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Aon Holdings Austria - Kammer der Architekten und ...

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Von oben Von oben sieht man nicht, wie hoch oben<br />

das Wetter-Observatorium liegt. „Wolkenhaus“<br />

war sein ursprünglicher Name, „Sonnblick“ ist sein<br />

euphemistisch-offizieller, „Nebelblick“ sein unter<br />

Meteorologen üblicher Name. Der höchstgelegene<br />

Arbeitsplatz Österreichs befindet sich auf 3106 m<br />

inmitten des Nationalparks Hohe Tauern. Kontinuierliche<br />

Messreihen seit mehr als 125 Jahren sind<br />

in Zeiten <strong>der</strong> Klimakrise ein Kapital, von dem man<br />

nie geahnt hätte, dass es eines Tages so hoch im<br />

Kurs steht.<br />

Fern <strong>der</strong> Zivilisation kann man hier von Emis-<br />

sionen unbehelligt forschen. Das macht die Daten<br />

so rein wie die Luft, <strong>der</strong>en nahezu homöopathische<br />

Verunreinigungen hier störungsfrei messbar wer-<br />

den. Gewandelt haben sich die gestellten Fragen.<br />

1886 wollte man die höheren Luftschichten erforschen.<br />

In den 1970er-Jahren den „sauren Regen“.<br />

Heute die Rückbildung <strong>der</strong> Gletscher, radioaktive<br />

Grüße aus Fukushima <strong>und</strong> die Erwärmung <strong>der</strong><br />

Erde. Immer aufwendiger wurde die Messtechnik.<br />

Manche Apparate erzeugen so viel Abwärme, dass<br />

in <strong>der</strong> Hütte Unterdruck hergestellt werden muss,<br />

um die Messgenauigkeit nicht zu gefährden. Die<br />

heiße Luft wird über einen 20 m hohen Turm<br />

ausgeblasen. Die Hütte saugt <strong>und</strong> atmet! Aber auch<br />

das sieht man natürlich nicht, von oben betrachtet.<br />

Wolfgang Pauser �<br />

285<br />

285, Zeitschrift <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eskammer <strong>der</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>und</strong> Ingenieurkonsulenten<br />

März 2012, www.daskonstruktiv.at, Euro 9,– | gz 12z039152 m | vpa 1070 Wien<br />

285,<br />

an<strong>der</strong>s als geWohnt Kein Zweifel, die Frage nach dem<br />

„weiter wohnen wie gewohnt“ stellt sich<br />

unter wechselnden gesellschaftlichen <strong>und</strong><br />

wirtschaftlichen Bedingungen seit dem Beginn des<br />

bürgerlichen Zeitalters um 1800 immer wie<strong>der</strong> aufs Neue.<br />

Das wird auch so bleiben – eine ebenso spannende<br />

wie anspruchsvolle Herausfor<strong>der</strong>ung für alle, die sich<br />

mit dem facettenreichen Wohnungswesen befassen.


2 | 3<br />

Inhalt<br />

7<br />

8 – 11<br />

12 – 15<br />

16 – 17<br />

18 – 21<br />

22 – 24<br />

25 – 27<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

an<strong>der</strong>s als geWohnt<br />

285<br />

Editorial, Pendls Standpunkt<br />

Puntigams Kolumne, Dusls Schwerpunkt<br />

Standpunkte: Rudolf Kolbe, Klaus Thürriedl, Alfred Brunnsteiner<br />

Plus / Minus: Shared Space Thomas Pilz / Hans-Peter Auer<br />

Weiter wohnen wie gewohnt? | Vom Wohnen <strong>und</strong> dem Wohnungsbau aus<br />

soziologischer <strong>und</strong> sozialpsychologischer Sicht Susanne Gysi<br />

Wohnen in Österreich – Zwischen Hauseigentum <strong>und</strong> Miete |<br />

Aktuelle Wohnungsmarktstrukturen <strong>und</strong> künftige Entwicklungen Josef Kohlbacher & Ursula Reeger<br />

Sozialer <strong>und</strong> öffentlich geför<strong>der</strong>ter Wohnbau in Zeiten des Finanzkapitalismus |<br />

Über die Ökonomisierung aller Lebensbereiche Andreas Rumpfhuber<br />

wohn-ware standby | Technikkonzepte für zu Hause Renate Hammer & Peter Holzer<br />

Partizipation als Innovation im Wohnbau |<br />

Über Selbstorganisation, Urbanitätskerne <strong>und</strong> Stadtmotoren Robert Temel<br />

Wohnraum <strong>und</strong> Gesellschaft |<br />

Vergleichende Reflexionen von Europa <strong>und</strong> den USA Elisabeth Lichtenberger<br />

32 – 35 Wirtschaftliche Standortbestimmung <strong>der</strong> Branche |<br />

Durchgeführt von Triconsult im Auftrag <strong>der</strong> bAIK<br />

36 – 37 Die Integrationsmaschine |<br />

Über Doug Saun<strong>der</strong>s’ bahnbrechendes Buch „Arrival City“ Michael Krassnitzer<br />

40 Empfehlungen<br />

41 Jüngste Entscheidung, Krassnitzers Lektüren<br />

42 Porträt: Josef Linsinger | Magdalena Klemun<br />

43 Fehlanzeige, Das nächste Heft<br />

44 Von oben<br />

Impressum<br />

Medieninhaber <strong>und</strong> Herausgeber<br />

Erscheinungsweise<br />

Auflage<br />

Einzelpreis<br />

Abopreis pro Jahr<br />

Redaktion, Anzeigen & Aboverwaltung<br />

Redaktionsteam<br />

Redaktionsbeirat<br />

konstruktiv 285<br />

B<strong>und</strong>eskammer <strong>der</strong> <strong>Architekten</strong><br />

<strong>und</strong> Ingenieurkonsulenten (bAIK)<br />

1040 Wien, Karlsgasse 9<br />

T: 01-505 58 07-0, F: 01-505 32 11<br />

www.daskonstruktiv.at<br />

vier Mal jährlich<br />

13.300 Stück<br />

9,00 Euro<br />

24,00 Euro<br />

art:phalanx Kunst- <strong>und</strong> Kommunikationsbüro<br />

Clemens Kopetzky (Geschäftsleitung)<br />

Susanne Hai<strong>der</strong>, Sebastian Jobst, Heide Linzer<br />

1070 Wien, Neubaugasse 25 /1 /11<br />

T: 01-524 98 03-0, F: 01-524 98 03-4<br />

redaktion@daskonstruktiv.at, anzeigen@<br />

daskonstruktiv.at, abo@daskonstruktiv.at<br />

arge Walter Bohatsch / Reinhard Gassner, Gerald<br />

Fuxjäger (Präsident <strong>der</strong> <strong>Kammer</strong> <strong>der</strong> <strong>Architekten</strong><br />

<strong>und</strong> Ingenieurkonsulenten für Steiermark <strong>und</strong><br />

Kärnten), Georg Pendl (Präsident <strong>der</strong> bAIK), Rudolf<br />

Kolbe (Vizepräsident <strong>der</strong> bAIK <strong>und</strong> Präsident <strong>der</strong><br />

<strong>Kammer</strong> <strong>der</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>und</strong> Ingenieurkonsulenten<br />

für Oberösterreich <strong>und</strong> Salzburg), Sabine<br />

Oppolzer (Kulturjournalistin), Wolfgang Pauser<br />

(Konsumforscher & Berater), Walter Stelzhammer<br />

(Präsident <strong>der</strong> <strong>Kammer</strong> <strong>der</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>und</strong><br />

Ingenieurkonsulenten für Wien, Nie<strong>der</strong>österreich<br />

<strong>und</strong> Burgenland)<br />

Lektorat<br />

Gestaltung<br />

Druck<br />

Abbildungen<br />

F. = Fotograf<br />

A. = Architekt<br />

Dorrit Korger<br />

Gassner Redolfi, Schlins<br />

Bohatsch <strong>und</strong> Partner, Wien<br />

Ueberreuter Print GmbH, Korneuburg<br />

Gedruckt auf SoporSet Premium<br />

Seite 3: F.: Dietmar Tollerian / Konzept: Andreas<br />

Strauss | Seite 4: Ingo Pertramer, Andrea Maria Dusl<br />

| Seite 5: ©<strong>Kammer</strong> <strong>der</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>und</strong> Ingenieur-<br />

konsulenten | Seite 7 – 21: Filip Dujardin | Seite 15,<br />

20: Grafik: Gassner Redolfi/Bohatsch <strong>und</strong> Partner |<br />

Seite 23: ©>kabelwerk< bauträger gmbh | Seite 24:<br />

Per Hoffmann Olsen, A.: Franz Kuzmich | Seite 26:<br />

Archiv Gabriele Reiterer | Seite 27: Siemens Cor-<br />

porate Archives, Mark Faviell | Seite 32 – 35: Grafik:<br />

Gassner Redolfi/Bohatsch <strong>und</strong> Partner | Seite 36:<br />

Sue Ann Harkey | Seite 37: Peter Gugerell | Seite 40:<br />

www.mediathek.at, Adam & Harborth, www.<br />

thewil<strong>der</strong>nessdowntown.com | Seite 42: Josef<br />

Linsinger | Seite 43: André Krammer, F.: Frank<br />

Kleinbach, Installation: Peter Dittmer | Seite 44:<br />

Land Salzburg, Landesplanung <strong>und</strong> sagis<br />

Die Redaktion ersucht diejenigen Urheber,<br />

Rechtsnachfolger <strong>und</strong> Werknutzungsberechtigten,<br />

die nicht kontaktiert werden konnten, im Falle<br />

des fehlenden Einverständnisses zur Vervielfältigung,<br />

Veröffentlichung <strong>und</strong> Verwertung von<br />

Werkabbildungen bzw. Fotografien im Rahmen<br />

dieser Publikation um Kontaktaufnahme.<br />

Das Gestaltungskonzept dieser Zeitschrift ist<br />

urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung<br />

außerhalb <strong>der</strong> Grenzen des Urheberrechts ist<br />

unzulässig. Die Texte, Fotos, Plandarstellungen<br />

sind urheberrechtlich geschützt.<br />

Offenlegung gemäß §25 Mediengesetz ist auf<br />

www.daskonstruktiv.at veröffentlicht.<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben<br />

ausschließlich die Meinung des Autors wie<strong>der</strong>,<br />

die sich nicht mit <strong>der</strong> des Herausgebers o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Redaktion decken muss. Für unverlangte<br />

Beiträge liegt das Risiko beim Einsen<strong>der</strong>. Sinn-<br />

gemäße textliche Überarbeitung behält sich<br />

die Redaktion vor.<br />

Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen<br />

Beiträge <strong>und</strong> Abbildungen sind urheberrechtlich<br />

geschützt.<br />

Zugunsten <strong>der</strong> Lesbarkeit wird, wenn von den<br />

Autorinnen <strong>und</strong> Autoren nicht an<strong>der</strong>s vorgesehen,<br />

auf geschlechtsspezifische Endungen verzichtet.<br />

Das Zitat auf dem Titel wurde dem Text<br />

„Weiter wohnen wie gewohnt? Vom Wohnen<br />

<strong>und</strong> dem Wohnungsbau aus soziologischer <strong>und</strong><br />

soziopsychologischer Sicht“ von Susanne Gysi<br />

entnommen.<br />

Fehlanzeige Verordneter Anachronismus Die Stellplatzverpflichtung, insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Koppelung von Wohneinheit <strong>und</strong> Stellplatz, ist ein problematisches Erbe einer längst überholten<br />

Planungsdoktrin. Das Regulativ wurde hierzulande erstmals in <strong>der</strong> ns-Zeit in <strong>der</strong> Bauordnung verankert<br />

<strong>und</strong> wurde auch in <strong>der</strong> Zeit nach 1945 zu einem unhinterfragten Dogma <strong>der</strong> „autogerechten Stadt“.<br />

Aber nicht nur aus ökologischen Gründen handelt es sich um eine unzeitgemäße Verordnung. Auch die<br />

Statistik – ca. 40 % <strong>der</strong> Wiener Haushalte verfügen beispielsweise über kein eigenes Auto – spricht gegen<br />

die Errichtung eines Stellplatzes pro Wohneinheit, wie es etwa das Wiener Garagengesetz verlangt.<br />

Partielles Umdenken hat zu Klauseln geführt, die Ausnahmeregelungen im Bebauungsplan erlauben.<br />

Einzelne Pilotprojekte mit reduziertem Stellplatzschlüssel o<strong>der</strong> gar autofreie Mustersiedlungen sind<br />

entstanden. Eine generelle Hinterfragung des Regulativs hingegen ist ausgeblieben. Dabei könnten frei<br />

werdende Mittel beim Entfall teurer <strong>und</strong> nicht benötigter Garagenfläche sinnvoll investiert werden,<br />

etwa in die Erhöhung <strong>der</strong> Wohn- <strong>und</strong> Außenraumqualität. André Krammer �<br />

Schalten <strong>und</strong> Walten [Die Amme – Die Amme_5]<br />

von Peter Dittmer<br />

Im Rahmen dieser Installation tritt <strong>der</strong><br />

Museumsbesucher mit einer Maschine<br />

in Dialog, regelrecht wi<strong>der</strong>spenstig geht sie<br />

dabei mit Fragen <strong>und</strong> Bemerkungen um <strong>und</strong><br />

legt die Grenzen <strong>der</strong> Kommunikation zwischen<br />

Mensch <strong>und</strong> Computer frei. Die aufgezeich-<br />

neten Dialoge <strong>und</strong> nähere Informationen sind<br />

unter www.dieamme.de zu finden.<br />

Das nächste Heft Digitalisierung ist mehr als die elektronische<br />

Speicherung von Information, die Übersetzung in<br />

eine binäre Sprache ist vielmehr eine Interpretation <strong>der</strong><br />

eigentlichen Information. Denn die innere Logik eines jeden<br />

digitalen Systems lässt nur zwei Werte zu. Daraus ergibt<br />

sich, dass die Maschine nur in Stufen „denken“ kann <strong>und</strong><br />

dennoch – o<strong>der</strong> gerade deshalb – ermöglichen computergestützte<br />

Berechnungen Planungen <strong>und</strong> Entwürfe, die <strong>der</strong><br />

Mensch auf sich allein gestellt nicht bewältigen kann.<br />

Das scheint nur natürlich, hat sich <strong>der</strong> homo faber doch<br />

immer schon Werkzeuge geschaffen, um seine Umwelt zu<br />

manipulieren. Ungewöhnlich scheint vielmehr die Erfindung<br />

eines Werkzeugs, dessen innere Logik so fremd ist.<br />

Das kommende Heft wird sich daher <strong>der</strong> Frage widmen,<br />

wie sehr die Digitalisierung <strong>der</strong> Welt bereits vorangeschritten<br />

ist <strong>und</strong> zu welchem Ergebnis das führt.


Editorial<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

an<strong>der</strong>s als gewohnt o<strong>der</strong> weiter wohnen wie<br />

gehabt? Synonyme für Verän<strong>der</strong>ung <strong>und</strong>/o<strong>der</strong><br />

Stillstand? Der Strukturwandel <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wertepluralismus<br />

in unserer Gesellschaft for<strong>der</strong>n<br />

ihr Tribut in vielen Bereichen unseres alltäglichen<br />

Lebens. „Verän<strong>der</strong>ung von Haushaltsformen<br />

<strong>und</strong> Wohnweisen“ so die Schweizer<br />

Sozialwissenschaftlerin Susanne Gysi, „lassen<br />

sowohl wandelnde Normen <strong>und</strong> Werthaltungen<br />

als auch demografischen Wandel <strong>und</strong><br />

Pendls Standpunkt<br />

Wohnbau, insbeson<strong>der</strong>e sozialer wohnbau<br />

hat in österreich höchstes niveau. Das zeigen<br />

auch wie<strong>der</strong> die artikel in diesem heft. Wohnungen<br />

sind leistbar, auch für finanzschwächere,<br />

<strong>und</strong> das bei hoher qualität hinsichtlich<br />

energiestandard, nachhaltigkeit, freiraumgestaltung<br />

<strong>und</strong> nicht zuletzt des kerns <strong>der</strong> uns<br />

betreffenden aufgabe, <strong>der</strong> architektur. Kritik<br />

am wohnbau bewegt sich daher immer auf<br />

hohem niveau, nicht immer die kritik selbst,<br />

aber eben die objekte <strong>der</strong>selben. Diesen standard<br />

gemeinsam mit den bauträgern zu halten<br />

<strong>und</strong> auszubauen ist unser arbeitsprogramm<br />

als architekten <strong>und</strong> ingenieure, die rahmenbedingungen<br />

dazu zu verbessern jenes <strong>der</strong><br />

berufsvertretung.<br />

Erstmals öffnete das<br />

parkhotel vor dem Linzer<br />

Brucknerhaus 2005 seine<br />

Pforten.<br />

neue Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Arbeitswelt an die<br />

Privathaushalte (Anm: in Mitteleuropa) erkennen.“<br />

Doch was bedeutet dies tatsächlich<br />

für unsere Lebensphasen <strong>und</strong> (Wohn)Biografien,<br />

welche Ansätze <strong>und</strong> Innovationen sind erkennbar?<br />

Partizipatives Planen; generationenübergreifendes<br />

Wohnen, Lifestyle vs. Wohnbedarf;<br />

<strong>der</strong> öffentliche Raum; Mobilität <strong>und</strong><br />

Sesshaftigkeit, Familienwohnung o<strong>der</strong> Cluster-<br />

Gr<strong>und</strong>riss; Eigentum o<strong>der</strong> Miete; Immigration<br />

<strong>und</strong> demografische Alterung; Technikkonzepte<br />

für den Privatraum; Effizienz, Konsistenz <strong>und</strong><br />

Die for<strong>der</strong>ung an die politik ist in diesem zusammenhang<br />

recht einfach, aber umso dringlicher:<br />

zweckbindung <strong>der</strong> wohnbauför<strong>der</strong>ungsmittel.<br />

Diese dürfen nicht – wie lei<strong>der</strong> in den<br />

letzten jahren in einigen b<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n üblich<br />

– für an<strong>der</strong>es verwendet werden, son<strong>der</strong>n<br />

nur gemäß ihrer bezeichnung: für die wohnbauför<strong>der</strong>ung.<br />

In diesem heft wird auch die umfrage <strong>der</strong><br />

bAIK vom letzten jahr vorgestellt, welche wir<br />

nun schon dreimal durchgeführt haben. Zwei<br />

für mich maßgebliche kernaussagen seien kurz<br />

umrissen: Die österreichischen architektInnen<br />

nehmen zu 51 % an wettbewerben teil, investieren<br />

dabei 52,1 mio. euro <strong>und</strong> lukrieren<br />

eine gesamtauftragssumme von 213,4 mio.<br />

euro. Für diese investition in baukultur, welche<br />

in dieser form <strong>und</strong> in diesem umfang von<br />

Suffizienz; öffentlicher <strong>und</strong> sozialer Wohnbau?<br />

Wo geht es hin? Diese Schlagwörter dienen<br />

an dieser Stelle nur als Kurzfassung <strong>der</strong> Themen,<br />

die uns zum aktuellen Schwerpunkt an<strong>der</strong>s<br />

als geWohnt interessiert haben <strong>und</strong> ließen sich<br />

leicht fortsetzen.<br />

Suffizienz im Sinne <strong>der</strong> Frage nach dem<br />

rechten Maß benötigt ein Umdenken, ein<br />

Überdenken unserer Lebens- <strong>und</strong> Wirtschaftsweisen<br />

<strong>und</strong> damit last but not least auch<br />

das Entwickeln von Wohnformen an<strong>der</strong>s als<br />

gewohnt. In diesem Sinne wünschen wir eine<br />

anregende Lektüre! Heide Linzer (Redaktion) �<br />

keinem an<strong>der</strong>en beruf eingebracht wird, verlangen<br />

wir nicht mehr, aber auch nicht weniger,<br />

als dass die von uns in über 150-jähriger<br />

tradition entstandenen <strong>und</strong> weiterentwickelten<br />

regeln von allen beteiligten respektiert<br />

werden.<br />

In <strong>der</strong> WE, dem kammereigenen pensionssystem,<br />

welches zu führen uns gesetzlich<br />

auferlegt ist, möchten lediglich 10 % <strong>der</strong> mitglie<strong>der</strong><br />

verbleiben, während sich 73 % <strong>der</strong> mitglie<strong>der</strong><br />

für eine überführung in das allgemeine<br />

sozialversicherungssystem aussprechen. Für<br />

mich keine überraschung, aber ein gewichtiges<br />

argument für die legitimität genau dieses<br />

anliegens bei den nun anstehenden verhandlungen<br />

mit den ministerien. … Auf dass die<br />

übung gelinge. Georg Pendl (Präsident <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eskammer<br />

<strong>der</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>und</strong> Ingenieurkonsulenten) �


Wohnraum Mensch<br />

Martin Puntigam<br />

Kabarettist, Autor <strong>und</strong> MC <strong>der</strong> Science Busters<br />

Menschen auf <strong>der</strong> Suche nach Wohnraum<br />

sind gleichzeitig Wohnraum für eine gigantische<br />

Anzahl an Lebewesen.<br />

Ein erwachsener Mensch besteht nämlich<br />

nicht nur aus Haut <strong>und</strong> Haar, Fleisch <strong>und</strong><br />

Knochen, son<strong>der</strong>n auch aus circa 1000 Spinnentieren,<br />

etlichen Hun<strong>der</strong>t Madenwürmern,<br />

ein paar Dutzend Amöben <strong>und</strong> etwa hun<strong>der</strong>t<br />

Billionen Bakterien. Wir selber sind bei uns<br />

nur eine extreme Randgruppe.<br />

Mit dem Austritt des Kopfes aus <strong>der</strong><br />

Scheide, praktisch wenn noch ein Teil des<br />

Babys in <strong>der</strong> Mutter ist, landen die ersten<br />

Bakterien <strong>und</strong> machen es sich bequem. Wobei<br />

bequem eher übertrieben ist. Sie vermehren<br />

sich sofort rasant <strong>und</strong> haben dauernd alle<br />

Hände voll zu tun, an<strong>der</strong>e Mikroorganismen<br />

abzuwehren, die ihren Platz besetzen wollen.<br />

Einfach mit einem Handtuch den Platz reservieren<br />

<strong>und</strong> dann zum Frühstück weggehen,<br />

das geht in <strong>der</strong> Bakterienwelt nicht. Wohnraum<br />

ist knapp <strong>und</strong> muss permanent neu erobert<br />

werden.<br />

Wuchereria bancrofti, Escherichia, Staphylococcus,<br />

Klebsiella, Helicobacter, you<br />

Dusls Schwerpunkt<br />

name it. Auf praktisch allen Körperteilen, die<br />

irgendwie Kontakt mit <strong>der</strong> Außenwelt haben,<br />

inklusive 400 Quadratmetern Schleimhaut<br />

herrscht eine Mikrobendichte, gegen die<br />

Hongkong wie eine Wüstenei wirkt. Und sie<br />

können niemals sicher sein, dass ihr Wohnrecht<br />

erhalten bleibt, selbst wenn sie glauben<br />

im Gr<strong>und</strong>buch zu stehen. Im Magen etwa können<br />

nur wenige Bakterienarten überl eben,<br />

weil das Salzsäureaufkommen die Wohnqualität<br />

stark schmälert. Wenn Helicobacter-<br />

pylori-Bakterien sich dort ansiedeln <strong>und</strong> eine<br />

House-Warming-Party schmeißen, dann nennen<br />

Menschen das Magengeschwür, nehmen<br />

Antibiotika <strong>und</strong> die ganze Mühe mit den Umzugskartons,<br />

extra ausmalen, Bodenabschleifen,<br />

neue Fenster, Designerlampen usw. war<br />

umsonst.<br />

Denn natürlich gestalten auch Bakterien<br />

ihren Wohnraum gerne ein bisschen individuell,<br />

mit viel Liebe zum Detail. Tischtuch,<br />

Blumenschmuck, Kerzen, ein paar Schmuckmurmeln<br />

da, ein paar Duftblätter dort, <strong>und</strong><br />

schon wirkt <strong>der</strong> ganze Raum wie verwandelt.<br />

Wir Menschen nennen das dann M<strong>und</strong>geruch. �<br />

Cross check<br />

Rudolf Kolbe<br />

Vizepräsident <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eskammer <strong>der</strong> <strong>Architekten</strong><br />

<strong>und</strong> Ingenieurkonsulenten<br />

Unverhofft kommt oft<br />

Manchmal passieren Hoppalas. Manchmal ist<br />

es lustig <strong>und</strong> es passiert nichts. Manchmal ist<br />

es nicht lustig <strong>und</strong> wir reden dann von einem<br />

Problem. Ein Hoppala, das gar nicht so selten<br />

im Bauwesen passiert, ist, wenn Materiengesetze<br />

übersehen <strong>und</strong> Dritte geschädigt werden.<br />

Ein Problem.<br />

Zum Beispiel das Wasserrecht (WRG 1959).<br />

Beim Bauen geht es sehr oft in den Untergr<strong>und</strong><br />

– auch bei Hochbauten – <strong>und</strong> dort ist Gr<strong>und</strong>wasser.<br />

So kann es passieren, dass trotz Baubewilligung<br />

Hausbesitzer, durchaus einige 100 m<br />

weit entfernt vom Bauplatz, Ersatz für ihre versiegten<br />

Hausbrunnen for<strong>der</strong>n.<br />

Nach § 10, Abs. 1 WRG 1959 benötigen<br />

Brunnen zur Abdeckung des eigenen Haus-<br />

<strong>und</strong> Wirtschaftsbedarf auf eigenem Gr<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> Boden keine Bewilligung, somit werden<br />

Schneelast<br />

Alfred Brunnsteiner<br />

Präsident <strong>der</strong> <strong>Kammer</strong> <strong>der</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>und</strong> Ingenieurkonsulenten<br />

für Tirol <strong>und</strong> Vorarlberg<br />

Alfred Brunnsteiner gibt allen Hauseigentümern<br />

den dringenden Rat, die Schneelasten<br />

auf ihren Dächern kontinuierlich, also regel-<br />

„Cabin crew, doors in flight and cross check.“<br />

Je ein Flugbegleiter verriegelt die Tür <strong>und</strong><br />

kontrolliert dann an <strong>der</strong> jeweils gegenüberliegenden,<br />

ob sein Kollege dies auch ordnungsgemäß<br />

gemacht hat. Ein ganz selbstverständlicher<br />

Vorgang im Flugbetrieb, kein Infragestellen,<br />

ob denn diese Kontrolle eines an sich<br />

unkomplizierten Vorganges nicht übertrieben<br />

<strong>und</strong> damit einsparbar wäre. Es hängt einfach<br />

zu viel davon ab, als dass man hier Kompromisse<br />

eingehen würde.<br />

Szenenwechsel. Aus dem Text einer rezenten<br />

Ausschreibung: „Die Erstellung bzw.<br />

Beibringung <strong>der</strong> notwendigen tragwerkstechnischen<br />

Nachweise ist in die Einheitspreise<br />

einzukalkulieren …“ Keine Präzisierung, was zu<br />

liefern ist, keine Vorgaben, welche Qualifikation<br />

zur Erstellung benötigt wird, <strong>und</strong> schon<br />

diese auch nirgendwo vermerkt. Trotzdem<br />

entsteht ein Wasserrecht, das durch die Errichtung<br />

von Gebäuden, auch in einiger Entfernung,<br />

nicht beeinträchtigt werden darf.<br />

Je<strong>der</strong> Bauherr ist also gut beraten, nicht<br />

nur die Frage des Baugr<strong>und</strong>es bereits in <strong>der</strong><br />

Einreichphase abzuklären, son<strong>der</strong>n auch die<br />

Fragen des Gr<strong>und</strong>wassers. Dabei ist die Sache<br />

beim Bauen im Gr<strong>und</strong>wasser vergleichsweise<br />

einfach. Beim Kluftwasser im Festgestein<br />

wird es da schon aufwendig, denn Eingriffe in<br />

wasserführende Klüfte können weit entfernte<br />

Hausbrunnen trockenlegen. Der Verursacher<br />

ist dann verpflichtet, Ersatzwasser zu<br />

beschaffen.<br />

Der kluge Mann baut daher vor <strong>und</strong> erhebt<br />

durchaus großzügig im Umfeld seines<br />

Bauvorhabens alle Hausbrunnen. Empfehlenswert<br />

ist, zu diesem Zweck einen Kollegen<br />

aus dem Bereich <strong>der</strong> Geologie o<strong>der</strong> Kulturtech-<br />

mäßig <strong>und</strong> wie<strong>der</strong>kehrend, zu messen <strong>und</strong><br />

allenfalls das Dach abzuschöpfen. „Als Hauseigentümer<br />

bin ich verpflichtet, zu überprüfen,<br />

wie viel Schnee auf dem Dach meines<br />

Hauses liegt. Diese Messung kann je<strong>der</strong><br />

Hauseigentümer selbst vornehmen o<strong>der</strong><br />

durch Zimmermeister, Baumeister o<strong>der</strong> Ziviltechniker<br />

machen lassen“, betont Brunnsteiner.<br />

Die erhöhten Schneelasten können nämlich<br />

auch <strong>der</strong> Festigkeit <strong>der</strong> gesamten<br />

Ge bäu dekonstruktion erheblichen Schaden<br />

zufügen. Deshalb sollte auch die Standfestigkeit<br />

des Gebäudes ständig <strong>und</strong> wie<strong>der</strong>kehrend<br />

kontrolliert <strong>und</strong> geprüft <strong>und</strong> durch ein<br />

Prüfprotokoll des Fachmannes bestätigt<br />

werden.<br />

Sinnvoll wäre auch ein Tragsicherheits-<br />

bzw. Gebrauchstauglichkeitsausweis für Gebäude.<br />

Alle Prüfberichte könnten in einem<br />

Gebäudeausweis gesammelt werden, schlägt<br />

4 | 5 285<br />

Puntigams Kolumne | Dusls Schwerpunkt<br />

Standpunkte<br />

gar keine Vorschreibung einer unabhängigen<br />

Prüfung.<br />

Bis Redaktionsschluss brachte <strong>der</strong> diesjährige<br />

Winter noch keine größere Zahl von<br />

Dächern zum Einsturz <strong>und</strong> auch sonst sind –<br />

Gott sei Dank – durch schlechte Tragwerksberechnung<br />

ausgelöste Unfälle o<strong>der</strong> Schäden<br />

so selten wie Flugzeugabstürze.<br />

Also lehnen wir uns zurück <strong>und</strong> verzichten<br />

wie<strong>der</strong> einmal bei Umsetzung <strong>der</strong> OIB-Richtlinien<br />

in unsere Landesgesetze auf die Verbindlichmachung<br />

<strong>der</strong> Maßnahmen zur Qualitätssicherung<br />

<strong>der</strong> Planung o<strong>der</strong> auch die Ein führung<br />

eines Prüfingenieurs, wie er in an<strong>der</strong>en eu-<br />

Län<strong>der</strong>n längst Standard ist. Guten Flug. �<br />

Weitere Informationen zur oib-Richtlinie auf<br />

www.aikammeros.org<br />

Klaus Thürriedl<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> B<strong>und</strong>essektion Ingenieurkonsulenten<br />

nik <strong>und</strong> Wasserwirtschaft zu konsultieren,<br />

um abzuklären, welche Hausbrunnen einem<br />

Beweissicherungsverfahren unterzogen werden<br />

sollen. Lei<strong>der</strong> ist das nicht ganz billig, doch<br />

lassen sich auf diese Weise kostenintensive<br />

Ersatzfor<strong>der</strong>ungen vermeiden. �<br />

Brunnsteiner vor. Gemessen wird die Schneelast,<br />

indem man ein einfaches Plastikrohr<br />

durch die Schneedecke bis auf die Dachhaut<br />

drückt. Dann wird das Rohr mit dem Schneeinhalt<br />

auf eine Waage gestellt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Inhalt<br />

von Schnee <strong>und</strong> Eis gewogen <strong>und</strong> durch die<br />

Querschnittsfläche des Rohres dividiert.<br />

Übersteigt das Gewicht den Normwert, muss<br />

das Gebäudedach abgeschöpft werden.<br />

Die Sicherheitsbeiwerte, die bei <strong>der</strong> Berechnung<br />

<strong>und</strong> Dimensionierung angesetzt<br />

werden, dürfen nicht für die Aufnahme von<br />

höheren Lasten herangezogen werden. Die<br />

Sicherheitsbeiwerte wurden geschaffen, um<br />

Imperfektionen im Material, Imperfektionen<br />

bei <strong>der</strong> Ausführung, Lastausmitten <strong>und</strong> ungewollte<br />

Lastumlagerungen in den Berechnungen<br />

abzudecken. �


Shared Space<br />

6 | 7 285<br />

Die neue Kultur des öffentlichen Raums<br />

An <strong>der</strong> Schnittstelle von Stadtplanung, Verkehrstechnik<br />

<strong>und</strong> Architektur des öffentlichen<br />

Raums hat sich in den vergangenen Jahren<br />

das Shared-Space-Paradigma erfolgreich etabliert.<br />

Shared Space hat sich aus den aufmerksamen<br />

Beobachtungen des Verkehrssicherheitsexperten<br />

Hans Mon<strong>der</strong>man in Holland<br />

entwickelt <strong>und</strong> bewährt sich heute in vielen<br />

Städten in ganz Europa. Das Konzept bricht<br />

mit zentralen Mythen <strong>der</strong> Verkehrsplanung:<br />

Straßen im urbanen Kontext werden nicht<br />

mehr primär als Verkehrsraum aufgefasst,<br />

son<strong>der</strong>n als prinzipiell multifunk tional <strong>und</strong><br />

sozial organisierter öffentlicher Raum; Sicherheit<br />

entsteht nicht durch Segregation (die<br />

führt nur zu Tempo, Unaufmerksamkeit <strong>und</strong><br />

dem erhöhten Zwang zum Regelfolgen), son<strong>der</strong>n<br />

durch das maßvolle Mischen von Verkehrsarten<br />

(ohne die Ausbildung von Territorien<br />

<strong>und</strong> unter Vermeidung von rechtlichen<br />

Reglementierungen); je mehr Menschen im<br />

Raum anwesend sind, desto sicherer ist die<br />

Situation (weil die real gefahrenen Geschwindigkeiten<br />

sinken); die angemessene Planung<br />

öffentlicher Räume erfolgt nicht durch Verkehrsexperten,<br />

son<strong>der</strong>n unter intensiver Einbindung<br />

<strong>der</strong> Bürger vor Ort. Die Logik <strong>der</strong> Planung<br />

ist damit umgekehrt: Es wird zunächst<br />

ein attraktiver öffentlicher Raum gestaltet,<br />

in den erst dann die Erfor<strong>der</strong>nisse des Verkehrs<br />

integriert werden.<br />

Die positiven Effekte sind verblüffend:<br />

angepasste Geschwindigkeiten, erhöhte Aufmerksamkeit,<br />

sinkende Unfallzahlen, Neubelebung<br />

des Raumes. In Österreich sind so<br />

unterschiedliche Projekte wie die Ortsdurchfahrt<br />

in Gleinstätten (dtv 7000) <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sonnenfelsplatz<br />

in Graz (dtv 14.000) die ersten<br />

Umsetzungsorte – in beiden Fällen bewährt<br />

sich das Konzept. Und Projekte wie die Exhibition<br />

Road in London o<strong>der</strong> die Schwarzenburgstraße<br />

in Köniz bei Bern (dtv bis 19.000) zeigen,<br />

dass diese Prinzipien auch in innerstädtischen<br />

Räumen mit sehr hohen Verkehrsfrequenzen<br />

bestens funktionieren. Thomas Pilz �<br />

Plus/Minus<br />

Fluch o<strong>der</strong> Segen?<br />

Shared Space ist ein neues Konzept zur umfassenden<br />

Gestaltung des öffentlichen Raumes.<br />

Straßen, Plätze <strong>und</strong> Wege werden als<br />

Lebensraum aufgefasst, <strong>der</strong> von allen Mitglie<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft geteilt <strong>und</strong> gemeinsam<br />

genutzt wird. Dieser Raum wird nicht<br />

durch Ampeln, Verkehrsschil<strong>der</strong>, Fußgängerinseln<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Barrieren organisiert, son<strong>der</strong>n<br />

durch die Möglichkeit <strong>der</strong> Verständigung<br />

aller Verkehrsteilnehmer. Wie sieht jedoch<br />

die Praxis aus? Gleinstätten, eine 1500-Einwohner-Gemeinde<br />

mit etwa 7400 Fahrzeugen<br />

pro Tag war hier Pionier in <strong>der</strong> Steiermark.<br />

Einbindung <strong>der</strong> Bevölkerung, Beachtung öffentlicher<br />

Einrichtungen, Gespräche mit Gewerbetreibenden<br />

<strong>und</strong> letztendlich auch den<br />

Verkehrsteilnehmern waren die Basis für<br />

eine gute <strong>und</strong> nachhaltige Planung bzw. Umsetzung.<br />

Nach wie vor (die Eröffnung war im<br />

September 2010) gibt es keine Unfälle mit<br />

Personenschäden <strong>und</strong> funktioniert dieses<br />

Konzept dort. Die Umsetzung am Grazer Sonnenfelsplatz<br />

muss hier aber kritischer betrachtet<br />

werden. 5-sternförmig angeordnete<br />

Zu- bzw. Abfahrten, die doppelte Anzahl an<br />

Fahrzeugen (15.000), über 3400 Fußgänger<br />

<strong>und</strong> pro St<strong>und</strong>e an die 640 Radfahrer stellen<br />

eine Dimension dar, die normalerweise klare<br />

Regelung benötigt. Zu verkehrsintensiven<br />

Zeiten sind chaotische Zustände, Unsicherheit<br />

<strong>und</strong> Gefahren die Folge dieser Neugestaltung.<br />

Hinzu kommt, dass <strong>der</strong> Sonnenfelsplatz<br />

nicht wie die insgesamt 107 bereits<br />

umgesetzten Shared Spaces in Holland vollständig<br />

ohne Barrieren gestaltet ist, son<strong>der</strong>n<br />

dass es in Graz sehr wohl Begrenzungen, einen<br />

angedeuteten Kreisverkehr sowie auch<br />

Steinbarrieren gibt. Gespräche mit Anrainern<br />

<strong>und</strong> Betroffenen zeigen auch deutlich<br />

die Schwachstellen auf. Viele umfahren den<br />

Sonnenfelsplatz, weil sie Angst haben, viele<br />

berichten uns von gefährlichen Situationen.<br />

Bisher gab es lediglich Unfälle mit Blechschäden.<br />

Bei <strong>der</strong> Planung dieser Shared Spaces<br />

sollten daher aus unserer Sicht einfache <strong>und</strong><br />

klarer strukturierte Straßenzüge in Betracht<br />

kommen, was wie<strong>der</strong>um für kleinere Gemeinden<br />

<strong>und</strong> nicht innerstädtische Bereiche mit<br />

hohen Frequenzen von Verkehrsteilnehmern<br />

spricht. Großstädte haben eigene Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>und</strong> Verkehrsteilnehmer von Jung bis Alt<br />

brauchen hier klare Regelungen des Miteinan<strong>der</strong><br />

– damit Gefahren größtmöglich ausgeschlossen<br />

werden können. Hans-Peter Auer �<br />

an<strong>der</strong>s als geWohnt<br />

Aus Versatzstücken <strong>der</strong> Realität setzt Filip Dujardin fiktive architektonische<br />

Szenarien zusammen. Obwohl diese wirken, als wären f<strong>und</strong>amentale<br />

Naturgesetze <strong>und</strong> Normen gesellschaftlichen Zusammenlebens<br />

außer Kraft gesetzt worden, gelingt es Dujardin, diese utopischen Gebilde<br />

<strong>und</strong> Konstruktionen in eine Aura des Alltäglichen zu hüllen. Seine Fiktionen<br />

konfrontieren den Betrachter mit den eigenen Vorstellungen <strong>und</strong><br />

Konzeptionen architektonischer Gestaltung <strong>und</strong> Auffassungen des eigenen<br />

Lebensraums. Doch auch in den Bil<strong>der</strong>n selbst prallen planerische<br />

Strukturen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wunsch <strong>der</strong> Bewohner nach eigenbestimmter Lebensraumgestaltung<br />

aufeinan<strong>der</strong>. Trotz <strong>der</strong> Generierung <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> am<br />

Computer haftet ihnen die Vertrautheit dokumentarischer Fotografie<br />

an, denn bei Dujardins fiktiven Architekturen handelt es sich nicht um<br />

Ren<strong>der</strong>ings, son<strong>der</strong>n um detailverliebte digitale Fotocollagen. Gerade<br />

die Witterungs- <strong>und</strong> Gebrauchsspuren verschleiern den Entstehungsprozess<br />

<strong>und</strong> laden dazu ein, jedes Detail als Referenz auf tatsächlich<br />

Gebautes zu enträtseln. Bil<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Serie Fictions begleiten daher die<br />

Texte des Schwerpunkts <strong>und</strong> laden Sie ein, Wohnraum „an<strong>der</strong>s als<br />

geWohnt“ zu betrachten. Die Redaktion �


Weiter wohnen wie gewohnt? |<br />

Vom Wohnen <strong>und</strong> dem Wohnungsbau aus<br />

soziologischer <strong>und</strong> sozialpsychologischer Sicht<br />

Susanne Gysi ist Sozialwissenschaftlerin.<br />

Sie<br />

war 1990 Mitbegrün<strong>der</strong>in<br />

des eth Wohnforums,<br />

einer Forschungsstelle<br />

am Departement<br />

Archi tektur <strong>der</strong> eth<br />

Zürich, wo sie bis 2008<br />

forschte <strong>und</strong> lehrte (www.<br />

wohnforum.arch.ethz.ch).<br />

Als freiberuflich Tätige<br />

bleibt sie dem eth<br />

Wohnforum assoziiert.<br />

1 Andritzky, Michael<br />

(1979), Weiter wohnen<br />

wie gewohnt? Ausstellung<br />

Deutscher Werkb<strong>und</strong>,<br />

Darmstadt 1979<br />

2 Gysi, Susanne (2009),<br />

Zwischen „Lifestyle“ <strong>und</strong><br />

Wohnbedarf. Was <strong>der</strong><br />

Mensch zum Wohnen<br />

braucht. In: Eberle, D.<br />

<strong>und</strong> Glaser, M. A. (Hrsg),<br />

Wohnen – Im Wechselspiel<br />

zwischen öffentlich<br />

<strong>und</strong> privat. Niggli Verlag<br />

Sulgen/Zürich<br />

3 Hugentobler, Margrit,<br />

Susanne Gysi (1996),<br />

Sonnenhalb – schattenhalb.<br />

Wohngeschichten<br />

<strong>und</strong> Wohnsituationen<br />

von Frauen in <strong>der</strong><br />

Schweiz, Limmat, Zürich<br />

4 Huber, Andreas, (Hrsg.),<br />

eth Zürich (2008), Neues<br />

Wohnen in <strong>der</strong> zweiten<br />

Lebenshälfte. Birkhäuser,<br />

Basel<br />

5 Hilti, Nicola (2009),<br />

Multilokales Wohnen<br />

zwischen Mobilität <strong>und</strong><br />

Sesshaftigkeit, in:<br />

Andexlinger, Wolfgang/<br />

Obkircher, Stefan/<br />

Saurwein, Karin (Hrsg.),<br />

Dokonara. 2. InternationalesDoktorandInnenkolleg<br />

Nachhaltige<br />

Raumentwicklung,<br />

Innsbruck, University of<br />

Innsbruck Press, S. 47–61<br />

6 Hofer, Andreas, Von <strong>der</strong><br />

Familienwohnung zum<br />

Cluster-Gr<strong>und</strong>riss, in:<br />

tec21 Nr. 7/2011, sia,<br />

Zürich<br />

„Weiter wohnen wie gewohnt?“ So lautete im Jahr<br />

1979 <strong>der</strong> Titel des von Michael Andritzky 1 verfassten<br />

Text-Bil<strong>der</strong>buchs zur gleichnamigen Werkb<strong>und</strong>-<br />

Ausstellung über Geschichte, Gegenwart <strong>und</strong> Alternativen<br />

des Wohnens. Das Mädchen auf dem Titelblatt<br />

sitzt eingemauert in einem Fauteuil aus Beton.<br />

Beklagt werden die lebensfeindlichen Bedingungen<br />

des Massenwohnungsbaus mit seinen beengenden<br />

Gr<strong>und</strong>rissen <strong>und</strong> Regelungen, aber auch rigide Vorstellungen<br />

darüber, wie „man wohnt“. Kein Zweifel,<br />

die Frage nach dem „weiter wohnen wie gewohnt“<br />

stellt sich unter wechselnden gesellschaftlichen<br />

<strong>und</strong> wirtschaftlichen Bedingungen seit dem Beginn<br />

des bürgerlichen Zeitalters um 1800 immer wie<strong>der</strong><br />

aufs Neue. Das wird auch so bleiben – eine ebenso<br />

spannende wie anspruchsvolle Herausfor<strong>der</strong>ung für<br />

alle, die sich mit dem facettenreichen Wohnungswesen<br />

befassen.<br />

Zur Entwicklung <strong>der</strong> Haushaltformen<br />

Die Nachkriegsbevölkerung in Mitteleuropa ist<br />

demografisch geprägt durch Babyboom, Wan<strong>der</strong>ungsströme,<br />

wachsenden Wohlstand <strong>und</strong> steigende<br />

Lebenserwartung. In einigen Län<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Regionen<br />

nimmt sie aus reproduktiven <strong>und</strong> migrationsbedingten<br />

Gründen ab; älter wird sie überall. Ungleich<br />

verteilte Chancen wirtschaftlicher <strong>und</strong> individueller<br />

Teilnahme <strong>und</strong> Teilhabe innerhalb <strong>und</strong> an den Rän<strong>der</strong>n<br />

Europas – das Ende <strong>der</strong> aktuellen Wirtschafts-<br />

<strong>und</strong> Finanzkrise ist noch nicht abzusehen – hinterlassen<br />

bereits wie<strong>der</strong> deutliche Spuren in neuen<br />

Migrationsmustern: Bevölkerungswachstum hier,<br />

Bevölkerungsschrumpfung dort.<br />

Ähnlich entwickeln sich dagegen die Haushaltgrößen<br />

in Mitteleuropa; sie haben sich zwischen<br />

Anfang <strong>und</strong> Ende des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts auf knapp<br />

über zwei Personen halbiert, in den Städten liegen<br />

sie bereits darunter. In 35 bis 40 % aller Haushalte<br />

lebt eine Einzelperson. In den Großstädten machen<br />

sie bereits die Hälfte aus.<br />

Wer den Begriff „Haushalt“ mit „Familie“ gleichsetzt,<br />

liegt folglich in zwei von drei Fällen falsch.<br />

Vielfältige Haushaltformen <strong>und</strong> Wohnweisen lassen<br />

sowohl wandelnde Normen <strong>und</strong> Werthaltungen<br />

als auch demografischen Wandel <strong>und</strong> neue Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Arbeitswelt an die Privathaushalte<br />

erkennen. 2 In <strong>der</strong> Schweiz charakterisieren heute<br />

drei ähnlich große Haushaltformen die Wohnbevölkerung:<br />

Einpersonenhaushalte, Mehrpersonenhaushalte<br />

ohne Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Mehrpersonenhaushalte<br />

mit Kin<strong>der</strong>n.<br />

Einpersonenhaushalte<br />

Aus dem wachsenden Anteil Alleinleben<strong>der</strong> einen<br />

generellen Trend zum lebenslänglichen Dasein als<br />

„Swinging Single“ o<strong>der</strong> gar <strong>der</strong> Vereinzelung abzuleiten<br />

wäre unzulässig, wie ein Blick auf die Altersstruktur<br />

<strong>und</strong> neuere Studien in Deutschland <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Schweiz zeigen.<br />

Die Gruppe <strong>der</strong> Alleinlebenden ist heterogen<br />

<strong>und</strong> befindet sich in sehr unterschiedlichen<br />

Lebensphasen.<br />

Mit 60 % dominieren die ledigen <strong>und</strong> verwitweten<br />

Frauen zu gleichen Teilen; die über 64-Jährigen<br />

machen die Mehrheit aus. Mehr als die Hälfte <strong>der</strong><br />

alleinlebenden Männer hingegen ist jünger als 40<br />

<strong>und</strong> lebt öfter als gleichaltrige Frauen geschieden<br />

o<strong>der</strong> getrennt. Alleinlebende Menschen zeichnen<br />

sich mehrheitlich durch hohe soziale Integration<br />

<strong>und</strong> vielfältige Beziehungen aus: Jüngere pflegen<br />

gute Kontakte zur Herkunftsfamilie, sind nicht<br />

selten „in festen Händen“, während Ältere ihre<br />

Kontakte nach dem Prinzip „Intimität auf Distanz“<br />

pflegen.<br />

Mehrpersonenhaushalte ohne Kin<strong>der</strong><br />

Der Anteil <strong>der</strong> Mehrpersonenhaushalte ohne Kin<strong>der</strong><br />

– zumeist Paare in <strong>der</strong> Vorfamilienphase <strong>und</strong><br />

Ehepaare in <strong>der</strong> Nachfamilienphase – hat sich seit<br />

den 60er-Jahren mehr als verdoppelt. Er beträgt in<br />

<strong>der</strong> Schweiz <strong>und</strong> in Deutschland r<strong>und</strong> ein Drittel<br />

aller Haushalte, in Österreich gut 20 %, mit steigendem<br />

Anteil. Jüngere Paare gründen später <strong>und</strong><br />

seltener eine Familie als ihre Eltern. Babyboom <strong>und</strong><br />

höhere Lebenserwartung lassen den Anteil älterer<br />

Ehepaare <strong>und</strong> die ihnen verbleibende Lebenszeit<br />

steigen. An<strong>der</strong>e Formen wie Wohngemeinschaften,<br />

Geschwisterhaushalte o<strong>der</strong> Haushalte Erwachsener<br />

mit Eltern(teil) sind anteilsmäßig eher unbedeutend<br />

<strong>und</strong> tendenziell abnehmend. Mehrpersonenhaushalte<br />

ohne Kin<strong>der</strong> weisen aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />

Altersstruktur sehr heterogene Lebensweisen auf.<br />

Jüngere Paare leben eher in städtischen Gebieten,<br />

ältere auch im suburbanen <strong>und</strong> ländlichen<br />

Raum.<br />

Mehrpersonenhaushalte mit Kin<strong>der</strong>n<br />

Noch immer bilden hier klassische Kernfamilien mit<br />

Mutter, Vater <strong>und</strong> zwei Kin<strong>der</strong>n die Mehrzahl. Drei<br />

<strong>und</strong> mehr Kin<strong>der</strong> sind seltener geworden, Kernfamilien<br />

mit einem Kind häufiger – im Durchschnitt<br />

noch 1,5 Kin<strong>der</strong> pro Schweizerin gegenüber 1,25<br />

in Österreich <strong>und</strong> Deutschland. Weitere Tendenzen<br />

lassen sich ebenfalls ausmachen:<br />

Dreigenerationenhaushalte sind fast gänzlich Steigend ist dage-<br />

verschw<strong>und</strong>en, ebenso Familienhaushalte mit gen <strong>der</strong> Anteil<br />

Drittpersonen.<br />

<strong>der</strong> „Patchworkfamilien“,<br />

<strong>der</strong>en<br />

Kin<strong>der</strong> aus zwei o<strong>der</strong> drei Ehen stammen. Eine<br />

weitere, oft vorübergehende Haushaltform ist die<br />

<strong>der</strong> zumeist weiblichen Alleinerziehenden. Sie<br />

nimmt aufgr<strong>und</strong> steigen<strong>der</strong> Scheidungszahlen<br />

ebenfalls stark zu. Mittlerweile machen Alleinerziehende<br />

in <strong>der</strong> Schweiz 15 % aller Familienhaushalte<br />

mit Kin<strong>der</strong>n aus, in Österreich sind es 19 %.<br />

Lifestyles <strong>und</strong> Trends: medial überbewertet<br />

Schenkte man Lifestylemagazinen <strong>und</strong> Trendmeldungen<br />

<strong>der</strong> Wochenendpresse Glauben, würden<br />

unsere Mitmenschen in atemberauben<strong>der</strong> Abfolge<br />

durch immer neue „Gesellschaften“ katapultiert,<br />

von <strong>der</strong> Zweidrittel- zur Multioptionsgesellschaft,<br />

von <strong>der</strong> Konsum- über die Geiz- <strong>und</strong> Spaß- hin zur<br />

Sinngesellschaft.<br />

8 | 9 285<br />

Weiter wohnen wie gewohnt? Weiter wohnen wie gewohnt?<br />

Dass das aktuell proklamierte „Minus-Zeitalter“<br />

für manche ungewollt zur schmerzhaften<br />

Realität geworden ist, zeigt die Negativentwicklung<br />

<strong>der</strong> frei verfügbaren Haushaltbudgets.<br />

Wohl lassen hoher Wohlstand, struktureller<br />

Wandel, Wertepluralisierung <strong>und</strong> die quantitativ<br />

gelöste Wohnungsfrage vermuten, dass heute<br />

je<strong>der</strong> <strong>und</strong> jede die eigene Lebens- <strong>und</strong> Wohn-<br />

biografie stets aufs Neue komponieren kann<br />

<strong>und</strong> will.<br />

Doch relativieren neuere Studien über<br />

den sozialen <strong>und</strong> kulturellen Wandel <strong>der</strong> letzten<br />

50 Jahre diese Freiheitserwartung. So stellen sie<br />

zwar „ab Ende <strong>der</strong> 50er-Jahre eine Aufweichung,<br />

ja in den 60er- <strong>und</strong> 80er-Jahren eine Erosion kollektiver,<br />

klassen- <strong>und</strong> regionenspezifischer Lebensformen<br />

<strong>und</strong> Lebensmuster“ fest. Aber dieser Pluralisierung<br />

individueller Handlungsspielräume steht<br />

das Beharrungsvermögen tradi tioneller Strukturen


<strong>und</strong> Mentalitäten <strong>der</strong> Bevölkerungsmehrheit gegenüber;<br />

es gerät zu Unrecht aus dem Blickfeld <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit.<br />

Lebensphasen, Übergänge <strong>und</strong> Wohnbiografien in<br />

<strong>der</strong> Zusammenschau<br />

– Lebensbereiche,<br />

die sich gleichermaßen<br />

bedingen<br />

wie verstärken.<br />

In dieser dynamischenZusammenschau<br />

erst erschließen sie das Patchwork, welches<br />

Biografien ausmacht <strong>und</strong> statistische Daten erhellt.<br />

Beson<strong>der</strong>s deutlich zeigt sich dieser Zusammenhang<br />

in <strong>der</strong> Analyse von Lebensverläufen <strong>und</strong><br />

Wohnbiografien mehrerer Frauengenerationen im<br />

Vergleich. 3 Hinter je<strong>der</strong> Wohngeschichte steht eine Lebensgeschichte,<br />

geprägt durch die soziale <strong>und</strong><br />

geografische Herkunft, weitergestrickt in <strong>der</strong><br />

eigenen Familien-, Bildungs-, Erwerbs- <strong>und</strong> Wohngeschichte<br />

Fast immer ist die Kette sich folgen<strong>der</strong><br />

Lebensphasen klar gekennzeichnet durch gleichzeitige<br />

o<strong>der</strong> zeitlich nur leicht verschobene Verän<strong>der</strong>ungen<br />

in mehreren Lebensbereichen. Biografische<br />

Übergänge gehen mit räumlichen Verän<strong>der</strong>ungen<br />

einher – einem Wohnungswechsel, baulichen Maßnahmen<br />

o<strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten Nutzungsweisen verfügbarer<br />

Wohn flächen. Der wechselnde Stellenwert<br />

des Wohnens verstärkt zudem die Konturen aufeinan<strong>der</strong><br />

folgen<strong>der</strong> Lebensphasen.<br />

Die jungen Erwachsenen: Ausziehen o<strong>der</strong> bleiben?<br />

Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

lebten junge Erwachsene vor ihrer Heirat meist im<br />

elterlichen Haushalt, allenfalls erwerbs- o<strong>der</strong> studienbedingt<br />

zur Untermiete o<strong>der</strong> in einem Kollektivhaushalt.<br />

Danach zogen junge Erwachsene immer<br />

früher aus dem Elternhaus; männliche Jugendliche<br />

bleiben länger zu Hause als weibliche. Inzwischen<br />

hat sich dieser Trend des frühen Wegzugs aus dem<br />

Elternhaus allerdings gewendet: Junge Erwachsene,<br />

auch „Generation Praktikum“ genannt, verbleiben<br />

wie<strong>der</strong> länger im „Hotel Mama“, <strong>und</strong> manche kehren<br />

– nicht immer zur Freude ihrer Eltern – als „Baby-<br />

Boomerang-Generation“ zwischen wechselnden<br />

Studien- <strong>und</strong> Arbeitsorten, Wohnorten, Partnerschaften<br />

<strong>und</strong> Wohnungen wie<strong>der</strong>holt dorthin zurück,<br />

erlauben doch großzügigere Raumverhältnisse <strong>und</strong><br />

ein verän<strong>der</strong>tes Generationen verständnis heute<br />

autonome Wohnweisen für beide Generationen.<br />

Zunächst reicht die häufig gewechselte „Loge“<br />

als Unterkunft, denn Ausgehen <strong>und</strong> Dabeisein<br />

ist wichtiger als das Ausgestalten des häuslichen<br />

Bereichs, die Wohnkosten wollen tief gehalten<br />

werden. Erst mit <strong>der</strong> beruflichen Festigung gewinnt<br />

die Wohnsituation mehr Bedeutung. Sie muss nun<br />

funktionale wie repräsentative Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

erfüllen, primär die Zugehörigkeit zur „richtigen“<br />

Lebensstilgruppe manifestieren <strong>und</strong> sich zunehmend<br />

auch als Basis für flexibilisierte Arbeitsverhältnisse<br />

eignen. Es folgt häufig ein Umzug an eine<br />

zentrale, städtische Lage, denn die Nähe zu Arbeitsort<br />

<strong>und</strong> Auftraggebern, die Erreichbarkeit des kulturellen<br />

Angebots <strong>und</strong> die gute Verkehrsanbindung<br />

zählen, ist doch „Living apart together“ – ein Drittel<br />

aller „Singles“ lebt in fester Partnerschaft – aus laufbahnstrategischen<br />

<strong>und</strong> ökonomischen Gründen ein<br />

oft praktiziertes Muster des Zusammenlebens bis<br />

zum Moment <strong>der</strong> Familiengründung.<br />

Die Familienphase: Die „Hausfrau <strong>und</strong> Mutter“<br />

verabschiedet sich<br />

Fast immer folgt dem Eintritt in die Familienphase<br />

ein Umzug in eine größere Wohnung. Kleinräum -<br />

liche Standortqualitäten rücken in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>:<br />

ein kin<strong>der</strong>gerechtes Wohnumfeld, familienergänzende<br />

Kin<strong>der</strong>betreuungsangebote, Einkaufs- <strong>und</strong><br />

Naherholungsmöglichkeiten.<br />

Die Mehrzahl junger Frauen ist heute gut<br />

qualifiziert <strong>und</strong> nicht mehr bereit, sich<br />

zwischen Berufstätigkeit <strong>und</strong> Mutterschaft<br />

zu entscheiden.<br />

Für sie <strong>und</strong> eine Min<strong>der</strong>heit junger Männer steht<br />

zu Beginn <strong>der</strong> Familienphase auch eine Weichenstellung<br />

im Erwerbsleben an: Wer Berufs- <strong>und</strong><br />

Familienarbeit verbinden will, reduziert die Arbeitszeit,<br />

wechselt die Arbeitsstelle o<strong>der</strong> verkürzt die<br />

Distanz zwischen Wohn- <strong>und</strong> Arbeitsort. Attraktive<br />

Miet- <strong>und</strong> Eigentumswohnungen in städtischen<br />

Lagen werden dem Eigenheim im Grünen oft vorgezogen.<br />

Die Überwindung <strong>der</strong> räumlich getrennten<br />

Wohn- <strong>und</strong> Arbeitsbereiche gelingt trotz neuer<br />

Technologien <strong>und</strong> flexibilisierter Arbeitsverträge<br />

nur ansatzweise. Der Doppelspagat lässt sich nur<br />

dank sozialer Wohnumfeldqualitäten bewältigen<br />

wie institutionalisierte Betreuungsangebote,<br />

gegenseitige Unterstützung durch Fre<strong>und</strong>/innen,<br />

Nachbarn <strong>und</strong> – nach wie vor – Familienangehörige.<br />

Gemeinschaftsorientierte, familienfre<strong>und</strong>liche<br />

Siedlungen kommen den Bedürfnissen junger<br />

Familien am besten entgegen, liegt doch in dieser<br />

Phase <strong>der</strong> Lebensmittelpunkt klar im Wohn-<br />

bereich. Wer später mit schulpflichtigen Kin<strong>der</strong>n<br />

den Traum vom Einfamilienhaus im Grünen realisieren<br />

kann, wohnt wohl selbstbestimmter <strong>und</strong><br />

großzügiger, vermisst aber oft gerade die aufgegebenen<br />

kleinräumlichen <strong>und</strong> sozialen Standort-<br />

qualitäten.<br />

Häufiger als früher entscheiden sich des Herum-<br />

chauffierens ihrer Teenager müde gewordene<br />

Eltern für einen Umzug in eine zentraler gelegene,<br />

pflegeleichtere Wohnung <strong>und</strong> rücken wie<strong>der</strong><br />

näher an ein differenziertes Bildungs-, Arbeitsplatz-<br />

<strong>und</strong> Kulturangebot.<br />

Die Nachfamilienphase o<strong>der</strong>: Das Nest ist selten leer<br />

Nach dem Wegzug <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> leben Paare gemäß<br />

Statistik in vergleichsweise großzügigen Platzverhältnissen;<br />

<strong>der</strong> gelebte Alltag hingegen weist auf<br />

komplexere Realitäten: Wohl lässt sich <strong>der</strong> Beginn<br />

<strong>der</strong> Familienphase präzise terminieren, seltener<br />

aber <strong>der</strong>en Abschluss. Erwachsene Kin<strong>der</strong> behalten<br />

ihr Zimmer oft weit über den Zeitpunkt ihres ersten<br />

Auszugs, sei es für Wochenendbesuche, die zahlrei-<br />

chen Übergangsphasen o<strong>der</strong> auch nur, um es als Ort<br />

<strong>der</strong> Kindheitserinnerungen aufrechtzuerhalten.<br />

Das gewachsene Autonomiebedürfnis <strong>der</strong><br />

Eltern zeigt sich oft in getrennten Schlaf- <strong>und</strong> eigenen<br />

Arbeitsräumen, einem Luxus, den man sich<br />

endlich leisten kann <strong>und</strong> will. Lebens- o<strong>der</strong> zumindest<br />

Wohnstilmetamorphosen sind nicht nur als<br />

Folge familienbiografischer Brüche – die Scheidungsrate<br />

steigt nochmals – zu beobachten, son<strong>der</strong>n<br />

auch als auseinan<strong>der</strong>driftende Perspektiven <strong>der</strong><br />

Lebenspartner: Die den Erziehungspflichten enthobene<br />

Ehefrau entwirft ihre nächste Lebensphase,<br />

orientiert sich beruflich neu, drückt ihr neues<br />

Selbstver ständnis auch mittels Neugestaltung des<br />

Wohnbereichs aus, während <strong>der</strong> meist etwas ältere<br />

Lebenspartner sich <strong>der</strong> letzten Phase seines Berufslebens<br />

nähert <strong>und</strong> zumindest im Wohnbereich<br />

am liebsten auf Gewohntem verharrt.<br />

Die vierte Lebensphase o<strong>der</strong>: Wie ich wohne,<br />

bestimm ich selber<br />

Steht die Pensionierung an, steigt die Umzugsbereitschaft<br />

erneut. Zentral gelegene, altersgerechte<br />

Wohnungen sind gefragt. Räumliche Nähe zu<br />

Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Enkeln ist erwünscht, die eigene<br />

Privatsphäre bleibt aber wichtig. Bereits erprobt<br />

die Acht<strong>und</strong>sechzigergeneration Modelle des<br />

autonomen <strong>und</strong> individuellen Wohnens in altershomogener<br />

o<strong>der</strong> -heterogener Umgebung, hält Ausschau<br />

nach Häusern, Projekten <strong>und</strong> Bauträgern. 4<br />

So viel sei vorweggenommen:<br />

Die Wohnweisen <strong>der</strong> „jungen Alten“ werden sich Altersdurchmischte<br />

weiterhin durch wachsende Vielfalt auszeichnen – Wohnsiedlungen<br />

individuell <strong>und</strong> in selbst gewählter, sich gegen-<br />

<strong>und</strong> Quartiere mit<br />

Serviceleistungen<br />

seitig unterstützen<strong>der</strong> Nachbarschaft.<br />

sind heute ebenso<br />

gefragt wie Alters- <strong>und</strong> Pflegeeinrichtungen, welche<br />

die individuellen Präferenzen <strong>und</strong> Fähigkeiten ihrer<br />

PensionärInnen respektieren.<br />

Innovative Ansätze o<strong>der</strong> Trends?<br />

Innovative Ansätze weisen zunächst auf Disfunk- Ob <strong>und</strong> unter weltionalitäten<br />

im Wohnungsmarkt <strong>und</strong> <strong>der</strong> konvenchen Bedingungen<br />

tionellen Wohnungsproduktion; sie verdienen<br />

sie sich zum „Trend“<br />

entwickeln, lässt<br />

Beachtung in ihrer Funktion als Frühindikatoren.<br />

sich erst rückblickend<br />

beurteilen. Erneut stellt sich heute die Frage:<br />

„Weiter bauen <strong>und</strong> wohnen wie gewohnt?“ Beäng stigende<br />

Staatsdefizite <strong>der</strong> öffentlichen Haushalte<br />

lassen erahnen, dass die mittels staatlicher Umverteilung<br />

finanzierte Wohnbauför<strong>der</strong>ung bald ein<br />

Ende nehmen könnte. Drohende Immobilienblasen,<br />

privatwirtschaftliche Überproduktion, Banken<strong>und</strong><br />

Wirtschaftskrise verunsichern manchen<br />

Wohnbauträger, während Wohnungssuchende sich<br />

ernsthafter als auch schon früher fragen, wie viel<br />

kann, will, muss ich kurz <strong>und</strong> mittelfristig für das<br />

Wohnen bezahlen?<br />

10 | 11 285<br />

Weiter wohnen wie gewohnt? Weiter wohnen wie gewohnt?<br />

Die alleinige Verantwortung <strong>der</strong> gemeinnützigen<br />

Bauträger für eine angemessene Wohnraumversorgung<br />

aller Bevölkerungsschichten, die marginalisierten<br />

eingeschlossen, ist zu hinterfragen. Hierin<br />

lassen sich nebst Energie- <strong>und</strong> Kosteneffizienz die<br />

sozialen Aspekte einer nachhaltigen Wohnwirtschaft<br />

am deutlichsten messen. Soll sie mehr des<br />

Gewohnten auf immer mehr Fläche pro Wohnung<br />

o<strong>der</strong> mehr Diversität in <strong>der</strong> Struktur des Wohnungsangebots<br />

produzieren? Hat sie Antworten auf die<br />

soziodemografische Entwicklung, das unübersehbare<br />

Phänomen des freiwilligen o<strong>der</strong> erzwungenen<br />

multilokalen o<strong>der</strong> temporären Wohnens, 5 <strong>der</strong> verbreiteten<br />

innerhäuslichen Erwerbsarbeit, des Wunsches<br />

nach autonomem Wohnen in Gemeinschaft<br />

in allen Lebensphasen o<strong>der</strong> Serviceleistungen<br />

à la carte?<br />

Noch sind es, zumindest in <strong>der</strong> Schweiz mit<br />

ihrer tiefen Wohneigentumsquote von 35 %, vor<br />

allem die Wohnbaugenossenschaften, welche Neues<br />

wagen, nicht selten inspiriert durch Bottom-up-<br />

Initiativgruppen auf <strong>der</strong> Suche nach Bauträgern<br />

für ihre Anliegen. Seit Kurzem zeigen sich erfreulicherweise<br />

auch einzelne Privatinvestoren <strong>und</strong><br />

Anlagestiftungen offener für neue Lösungsansätze;<br />

ein Zeichen wachsen<strong>der</strong> Sensibilität, vielleicht<br />

auch wirtschaftlicher Verunsicherung.<br />

Wer sich auf Wohnexkursion begibt, wird<br />

Anschauungsunterricht <strong>und</strong> Erfahrungen sammeln<br />

können. Bereits erwähnt sind differenzierte Wohnformen<br />

für die zweite Lebenshälfte, generationenübergreifendes<br />

Wohnen eingeschlossen. Neue<br />

Lösungen lassen sich oft dem Titel „Less is more“<br />

zuordnen. Autofreie <strong>und</strong> autoarme Siedlungen<br />

werden im Kampf gegen behördliche Vorschriften<br />

erkämpft. Zwangskomfort bezüglich üblicher<br />

Wohnflächen <strong>und</strong> -ausstattungen wird hinterfragt:<br />

Braucht wirklich jede Dreizimmerwohnung 95 m 2<br />

Nettowohnfläche <strong>und</strong> zwei voll ausgestattete Nasszellen?<br />

Genügen den Kleinsthaushalten auch flächen-<br />

<strong>und</strong> kostensparende Clustergr<strong>und</strong>risse mit<br />

Individualräumen samt Kochnische <strong>und</strong> Nasszelle<br />

bei großzügigen Gemeinschaftsflächen? 6 Kommt<br />

das Einküchenhaus in Neuauflage zurück?<br />

Auch Planungsprozesse mit verän<strong>der</strong>tem Fokus<br />

lassen sich beobachten, weg von lebensphasenspezifischen<br />

Ansätzen wie Siedlungen für junge<br />

Familien <strong>und</strong> hin zu Mehrgenerationensiedlungen,<br />

weg von <strong>der</strong> intimen, exkludierenden zur quartierökonomischen,<br />

inkludierenden Betrachtungs-<br />

ebene: eine hoffnungsvolle Entwicklung, die es zu<br />

verfolgen gilt. Das gewohnte Angebot wird <strong>der</strong><br />

verän<strong>der</strong>ten Nachfrage mit überraschenden Lösungen<br />

Platz machen, gerade auch im Umgang mit dem<br />

Erbe des Baubooms. Man darf gespannt bleiben. �


Wohnen in Österreich – Zwischen Hauseigentum <strong>und</strong> Miete |<br />

Aktuelle Wohnungsmarktstrukturen <strong>und</strong> künftige Entwicklungen<br />

Viele Jahre hindurch geisterte das Gespenst <strong>der</strong><br />

Wohnungsknappheit durch die Medien. Konnte<br />

dieses durch wohnpolitische Maßnahmen erfolg-<br />

reich gebannt werden? Faktum ist, Österreich zählt<br />

im europäischen Vergleich nach wie vor zu den<br />

durch einen hohen Level wohnungspolitischer<br />

Aktivitäten charakterisierten Staaten. Gute Wohnbedingungen<br />

<strong>und</strong> hohe Wohnzufriedenheit sind<br />

beson<strong>der</strong>e Pluspunkte. Wichtige Trends <strong>der</strong> vergangenen<br />

Dekaden manifestierten sich in einer<br />

Verbesserung <strong>der</strong> Wohnungsausstattung sowie <strong>der</strong><br />

Vergrößerung <strong>der</strong> Wohnnutzflächen.<br />

B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>spezifisch kristallisieren sich aber<br />

deutliche Disparitäten hinsichtlich <strong>der</strong> Struktur<br />

<strong>und</strong> Ausstattung des Wohnungsbestandes heraus.<br />

2010 wurde bereits ein Drittel <strong>der</strong> Wohnungen von<br />

nur einer Person benützt. Wichtige demografische<br />

Trends wie steigende Zuwan<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> die Singularisierung<br />

sind in erster Linie auf städtische<br />

Ballungszentren, allen voran Wien, beschränkt.<br />

Die Mietenpolitik sowie bestehende För<strong>der</strong>modelle<br />

haben sich auf diese Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Bevölkerungs-<br />

<strong>und</strong> Wohnungsnachfragestruktur einzustellen.<br />

Josef Kohlbacher,<br />

geboren 1958 in Lilienfeld,<br />

Studium <strong>der</strong> Soziologie,<br />

Kulturanthropologie<br />

<strong>und</strong> Geschichte an <strong>der</strong> Uni-<br />

versität Wien, seit 1988<br />

Mitarbeiter <strong>und</strong> ab 2006<br />

stv. Direktor des Instituts<br />

für Stadt- <strong>und</strong> Regional-<br />

forschung <strong>der</strong> Österreichischen<br />

Akademie <strong>der</strong><br />

Wissenschaften; inhalt-<br />

liche Schwerpunkte:<br />

Wohnintegration von<br />

Migranten, interethnische<br />

Kontakte auf <strong>der</strong> lokalen<br />

Ebene, städtische Integra-<br />

tionspolitik.<br />

Ursula Reeger, geboren<br />

1965 in Wien, Studium <strong>der</strong><br />

Geografie (Studienzweig<br />

Raumforschung <strong>und</strong><br />

Raumordnung) an <strong>der</strong><br />

Universität Wien, seit 1989<br />

wissenschaftliche Mit-<br />

arbeiterin am Institut für<br />

Stadt- <strong>und</strong> Regionalforschung<br />

<strong>der</strong> Österreichischen<br />

Akademie <strong>der</strong><br />

Wissenschaften; For -<br />

schungsinteressen:<br />

Migration <strong>und</strong> Integration<br />

(vor allem auf dem<br />

Wohnungsmarkt), interethnischesZusammenleben,<br />

Stadtentwicklung.<br />

Zudem erhebt sich die Frage, welche Gruppen auf<br />

dem Wohnungsmarkt nach wie vor benachteiligt<br />

sind <strong>und</strong> mit welchen Trends zu rechnen sein dürfte.<br />

Österreicher sind vor allem Hauseigentümer<br />

o<strong>der</strong> Mieter<br />

Die Zahl <strong>der</strong> Hauptwohnsitzwohnungen betrug in<br />

Österreich im Jahresdurchschnitt 2010 3.624.300;<br />

ein Vergleich zeigt, dass die Zahl <strong>der</strong> Wohnungen in<br />

den zweieinhalb Dekaden seit 1985 erheblich stärker<br />

(+23,5 %) gewachsen ist als die Bevölkerung (+9,8 %).<br />

Dieser Wert, dem auch die Zahl <strong>der</strong> Privathaushalte<br />

entspricht, war somit um 26.000 höher als 2009. Herr<br />

o<strong>der</strong> Frau Österreicher sind entwe<strong>der</strong> Haus eigentümer<br />

o<strong>der</strong> leben zur Miete. Beide Rechtsformen<br />

halten einan<strong>der</strong> mit fast 40 % die Waage. Hierbei<br />

kristallisiert sich aber ein deutliches Stadt-Land-<br />

Gefälle heraus. Während in Kleingemeinden des<br />

ländlichen Raums, aber auch in den Speckgürteln<br />

<strong>der</strong> suburbanen Zonen <strong>der</strong> Einfamilienhausbesitz<br />

bei Weitem dominiert, sind Hauptmieten vor allem<br />

eine Rechtsform des Wohnungsmarktes in größeren<br />

Agglomerationen, allen voran in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eshauptstadt.<br />

In Relation dazu schwächer ausgeprägt<br />

war seit 1985 die Zunahme beim Wohnungseigentum.<br />

Ein Blick auf das Alter des Wohnungsbestands<br />

lässt eine recht gleichmäßige Verteilung erkennen.<br />

Durch Abrisse stark reduziert (–11,7 %) hat sich lediglich<br />

das vor 1919 errichtete Bausegment, welches<br />

sich aber in erster Linie auf Wien konzentriert.<br />

Den hohen Scheidungsraten zum Trotz lebt das Gros<br />

<strong>der</strong> österreichischen Bevölkerung (62,6 % <strong>der</strong> Haushalte)<br />

nach wie vor in Familienhaushalten, wobei in<br />

diese Kategorie statistisch auch kin<strong>der</strong>lose Ehepaare<br />

sowie AlleinerzieherInnen inkludiert werden. Der<br />

Familienhaushalt dominiert nach wie vor im ländlichen<br />

<strong>und</strong> kleinstädtischen Kontext.<br />

Das in erster Linie urbane Phänomen <strong>der</strong> So konnte die<br />

Singularisierung hat allerdings auch vor Öster- Kategorie <strong>der</strong><br />

Einpersonenhausreich<br />

nicht haltgemacht <strong>und</strong> spiegelt sich in<br />

halte innerhalb<br />

einer Reduktion <strong>der</strong> Haushaltsgrößen wi<strong>der</strong>.<br />

von nur fünf Jahren<br />

(2005–2010) einen beachtlichen Zuwachs von 8,1 %<br />

verzeichnen! Mehr als 1,3 Mio. Österreicher leben<br />

alleine, darunter deutlich mehr Frauen als Männer.<br />

Die Zunahme bei den Familienhaushalten, in erster<br />

Linie Kleinfamilien, bleibt demgegenüber mit<br />

nicht einmal 2 % bescheiden. Die Mehrgenerationengroßfamilie<br />

gehört auch in den peripher-ländlichen<br />

Räumen bereits nahezu <strong>der</strong> Vergangenheit an.<br />

Deutliche Verbesserung des Wohnstandards <strong>und</strong><br />

Disparitäten zwischen den B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n<br />

Die Positionierung von Haushalten auf dem Wohnungsmarkt<br />

wird in erster Linie durch die verfügbaren<br />

finanziellen Ressourcen determiniert.<br />

Schlüsselfaktoren <strong>der</strong> Wohnintegration, auch im<br />

internationalen Vergleich, sind daher die Leistbarkeit,<br />

die Größe <strong>und</strong> die Qualität von Wohnungen.<br />

Die Leistbarkeit spiegelt sich im Anteil <strong>der</strong> Wohnaufwendungen<br />

am Haushaltseinkommen wi<strong>der</strong>,<br />

die pro Person zur Verfügung stehende Wohnnutz-<br />

fläche repräsentiert ein objektiv vergleichbares<br />

Belagskriterium. Die durchschnittliche Personenzahl<br />

pro bewohnte Wohnung lag 2010 bei 2,29, wobei<br />

die Belegungsdichte in den Familienhaushalten<br />

mit 3,03 signifikant höher war. Die Wohnfläche ist<br />

in den vergangenen Dekaden kontinuierlich angestiegen.<br />

So lag die durchschnittliche Nutzfläche<br />

pro Wohnung, die 2000 noch 90,6 m² betrug, 2010<br />

bereits bei 99,1 m². Damit stehen nun jedem Österreicher<br />

im Durchschnitt 43,3 m² zur Verfügung.<br />

Krass tritt <strong>der</strong> Unterschied zwischen Familien-<br />

<strong>und</strong> Singlehaushalten zutage. Letztere können<br />

mit fast 75 m² r<strong>und</strong> doppelt so viel Wohnraum<br />

nutzen wie in Familienhaushalten lebende<br />

Personen, wobei bei Letzteren kin<strong>der</strong>lose Ehe -<br />

paare, aber auch alleinerziehende Väter deutlich<br />

besser gestellt sind als alleinerziehende Frauen<br />

<strong>und</strong> vor allem Paare mit Kin<strong>der</strong>n.<br />

Es besteht ein deutliches Land-Stadt-Gefälle in<br />

Bezug auf Wohnflächen <strong>und</strong> Wohnqualität. Überbelag<br />

ist in erster Linie ein urbanes Phänomen,<br />

ebenso standardmäßig defizitäre Wohnungsausstattung.<br />

Laut Mikrozensus fehlte 2007 nur in 1,9 %<br />

<strong>der</strong> österreichischen Hauptsitzwohnungen ein<br />

Innen-WC, in Wien war <strong>der</strong> Anteil mit 5,6 % deutlich<br />

höher (Statistik <strong>Austria</strong> 2008). Zugleich hat sich<br />

auch <strong>der</strong> Wohnstandard wesentlich verbessert.<br />

So hat die beste Ausstattungskategorie A (mit Badezimmer<br />

o<strong>der</strong> Duschnische, WC <strong>und</strong> Zentralheizung)<br />

seit 1985 um nahezu 40 % zugenommen, bei entsprechen<strong>der</strong><br />

Reduktion <strong>der</strong> Kategorien B bis D.<br />

2010 wiesen 91,4 % <strong>der</strong> Wohnungen im B<strong>und</strong>esgebiet<br />

bereits einen optimalen Standard auf – gegenüber<br />

noch 84,9 % im Jahr 2000. Stark zugenommen<br />

hat auch die Beheizung mittels Zentralheizung<br />

o<strong>der</strong> Fernwärme, gestiegen ist allerdings auch <strong>der</strong><br />

durchschnittliche Wohnungsaufwand, was zu einer<br />

Verstärkung <strong>der</strong> sozioökonomischen Polarisierung<br />

beigetragen hat.<br />

Der Vergleich zwischen den B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n<br />

belegt auch hinsichtlich des Wohnens ausgeprägte<br />

strukturelle Unterschiede. So weist die B<strong>und</strong>eshauptstadt<br />

Wien traditionell einen vom Mietwohnungssektor<br />

geprägten Wohnungsmarkt auf. Mehr<br />

als 75 % <strong>der</strong> Wiener bewohnen Hauptmietwohnungen,<br />

etwas mehr als 13 % weisen den Status von<br />

Wohnungseigentümern auf <strong>und</strong> bloß eine kleine<br />

Min<strong>der</strong>heit von 7,9 % gehört <strong>der</strong> privilegierten Kategorie<br />

<strong>der</strong> Hauseigentümer an.<br />

In Nie<strong>der</strong>österreich liegt <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Hauseigentümer<br />

bei zwei Dritteln. Von Wien einmal abgesehen,<br />

sind es Salzburg <strong>und</strong> Tirol, wo die Anteile des<br />

Hauseigentums vergleichsweise geringer ausfallen.<br />

Naturgemäß unterscheidet sich Wien auch hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Bebauungsstruktur gravierend vom Rest<br />

des B<strong>und</strong>esgebiets. Während im Gesamtdurchschnitt<br />

bloß 13,1 % <strong>der</strong> Österreicher in Gebäuden mit<br />

20 <strong>und</strong> mehr Wohnungen leben, sind es in Wien<br />

45,8 % <strong>und</strong> im Burgenland sogar nur 1,2 %.<br />

12 | 13 285<br />

Wohnen in Österreich – Zwischen Hauseigentum <strong>und</strong> Miete Wohnen in Österreich – Zwischen Hauseigentum <strong>und</strong> Miete


Haushalte mit Migrationshintergr<strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s<br />

benachteiligt<br />

Die mit Abstand meisten Hauseigentümer (79,3 %) Die Entwicklungen<br />

leben jedoch nicht in den wohlhaben<strong>der</strong>en west- auf dem Arbeits-<br />

lichen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n im Burgenland.<br />

markt haben nachhaltigeAuswirkungen<br />

auf den Zugang zum Wohnungsmarkt.<br />

In den letzten Jahren nahmen auch im Sozialstaat<br />

ökonomische Marginalisierung <strong>und</strong> soziale Polarisierung<br />

zu. Armutsgefährdung <strong>und</strong> die damit einhergehenden<br />

Konsequenzen für das Wohnen wie<br />

überproportionale Wohnkostenbelastung, Überbe-<br />

lag <strong>und</strong> unterdurchschnittliche<br />

Wohnqualität<br />

betreffen vor allem<br />

Haushalte von<br />

Zuwan<strong>der</strong>ern, aber auch Arbeitslose <strong>und</strong> Alleinerziehende<br />

(in erster Linie Mütter) sowie alleinlebende<br />

Frauen. Die Wohnkostenbelastung betrifft vor allem<br />

armutsgefährdete Haushalte überproportional.<br />

Laut eu-silc 2007 wenden 38 % <strong>der</strong> Haushalte in<br />

Gemeindewohnungen mehr als ein Viertel des<br />

Einkommens für Wohnkosten auf. Haushalte mit<br />

Migrationshintergr<strong>und</strong> leben – den Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

auf dem Arbeitsmarkt gemäß – vor<br />

allem in Städten <strong>und</strong> damit auch seltener in Ein-<br />

o<strong>der</strong> Zweifamilienhäusern, son<strong>der</strong>n vor allem im<br />

Geschoßwohnbau.<br />

Markant ist die Benachteiligung von Personen<br />

mit Migrationshintergr<strong>und</strong> auf dem Wohnungsmarkt,<br />

wobei sich aber deutliche Unterschiede<br />

zwischen eu-Bürgern <strong>und</strong> Drittstaatsangehörigen<br />

manifestieren.<br />

Soziale <strong>und</strong> ökonomische Ungleichheiten<br />

spiegeln sich auch <strong>und</strong> gerade in <strong>der</strong> Wohnversorgung<br />

wi<strong>der</strong>.<br />

Literatur <strong>und</strong> Quellen:<br />

Karl Czasny et al. (2008),<br />

Wohnzufriedenheit<br />

<strong>und</strong> Wohnbedingungen<br />

in Österreich im europäischen<br />

Vergleich, srz,<br />

Wien.<br />

Datler, G. & M. Mahidi<br />

(2009), Armutsgefährdung<br />

<strong>und</strong> Wohnsituation,<br />

Statistische Nachrichten<br />

6, S. 458–473.<br />

Donner, Ch. (o. J.), Zur<br />

Neudefinition <strong>der</strong><br />

österreichischen Wohnungspolitik.<br />

Ist die<br />

Wohnbauför<strong>der</strong>ung so-<br />

zial treffsicher <strong>und</strong><br />

ökonomisch effizient?<br />

(http://www.donner.at/<br />

christian/texte/neudef.<br />

html).<br />

Raiffeisen (Hg.)<br />

(2011), Die Wohntrends<br />

<strong>der</strong> Zukunft.<br />

Statistik <strong>Austria</strong> (Hg.)<br />

(2008), Wohnen. Ergebnisse<br />

<strong>der</strong> Wohnungserhebung<br />

im Mikrozensus.<br />

Jahresdurchschnitt<br />

2007, Wien.<br />

Statistik <strong>Austria</strong> (Hg.)<br />

(2011), Wohnen. Ergebnisse<br />

<strong>der</strong> Wohnungserhebung<br />

im Mikrozensus.<br />

Jahresdurchschnitt<br />

2010.<br />

Unabhängig vom Einkommen gilt, dass österreichische<br />

Staatsbürger im Durchschnitt doppelt so<br />

viel Wohnfläche (36 m²) zur Verfügung haben wie<br />

Personen ohne eu-Staatsbürgerschaft (19 m²).<br />

In Haushalten mit Kin<strong>der</strong>n tritt Überbelag überhaupt<br />

häufiger auf, beson<strong>der</strong>s bei geringem Haushaltseinkommen.<br />

Die Diskriminierung hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Wohnfläche betrifft in erster Linie die türkische<br />

(21 m²) sowie die ex-jugoslawische (26 m²) Wohnbevölkerung.<br />

eu-Bürgerinnen verfügen mit 47 m²<br />

sogar über überdurchschnittlich viel Wohnraum.<br />

Generell hat sich die Wohnversorgung im Vergleich<br />

zwischen erster <strong>und</strong> zweiter Zuwan<strong>der</strong>ergeneration<br />

zwar deutlich verbessert, bei Migranten aus <strong>der</strong><br />

Türkei allerdings am wenigsten.<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Zukunft: Immigration<br />

<strong>und</strong> demografische Alterung<br />

Wie positioniert sich Österreich im eu-Vergleich<br />

<strong>und</strong> welche wohnungspolitischen Trends sind für<br />

die Zukunft zu prognostizieren? Österreich zählt<br />

zu den durch effiziente wohnungspolitische Aktivitäten<br />

charakterisierten Wohlfahrtsstaaten. Wie<br />

die Analyse <strong>der</strong> Daten aus dem Eurobarometer, dem<br />

European Quality of Life Survey (eqls) <strong>und</strong> dem<br />

European Social Survey (ess) belegen, stellen gute<br />

Wohnbedingungen <strong>und</strong> hohe Wohnzufriedenheit<br />

einen <strong>der</strong> wichtigen Pluspunkte Österreichs im<br />

internationalen Vergleich dar. Die Alpenrepublik<br />

befindet sich hinsichtlich <strong>der</strong> allgemeinen Lebenszufriedenheit<br />

sogar im europäischen Spitzenfeld.<br />

Bei anhaltend steigen<strong>der</strong> Lebenserwartung <strong>und</strong><br />

einem Mehr an Zuwan<strong>der</strong>ung könnte die Einwohnerzahl<br />

<strong>der</strong> Meinung von H. Faßmann (Raiffeisen 2011)<br />

gemäß bis 2030 auf 9 Millionen steigen. Damit wird<br />

auch die Zahl <strong>der</strong> Haushalte wachsen.<br />

Hinzu kommt <strong>der</strong> anhaltende Trend zur Singularisierung,<br />

<strong>der</strong> sich infolge <strong>der</strong> demografischen<br />

Alterung noch verstärken wird.<br />

Doch nicht nur quantitative, son<strong>der</strong>n auch qualitative<br />

Faktoren werden zu einer Steigerung <strong>der</strong> Wohnungsnachfrage<br />

beitragen. Die Wohnansprüche <strong>der</strong><br />

Österreicher sowie auch jene <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>er sind<br />

in den vergangenen Dekaden kontinuierlich gestiegen,<br />

dies betrifft sowohl die Wohnflächen als auch<br />

die standardmäßige Ausstattung. Es ist davon auszugehen,<br />

dass sich das Wohnanspruchsniveau auch<br />

in Zukunft nicht verringern wird. In den aktuellen<br />

Zeiten <strong>der</strong> Krise steigt die Nachfrage auf dem Immobiliensektor<br />

zusätzlich durch das Bedürfnis vieler<br />

Anleger, ihr monetäres Vermögen in relativ sichere<br />

Vermögenswerte zu investieren. Aus geografischer<br />

Perspektive werden sich diese Trends aber vor allem<br />

in den urbanen Agglomerationen <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Suburbia<br />

vollziehen. Diese sind die Gewinner <strong>der</strong> Internationalisierung<br />

<strong>und</strong> des Strukturwandels. Der<br />

ländliche Raum wird Wohnbevölkerung eher verlieren,<br />

leer stehen<strong>der</strong> Wohnbestand wird bestenfalls<br />

an städtische Zweitwohnsitzer abgestoßen werden<br />

können. Die Alterung wird die Umsetzung innovativer<br />

Wohnmodelle wie betreutes <strong>und</strong> altersgerechtes<br />

Wohnen erfor<strong>der</strong>n. Die anhaltende Zuwan<strong>der</strong>ung<br />

lässt auch den Bedarf an integrativen Wohnformen<br />

steigen.<br />

Die Autoren plädieren für die Fortführung einer<br />

aktiven <strong>und</strong> sozial orientierten Wohnungspolitik.<br />

Zudem erscheint es wichtig, das Volumen <strong>der</strong> Wohnbauför<strong>der</strong>ung<br />

an den infolge einer kontinuierlich<br />

hohen Migration (vor allem in den städtischen<br />

Agglomerationen <strong>der</strong> Ostregion) steigenden Wohnungsbedarf<br />

anzupassen. In <strong>der</strong> Mietenpolitik ist<br />

ein verbesserter rechtlicher Schutz gegen Wohnkostenanstiege<br />

<strong>und</strong> gegen die aufgr<strong>und</strong> verstärkten<br />

Nachfragedrucks steigenden Preise angebracht.<br />

Wohn- <strong>und</strong> Sozialpolitik sind aufgefor<strong>der</strong>t, weitere<br />

Anstrengungen zur Erhaltung des hohen Standards<br />

des heimischen Wohlfahrtssystems unter den sich<br />

verän<strong>der</strong>nden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen<br />

zu unternehmen. �<br />

Personen in Privatwohnungen nach dem Rechtsverhältnis <strong>und</strong><br />

B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n, 2010 (Quelle: Statistik <strong>Austria</strong>, Mikrozensus)<br />

Durchschnittliche Nutzfläche in m 2 pro Person nach Haushalts- <strong>und</strong><br />

Familientypen, 2010 (Quelle: Statistik <strong>Austria</strong>, Mikrozensus)<br />

0 10 20 30 40 50 60 70<br />

14 | 15 285<br />

Wohnen in Österreich – Zwischen Hauseigentum <strong>und</strong> Miete Wohnen in Österreich – Zwischen Hauseigentum <strong>und</strong> Miete<br />

Österreich<br />

Burgenland<br />

Nie<strong>der</strong>österreich<br />

Kärnten<br />

Steiermark<br />

Vorarlberg<br />

Oberösterreich<br />

Tirol<br />

Salzburg<br />

Wien<br />

0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />

Hauseigentümer<br />

Wohnungseigentümer<br />

Hauptmieter<br />

Sonstige<br />

Familienhaushalte<br />

Einfamilienhaushalte<br />

Ehepaar ohne Kind<br />

Ehepaar mit Kind(ern)<br />

Vater mit Kind(ern)<br />

Mutter mit Kind(ern)<br />

Zwei- o<strong>der</strong> Mehrfamilienhaushalte<br />

Nichtfamilienhaushalte<br />

Einpersonenhaushalte<br />

darunter: Männer<br />

darunter: Frauen<br />

Mehrpersonenhaushalte<br />

insgesamt


Andreas Rumpfhuber ist<br />

Architekt <strong>und</strong> Forscher<br />

mit Arbeitsschwerpunkt<br />

(innen)räumlicher Orga-<br />

nisation, neue Arbeitsverhältnisse<br />

<strong>und</strong> Architektur<br />

als emanzipatorische <strong>und</strong><br />

politische Praxis. Zurzeit<br />

ist er Projektleiter des<br />

Wiener Teilprojektes des<br />

hera/esf-Projektes scibe<br />

<strong>und</strong> leitet das fwf-Einzelprojekt<br />

„Architektur <strong>der</strong><br />

Organisationskybernetik“<br />

<strong>und</strong> veranstaltet seit 2010<br />

den Theoriesalon in Wien.<br />

www.expandeddesign.org<br />

Sozialer <strong>und</strong> öffentlich geför<strong>der</strong>ter Wohnbau<br />

in Zeiten des Finanzkapitalismus 1 |<br />

Über die Ökonomisierung aller Lebensbereiche<br />

Öffentlicher <strong>und</strong> sozialer Wohnbau waren einst<br />

allgemein legitimierte Mittel <strong>der</strong> westeuropäischen<br />

Politik, um in die wirtschaftlichen, sozialen <strong>und</strong><br />

kulturellen Prozesse <strong>der</strong> Gesellschaft einzugreifen.<br />

Vor<strong>der</strong>gründiges Ziel war, eine möglichst gleiche<br />

Verteilung des sich immer weiter ausdehnenden<br />

Wohlstandes für möglichst alle zu gewährleisten<br />

<strong>und</strong> damit auch pädagogisch <strong>und</strong> kulturell auf die<br />

zu erziehende <strong>und</strong> zu regierende Bevölkerung einzuwirken.<br />

Mit an<strong>der</strong>en Worten war <strong>der</strong> Plan die<br />

Implementierung einer toleranten, möglichst konfliktfreien,<br />

sozial-liberalen Wohlfahrtsgesellschaft,<br />

<strong>der</strong>en Ökonomie auf <strong>der</strong> Vorstellung von zyklischem<br />

Wachstum <strong>und</strong> konstantem Überfluss fußte <strong>und</strong><br />

durch staatliche Marktregulierungen <strong>und</strong> dem<br />

Ausbau sozialer Sicherheitssysteme gesteuert wurde.<br />

Eine <strong>der</strong> Architektur zugesprochene Rolle war es, Mit <strong>der</strong> aktuellen<br />

rationale Entwurfsmethoden, standardisierte Finanzkrise <strong>und</strong><br />

Design- <strong>und</strong> Raumlösungen zu schaffen, die direkt<br />

<strong>der</strong> damit einhergehenden<br />

allseits<br />

auf die allgemeine Zufriedenheit <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

gutgläubig goutier-<br />

einwirkten <strong>und</strong> ihr friedfertiges Zusammenleben ten o<strong>der</strong> zumin-<br />

sicherstellen sollten.<br />

dest für notwendig<br />

bef<strong>und</strong>enen Sparpolitik<br />

wird eine dem sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat<br />

gegenläufige Entwicklung des Finanzkapitalismus<br />

seit den 1970er-Jahren überdeutlich.<br />

Allgemein kann man diese postdemokratische<br />

Ideologie 2 mit <strong>der</strong> radikalen Ökonomisierung<br />

aller Lebensbereiche unseres Lebens beschreiben.<br />

Sie stellt die Raumproduktion <strong>und</strong> insbeson<strong>der</strong>e den<br />

sozialen <strong>und</strong> öffentlichen Wohnungsbau vor neue<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen, die nicht nur bloß empirisch,<br />

son<strong>der</strong>n vorerst systematisch verstanden werden<br />

müssen.<br />

Die Geschichte <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen, funktional ausdifferenzierten<br />

Wohlfahrtsgesellschaft <strong>und</strong> ihres<br />

Wohnbaus war keinesfalls gleichförmig, wie sie<br />

heute mitunter mythologisiert wird. Die demokratische<br />

Gesellschaft im Allgemeinen war <strong>und</strong> ist<br />

eingebettet in ein Netz von unterschiedlichen Interessen,<br />

geprägt von gegenläufigen Dynamiken, von<br />

Brüchen, Konflikten <strong>und</strong> Protestbewegungen. Im<br />

Architekturdiskurs war es direkt nach dem Krieg<br />

zum Beispiel die Kybernetik, die eine emanzipatorische<br />

Designpraxis durch den Einsatz von Rechenautomaten<br />

<strong>und</strong> Standardisierung versprach.<br />

Mit den Protestbewegungen Ende <strong>der</strong> 1960er-<br />

Jahre wurde dann zunehmend eben diese<br />

Rationalisierung <strong>und</strong> Technologiegläubigkeit<br />

als Produktivkraft für das kapitalistische<br />

Wirtschaftssystem des Wohlfahrtsstaates<br />

offen kritisiert <strong>und</strong> im Wohnbau dann durch<br />

die partizipative Einbindung zukünftiger<br />

Be woh nerinnen <strong>und</strong> Bewohner in den Entwurf<br />

des standardisierten Fertigteilbaus erweitert.<br />

Viele dieser Experimente waren damals nicht von<br />

<strong>der</strong> öffentlichen Hand finanziert, son<strong>der</strong>n waren<br />

wie bei Ottokar Uhl durch die Kirche unterstützt<br />

o<strong>der</strong> waren, gar gleich wie im Beispiel des <strong>Architekten</strong><br />

Fritz Matzinger, komplett freifinanziert. Als<br />

Einzelunternehmer, <strong>der</strong> seit 1974 als Developer-<br />

Architekt auftrat, affirmierte <strong>der</strong> Linzer zudem einen<br />

gesellschaftlichen Umbruch, <strong>der</strong> für die heutige<br />

Finanzkrise, ihre einhergehende Sparpolitik <strong>und</strong><br />

die allgemeine Diskussion über sozialen Wohnbau<br />

maßgeblich ist. Zum einen wird dieser Umbruch<br />

durch die weitgehende Entkoppelung <strong>der</strong> Wirtschaft<br />

vom Realkapital markiert. Seit <strong>der</strong> Auflösung des<br />

Bretton-Woods-Abkommens 1973 <strong>und</strong> <strong>der</strong> dadurch<br />

einhergehenden Instabilität von Wechselkursen,<br />

Rohstoffpreisen, Aktienkursen <strong>und</strong> Zinssätzen hat<br />

sich das Gewinnstreben von real- zu finanzwirtschaftlichen<br />

Aktivitäten, bei bedeutend geringerem<br />

Wirtschaftswachstum in den Jahren zuvor, ent wickelt.<br />

Gleichzeitig stieg die Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> die<br />

Staatsverschuldung erhöhte sich. Damit wurde à la<br />

longue die Position des Sozialstaats <strong>und</strong> seiner<br />

Instrumente wie den sozialen Wohnbau geschwächt. 3<br />

16 | 17 285<br />

Sozialer <strong>und</strong> öffentlich geför<strong>der</strong>ter Wohnbau<br />

1 Die Forschung zu<br />

diesem Text wird vom<br />

European Science F<strong>und</strong>/<br />

heranet.info im Rahmen<br />

des Forschungsprojektes<br />

scibe – Scarcity and<br />

Creativity in the Built<br />

Environment (www.<br />

scibe.eu) geför<strong>der</strong>t. Der<br />

Autor ist Projektleiter<br />

des Wiener Teilprojektes<br />

„Modelling Vienna“.<br />

2 Vgl. Colin Crouch,<br />

Postdemokratie, Suhrkamp<br />

Verlag, 2008;<br />

Jacques Rancière, Das<br />

Unvernehmen: Politik<br />

Und Philosophie, Suhrkamp<br />

Verlag, 2002.<br />

3 Vgl. Stephan Schulmeister,<br />

Anmerkungen<br />

zu Wirtschaftspolitik<br />

<strong>und</strong> Wachstumsdynamik<br />

in Österreich seit<br />

1955, in: Physiognomie<br />

Der 2. Republik, hg.<br />

Gerbert Frodl, Paul<br />

Kruntorad and Manfried<br />

Rauchensteiner, Czernin<br />

Verlag, Wien 2005, S.<br />

333–365.<br />

4 Maurizio Lazzarato,<br />

Immaterielle Arbeit, in:<br />

Umherschweifende<br />

Produzenten, immaterielle<br />

Arbeit <strong>und</strong> Subversion,<br />

hg. Thomas Atzert,<br />

1. Auflage, ID-Verlag,<br />

Berlin 1998, S. 39–52.<br />

5 Mario Tronti, Arbeiter<br />

<strong>und</strong> Kapital, Verlag Neue<br />

Kritik, Frankfurt 1974.<br />

6 Andreas Rumpfhuber,<br />

Michael Klein and Georg<br />

Kolmayr, Hg., Das Modell<br />

Wiener Wohnbau. Vom<br />

Superblock zur Überstadt,<br />

in: Dérive, Zeitschrift für<br />

Stadtforschung, no. #46,<br />

(März 2012).<br />

7 Luc Boltanski and Ève<br />

Chiapello, Der neue<br />

Geist des Kapitalismus,<br />

Édition Discours 38,<br />

uvk Verlagsgesellschaft,<br />

Konstanz 2006.<br />

8 Friedrich Engels, Zur<br />

Wohnungsfrage, in:<br />

Werke, von Karl Marx<br />

<strong>und</strong> Friedrich Engels,<br />

Bd. 18, Dietz Verlag,<br />

Berlin 1973, http://www.<br />

mlwerke.de/me/me18/<br />

me18_209.htm.<br />

Zum an<strong>der</strong>en ist es die allgemeine Restrukturierung<br />

<strong>der</strong> Arbeitsprozesse seit den 1960er-Jahren hin<br />

zu einer heute in den westlichen Industriestaaten<br />

dominierenden Form <strong>der</strong> immateriellen Arbeit, 4 des<br />

zunehmenden Service- <strong>und</strong> Dienstleistungssektors,<br />

die den sozialen Wohnbau in seiner mo<strong>der</strong>nistischen<br />

Ausformung als reine Wohnstätte problematisiert.<br />

Für die Architektur <strong>und</strong> Wohnraumproduktion<br />

ist vor allem die vom italienischen Philosophen<br />

Mario Tronti treffend als die gesellschaftliche<br />

Fabrik bezeichnete Entgrenzung <strong>der</strong> vormals klar<br />

definierten städtischen Funktionen <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne –<br />

Arbeiten, Wohnen, Freizeit – signifikant. 5<br />

Von dem abgesehen, dass auch Hausarbeit als<br />

Teil des gesellschaftlichen Produktionsprozesses<br />

mitgedacht werden muss, wird die Wohnung<br />

zunehmend auch zum Arbeitsplatz für (kreative)<br />

Einzelunternehmer <strong>und</strong> Heimarbeiter, die<br />

zudem mitunter nicht mehr im standardisierten<br />

Familienverb<strong>und</strong> Mann-Frau-Kind(er)-Haustier(e)<br />

leben, son<strong>der</strong>n alternative Lebensentwürfe<br />

praktizieren.<br />

Es hat sich also seit den frühen 1970er-Jahren eine<br />

Situation für den sozialen <strong>und</strong> öffentlichen Wohnbau<br />

herausgebildet, die die öffentliche För<strong>der</strong>ung<br />

o<strong>der</strong> Finanzierung infrage stellt <strong>und</strong> die räumliche<br />

Organisation des standardisierten Wohnraums vor<br />

neue Herausfor<strong>der</strong>ungen stellt.<br />

Auf einer gesellschaftlichen <strong>und</strong> politischen<br />

Ebene reagierten die Kommunen <strong>und</strong> Län<strong>der</strong> auf<br />

die neuen Herausfor<strong>der</strong>ungen oft mit <strong>der</strong> Privatisierung<br />

des öffentlichen Wohnungsbaus. In Wien zum<br />

Beispiel wurde dagegen eine Liberalisierung <strong>der</strong><br />

Wohnbauproduktion durchgeführt, die es <strong>der</strong><br />

Stadtverwaltung bis heute erlaubte, nicht nur die<br />

Gemeindebauten weiterhin zu verwalten, son<strong>der</strong>n<br />

zudem ihren Einfluss auf die Raumproduktion<br />

durch Gr<strong>und</strong>stücksbereitstellung, städtebauliche<br />

Rahmen, die Einführung von Qualitätskriterien<br />

sogar noch auszuweiten <strong>und</strong> heute nicht nur<br />

bei nahe 50 % des Wohnraums direkt <strong>und</strong> indirekt<br />

zu steuern <strong>und</strong> damit auch weitgehend die Immobilienpreise<br />

<strong>und</strong> die Qualität des kompletten<br />

Marktes zu bestimmen. 6<br />

All diese Reaktionen spiegeln die Logik <strong>der</strong><br />

finanzkapitalistischen Ökonomie <strong>und</strong> ihren Diskurs<br />

wi<strong>der</strong>, die seit den 1970er-Jahre ein ungeahntes<br />

exponentielles Wachstum an Reichtum <strong>und</strong> Freiheit<br />

für jeden Einzelnen durch Individualisierung <strong>und</strong><br />

Privatisierung verspricht. Jede <strong>und</strong> je<strong>der</strong> ist von nun<br />

an für die eigenen Handlungen, für das wirtschaft-<br />

In <strong>der</strong> konkreten Raumproduktion reagierte<br />

man mit verschiedenen räumlichen <strong>und</strong> sozialen<br />

Stra te gien <strong>der</strong> Individualisierung: seien es<br />

tetrisartige Raumgefüge, die möglichst viele<br />

verschiedene Wohnungstypen in einem Geschossbau<br />

zur Ver fügung stellen, seien es Stra-<br />

tegien des Selbst(aus)baus <strong>und</strong> <strong>der</strong> Partizipation.<br />

liche Glück, das<br />

hier mit dem persönlichen<br />

Glück<br />

gleichgesetzt wird,<br />

selbst verantwortlich.<br />

Alle können<br />

sich kreativ <strong>und</strong><br />

spontan ihren<br />

Lebenstraum er-<br />

füllen, so das populäre Versprechen. Jedoch wird in<br />

dieser bekannten Erzählung unter an<strong>der</strong>em darauf<br />

vergessen, dass Kreativität, Spontaneität, Originalität<br />

nicht mehr nur <strong>der</strong> Sphäre jenseits reproduktiver<br />

Zwänge zuzuordnen sind, son<strong>der</strong>n viel mehr mit <strong>der</strong><br />

Restrukturierung <strong>und</strong> Entgrenzung unserer Arbeitswelt<br />

hin zur gesellschaftlichen Fabrik direkt verknüpft<br />

sind <strong>und</strong> heute eine wichtige Produktivkraft<br />

des aktuellen Wirtschaftssystems sind. 7<br />

Die finanzkapitalistische Ökonomie produziert<br />

nicht nur einen virtuellen Überfluss, son<strong>der</strong>n gleichzeitig<br />

auch, wie bereits oben kurz angedeutet, eine<br />

Knappheit in <strong>der</strong> Realökonomie, die die Utopien des<br />

Keynesianismus regelrecht verkehrt haben.<br />

War die Freizeitgesellschaft, o<strong>der</strong> zumindest die<br />

30-St<strong>und</strong>en-Woche in den 1960er-Jahren noch<br />

eine realistische Hoffnung aller Arbeiter <strong>und</strong><br />

Arbeitnehmer, so sind wir heute weiter denn je<br />

davon entfernt. Ähnliches trifft auch auf den<br />

sozialen <strong>und</strong> öffentlich geför<strong>der</strong>ten Wohnbau zu.<br />

Anstatt weiterhin Wohnen für alle zu realisieren<br />

o<strong>der</strong> zumindest noch zu denken (zu versuchen) <strong>und</strong><br />

dabei die aktuellen räumlichen, organisatorischen<br />

sozialen <strong>und</strong> finanziellen Anfor<strong>der</strong>ungen kritisch<br />

zu reflektieren <strong>und</strong> gemeinsam an Lösungen für ein<br />

zeitgenössisches Zusammenleben aller zu arbeiten,<br />

wird das Instrument sozialer <strong>und</strong> öffentlich ge för<strong>der</strong>ter<br />

Wohnbau zum einen zunehmend durch<br />

Themen- <strong>und</strong> Baugruppenwohnbauten für ein je<br />

bestimmtes Zielpublikum <strong>und</strong> ihr bestimmtes<br />

Konsumverhalten partikularisiert <strong>und</strong> nicht individualisiert,<br />

wie so oft argumentiert wird. Zum<br />

an<strong>der</strong>en wird ganz allgemein <strong>und</strong> offen die soziale<br />

<strong>und</strong> öffentlich geför<strong>der</strong>te Wohnbauproduktion<br />

zugunsten einer „maßgeschnei<strong>der</strong>ten“ <strong>und</strong> vor<br />

allem kurzfristig billigeren Subjektför<strong>der</strong>ung für<br />

die sogenannten sozialen Rän<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

infrage gestellt. Genau dies aber sind Maßnahmen,<br />

die bereits un kritisch die liberale Ökonomie des<br />

Finanzkapitalismus akzeptieren, die Aktualität <strong>der</strong><br />

Wohnungsfrage 8 ignorieren <strong>und</strong> die voranschreitende<br />

Ökonomisierung unserer Gesellschaft verstärken.<br />

In dieser Situation gilt es, auf mehreren<br />

Ebenen das Design <strong>der</strong> sozialistischen Wohnbaupraxis<br />

zu aktualisieren, in dem ein ausgeweitetes<br />

Verständnis von Architektur <strong>und</strong> Design jenseits<br />

des bloß ästhetischen Objektes unabdingbar ist. �<br />

Sozialer <strong>und</strong> öffentlich geför<strong>der</strong>ter Wohnbau


wohn-ware standby |<br />

Technikkonzepte für zu Hause<br />

Renate Hammer *1969 /<br />

Seit 2011 Dekanin <strong>der</strong><br />

Fakultät für Kunst, Kultur<br />

<strong>und</strong> Bau <strong>der</strong> Donau-Universität<br />

Krems, Mitglied des<br />

Beirats für Baukultur im<br />

B<strong>und</strong>eskanzleramt.<br />

Studium <strong>der</strong> Architektur an<br />

<strong>der</strong> Technischen Universi-<br />

tät Wien <strong>und</strong> <strong>der</strong> Philoso-<br />

phie an <strong>der</strong> Universität<br />

Wien. Postgradual: Urban<br />

Engineering an <strong>der</strong> Univer-<br />

sity of Tokio, Solararchitektur<br />

an <strong>der</strong> Donau-Universität<br />

Krems.<br />

Peter Holzer *1967 /<br />

Seit 2008 Leiter des<br />

Departments für Bauen<br />

<strong>und</strong> Umwelt <strong>der</strong> Donau-<br />

Universität Krems, seit<br />

2011 geschäftsführen<strong>der</strong><br />

Gesellschafter <strong>der</strong> ipj<br />

Ingenieurbüro P.Jung<br />

GmbH.<br />

Die Autoren gründeten<br />

2009 die Kompetenzzentrum<br />

Future Building GmbH.<br />

1 Le Corbusier, Feststellungen<br />

zu Architektur<br />

<strong>und</strong> Städtebau, in: Bauwelt<br />

F<strong>und</strong>amente Nr. 12,<br />

Braunschweig/<br />

Wiesbaden 1964<br />

(2. Auflage 1987), S. 88.<br />

2 Umweltb<strong>und</strong>esamt<br />

(Hrsg.), Bericht: Treibhausgasemissionen<br />

1990–2009, Stand 2011,<br />

http://www.umweltb<strong>und</strong>esamt.at/fileadmin/<br />

site/presse/news_2011/<br />

thgemissionen2009.pdf.<br />

3 Umweltb<strong>und</strong>esamt<br />

(Hrsg.), Bericht: Treibhausgasemissionen<br />

1990–2009, Stand 2011,<br />

http://www.umweltb<strong>und</strong>esamt.at/fileadmin/<br />

site/presse/news_2011/<br />

thgemissionen2009.pdf.<br />

4 http://www.passiv.de/<br />

(Abfrage vom 02.02.2012)<br />

5 http://www.passivhaustagung.de/<br />

Passiv haus_D/Passivhaus_Definition.html,<br />

aktualisiert: 16.09.2005<br />

© Passivhaus Institut;<br />

6 http://www.igpassivhaus.at,<br />

Stand 2009,<br />

Abfrage vom 07.02.2012.<br />

1921 löst Le Corbusier mit seiner Wortschöpfung<br />

„Wohnmaschine“ die Diskussion des Wohnens in<br />

<strong>der</strong> Industriegesellschaft aus. Selbst bemerkt er<br />

dazu: „Wenn <strong>der</strong> Ausdruck Aufsehen erregt hat,<br />

so deshalb, weil er den Begriff ‚Maschine‘ enthält,<br />

<strong>der</strong> offenbar in allen Geistern die Vorstellung von<br />

Betrieb, Leistung, Arbeit, Produktion erweckt. Und<br />

<strong>der</strong> Ausdruck ‚Wohnen‘ lässt an ethische Begriffe<br />

denken, an ein Dauerndes, an die Organisation <strong>der</strong><br />

Existenz – sodass ein vollkommener Missklang<br />

entsteht.“ 1<br />

Heute leben wir unmittelbar mit <strong>der</strong> Maschine<br />

<strong>und</strong> vielfach in <strong>der</strong> Maschine,<br />

was aber so gut wie nichts mit <strong>der</strong> ingenieursmäßigen<br />

Konzeption des Wohnens an sich zu tun hat,<br />

wie sie Le Corbusier vorschwebte. Vielmehr speisen<br />

heute Einfamilienhausdach-integrierte Minikraftwerke<br />

Strom in öffentliche Netze <strong>und</strong> steuern softwarebasierte<br />

haustechnische Anlagen die Konditionierung<br />

des Innenraumklimas unserer Wohnungen.<br />

„Die Fenster kann man trotzdem aufmachen“ beschwichtigt<br />

oft <strong>und</strong> überzeugt selten in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

um das Anrecht auf Selbstbestimmtheit<br />

<strong>und</strong> die Umsetzung individueller Wohnwünsche<br />

versus maximaler Effizienz durch Technikeinsatz.<br />

Denn die Gestaltung des Wohnens ist wi<strong>der</strong> Erwarten<br />

keine Privatsache, son<strong>der</strong>n angesichts von Ressourcenknappheit<br />

speziell im Bereich <strong>der</strong> Energie <strong>und</strong><br />

des Klimawandels Gegenstand öffentlichen Interesses<br />

<strong>und</strong> politischer Lenkungsmaßnahmen.<br />

Die Aufbringung von Raumwärme <strong>und</strong> sonstiger<br />

Kleinverbrauch beim Wohnen verursacht in Österreich<br />

aktuell r<strong>und</strong> 14 % <strong>der</strong> Treibhausgasemissionen. 2<br />

Seit 1990 ist <strong>der</strong> Ausstoß um 21,8 % zurückgegangen,<br />

was die Optimierungspotenziale dieses<br />

Sektors deutlich macht.<br />

Um eine langfristige Klimastabilisierung zu erreichen,<br />

bedarf es laut Klimaexperten aber einer Verringerung<br />

um insgesamt etwa 80 % also um r<strong>und</strong> weitere<br />

60 % innerhalb <strong>der</strong> nächsten Jahrzehnte. 3<br />

Wohngebäude, die zur Erreichung dieses Wertes<br />

beitragen, müssen eine signifikant bessere Performance<br />

zeigen als <strong>der</strong> durchschnittliche Bestand.<br />

Die Umsetzung von drei gr<strong>und</strong>legenden Strategien<br />

hinsichtlich des Energiehaushaltes ist dafür unabdingbar<br />

umzusetzen: die Minimierung von Verlusten,<br />

die Maximierung passiver Gewinne <strong>und</strong> die<br />

Deckung des Restbedarfs aus regenerativen Quellen.<br />

R<strong>und</strong> um die Gewichtung dieser Strategien haben<br />

sich verschiedene Konzepte mit entsprechenden<br />

Bezeichnungen wie Aktivhaus, Passivhaus, Nullenergiehaus<br />

o<strong>der</strong> Plusenergiehaus entwickelt –<br />

begleitet von teils erbittert geführten Gr<strong>und</strong>satzdiskussionen.<br />

Die Grafik auf Seite 20 zeigt den<br />

kumulierten Energiebedarf exemplarischer Haustypen<br />

in Deutschland. 4<br />

Eine verbindliche Standardisierung <strong>und</strong> Zertifizierung<br />

liegt <strong>der</strong>zeit für das Passivhaus vor.<br />

„Ein Passivhaus ist ein Gebäude, in welchem die<br />

thermische Behaglichkeit (iso 7730) allein durch<br />

Nachheizen o<strong>der</strong> Nachkühlen des Frischluftvolumenstroms,<br />

<strong>der</strong> für ausreichende Luftqualität<br />

(din 1946) erfor<strong>der</strong>lich ist, gewährleistet werden<br />

kann – ohne dazu zusätzlich Umluft zu verwenden.“<br />

5<br />

Jede <strong>der</strong> drei Gr<strong>und</strong>strategien zur energetischen<br />

Optimierung lässt sich in Hinsicht auf die Bedürfnisse<br />

individueller Bewohner <strong>und</strong> generellen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

an das Wohnen kritisch diskutieren.<br />

Die Minimierung von energetischen Verlusten<br />

aus dem Gebäudeinneren durch Transmission <strong>und</strong><br />

Lüftung hat weitreichende Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Gebäudegestaltung<br />

<strong>und</strong> des Gebäudebetriebs gebracht.<br />

Um geringste Verluste zu gewährleisten, bedarf es<br />

einer kompakten Form mit reduzierten Oberflächen<br />

im Verhältnis zum umbauten Raum. Die Gebäudehülle<br />

muss luft- <strong>und</strong> winddicht sein <strong>und</strong> einen hohen<br />

Wärmedurchgangswi<strong>der</strong>stand aufweisen. Daraus<br />

resultieren je nach Konstruktionsweise Wandstärken<br />

zwischen 38 <strong>und</strong> 60 cm. Fenster sind aus Sicht <strong>der</strong><br />

Verlustminimierung die Schwachstellen des Gebäudes.<br />

Ihr Flächenanteil ist daher gering zu halten,<br />

beziehungsweise sind sie mit Bedacht auf ihre Orientierung<br />

zu positionieren <strong>und</strong> zu dimensionieren.<br />

Die Dichtheit <strong>der</strong> Gebäudehülle erfor<strong>der</strong>t in <strong>der</strong><br />

kalten Jahreszeit den Betrieb einer Lüftungsanlage,<br />

die mit Wärmerückgewinnung ausgestattet wird.<br />

Unter Einhaltung strikter Rahmenbedingungen<br />

kann das Gebäude auch ausschließlich über die<br />

Lüftungsanlage beheizt werden.<br />

Obwohl gerade in diesen Gebäuden die haustechnischen<br />

Anlagen hochgradig reduziert sind,<br />

sind es die verlustminimierenden Bauweisen, die in<br />

<strong>der</strong> Fachdiskussion häufig als die heutigen „Wohnmaschinen“<br />

kritisch diskutiert werden. Die betonte<br />

Notwendigkeit dichter Bauweise, die mechanische<br />

Lüftung, die gleichmäßige Temperaturverteilung in<br />

den Räumen, demnach ausgerechnet die von BefürworterInnen<br />

gelobten Qualitäten, stehen nach wie<br />

vor hoch in <strong>der</strong> Gunst des kritischen Fachdiskurses.<br />

Die Maximierung passiver Gewinne setzt auf die<br />

Ernte solarer Wärmeeinträge auf geeigneten<br />

Glasflächen im Zusammenspiel mit speicherwirksamen<br />

Massen.<br />

Das Prinzip ist alt. Sokrates beschrieb es vor knapp<br />

2500 Jahren. Mit <strong>der</strong> rasanten Entwicklung technischer<br />

Funktionsglasscheiben in tatsächlich den letz-<br />

ten Jahren haben sich neue Möglichkeiten ergeben.<br />

Selbst nach Norden ausgerichtete Fenster zeigen an<br />

heimischen Klimastandorten über die Heizperiode<br />

bilanziert keine schlechtere Gesamtperformance als<br />

passivhaustaug lich gedämmte Wände. Trotz ihrer<br />

Sonnenverb<strong>und</strong>en heit benötigen diese Gebäude aber<br />

vollumfängliche Heizsysteme: Wärmeerzeugung,<br />

-speicherung, -verteilung, -abgabe. Durchaus problematisch<br />

ist die Performance dieser Gebäude auch<br />

im Zusammenhang mit dem Auftreten von Überhitzung.<br />

Leben im Kollektor. Zu diskutieren sind an<br />

diesem Gebäudetyp auch die häufig vorzufindende<br />

18 | 19 285<br />

wohn-ware standby wohn-ware standby<br />

Unterordnung <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>risse an die Fassade, seine<br />

typologische Beschränkung auf tendenziell kleinvolumige<br />

Strukturen <strong>und</strong> sicherlich auch <strong>der</strong> Umgang<br />

mit dem Bedürfnis nach Uneinsichtigkeit <strong>und</strong><br />

mit <strong>der</strong> Möblierbarkeit großzügig verglaster Wohngebäude<br />

speziell im niedrigeren Preissegment mit<br />

kleinen Wohneinheiten. Dennoch sind diese Gebäude<br />

seltener Gegenstand kontroversieller Fachdiskussion,<br />

als es <strong>der</strong> zuvor beschriebene verlustminimierende<br />

Gebäudetyp ist, was sicherlich auch ihrer<br />

vorrangigen Verankerung im kleinvolumigen, privat<br />

finanzierten Segment geschuldet ist.


Altbau<br />

WSchVO 1984<br />

SB N 1980<br />

WSchVO 1995<br />

Niedrigenergiehaus<br />

Passivhaus<br />

Nullheizenergiehaus<br />

Nullenergiehaus<br />

Endenergiekennwert kWh⁄ (m 2 a)<br />

0 50 100 150 200 250 300<br />

Heizung Warmwasser Lüfterstrom Haushaltsstrom<br />

20 | 21 285<br />

wohn-ware standby<br />

18<br />

16<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

Treibhausgasemissionen Sektor Raumwärme 1990–2009<br />

in Mio. t CO2-Äquivalente<br />

Verän<strong>der</strong>ung 1990–2009: -21,8 %<br />

1990 1995 2000 2005 2008 2009<br />

2012<br />

Treibhausgasemissionen 1990–2009<br />

Klimastrategie 2007: Ziel 2008–2012<br />

Eine konsequente Umsetzung <strong>der</strong> Strategie <strong>der</strong><br />

Deckung des Restenergiebedarfs durch regenerative<br />

Energie führt schließlich zur Bereitstellung von Energie<br />

am Gebäude <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>stück selbst. Die Palette<br />

verfügbarer Technologien in unterschied lichen<br />

Entwicklungsstadien erstreckt sich mittlerweile auf<br />

vielfältige Kombinationen aus Biomasse kesseln,<br />

Erdkollektoren, Wärmepumpen, Blockheizkraftwerken,<br />

Brennstoffzellen, thermischer Solartechnik,<br />

pv-Anlagen <strong>und</strong> neu auch Kleinstwindkraftwerken.<br />

Um die Effizienz <strong>der</strong> teuren technischen Anlagen<br />

ausschöpfen zu können, ist ihre konsequente Auslastung<br />

<strong>und</strong> – im Fall <strong>der</strong> Solartechnik – eine konsequente<br />

Ausrichtung zur Sonne unerlässlich. Was<br />

aber an Strahlung für die Energiegewinnung geerntet<br />

wird, steht für die Tagesbelichtung <strong>der</strong> Innenräume<br />

nicht mehr zur Verfügung. Statt leben im<br />

Kollektor ein Leben hinter <strong>und</strong> unter dem Kollektor?<br />

Typische Herausfor<strong>der</strong>ungen bei diesen mit regenerativen<br />

Energien auf Nullenergie- o<strong>der</strong> Nullemissionsbilanzen<br />

zielenden Gebäuden liegen in ihrer<br />

gestalterischen Qualität, im hohen Finanzierungsbedarf<br />

<strong>und</strong> auch in technischen Schwierigkeiten <strong>der</strong><br />

Netzeinbindung, <strong>der</strong> Energiepufferung: Fieberhaft<br />

wird an neuen Speichertechnologien geforscht,<br />

thermisch wie auch elektrisch. Phasenwechselspeicher<br />

sollen eine kompakte Alternative zu den raumgreifenden<br />

Warmwasserspeichern bieten. Smart<br />

grids <strong>und</strong> e-mobility sind Hoffnungsträger im<br />

Management des erneuerbaren, aber unregelmäßig<br />

produzierten Stroms.<br />

Die neuen Gebäudekonzepte funktionieren,<br />

wenn sie funktionieren, belegt in zahlreichen Pilotbauten.<br />

Der Pilotphase eindeutig entwachsen ist<br />

das zuerst beschriebene Gebäudekonzept, die verlustminimierende<br />

Bauweise, mit mehr als 3000<br />

Wohnungen im Passivhausstandard bereits 2009<br />

allein in Österreich. 6<br />

Als Ursachen für ein dennoch auftretendes Auseinan<strong>der</strong>klaffen<br />

von Theorie <strong>und</strong> Praxis können im<br />

Einzelfall fast immer individuelle Fehler in Planung,<br />

Ausführung, Betrieb <strong>und</strong> Wartung benannt werden.<br />

Manchmal auch unrealistische Versprechungen<br />

an die künftigen NutzerInnen. Wie immer besteht<br />

Verbesserungsspielraum nach oben, für eine pauschale<br />

Verunglimpfung <strong>der</strong> „neuen“ Gebäudestandards<br />

besteht aber keine Gr<strong>und</strong>lage: Die NutzerInnenzufriedenheit<br />

in ihnen ist statistisch jedenfalls<br />

höher als in „herkömmlichen“ Gebäuden. Und mit<br />

einem Mindestmaß an Ergebniskontrolle, Monitoring<br />

also, kann die reale Performance fast immer an<br />

die prognostizierten Werte herangeführt werden.<br />

Kritisch zu hinterfragen sind aber tatsächlich<br />

alle erreichten Qualitäten innenräumlichen Wohnkomforts.<br />

Sie beruhen auf Normierungen, die hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> evolutionären Konzeption des Menschen für<br />

ein Leben im Außenraum nicht tauglich sind.<br />

Der menschliche Organismus ist gebaut für wechselnde<br />

Temperatur- <strong>und</strong> Strahlungsbedingungen,<br />

für klare tages- <strong>und</strong> jahreszeitliche Rhythmen, für<br />

hohe Strahlungsintensitäten <strong>und</strong> vollumfängliche<br />

Solarstrahlungsspektren, wie wir sie in unseren<br />

konditionierten Innenräumen nicht vorfinden bzw.<br />

<strong>der</strong>zeit nicht vorfinden können. Wir kennen Kriterien,<br />

die unseren Aufenthalt im Innenraum unges<strong>und</strong><br />

machen. Wir können für den de facto vorliegenden<br />

Daueraufenthalt in Innenräumen kaum eine Definition<br />

für dessen physisch <strong>und</strong> psychisch gesun<strong>der</strong>haltende<br />

Qualitäten definieren. Wir sind in den<br />

Innenraum übersiedelt <strong>und</strong> müssen aus dieser Perspektive<br />

neu denken.<br />

All die neuen Anfor<strong>der</strong>ungen sind Ideen des<br />

Neubaus <strong>und</strong> treffen zum weitaus überwiegenden<br />

Großteil ebenso zu auf gebauten Bestand. Angesichts<br />

<strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Wohngebäudesanierung<br />

nimmt sich die Diskussion um die Beglückung o<strong>der</strong><br />

Überfor<strong>der</strong>ung von Bewohnern durch vollautomatisierte<br />

smart homes wie eine Nebenfront aus – man<br />

ist versucht, die Stand-by-taste zu drücken.<br />

Vieles muss also weitergedacht werden im Themenkreis<br />

qualitätvollen Bauens für die Zukunft,<br />

also Bauens in <strong>der</strong> Gegenwart. Einige Eckpunkte<br />

kristallisieren sich dabei heraus:<br />

Feststeht: Die Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Klimastabilisierung<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Abkopplung von begrenzten<br />

<strong>und</strong> preislich instabilen fossilen Energieimporten<br />

sind zu real <strong>und</strong> von zu großer sozialer Tragweite, als<br />

dass die notwendige Diskussion unterschiedlicher<br />

Gebäudekonzepte zu einem Innehalten im Nutzen<br />

<strong>der</strong> Potenziale von Energieeffizienz <strong>und</strong> Ressourcenschonung<br />

missbraucht werden dürfen. Angesichts<br />

<strong>der</strong> Evidenz <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung wäre Nicht-Handeln<br />

unverzeihlich schuldhaft.<br />

Feststeht auch: Sowohl <strong>der</strong> Neubau als auch die<br />

Sanierung von Gebäuden muss angesichts <strong>der</strong> Verantwortung<br />

für <strong>der</strong>en Zukunftsfähigkeit immer als<br />

eine konzeptive Aufgabe begriffen werden, mit einer<br />

starken gestalterischen Komponente, weit über die<br />

bloße bautechnische Dimension hinaus.<br />

Feststeht auch: Neben <strong>der</strong> Effizienz <strong>und</strong> <strong>der</strong> Konsistenz<br />

muss auch die Suffizienz als ein Paradigma<br />

qualitätvoller Baumaßnahmen begriffen werden.<br />

Suffizienz im Sinne ihrer Angemessenheit, etwa<br />

hinsichtlich ihrer Dimension, hinsichtlich ihrer<br />

Einbettung in umräumliche Strukturen <strong>und</strong> nicht<br />

zuletzt hinsichtlich ihrer sensiblen Nutzung klimatischer<br />

Potenziale. �<br />

wohn-ware standby


Partizipation als Innovation im Wohnbau |<br />

Über Selbstorganisation, Urbanitätskerne <strong>und</strong> Stadtmotoren<br />

Robert Temel<br />

ist Architektur- <strong>und</strong> Stadt -<br />

forscher in Wien mit<br />

Schwerpunkt auf Wohnbau<br />

<strong>und</strong> öffentlichen<br />

Raum. 2009 Mitgrün<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Initiative für gemeinschaftliches<br />

Bauen <strong>und</strong><br />

Wohnen. Diplomstudium<br />

<strong>der</strong> Architektur an <strong>der</strong><br />

Universität für angewandte<br />

Kunst Wien,<br />

Doktoratsstudium an <strong>der</strong><br />

Technischen Universität<br />

Wien <strong>und</strong> Scholarship in<br />

Sociology am Institute for<br />

Advanced Studies Wien.<br />

Weitere Informationen<br />

zum Thema finden sich<br />

auf <strong>der</strong> Website <strong>der</strong><br />

Initiative für gemeinschaftliches<br />

Bauen <strong>und</strong><br />

Wohnen: gemeinsambauen-wohnen.org<br />

Eine vergessen geglaubte Praxis des Wohnbaus<br />

findet in Österreich seit wenigen Jahren wie<strong>der</strong><br />

starken Zuspruch: partizipatives Planen, ja sogar<br />

vollständig selbst organisierter Wohnbau – Wohnprojekt<br />

o<strong>der</strong> Baugemeinschaft genannt. Bei Letzterem<br />

handelt es sich um Gruppen von Leuten,<br />

Einzelpersonen, Paare, Familien <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Lebensformen, die gemeinsam ein Gr<strong>und</strong>stück<br />

erwerben, einen <strong>Architekten</strong> o<strong>der</strong> eine Architektin<br />

beauftragen <strong>und</strong> zusammen ihr zukünftiges Wohnen<br />

planen <strong>und</strong> bauen.<br />

Während Baugemeinschaften meist sehr weitgehend<br />

von den zukünftigen BewohnerInnen bestimmt<br />

werden, gibt es auch Mitbestimmungsprojekte, in<br />

denen etliches vorbestimmt ist <strong>und</strong> sich die Nutzer-<br />

Innen nur an Gestaltungsfragen <strong>der</strong> eigenen Wohnung<br />

<strong>und</strong> eventuell noch einiger Gemeinschaftsflächen<br />

beteiligen können. Ein Beispiel dafür, also<br />

partizipatives Planen in einem vorbestimmten<br />

Rahmen, ist das Projekt Sovieso (Sonnwendviertel<br />

solidarisch) am Hauptbahnhofareal in Wien-Favoriten.<br />

Die Architektin Cornelia Schindler (s&s <strong>Architekten</strong>),<br />

die langjährige Erfahrung mit partizipativer<br />

Planung besitzt, entwarf für den Bauträger bws<br />

<strong>und</strong> mit Betreuung von Raim<strong>und</strong> Gutmann (Wohnb<strong>und</strong><br />

Consult) einen flexiblen Rahmen, <strong>der</strong> einerseits<br />

die Notwendigkeiten des Wiener Bauträgerwettbewerbs<br />

<strong>und</strong> des Wohnungsvergabesystems<br />

durch das Wohnservice Wien erfüllt <strong>und</strong> an<strong>der</strong>erseits<br />

jenen, die sich für eine Wohnung in diesem<br />

Projekt melden, die Möglichkeit gibt, die Anlage<br />

ihrer Wohnung weitgehend selbst zu bestimmen.<br />

Die Baukörper bestehen aus einer flexiblen Struktur<br />

mit tragenden Pfeilerreihen in den Fassaden <strong>und</strong><br />

einer Mittel-„Wand“, die auch weitgehend die Elektroinstallationen<br />

aufnehmen, sodass die nichttragenden<br />

Trennwände nicht nur zu Beginn flexibel<br />

platziert werden können, son<strong>der</strong>n auch langfristig<br />

verän<strong>der</strong>bar bleiben. Durch die Balkonkonstruktion<br />

können die BewohnerInnen in einem vorgegebenen<br />

Rahmen Lage <strong>und</strong> Größe <strong>der</strong> Balkons auswählen.<br />

Aus einem vorgegebenen Wohnungskatalog können<br />

sie ihre Variante aussuchen, adaptieren <strong>und</strong>, je nach<br />

Stand <strong>der</strong> Voranmeldungen, auch die Lage im Gebäude<br />

bestimmen.<br />

Einen ähnlichen Weg gehen einige Projekte,<br />

die zwar nicht partizipativ entwickelt werden, die<br />

jedoch frühzeitig versuchen, die zukünftigen Nachbarn<br />

miteinan<strong>der</strong> bekannt zu machen <strong>und</strong> so eine<br />

Form von Gemeinschaft zu stiften. Dazu gehören<br />

etwa die „Wohngruppen für Fortgeschrittene“ für<br />

die Zielgruppe 50+, die <strong>der</strong> Bauträger gewog/Neue<br />

Heimat mit Wohnb<strong>und</strong> Consult bisher in Wien-<br />

Ottakring <strong>und</strong> Wien-Penzing errichtet hat; diese<br />

Gruppen sind in konventionelle Wohnbauten integriert,<br />

in denen sie einzelne Stiegenhäuser o<strong>der</strong><br />

Bereiche einnehmen <strong>und</strong> somit einen Gemeinschafts-Nukleus<br />

bilden.<br />

Das neue Interesse an Partizipation <strong>der</strong> letzten Jahre<br />

trug in Wien jedenfalls auch dazu bei, dass die lange<br />

Zeit weitgehend dem Vergessen anheim gefallenen<br />

MieterInnenbeiräte <strong>und</strong> das Mitbestimmungsstatut<br />

wie<strong>der</strong> hervorgeholt <strong>und</strong> thematisiert werden. Das<br />

Statut wurde in den 1980er-Jahren ausgehend von<br />

<strong>der</strong> damaligen Konjunktur des partizipativen Wohnbaus<br />

entwickelt – doch nachdem Partizipation nach<br />

<strong>und</strong> nach seinen InteressentInnenkreis verlor, wurden<br />

auch diese fortschrittlichen Elemente im Wiener<br />

Wohnbausystem in den Hintergr<strong>und</strong> gedrängt.<br />

Doch Mitbestimmung im Wohnbau kann auch<br />

weiter gehen, wenn die zukünftigen Bewohner-<br />

Innen dazu bereit sind, Zeit <strong>und</strong> Energie in die<br />

Entwicklung eines Projektes zu investieren:<br />

Baugemeinschaften, die selbstbestimmtes Wohnen<br />

bieten, werden entwe<strong>der</strong> von den BewohnerInnen<br />

selbst gestartet, das heißt diese können auch über<br />

Lage des Gr<strong>und</strong>stücks, zu beauftragende Architektin<br />

o<strong>der</strong> <strong>Architekten</strong> sowie die Gr<strong>und</strong>struktur <strong>der</strong><br />

zukünftigen Gemeinschaft <strong>und</strong> des Gebäudes bestimmen;<br />

o<strong>der</strong> sie werden von ArchitektInnen o<strong>der</strong><br />

ProjektentwicklerInnen gestartet, wodurch sich das<br />

Ausmaß <strong>der</strong> Mitbestimmung reduziert.<br />

Obwohl es seit den 1960er-Jahren <strong>und</strong> insbeson<strong>der</strong>e<br />

in den 1980ern <strong>und</strong> 1990ern eine Vielzahl österreichischer<br />

Projekte gab, von <strong>der</strong> Siedlung Halde<br />

mit Hans Purin in Bludenz bis zu Les Paletuviers<br />

mit Fritz Matzinger in Linz-Leonding, von <strong>der</strong> Baugemeinschaft<br />

Karmelitergasse (Walter Stelzhammer)<br />

bis zum bisher größten österreichischen Projekt,<br />

<strong>der</strong> Sargfabrik (bkk-2), war hierzulande zuletzt etwa<br />

zehn Jahre lang Pause beim selbstbestimmten<br />

Wohnbau, während das Thema in Deutschland <strong>und</strong><br />

in <strong>der</strong> Schweiz boomte. Unter den ersten „Neuen“<br />

waren die Wiener Projekte Frauenwohnprojekt rosa<br />

Donaustadt (Sabine Pollak), Frauenwohnprojekt<br />

[ro*sa] KalYpso im Kabelwerk (Markus Spiegelfeld)<br />

sowie das Projekt b.r.o.t. 2 in Kalksburg (Franz<br />

Kuzmich), ein Folgeprojekt des von Ottokar Uhl in<br />

<strong>der</strong> Geblergasse realisierten „Familienklosters“.<br />

Diese drei konnten 2009 besiedelt werden <strong>und</strong> seither<br />

entsteht eine Vielzahl neuer Baugemeinschaften<br />

unter an<strong>der</strong>em in Wien, darunter als beson<strong>der</strong>s<br />

interessantes Beispiel das Wohnprojekt Wien am<br />

Nordbahnhof: Die BewohnerInnengruppe zusammen<br />

mit Einszueins Architektur <strong>und</strong> Raum &<br />

Kommunikation als Projektkoordinator packte die<br />

Gelegenheit eines Bauträgerwettbewerbs für eine<br />

sehr attraktive Wohnlage in Wien-Leopoldstadt beim<br />

Schopf, tat sich mit dem Bauträger Schwarzatal<br />

zusammen <strong>und</strong> entwickelte gemeinsam ein Projekt,<br />

das schließlich gewann <strong>und</strong> demnächst realisiert<br />

wird. Die Baugemeinschaft wird nicht aus Mietwohnungen<br />

bestehen, son<strong>der</strong>n als Heim geführt, wie<br />

das bereits bei Sargfabrik <strong>und</strong> b.r.o.t. <strong>der</strong> Fall ist;<br />

die BewohnerInnen gründeten zusammen einen<br />

Verein, <strong>der</strong> das gesamte Gebäude vom Bauträger<br />

mietet <strong>und</strong> somit auch das Risiko von Wohnungsleerstand<br />

trägt.<br />

Neben den Wohnungen wird das Gebäude eine<br />

Vielzahl von ergänzenden Nutzungen enthalten,<br />

um im neu entwickelten Nordbahnhofareal<br />

einen „Urbanisierungskern“ zu bilden:<br />

Projekte wie [ro*sa]<br />

KalYpso am Areal des<br />

Kabelwerks können eine<br />

Vorreiterrolle im Rahmen<br />

großer Stadtentwicklungsprojekteeinnehmen,<br />

wenn sie von Beginn<br />

an mitgeplant werden –<br />

das Konzept <strong>der</strong> Seestadt<br />

Aspern stellte ein eigenes<br />

Baufeld für Baugemeinschaften<br />

von Anfang an<br />

zur Verfügung.<br />

e-Car-Sharing,<br />

ein Artist-in-Residence-Programm,<br />

ein Wochenmarkt,<br />

partizipative Aktionen<br />

im Viertel <strong>und</strong> Bezirk <strong>und</strong> engagierte Stadteilarbeit<br />

sind geplant. Doch das Wohnprojekt Wien ist<br />

bei Weitem nicht alleine, aktuelle Wiener Projekte<br />

sind etwa in <strong>der</strong> Ottakringer Gr<strong>und</strong>steingasse <strong>und</strong><br />

das Projekt Gennesaret in Wien-Mauer. Eine Vielzahl<br />

weiterer Projekte gibt es in Nie<strong>der</strong>österreich,<br />

<strong>der</strong> Steiermark <strong>und</strong> dem Burgenland. Und überaus<br />

aktiv ist auch die Stadt Graz, wo die rührige Gruppe<br />

wab (Wohnbau Alternative Baugruppen) seit einigen<br />

Jahren das Thema bearbeitet – im Frühjahr 2012<br />

soll eine Informationsplattform eingerichtet werden,<br />

erste Pilotprojekte sind in Planung. Ganz ähnlich ist<br />

seit zwei Jahren in Wien die Initiative für gemeinschaftliches<br />

Bauen <strong>und</strong> Wohnen aktiv, die das Thema<br />

in ganz Österreich för<strong>der</strong>n will.<br />

Wohnbauten mit partizipativen Anteilen ebenso wie<br />

Baugemeinschaftsprojekte versuchen den engen<br />

Raster des konventionellen Wohnbaus zu verlassen,<br />

sie geben sich nicht mit dem paternalistischen, von<br />

<strong>der</strong> Stadt o<strong>der</strong> dem Land <strong>und</strong> großen Wohnbauträ-<br />

gern dominierten System des geför<strong>der</strong>ten Wohnbaus<br />

zufrieden, aber ebenso wenig wollen sie ins<br />

Einfamilienhaus im Speckgürtel flüchten o<strong>der</strong> die<br />

frei finanzierte Eigentumswohnung erwerben, die<br />

Wohnraum <strong>und</strong> Anlageobjekt ist <strong>und</strong> die Bewohner-<br />

Innen somit zu Kleinst-Immobilieninvestoren<br />

macht. Vielfach versuchen diese Projekte auch den<br />

Nutzen fürs eigene Leben <strong>und</strong> eigene Wohnen zu<br />

überschreiten <strong>und</strong> auf Stadt <strong>und</strong> Umland zu wirken,<br />

wie etwa das Wohnprojekt Wien zeigt.<br />

Doch <strong>der</strong> selbst organisierte Einfluss aufs Umfeld<br />

kann darüber weit hinausgehen, wenn Projekte<br />

speziell daraufhin angelegt werden, Urbanitätsanker<br />

zu werden.<br />

Ein herausragendes österreichisches Beispiel dafür<br />

ist das Baugemeinschafts-Baufeld in <strong>der</strong> zukünftigen<br />

Seestadt Aspern: Die Entwicklungsgesellschaft<br />

Wien 3420 startete 2011 ein Vergabeverfahren für<br />

Gr<strong>und</strong>stücke in diesem Baufeld, das ausschließlich<br />

an Baugemeinschaften gerichtet war. Dadurch wurde<br />

einerseits das größte Problem für Baugemeinschaften<br />

in diesem einen Fall behoben, nämlich <strong>der</strong><br />

schwierige Zugang zu geeigneten Gr<strong>und</strong>stücken;<br />

<strong>und</strong> es wurde dadurch, dass ein ganzes Baufeld mit<br />

insgesamt etwa 160 Wohnungen ausschließlich aus<br />

Baugemeinschaften bestehen sollte, ein dichter<br />

Kern an Aktivität erzeugt, <strong>der</strong> aufs konventionell<br />

entwickelte Umfeld wirken soll – so jedenfalls die<br />

Absicht. Derzeit läuft die zweite Stufe des Verfah-<br />

22 | 23 285<br />

Partizipation als Innovation im Wohnbau<br />

Partizipation als Innovation im Wohnbau


.r.o.t. Kalksburg<br />

beweist, dass partizipative<br />

Wohnbauprojekte<br />

nicht nur ein urbanes<br />

Phänomen sind.<br />

rens <strong>und</strong> fünf Gruppen sind im Rennen. Dabei handelt<br />

es sich einerseits um b.r.o.t. 3, also ein weiteres<br />

Projekt des b.r.o.t.-Verbands nach Geblergasse <strong>und</strong><br />

Kalksburg, diesmal interkonfessionell angelegt,<br />

das wie<strong>der</strong> stark auf eine spirituelle Gemeinschaft<br />

ausgerichtet ist <strong>und</strong> von Architekt Franz Kuzmich<br />

geplant wird. Weiters um JAspern, das einzige eigentumsorientierte<br />

Projekt am Baufeld, das von pos<br />

<strong>Architekten</strong> geplant wird <strong>und</strong> am ehesten dem <strong>der</strong>zeit<br />

sehr erfolgreichen Berliner Baugemeinschaftsmodell<br />

entspricht; sowie um Orange 3, ein Ablegerprojekt<br />

<strong>der</strong> bekannten Wiener Sargfabrik <strong>und</strong> somit<br />

stark kulturbezogen-engagiert ausgelegt, geplant<br />

von dem <strong>Architekten</strong> Helmut Wimmer. Weiters gibt<br />

es die Baugruppe Pegasus, geplant von Georg<br />

Baldass, betreut von Raim<strong>und</strong> Gutmann <strong>und</strong> realisiert<br />

mit dem Bauträger Neunkirchen. Und schließlich<br />

die Gruppe Seestern Aspern, die wie<strong>der</strong> mit<br />

Einszueins Architektur <strong>und</strong> realitylab.at als Berater<br />

ein Projekt entwickelt, das <strong>der</strong> BewohnerInnenverein<br />

vom Bauträger Migra/Arwag als Gesamtes mieten<br />

<strong>und</strong> an seine Mitglie<strong>der</strong> vergeben wird. Die fünf<br />

Gruppen entwickeln ihre Projekte parallel, arbeiten<br />

in mancher Hinsicht jedoch auch zusammen, etwa<br />

indem sie den gemeinsamen Innenhof des Bau-<br />

felds kooperativ planen <strong>und</strong> betreiben <strong>und</strong> die Gemeinschaftsflächen<br />

aller Projekte aufeinan<strong>der</strong><br />

abstimmen. Damit geht hier die Kooperation zwischen<br />

Wohnbauprojekten weiter, als es gemeinnützige<br />

Bauträger im Wiener Wohnbau schaffen. Das<br />

Baufeld liegt günstig am Stadtteilpark <strong>und</strong> Schulcampus<br />

in <strong>der</strong> zukünftigen Seestadt, es liegt aber<br />

auch inmitten <strong>der</strong> Baufel<strong>der</strong> des geför<strong>der</strong>ten Wohnbaus<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Wohnbauoffensive – die Hoffnung<br />

ist, dass das Engagement <strong>der</strong> Baugemeinschafts-<br />

Bewohner Innen auf ihr Umfeld abstrahlt <strong>und</strong> sich<br />

die Initiativen so potenzieren.<br />

Ein noch ambitionierteres Projekt ist die Initiative<br />

Möckernkiez in Berlin: Auf einem drei Hektar<br />

großen Baufeld auf dem ehemaligen Anhalter Güterbahnhof<br />

in Kreuzberg, nicht mehr als einen Kilometer<br />

vom Potsdamer Platz entfernt, sollen 400<br />

Wohnungen sowie Flächen für soziales Gewerbe<br />

gemeinschaftlich errichtet werden. 2007 entstand<br />

eine Bürgerinitiative mit Unterstützung <strong>der</strong> Bezirkspolitik,<br />

die eine spekulative Bebauung durch einen<br />

Investor verhin<strong>der</strong>n wollte; bald danach entstand<br />

ein Verein <strong>und</strong> schließlich eine Genossenschaft mit<br />

weit über 400 Mitglie<strong>der</strong>n, die 2010 das Gr<strong>und</strong>stück<br />

um zehn Millionen Euro erwarb, die Wohnungen<br />

sollen 2013 bezogen werden. Den städtebaulichen<br />

Rahmen bilden Projekte von den Baufröschen <strong>und</strong><br />

Baumschlager Eberle; die Gebäude werden weiters<br />

von dem Solararchitekturpionier Ralf Disch, den<br />

Baugruppenarchitekten Roedig Schop sowie Schulte-<br />

Frohlinde <strong>Architekten</strong> geplant, allesamt Sieger<br />

eines <strong>Architekten</strong>wettbewerbs. Die Standards sind<br />

für Berliner Verhältnisse hoch, beispielsweise<br />

werden ausschließlich Passivhäuser gebaut – <strong>und</strong><br />

es werden sowohl zum Aufbau von Eigenkapital<br />

Wohnungen verkauft als auch welche an Mitglie<strong>der</strong><br />

vergeben. Eine ag Solidarische Finanzierung soll<br />

auch jenen das Wohnen im zukünftigen Möckernkiez<br />

erlauben, die sich die etwa 2000 Euro, die pro<br />

Quadratmeter zu finanzieren sind, ob nun im Eigentum<br />

o<strong>der</strong> genossenschaftlich, nicht leisten können.<br />

Und als noch weitergehend kann man den Tübinger<br />

Ansatz bezeichnen, <strong>der</strong> erstmals für das Französische<br />

Viertel in <strong>der</strong> Tübinger Südstadt gewählt wurde<br />

<strong>und</strong> seither, immer wie<strong>der</strong> leicht adaptiert, bei allen<br />

neuen Stadtentwicklungsprojekten <strong>der</strong> südwestdeutschen<br />

Universitätsstadt zum Tragen kommt:<br />

Dort werden Baugemeinschaften als zentraler Motor<br />

<strong>der</strong> Stadtentwicklung angesehen <strong>und</strong> eingesetzt,<br />

das Französische Viertel mit etwa 1000 Wohnungen<br />

wurde zwischen 1996 <strong>und</strong> 2006 fast ausschließlich<br />

mit Baugemeinschaften errichtet. Dies schien für<br />

die Stadt <strong>und</strong> ihren Stadtplaner Andreas Feldtkeller<br />

<strong>der</strong> beste Weg, um die für diesen Stadtteil angestrebten<br />

zentralen Gr<strong>und</strong>sätze umsetzen zu können,<br />

<strong>und</strong> die langjährige Erfahrung zeigt, dass sie damit<br />

recht hatten:<br />

Kleinteilige Nutzungsmischung <strong>und</strong> Parzellierung,<br />

hohe Dichte, Sanierung von Altbauten,<br />

Investition in öffentlichen Raum <strong>und</strong> öffentlichen<br />

Verkehr sowie Integration sozialer <strong>und</strong><br />

kultureller Infrastruktur –<br />

Tübingen ist damit erfolgreich <strong>und</strong> macht mit seinen<br />

Stadtentwicklungsprojekten sogar Gewinne,<br />

obwohl die Wohnungen vergleichsweise kostengünstig<br />

sind <strong>und</strong> die Mieten (die meisten Wohnungen<br />

stehen im Wohnungseigentum) vertraglich<br />

begrenzt werden.<br />

Entscheidend für <strong>der</strong>artig großmaßstäbliche Stadtentwicklungsprojekte<br />

mit Baugemeinschaften ist<br />

sicherlich, ob ein faires Verhältnis zwischen Engagement<br />

<strong>und</strong> Nutzen für die BewohnerInnen erreicht<br />

wird – die großen Hoffnungen, die teils in <strong>der</strong>artige<br />

„Urbanisierungskerne“ gesetzt werden, könnten<br />

auch leicht zu Überlastungen <strong>der</strong> Baugemeinschaften<br />

führen, die ja schon genug mit <strong>der</strong> Entwicklung<br />

ihres eigenen Projektes zu tun haben, aber auch für<br />

den Stadtraum r<strong>und</strong>um aktiv werden sollen. Tatsache<br />

ist jedoch, dass Modelle wie jenes in Tübingen<br />

zeigen, wie eine sinnvolle Balance erreicht werden<br />

kann – bisher eher im kleinstädtischen Rahmen,<br />

aber die aktuellen Projekte lassen Ähnliches in<br />

Zukunft auch in den Großstädten erwarten. Und<br />

dass das Modell Baugemeinschaft <strong>der</strong> Diversität<br />

<strong>und</strong> Varietät von Stadtentwicklungsgebieten zugute<br />

kommt <strong>und</strong> somit die viel beschworene, aber nicht<br />

leicht realisierte Urbanität för<strong>der</strong>t, kann schwerlich<br />

bestritten werden. �<br />

Elisabeth Lichtenberger,<br />

1925 in Wien geboren,<br />

wurde 1972 als erste Frau<br />

in Österreich auf ein<br />

Ordinariat für Geografie<br />

berufen, 1987 zum wirklichen<br />

Mitglied <strong>der</strong> öaw<br />

gewählt <strong>und</strong> 1999 in die<br />

Kurie für Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Kunst aufgenommen.<br />

Ihre Mitgliedschaften in<br />

<strong>der</strong> Academia Europea,<br />

<strong>der</strong> British Academy, den<br />

Geografischen Gesellschaften<br />

von Österreich,<br />

Ungarn <strong>und</strong> Italien sowie<br />

in <strong>der</strong> Royal Geographic<br />

Society zeugen von ihrem<br />

internationalen<br />

Renommee.<br />

Aristoteles differenzierte<br />

in seiner Naturphilosophie<br />

zwischen inneren<br />

<strong>und</strong> äußeren Ursachen<br />

eines Geschehens. Im<br />

Gegensatz zum Kausalprinzip<br />

werden durch die<br />

causa finalis (Finalursache)<br />

Situationen durch<br />

ihr Ziel o<strong>der</strong> ihren Nutzen<br />

beschrieben.<br />

Durch die causa efficiencia<br />

(Wirkursache) definierte<br />

Aristoteles die<br />

äußere Ursache, wodurch<br />

Verän<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> Stagnation<br />

hervorgerufen<br />

wird.<br />

Mit <strong>der</strong> causa formalis<br />

(Formursache) erklärt<br />

Aristoteles die Ursache<br />

<strong>der</strong> Struktur <strong>und</strong> Form,<br />

die er zu den inneren<br />

Ursachen seiner Naturphilosophie<br />

zählte.<br />

causa materialis (Stoffursache):<br />

Die Beschaffenheit<br />

eines Materials determiniert<br />

den jeweiligen<br />

Einsatz, das Material ist<br />

somit laut Aristoteles<br />

Ursache für einen Gegenstand.<br />

In <strong>der</strong> Präambel <strong>der</strong> am<br />

4. Juli 1776 verabschiedeten<br />

Verfassung <strong>der</strong> usa<br />

ist das Streben nach<br />

Glück als eines <strong>der</strong><br />

unabdingbaren Rechte<br />

jedes Menschen festgehalten.<br />

// „We hold these<br />

truths to be self-evident,<br />

that all men are created<br />

equal, that they are<br />

endowed by their Creator<br />

with certain unalienable<br />

Rights, that among these<br />

are Life, Liberty and the<br />

pursuit of Happiness.“<br />

Wohnraum <strong>und</strong> Gesellschaft |<br />

Vergleichende Reflexionen von Europa <strong>und</strong> den USA<br />

Präambel: Leben <strong>und</strong> Wohnen<br />

Zwei Begriffe: Leben <strong>und</strong> Wohnen, seien an den Anfang gestellt. In <strong>der</strong> Weltsprache<br />

des 21. Jahrhun<strong>der</strong>ts, dem Englischen, fehlt interessanterweise <strong>der</strong> Begriff des<br />

Wohnens, es gibt nur den Begriff des Lebens. An<strong>der</strong>s im Französischen, Spanischen<br />

<strong>und</strong> Italienischen, wo beide Begriffe existieren <strong>und</strong> daneben noch weitere Zeitwörter<br />

für differenzierte Formen des Wohnens in Gebrauch sind.<br />

Damit ist die gr<strong>und</strong>sätzliche Thematik dokumentiert, welche die Herauslösung von<br />

mehreren Tätigkeitsfel<strong>der</strong>n des Menschen aus dem ursprünglich allumfassenden<br />

Begriff des Lebens wi<strong>der</strong>spiegelt. Es geht um den in <strong>der</strong> Stadtplanung hochstilisierten<br />

Begriff <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>daseinsfunktionen von Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Verkehr <strong>und</strong><br />

technischer Infrastruktur <strong>und</strong> die Standorte von Betrieben des sek<strong>und</strong>ären, tertiären<br />

<strong>und</strong> quartären Sektors. Von all diesen Funktionen stellt das Wohnen nur mehr eine,<br />

wenn auch wichtige Funktion dar.<br />

Beginnend mit den antiken Stadtkulturen <strong>und</strong> bis zur Postmo<strong>der</strong>ne herauf entstanden<br />

immer neue Tätigkeitsfel<strong>der</strong> <strong>und</strong> lösten sich aus dem ursprünglich die Gr<strong>und</strong>lage<br />

des Lebens darstellenden Begriff des Wohnens heraus. Sodass in <strong>der</strong> Postmo<strong>der</strong>ne<br />

mit Recht von Häußermann <strong>und</strong> Siebel in <strong>der</strong> Soziologie des Wohnens die Frage<br />

gestellt werden kann: Was ist eigentlich Wohnen heute? Die Antwort verweist auf<br />

das Paradoxon von steigen<strong>der</strong> Wohnfläche – in <strong>der</strong> brd 39 m 2 pro Person–, bei gleichzeitiger<br />

Herausnahme von Aktivitäten wie die Auslagerung <strong>der</strong> Alten <strong>und</strong> Kranken,<br />

die Unterbringung von Kin<strong>der</strong>n in eigenen Krippen <strong>und</strong> Tagesstätten.<br />

Die zunehmende marktkonforme beziehungsweise staatlich gesteuerte Organisation<br />

erfasst immer weitere Lebensbereiche. Ironisch vermerken die Autoren, dass am<br />

Ende eines langen Prozesses, „nur noch <strong>der</strong> Single mit einem Haufen von Sachen<br />

in <strong>der</strong> Wohnung geblieben ist, 1 welche jenseits ihrer Funktionen als austauschbare<br />

Servicestation <strong>und</strong> als Schlafstelle, als Basislager für Klei<strong>der</strong> <strong>und</strong> Freizeitgerät <strong>und</strong><br />

als Relaisstation für Telekommunikation durch wachsende Privatisierung <strong>der</strong><br />

Bedürfnisbefriedigung interessanterweise wie<strong>der</strong> an Bedeutung gewonnen hat“.<br />

Das historische Gegensatzpaar von<br />

Eigenhaus <strong>und</strong> Mietshaus<br />

Die folgenden Ausführungen beschränken<br />

sich auf das historische Gegensatzpaar<br />

von Eigenhaus <strong>und</strong> Mietshaus,<br />

welches auf die antike Stadtkultur<br />

zurückgeht. Bereits in <strong>der</strong> Antike lassen<br />

sich die Prototypen in den griechischen<br />

Stadtstaaten <strong>und</strong> in Rom, <strong>der</strong> Kapitale<br />

des Römischen Imperiums, nachweisen.<br />

Das Eigenhaus<br />

In <strong>der</strong> griechischen Polis war das Haus<br />

des Bürgers ein Eigenhaus, für dessen<br />

Errichtung Aristoteles 2 vier Ursachen<br />

angab: An erster Stelle steht die causa<br />

finalis, d. h. <strong>der</strong> Zweck, zu dem das Haus<br />

erbaut wurde. Damit wird in die Zukunft<br />

hinein gedacht, <strong>und</strong> zwar aus einem<br />

aus <strong>der</strong> Generationsfolge resultierenden<br />

Zeitbegriff. Als wissenschaftliches<br />

Problem entstand daraus die Frage<br />

nach dem gesellschaftlichen Wandel<br />

im baulichen Gehäuse, welche bis zur<br />

Schwelle <strong>der</strong> Gegenwart herauf für<br />

das Verhältnis von Wohnraum <strong>und</strong><br />

Gesellschaft in <strong>der</strong> europäischen<br />

Stadtforschung von zentraler Bedeutung<br />

geblieben ist, <strong>und</strong> zwar aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Tatsache, dass Wohnbauten in den<br />

Städten Europas im Allgemeinen eine<br />

längere Lebensdauer besaßen als die<br />

darin wohnende Bevölkerung.<br />

Die zweite Ursache nach Aristoteles, die<br />

causa efficiencia, umfasst die Aussagen<br />

über die Mittel, d. h. über den Einsatz<br />

von Kapital <strong>und</strong> Arbeits kräften, mit<br />

denen das Haus gebaut wird. Hierbei<br />

bestehen gegenwärtig die größten<br />

Unterschiede zwischen weiten Teilen<br />

Europas, vor allem den ländlichen<br />

Räumen <strong>und</strong> <strong>der</strong> suburbanen Bautätigkeit<br />

in Nordamerika (vgl. unten).<br />

Als dritte Ursache wurde von<br />

Aristoteles die causa formalis, <strong>der</strong><br />

Bauplan, genannt, <strong>der</strong> auswählend die<br />

Materialien bestimmt, die als causa<br />

materialis ebenfalls beim Hausbau<br />

notwendig sind. Bis heute ist <strong>der</strong> Wohnungsbau<br />

in Hinblick auf die Fertigungsverfahren<br />

<strong>und</strong> Baustoffe abhängig von<br />

dem jeweiligen technologischen Stand<br />

<strong>der</strong> Bauwirtschaft <strong>und</strong> <strong>der</strong> Baustoffproduktion.<br />

Stellt man die Konzeption des<br />

Eigenhauses hinein in die jeweilige<br />

soziale Organisation <strong>der</strong> Gesellschaft, so<br />

ist einsichtig, dass in jedem politischen<br />

System die führenden sozialen Schichten<br />

stets am besten ihre Wohnvorstellungen<br />

verwirklichen können. Als Beispiele sind<br />

in diesem Zusammenhang das Bürger -<br />

haus des Mittelalters, <strong>der</strong> barocke Adels -<br />

palast, die grün<strong>der</strong>zeitliche Villa <strong>und</strong><br />

schließlich das repräsentative Eigenhaus<br />

<strong>der</strong> Gegenwart anzuführen.<br />

24 | 25 285<br />

Partizipation als Innovation im Wohnbau Chronik<br />

Diese Identifizierung mit einem eigenen<br />

Haus ist jedoch gr<strong>und</strong>sätzlich im Verlaufe<br />

des Verstädterungsprozesses immer<br />

weniger Menschen möglich geworden.<br />

Derart zieht sich durch die Geschichte<br />

des Städtebaus die Konfrontation von<br />

Eigenhaus <strong>und</strong> Mietshaus, <strong>und</strong> es kann<br />

kein Zweifel darüber bestehen, dass<br />

in den dicht besiedelten Staaten dem<br />

Letzteren die Zukunft gehört.<br />

Ein Vergleich des Einfamilienhauses<br />

in Europa <strong>und</strong> in den USA<br />

Aufgr<strong>und</strong> folgen<strong>der</strong> Parameter bestehen<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche Unterschiede zwischen<br />

<strong>der</strong> Struktur <strong>der</strong> Einfamilienhäuser in<br />

Europa <strong>und</strong> in den usa. 3 Das Demokratieverständnis<br />

<strong>der</strong> usa wird getragen von<br />

<strong>der</strong> Selbstverantwortung des Bürgers,<br />

<strong>der</strong> das Recht auf Freiheit, auf persönliches<br />

Glück, Besitz <strong>und</strong> Privatsphäre für<br />

sich beansprucht. „Der gute Mann steht<br />

allein“ ist die Basisphilosophie für die<br />

Person, „das gute Haus steht allein“ lässt<br />

sich als Übertragung in die Siedlungslandschaft<br />

von Suburbia formulieren.<br />

Getragen von <strong>der</strong> enormen Mobilität <strong>der</strong><br />

Bevölkerung bewegt sich die perfekte<br />

kapitalistische Aufschließungsmaschine<br />

– getragen vom Renditedenken – hinein<br />

in den exurbanen Raum. Dem Zensus von<br />

2000 ist zu entnehmen, dass dieser damals<br />

bereits mit 27 Mio. Wohneinheiten be gonnen<br />

hat, die Kernstädte einzuholen, auf<br />

welche nur mehr 32 Mio. Einheiten entfallen<br />

sind, während in den Suburbs 53 Mio.<br />

Wohneinheiten verzeichnet wurden.<br />

Insgesamt haben sich seit <strong>der</strong><br />

Zwischenkriegszeit Großorganisationen<br />

von Baugesellschaften, Realitätenbüros<br />

<strong>und</strong> Hypothekenbanken um das Eigenhaus<br />

angenommen, ähnlich wie dies vor<br />

1914 beim kontinentaleuropäischen<br />

Mietshaus <strong>der</strong> Fall war.<br />

Das amerikanische Einfamilienhaus<br />

hat keine Funktion im Generationentransfer.<br />

Seine jeweilige Wahl entspricht<br />

dem Status im Lebenszyklus, dem beruflichen<br />

Prestige, dem Lebensstil <strong>und</strong> bei<br />

Familien mit Kin<strong>der</strong>n dem Schulstandort<br />

<strong>und</strong> einer möglichst kurzen Pendlerdistanz<br />

zum Arbeitsplatz, wobei <strong>der</strong> zeitliche<br />

Aufwand auf <strong>der</strong>zeit r<strong>und</strong> 20 Minuten<br />

abgenommen hat.


Im Vorfeld <strong>der</strong> Französischen<br />

Revolution etabliert<br />

sich <strong>der</strong> Begriff des<br />

vierten Standes im Zuge<br />

<strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung nach<br />

Repräsentation einer<br />

gesellschaftlichen<br />

Gruppe, die heute als<br />

Arbeitnehmer bezeichnet<br />

werden würde. Bis<br />

dahin waren lediglich<br />

<strong>der</strong> Adel, Klerus <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

dritte Stand (Großbürgertum,<br />

Handwerkerschaft<br />

bis hin zu den Bauern)<br />

politisch vertreten.<br />

Die Posse „Zu ebener<br />

Erde <strong>und</strong> erster Stock“<br />

mit Gesang von Johann<br />

Nestroy wurde am 24.<br />

September 1835 am<br />

Theater an <strong>der</strong> Wien<br />

uraufgeführt.<br />

Der Begriff <strong>der</strong> Beletage<br />

(von <strong>der</strong> französischen<br />

bel étage) <strong>und</strong> des piano<br />

nobile (erstmals im<br />

Venedig des 12. Jahrhun<strong>der</strong>ts)<br />

etablierte<br />

sich in Österreich in <strong>der</strong><br />

Grün<strong>der</strong>zeit.<br />

Das Einfamilienhaus ist – last not least –<br />

<strong>der</strong> Träger des lokalen Steuersystems.<br />

Die real estate tax beträgt r<strong>und</strong> 60 % des<br />

lokalen Steuersystems.<br />

Ihre Höhe wird in Abhängigkeit<br />

vom Marktwert <strong>der</strong> Häuser jährlich festgelegt<br />

<strong>und</strong> beläuft sich im Durchschnitt<br />

auf 1,5 % desselben. Je höher <strong>der</strong> Durchschnittswert<br />

<strong>der</strong> Eigenhäuser ist, desto<br />

besser können die Schulen ausgestattet<br />

bzw. Polizeischutz gewährleistet werden.<br />

Die Verknüpfung von <strong>der</strong><br />

Immobilienökonomie mit <strong>der</strong> privaten<br />

Pensionsversicherung erklärt auch<br />

das Mitwan<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Mittelschichten<br />

mit steigenden Boden- <strong>und</strong> Immobilienpreisen.<br />

Der massive Einbruch des<br />

Immobilienmarktes durch die aktuelle<br />

Finanzkrise hat daher für den Europäer<br />

kaum vorstellbare Konsequenzen.<br />

Abschließend sei angeführt, dass<br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Leichtestbauweise einer<br />

industriellen Massenproduktion aus Holz<br />

die Lebenszeit <strong>der</strong> Bauten wesentlich<br />

kürzer ist als in Europa <strong>und</strong> eine soziale<br />

Abwertung nach wenigen Jahrzehnten<br />

zur Regel gehört.<br />

Das europäische Eigenhaus<br />

unterscheidet sich in nahezu allen<br />

Aussagen vom amerikanischen. In Konti-<br />

nentaleuropa fehlen Großorganisationen<br />

<strong>der</strong> Finanzierung <strong>und</strong> Vermarktung. Die<br />

Fertigung durch relativ kleine Baubetriebe<br />

beherrscht nach wie vor die Szene.<br />

Fertighäuser gibt es zwar, sie sind jedoch<br />

noch nicht marktbeherrschend.<br />

Nicht ökonomische Variable wie Eigentumsbegriff<br />

<strong>und</strong> Generationsdenken<br />

stehen vielfach noch bei <strong>der</strong> Errichtung<br />

von Einfamilienhäusern im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>.<br />

Sie bestimmen auch das Investitionsverhalten<br />

bei Reparaturen, Erneuerung,<br />

Um- <strong>und</strong> Ausbauten, das renditefreudigen<br />

Amerikanern nur Kopfschütteln abringen<br />

kann, da die Frage, ob die Investitionen den<br />

Verkaufswert des Hauses steigern, kaum<br />

gestellt wird. Dieses fehlende Renditedenken<br />

zeigt sich beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Gastar -<br />

beiterperipherie Europas von Portugal<br />

bis Südosteuropa <strong>und</strong> bis in die Ukraine<br />

hinein, wo von den Gastarbeitern an<br />

<strong>der</strong> Peripherie großer Städte, aber auch<br />

in abgelegenen Gebieten in jahrelanger,<br />

mühevoller Arbeit sehr geräumige<br />

Einfamilienhäuser errichtet werden,<br />

<strong>der</strong>en Erbauer, wenn überhaupt, erst<br />

im Rentenalter zurückkehren. Aufgr<strong>und</strong><br />

dieses traditionellen Verhaltens<br />

besteht bisher ein gr<strong>und</strong>sätzlicher<br />

Unterschied zur nordamerikanischen<br />

Situation insofern, als die Errichtung<br />

von Einfamilienhäusern mit einer<br />

Immobilisierung <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

verb<strong>und</strong>en ist.<br />

Infolge <strong>der</strong> Substitution von<br />

Kapital durch Arbeitskraft in großen<br />

Teilen Europas, vor allem außerhalb<br />

<strong>der</strong> Stadtregionen, ist es verständlich,<br />

dass die Größe <strong>der</strong> neu erbauten<br />

Einfamilienhäuser in keinem Zusam-<br />

menhang mit <strong>der</strong> Wirtschaftskraft des<br />

jeweiligen Staates steht. Man ist<br />

daher immer wie<strong>der</strong> überrascht von<br />

den beachtlichen Dimensionen<br />

von Einfamilienhäusern bis tief in die<br />

Ukraine hinein.<br />

In manchen Teilen Europas konnte<br />

das Einfamilienhaus auch zusätzliche<br />

Funktionen gewinnen wie in den<br />

österreichischen Alpen für den Fremden-<br />

verkehr o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik durch<br />

Errichtung von Einliegerwohnungen,<br />

welche vermietet werden. In Hinblick auf<br />

den Standort son<strong>der</strong>n sich Kleinstädte<br />

<strong>und</strong> Pendlerdörfer noch immer durch<br />

das Vorherrschen des Einfamilienhauses<br />

von den großen Agglomerationen ab, in<br />

denen die Ausbreitung einer Einfamilienhausperipherie<br />

im Großen <strong>und</strong> Ganzen<br />

abgestoppt ist.<br />

Das Mietshaus<br />

Die Konzeption des Mietshauses verbindet<br />

sich in <strong>der</strong> generellen Vorstellung<br />

mit <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong>zeit. Diese Auffassung ist<br />

jedoch zu revidieren, da die Anfänge des<br />

Mietshauses in Abhängigkeit von <strong>der</strong><br />

Stadtgröße bereits an die Wende vom<br />

Mittelalter zur Neuzeit zurückreichen.<br />

Dieses ältere Mietshauswesen hatte<br />

allerdings in erster Linie den Wohnungsbedarf<br />

des bürgerlichen Mittelstandes<br />

zu befriedigen, während ab <strong>der</strong> Mitte des<br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>ts mit <strong>der</strong> Industrialisierung<br />

<strong>und</strong> sprunghaft steigenden Verstädterung<br />

<strong>der</strong> „vierte Stand“ in die Schar <strong>der</strong><br />

Wohnungssuchenden eingerückt ist. Die<br />

traditionellen Haushaltsgemeinschaften,<br />

bei denen <strong>der</strong> Gewerbeherr für die Unterbringung<br />

seiner Gehilfen <strong>und</strong> Lehrlinge<br />

verantwortlich war, lösten sich mehr <strong>und</strong><br />

mehr auf. Dem massenhaft steigenden<br />

Wohnungsbedarf konnte auch die Zunft<br />

des Baugewerbes nicht mehr genügen.<br />

Baugesellschaften bildeten sich <strong>und</strong><br />

erschlossen das Gelände, ein Heer von<br />

Agenten fungierte als Zuträger <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>stücke,<br />

Hypothekenbanken übernahmen<br />

die Finanzierung. Der kapitalistische<br />

Wohnungsmarkt setzte die Spielregeln<br />

für die Wohnungswirtschaft. Der Hausbesitz<br />

wurde zur günstigen Kapitalanlage<br />

breiter Schichten des Bürgertums.<br />

Hohe Mieten, hohe Mobilität <strong>der</strong> Mieter<br />

<strong>und</strong> das berüchtigte Wort von den<br />

„Großstadtnomaden“ kennzeichnete die<br />

an<strong>der</strong>e Seite des Systems, in dem in den<br />

Arbeiterbezirken <strong>der</strong> großen Städte ein<br />

Drittel <strong>der</strong> Mieter jährlich die Wohnung<br />

zu wechseln hatte. Standardisierte <strong>und</strong><br />

sozial differenzierte Mietshaustypen<br />

entstanden. Die Hauptstädte Paris, Wien<br />

<strong>und</strong> Berlin schufen sie. Von hier breiteten<br />

sie sich dann über das Netz <strong>der</strong> Groß- <strong>und</strong><br />

Mittelstädte aus.<br />

Das französische Modell <strong>der</strong> Wohnklassengesellschaft<br />

verdient in diesem<br />

Zusammenhang unser Interesse, welches<br />

über die Wohnkarrieren von Angehörigen<br />

des oberen Bürgertums, <strong>der</strong> Mittelschicht<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Arbeiterklasse informiert, wobei<br />

drei Stufen des potenziellen Aufstieges in<br />

<strong>der</strong> Wohnkarriere angegeben sind: 4 Hölle,<br />

Fegefeuer <strong>und</strong> Paradies. Die Gr<strong>und</strong>schicht<br />

<strong>und</strong> die Oberschicht weisen die erstaunliche<br />

Gemeinsamkeit auf: in einem freistehenden<br />

Haus <strong>und</strong> zwar einerseits in<br />

einem schlichten Einfamilienhaus <strong>und</strong><br />

an<strong>der</strong>erseits in einer schlossartigen Villa<br />

ihr Wohnideal zu sehen, während die<br />

Mittelschicht das gut ausgestattete, von<br />

<strong>der</strong> Straße zurückgerückte mehrgeschoßige<br />

Apartmenthaus als ideale Wohnform<br />

bevorzugt. 5<br />

Die vertikale soziale Differenzierung<br />

im kontinentaleuropäischen<br />

Mietshaus des frühen 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

ist durch die Nestroysche Posse „Zu<br />

ebener Erde <strong>und</strong> Erster Stock“ in die<br />

Literaturgeschichte eingegangen. Sie<br />

kennzeichnete nicht nur Wien, son<strong>der</strong>n<br />

das kontinentaleuropäische Mietshaus<br />

schlechthin. Die Zeichnung eines<br />

französischen Mietshauses um die Mitte<br />

des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts bietet dafür eine<br />

vorzügliche Illustration. 6 Demnach übte<br />

<strong>der</strong> Concierge, <strong>der</strong> Hausbesorger, <strong>der</strong> im<br />

Erdgeschoß wohnte, eine Kontrolle über<br />

die ein- <strong>und</strong> ausgehenden Personen aus<br />

<strong>und</strong> war über das Privatleben <strong>der</strong> Mieter<br />

bestens informiert. Im Erdgeschoß<br />

befand sich ferner ein Wohnladen mit<br />

angeschlossener Wohnung. Der erste<br />

Stock war als Beletage dem Hausbesitzer<br />

vorbehalten, <strong>der</strong> den Repräsentationsstil<br />

des einstigen französischen Adels<br />

übernommen hatte <strong>und</strong> als „Kapitalist“<br />

von den Mieteinnahmen seiner<br />

Mietshäuser lebte. Auch im zweiten Stock<br />

waren noch Wohnungen für etwas<br />

bescheidenere bürgerliche Familien, im<br />

dritten Stock sieht man, dass ein Mieter<br />

gerade vom Verwalter den Kündigungsbrief<br />

erhält, im vierten Stock haben arme<br />

Leute <strong>und</strong> Künstler ihr „Obdach“.<br />

1 Hartmut Häußermann,<br />

Walter Siebel (1996),<br />

Soziologie des Wohnens,<br />

Weinheim <strong>und</strong><br />

München, S. 14.<br />

2 aristoteles (1958),<br />

Politik, übersetzt von<br />

Eugen Rolfes, 3.Auflage,<br />

Philosophische Bibliothek<br />

7, Hamburg.<br />

3 Elisabeth Lichtenberger<br />

(2002), Die Stadt,<br />

Von <strong>der</strong> Polis zur Metropolis,<br />

Darmstadt,<br />

S. 281 ff.<br />

1853 löste Elisha Graves<br />

Otis, Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Otis<br />

Elevator Company, mit<br />

<strong>der</strong> Präsentation des<br />

ersten absturzsicheren<br />

Aufzugbaus den flächendeckenden<br />

Einsatz von<br />

Personenliften in Gebäuden<br />

in den USA aus.<br />

Erst mit <strong>der</strong> Vorstellung<br />

des ersten elektrischen<br />

Lifts in Mannheim<br />

1880 durch Werner von<br />

Siemens (siehe Abbildung<br />

oben) sollte sich<br />

diese Entwicklung auch<br />

in Europa wie<strong>der</strong>holen.<br />

gentrification (im<br />

Deutschen auch Gentrifizierung)<br />

– <strong>der</strong> Begriff<br />

wurde 1964 durch eine<br />

Publikation von Ruth<br />

Glass, einer britischen<br />

Stadtsoziologin, geprägt<br />

<strong>und</strong> leitet sich von <strong>der</strong><br />

britischen Bezeichnung<br />

des niedrigen Adels<br />

(gentry) ab. Glass beschrieb<br />

damit den<br />

Zuzug wohlhaben<strong>der</strong><br />

Mittelklassefamilien in<br />

den ursprünglich ökonomisch<br />

schwachen<br />

Londoner Stadtteil<br />

Islington. Heute wird<br />

unter dem Begriff<br />

allgemein ein sozioökonomischer<br />

urbaner<br />

Umstrukturierungsprozess<br />

verstanden,<br />

<strong>der</strong> durch den Zuzug<br />

ökonomisch stärkerer<br />

Bevölkerungsgruppen<br />

in bis dahin schwach<br />

entwickelte Stadtteile<br />

charakterisiert wird.<br />

Als les grands ensembles<br />

werden die ab den<br />

1950er-Jahren erbauten<br />

suburbanen Großwohnsiedlungenfranzösischer<br />

Städte bezeichnet,<br />

die 2005 durch die<br />

Unruhen in den Banlieues<br />

international<br />

traurige Bekanntheit<br />

gewannen.<br />

4 Duby G. (1985), Histoire<br />

de la France urbaine. La<br />

ville aujourd’hui, Paris,<br />

Bd. 5, S. 452.<br />

5 Elisabeth Lichtenberger<br />

(2002), Die Stadt,<br />

S. 241/242.<br />

6 Benevolo (1993), Die<br />

Geschichte <strong>der</strong> Stadt,<br />

7. Auflage<br />

7 Elisabeth Lichtenberger<br />

(2002), Wem gehört<br />

die 3. Dimension <strong>der</strong><br />

Stadt? Mitt. Österr.<br />

Geogr. Ges. 143. Jg,<br />

Wien S. 7 – 34.<br />

8 Die Stadt, S. 284.<br />

Die Drehung des Sozialprofils im<br />

Mietshaus des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts 7<br />

Erst <strong>der</strong> Aufzugbau hat eine Egalisierung<br />

<strong>der</strong> Geschoße gebracht, <strong>und</strong> die Verkehrs-<br />

<strong>und</strong> Umweltbelastung <strong>der</strong> letzten Jahrzehnte<br />

hat schließlich zu einer Drehung<br />

des Sozialprofils geführt. Gegenwärtig<br />

erfolgt eine gewisse Polarisierung<br />

zwischen Verfallsphänomenen im<br />

Erdgeschoß <strong>und</strong> „gentrification“ mittels<br />

penthouseartiger Strukturen im Dachgeschoß.<br />

Diese Akzentuierung <strong>der</strong> sehr<br />

differenzierten Bewertung <strong>der</strong> einzelnen<br />

Geschoße geht Hand in Hand mit sozialen<br />

<strong>und</strong> ethnischen Segregationsvorgängen<br />

in <strong>der</strong> Miethausstruktur von Großstädten.<br />

Mieter aus sozial schwachen Gruppen im<br />

Erdgeschoß reflektieren die Effekte des<br />

traffic blight, während an<strong>der</strong>erseits das<br />

Paradoxon besteht, dass die „ökologisch<br />

orientierte Subventionspolitik“ einer<br />

sozialdemokratischen Stadtverwaltung<br />

für den Dachausbau <strong>und</strong> die Anlage von<br />

Dachgärten indirekt Bezieher höherer<br />

Einkommen privilegiert.<br />

Vom Mietshaus zur Wohnanlage: Ein<br />

Vergleich <strong>der</strong> USA mit Europa<br />

Das kontinentaleuropäische Mietshaus<br />

des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts ist nicht nach<br />

Nordamerika ausgewan<strong>der</strong>t. Mietshäuser<br />

treten dort überhaupt erst spät,<br />

nämlich in <strong>der</strong> Zwischenkriegszeit auf,<br />

einerseits beeinflusst von den großen<br />

City-Apartmenthäusern in London,<br />

an<strong>der</strong>erseits vom sozialen Wohnungsbau<br />

in Wien. Gleichzeitig begann eine<br />

soziale Polarisierung, d. h. die wirklich<br />

Reichen <strong>und</strong> die wirklich Armen zählten<br />

<strong>und</strong> zählen zu den Bewohnern. Beispiele<br />

für Erstere finden sich im Anschluss an<br />

die Downtowns wie längs <strong>der</strong> Gold Coast<br />

in Chicago, rings um den Central Park in<br />

New York, auf dem Russian Hill in San<br />

Francisco <strong>und</strong> an<strong>der</strong>erseits in Suburbs<br />

wie in den Cleveland Heights. Freilich ist<br />

dieser Typ <strong>der</strong> luxuriösen Apartmenthäuser<br />

auf einige wenige Weltstädte<br />

<strong>und</strong> Millionenstädte beschränkt<br />

geblieben. Das an<strong>der</strong>e Extrem stellen<br />

die Massenmietshäuser des sozialen<br />

Wohnbaus dar, die im Zuge des urban<br />

renewal entstanden.<br />

Die Bautradition des zur Straße<br />

ausgerichteten kontinentaleuropäischen<br />

Mietshauses <strong>und</strong> <strong>der</strong> Reihenhausverbauung<br />

ist mit dem Ersten Weltkrieg<br />

ebenso abgerissen wie das kapitalistische<br />

System <strong>der</strong> Bauträger. Doch haben<br />

in den sozialen Wohlfahrtsstaaten<br />

Europas große öffentliche Kapitalgeber<br />

sich des Mietshauses in <strong>der</strong> neuen Form<br />

<strong>der</strong> Wohnanlage angenommen.<br />

26 | 27 285<br />

Chronik Chronik<br />

Über den sozialen Wohnungsbau <strong>der</strong><br />

Zwischenkriegszeit reicht die Entwicklung<br />

herauf bis zum schwedischen<br />

Modell <strong>der</strong> Satellitenstädte mit Großwohnanlagen.<br />

Die zweite Hälfte des 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts war über Europa hinweg in<br />

allen großen Städten durch einen breiten<br />

Vormarsch des Mietshauses einschließlich<br />

<strong>der</strong> neuen Form des Eigentumswohnbaus<br />

gekennzeichnet. Im Hinblick auf<br />

die bereits erreichten Dimensionen <strong>der</strong><br />

Wohnblöcke am Stadtrand stehen die<br />

grands ensembles in Frankreich in<br />

größenmäßiger Parallele zu den Wohnanlagen<br />

in den Metropolen <strong>der</strong> ehemaligen<br />

Ostblockstaaten, Ostberlin, Prag,<br />

Budapest, Belgrad, Bukarest <strong>und</strong> Sofia.<br />

Nur in Hinblick auf die Wohnungsgröße<br />

besteht ein West- Ost- Gefälle, das von<br />

vier Zimmern in Paris-Sarcelles, über drei<br />

Zimmer in Frankfurt <strong>und</strong> Berlin bis zu<br />

zwei Zimmern in den Oststaaten reicht.<br />

Im Großen <strong>und</strong> Ganzen hat sich in<br />

<strong>der</strong> Nachkriegszeit die Entwicklung <strong>der</strong><br />

Grün<strong>der</strong>zeit wie<strong>der</strong>holt, als man die Unterbringung<br />

<strong>der</strong> massenhaft vom Land in die<br />

Stadt ziehenden Bevölkerung nur mittels<br />

Mietskasernen bewältigen konnte.<br />

Eine Beson<strong>der</strong>heit Europas bildet<br />

das Zweitwohnungswesen. 8 Von <strong>der</strong><br />

Villa des Römischen Reiches führt die Linie<br />

herauf zur Villa <strong>der</strong> Renaissance in <strong>der</strong><br />

Toskana, zu den barocken Sommerschlössern<br />

des Adels, den Landhäusern <strong>der</strong><br />

bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />

In <strong>der</strong> Nachkriegszeit haben die<br />

Niedrigmietenpolitik <strong>und</strong> <strong>der</strong> staatliche<br />

Wohnungsbau in den sozialistischen<br />

Län<strong>der</strong>n die Doppelung <strong>der</strong> Wohnstandorte<br />

mit <strong>der</strong> Arbeitswohnung im städtischen<br />

Mietshaus <strong>und</strong> dem Freizeitwohnsitz,<br />

<strong>der</strong> Datscha, im ländlichen Raum mit<br />

subventioniert. Neuerdings mit dem<br />

Begriff „Multilokalität“ ausgestattet, hat<br />

sich damit ein neuer Lebensstil in breiten<br />

Bevölkerungsschichten verankert. Die<br />

Zweitwohnungsperipherie um die großen<br />

Städte kann als das europäische Pendant<br />

zur Exurbanisierung in Nordamerika<br />

aufgefasst werden.


Meine Entscheidung:<br />

Bewusst bauen mit Sto-Fassadendämmsystemen.<br />

Eine Sto-Fassade ist mehr als das Gesicht eines<br />

Hauses. Sie beeindruckt auf den ersten Blick durch<br />

Ästhetik <strong>und</strong> weckt Lust auf mehr. Wer aber ihre<br />

inneren Werte kennt, weiß, was perfekte Fassaden<br />

ausmacht: Top-Qualität, innovative Technologien,<br />

perfekte Abstimmung von Systemen <strong>und</strong> Zubehör,<br />

erstklassige Beratung <strong>und</strong> umfassen<strong>der</strong> Service.<br />

An meine Fassade kommt nur Sto – das Beste.<br />

Die technischen Belange des mo<strong>der</strong>nen Holzbaues<br />

werden im Eurocode 5<br />

(ÖNORM EN 1995-1-1 <strong>und</strong> B 1995-1-1) geregelt.<br />

Die umfassende Erforschung des Baustoffes Holz <strong>der</strong><br />

letzten Jahrzehnte <strong>und</strong> bahnbrechende Entwicklungen<br />

in <strong>der</strong> Verbindungstechnik finden im Regelwerk<br />

ihren Ausdruck.<br />

Im Gegensatz zu Fachbüchern folgt <strong>der</strong> Inhalt dieses<br />

Arbeitsheftes strikt <strong>der</strong> Nummerierung des Normentextes.<br />

> Punkte, für die im Anhang Regelungen getroffen<br />

werden, sind zur besseren Übersicht direkt im<br />

laufenden Text eingearbeitet.<br />

> Die einzelnen fachlichen Regelungen werden<br />

durch erklärende Zeichnungen, Diagramme <strong>und</strong><br />

Hinweise auf weiterführende bzw. abweichende<br />

Regelungen (z. B. in <strong>der</strong> DIN) kommentiert.<br />

> Einige Formeln können mithilfe von kostenlosen<br />

ECXEL-Programmen berechnet werden.<br />

Die Inhalte richten sich gleichermaßen an:<br />

> Ziviltechniker <strong>und</strong> Ingenieure,<br />

> planerisch tätige, Holz verarbeitende Betriebe<br />

wie Zimmereien <strong>und</strong> Holzleimbaufirmen<br />

> <strong>und</strong> den gesamten Ausbildungsbereich.<br />

Insgesamt sollen mit dieser Arbeitshilfe diese<br />

wesentlichen Ziele erreicht werden:<br />

> Sinn erfassendes Arbeiten<br />

> sichere Anwendungen <strong>der</strong> Regeln<br />

> Vermeidung von Rechenfehlern<br />

> rationelles Arbeiten<br />

> Stärkung des Baustoffes Holz durch die gr<strong>und</strong>legende<br />

Vereinfachung in <strong>der</strong> Planung<br />

Diese Publikation ist in <strong>der</strong><br />

Service-GmbH <strong>der</strong> WKO erhältlich:<br />

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Vom Superblock zur Überstadt – Das Modell<br />

Wiener Wohnbau<br />

Der Wiener Wohnbau ist seit Jahrzehnten wichtiger<br />

Bestandteil sozialdemokratischer Stadtpolitik. In <strong>der</strong><br />

aktuellen Krise gerät das Modell jedoch unter Druck:<br />

Fehlende soziale Treffsicherheit <strong>und</strong> zu hohe Kosten<br />

werden beklagt. Ist das Erfolgsmodell Wiener Wohnbau<br />

überholt?<br />

dérive #46 widmet sich dem Wohnbau als Sozialpolitik:<br />

Entwicklungsgeschichte, medialer Diskurs,<br />

Interviews, Analyse, Alternativmodelle, Glossar.<br />

Weiters: Gentrifizierung, Nachruf Hartmut Häußermann,<br />

Guy Debord, Stadt <strong>und</strong> Angst, Kunstinsert<br />

Sonia Leimer, Besprechungen.<br />

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Heft 46: Vom Superblock zur Überstadt<br />

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Gründungsfest!<br />

Architektur ohne Grenzen <strong>Austria</strong><br />

Bauen innerhalb <strong>der</strong> internationalen Entwicklungszusammenarbeit<br />

Wann 18.4.2012, 19:00 Uhr<br />

Wo Architekturzentrum Wien, Museumsplatz 1<br />

im MQ, 1070 Wien<br />

Wer Gruppe Architektur ohne Grenzen <strong>Austria</strong><br />

Und wer noch Karoline Mayer, Az W; G<strong>und</strong>a Maurer,<br />

Grün<strong>der</strong>in AoGA; Dick Urban Vestbro, Generalsekretär<br />

ASF International; Martin Rauch, Experte Lehmbau;<br />

Helena Sandman, Hollmen Reuter Sandman architects,<br />

Finnland; Brigitte Öppinger-Walchshofer, Geschäftsführerin<br />

ADA; Fritz Oettl, str. Vorsitzen<strong>der</strong><br />

AoGA; Carl Pruscha, Architekt; Andrea Rieger-Jandl,<br />

Prof. für kulturvergleichende Architekturgeschichte,<br />

TU Wien; Elke Krasny, Kulturtheoretikerin<br />

Architektur ohne Grenzen <strong>Austria</strong> wurde Ende 2010<br />

als Teil des internationalen Netzwerkes architecture<br />

sans frontières international gegründet. Die<br />

10-köpfige interdisziplinäre Gruppe arbeitet nunmehr<br />

an <strong>der</strong> Umsetzung von Bauprojekten innerhalb <strong>der</strong><br />

internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Auf -<br />

bauend auf Forschungsergebnissen in <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Region werden Möglichkeiten entwickelt, lokales<br />

Bauhandwerk, anonyme Bautradition, Technik<br />

<strong>und</strong> Ökologie in eine zeitgemäß gebaute Form zu<br />

übertragen. Damit leistet sie einen Mehrwert im<br />

Hinblick auf Lebensdauer, Umwelt, Energie, Komfort<br />

<strong>und</strong> Wirtschaftlichkeit. Durch das Zusammenspiel<br />

dieser Aspekte entsteht innovative Architektur = die<br />

Schaffung einer menschenwürdigen Lebensform.<br />

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monatlich einen Vortragsabend zu den Themen des<br />

Vergabe- <strong>und</strong> Baurechts mit den Top-Vergabeexperten<br />

Österreichs<br />

jeweils Donnerstag ab 17 Uhr<br />

Ort: 1010 Wien, Bartensteingasse 2 (3. Stock),<br />

Vortragssaal<br />

Keine Teilnahmegebühr<br />

Beginn <strong>der</strong> Vortragsreihe:<br />

29. März 2012, 17 Uhr<br />

„Aktuelle Neuerungen im Vergaberecht“<br />

mit Fruhmann (B<strong>und</strong>eskanzleramt)<br />

Weitere Informationen <strong>und</strong> Programm:<br />

Schramm Öhler Rechtsanwälte OG<br />

1010 Wien, Bartensteingasse 2<br />

Tel +43 (0)14097609<br />

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Am 1. <strong>und</strong> 2. Juni 2012 finden zum sechsten Mal die Architekturtage in ganz Österreich statt <strong>und</strong> laden unter<br />

dem Motto „an<strong>der</strong>s als geWohnt“ wie<strong>der</strong> zu einem außergewöhnlichen Architekturereignis ein! Ein umfang-<br />

reiches Programm bietet vielfältige Möglichkeiten, Architektur, mit einem Schwerpunkt im Bereich ‚Wohnen’,<br />

hautnah zu erleben, Neues zu entdecken <strong>und</strong> Ungewöhnliches zu verstehen.<br />

Ein Projekt <strong>der</strong> <strong>Kammer</strong>n <strong>der</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>und</strong> Ingenieurkonsulenten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Architekturstiftung Österreich<br />

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Über welche Befugnis(se) verfügen Sie? Sind Sie<br />

persönlich ArchitektIn o<strong>der</strong> IngenieurkonsulentIn?<br />

ezt / zt-Gesellschaften – Anzahl <strong>der</strong> Betriebe (absolut),<br />

Netto-Umsatz <strong>und</strong> Brutto-Jahresgewinn 2009 (in Euro)<br />

5.000<br />

4.500<br />

4.000<br />

3.500<br />

3.000<br />

2.500<br />

2.000<br />

1.500<br />

1.000<br />

500<br />

0<br />

4.440<br />

(4.215 / 2010)<br />

Total<br />

IngenieurkonsulentInnen<br />

ArchitektInnen<br />

1.706<br />

(1.608 / 2010)<br />

281.344.000 €<br />

(332.821.000 € / 2009)<br />

Wirtschaftliche Standortbestimmung <strong>der</strong> Branche<br />

2.751<br />

(2.607 / 2010)<br />

143.366.000 €<br />

(156.965 .000 € / 2009)<br />

Durchgeführt von Triconsult im Auftrag <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eskammer <strong>der</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>und</strong><br />

Ingenieurkonsulenten (bAIK), erschienen im Januar 2012<br />

Ende 2011 untersuchte Triconsult bereits zum dritten Mal<br />

im Auftrag <strong>der</strong> bAIK den aktuellen Status <strong>der</strong> Architekt-<br />

Innen (A) <strong>und</strong> IngenieurkonsulentInnen (IK). Die TeilnehmerInnen<br />

<strong>der</strong> Umfrage (geglie<strong>der</strong>t in zwei Zielgruppen:<br />

<strong>Kammer</strong>mitglie<strong>der</strong> mit aktiver Befugnis <strong>und</strong> zt-Gesellschaften)<br />

beantworteten auch in diesem Jahr Fragen zu<br />

den Themenfel<strong>der</strong>n: Umsatz, Kosten <strong>und</strong> Ertrag, Beschäftigte<br />

<strong>und</strong> St<strong>und</strong>ensätze, zu Kalkulationsmethoden <strong>und</strong><br />

ihrer Teilnahme an Wettbewerben. Neu eingeführt wurde<br />

2011 <strong>der</strong> Fragenkomplex zum Thema <strong>der</strong> Einglie<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Wohlfahrtseinrichtungen in die fsvg. In diesem<br />

Zusammenhang wurde auch die Verteilung <strong>der</strong> we-Beiträge<br />

als Kontrollgruppe erhoben, was eine Reduzierung<br />

<strong>der</strong> Umsatzzahlen gegenüber den Vorjahren mit sich<br />

brachte. Auch in diesem Jahr wurden die Ergebnisse auf<br />

<strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> <strong>Kammer</strong>mitglie<strong>der</strong> pro B<strong>und</strong>esland<br />

Wie hoch war Ihr Jahresgewinn/ Jahresverlust 2010<br />

aus Ihrem Büro/ Unternehmen – vor Steuern ?<br />

139.522.000 €<br />

(179.290.000 € /2009)<br />

789.787.000 €<br />

(1.162.982.000 € / 2009)<br />

974.448.000 €<br />

(968.709.000 € / 2009)<br />

Wie hoch war <strong>der</strong> Netto-Umsatz (ohne USt)<br />

Ihres Büros / Unternehmens im Jahr 2010 ?<br />

1.756.099.000 €<br />

(2.121.935.000 € / 2009)<br />

gewichtet <strong>und</strong> auf die Mitglie<strong>der</strong>zahlen hochgerechnet.<br />

Eine Zusammenfassung <strong>der</strong> aktuellen Standortbestimmung<br />

finden Sie auf den folgenden Seiten. Für die Gesamtsicht<br />

haben wir die Ergebnisse von Einzelziviltechniker-<br />

Innen (ezt) <strong>und</strong> zt-Gesellschaften gemeinsam dargestellt.<br />

Umsatz, Kosten <strong>und</strong> Ertrag<br />

In Summe erwirtschaften 4440 Betriebe (1706 IK <strong>und</strong><br />

2751 A) knapp 1,8 Mrd. Euro Umsatz im Jahr 2010. Die<br />

IngenieurkonsulentInnen sind daran mit knapp einer<br />

Milliarde Euro beteiligt, die ArchitektInnen mit knapp<br />

800 Mio. Euro. Allerdings überwiegt <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Büros,<br />

die Umsätze verloren haben, die Gewinner deutlich.<br />

In Summe erzielen die Betriebe (zt-Gesellschaften <strong>und</strong><br />

ezt zusammen) einen Bruttojahresgewinn von r<strong>und</strong><br />

281 Mio. Euro. 145 Mio. Euro davon entfallen auf Inge-<br />

ezt / zt-Gesellschaften – Anzahl <strong>der</strong> Beschäftigten 2011 (aktuell),<br />

Anteil an Anwesenheitsst<strong>und</strong>en 2010 (in Prozent)<br />

Wie viele Personen arbeiten in Ihrem Büro ?<br />

nieurkonsulent Innen <strong>und</strong> 140 Mio. Euro auf Architekt-<br />

Innen. Von den befragten ezt weisen 2010 bei den<br />

Inge nieurkonsulentInnen nur noch 86 % (nach 91,3 % im<br />

Jahr 2009) einen Gewinn auf. Bei den ArchitektInnen sind<br />

es relativ konstante 82,4 % mit Gewinn. zt-Gesellschaften<br />

machen bei den IngenieurkonsulentInnen in 87,7 % <strong>der</strong><br />

Fälle Gewinn, bei den ArchitektInnen beträgt <strong>der</strong> Anteil<br />

86,6 % . Im Verlustfall sind es knapp mehr als 30.000 Euro<br />

pro Gesellschaft.<br />

Beschäftigte <strong>und</strong> St<strong>und</strong>ensätze<br />

Die Branche beschäftigt 2010 knapp 24.000 Menschen.<br />

Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das sowohl bei IngenieurkonsulentInnen<br />

als auch ArchitektInnen leichte<br />

Personalzuwächse, die sich insgesamt auf ca. 600 Mit arbeiterInnen<br />

summieren. Nach Angaben <strong>der</strong> Befragten<br />

Welcher Anteil <strong>der</strong> Anwesenheitsst<strong>und</strong>en<br />

entfällt auf … verrechenbare St<strong>und</strong>en ? … externe bzw. interne Schulung ?<br />

können IK erneut r<strong>und</strong> 73 % <strong>der</strong> Anwesenheitsst<strong>und</strong>en<br />

verrechnen, ArchitektInnen etwa 71 % (was einer leichten<br />

Steigerung entspricht). Auf Schulungen entfallen r<strong>und</strong><br />

7 % (IK) bzw. 6 % (A). An<strong>der</strong>e nicht verrechenbare St<strong>und</strong>en<br />

machen bei IngenieurkonsulentInnen ein Fünftel <strong>der</strong><br />

Anwesenheitsst<strong>und</strong>en aus, bei ArchitektInnen wie<strong>der</strong><br />

aber fast ein Viertel. Die Nettost<strong>und</strong>ensätze (im Jahr 2009)<br />

sind bei IngenieurkonsulentInnen – wie auch in den Vor -<br />

jahren – in allen Qualifikationsstufen höher als bei Architekt-<br />

Innen. Im Schnitt beträgt <strong>der</strong> Nettost<strong>und</strong>ensatz für zt<br />

80 Euro, technische AkademikerInnen werden mit 73 Euro<br />

verrechnet (5 Euro mehr als 2010), an<strong>der</strong>e Akademiker-<br />

Innen mit 72 Euro (plus 6 Euro) <strong>und</strong> Techniker Innen ohne<br />

akademischen Abschluss mit 58 Euro (plus 3 Euro). Die<br />

St<strong>und</strong>ensätze sind damit in Jahresfrist bei den MitarbeiterInnen<br />

deutlich stärker gestiegen als bei den zt selbst.<br />

32 | 33 285<br />

Wirtschaftliche Standortbestimmung <strong>der</strong> Branche Wirtschaftliche Standortbestimmung <strong>der</strong> Branche<br />

24.000<br />

22.000<br />

20.000<br />

18.000<br />

16.000<br />

14.000<br />

12.000<br />

10.000<br />

8.000<br />

6.000<br />

4.000<br />

2.000<br />

0<br />

23.639<br />

Total<br />

Ingenieurkonsulenten<br />

<strong>Architekten</strong><br />

11.189<br />

12.541<br />

72,5%<br />

Netto-Umsatzentwicklung (in Prozent) Ziviltechnikergesellschaften<br />

Wird <strong>der</strong> Netto-Umsatz 2011 höher,<br />

gleich hoch o<strong>der</strong> niedriger sein als 2010?<br />

2010 – 2011<br />

2009 – 2010<br />

3,4 %<br />

3,2 %<br />

6,7%<br />

1,1 % 5,1 %<br />

1,0% 4,9 %<br />

War <strong>der</strong> Netto-Umsatz 2010 höher,<br />

gleich hoch o<strong>der</strong> niedriger als 2009?<br />

20,9%<br />

70,8%<br />

5,9%<br />

EinzelziviltechnikerInnen<br />

… an<strong>der</strong>e nicht verrechenbare St<strong>und</strong>en ?<br />

(Urlaub, Krankenstand, Administration etc.)<br />

23,4%<br />

3,9 % 1,6 % 5 %<br />

1,9 % 3,8 %<br />

0,5 %<br />

0 %<br />

0 %


2.000<br />

1.800<br />

1.600<br />

1.400<br />

1.200<br />

1.000<br />

800<br />

600<br />

400<br />

200<br />

0<br />

ezt / zt-Gesellschaften – Teilnehmer <strong>und</strong> Teilnahmen<br />

an Wettbewerben 2010 (absolut),<br />

St<strong>und</strong>enaufwand für Wettbewerbe 2010 (absolut in Std.)<br />

Total<br />

IngenieurkonsulentInnen<br />

ArchitektInnen<br />

Hat Ihr Büro / Unternehmen 2010<br />

an Wettbewerben teilgenommen ?<br />

1.654<br />

(1.868 / 2009)<br />

6.631<br />

(7.741 / 2009)<br />

193<br />

(236/ 2019)<br />

1.326<br />

(1.893 / 2009)<br />

1.470<br />

(1.637 / 2019)<br />

5.359<br />

(5.908 /2009)<br />

An wie vielen Wettbewerben hat Ihr<br />

Büro / Unternehmen teilgenommen?<br />

Wie hoch war Ihr St<strong>und</strong>enaufwand<br />

2009 insgesamt für Wettbewerbe?<br />

1.500.000<br />

1.350.000<br />

1.200.000<br />

1.050.000<br />

900.000<br />

750.000<br />

600.000<br />

450.000<br />

300.000<br />

150.000<br />

Teilnahme an Wettbewerben<br />

32 % <strong>der</strong> ezt <strong>und</strong> 46 % <strong>der</strong> zt-Gesellschaften (nach zuletzt<br />

62 %) haben 2010 an Wettbewerben teilgenommen. Das<br />

Verhältnis nach Befugnis hat sich gegenüber dem Jahr<br />

2008 wenig verän<strong>der</strong>t: 11 % <strong>der</strong> IngenieurkonsulentInnen<br />

<strong>und</strong> 51 % <strong>der</strong> ArchitektInnen (zuletzt aber 60 %) nehmen an<br />

Wettbewerben teil. Das bedeutet, dass in Summe fast<br />

1500 an Wettbewerben teilnehmende ArchitektInnen auf<br />

r<strong>und</strong> 5400 Wettbewerbsteilnahmen kommen, bei den<br />

r<strong>und</strong> 200 IngenieurkonsulentInnen sind es etwas mehr<br />

1300 Wettbewerbsteilnahmen. Offene Wettbewerbe<br />

(mehr als 3000 Teilnahmen) sind die häufigste Form<br />

(2500 Teilnahmen durch ArchitektInnen) vor geladenen<br />

Wettbewerben (2300 Teilnahmen, davon r<strong>und</strong> 1900 durch<br />

0<br />

1.321.924<br />

(1.491.549 / 2009)<br />

136.666<br />

(74.241 / 2019)<br />

273.499.000 €<br />

(349.670.000 € / 2009)<br />

1.190.925<br />

(1.422.259 / 2019)<br />

63.221.000 €<br />

(26.209.000 € / 2009)<br />

8.593.000 € (4.196.000 € / 2009)<br />

60.317.000 € (87.042.000 € / 2009)<br />

An wie vielen Wettbewerben hat Ihr Büro / Unternehmen<br />

pro Kategorie im Jahr 2010 teilgenommen?<br />

3.022 Offene Wettbewerbe<br />

533<br />

2.491<br />

ezt / zt-Gesellschaften – St<strong>und</strong>enaufwand für<br />

Wettbewerbe 2010 (absolut in Std.),<br />

Auftragssumme aus Wettbewerben <strong>und</strong><br />

Netto-Gesamtkosten für Wettbewerbsteilnahmen<br />

2010 (in Euro)<br />

Wie hoch war die Gesamtauftragssumme Ihres<br />

Büros aus im Jahr 2010 gewonnenen Wettbewerben ?<br />

213.396.000 €<br />

(324.231.000 € /2009)<br />

2.306 Geladene Wettbewerbe<br />

421<br />

1.918<br />

52.109.000 € (83.467.000 € /2009)<br />

Wie hoch waren die Netto-Gesamtkosten<br />

für Wettbewerbsteilnahmen<br />

Ihres Büros im Jahr 2010 ?<br />

510 Bauträger-Wettbewerbe<br />

209<br />

302<br />

794 Private Auslober<br />

281<br />

649<br />

ArchitektInnen). Private AusloberInnen spielen im<br />

Wettbewerbswesen mit 800 Teilnahmen keine dominierende,<br />

aber eine nicht unbeträchtliche Rolle. Auch hier<br />

überwiegen die ArchitektInnen mit 650 TeilnehmerInnen.<br />

Der einzige Bereich, wo IngenieurkonsulentInnen <strong>und</strong><br />

ArchitektInnen in <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Teilnahmen näher<br />

beieinan<strong>der</strong>liegen, ist <strong>der</strong> Bereich <strong>der</strong> Bauträgerwettbewerbe<br />

mit insgesamt 500 Teilnahmen. Im Vergleich zum<br />

Jahr 2009 ist <strong>der</strong> Aufwand <strong>der</strong> ZiviltechnikerInnen für<br />

Wettbewerbe korrespondierend zu den rückläufigen<br />

Teilnahmen auf r<strong>und</strong> 1,3 Mio. Arbeitsst<strong>und</strong>en gefallen.<br />

In Summe sind das etwa 300.000 Arbeitsst<strong>und</strong>en weniger.<br />

Noch immer investieren ArchitektInnen mit 1,2 Mio.<br />

Arbeitsst<strong>und</strong>en den größten Anteil, allerdings mit deutlich<br />

ezt / zt-Gesellschaften – Wettbewerbsteilnahmen insgesamt<br />

2010 2009 2010 2009 2010 2009<br />

Anteile <strong>der</strong> Unternehmen, die an<br />

Wettbewerben teilnehmen (in Prozent) 35,6 43,2 10,7 13,2 51,2 63,6<br />

Unternehmen, die an Wettbewerben<br />

teilnehmen 1.654 1.868 193 236 1470 1.637<br />

Teilnahmen an Wettbewerben (insgesamt) 6.631 7.801 1.326 1.893 5.359 5.908<br />

Durchschnittliche Anzahl an<br />

Wettbewerbsteilnahmen 4,0 4,1 6,9 8,0 3,6 3,6<br />

Durchschnittlicher St<strong>und</strong>enaufwand 799 745 710 310 810 816<br />

Durchschnittlicher Kostenaufwand<br />

(in 1000 Euro) 36,5 46,6 44,6 17,8 35,5 45,6<br />

Durchschnittliches Netto-Preisgeld <strong>und</strong><br />

Aufwandsentschädigungen (in 1000 Euro) 2,9 10,7 1,0 9,7 3,3 11,0<br />

Durchschnittliche Anzahl an Aufträgen<br />

aus Wettbewerben 0,5 0,8 1,2 1,4 0,5 0,7<br />

Durchschnittliches Auftragsvolumen<br />

aus Wettbewerben (in 1000 Euro) 490 446 559 228 471 509<br />

Durchschnittliches Bauvolumen<br />

aus Wettbewerben (in 1000 Euro) 6.122 7.280 9.401 9.227 5.322 6.928<br />

rückläufiger Tendenz, während die IngenieurkonsulentInnen<br />

den St<strong>und</strong>enaufwand fast verdoppeln.<br />

Die Gesamtkosten für Wettbewerbe sind gegenüber<br />

dem Vorjahr um mehr als 20 Mio. Euro auf nunmehr<br />

60 Mio. Euro gefallen. Der Anteil <strong>der</strong> ArchitektInnen<br />

beläuft sich dabei auf r<strong>und</strong> 52 Mio. Euro. Häufiger gehen<br />

nun auch die IngenieurkonsulentInnen in <strong>der</strong> Wettbewerbssituation<br />

leer aus. Nur r<strong>und</strong> jede sechste Teilnahme<br />

bedeutet auch einen Auftrag. Damit ist die Conversion<br />

Rate bei den IngenieurkonsulentInnen gleichauf mit <strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> ArchitektInnen, bei denen jede siebte Teilnahme an<br />

einem Wettbewerb für einen Auftrag sorgt. Was allerdings<br />

die Aufträge <strong>der</strong> Büros anlangt, steigen IngenieurkonsulentInnen<br />

deutlich besser aus: WettbewerbsteilnehmerInnen<br />

im Bereich <strong>der</strong> IngenieurkonsulentInnen erzielen pro<br />

Büro im Schnitt 1,2 Aufträge, bei den ArchitektInnen sind<br />

es nur 0,5 Aufträge pro Büro. Als Aufwandsentschädigung<br />

erhalten ArchitektInnen etwa knapp 16 Mio. Euro <strong>und</strong><br />

damit über 2 Mio. Euro weniger als 2009, bei den IngenieurkonsulentInnen<br />

ist es 1 Mio. Euro. Wesentlich relevanter<br />

als die Aufwandsentschädigungen sind die aus Wettbewerben<br />

resultierenden Aufträge. Die 670 Aufträge an<br />

ArchitektInnen summieren sich zu einem Auftragsvolumen<br />

von 213 Mio. Euro. Bei IngenieurkonsulentInnen bedeuten<br />

240 Wettbewerbssiege ein Auftragsvolumen von 63 Mio.<br />

Euro. Äußerst beeindruckend sind die Gesamt baukosten,<br />

<strong>der</strong> in Wettbewerben vergebenen Planungs aufträge. In<br />

Summe beträgt das Bauvolumen <strong>der</strong> Projekte, <strong>der</strong>en<br />

Planung 2010 im Wettbewerb vergeben wurde, r<strong>und</strong><br />

3419 Mio. Euro. Etwa 1000 Mio. Euro entfallen dabei auf<br />

Pro jekte, bei denen IngenieurkonsulentInnen Wettbewerbsaufträge<br />

erhalten haben <strong>und</strong> mehr als 2400 Mio.<br />

Euro auf Bauten, die an ArchitektInnen im Wettbewerb<br />

vergeben wurden.<br />

Total<br />

IngenieurkonsulentInnen<br />

ArchitektInnen<br />

Wohlfahrtseinrichtungen (we)<br />

Angesichts <strong>der</strong> aktuellen Diskussion wurde ein umfangreicher<br />

Block r<strong>und</strong> um die Wahrnehmung <strong>der</strong> we aufgenommen.<br />

Auf die Frage „Würden Sie persönlich lieber im<br />

System <strong>der</strong> we <strong>der</strong> <strong>Kammer</strong> bleiben o<strong>der</strong> wären Sie lieber<br />

im staatlichen System <strong>der</strong> fsvg (Sozialversicherung<br />

freiberuflich selbstständig Erwerbstätiger) versichert?“<br />

bevorzugen 10 % einen Verbleib in den we <strong>und</strong> 73 % die<br />

staatliche fsvg. IngenieurkonsulentInnen, männliche <strong>und</strong><br />

ältere Befragte tendieren eher zu den we. Fast die Hälfte<br />

<strong>der</strong> Befragten ist neben <strong>der</strong> WE noch bei einer an<strong>der</strong>en<br />

Institution versichert. Mit 13 % dominiert dabei die sva;<br />

8 % sind als Angestellte versichert, 5 % als Beamte <strong>und</strong><br />

weitere 10 % in einer an<strong>der</strong>en Konfiguration. Immerhin 10 %<br />

sind freiwillig bei asvg o<strong>der</strong> gsvg weiterversichert. Je<br />

kleiner das Büro <strong>und</strong> je länger die Gründung zurückliegt<br />

bzw. je älter die Befragten sind, desto höher ist <strong>der</strong> Anteil<br />

<strong>der</strong> Befragten mit einer weiteren Versicherung neben <strong>der</strong><br />

we. R<strong>und</strong> die Hälfte <strong>der</strong> zt überlegt, bei einem Scheitern<br />

<strong>der</strong> Überführung <strong>der</strong> we in die fsvg-Maßnahmen zu<br />

setzen. In erster Linie wäre das <strong>der</strong> Versuch, ein weiteres<br />

Standbein aufzubauen (26 %). 8 % würden versuchen, als<br />

Angestellte Versicherungsschutz zu erlangen, <strong>und</strong> immerhin<br />

15 % ziehen eine Ruhendlegung <strong>der</strong> Befugnis in<br />

Betracht. Die Befugnis ruhend legen wollen vor allem<br />

Frauen <strong>und</strong> zt, die kaum Perspektiven für höhere<br />

Auftragsstände sehen. Das zweite Standbein ist vor allem<br />

für ArchitektInnen eine Option <strong>und</strong> wird eher von den<br />

jüngeren Befragten als Option gesehen. Je größer das<br />

Büro ist, je älter die Befragten sind <strong>und</strong> je positiver die<br />

Entwicklung eingeschätzt wird, desto höher ist <strong>der</strong> Anteil<br />

<strong>der</strong>jenigen, die keine Maßnahmen setzen wollen. Die<br />

persönliche Relevanz des Themas wird auch durch die<br />

Bereitschaft, die Position <strong>der</strong> <strong>Kammer</strong> durch politische<br />

Aktionen zu unterstützen, deutlich. Mehr als die Hälfte<br />

bek<strong>und</strong>en eine solche Bereitschaft. ArchtitektInnen sind<br />

dabei deutlich stärker mobilisierbar. Die we-Beiträge<br />

werden von 15 % als existenzbedrohend <strong>und</strong> von weiteren<br />

48 % als sehr hoch erlebt. 31 % betrachten die Beiträge als<br />

hoch <strong>und</strong> lediglich 6 % sehen sie als nicht zu hoch an. �<br />

34 | 35 285<br />

Wirtschaftliche Standortbestimmung <strong>der</strong> Branche Wirtschaftliche Standortbestimmung <strong>der</strong> Branche<br />

Langfassung unter: www.arching.at


Die Integrationsmaschine |<br />

Über Doug Saun<strong>der</strong>s’ bahnbrechendes Buch „Arrival City“<br />

Michael Krassnitzer,<br />

geboren 1967 in Graz,<br />

Studium <strong>der</strong> Philosophie.<br />

Lebt als freier Journalist<br />

mit den Schwerpunkten<br />

Kulturgeschichte <strong>und</strong><br />

Medizin in Wien.<br />

Das Amsterdamer Stadtviertel Slotervaart hatte alles, was<br />

des Städteplaners Herz begehrt: funktionale, nicht allzu<br />

hohe Wohnblöcke; dazwischen großzügige Grünanlagen<br />

mit ruhigen, gew<strong>und</strong>enen Fußwegen; Autos waren von<br />

den meisten öffentlichen Plätzen verbannt. Betriebe o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>e Unternehmen gab es in Slotervaart keine, nur<br />

einige kleine Geschäfte, auf dass <strong>der</strong> Trubel <strong>der</strong> Konsumgesellschaft<br />

nicht die beschauliche Ruhe <strong>der</strong> Einwohner<br />

störe. Doch die vermeintliche Idylle war zu einem <strong>der</strong><br />

Problembezirke <strong>der</strong> Metropole geworden. Die Kriminalitätsrate<br />

war in erschreckende Höhen geklettert, Gangs<br />

männlicher Jugendlicher hatten die Grünanlagen zu<br />

ihrem Territorium erklärt, unter den muslimischen Ein -<br />

wan<strong>der</strong>ern des Viertels, die hier die Mehrheit stellen,<br />

hatte sich ein radikaler Islam breitgemacht. Der Mör<strong>der</strong><br />

des Filmemachers Theo van Gogh stammt von hier.<br />

Warum Slotervaart zwangsläufig zum Krisenviertel<br />

werden musste, erklärt <strong>der</strong> kanadische Publizist Doug<br />

Saun<strong>der</strong>s in seinem Buch „Arrival City“ auf verblüffend<br />

einleuchtende Weise. In seinem bahnbrechenden Werk<br />

– eine „wahre Sensation“, wie Peter Sloterdijk schwärmt –<br />

beschäftigt sich Saun<strong>der</strong>s mit dem weltweiten Phänomen<br />

<strong>der</strong> Migration <strong>und</strong> zäumt dabei das Pferd auf eine<br />

gänzlich neue Weise auf: Er richtet den Blick nämlich auf<br />

36 | 37 285<br />

Die Integrationsmaschine<br />

jene Orte, an denen Migranten am Ende ihrer Suche nach<br />

besserer Lebensqualität für sich <strong>und</strong> ihre Kin<strong>der</strong> ankommen.<br />

Von diesen Orten, so lautet Saun<strong>der</strong>s’ These, hängt<br />

es ab, ob Migration den Einwan<strong>der</strong>ern <strong>und</strong> dem Einwan<strong>der</strong>ungsland<br />

Nutzen o<strong>der</strong> Schaden bringt. Funktioniert<br />

eine Ankunftsstadt nicht, so wird sie zum sozialen Pulverfass,<br />

zur Brutstätte von Kriminalität <strong>und</strong> Extremismus,<br />

ja kann sogar das Staatsgefüge ins Wanken bringen.<br />

Die Französische Revolution 1789 <strong>und</strong> die Islamische<br />

Revolution in Persien 1979 begannen beide als Revolten in<br />

den damaligen Ankunftsstädten von Paris beziehungsweise<br />

Teheran. Funktioniert eine Ankunftsstadt hingegen,<br />

so wird sie zu einer „Integrationsmaschine“ <strong>und</strong> ermöglicht<br />

einem Teil ihrer Bewohner den ersehnten Aufstieg in<br />

die Mittelschicht <strong>und</strong> den Umzug in ein Viertel mit<br />

höherem Status.<br />

„Ankunftsstadt“ („Arrival City“): So nennt Saun<strong>der</strong>s<br />

jene Orte. Das können neue Stadtviertel sein, die von den<br />

Migranten errichtet werden o<strong>der</strong> ein engmaschiges<br />

Netzwerk von Migranten, das in einem unterprivilegierten<br />

Bezirk eine Min<strong>der</strong>heit bildet, eine „virtuelle Ankunftsstadt“.<br />

Damit die Ankunftsstadt gedeiht, das belegt<br />

Saun<strong>der</strong>s anhand zahlreicher Beispiele, müssen einige<br />

wenige Gr<strong>und</strong>bedingungen erfüllt sein. Erstens muss es<br />

Die Bebauungsdichte<br />

<strong>und</strong> die ausgeglichene<br />

Nutzungsmischung<br />

des Areals r<strong>und</strong> um den<br />

Brunnenmarkt <strong>und</strong><br />

Yppenplatz sind die<br />

besten Voraussetzungen<br />

für eine Ankunftsstadt.<br />

den Migranten möglich sein, unkompliziert Kleinunternehmen<br />

zu gründen. Mit einem kleinen Geschäft, einer<br />

Imbissbude o<strong>der</strong> einer Näherei in einem Hinterhof lässt<br />

sich Geld verdienen, das in die Ausbildung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

investiert wird o<strong>der</strong> den im Herkunftsland verbliebenen<br />

Verwandten zugutekommen. Zweitens muss <strong>der</strong> Erwerb<br />

von billigem Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Wohnungseigentum möglich<br />

sein. Der Besitz einer Hütte, einer Kleinstwohnung o<strong>der</strong><br />

eines Geschäftslokals gibt nicht nur Sicherheit, son<strong>der</strong>n<br />

ist auch ein Kapital. Drittens muss die Ankunftsstadt über<br />

eine hohe Bevölkerungsdichte verfügen, damit sich die<br />

für die Migranten wichtigen, von ihrer Herkunft geprägten<br />

sozialen Netzwerke entfalten können. Und viertens muss<br />

es den Migranten möglich sein, die Ankunftsstadt nach<br />

ihren wirtschaftlichen Bedürfnissen zu gestalten.<br />

Angesichts dieser Prämissen ist klar, warum<br />

Slotervaart <strong>und</strong> ähnliche Viertel (zu den abschreckendsten<br />

Beispielen gehören die Banlieue-Siedlungen in<br />

Frankreich) nicht funktionieren: Sie sind ausschließlich<br />

zum Wohnen erbaut <strong>und</strong> bieten we<strong>der</strong> die Möglichkeit<br />

für Eigentumserwerb noch für wirtschaftliche Nutzung.<br />

Die Architektur hält die Bevölkerungsdichte niedrig <strong>und</strong><br />

unterbindet auch jede Form <strong>der</strong> Gestaltung durch die<br />

Bewohner. Mittlerweile haben die Amsterdamer Stadtverantwortlichen<br />

die Konsequenzen gezogen: In Slotervaart<br />

wurden viele Grünflächen mit dicht aneinan<strong>der</strong>stehenden<br />

Häusern verbaut, die zur Straßenseite eine geschlossene<br />

Front bildeten. Zonierungen <strong>und</strong> Nutzungsbeschränkungen<br />

wurden aufgehoben, <strong>der</strong> Erwerb von Eigentum<br />

ermöglicht. Wie in einer organisch gewachsenen Stadt<br />

befinden sich in den oberen Etagen Wohnungen, im<br />

Erdgeschoß Geschäftslokale <strong>und</strong> gewerblich genutzte<br />

Flächen. Auf den neu entstandenen engen Straßen, die<br />

nunmehr für den Fahrzeugverkehr freigegeben sind,<br />

tummeln sich die Menschen, auf verbliebenen größeren<br />

Flächen entstanden bunte Märkte. In Slotervaart wurde<br />

die irrige Vorstellung, ein beengtes, dichtes Zusammenwohnen<br />

<strong>und</strong> ein allgemeines Durcheinan<strong>der</strong> seien ein zu<br />

beseitigendes Zeichen für Elend, zu Grabe getragen.<br />

„Die erfolgreichsten Stadtviertel <strong>der</strong> Welt sind Bezirke<br />

mit einer extrem hohen Nutzungsdichte <strong>und</strong> einer stark<br />

gemischten Nutzung“, betont Saun<strong>der</strong>s.<br />

„Arrival City“ führt den Leser nach Berlin-Kreuzberg <strong>und</strong><br />

in die Pariser Vorstädte ebenso wie in die chinesische<br />

Son<strong>der</strong>wirtschaftszone Shenzhen o<strong>der</strong> ein ehemaliges<br />

Slum in Rio de Janeiro. Von Österreich ist nur an einer<br />

Stelle in Zusammenhang mit den Wiener Zinskasernen<br />

die Rede, gleichsam den Vorort-Wohnblocks <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong>zeit.<br />

Dabei gibt es hierzulande natürlich auch Ankunftsstädte,<br />

wie etwa den Bezirk Gries in Graz o<strong>der</strong> das<br />

Makartviertel in Linz. In Wien ist Ottakring eine <strong>der</strong><br />

Ankunftsstädte. Der Anteil an Migranten mit ausländischer<br />

Staatsbürgerschaft im 16. Gemeindebezirk beträgt<br />

23,8 Prozent, Migranten mit österreichischer Staatsbürgerschaft<br />

sind in dieser Zahl nicht enthalten.<br />

Geht es nach <strong>der</strong> stellvertretenden Bezirksvorsteherin<br />

Eva Weißmann, so ist Ottakring eine gut funktionierende<br />

Ankunftsstadt im Sinne Saun<strong>der</strong>s’. „Ottakring ist<br />

ein lebendiger, bunter Bezirk, <strong>der</strong> in den letzten Jahren<br />

einen deutlichen Aufschwung erlebt hat“, erklärt die<br />

Sozialdemokratin. An Unternehmen, die von Migranten<br />

aufgebaut <strong>und</strong> geführt werden, besteht kein Mangel.<br />

Die größeren Straßen sind gesäumt von Imbissbuden,<br />

einfachen Restaurants, Computerquetschen, Callshops<br />

<strong>und</strong> Geschäften aller Art. Türkische Friseursalons<br />

schießen wie Pilze aus dem Boden, auch die schon<br />

beinahe ausgestorben geglaubten Än<strong>der</strong>ungsschnei<strong>der</strong>eien<br />

erfuhren durch türkische Schnei<strong>der</strong> eine Renaissance.<br />

Unter jenen, die Wohnungseigentum erwerben,<br />

befinden sich auch in <strong>der</strong> Mittelklasse angekommene<br />

Migranten, so Weißmann, vorrangig aus dem ehemaligen<br />

Jugoslawien. Von chronischer Gewalt wie in den Ankunftsstädten<br />

Berlins o<strong>der</strong> von Aufruhren, wie sie immer wie<strong>der</strong><br />

in den französischen Ankunftsstädten in den Banlieues<br />

ausbrechen, ist im 16. Bezirk nichts zu bemerken. Im<br />

Gegenteil: In <strong>der</strong> Umgebung des populären Brunnenmarktes<br />

hat bereits die Gentrifizierung eingesetzt, nachdem<br />

zuerst die üblichen Pioniere (Künstler <strong>und</strong> Kreative) <strong>und</strong><br />

dann die Investoren auf das Viertel aufmerksam geworden<br />

sind.<br />

Für den Erfolg Ottakrings sind, das lässt sich aus den<br />

in „Arrival City“ gezogenen Erkenntnissen ableiten, die<br />

städtebaulichen <strong>und</strong> architektonischen Gegebenheiten<br />

zumindest teilweise verantwortlich. Die dichte, aus dem<br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>t stammende Bebauung <strong>und</strong> die selbstverständliche<br />

Mischung unterschiedlicher Nutzungen boten<br />

den dort angekommenen Migranten die Voraussetzungen,<br />

den Weg in die Mitte <strong>der</strong> österreichischen Gesellschaft<br />

anzutreten. Mögen möglichst viele dort ankommen. �<br />

Die Integrationsmaschine


Hör- <strong>und</strong> Linkempfehlung<br />

Gleich ob Szenen aus dem Wurstelprater um<br />

1900, ZeitzeugInnen-Berichte zum Staatsvertrag<br />

o<strong>der</strong> Einblicke in das Schellackarchiv des<br />

legendären Radiomo<strong>der</strong>ators Günther Schifter,<br />

auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Österreichischen Mediathek<br />

(OeM), einer Außenstelle des Technischen<br />

Museum Wien, werden Sie fündig. Sie<br />

gewährt mit ihrem äußerst vielfältigen <strong>und</strong><br />

r<strong>und</strong> 1,5 Millionen Einzelaufnahmen fassenden<br />

Bestand einen einmaligen Einblick in die<br />

audiovisuelle Kultur- <strong>und</strong> Zeitgeschichte Österreichs.<br />

Dank zunehmen<strong>der</strong> Digitalisierung<br />

von analogen Trägern kann man nun von zu<br />

Hause o<strong>der</strong> unterwegs u. a. <strong>der</strong> einzigen (!)<br />

Tonaufnahme Sigm<strong>und</strong> Freuds (1939) lauschen,<br />

Erwin Schrödingers Erläuterungen zur<br />

Linkempfehlung<br />

Spätestens als mtv 1981 mit dem Track „Video<br />

killed the Radio Star“ von the Buggles on air<br />

ging, wurde <strong>der</strong> Songtitel Realität – ein neues<br />

populärkulturelles Leitmedium war geboren.<br />

Knapp 31 Jahre später ist dieser soziotechnologischen<br />

Tragödie längst ein weiteres Kapitel<br />

angefügt, „Internet killed the Video Star“<br />

von the Limousines klingt denkbar unoriginell,<br />

diagnostiziert dennoch unumstritten, was<br />

offensichtlich ist: mtv wurde von einer globalen<br />

Musik- <strong>und</strong> Lifestylemaschine zu einem<br />

Bezahlsen<strong>der</strong> äußerst begrenzter Relevanz<br />

<strong>und</strong> das Internet zum viralen Netz <strong>der</strong> Ideen.<br />

Materie folgen (1952) o<strong>der</strong> Heinz Zemaneks<br />

Ausführungen zu den Gefahren <strong>und</strong> Chancen<br />

des Computers (1997) aus heutiger Perspektive<br />

reflektieren.<br />

Ihre Archivbestände macht die OeM im<br />

Marchettischlössl, zentral im sechsten Bezirk<br />

gelegen, für BesucherInnen zugänglich. Neben<br />

analogen Playern, die für Schellacks,<br />

Schallplatten, Tonbän<strong>der</strong> etc. benutzt werden<br />

können, bietet die OeM ihrem Publikum<br />

ein beson<strong>der</strong>es Feature an: „Ihr Wort für die<br />

Ewigkeit“. Zwei Minuten stehen jedem/je<strong>der</strong><br />

zur Verfügung, um seine/ihre akustische Botschaft<br />

für immer im digitalen System <strong>der</strong> OeM<br />

zu archivieren. Aktuell entwickelte die OeM<br />

eine Free- Software-Applikation zur Videodigitalisierung,<br />

die international richtungsweisend<br />

ist. „DVA-Profession“ ist eine Gesamtlö-<br />

Adapter-Empfehlung<br />

Design ist, was man nicht verwenden kann.<br />

Diese populäre Definition wi<strong>der</strong>spricht zwar<br />

den Absichten fast aller Designer, hat aber auch<br />

den einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en guten Gr<strong>und</strong>. Als Ikone<br />

des von schnö<strong>der</strong> Zweckmäßigkeit befreiten<br />

Designs hat die spinnenbeinige Zitronenpresse<br />

von Philippe Starck Weltruhm erlangt.<br />

Mit ihr hat die Skulptur Eingang ins mo<strong>der</strong>ne<br />

Wohnen gef<strong>und</strong>en. Kaum eine teure Küche<br />

kommt aus ohne ihre Zier, seit 22 Jahren.<br />

Wer je versucht hat, mit dem Wun<strong>der</strong>ding<br />

Zitronen zu pressen, wurde vom Design<br />

alsbald eines Besseren belehrt. Man vergreift<br />

sich nicht an Standbil<strong>der</strong>n <strong>der</strong> luxuriösen Verschwendung!<br />

Doch wir wollen <strong>der</strong> Spinne nicht unrecht<br />

tun. Ihre Arbeitsverweigerung gegenüber<br />

dem Küchenalltag hatte doch ursprünglich<br />

einen guten Zweck: Mit ihren dünnen<br />

Beinchen stellte sie sich stolz erhobenen<br />

Hauptes <strong>der</strong> rigiden Ideologie des Funktiona-<br />

Es scheint daher nicht überraschend, dass<br />

sich dem neuen Medium nun auch die Inhalte<br />

anpassen. Chris Milk, gefeierter Musikvideoregisseur,<br />

nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein.<br />

In Kooperation mit Google kon zipierte er ein<br />

personalisierbares Musikvideo zu dem Song<br />

„We Used To Wait“ von Arcade Fire. Der Betrachter<br />

bestimmt den Schauplatz, an dem<br />

sich die Handlung <strong>der</strong> „Videocollage“ entfaltet.<br />

Am Bildschirm greifen sodann Ansichten<br />

aus Google Earth <strong>und</strong> -Streets, Animationen<br />

<strong>und</strong> ein konventionelles Musikvideo ineinan<strong>der</strong>.<br />

Die Abbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> realen Welt korrespondieren<br />

durch Kameraschwenks <strong>und</strong> Überlagerungen<br />

mit <strong>der</strong> fiktiven Narration.<br />

40 | 41 285<br />

Empfehlungen<br />

sung für die Digitalisierung von Videoma-<br />

terial für den Archivgebrauch <strong>und</strong> steht<br />

kostenfrei inklusive ausführlicher Dokumentation<br />

zum Download bereit.<br />

www.mediathek.at Maja Sito �<br />

lismus entgegen. Und wurde zum Wappentier<br />

des „Emotional Design“, jener Bewegung, die<br />

<strong>der</strong> Devise „Form follows Emotion“ zum<br />

Durchbruch verhalf.<br />

Untätig <strong>und</strong> verstaubt harrte Starcks<br />

Spinne in allen Luxusküchen ihrer Rettung,<br />

bis endlich im Jahre 2000 die Berliner Designer<br />

Adam <strong>und</strong> Harborth sich ihrer erbarmten<br />

<strong>und</strong> einen Adapter entwarfen, den man bloß<br />

aufstecken muss, <strong>und</strong> schon werden die Kerne<br />

aufgefangen. Damit ist die Funktion zurückgewonnen,<br />

nichts steht mehr einer dem<br />

Namen Zitronenpresse entsprechenden Verwendung<br />

entgegen.<br />

„Dies ist keine sehr gute Zitronenpresse“,<br />

schrieb Großmeister Philippe Starck einst<br />

persönlich an Alberto Alessi, „meine Idee war<br />

es, damit beim Auspacken <strong>der</strong> Hochzeitsgeschenke<br />

Gesprächsstoff <strong>und</strong> Freude zu erzeugen.“<br />

Das sind immerhin klar definierte Funktionen!<br />

Den Adapter sollte man daher erst<br />

aufstecken, wenn die Flitterwochen vorbei<br />

sind. Wolfgang Pauser �<br />

Vielleicht zeigt dieses Experiment tatsächlich<br />

die Gr<strong>und</strong>züge morgiger Medien inhalte<br />

auf o<strong>der</strong> ist einfach nur ein interessantes Kuriosum,<br />

in jedem Fall ist www.thewil<strong>der</strong>nessdowntown.com<br />

einen Besuch wert.<br />

Sebastian Jobst �<br />

Achtung, Falle!<br />

Eignungskriterien können im Leistungsverzeichnis<br />

versteckt sein.<br />

Der Verwaltungsgerichtshof (kurz: VwGH)<br />

hatte die Vergabe von Bautischlerarbeiten im<br />

Rahmen eines Sanierungs- <strong>und</strong> Dachgeschoßausbaus<br />

zu beurteilen. Die zweitgereihte Bieterin<br />

bekämpfte die Zuschlagsentscheidung<br />

mit <strong>der</strong> Begründung, das Angebot <strong>der</strong> erstgereihten<br />

Bieterin sei unvollständig <strong>und</strong> daher<br />

auszuscheiden gewesen. Die ag hätte im Leistungsverzeichnis<br />

betreffend die Wohungseingangstüren<br />

Folgendes festgelegt: „Zum Nachweis<br />

<strong>der</strong> Einbruchs- <strong>und</strong> Brandhemmung sind<br />

[…] Prüfzeugnisse vorzulegen.“ Die erstgereihte<br />

Bieterin habe ihrem Angebot jedoch keine<br />

Zeugnisse beigelegt.<br />

Die Erstgereihte hielt dem entgegen, die<br />

Verpflichtung zur Vorlage <strong>der</strong> Zeugnisse sei in<br />

den relevanten Positionen des Leistungsverzeichnisses<br />

enthalten gewesen. Die ag habe<br />

ausdrücklich nicht verlangt, die Zeugnisse mit<br />

dem Angebot vorzulegen. Die Zeugnisse bei<br />

Raum, verschraubt mit <strong>der</strong> Zeit<br />

– Space, Twisted with Time /<br />

Architekturjahrbuch Graz<br />

Steiermark 2010<br />

Hubertus Adam<br />

Hg. von Eva Guttmann,<br />

HDA Haus <strong>der</strong> Architektur Graz<br />

Birkhäuser Verlag, Basel 2011<br />

„Kaum eine Buchgattung ist langweiliger<br />

als das typische Architekturjahrbuch<br />

mit <strong>der</strong> monotonen<br />

Reihung von Bil<strong>der</strong>n, Projektbeschreibung<br />

<strong>und</strong> Plänen“, schreibt<br />

Hubertus Adam, Architekturkritiker<br />

<strong>und</strong> Kurator des Architekturpreises<br />

des Landes Steiermark –<br />

<strong>und</strong> das ausgerechnet im Archi -<br />

tekturjahrbuch Graz Steiermark<br />

2010. Auf dieses sein Werk freilich<br />

bzw. nach Herstellung <strong>der</strong> Wohnungseingangstüren<br />

erstellen zu lassen <strong>und</strong> vorzulegen<br />

sei branchenüblich <strong>und</strong> im Einklang mit<br />

<strong>der</strong> ÖNORM B 2110.<br />

Der VwGH bestätigte die Ausscheidung:<br />

Die Zeugnisse seien Nachweis <strong>der</strong> technischen<br />

Leistungsfähigkeit. Beachtenswert ist,<br />

dass <strong>der</strong> VwGH dies nicht näher begründet,<br />

obwohl die Verpflichtung zur Vorlage nur im<br />

Leistungsverzeichnis enthalten ist. Er betrachtet<br />

die Verpflichtung zur Vorlage <strong>der</strong><br />

Zeugnisse als Eignungsnachweis gem. § 75<br />

Abs 5 Z 5 BVergG 2006. Dort heißt es: „Bescheinigungen,<br />

die von zuständigen Instituten o<strong>der</strong><br />

amtlichen Stellen für Qualitätskontrolle ausgestellt<br />

wurden, mit denen bestätigt wird,<br />

dass die durch entsprechende Bezugnahmen<br />

genau bezeichneten Waren bestimmten Spezifikationen<br />

o<strong>der</strong> Normen entsprechen“.<br />

Für die Praxis wird es damit erfor<strong>der</strong>lich,<br />

das Leistungsverzeichnis von Ausschreibungsunterlagen<br />

genau auf Verpflichtungen zur<br />

Vorlage von (nunmehr) gemäß § 75 Abs 5 bis<br />

Abs 7 BVergG 2006 zulässigen Nachweisen <strong>der</strong><br />

trifft das vernichtende Verdikt<br />

nicht zu. Im Gegenteil: „Raum, verschraubt<br />

mit <strong>der</strong> Zeit“ wurde mit<br />

einem Preis beim Wettbewerb<br />

„Schönste Bücher Österreichs<br />

2011“ <strong>und</strong> <strong>der</strong> Goldmedaille im<br />

Wettbewerb <strong>der</strong> schönsten Bücher<br />

aus aller Welt, die erstmals<br />

nach Österreich geht, ausgezeichnet.<br />

Klappt man den schlichten<br />

Leineneinband auf, so erscheinen<br />

ein Text- <strong>und</strong> ein Bildteil, die sich<br />

jeweils wie ein eigener Band öffnen<br />

lassen. Die bewusst in einem<br />

subjektiven Ton gehaltenen Essays<br />

des ersten Teils sind übersichtlich<br />

<strong>und</strong> grafisch ansprechend<br />

mit den Überschriften,<br />

Fußnoten <strong>und</strong> sparsam eingesetzten<br />

Zeichnungen verzahnt,<br />

nein: verschraubt. Der zweite Teil<br />

enthält einen klassischen Fotoessay<br />

in Schwarz-Weiß von Hertha<br />

Hurnaus, <strong>der</strong> die für den Architekturpreis<br />

nominierten Projekte unprätentiös<br />

präsentiert, darunter<br />

das schließlich preisgekrönte Einfamilienhaus<br />

efh_surplus value<br />

01 von weichlbauer / ortis in Laufnitzdorf,<br />

dessen Fassaden <strong>und</strong><br />

Flachdächer mit Kunstrasen überzogen<br />

sind.<br />

Ignaz Gridl<br />

Eisenkonstruktionen<br />

Alfred Fogarassy (Hg.),<br />

Nora Schoeller (Fotos)<br />

Christian Brandstätter Verlag,<br />

Wien/München 2011<br />

Kaum ein Großbau <strong>der</strong> ausgehenden<br />

Donaumonarchie, an dem<br />

nicht die Firma Ignaz Gridl beteiligt<br />

war. Ein prächtiger Band mit<br />

erhellenden Textbeiträgen sowie<br />

historischen <strong>und</strong> aktuellen Fotografien<br />

setzt sich mit jenem Wiener<br />

Unternehmen auseinan<strong>der</strong>,<br />

das gegen Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

österreichischer Marktführer<br />

in Sachen Eisen- <strong>und</strong> Stahlkonstruktion<br />

war. Wenn es um den<br />

Bau von Kuppeln, Dächern, Brücken,<br />

Gewächshäusern o<strong>der</strong> Stern warten<br />

ging, war Ignaz Gridl zur Stelle.<br />

Die Firma errichtete unter ande-<br />

technischen Leistungsfähigkeit zu durchsuchen.<br />

Besteht auch nur <strong>der</strong> geringste Zweifel,<br />

ob eine Festlegung im Leistungsverzeichnis<br />

ein solcherart verstecktes Eignungskriterium<br />

o<strong>der</strong> ein bloßer Nachweis <strong>der</strong> Erfüllung eines<br />

Leistungskriteriums darstellt, empfiehlt es<br />

sich für Bieter, eine Auskunft des Auftraggebers<br />

zu dieser Frage einzuholen.<br />

Im vorliegenden Fall war das Angebot<br />

aus Sicht des VwGH mit einem unbehebbaren<br />

Mangel behaftet, da die technische Leistungsfähigkeit<br />

zum (im offenen Verfahren<br />

entscheidenden) Zeitpunkt <strong>der</strong> Angebotsöffnung<br />

nicht vorgelegen ist.<br />

(VwGH 22.11.2011, 2006/04/0056; VKS Wien<br />

23.01.2006, VKS-3922/05)<br />

Jüngste Entscheidung | Krassnitzers Lektüren<br />

Johannes Schramm/Michael Weiner<br />

(Schramm Öhler Rechtsanwälte) �<br />

rem das Palmenhaus im Park von<br />

Schönbrunn, die Dachkonstruktionen<br />

zahlreicher Ringstraßenbauten<br />

(Parlament, Rathaus, Universität,<br />

Burgtheater, Kunsthistorisches<br />

Museum), die Überdachung<br />

des Salzburger Hauptbahnhofes,<br />

die Donaubrücke zwischen Stein<br />

<strong>und</strong> Mautern <strong>und</strong> den Mozartsteg<br />

in Salzburg. Ebenso wie die<br />

Eisenkonstruktionen in historistischen<br />

Prachtbauten hinter Mauerwerk<br />

<strong>und</strong> Stuck verborgen blieben,<br />

verschwindet normalerweise<br />

auch <strong>der</strong> Konstrukteur hinter<br />

dem Namen des planenden <strong>Architekten</strong>.<br />

Das von Alfred Fogarassy<br />

herausgegebene Buch „Ignaz Gridl.<br />

Eisenkonstruktionen“ entreißt<br />

den führenden Eisenkonstruktionsbetrieb<br />

Österreich-Ungarns,<br />

<strong>der</strong> 1934 von <strong>der</strong> Waagner-Biró ag<br />

geschluckt wurde, dem Vergessen.<br />

Zugleich ist es ein spannen<strong>der</strong><br />

Beitrag zur Geschichte <strong>der</strong><br />

Eisenkonstruktion in Österreich.<br />

Michael Krassnitzer �


Die schönen Künste konservieren,<br />

mit <strong>der</strong> Präzision des Technikers |<br />

Josef Linsinger im Porträt<br />

Magdalena Klemun<br />

studierte Elektrotechnik<br />

an <strong>der</strong> Technischen<br />

Universität Wien <strong>und</strong> ist<br />

als freie journalistische<br />

Mitarbeiterin für „Die<br />

Presse“ tätig.<br />

Im Tempel von Shuilu<br />

in Xian, China, galt es,<br />

hochempfindliche<br />

Terrakottastatuen zu<br />

dokumentieren.<br />

42 | 43 285<br />

Die Exaktheit mit <strong>der</strong> Leidenschaft für Ästhetik zu ver -<br />

binden, täglich als Techniker <strong>und</strong> als Fre<strong>und</strong> <strong>der</strong> schönen<br />

Künste zugleich tätig sein zu können – so könnte man das<br />

Privileg einer beruflichen Laufbahn beschreiben, wie sie<br />

Josef Linsinger hinter sich hat: 1965 schloss <strong>der</strong> Salzburger<br />

an <strong>der</strong> tu Graz das Studium des Vermessungswesens ab<br />

<strong>und</strong> begann Erfahrungen im Kraftwerksbau zu sammeln.<br />

Lange sollte es ihn dort nicht halten. Es war die Architektur<br />

<strong>und</strong> ihre Dokumentation, die so starke Anziehung auf<br />

Linsinger ausübte, dass er sich in den 1970er-Jahren<br />

spontan eine fotogrammetrische Ausrüstung zulegte –<br />

das gr<strong>und</strong>legende Werkzeug, um fotografische Messbil<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> daraus möglichst realitätsgetreue Pläne dreidimensionaler<br />

Objekte erzeugen zu können. „Ich habe in<br />

meinem Leben viele wichtige Entscheidungen in wenigen<br />

Minuten getroffen“, so Linsinger, <strong>der</strong> sein renommiertes<br />

Salzburger Büro 2010 an seinen Sohn Stefan übergab,<br />

„aber es waren letztlich die richtigen“. Heute ist das Büro<br />

in St. Johann im Pongau, das Linsinger aufgebaut hat, über<br />

Salzburgs Grenzen hinaus für präzise Kulturgutvermessung<br />

bekannt. 2006 wurde das Unternehmen mit dem<br />

Österreichischen Staatspreis für Technisches Consulting<br />

ausgezeichnet.<br />

Aber zunächst noch einmal ein Blick zurück zu den<br />

ersten Zentimetern am Lebensweg des Vermessers Josef<br />

Linsinger: Ähnlich kurzfristig wie <strong>der</strong> Kauf <strong>der</strong> Ausrüstung<br />

kam eine noch frühere Entscheidung zustande, Linsingers<br />

Studienwahl. „In <strong>der</strong> Nähe vom Bauernhof meiner Familie<br />

sind eines Tages Techniker aufgetaucht, die die Waldrän<strong>der</strong><br />

dokumentiert haben“, erzählt er, „ich habe ihnen<br />

ein paar Minuten zugesehen, dann wusste ich, das ist<br />

mein Beruf.“ Enttäuscht hat ihn <strong>der</strong> Studienplan anfangs<br />

dennoch, da war zunächst viel Mathematik <strong>und</strong> wenig<br />

Geodäsie zu lernen. Doch das Durchhalten habe sich<br />

ausgezahlt. Später, mit etwas Erfahrung <strong>und</strong> <strong>der</strong> „leichtsinnig“<br />

erworbenen Ausrüstung im Gepäck, war es seine<br />

Frau, die auf Akquisitionsreisen erste Aufträge an Land zog.<br />

Die Vermessung von Fachwerkshäusern im deutschen<br />

Tübingen war ein frühes Projekt, später folgten Aufträge<br />

zur Dokumentation von Burgen in Luxemburg <strong>und</strong><br />

Detail aufnahmen im Wiener Stephansdom. 2007 führte<br />

ein Auftrag Josef Linsinger sogar über den Atlantik, bis<br />

nach Bolivien: Fußabdrücke von Dinosauriern sollten<br />

dort dokumentiert werden. Verwendet wurden dafür<br />

Verfahren wie Laserscanning, bei <strong>der</strong> ein Laserstrahl<br />

das zu vermessende Objekt abtastet <strong>und</strong> so ein digitales<br />

Erfassen <strong>der</strong> Oberflächengeometrie ermöglicht.<br />

Das Verfahren <strong>der</strong> Fotogrammetrie, das Erstellen<br />

spezieller Aufnahmen von Objekten <strong>und</strong> Landschaften,<br />

die die Rekonstruktion <strong>der</strong> geometrischen Lage einzelner<br />

Punkte zueinan<strong>der</strong> ermöglichen, hat Josef Linsinger von<br />

<strong>der</strong> Geburtsst<strong>und</strong>e an begleitet: „Mich hat ein Besuch<br />

bei Hans Foramitti, dem Pionier <strong>der</strong> Fotogrammetrie am<br />

B<strong>und</strong>esdenkmalamt in Wien, so begeistert, dass ich auch<br />

so arbeiten wollte“, erzählt Linsinger, „dabei bin ich damals<br />

auf <strong>der</strong> Suche nach Aufträgen oft auf taube Ohren ge stoßen,<br />

weil die Methode noch unbekannt war.“ Mittlerweile hat<br />

sich <strong>der</strong> Name Linsinger zu einer Marke in <strong>der</strong> europäischen<br />

Kulturgutvermessung entwickelt, Aufträge am Schloss<br />

Neuschwanstein, dem Opernhaus in Bayreuth o<strong>der</strong> dem<br />

Tempel Shuilu im chinesischen Xian gehören zum inter -<br />

nationalen Alltag des Büros.<br />

Ob <strong>der</strong> Rückzug aus dem Berufsleben bei so viel Erfolg<br />

nicht schwierig gewesen sei? Linsinger antwortet gelassen:<br />

„Ich habe das Glück, ab <strong>und</strong> zu noch gerne im Büro gesehen<br />

zu werden, den einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Tipp geben zu können.“<br />

Doch abseits all <strong>der</strong> Leidenschaft scheut Linsinger sich<br />

nicht, Härten anzusprechen, seine Arbeit auch als „widrig,<br />

kompliziert <strong>und</strong> lästig“ zu beschreiben. Doch es wirkt bei<br />

Linsinger bestenfalls bodenständig, nie wirklich negativ,<br />

wenn er vom schwierigen Aufbau <strong>der</strong> Messgeräte in<br />

verwinkelten Gassen erzählt. O<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Verantwortung,<br />

ein Büro zu leiten: „Mit <strong>der</strong> Pension ist mir auch eine<br />

Last genommen worden, es gibt ja immer ein Problem,<br />

das <strong>der</strong> Chef lösen muss.“ Aber vielleicht war es auch die<br />

Vorstellung <strong>der</strong> Konservierung architektonischer Ideen,<br />

dieser technische Schritt in Richtung Ewigkeit, <strong>der</strong><br />

Linsinger die Freude am Beruf erhalten hat: „Wenn ein<br />

Gebäude verschwindet, dann haben wir es im Archiv<br />

erhalten.“ Aber abgesehen von den großen Fragen <strong>der</strong><br />

Vergäng lichkeit kann sich Linsinger in <strong>der</strong> Pension<br />

leichterem Zeitvertreib widmen – <strong>der</strong> Fütterung von<br />

Rehen im Gebirge etwa. �<br />

Porträt Josef Linsinger

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