v<strong>de</strong>-BibliothekWolfgang Borchert: <strong>Die</strong> KüchenuhrLiteratur-Tipp <strong>zum</strong> Thema: „Deutschland 1945 › Der Neuanfang“<strong>Die</strong> zerstörte Berliner Innenstadt 1945mit <strong>de</strong>r Ruine <strong>de</strong>s Berliner Schlosses.Der Handwagen mit <strong>de</strong>n letzten Habseligkeiten.„Er hatte ein ganz altesGesicht, aber wie erging, daran sah man,dass er erst zwanzigwar“, so die Beschreibungeines Mannes in<strong>de</strong>r Kurzgeschichte„<strong>Die</strong> Küchenuhr“ vonWolfgang Borchert.Anscheinend verwirrt, streift <strong>de</strong>rMann mit einer Küchenuhr untermArm durch die Ruinen einer <strong>de</strong>utschenStadt. Er ist auf <strong>de</strong>r Suche nach seinerWohnung. T<strong>aus</strong>en<strong>de</strong> Deutsche verlorenbei <strong>de</strong>n Bombenangriffen <strong>de</strong>r Alliiertenihre Häuser. Auch Wolfgang Borchert,<strong>de</strong>r 1946 in seine zerstörte HeimatstadtHamburg zurückkehrte, fand eineTrümmerwüste vor. Dort sah er Familien,die versuchten, in Geisterwohnungenohne Außenwän<strong>de</strong>, Türen undFenstern zu leben; er sah Men-schen, die sich in Erdhöhlen,ohne Wasser und Strom einge-richtet hatten.Wolfgang Borchert gehörtneben Heinrich Böll zu <strong>de</strong>nwichtigsten Vertretern <strong>de</strong>rso genannten „Trümmerliteratur“.Seine Kurzgeschichtensetzten sich konkretmit <strong>de</strong>n Alltags-Folgen<strong>de</strong>s Krieges<strong>aus</strong>einan<strong>de</strong>r. <strong>Die</strong>Protagonisten wirken <strong>de</strong>sillu-sioniert und verbittert. Der MannProtagonist, -en, <strong>de</strong>r.......mit <strong>de</strong>r Küchenuhr möchte <strong>de</strong>nzufällig auf einer Bank sitzen<strong>de</strong>nPassanten freudig mitteilen,dass er von <strong>de</strong>r Wohnung seinerEltern wenigstens noch die Küchenuhrgefun<strong>de</strong>n hat. Dabei ist<strong>de</strong>r Umstand, dass die Uhr umhalb drei stehen blieb, für ihnein Zeichen <strong>de</strong>r Hoffnung. Zudieser Uhrzeit bewirtete ihneinst seine Mutter zu H<strong>aus</strong>ein <strong>de</strong>r Küche. In <strong>de</strong>r Erinne-rung ist das für ihn das Para-dies. Doch bei <strong>de</strong>n Passantenruft die Uhrengeschichte nurErinnerungen an <strong>de</strong>n Krieg her-vor. „Wenn die Bombe runter-geht, bleiben die Uhren stehen.Das kommt von <strong>de</strong>m Druck“,erwi<strong>de</strong>rt ein Mann gleichgültig. „Und ihreFamilie?“, fragt eine Frau weiter. „Ach,sie meinen meine Eltern? Ja, die sindauch mit weg. Alles ist weg“, antwortet<strong>de</strong>r Mann mit <strong>de</strong>r Küchenuhr verlegen.<strong>Die</strong> an<strong>de</strong>ren starren teilnahmslos vorsich hin.<strong>Die</strong> Zerstörungen und Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Kriegeshaben in <strong>de</strong>r Seele und <strong>de</strong>r Sprache<strong>de</strong>r Deutschen tiefe Spuren hinterlassen.Nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Dritten Reichsverstan<strong>de</strong>n die Menschen lange nicht,was eigentlich geschehen war. Sie fan<strong>de</strong>nkeine Worte mehr. Dem damals erst26-jährigen Borchert gelang es meisterhaftdiese Sprachlosigkeit literarischeinzufangen und eine tiefere Be<strong>de</strong>utungzu geben. Seine Kurzgeschichten wur<strong>de</strong>nmit ihrem alltäglichen Inhalt undihrer knappen, schmucklosen Sprachezur zeitgerechten literarischen Form <strong>de</strong>rNachkriegszeit. Marina Lopatinabewirten............. здесь: кормить,..накрывать на столeinfangen......................................................уловитьGeist, -er, <strong>de</strong>r................ здесь: призрак,..привидениеглавное действующее лицоschmucklos........................ простой,..без украшенийSpuren hinterlassen.......................... оставить следыstarren, vor sich hin ................смотреть перед собой.........................................отсутствующим взглядомstreifen........................................бродить,..блуждатьTrümmerwüste, die.............................груда развалинverbittert............................................ ожесточенныйverlegen..................................................смущенныйWeitere Kurzgeschichten <strong>zum</strong> Thema:<strong>Die</strong> Hun<strong>de</strong>blume, Radi, An diesem<strong>Die</strong>nstag, Der Kaffee ist un<strong>de</strong>finierbar,Nachts schlafen die Ratten doch,<strong>Die</strong> lange lange Straße lang, Das Brot.„<strong>Die</strong> Küchenuhr“ in: Wolfgang Borchert,Das Gesamtwerk. Rowohlt Verlag,368 Seiten, ISBN 3-499-22509-328 <strong>vitamin</strong> <strong>de</strong> 26Kurz-Biografie:Wolfgang Borchert (1921–1947),Buchhändlerlehre, Sch<strong>aus</strong>pieler,1941 Kriegsdienst, 1942Verwundung in Russland, Verur-teilung wegen „<strong>de</strong>fätistischerÄußerungen“, ab 1943 Arbeitals Kabarettist, Fronteinsatz,schwer erkrankt, Borchertschreibt, unheilbar krank, innerhalb einerWoche das expressionistische Drama„Draußen vor <strong>de</strong>r Tür“.Zu seinem Gesamtwerkgehören auch Gedichteund Prosastücke.Fotos: Stiftung Preußischer Kulturbesitz,Carl Weinrother, Abraham Pisarek,Rowolth Verlag
**Auf einer S-Bahn-Stationim Berliner StadtteilNeukölln. Zwei junge Männermit Baseballkappen,Turnschuhen und zu großenJeans unterhalten sich. ImVorbeigehen hört man: „Hey,echt krass, Alter!“Ist das die Jugend in Deutschland?Ja, sie ist schräg,schrill und hat ihre eigene Sprache.Von einer Jugendkultur lässt sichheute nicht mehr sprechen. Es gibtviele kleine Jugendszenen,die nebeneinan<strong>de</strong>r existieren.Zum Beispiel Gothic, Punk, Techno,Hip-Hop. Hinzu kommen jungeLeute, die sich mit Computerspielenbeschäftigen. Alle diese Szenendienen <strong>de</strong>m gleichen Zweck: I<strong>de</strong>ntifizierung,Abgrenzung und Kontakt mit Gleichgesinnten.Ungefähr die Hälfte <strong>de</strong>r 9,6 MillionenJugendlichen in Deutschland fühlt sich einer Szenezugehörig und ist durchschnittlich 20 Jahre alt.Jugendszenen haben einen entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>nVorteil: Man kann hin- und weggehen, wann manwill. Je<strong>de</strong> Szene hat ihr zentrales Thema. Es hatJugendwelten› schräg und schrill<strong>zum</strong>eist mit Musik, Sport, Mo<strong>de</strong>, Weltanschauungo<strong>de</strong>r mit Spiel- und Tüftel-Spaß mit neuenMedien zu tun. Nach diesem Thema richtetsich <strong>de</strong>r Lifestyle mit eigenen Sprachgewohnheiten,Umgangsformen, Treffpunkten, Ritualen,Festen und Körperinszenierungen <strong>aus</strong>.Je<strong>de</strong> Szene hat ihre Zeit, in <strong>de</strong>r sie für beson<strong>de</strong>rsviele Jugendliche interessant ist. Hip-Hop und Gothic erleben gegenwärtig einenzweiten Frühling. Techno hingegen ist <strong>de</strong>rzeitnicht son<strong>de</strong>rlich angesagt, wird aber in nichtallzu ferner Zukunft ein Revival erleben. Sobleibt die <strong>de</strong>utsche Jugendkultur weiterhinfarbenfroh und vielseitig.Abgrenzung, -en, dieAmoklauf, <strong>de</strong>rWut<strong>aus</strong>bruch, <strong>de</strong>reinen zweiten Frühling erleben hier: etwas kommt wie<strong>de</strong>r in Mo<strong>de</strong>einbüßenverlierenFreak, -s, <strong>de</strong>rengl. jemand, <strong>de</strong>r sich übertriebenfür etwas begeistertGewaltspiel, -e, dasein brutales Computerspielkrass(Jugendsprache) gut, schönRevival, -s, dasengl. Wie<strong>de</strong>rauflebenschrägvon <strong>de</strong>r Norm abweichendschrillauffallendtüfteln sich mit viel Ausdauer mit etwas Schwierigem beschäftigenUmgangsform, -en, die Art, sich zu benehmenZugehörigeiner bestimmen Kategorie zugeordnet seinTechnoTechno ist nicht nur eine Richtungelektronischer Musik, son<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r Zeitgeist <strong>de</strong>r 90er Jahre. Kulminationspunktdieser Bewegung wardie Love-Para<strong>de</strong> in Berlin. Auch wennTechno heute an Popularität eingebüßthat, gibt es rund zwei Millionen jungeErwachsene, die diesem Lebensstilfolgen. Sie mögen Techno-Musik undwollen Spaß haben. <strong>Die</strong> gute Launewird <strong>zum</strong>eist am Wochenen<strong>de</strong> auf Partysund in Klubs <strong>aus</strong>gelebt. <strong>Die</strong> Kleidung istvielfältig und bunt. Je<strong>de</strong>r kann seinenKörper so inszenieren, wie er mag. <strong>vitamin</strong> <strong>de</strong> 32ComputerfreaksSeit <strong>de</strong>m Amoklauf <strong>de</strong>s 19-JährigenRobert Steinhäuser in Erfurt wer<strong>de</strong>nGewaltspiele wie „Counter Strike“ problematisiert.<strong>Die</strong> Spielefans sind aber nichtgewalttätig. Bei Wettbewerben,so genannten LAN-Partys, tretensie in Computerspielen gegeneinan<strong>de</strong>ran. Das Ziel dieser Tref-fen ist <strong>de</strong>r sportliche Wettkampfund das gesellige Zusammensein. <strong>Die</strong>Spieler betrachten <strong>de</strong>n Computer nichtals Selbstzweck, son<strong>de</strong>rn als Werkzeug,um mit an<strong>de</strong>ren im Internet o<strong>de</strong>r im lokalenNetzwerk (LAN) zu spielen.Texte von Wilhelm Siemers.Hip-HopHip-Hop ist mehr als Musik.Er vereint vier Elemente: dasAuflegen von Musik (DJing),<strong>de</strong>n Sprechgesang (Rap), das Tanzen(Breaken) und das Sprayen (Graffiti).Es geht darum, etwas Künstlerischeszu entwickeln. In Deutschland gibt esungefähr drei Millionen Jugendliche, diesich für Hip-Hop interessieren. Sie verstehenihre Lebensart als Möglichkeit,auf soziale Probleme hinzuweisen. BeiWettkämpfen, so genannten „Battles“,zeigen sie, wer <strong>de</strong>r Beste ist. Natürlichmüssen Kleidung und Accessoiresstimmen, damit man „cool“ ist.