[ono] d[edit]“ (Feldkirch, den 20. Juniim Jahre Christi 1542. Dem hochberühmten Manne,Herrn Achilles Gasser, beider Medizin Doktor,hat <strong>Joachim</strong> <strong>Rhetikus</strong> zum Geschenk gegeben) 29 .Bei dieser Gelegenheit dürfte <strong>Rhetikus</strong> auch mitdem Feldkircher Stadtammann Heinrich Widnauerzusammen gekommen sein. Widnauer hatte inFreiburg im Breisgau studiert und war humanistischgebildet. 1531 war Widnauer Hauptmann,1532 zog er als Hauptmann eines FeldkircherKontingents gegen die Türken; wegen seiner Tapferkeitverehrte ihm die Stadt Feldkirch ein Silbergeschirr30 . <strong>Rhetikus</strong> mag Widnauers Bekanntschaftentweder durch Gasser oder aber durch seinenStiefvater Wilhelm gemacht haben, der 1542 Stadtammannvon Bregenz war. Wilhelm und Widnauerwaren 1541 beide zusammen Abgeordnete zumgesamtösterreichischen Ausschusslandtag in Linzgewesen 31 . Diese Begegnung hatte zur Folge, dass<strong>Rhetikus</strong>, nachdem er 1542 wieder nach Nürnbergzurückgekehrt war, am 13. August 1542 demHeinrich Widnauer seine Schrift „Orationes duae“(Nürnberg 1542) gewidmet hat, zwei Reden, die<strong>Rhetikus</strong> 1541 in Wittenberg über die Bedeutungder Astronomie und Geographie sowie über dieder Physik gehalten hatte. In der Widmung dankte<strong>Rhetikus</strong> dafür, dass er in seiner VaterstadtFeldkirch die Grundkenntnisse seiner wissenschaftlichenAusbildung aneignen konnte undforderte den Stadtammann auf, sein Amt dafüreinzusetzen, der Jugend die Wissenschaften zuvermitteln. Zweifellos kam es <strong>Rhetikus</strong> aber auchdarauf an, mit dieser Widmung an den Stadtammannden Rechtsfrieden wiederherzustellen, derzwischen ihm und der Stadt durch die Hinrichtungseines Vaters <strong>Georg</strong> Iserin gestört war; ausdrücklicherwähnt <strong>Rhetikus</strong> in diesem Brief, dasser seinem Vater die ersten Kenntnisse der Zahlenverdankte 32 .Im Jahre 1542 haben <strong>Georg</strong> Wilhelm und Thomasinades Porris <strong>Rhetikus</strong>’ Vaterhaus, in dem erzur Welt gekommen ist, verkauft. Die Wiederbegegnungmit diesem Vaterhaus mochte bei ihmJugenderinnerungen ins Gedächtnis zurückgerufenhaben, dass es ihm, der inzwischen in Wittenbergals Ordinarius der mathematischen WissenschaftenKarriere gemacht hatte, ein echtes Anliegengeworden war, seiner Heimatstadt Feldkirchund dessen Repräsentanten öffentlich zu danken.Besuch in Bregenz im September 1542Nachdem <strong>Rhetikus</strong> den August und teilweise denSeptember 1542 in Nürnberg verbracht hatte, woer damit beschäftigt war, das Hauptwerk desKopernikus „De revolutionibus orbium coelestium“(Nürnberg 1543) für den Druck vorzubereiten,brach er zu einer weiteren Reise in seineHeimat auf. Am 18. September 1542 können wir<strong>Rhetikus</strong> in seinem neuen Bregenzer Haus in derKirchstraße Nr. 13 nachweisen. Hier empfing erseinen alten Freund und Mentor Achilles PirminGasser, der damals Stadtarzt in Feldkirch war.<strong>Rhetikus</strong> hatte dem leidenschaftlichen BüchersammlerGasser als Gastgeschenk aus Nürnbergein Buch mitgebracht, das damals gerade erschienenwar, nämlich die „Perspectiva communis“ desMathematikers und Theologen <strong>Georg</strong> Hartmann(Nürnberg 1542). Gasser vermerkte in dem Buchselbst, so wie er es gewohnt war, die Umständedieses Bucherwerbs: „D[ominus] Ioachimus RheticusAchilli P[irminio] G[asaro] L[indaviensi]suo Brigantij donabat 18 Septembris 1542“ (Herr<strong>Joachim</strong> <strong>Rhetikus</strong> schenkte es seinem AchillesPirmin Gasser aus Lindau in Bregenz am 18. September1542) 33 . Das Haus in der Kirchstraße Nr.13 war zum Schauplatz eines Humanistentreffensgeworden, bei dem viel über Bücher sowie übervergangene und kommende Veröffentlichungendie Rede war. Gasser war es immerhin gewesen,der 1541 in Basel die zweite Auflage der „Narratioprima“, des ersten Berichts des <strong>Rhetikus</strong> über dasneue heliozentrische Weltbild des Kopernikus,herausgebracht hatte.310


Der Besuch in Feldkirch im Oktober 1542Von Bregenz aus stattete <strong>Rhetikus</strong> auch Feldkirchnoch einmal einen Besuch ab, wo er erneut mitGasser zusammentraf. Dieser zweite Besuch desJahres 1542 in Feldkirch stand vermutlich imZeichen der Haushaltsauflösung von <strong>Rhetikus</strong>’Vaterhaus. Das 1542 verkaufte Haus enthielt wohlnoch einigen Hausrat, vor allem wohl Bücher ausdem Besitz des Dr. <strong>Georg</strong> Iserin, die zu sichtenwaren. Brauchbares war in das neue Haus nachBregenz zu überführen.Am 2. Oktober 1542 übereignete <strong>Rhetikus</strong> seinemFreund Gasser ein medizinisches Buch überdie „Franzosenkrankheit“ (Siphylis). Das von KonradSchellig (Schelling?) verfasste Buch hatte denTitel „In pustulas malas morbum quem malum deFrancia vulgus appellat consilium“ (o.O., o.J.).Gewohnheitsmäßig protokollierte Gasser denErwerb im Buch selbst mit den Worten: „M[agister]<strong>Georg</strong>ius Ioachimus Reticus Velcuriensis donodabat A[chilli] P[irminio] G[assaro] L[indaviensi]altera Octobris 1542 Veldkirchij“ (Magister <strong>Georg</strong><strong>Joachim</strong> <strong>Rhetikus</strong> aus Feldkirch machte diesesBuch dem Achilles Pirmin Gasser aus Lindau zumGeschenk am 2. Oktober 1542 in Feldkirch) 34 . DasBuch gehörte ursprünglich dem Vater des <strong>Rhetikus</strong>Dr. <strong>Georg</strong> Iserin.In diesem Fall unterscheidet sich die Zuwendungdes Buches grundlegend von den früherenSchenkungen, namentlich von „De lateribus“(Wittenberg 1542) oder dem „Hartmann“ (Nürnberg1542). In beiden Fällen handelte es sich umfrisch aus der Druckerpresse hervorgegangeneBücher, die <strong>Rhetikus</strong> als Geschenke in seinemReisegepäck mitgeführt hat. Bei dem „Schellig“liegt der Fall hingegen anders. Dieses Buch lag seitJahr und Tag im Vaterhaus des <strong>Rhetikus</strong> in Feldkirch.Dort fand es <strong>Rhetikus</strong> auf und gab es anGasser weiter. Das aber ist ein deutliche Hinweisdarauf, dass <strong>Rhetikus</strong> im Oktober 1542 in Feldkircheine Haushaltsauflösung vorgenommenhat.Candina MürgelAm 18. Oktober 1542 treffen wir <strong>Rhetikus</strong> dannin Lindau. Hier nahm er als Pate an der Taufe derTochter Sophia des Lindauer LateinschulmeistersKaspar Heldelin teil 35 . Heldelin war ein alterFreund des <strong>Rhetikus</strong> und ehemaliger Student ausWittenberg. Als Taufpatin wirkte neben <strong>Rhetikus</strong>Candina Mürgel mit, die Tochter des LindauerStadtarztes Dr. med. Johannes Mürgel 36 . Mürgelwar, ähnlich wie Achilles Pirmin Gasser, einbegeisterter Büchersammler. Schon im April 1539hatte <strong>Rhetikus</strong> Mürgel besucht, bevor er zu seinemfür die Wissenschaftsgeschichte wichtigenBesuch des Kopernikus nach Frauenburg (Frombork,Polen) aufbrach. Bei dieser Gelegenheit hatMürgel wohl <strong>Rhetikus</strong> jene gerade erst erschienenegriechische Ausgabe der , des„Almagest“ von Claudius Ptolemaeus (Basel 1538)überlassen, die <strong>Rhetikus</strong> dann noch im gleichenJahr dem Kopernikus als Gastgeschenk mitbrachte.Dieses Buch, das nach dem Tode des Kopernikusin die Dombiliothek von Frauenburg gelangte,wurde im Dreißigjährigen Krieg von den Schwedenals Beutegut mitgenommen und befindet sichheute in der Universitätsbibliothek Uppsala. DerEinband des Buches weist das Monogramm JMLmit der Jahreszahl 1539 auf 37 . JML könnte inJohannes Mürgelius Lindaviensis aufzulösen sein,was bedeuten würde, dass Mürgel dieses Buchgerade erst hatte einbinden lassen. Auch das Titelblattist mit dem Monogramm JML signiert.Wenn Mürgel es damals über sich gebracht hatte,diesen Bücherschatz an <strong>Rhetikus</strong> bzw. an Kopernikusweiter zu verschenken, so zeugt das für einebesondere Zuneigung, die der Lindauer Arzt gegenüber<strong>Rhetikus</strong> erfasst hatte. Könnte diese Zuneigungnicht dadurch begründet sein, dass Mürgelin ihm den künftigen Ehemann seiner TochterCandina gesehen hat? Dass <strong>Rhetikus</strong> und CandinaMürgel gemeinsam an der Taufe der Tochter desKaspar Heldelin mitwirkten, kann diesen Eindrucknur noch verstärken. Candina Mürgel istjedenfalls die einzige Frau, die wir aus demUmkreis des <strong>Rhetikus</strong> kennen. Ob er sie tatsächlichals seine Braut auserwählt hatte, dafür fehlenallerdings die näheren Belege.Übernahme des Lehrstuhls in Leipzig 1542Ende Oktober 1542 begann das Wintersemester1542/43 in Leipzig. Zu diesem Zeitpunkt schriebsich <strong>Rhetikus</strong> als „<strong>Georg</strong>ius <strong>Joachim</strong>us de Porrisalias Rheticus Magister Wittenbergensis“ in die311


Matrikel der Universität ein und bezahlte dieGebühr von 11 ½ Groschen 38 . Am 8. November1542 nahm er als Ehrengabe der Universität Leipzigeinen silbernen Pokal in Empfang 39 . In derFolge hielt <strong>Rhetikus</strong> regelmäßig seine mathematischenVorlesungen und prüfte die Kandidaten,zuletzt im Sommersemester 1545.In diesem Sommersemester 1545 lebten dieKontakte zu Bregenz erneut auf. Sein Stiefbruderimmatrikulierte sich an der Universität Leipzigals „Bartholomaeus Wilhelmus Brigantinus“ undzahlte die Gebühr von 1 Gulden 40 .Die Reise nach Italien 1545/46Im Herbst 1545 verließ <strong>Rhetikus</strong> Leipzig in RichtungItalien, angeblich aus Furcht vor Prozessen 41 .Die Vorlesungs- und Prüfungsverpflichtungen des<strong>Rhetikus</strong> wurden vertretungsweise von <strong>Joachim</strong>Camerarius d. Ä. übernommen, der eigentlichGräzist war. Sehr wahrscheinlich wurde <strong>Rhetikus</strong>auf dieser Reise von seinem Stiefbruder BartholomäusWilhelm bis Bregenz begleitet, von wo ernoch im Herbst 1545 nach Mailand weiterreiste.<strong>Rhetikus</strong> hielt sich in Mailand viele Monate beidem Naturwissenschaftler und Astrologen GirolamoCardano auf. Ein Gespräch, das <strong>Rhetikus</strong> mitCardano am 21. März 1546 geführt hat, ist inwörtlicher Rede überliefert 42 .Aufenthalt in Bregenz Herbst 1546 bis Januar1547Am 23. Juli 1546 rief die Artistenfakultät <strong>Rhetikus</strong>auf das kommende Wintersemester 1546/47nach Leipzig zurück, da er nun länger als ein Jahrin Italien abwesend gewesen sei. Dieser Brief sollhier im Wortlaut (mit deutscher Übersetzung)mitgeteilt werden, weil er in der Ausgabe derBriefe des <strong>Rhetikus</strong> fehlt.Die Artistenfakultät in Leipzig an <strong>Rhetikus</strong> in[Bregenz?]„Optimo et doctissimo viro <strong>Georg</strong>io Ioachimo dePorris Rhetico, optimo artium magistro et mathematicesprofessori eximio, amico nostro.Salutem dico. Etsi tuo honori dignitatique accommodis favemus, presertim servituris ut confidimusexistimationi communitatis nostre et te,quoniam tibi placet in Italia iam diutius announo versari, facile patimur, tamen cum et multorumsermones et res ipsa nos hortaretur, ut derevocando te consilium iniremus, locuti sumuscum Ioachimo Camerario, singulari amico tuo etab eo postulavimus ut significaret tibi voluntatemnostram, qui censuit a nobis litteras ad tepublice esse scribendas, quas illi tradidimus uttibi mitteret. Non autem te latere potest de aliorumconsiliis ac factis varia esse hominum iudiciaet professionis tue artifices apud nos desiderare.Nam quid d[ominus] Ioachimus Camerarius,scole nostre rector, tuam horam vacuam esse nonsinit et malevolorum obtrectationi occurrit etfortasse aliquorum studia excitavit, sed tua doctrinaalia est, quapropter eam spem que facta estnobis de reversione tua prestabis et perficies, utad proximum autumnum huc redeas ad munustuum idque ut facias a te petimus, neque enimsustinere quorundam reprehensionem diutiuspoterimus, neque hanc partem studiorum tamdiuquasi fugere communitati nostre ferendum. Faciesautem nos certiores litteris tuis quid constitutumhabeas tibique persuadebis nos nominis tui studiosissimoset quacunque in re concedatur cupidetibi gratificaturos esse. Ioachimo annui stipendiipecunia persoluta est. Te quam rectissime valereet quam primum feliciter reverti ad nos cupimus.Lipsie x. cal. Augusti anno M D XLVI.Decanus et communitas studii bonarumartium, m[agister] Blasius Thammöller“.(Dem besten und hochgelehrten Manne <strong>Georg</strong><strong>Joachim</strong> de Porris <strong>Rhetikus</strong>, dem trefflichstenMagister der freien Künste und ausgezeichnetenProfessor der Mathematik, unserem Freund.Sei gegrüßt. Ohne Frage sind wir Deiner Ehreund Würde sowie Deinem Wohlergehen gewogenund wir vertrauen ganz besonders auf die Wertschätzung,die Du unserer Gemeinschaft entgegenbringst.Wir haben auch ohne Widerrede geduldet,dass Du Dir die Freiheit genommen hast,länger als ein Jahr in Italien zu verweilen. Doch dasowohl das Gerede vieler als auch die Sache selbstuns gemahnt haben, dass wir mit dem Vorschlagzu Deiner Rückkehr an Dich herantreten, haben312


wir mit <strong>Joachim</strong> Camerarius gesprochen, Deinemeinzigartigen Freund, und von ihm gefordert, dasser Dir unseren Willen kundtun möchte. Er war derMeinung, dass wir Dir einen offiziellen Briefschreiben, den wir ihm dann geben sollten, damiter ihn Dir zuschicke. Es kann Dir auch nicht entgangensein, dass die Urteile der Menschen überdie Entschlüsse und Handlungen anderer unterschiedlichsind und bei uns Meister Deines Fachgebietsverlangen. Denn es ist Grund vorhanden,dass Herr <strong>Joachim</strong> Camerarius, der Rektor unsererSchule, nicht erlaubt hat, dass Deine Stunde ausgefallenist, er der Missgunst Böswilliger entgegengetretenist und vielleicht den Eifer mancherangefacht hat, aber Deine Gelehrsamkeit ist eineandere, und deswegen wirst Du die Hoffnung, dieuns über Deine Rückkehr gemacht wurde, erfüllenund dafür Sorge tragen, dass Du zum kommendenHerbstsemester hierher zu Deinem Amtzurückkehrst, und wir verlangen von Dir, dass Dudas auch tatsächlich machst, denn wir sind nichtin der Lage, die Kritik gewisser Leute länger zuertragen, noch auch können wir unserer Gemeinschaftzumuten, dass dieses Studiengebiet solange mehr oder weniger ausgesetzt wird. Teileuns nun aber mit Deinem Brief mit, was Dubeschlossen hast und sei überzeugt, dass wir DeinemNamen überaus zugetan sind und wir uns Dirgegenüber, was immer in dieser Angelegenheitsich fügt, gern erkenntlich zeigen werden. DasGeld für das Jahresgehalt des <strong>Joachim</strong> [Camerarius]ist völlig aufgebraucht. Wir wünschen, dass esDir so gut wie möglich geht und dass Du so baldwie möglich zu uns glücklich zurückkehrst.Leipzig, den 23. Juli im Jahre 1546.Dekan und Gemeinschaft des Studiums derschönen Künste, Magister Blasius Thammöller 43 .Wohin dieser Brief adressiert gewesen ist, lässtsich nicht mit Bestimmtheit sagen, am ehestenjedoch nach Bregenz. <strong>Rhetikus</strong> blieb aber die Antwortauf diesen Brief schuldig. Als das Wintersemester1546/47 begann, brachte man am Randeder Briefkopie einen entschuldigenden Vermerkan. „Hic ob belli tumultus per Germaniam commotosrespondere necdum potuit mense octobrianni MDXLVI“ (Er konnte wegen des Kriegsgetümmels,das Deutschland in Aufregung versetzthat, noch nicht antworten bis zum Monat Oktober1546). Damit wird auf den SchmalkaldischenKrieg angespielt, der auch in den folgenden Jahreneiner der Gründe war, die <strong>Rhetikus</strong>’ Rückkehrnach Leipzig verhindert haben. Offiziell beantwortethat <strong>Rhetikus</strong> diesen Brief der Fakultät vom 23.Juli 1546 erst am 13. Februar 1548; er hat sich alsomehr als 1 ½ Jahre Zeit gelassen! Allerdings hat erdoch durch Briefe an Kaspar Borner und <strong>Joachim</strong>Camerarius die Fakultät über seine Absichten undPläne nicht ganz im Unklaren gelassen.<strong>Rhetikus</strong> Antwort, wahrscheinlich abermals ausBregenz, ging dann aber im November 1546 inLeipzig ein. Diese Antwort war aber nicht an dieFakultät, sondern an den Mathematiker und Professorfür Theologie Dr. Kaspar Borner gerichtet.Dieser teilte am 18. November 1546 den Inhaltdes weitschweifig abgefassten Briefes dem Rektorder Universität Leipzig mit. <strong>Rhetikus</strong> entschuldigtesich mit seinen Studien und Arbeiten, die ihnvon der Professur in Leipzig abhielten und beklagteseine erschöpften finanziellen Mittel. Zugleichstellte er das Ansuchen, ihm sein Jahresgehalt auf140 Gulden zu erhöhen 44 .Krankheit des <strong>Rhetikus</strong> in Lindau Januar bisMai 1547<strong>Rhetikus</strong> war aber offenbar gewillt, der Aufforderungder Fakultät, nach Leipzig zurückzukehren,Folge zu leisten; denn in den Fakultätsakten befindetsich ein Papier mit einer Liste der Professorenfür das Sommersemester 1547, die zu <strong>Rhetikus</strong> dieBemerkung enthält, „qui fere per bienniumabfuit“ (der fast zwei Jahre abwesend war) 45 . DieZustimmung des <strong>Rhetikus</strong> zur Rückkehr lagoffenbar vor. Er konnte sein Versprechen aberwegen einer schweren Krankheit nicht erfüllen,die ihn fünf Monate im benachbarten Lindaufesthielt. Der Lindauer Lateinschulmeister KasparBrusch, der Nachfolger Kaspar Heldelins, nahmsich hier seiner in liebevoller Weise an. Es heißt,<strong>Rhetikus</strong> sei vom Teufel besessen gewesen; dochwollte <strong>Rhetikus</strong> von einer solchen Diagnosenichts wissen, weil er glaubte, sie würde seinemAnsehen schaden.<strong>Georg</strong> Wilhelm und Thomasina de Porris drängten<strong>Rhetikus</strong> heftig dazu, zu dem berühmten313


Heiligtum des Sankt Anastasius in Vergaville beiDieuze in Lothringen zu pilgern, wo viele BesesseneHeilung gefunden hatten 46 .Als überzeugter Protestant weigerte sich <strong>Rhetikus</strong>jedoch, dieser Aufforderung nachzukommen.Er suchte Erlösung allein in Christus, empfahlsich der Kirche und ihren Gebeten und gingimmer innerlicher zum Abendmahl, sowohl inLindau als auch in Ravensburg, wohin Brusch denFreund immer wieder zu Pferd begleitete.Gleichwohl scheint <strong>Rhetikus</strong> doch den Versucheiner dem traditionellen Exorzismus ähnlichenHeilung gemacht zu haben. In einem Brief ausKonstanz vom 11. Mai 1546 schrieb der ReformatorAmbrosius Blarer an seinen Freund HeinrichBullinger, den Reformator in Zürich und NachfolgerZwinglis: „Du wirst durch den Chirurgen[Jakob Ruof] von unglaublicher Bedrängnis eineshiesigen Mädchens durch den Teufel gehört haben.Ruof soll solche Leiden zu heilen verstehen; ertäte hier wahrlich ein gutes Werk“ 47 .Am 2. Dezember 1547 schrieb Ambrosius Blareran Heinrich Bullinger in Zürich: „Ich empfehleDir unsern <strong>Joachim</strong>, der sich eine Zeitlang beiGesner der Medizin widmen will. Von seinenPrüfungen wird er Dir selbst erzählen; noch jetztversucht ihn Satan, doch erhoffe ich von EueremGebet völlige Befreiung. Er hat sich bei uns untadeliggehalten und trachtet nach Besserung; auchIhr werdet ihn lieb gewinnen. Er ist ein trefflicherMathematiker und hat hier über drei Monate mitNutzen gelehrt“ 48 . Am 31. Januar 1548 lässt Blarerüber Bullinger <strong>Rhetikus</strong> grüßen 49 . Und am 18.Februar 1548 schrieb Blarer an Bullinger: „Es freutmich, dass es um unseren <strong>Joachim</strong> besser steht;Gott zerstöre das Werk des Teufels vollends!“ 50 .Die Schwester Magdalena de PorrisAn dieser Stelle müssen wir den Fortgang kurzunterbrechen und einen Blick auf die Schwesterdes <strong>Rhetikus</strong> werfen. Denn das Stichwort Ravensburgführt uns zu <strong>Rhetikus</strong>’ Schwester, die dortverheiratet war. Das gemeinsame Erlebnis, dassihr Vater durch Henkershand sterben musste, magdie beiden Geschwister besonders eng aneinandergebunden haben. Beide Geschwister wuchsenauch zweisprachig in einer teils italienischen, teilsdeutschen Umwelt auf. Es ist daher ganz natürlich,dass der Bruder während seiner Krankheitund Rekonvaleszenz bei der Schwester Trost undHeilung suchte.Magdalena de Porris, auch Magdalena Wilhalmin51 , war verheiratet mit dem RavensburgerKaufmann Martin Groß, der italienischer Herkunftwar. Denn ein gewisser Martino de Petrogenannt Groß erwarb 1548 das Bürgerrecht inRavensburg 52 . Bürge bei dieser Bürgerrechtsverleihungwar ein gewisser Junker Martin Großgenannt Walch, also offenbar auch ein Italiener,der aber dann aus den Quellen verschwindet. 1545verkaufte dieser Martin Groß um 50 Pf. Pf. einenZins von 2 Pf., 10 Schilling, von vier Rebstückenan den Pfleger der Heiligkreuzkapelle und derSondersiechen in Ravensburg 53 . Der andere MartinGroß alias Martino de Petro war evangelisch; ermachte in Ravensburg Karriere, saß 1549 undnoch 1551 als Zunftmeister im Rat; 1552 versteuerteer ein Vermögen von 1668 Mark. Auch indieser Ehe hatten Vermögen zu einander gefunden.Die adelige Herkunft des Martino de Petro wurdejedoch in Ravensburg nicht anerkannt, er blieb imHandwerkerstand. Nach dem Tod seiner SchwesterMagdalena, deren Ehe mit Martin Groß kinderlosblieb 54 , prozessierte <strong>Rhetikus</strong> vor demStadtgericht Krakau „mytt ßeynem SchwogerMertin Groß Burger zu Rauenspurgk“ um das Erbeseiner Schwester und Mutter 55 .<strong>Rhetikus</strong> in Konstanz vom Mai bis Oktober1547Nachdem seine Gesundheit einigermaßen wiederhergestelltwar, traf <strong>Rhetikus</strong> um den 14. Mai1547 in Konstanz ein, wo er einige Monate langMathematikunterricht erteilte. In der Zeit zwischendem 14. August und Ende August 1547 56schrieb Kaspar Brusch an <strong>Joachim</strong> Camerarius,einen der führenden Professoren in Leipzig, einenausführlichen Brief über die Krankheit, die <strong>Rhetikus</strong>daran gehindert hatte, nach Leipzig zurückzukehren.Er ließ Camerarius auch wissen, dass erzuvor den in Konstanz weilenden <strong>Rhetikus</strong> eindringlichgebeten habe, diesem selbst über seineKrankheit zu schreiben.In Konstanz wurde <strong>Rhetikus</strong> unmittelbarerZeuge des Widerstandes, den die Stadt gegen denim Schmalkaldischen Krieg siegreichen Kaiser314


Karl V. leistete, der damit endete, dass Konstanzsich zuletzt unterwerfen musste, seine Reichsfreiheitverlor und gewaltsam zum katholischenGlauben zurückgeführt wurde. Spanische Truppenüberfielen im August 1548 die Stadt, die sichjedoch vorerst noch halten konnte. Als <strong>Rhetikus</strong>nach Leipzig zurückkehrte, konnte er einigeserzählen. So schrieb Melanchthon am 16. September1548 an Camerarius: „Rhetico salutem opto,quem scio narasse historias urbium vicinarumsuae patriae minime iucundas” (Ich wünsche<strong>Rhetikus</strong> Glück, von dem ich weiß, dass er höchstunerfreuliche Geschichten über die Städte seinesVaterlands berichtet hat) 57 . Gemeint sind Lindauund Konstanz. Lindau unterwarf sich dem Kaiser,Konstanz musste am 14. Oktober 1548 kapitulieren.„Es kamen ... den See herab gefahren zwölfSchiffe mit österreichischem Volk von Bregenz,Bregenzerwälder und Bludenzer und landeten amEichorn“ 58 . Es waren <strong>Rhetikus</strong>’ Landsleute, dieden Religionswechsel in Konstanz erzwungenhaben. Im Konstanzer Münster feierte der ausFeldkirch gebürtige Bischof Christoph Metzlerwieder die erste katholische Messe.Der Brief des <strong>Rhetikus</strong> vom 10. November 1547<strong>Rhetikus</strong> ist diesem Wunsch seines Freundes KasparBrusch wohl auch nachgekommen. Der ausführlicheBericht des <strong>Rhetikus</strong> an Camerariusüber seine Krankheit fehlt zwar. Erhalten hat sichaber ein wenig später verfasster Brief von <strong>Rhetikus</strong>an Camerarius, in dem <strong>Rhetikus</strong> sich zwar derLeipziger Fakultät unterwirft, aber erneut Ausflüchtemacht. Dieser Brief, die Antwort auf <strong>Rhetikus</strong>’Schreiben an Camerarius, sei hier im Wortlautwiedergegeben, weil er in der Briefausgabe des<strong>Rhetikus</strong> fehlt; der nur mit „Joach. tuus“ (Dein<strong>Joachim</strong>) unterschriebene Brief galt in der Literaturtrotz erheblicher Zweifel als ein Brief von<strong>Joachim</strong> Camerarius dem Jüngeren an seinenVater, lässt sich aber nunmehr zweifelsfrei dem<strong>Rhetikus</strong> zuordnen. Was diesen Brief für unserThema besonders interessant macht, ist die Tatsache,dass er in Bregenz im Hause des <strong>Rhetikus</strong>in der Kirchstraße Nr. 13 geschrieben wurde.<strong>Rhetikus</strong> an <strong>Joachim</strong> Camerarius in Leipzig„Clarissimo viro Domino <strong>Joachim</strong>o Camerario,Graecae linguae professori Academiae Lipsicae,suo tanquam parenti.S[alutem]. Mercatores rediere, sed litteraevestrae cum mercibus advenient. Sum inutrumque paratus aut omnibus rebus posthabitisad vos redire, aut Tiguri hyemem transigere. Siserio revocatis certo veniam, sin autem per vosTiguri hyemare mihi licuerit, idem fecero. Vobissum addictus, in vestra potestate ero. Exemplumnostri Calendarii mitto, plura exempla cum measuppellectili mittam. Conspectis namque vestrislitteris eam e vestigio aurigis committam.Quae porro in rem meam fuerint, tuae prudentiaeet diligentiae concredidi. Vale in Christo cumhonestiss[ima] conjuge tua et tota familia.D[omino] Philippo [Bech] et caeteris amicis ex mesalutem dicito.Briganti, 10 Novembr[is] anni 1547.Joach. tuus.Collegio facultatis artium cum mei commendationeCalendarium exhibebis.”(Dem hochberühmten Manne, Herrn <strong>Joachim</strong>Camerarius, Professor der griechischen Sprache ander Universität Leipzig, seinem väterlichenFreund.Gruß. Die Kaufleute kehren [von der LeipzigerMesse] zurück, aber mit den Waren kommen EureBriefe. Ich bin zu beidem fest entschlossen, nämlichalles andere hintanzusetzen und zu Euchzurückzukehren, oder aber noch den Winter inZürich zu verbringen. Wenn Ihr mich ernstlichzurückruft, werde ich kommen; wenn Ihr mir abererlaubt, in Zürich zu überwintern, werde ich dasmachen. Ich bin in Eurer Schuld, ich werde inEurer Gewalt sein. Ich schicke ein Exemplar unseresKalenders, weitere Exemplare werde ichzusammen mit meinem Hausrat schicken. Dennsobald ich Euren Brief gelesen habe, werde ichdiesen den Fuhrleuten anvertrauen.Was weiter in meiner Sache geschehen wird, dasvertraue ich Deiner Klugheit und Umsicht an.Lebe wohl in Christus mit Deiner ehrenwertenGemahlin und der ganzen Familie. Herrn Philipp[Bech] 59 und die übrigen Freunde sollst Du in315


meinem Namen grüßen. Bregenz, den 10. Novemberdes Jahres 1547.Dein <strong>Joachim</strong>Dem Kollegium der Artistenfakultät mögestDu mit meiner Empfehlung den Kalender vorführen)60 .Die Artistenfakultät in Leipzig an <strong>Rhetikus</strong> inBregenz„Doctissimo et clarissimo viro domino <strong>Georg</strong>ioIoachimo Rhetico, mathematum publico professoriLipsico, iam temporis in briganto agenti suo.Salutem dico. Exemplum tue ephemeridis obtulitnostre facultati doctissimus et clarissimus vir,iuventutis nostre preceptor communis, dominusIoachimus Camerarius et simul ostendit litterasquibus eum ut id faceret rogasti. De qua re eumilli tum tibi quas possumus agimus gratias. Namut tua in hac arte non solum magna eruditio, sedpar etiam opera aliquot annis dum hic iuventuteminstrueres nobis perplacuit. Ita non pauloplus iam exhilarati sumus, edito hoc ephmeridisexemplo, quo etiam propter id, quod iam dixi,plurimum authoritatis apud plerosque tibi accessissecerte debes credere. Eruditionem sive maximamsive perspectissimam nescio quomodo plurimumcommendant expressa aliquando exempla,que id sibi proprium habent, ut vere nisi aperitissimo fieri nequeant. Iam antea facultasnostra semel atque iterum te de reditu admonuit,non ipsa quidem suis litteris, sed scriptis dominiIoachimi Camerarii idque propterea, quod tumtemporis admonendus tantum tui loci atque ordinisnon etiam rogandus ad eum capessendumvideris. Quo nomine et absenti stipendium aliquamdiuest numeratum tamquam hic coramtuum officium faceres. Nunc vero eundem etiama te flagitare cepit posteaquam non pauci adolescentesmathemata se expetere dictitant et tunimis quamdiu profers tuum ad nos reditum.Quem si propterea longius differs, quod putes hacratione facultatem adduci posse, ut quas tu conditionestulisti, eas ipsa accipiat, nescio an nonmultum erres, nam harum alie anime non pendente iudicio et arbitrio nostre communitatis,alias ut ipsa efficiat fieri nequit. Exhaustum esterarium, pauca iam accedunt aliunde et sunt iamsarcienda plurima in novi collegii edibus posterioribus.Tam fede lacerate sunt a militibus autcerte a nostratibus pretextu et nomine militum.Venies igitur contentus superiore stipendio. Est idequitatis et humanitatis tue ut ei benefacias, quequam grata esset in te futura si per fortunamliceret, sue liberalitatis qua potuit ratione declaravit.Venies autem quam poteris primum, ab eoipse die, quo iter ad nos institueris et venire perrexerisad tuas opera primo quoque tempore inchoandas,particeps rursus futurus tui stipendii.Quod si feceris, experieris omnes erga te et facileset benevolos et studebit nostra communitas artiumomni officiorum genere tibi vicissim gratificari.Interim bene valeas. Lipsie e collegio novoanno 1547.Decanus et totus ordo communitatis artium.”(Ihrem hochgelehrten und hochberühmten Manne,Herrn <strong>Georg</strong> <strong>Joachim</strong> <strong>Rhetikus</strong>, dem Leipzigeröffentlichen Professor der Mathematik, der sichzur Zeit in Bregenz aufhält.Ich sage einen Gruß. Das Exemplar Deiner„Ephemeriden“ hat der hochgelehrte und hochberühmteMann, der gemeinsame Lehrer unsererJugend, Herr <strong>Joachim</strong> Camerarius dargeboten undzugleich uns einen Brief vorgezeigt, mit dem Duihn darum gebeten hast. Deswegen sagen wir ihmund Dir soviel wir können unseren Dank. Dennuns hat nicht nur Deine große Gelehrsamkeit indieser Kunst, sondern ebenso Deine Mühe sehrgefallen, mit der Du hier die Jugend unterrichtethast. Und so haben wir uns nicht wenig mehr überdieses veröffentlichte Exemplar der „Ephemeriden“gefreut, vor allem auch deswegen, wie ichschon gesagt habe, dass Du sicher glauben darfst,dass Du sehr viel an Ansehen bei den meistengewonnen hast. Ich wüsste nicht, wie eine so großeoder so durchsichtige Gelehrsamkeit sich stärkerempfiehlt, als durch gelegentlich an den Taggebrachte Proben, denen das besonders eigen ist,dass sie nur von jemandem mit außerordentlicherKenntnis geschaffen werden können. Schon zuvorhat unsere Fakultät Dich das eine oder andere Malzur Rückkehr gemahnt, wenn auch nicht selbstdurch ihre Schreiben, sondern durch Briefe desHerrn <strong>Joachim</strong> Camerarius, und das deswegen,weil Du zur damaligen Zeit nur wegen DeinerStelle und Deines Standes gemahnt werden, nichtaber gebeten werden solltest, diese auch möglichst316


asch wieder einzunehmen. In seinem Namenwurde Dir auch als einem Abwesenden eine Zeitlang das Gehalt ausgezahlt, als ob Du Dein Amtausgeübt hättest. Nun aber beginnt er mit Rechtdasselbe auch von Dir zu erbitten, nachdem nichtwenige Jünglinge nachdrücklich erklären, sie fordertendie Mathematik, dass Du aber allzu langeDeine Rückkehr zu uns hinausschiebst. Wenn Dudaher diese noch länger verschiebst, was glaubstDu, kann die Fakultät auf diese Weise bewegen,dass Du die Bedingungen, die Du getragen hast,selbst annimmt, ob Du Dich da nicht sehr irrst,denn deren anderer Geist hängt nicht von demUrteil und der Entscheidung unserer Gemeinschaftab, sonst kann nicht geschehen, dass sie daserreicht. Das Vermögen ist aufgebraucht, nurweniges kommt bald von anderswoher, bald musssehr vieles in den jüngeren Gebäuden des Collegiumnovum ausgebessert werden. So sehr sind Treuund Glauben zerrüttet durch die Soldaten odergewiss auch durch unsere Landsleute unter demVorwand und im Namen der Soldaten. Du mögestalso kommen und zufrieden mit Deinem früherenGehalt sein. Es steht das der Billigkeit und DeinerHumanität gut an, dass Du ihr Gutes tust, nachdemsie zu erkennen gegeben hat, Dir künftig soweit wie möglich entgegenzukommen, wenn esglückliche Umstände ihrer Freigebigkeit erlauben.Komme aber so bald wie möglich. Von dem Tagan, an dem Du den Weg zu uns begonnen habenwirst und Dich aufmachen wirst, zu kommen,und mit dem Augenblick, wo Du auch DeineArbeit wieder anfängst, wirst Du wieder Deinfrüheres Gehalt bekommen. Wenn Du das getanhaben wirst, wirst Du alle gegenüber Dir freundlichund wohlwollend finden und unsere ganzeGemeinschaft der Künste wird Dir umgekehrt mitaller Art Diensten gefällig sein. Inzwischen mögestDu wohl leben. Leipzig, aus dem Collegiumnovum, [Ende] 1547.Der Dekan und die ganze Abteilung der Gemeinschaftder freien Künste 61 .)<strong>Rhetikus</strong> in Zürich November 1547bis September 1548Tatsächlich war <strong>Rhetikus</strong>, wie in seinem Briefvom 10. November 1547 angekündigt, noch imNovember 1547 nach Zürich gegangen. Am 27.Januar 1548 widmete er von dort der Artistenfakultätdie Beschreibung eines von ihm neu erfundenenastronomischen Instruments, mit dem ereinen wichtigen Beitrag zur Verherrlichung derLeipziger Universität geleistet habe. Zugleich bater um ihr Wohlwollen und ihre Gunst, bis seineGesundheit wiederhergestellt sei und er zu ihnenzurückkehre 62 .Am 13. Februar 1548 teilte <strong>Rhetikus</strong> der Fakultätin Leipzig einmal mehr mit, er habe schonnach dem ersten Brief zu ihnen zurückkehrenwollen, sei aber durch eine schwere Krankheitdaran gehindert worden. Da auch dieser Brief inder Briefausgabe fehlt, sei er hier im Wortlaut undin deutscher Übersetzung angefügt.<strong>Rhetikus</strong> an die Artistenfakultät in Leipzig„Clarissimis et doctissimis viris d[omino] decanoet toti ordini communitatis artium, dominiss[uis].Gratiam et pacem a deo patre per dominumnostrum Iesum Christum. Anno XLVI nominecollegii humanitatis vestrae sub decanatu magistriThammölleri litteras accepi, quibus ad munusmeum scholasticum legitime revocabar. Cumautem in hoc essem ut huic h.v. vocationi, aliisrebus meis omnibus posthabitis, obsequerer, incidiin gravissimum morbum, quem tamen deimisericordia plurimum mitigavit, sed publicaGermanie tempestas me magis quam privatusmorbus, quo minus humanitati vestre moremgererem, tamdiu in patria detinuit. Postquamautem hec tempestas subsidere cepit, ut vestreauthoritati parerem, solicite perquisivi de statuacademie vestre, cuius rei mihi locupletes testessunt d[ominus] Ioachimus Camerarius preceptornoster et d[ominus] Christophorus a Carlebitz,quibus hac de re scripseram. Quod igitur ex litterish. v. intelligo, studia litterarum in vestra academiapost publicam calamitatem instaurari etiam dudum esse multos scholasticos, qui measoperas requirant, vehementer gaudeo et gratulor,tum quod spero pacem bonis studiis in Germaniatamquam posthumico redituram, tum quod videofore ut meam gratitudinem erga h. v. docendo etaliis officiis declarare possim, id quod sempermaxime in votis habui. Non dubito quin exemp-317


lum earum litterarum quibus anno XLVI ex Italiarevocabar apud h. v. extit. Manifestum etiam est,ex eo tempore quo revocatus sum, hac ratione mein patria hesisse, ut proxima quavis occasioneauthoritati h. v. quemadmodum par est obtemperare.Polliceor itaque mihi humanitatem vestrameius rationem habituram quod voluntati et vocationih. v. fuerim obsequens, neque mihi damnofore apud h. v. temporum difficultatem et adversamvaletudinem utpote que mihi apud h. v.presenti fuissent nocumento. Spero preterea h. v.post meum reditum in memoriam revocaturamque de stipendio augendo promisistis, dum annoXLII primum in v. h. academia docendi munussusciperem. Interea opto ut mee opere h. v. publicededicate a h. v. ordine probentur. Estimabitis hocmeum mathematicum, non a scriptimagnitudine, sed a meo erga h. v. gratificandistudio. Tale de nostris elegi quod maximeinsigne putabam ut esset testmonium apudaliarum acadenicarum in mathematis artifices,quanti v. h. iudicium facerem. Item dabimusdeinceps in lucem non solum calendarium, tabulas,sed etiam eius generis scripta que etatemferre possint, deo benigne nos adiuvante. Sed insecunda parte bibliothece Conradi Gesneri re ipsav. h. intelliget, me meis laboribus et sumptibus,quos omnes supra quasi vires meas sustineo, nihilquam scholasticorum publicam utilitatem etacademie vestre honorem quesivisse. Quod autemad conspectum litterarum h. v. non e vestigioredeo, medici in mora sunt, qui suadent ut priusquam hinc discedam in Helvetie Badeniis luxatipedis nervos confirmem. Scio h. v. solere rationemhabere valetudinis professorum artium, ideo faciliusaures prebui bene moventibus medicis etpeto ut v. h. hanc moram, que necessarie curationitribuitur, benigne interpretetur. Dabo vicissimoperam ut docendo et omni genere officiorumgratitudinem meam experiamini. Ad paschalisfestum ingrediar thermas et ex iis ad h. v. revertar.Bene valeat v. h. et me sibi perpetuo commendatumhabeat. Tiguri idibus februarii anni M DXLVIII.G. Ioachimus Rheticusv. h. a mandatis.(Den hochberühmten und hochgelehrten Männern,dem Herrn Dekan und der ganzen Gemeinschaftder Artistenfakultät, seinen Herren.Gnade und Frieden von Gott Vater durch unserenHerrn Jesus Christus. Im Jahre 46 habe ichnamens des Kollegiums Eurer Humanität unterdem Dekanat des Magisters Thammöller einenBrief erhalten, mit dem ich zu recht zu meinemSchulamt zurückgerufen wurde. Als ich mich aberentschlossen hatte, diesem Ruf Eurer Humanitätunter Hintansetzung aller meiner übrigen AngelegenheitenFolge zu leisten, fiel ich in eine sehrschwere Krankheit, die jedoch durch die BarmherzigkeitGottes stark gelindert wurde. Aber dieöffentliche Aufruhr in Deutschland hat mich nochmehr als meine persönliche Krankheit in meinemVaterland zurückgehalten, dem Wunsch EurerHumanität nachzukommen. Nachdem sich aberdiese Aufruhr zu legen begonnen hatte, dass ichEurer Humanität hätte Folge leisten können, habeich mich sehr bewegt nach dem Stand Eurer Hochschuleerkundigt, wofür Herr <strong>Joachim</strong> Camerarius,unser Lehrer, und Herr Christoph von Carlowitz,denen ich deswegen geschrieben hatte, glaubwürdigeZeugen sind. Wie ich aber dem Brief EurerHumanität entnehme, erneuern sich nach demöffentlichen Unheil die Studien an Eurer Hochschuleund schon lange verlangten viele Schülernach meinen Diensten; darüber freue ich michsehr und danke mit Freuden dafür, da ich hoffe,dass der Frieden für die schönen Studien inDeutschland wie einst zurückkehren wird, und daich sehe, dass ich Eurer Humanität meinen Dankdurch Lehren und andere Pflichten abstatten kann,was schon immer mein größter Wunsch gewesenist. Ich zweifle nicht, dass eine Kopie des Briefes,mit dem Ihr mich im Jahre 46 aus Italien zurückgerufenhat, bei Eurer Humanität noch vorhandenist. Auch ist offensichtlich, zu dieser Zeit, wo ichzurückgerufen wurde, ich aus dem Grunde inmeinem Vaterland hängen geblieben bin, um beinächster Gelegenheit dem Willen Eurer Humanität,so wie es angemessen ist, zu gehorchen. Undso gebe ich Eurer Humanität das Versprechen ab,dass ich dem Wunsch und Ruf Eurer HumanitätFolge geleistet hätte, und mir weder bei EurerHumanität die Not und die angeschlagene Gesundheitzum Schaden gereiche noch jetzt schadensollte. Im übrigen hoffe ich, dass sich Eure Humanitätnach meiner Rückkehr ins Gedächtniszurückrufen werde, was Ihr mir über die Erhöhungmeines Gehalts versprochen habt, als ich im Jahre42 erstmals in der Hochschule Eurer Humanität318


das Lehramt übernommen habe 63 . Inzwischenwünsche ich, dass meine Arbeiten, die EurerHumanität öffentlich zugeeignet wurden, von derFakultät Eurer Humanität gebilligt werden. Beurteiltdiesen meinen mathematischen Schatz nichtnach der Menge des Geschriebenen, sondern nachmeinem Bemühen, mich gegenüber Eurer Humanitätdankbar zu erweisen. Einen solchen Schatzglaubte ich als besonders geeignet auswählen zusollen, damit er bei den Meistern in der Mathematikan anderen Hochschulen ein Zeugnis dafürablege, wie sehr ich das Urteil Eurer Humanitätschätze. Gleichfalls werden wir demnächst nichtnur einen Kalender, Tafeln, ans Licht bringen,sondern auch Schriften von der Art, dass sie Zeitalterbewegen können, soweit Gott uns gnädigbeisteht. Aber im zweiten Teil der BibliothekGesners 64 , wird Euere Humanität durch die Sacheselbst zur Kenntnis nehmen, dass ich mit meinenArbeiten und finanziellen Aufwendungen, die ichalle fast über meine Kräfte auf mich nehme, nichtsanderes als den öffentlichen Nutzen der Schülerund die Ehre der Hochschule Eurer Humanitätgesucht habe. Wenn ich aber nun nach dem Blickauf den Brief Eurer Humanität nicht auf der Stellezurückkehre, so sind an dieser Verzögerung dieÄrzte schuld, die raten, dass ich, bevor ich vonhier abreise, noch in Baden in der Schweiz dieNerven meines gebrochenen Fußes stärke. Ichweiß, dass Eure Humanität Rücksicht zu nehmenpflegen auf die Gesundheit der Professoren derArtistenfakultät, umso leichter habe ich den gutenGründen der Ärzte Gehör geschenkt und ich bitteEure Humanität, die Verzögerung, die notwendigerweiseder Heilung zu gewähren ist, gnädigaufzufassen. Ich werde mir meinerseits Mühegeben, dass Ihr durch meinen Untericht und dieErfüllung aller Art anderer Pflichten meine Dankbarkeiterfahren werdet. Zum Osterfest 65 werdeich bei den Thermen ankommen und von diesenzu Eurer Humanität zurückkehren. Eure Humanitätleben wohl und mögen mich ihr für immerempfohlen haben. Zürich, an den Iden des Februardes Jahrees 1548.G[eorg] <strong>Joachim</strong> <strong>Rhetikus</strong>, Eurer Humanität zuDiensten) 66 .Mit dem Beginn des Wintersemesters 1548nahm <strong>Rhetikus</strong> nach dreijähriger Abwesenheitseine Unterrichtstätigkeit in Leipzig wieder auf.Diese neue Phase seines Lebens soll hier nichtweiter betrachtet werden. Doch sei hier kurz derBlick auf zwei seiner Schüler gerichtet, mit denener, während er in Leipzig abwesend war, schon inseiner Heimat Kontakt gehabt hat.Bartholomäus Wilhelm<strong>Rhetikus</strong> ist, bevor er im September 1548 endlichwieder in Leipzig eingetroffen ist, mit großerWahrscheinlichkeit noch einmal in Bregenz gewesen.In seinem Haus in der Kirchstraße Nr. 13lagerte sein Hausrat, den er am 10. November1547 den Fuhrleuten anvertrauen wollte. Hinzukommt,dass in der Familie Pläne diskutiert wurden,dass <strong>Rhetikus</strong> seinen Stiefbruder Bartholomäuswieder unter seine Fittiche nehmen sollte.Bartholomäus Wilhelm, Sohn des <strong>Georg</strong> Wilhelmund seiner ersten Frau Ursula Mock, hatte bereits1545 in Leipzig unter Rheticus’ Aufsicht studiert67 . Aufgrund der politischen Lage war dasfreilich nicht ohne weiteres möglich; denn katholischeösterreichische Untertanen sollten nicht anprotestantischen Universitäten studieren. Diebesonderen Verpflichtungen, die <strong>Georg</strong> Wilhelmals Beamter gegenüber dem Landesfürsten hatte,machten die Lage noch schwieriger. Daher wandtesich Wilhelm an die Regierung in Innsbruck,um auszuloten, ob man dort seinem Sohn Bartholomäusdie Fortsetzung seines Studiums in Leipzigerlauben würde. Doch <strong>Georg</strong> Wilhelm musste einevom 18. Februar 1549 datierte Absage hinnehmen.Man könne ein Studium nur in Wien, Freiburgi. Br. und Ingolstadt erlauben 68 .Es scheint, dass sich Bartholomäus Wilhelmdaraufhin einem ganz anderen Metier gewidmethat, falls die Identifizierung tatsächlich zutrifft.1553 ist Bartholomäus Wilhelm als Mohrenwirtin der Kirchgasse (Kirchstraße) bezeugt; er lebtenoch 1585, 1588 und 1589 erscheint seine Witwein den Quellen 69 . Auch 1564 wird BartholomeWilhalm als „Morenwiert“ genannt. Das Gasthauszum Mohren, auch Morenkünig, war wohl identischmit dem Haus in der Kirchstraße Nr. 13 odereinem in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenemHaus 70 . Im Jahre 1604 bei der Einquartierung desGefolges von Erzherzog Maximilian gehörten zumGasthaus Mohren „ain stuben, drey camern,sechs bettstatten und stallung auf 80 pferdt“ 71 .319


Ernst VögeliIm Gegensatz zu Bartholomäus Wilhelm konnteder Konstanzer Ernst Vögeli, sein Studium inLeipzig aufnehmen, indem er sich als Protestantüber die österreichischen Mandate hinwegsetzte,wenn auch mit der Folge, das er nie mehr in seineHeimat Konstanz zurückkehren konnte. MagisterPhilipp Bech, einer der Professoren an der LeipzigerArtistenfakultät, teilte am 16. Mai 1549 demOswald Mykonius in Basel mit, ein Jüngling ausKonstanz, der mit den besten Talenten begabt sei,habe auf seine Empfehlung hin den <strong>Joachim</strong><strong>Rhetikus</strong> als Lehrer gewonnen, einen in derMathematik und in der Medizin sehr erfahrenenMann, von dem er im Studium der schönen Künsteund Wissenschaften freigebig unterstützt würde.Er wohne auch bei ihm und gebrauche täglichseine Dienste 72 .Vermutlich handelt es sich um „Ernestus VogelinusConstanciensis“, der sich 1546/47 an derUniversität Basel immatrikulierte 73 , im Sommersemester1550 in Leipzig als „Ernestus VogeleinConstantiensis“ 74 . Er ist überhaupt der einzigeKonstanzer Student, der in Frage kommt. Vielleichtgehörte Ernst Vögeli schon 1547 in Konstanzzu jenen Bürgersöhnen, die den Unterrichtdes <strong>Rhetikus</strong> besuchten; das liegt deswegen besondersnahe, weil Ernst ein jüngerer Bruder des 1542verstorbenen und mit <strong>Rhetikus</strong> befreundeten KonstanzerArztes Dr. med. <strong>Georg</strong> Vögeli 75 war, der zuden ersten Anhängern der kopernikanischen Lehrezählte, die damals noch weitgehend abgelehntwurde. Es überrascht nicht, dass Vögelin bei <strong>Rhetikus</strong>wohnte. Vielleicht, aber das ist reine Spekulation,wohnte <strong>Rhetikus</strong> in Konstanz im Haus desStadtschreibers Jörg Vögeli in der Inselstraße 30 76 ,dem Vater von Dr. <strong>Georg</strong> Vögeli und von ErnstVögeli.Ernst Vögeli, geboren am 10. August 1529 alsSohn des Konstanzer Stadtschreibers Jörg Vögeli,promovierte 1552 zum Baccalaureus artium, 1553zum Magister artium, 1555 zum Baccalaureus derTheologie. 1556 übernahm er die Leitung derDruckerei des Valentin Papst, dessen Tochter er1557 heiratete. 1576 musste Vögeli als Kryptocalvinistaus Leipzig flüchten; er starb am 20. September1589 als Landschreiber zu Neustadt an derHaardt 77 . Die nähere Beziehung zu <strong>Rhetikus</strong> wirdnoch einmal dadurch unterstrichen, dass ValentinPapst <strong>Rhetikus</strong>‘ Hauptverleger in Leipzig gewesenist. In der Korrespondenz des Andreas Dudith wirVögelin häufig (oft zugleich mit <strong>Rhetikus</strong>)genannt 78 .Der Erbschaftsstreit 1554 bis 15781553 wird Thomasina de Porris als Witwe <strong>Georg</strong>Wilhelms bezeichnet, sie selbst starb kurz daraufum 1554. Thomasina de Porris hatte vor einemNotar mit ihren Kindern <strong>Georg</strong> <strong>Joachim</strong> <strong>Rhetikus</strong>,vertreten durch den Feldkircher Ratsherrn <strong>Georg</strong>Butzenreiner, und Magdalena de Porris, vertretendurch ihren Ehemann Martin Groß aus Ravensburg,einen Erbschaftsvertrag geschlossen, wonachdiese beiden die Stiefkinder aus der erster Eheauskaufen sollten, um dann „aller vbrigen verlassenschaffthaab vnnd Güeter, liegender vnndvarender“ unter sich gütlich aufzuteilen. Dabeisollten jeweils Ammann und Rat der beiden StädteFeldkirch und Bregenz, „darinn die verlassenschafftgelegen“, die Aufsicht führen. <strong>Rhetikus</strong>sollte bis zum 24. Juni 1555 die Erbschaft in Besitznehmen; bis dahin sollten die Städte Bregenz undFeldkirch durch von ihnen bestellte Kuratoren dieErbschaft in Verwaltung nehmen. Durch einefalsche Auslegung wurde aber nicht nur der Erbteildes <strong>Rhetikus</strong>, sondern auch der der MagdalenaGroß unter Arrest genommen. Da <strong>Rhetikus</strong> dieFrist nicht wahrte, wurde am 20. Januar 1557 derGroßsche Anteil der Erbschaft gegen eine Kautionfreigegeben.Bald darauf änderte sich aber die Situationgrundlegend, als Magdalena Groß im Frühjahr1557 kinderlos und ohne Testament starb. <strong>Rhetikus</strong>beanspruchte daraufhin im Juni 1557 dasgesamte Erbe seiner Mutter, d. h. auch den Anteil,der eigentlich seiner Schwester zufallen sollte.Dagegen berief sich Groß auf seinen Heiratsvertrag.Die Freigabe des Arrests auf den GroßschenAnteil wurde zurückgezogen und die gesamteErbschaft wiederum unter den Arrest der Städtegestellt. Mit welchen Schwierigkeiten <strong>Rhetikus</strong>,der ja von Krakau aus seinen Prozess führte, zukämpfen, veranschaulicht etwa ein Brief vom 1.September 1566, der einem Herrn von Wolzogenim Feldlager zwischen Raab (Györ, Ungarn) undKomorn durch einen eigenen Boten zugestelltwurde. Darin heißt es: „Auf deß Herrn LaßkoAnhalten von wegen deß <strong>Joachim</strong>y Reticy sollen320


die zu Veldkirchen ain Arrest wider relaxierenoder Eur Dt. der Ursachen wider berichten“ 79 .Fast zwanzig Jahre stritten <strong>Rhetikus</strong> und Großum diese Erbschaft, die zuletzt vom Fiskus eingezogenwurde, wiewohl <strong>Rhetikus</strong> in diesem Rechtsstreitin erster Instanz vor dem Stadtgericht Feldkirchobsiegt hatte.Die sehr ansehnliche Erbschaft bestand ausLiegenschaften in Feldkirch und in Bregenz sowieaus Fahrnis. Besonders erwähnenswert erscheint,dass sich unter den Liegenschaften auch einigeBergwerksgruben befanden, möglicherweise imMontafon oder in Tirol gelegen.Über die in Bregenz gelegenen beweglichenSachen wurden am 12. Juni 1576 und am 29.November 1576 zwei Inventare 80 angelegt, nachdenen sich der Landesfürst die besten Stücke fürsich selbst auswählte. In diesem Inventar kommendie Beziehungen des <strong>Rhetikus</strong> zu Bregenznoch einmal ganz deutlich zum Ausdruck. Wirerfahren daraus, dass alle in dem Inventar verzeichnetenGegenstände (Silbergeschirr, Schmuck,Devotionalien, Kleider) „hinder die Statt BregentzIn ainer darzu sonderbar verordtneten truchenverwahrungs weiß gelegt“ worden waren.Mehr als ein halbes Dutzend leitender BregenzerAmtleute waren mit der Aufnahme und der Besiegelungdes Inventars, das in mehreren Exemplarenerstellt wurde, befasst: Der Bregenzer AmtmannWolfgang Wegelin, der amtstragende StadtammannJakob Hälin, der alte Stadtammann HansHammerer, Hans Miltobler als Mitglied des Stadtratsund Hans Rüst als Stadtschreiber. Im November1576 kamen noch der Landammann <strong>Georg</strong>Waal sowie, anstelle von Hans Miltobler, dasRatsmitglied Valentin Schmid hinzu. Auch derBregenzer Landschreiber Michael Wittweiler warnoch beteiligt. Es war ein guter Teil der BregenzerProminenz, der sich damals mit <strong>Rhetikus</strong> zubeschäftigen hatte. Hier wird <strong>Rhetikus</strong> demAnspruch, ein Bregenzer zu sein, ganz besondersgerecht.Das weitere Schicksal der Erbschaft ist einemBrief zu entnehmen, den der Landesfürst am 12.April 1577 „An stattammann und rat zu Veldkhirch“ausgehen ließ.„Wiewol wir unnsern getrewen lieben Erasm,unnsern hofkamerrat und phlegern zu Fragenstein81 , Ciriacen, unserm oberöst. Regimentsrat,und Geörg Ruedolphen, unnserm tyrolischencamerrat, den Haidenreichen zu Pidenegg gebruedern,in ansehung und gnedigister erwegung irerlang gethanen und noch täglichen zu unnsermgnedigisten wolgefallen erzaigenden gehorsamen,getrewen, vleissigen, erlichen und aufrichtigendienste und zu etwas gnedigister ergetzlichaitund erkhanntnus derselben weilend doctor <strong>Georg</strong><strong>Joachim</strong>en Retici erblose und unns als confiscierthaimbgefallne verlassenschafft, in den stett undherrschafft Veldkhirch und Bregenntz gelegen,ervolgen zu lassen gnedigist bewilligt haben, sogelanngt unns doch anjetzt glaubwirdig an, wiedas ir euch unnder stannden, diejhenigen zinsgülten,so in unnserer statt Veldkhirch distridt gelegen,in arrest zu legen und noch darzue eurenmitburgern verpoten, hinfüran die zins nit hinauszu geben, ab welcher eurer fürnembung wir, wodem also wäre, was misfallen tragen. Und dieweildann solches unnser lanndtsfürstlichs regal beruert,und wir euch hierunder im wenigisten nichsgestenndig sein, das auch unns – und euch hierandurchaus nichts – zuegehert noch euch unns indergleichen landtsfürstlichen regalien ainicheneingriff, sperr oder verhinderung zu thuen nitgebürt, so ist darauf unnser gnedigister und beynebensernnstlicher bevelch an euch, das ir euchdessen yetzt und hinfurter gentzlichen massenund enthalten, das angelegt arrest und verpot, soir, wie ob gemelt, furgenomen haben sollen,alspald und von stund an widerumben aufhebetund daneben obgedachten gebruedern den Haisenreichenoder iren gewalthabern die zinß undgülten, so unns von angeregten Retici für confidcierthaimbgefallen, und die im distridt unnsererstatt Veldkhirch gelegen sein, alspald zuesteenund ervolgen lasset und inen in solchem nichtsverhinderlichs zuefueget. Dann wo es nit beschehenund ir deme, wie ertzelt worden, nit gehorsamlichengleben oder nachkhomen würden, sokhünden wir zu erhaltung unnserer landtsfürstlichenregalien nit umbgeen, gegen euch annderweg und mitl für und an die hand zu nehme, Deswir euch dannocht zu ainem gehorsamen wissengnedigister mainung nit verhalten wellen. Gebenin unserer statt Innsbruck am 12 apprilis annoetc. 77“ 82 .Das Erbe des <strong>Rhetikus</strong> ging somit an die dreiBrüder Erasmus, Kyriak und <strong>Georg</strong> Rudolf Heidenreichzu Pidenegg, die alle drei in den Diensten desTiroler Landesfürsten standen:321


Erasmus Heidenreich von Bideneck, Sohn destirolischen Kammermeisters und Urbarrichters zuRattenberg Erasmus Heidenreich d. Ä. und derAnna Zott von Berneck, war 1548 am Reichskammergerichtin Speyer tätig, dann am königlichenHof Ferdinands I., 1557-1564 Hofkammerrat KaiserFerdinands I., 1559 Pfleger des Schlosses Fragenstein,das ihm 1573 auf Lebenszeit verschriebenwurde; seit 1565 Hofkammerrat des TirolerLandesfürsten Ferdinand II. Seit 1556 war er verheiratetmit Afra Murnauer zu Liebenwerth, mitder er drei Töchter Maria, Elisabeth und Felicitashatte. Gestorben am 15. April 1578 83 .Kyriak Heidenreich von Bideneck und Matrei,Sohn von Erasmus Heidenreich dem Ä. und derAnna Zott von Berneck, hatte 1558-1562 miteinem kaiserlichen Stipendium in Speyer studiert,seit 1563 in kaiserlichen Diensten der oö. Regierung,1564 Regimentsrat, kaufte 1570 und 1571im landesfürstlichen Auftrag Getreide in Bayernund Italien für das durch Mißernten heimgesuchteTirol auf. 1578 wurde er Kammerpräsident 84 .<strong>Georg</strong> Rudolf Heidenreich von Bideneck, Sohnvon Erasmus Heidenreich dem Ä. und der AnnaZott von Berneck, trat 1561 als tirolischer Kammerratin die kaiserlichen Dienste. Verheiratetseit 1566 mit Maria Zoller von Zollershausen,Tochter des Ratspflegers zu Vellenberg Jakob Zollervon Zollershausen, 1568 tirolischer Kammerrat,1578 Salzmaier in Hall bis zu seinem Tode am2. Oktober 1602 85 .Es gelang den Nachkommen von Martin Groß,d.h. seinen Kindern aus zweiter Ehe, durch eineAppellation an das Hofkammergericht eine gewisseLockerung zu ihren Gunsten durchzusetzen.Am 24. März 1578 erging ein Schreiben der Regierungin Innsbruck „an Verwalter der Vogthey vndambtleut, auch amman vnd Rat zu Bregentz“:„Wir geben Euch hiemit zuuernemen. Nachdemsich zwischen weilend Geörgen <strong>Joachim</strong> Reticoan ainem, vnd weilend Martin Grossen, Burgernzu Rauenspurg am andern thail, vmb vnd vonwegenernents Reticj Schwester Magdalena Wilhalmin,als beruerts Grossen erstern Hausfrawenverlassenschafft, ain Rechtfertigung erhalten, DarInnen gedachter Groß in erster Instantz verlustigworden, vnd hieher von der Fl. Dt. Ertz. Fer. ZuO. etc. vnnsers gnedigisten Herrn Hof Camergericht appelliret, Das demnach Ir Fl. Dt. als wellicherermelts Reticj hinderlassen vermügen confiscierthaimgefallen, auf mererzelts Grossennachgelassnen Erben vnderthenigiste ansuechen,vnd mit der Ihenigen (Denen Ir Fl. Dt. angezaigteConfiscation gnedigist bewilliget) beschehennachgeben, vorangeregte Rechtfertigung, Dergestaltgnedigist aufheben lassen, Das merberuertemGrossen, Das Ihenig was Ir Vatter bemelterWilhalmin Erbfall Innen, vnd bisheer besessenhaben, vnansprüchig bleiben, Aber vber das so Syalso aus dem Inuentarj eingenomen, sollen Syweiter zu des Reticj verlassenschafft nichts zusuechenhaben. Dieweil noch etwas, von bemelterverlassenschafft an Silbergeschmeid, oder anndermhinder Euch Gemainer Stat Bregentz ligenthuet, Das Ir Inen Grossischen Erben, dasselbvnaufgehalten eruolgen lasset. Darauf ist Innamenmerhochgedachter Fl. Dt. hiemit vnnserbeuelch“ 86 .Ein gleichlautendes Schreiben erging am24. März 1578 auch an die Vogteiverwaltung,Stadt-ammann und Rat der Stadt Feldkirch, jedochmit dem folgenden Passus, der in dem Brief an dieVogteiverwaltung, Ammann und Rat von Bregenznicht enthalten ist: „Das Ir, Im faal von offternenter[Magdalena] Wilhelmin zugethailten ZinßGülten vnd annderm, bißheer etwas bei Euch inArrest gehalten worden were, Das Ir Inen GrossischenErben dasselb auf Ir anhalten Relaxieretvnd eruolgen lasset“ 87 .Schon sehr bald danach machten sich dieGroß’schen Erben daran, ihren in Feldkirch ererbtenBesitz zu veräußern. So verkauften sie am 24.August 1578 einen Weingarten am Ardetzenberg,genannt der Pockh 88 , an den Feldkircher BürgerHans Mayer und dessen Ehefrau Elsbeth Madlener.Als Groß’sche Erben traten 1578 die BrüderMartin (II.) Groß 89 und Philipp Groß 90 auf sowiederen Schwester Judith Groß 91 , die 1570 den LindauerSubstituten Lukas Heilig (Laux Haylg) 92geheiratet hatte, der ihre Interessen bei dem Verkaufwahrnahm. Die Verkaufsurkunde ist deswegenvon besonderem Interesse, weil der genannteWeinberg vermutlich zunächst im Besitz derEltern des <strong>Rhetikus</strong> war und daher für ihn in denJugendjahren ein Ort war, an dem er sich gerneaufgehalten haben mag. Der Wortlaut der Urkunde93 lautet:„Ich Martin Groß, Burger zu Rauenspurg, fuermich selbs, auch Innamen vnd als ain VolmechtigerGewalthaber meiner freundtlichen lieben322


Brueder vnd schwager Philipp Großen vnd LauxHailligen, Bekhenn offenlich fuer mich, vnd inCrafft meines habenden schrifftlichen gewalts,fuer gedachte mein Brueder vnd schwager, derselbenErben vnd nachkhomen, vnd thuen kundaller menigclich mit dem brief, das Ich mit meinemvnd derselben guetten Vorwissen vnd willen,Wolbedacht, zu fürderung meines vnd derselbennutz, aufrecht vnd Redlich verkhaufft vnd zuekhauffengeben habe, vnd gib auch also hiemitwissendtlich in Crafft dis briefs, dem ErberenHannsen Mayer, Burger zu Veldtkhirch, vndElspeth Madlenerin, seinem Eelichen Weib, allenIren Erben vnd nachkhomen: Nemblich meinen,auch meines Brueders vnd schwagers aignenWeingarten, so vier Pfundt lon Reben ist, anArdetzen gelegen, genant der Pockh, Stost aufwertan die Gassen, abwert vnd auswert an SandtJohan Ritters hauß zu Veldtkhirch weingarten,vnd Inwert an Jacoben Grissen seligen ErbenWeingarten etc., alles mit Grundt, gradt, Veld,Wasen, Wun, Waid, Stockh, Stein, Reben,Rebstall, oder Rebgezimer, gesteud, gereut, sambtsteeg vnd Weeg, vnd gemaintlich mit allen AndernRechten vnd zuegehorden, Benembts vnd Vnbenembts,auch für Ledig vnd recht aigen, on allainAusgenomen drey gold guldin herrn Huebmaisterzu Veldtkhirch Jeorgen von Altmanshausen 94 , vndain Viertl Opfer wein Sannct Niclas Pfarrkhirchendaselbs Jerlich darab gath, sonst gegen allermenigclich vnuersetzt vnd vnuerkhümbert, Vndalso ist Eebig redlich Kauf, Vber abzug vorstenderZynsen haubtguet ergangen vnd beschechen,Benentlichen vmb zwayhundert Sibenundneuntzigguldin Reinisch in Münz, Yeden zu FünftzechenConstentzer Patzen gerechnet, Dero ich allergar von Inen den Keufferen Erberlich ausgerichtvnd bezalt worden bin, nach meinem guetemWillen vnd benüegen, Sy auch hiemit darumbenQuittieren, Ledig vnd loß zellen thuen, Demnachsollen vnd mügen vorgedachte Keuffere, DerselbenErben vnd nachkhomen, obberüerten Weingarten,sambt allen Deßselben Rechten vnd zuegehörden,Nun hinfüro in Kunfftig Eebig zeitRuebigclich Inhaben, Prauchen, nuetzen, niessen,verleichen, versetzen, verkhauffen, vertauschenvnd sonst gewaltigclich vberaal darmit handlen,schaffen, thuen vnd lassen, Wie vnd was Sy wellen,als mit anderm Iren aigen guet, gentzlichenvon mir, meinen Erben vnd nachkhomen, Gleichsfaalsvon meinem Brueder vnd schwager, auchderselben Erben vnd nachkhomen, vnd sonstmenigclichem von meinem vnd derselben wegen,mdaran vngesaumbt vnd vnverhindert in albeg,Dan ich mich füer mich vnd dieselben, meinBrueder vnd schwager, auch meine vnd derselbenerben vnd nachkhomen, aller recht gerechtigkhait,widerforderung zue- vnd ansprach, so ichvnd Sy vor disem Verkhauf dartzue vnd darangehabt, ald hinfüro Imer suechen, haben, gewinenoder erlangen wollten oder möchten, in oder ausserhalbrechtens gar vnd gentzlich verzigen vndbegeben, Verzeiche mich deren auch füer michselbs vnd anstatt meines Brueders vnd schwagers,auch füer meine vnd derselben erben vnd nachkhomen,hiemit in Crafft dis briefs, Darauf habich füer mich vnd mein Brueder vnd schwagerInen den Kaufferen glaublich zuegesagt vnd versprochen,dis Kaufs weer zu sein, füer allermenniclichsRechtliche Ansprach, Sy zuuertretten,zuuersteen vnd allerding Richtig, vnansprechigvnd schadloß zehalten, nach der Statt Veldtkhirchgeprauch vnd Recht Vngeuarlich, Vnnddes zu warem Vrkhundt, hab ich obgemelter Bekhenner,füer mich selbs, auch Innamen offtgemelts meines Brueders, auch schwagers, mitVleiß vnd ernst erpetten Den Eruuessten, Füersichtigenvnnd weysen herrn Lienhardt Pappus 95 ,der Zeit Stattaman zu Veldtkhirch, das der derStatt Veldtkhirch Innsigel füer mich selbs, auchals Volmechtiger Gewalthaber meines Bruedersvnd schwagers, auch füer dieselben vnd Ire vndmeine erben vnd nachkhomen (Doch gemainerStatt Veldtkhirch vnd Iren nachkhomen, auchIme herrn Stattaman vnd seinen Erben one schaden)nach der Burger Rath, offenlich gehenckhthat, an disen brief, der geben ist an Sanct Bartholomestag, Des Fünftzechenhundert AchtundsibentzigistenJars“.Der benachbarte Weingarten der Johanniter„zum Bockh“ ist für 1563 und 1610 urkundlichbelegt; seine Größe wird mit 29 ½ Pfund LohnReben angegeben; desgleichen ist ein Bocktorkelbezeugt 96 . Der Bocktorkel ist heute noch als Ruineerhalten 97 .Es sei abschließend noch klargestellt, dass derwissenschaftliche Nachlass des <strong>Rhetikus</strong> vondiesen Verfügungen völlig unberührt blieb. <strong>Rhetikus</strong>hat diesen Nachlass durch ein Testamentseinem Schüler Valentin Otho zukommen lassen,323


damit dieser seine Arbeiten vollende, was schließlichauch geschah 98 .Die Bregenzer Familie Wilhelm-de Porrisim Jahrzeitbuch um 1590Im Jahrzeitbuch der Stadtpfarrkirche St. Gallus inBregenz ist zum Fest des Heiligen Gallus (16.Oktober) ein Anniversarium für die Familie Wilhelm-DePorris enthalten. Diese Eintragung istauf die Zeit um 1590 zu datieren, da der erst um1585 verstorbene Bartholomäus Wilhelm darinaufscheint, nicht aber dessen Ehefrau, die noch1589 als lebend bezeugt ist. Es fehlen in der Liste<strong>Georg</strong> <strong>Joachim</strong> <strong>Rhetikus</strong> selbst und Martin Groß,der Ehemann der Magdalena de Porris, vermutlichdeswegen, weil beide evangelisch waren. DerWortlaut der Eintragung ist wie folgt:„Circa Galli,Anniversarium: Jacoben Wilhalms. MagdalenenBoelerin sein Hausfraw, Goriusen Ihres Sons,Vlrichen Wilhelms, Greten Seuterin. Vxoris,Catharinae. Irer Tochter, Hans Boeler, UrsulaeVeldeggin. Vx. Ursulen Mäckin. Ain Hausfrawgwesen. Jergen Wilhalms, Bartholomeen . seinsSons. Thonasina de Porus, ain Hausfraw geswesen.<strong>Georg</strong>en Wilhalms, Magdalenen Irer Dochter,Luciae Rissin. Vxor gewesen. Martin Wilhalms,Caspar Schneiders. Vnd seines Sons. MartinSchneiders studiosi.[Am Rand:] Wilhalm, cum placebo et officio“99 .Zusammenfassung<strong>Rhetikus</strong> hatte in <strong>Vorarlberg</strong> eine zweifache Heimat.An erster Stelle steht Feldkirch, wo er geborenwurde und aufgewachsen ist. 1542 wurdeBregenz seine neue Heimat. Doch auch jetzt blieber noch Feldkirch verbunden. Vermutlich bestandin Feldkirch sein Bürgerrecht fort, dass ihm seitder Aufnahme seines Vaters ins Feldkircher Bürgerrechtam 23. April 1514 zustand, behalten;denn anders ließe es sich nicht erklären, dass<strong>Rhetikus</strong> noch 1565 in Feldkirch eine Wehrsteuerbezahlte. Allerdings war es bei Hochschulangehörigenoft so, dass sie in erster Linie „Bürger“ ihrerUniversität waren; insofern war das noch bestehendeBürgerrecht in Feldkirch in seiner praktischenAusübung gemindert.An der Universität Wittenberg hatte <strong>Rhetikus</strong>seit seiner Immatrikulation 1532 eine Heimatgefunden. Wehmütig dachte er 1564 im Alter von50 Jahren daran, dass er diese ihm einst liebgewonnene sächsische Heimat verloren hatte,weil er sich in der Frage des kopernikanischenSystems mit Luther überworfen hatte. „Praeteritavituperare possumus, emendare non possumus,alias Witebergae civis, cum quibus iuventutemconsumpsi, senescerem“ (Wir können Vergangenestadeln, wiedergutmachen können wir es nicht;sonst würde ich in Wittenberg als Bürger meinenLebensabend mit denen verbringen, mit denen ichdie Jugend verbracht habe) 100 .Leipzig und Krakau waren weitere wichtigeStationen in seinem rastlosen Wanderleben. InLeipzig war <strong>Rhetikus</strong> wiederum Bürger der Universität,in Krakau lässt sich ein Bürgerrecht nichtnachweisen, weil er dort zum Hofstaat des Königsgehörte.Unsere eingangs gestellte Frage, war <strong>Georg</strong> <strong>Joachim</strong><strong>Rhetikus</strong> ein Bregenzer, ist ohne jeden Vorbehaltzu bejahen, aber vor dem geschildertenHintergrund erscheint uns <strong>Rhetikus</strong> letztlich dochals ein Weltbürger: Feldkircher und Bregenzer,vermutlich italienischer Herkunft, in deutscher(unverkennbar <strong>Vorarlberg</strong>er) und italienischerSprache aufgewachsen, sich in seinen Schriftenmeist der lateinischen Sprache bedienend, aberauch mit einer deutlichen Vorliebe für das Griechische,akademischer Bürger der UniversitätenWittenberg, Leipzig und Prag, auch die UniversitätenWien und Paris wollten ihn haben, einzigerSchüler des polnischen Gelehrten Nikolaus Kopernikusund Angehöriger des Hofstaats des polnischenKönigs, zuletzt in den Diensten eines ungarischen(slowakischen) Magnaten, somit insgesamtein europäischer Humanist, der in seinenVorlesungen aber auch immer ein waches Interessefür die arabischen Naturwissenschaften zeigteund für den auch die in der Ferne liegende schwererreichbare Neue Welt ein Begriff war.324


1 BILGERI, Benedikt, Zum 450. Geburtstag des AstronomenRhätikus, in: Bodensee-Hefte 1965, Heft 9,S. 37 f.2 BILGERI, Benedikt, Bregenz, Geschichte der Stadt,Wien/München 1980, S. 178.3 BILGERI, Benedikt, Geschichte <strong>Vorarlberg</strong>, Bd. 3,Wien/Köln/Graz 1977, S. 146.4 BURMEISTER, Karl Heinz, Siegel und Wappen des<strong>Georg</strong> <strong>Joachim</strong> Rheticus, in: Montfort 17 (1965),S. 418-424.5 Vgl. dazu HAEFELE, Franz, Zur Herkunft des Astronomen<strong>Georg</strong> <strong>Joachim</strong> de Porris, in: Schriften desVereins für Geschichte des Bodensees und seinerUmgebung 55 (1927), S. 122-137, hier S. 124 f.6 HEYER VON ROSENFELD, [Carl <strong>Georg</strong>] Friedrich,Wappenbuch des Königreichs Dalmatien (J.Siebmacher’s großes und allgemeines Wappenbuch,Bd. 4, 3. Abt.), Nürnberg 1873, S. 125, dazu Tafel 66.7 BILGERI (wie Anm. 1), S. 38.8 BILGERI (wie Anm. 1), S. 38; Bilgeri (wie Anm. 2),S. 178.9 BILGERI (wie Anm. 1), S. 38.10 GÓRSKI, Karol, Dom i rodowisko rodzinne MikołajaKopernika, Toruh 1968.11 BURMEISTER, Karl Heinz, <strong>Georg</strong> <strong>Joachim</strong> <strong>Rhetikus</strong>,Bd. 1-3, Wiesbaden 1967/68, hier Bd. 3, S. 74.12 KLEINER, Viktor, Die Urkunden des Stadtarchivs inBregenz, Archivalische Beilagen der HistorischenBlätter 1/3 (1931/34), S. 191, Nr. 543; Bilgeri (wieAnm. 2), S. 178.13 BILGERI (wie Anm. 2), S. 186.14 BILGERI (wie Anm. 3), S. 578; BURMEISTER, Karl Heinz,Die <strong>Vorarlberg</strong>er Abgeordneten auf dem Ausschuss-Landtag zu Linz im November 1541, in: Landesgeschichteund Archivwissenschaft, Festschrift zum100jährigen Bestehen des OÖ. Landesarchivs (Mitteilungendes Oberösterreichischen Landes-archivs 18),Linz 1996, S. 347-355, hier S. 352 f.15 <strong>Vorarlberg</strong>er Landesarchiv in Bregenz, Kartei KLEI-NER der Bregenzer Bürgerschaft, unter Wilhelm,Jerg.16 <strong>Vorarlberg</strong>er Landesarchiv in Bregenz, UrkundeNr. 1867 vom 14. Mai 1543; KLEINER (wie Anm. 12),S. 183, Nr. 520 (25. Juni 1543).17 KLEINER (wie Anm. 12), S. 188, Nr. 534 (20. Februar1546).18 <strong>Vorarlberg</strong>er Landesarchiv in Bregenz, UrkundeNr. 5754 vom 13. Januar 1547; Nr. 1888 vom 30. Mai1547.19 <strong>Vorarlberg</strong>er Landesarchiv in Bregenz, UrkundeNr. 5755 vom 28. Mai 1548.20 BILGERI (wie Anm. 3), S. 404, Anm. 4; Tiroler Landesarchivin Innsbruck, Buch Walgau, Bd. 3, Bl. 139.21 BILGERI (wie Anm. 2), S. 178.22 FRANK, Karl Friedrich von, Standeserhebungen undGnadenakte für das Deutsche Reich und die ÖsterreichischenErblande bis 1806, Bd. 5, Schloss Senftenegg1974, S. 221.23 <strong>Vorarlberg</strong>er Landesarchiv in Bregenz, Kartei KLEI-NER der Bregenzer Bürgerschaft, unter Wilhelm,Jerg.24 Vgl. die Abbildung des Siegels bei BILGERI (wieAnm 3), nach S. 328.25 MELANCHTHON, Philipp, Opera omnia, Bd. 4, ep.No. 2526; SCHEIBLE, Heinz, Melanchthons Briefwechsel,Bd. 3, Stuttgart-Bad Cannstatt 1979, S. 304,Regest Nr. 3013.26 SCHORNBAUM, Karl, Das älteste Ehebuch der PfarreiSt. Sebald in Nürnberg 1524-1543, Nürnberg 1949,S. 129, Nr. 4401.27 VENATORIUS, Thomas, Archimedes, Basel 1544(mit Vorrede an den Nürnberger Rat vom 1. Dezember1543), Exemplar in der Stadtbibliothek Lindau,Signatur D. I. 2.28 Über ihn vgl. BOSSHARD, Ralph, Militärunternehmeraus dem Thurgau gegen Ende des 15. Jahrthunderts,in: Thurgauer Beiträge zur Geschichte 134(1997), S. 3-116, hier besonders 66-72.29 STEVENSON, Enrico, Inventario dei libri stampatiPalatino-Vaticani, Rom 1886-1891, Bd. 1/1, S. 368,Nr. 1528d.30 BILGERI, Benedikt, Die Chronik des Ulrich Im Grabenvon Feldkirch, in: Alemannia 10 (1937), S. 33-46und S. 86-94, hier S. 94.31 BURMEISTER (wie Anm. 14), S. 349-351.32 Wortlaut des Briefes mit deutscher Übersetzung beiBURMEISTER (wie Anm. 11), Bd. 3, S. 49-54;vgl. auch BURMEISTER, Karl Heinz, Ein Brief des<strong>Georg</strong> <strong>Joachim</strong> <strong>Rhetikus</strong> an den Feldkircher BürgermeisterHeinrich Widnauer, in: Montfort 16 (1964),S. 205-212.33 STEVENSON (wie Anm. 29), S. 368, Nr. 1529e.34 STEVENSON (wie Anm. 29), S. 310, Nr. 1270e.35 Taufbuch der evangelischen Pfarre Lindau, S. 134.36 Über ihn vgl. BURMEISTER, Karl Heinz, Die LindauerStadtärzte Dr. med. Johann Mürgel (1495-1561)und Dr. med. Abraham Mürgel (1524-1594), in: Jahrbuchdes Landkreises Lindau 15 (2000), S. 36-42.37 HIPLER, Franz, Analecta Warmiensia, Studien zurGeschichte der ermländischen Archive und Bibliotheken,Braunsberg 1872, S. 59, Anm. 48.38 ERLER, <strong>Georg</strong>, Die Matrikel der Universität Leipzig,Bd. 1 - 3, Leipzig 1895/1902, hier Bd. 1, S. 642.39 ERLER (wie Anm. 38), Bd. 2, S. 671.40 ERLER (wie Anm. 38), Bd. 1, S. 654.41 SCHELHORN, Amoenitates literariae, XIV, (1731),S. 447 Anm.42 BURMEISTER, Karl Heinz, „Mit subtilen fündleinund sinnreichen speculierungen . . .“, Die „Practicaauff das M.D.XLvj. jar“ des Achilles Pirmin Gasserim Umfeld zeitgenössischer Astrologen, in: Montfort55 (2003), S. 107-120, hier besonders S. 116-119.43 STÜBEL, Bruno, Urkundenbuch der UniversitätLeipzig von 1409-1555 (Codex Diplomaticus SaxoniaeRegiae II,11), Leipzig 1879, S. 592, Nr. 467.44 ERLER (wie Anm. 38), Bd. 2, S. 696 f.45 ERLER (wie Anm. 38), Bd. 2, S. 698.325


46 BURMEISTER (wie Anm. 11), Bd. 3, S. 73-77; WELTI,Ludwig, Humanistisches Bildungsstreben in <strong>Vorarlberg</strong>,in: Montfort 17 (1965), S.126-162, hier S.140 f.47 SCHIESS, Traugott, Briefwechsel der Brüder Ambrosiusund Thomas Blaurer, Bd. 2, Freiburg i. Br. 1910,S. 443.48 SCHIESS (wie Anm. 47), Bd. 2, S. 674 f.49 SCHIESS (wie Anm. 47), Bd. 2, S. 683.50 SCHIESS (wie Anm. 47), Bd. 2, S. 686.51 Vgl. dazu HAEFELE (wie Anm. 5), S. 133.52 DREHER, Alfons, Das Patriziat der ReichsstadtRavensburg, Stuttgart 1966, S. 254 f., 342, 371, 397.53 HAEFELE (wie Anm. 5), S. 131; er nennt als Quelledie Urkunde im Spitalarchiv Ravensburg 32, 2m R.54 Vgl. HAEFELE (wie Anm. 5), S. 133.55 Stadtarchiv in Kraków, Plenipotentiae 1551/58, msc.759. S. 914 f.56 Zu dieser jetzt korrigierten Datierung, der ich ganzzustimme, vgl. JENNY, Beat Rudolf, Der Historiker-Poet Gaspar Brusch (1516-1557) und seine Beziehungenzur Schweiz, in: Aus der Werkstatt der Amerbach-Edition,Christoph Vischer zum 90. Geburtstag(Schriften der Universitätsbibliothek Basel, 2), Basel2000, S. 93-214, hier S. 129, Anm. 113.57 MELANCHTHON, Philipp, Opera omnia, Bd. 7, ep.No. 4361.58 MANGOLD, Gregor, Chronik, zitiert nach Bilgeri(wie Anm. 3), S. 88.59 Philipp Bech aus Freiburg im Breisgau war einer dervon <strong>Rhetikus</strong> besonders bevorzugten Schüler; erpromovierte 1554 zum Dr. med.60 FREYTAG, Theodor Friedrich, Virorum doctorumepistolae selectae, Leipzig 1831, Exemplar in derKantonsbibliothek Vadiana in St. Gallen, Signatur Gd4030. Die Kenntnis dieses Briefes verdanke ich demverstorbenen Vadianforscher Dr. Conradin Bonorandin Chur.61 STÜBEL (wie Anm. 43), S. 595 f., Nr. 469.62 BURMEISTER (wie Anm. 11), Bd. 3, S. 77-85.63 ERLER (wie Anm. 38), Bd. 2, S. 671.64 Vgl. dazu BURMEISTER (wie Anm. 11), Bd. 3, S. 77-85 mit der Widmung an die Leipziger Artistenfakultätvom 27. Januar 1548.65 Ostern fällt auf den 1. April 1548.66 STÜBEL (wie Anm. 43), S. 602 f., Nr. 476.67 ERLER (wie Anm. 38), Bd. 1, S. 654; Ludewig,P. Anton, <strong>Vorarlberg</strong>er an in- und ausländischenHochschulen vom Ausgange des XIII. bis zur Mittedes XVII. Jahrhunderts, Bern/Bregenz/Stuttgart 1920,S. 58, Nr. 74.68 Tiroler Landesarchiv in Innsbruck, Buch Walgau,Bd. 4, Bl. 154 verso bis 155 recto; Wortlaut mitgeteiltbei HAEFELE (wie Anm. 5), S. 125.69 <strong>Vorarlberg</strong>er Landesarchiv in Bregenz, KarteiKLEINER der Bregenzer Bürgerschaft unter Wilhelm,Bartholomäus.70 BILGERI, Benedikt, Bregenz, Eine siedlungsgeschichtlicheUntersuchung, Dornbirn 1948, S. 160 f., besondersAnm. 41.71 BILGERI (wie Anm. 70), S. 161, Anm. 41.72 Staatsarchiv Zürich, E II 356, 78. „. . . Constantiensisiuvenis, optima indole praeditus, mea commendationeIoachimum Rheticum, Matheseos atque Medicinaevirum peritissimum, nactus est, à quo in studiisbonarum artium atque disciplinarum liberaliterfovetur. Is apud illum quoque versatur atque operaillius utitur“.73 WACKERNAGEL, Hans <strong>Georg</strong>, Die Matrikel derUniversität Basel, Bd. 2, Basel 1956, S. 48.74 ERLER (wie Anm. 38), Bd. 1, S. 681.75 Zu ihm vgl. BURMEISTER, Karl Heinz, Der KonstanzerArzt Dr. med. <strong>Georg</strong> Vögelin (1508-1542), einfrüher Anhänger des Kopernikus, in: Archiwum Historiii Filozofii Medycyny 62 (1999), S. 51-58.76 Vgl. dazu BEYERLE, Konrad und MAURER, Anton,Konstanzer Häuserbuch, Bd. 2, Heidelberg 1908.77 BENZING, Josef, Die Buchdrucker des 16. und 17.Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet, 2. Auflage,Wiesbaden 1982, S. 280 f.; VÖGELI, Alfred (Hg.), JörgVögeli, Schriften zur Reformation in Konstanz 1519-1538, Bd. 1-2/2, Tübingen/Basel 1972/72, hier Bd. 1,S. 31.78 DUDITHIUS, Andreas, Epistolae, hg. v. Szczucki,Lechus und Szepessy, Tiburtius et al. (BibliothecaScriptorum Medii Recentisque Aevorem, SeriesNova, 13/1-2), Bd. 1-2, Budapest 1992-1995, hierBd. 2, S. 72-74, 80-82, 101-103, 111-113.79 Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Hofregistratur-Protokolle 1566/67, Bd. 1 (Relationes), Bl. 18.80 <strong>Vorarlberg</strong>er Landesarchiv in Bregenz, UrkundeNr. 7103 und 7104; vgl. dazu auch die Veröffentlichungdes Inventars bei BURMEISTER, Karl Heinz,Hinterlassenschaft der Thomasina de Porris (Inventar-Transkription,2), Lauterach 1997.81 Burg Fragenstein bei Zirl, BH Innsbruck.82 Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Kopialbuch „Embietenund bevelch“ 1577, Bl. 150 f.83 SCHMID, Manfred, Behörden- und VerwaltungsorganisationTirols unter Erzherzog Ferdinand II. in denJahren 1564-1585, S. 53 f.84 SCHMID (wie Anm. 83), S. 108 f.85 SCHMID (wie Anm. 83), S. 184 und S. 192.86 Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Buch Walgau1568/81, Bl. 96 verso und 97 recto.87 Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Buch Walgau1568/81, Bl. 96 verso und 97 recto.88 In den Regesten des Stadtarchivs Feldkirch wird derWeingarten fälschlich als der „Prockh“ bezeichnet(1578 August 24).89 Vgl dazu DREHER (wie Anm. 52), S. 371; Martin II.Groß wird im Ravensburger Steuerbuch von 1570und nochmals 1602 genannt.90 Vgl dazu DREHER (wie Anm. 52), S. 371; PhilippGroß wird im Ravensburger Steuerbuch von 1570und nochmals 1602 genannt.91 Vgl dazu DREHER (wie Anm. 52), S. 371.92 Lukas Heilig aus Lindau hatte 1551 in Dillingenstudiert. Vgl. BURMEISTER, Karl Heinz, Lindauer326


Studenten aus Stadt und Land (Neujahrsblatt desMuseumsvereins Lindau, 44), Lindau 2004, S. 37.93 Original im Stadtarchiv Feldkirch, Nr. 589.94 <strong>Georg</strong> von Altmannshausen erscheint 1576, 1582 und1586 als Hubmeister zu Feldkirch, 1607-1614 österreichischerLandvogt in Castels im Prätigau; vgl.ULMER, Andreas, Burgen und Edelsitze <strong>Vorarlberg</strong>sund Liechtensteins, Dornbirn 1925, S. 751 undS. 1030.95 Leonhard I. Pappus von Tratzberg, 1566-1596 wiederholtStadtammann in Feldkrich. Vgl. VALLASTER,Christoph, Von Hanns Stöckli bis Dr. Heinz Bilz,Stichworte zur Geschichte der Feldkircher Stadtammännerund Bürgermeister, in: Montfort 30 (1978),S. 20-35, hier S. 23.96 VOGT, Werner, <strong>Vorarlberg</strong>er Flurnamenbuch, 1. Teil,Band, Flurnamensammlung Vorderland, Bregenz1991, S. 103, Nr. 54.97 VOGT, Werner, Wo einst die Rebe rankte . . . , Beitragzur Wirtschaftsgemeinde Altenstadt, in: 50 JahreKriegsende, 70 Jahre Groß-Feldkirch (Schriftenreiheder Rheticus-Gesellschaft, 33), Feldkirch 1995, S. 87-103, hier besonders S. 92 und S. 103; vgl. auch dieKarte S. 90-91.98 BURMEISTER (wie Anm. 11), Bd. 1, S. 178-183.99 <strong>Vorarlberg</strong>er Landesarchiv Bregenz, Hds. u. Cod.,Pfarrarchiv Bregenz 33, Register aller Jahrtäg, Bl. 44verso.100 BURMEISTER (wie Anm. 11), Bd. 3, S. 183.327

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