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Worte gegen Bilder im Kopf NORDKURIER 20./21.01.2007

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<strong>NORDKURIER</strong><strong>20.</strong>/<strong>21.01.2007</strong><strong>Worte</strong> <strong>gegen</strong> <strong>Bilder</strong> <strong>im</strong> <strong>Kopf</strong>Sozialpädagogin hilft Polizisten aus derKriseGegen die <strong>Bilder</strong> <strong>im</strong> <strong>Kopf</strong> hilft nur Reden.Erinnern, erzählen, verarbeiten.„Polizisten kommen als erste zu einemUnfallort. Sie sehen Tote, zerfetzte Autos,sterbende Kinder. Danach können viele nichtso einfach zum Alltag übergehen“, weißEdeltraud Seeger.Seit elf Jahren kommen die Beamten insolchen Situationen zu ihr – sie arbeitet beider Landespolizei Mecklenburg-Vorpommernin Schwerin <strong>im</strong> sozialpädagogischen Dienst.„Manche können nach solchen Einsätzennicht schlafen, sie haben ständig diegrauenhaften <strong>Bilder</strong> vor Augen“, erzählt die45-Jährige. „Sie sind unruhig, können nichtabschalten. Manche greifen zum Alkohol,andere reagieren mit Angststörungen undDepressionen.“Ein Kollege war mit seinem Streifenwagenselbst in einen Unfall verwickelt – er wurdehinterher unsicher be<strong>im</strong> Fahren und brauchteein spezielles Fahrtraining, um wiederunbelastet arbeiten zu können.Andere geraten in bedrohliche Situationen,werden mit Messern attackiert oder sehen dieMündung einer Pistole auf sich gerichtet.Wieder andere werden bei der Suche nachToten eingesetzt.Verstörende Erlebnisse. Zu Hause sprechenviele Polizisten nicht darüber, wollen ihreFamilien nicht belasten. Die Gespräche mitEdeltraud Seeger helfen ihnen, mit derSituation klarzukommen. Manchmal reichenzwei oder drei Termine, um eine sogenannte„posttraumatische Belastungsstörung“ zuvermeiden.Die gelernte Sozialarbeiterin kommtursprünglich aus Dortmund und hat vieleJahre in der Suchtberatung gearbeitet.Nebenbei schloss sie eine Ausbildung zurSozialtherapeutin ab, durfte danach auch mitpsychisch Kranken arbeiten. Zuletzt hat siesich mit mentalem Training beschäftigt,„Gehirnjogging“, wie sie sagt, „geeignet,wenn man Termine vergisst oder Namen.Diese Ausbildung war sehr gut, weil sie fürden Alltag angelegt war.“Den Kurs hat Edeltraud Seeger zwar privatgemacht, aber die neuen Kenntnisse kann sieauch für den Dienst benutzen. Sie istAnsprechpartnerin für die Polizeiangehörigen<strong>im</strong> Bereich Schwerin – Rostock – Güstrow –Ludwigslust, also <strong>im</strong> westlichen Teil desLandes. In Anklam sitzt einDiplompsychologe, der für die östlichenPolizeidirektionen zuständig ist.Jeden Monat bekommt die Sozialarbeiterin 50neue Anfragen. 50 Kollegen, die mit


Schwierigkeiten zu kämpfen haben, die ihreArbeit einschränken. Das können auchprivate Probleme sein.„Es kommen welche, in deren Familiejemand schwer krank geworden ist, in denenes Pflegefälle gibt oder Probleme mit denKindern“, hat Edeltraud Seeger erlebt. „Siesind dann mit dem <strong>Kopf</strong> woanders, nicht <strong>im</strong>Dienst. Ich helfe, für die betroffenenAngehörigen Hilfe zu finden, vermittle siezum Beispiel in eine Klinik oder eineSelbsthilfegruppe.“Oft sind es auch die Beamten selbst, die ineiner Lebenskrise stecken, die mit Ängstenoder Depressionen zu kämpfen haben. Fürdiese organisiert sie professionelle Hilfe, dieZeit bis zum Therapiebeginn wird mit mitregelmäßigen Gesprächen überbrückt. Dassei wichtig, damit die Bereitschaft, sich helfenzu lassen, nicht nachlässt.Nicht wenige haben mit dem Scheitern ihrerBeziehung zu tun. Das ist polizeitypisch. DasAus kommt oft scheinbar überraschend – derBetroffene kann es nicht fassen, kämpft. Ermuss sich einen neuen Lebensmittelpunktsuchen. Aber der Schichtdienst lässt wenigRegelmäßigkeit zu und erfordert viel Disziplinfür die sozialen Kontakte. Auch hier stehtEdeltraud Seeger den Kollegen zur Seite.Natürlich gibt es Beamte, die eine hoheHemmschwelle haben, zu ihr zu kommen.„Für die ist es <strong>im</strong>mer noch einunausgesprochenes Gesetz, dass Polizistenhart sind, alles wegstecken müssen, sonstsind sie Weicheier“, sagt Frau Seeger.Trotzdem empfindet sie, dass ihre Arbeit gutangenommen wird.Sie erzählt von einem Konzept der NewYorker Polizei. Das Motto ist „Sprich mitdeinem Kollegen. Mach deine Gedankenoffen.“ – ganz bewusst sollen die Polizistenaufeinander achten, den Partner ansprechen,wenn ihnen verdächtige Veränderungen indessen Verhalten auffallen.„Da können wir doch mal was Gutes vonden Amerikanern lernen“, meint sie.Ihre Arbeit ist <strong>im</strong>mer ein Angebot, nie einePflicht. Sie war be<strong>im</strong> Castor-Transport 1996in Lubmin dabei, auch be<strong>im</strong> NPD-Aufmarsch1998 in Rostock.„Da gab es viele Demonstranten, vieleGegendemonstranten. Und es gab Beamte,die hatten ihre Familien ganz lange nichtgesehen. Bei all dem Zündstoff war eswichtig, dass wir <strong>im</strong> Hintergrund bereitstanden.“Auch be<strong>im</strong> G8-Gipfel <strong>im</strong> kommenden Juni inHeiligendamm werden Edeltraud Seeger undihre Kollegen zur Verfügung stehen.Die Probleme der anderen trägt sie nicht ewigmit sich herum. Jeden Tag radelt diesportliche blonde Frau neun Kilometer hin zurArbeit und neun Kilometer zurück und lässtdabei schon vieles hinter sich.„Ich kann nur eine gute Beraterin sein,wenn ich auch etwas für mich tue. Und dasist unter anderem der Sport.“Ausdauer am liebsten, auf dem Rad, <strong>im</strong>Wasser oder <strong>im</strong> Wald. Für die „geistigeBeweglichkeit“, wie sie lachend sagt, belegtsie zum Beispiel Sprachkurse. Im Moment istes Englisch-Konversation.Sie lebt mit ihrer 13-jährigen Tochter Nataljaam Rande von Schwerin – „das hat dörflichenCharakter dort, aber ich Großstadtpflanzehabe mich inzwischen dran gewöhnt.“ Sielacht wieder.Ganz ernst, fast traurig wird EdeltraudSeeger be<strong>im</strong> Thema Selbstmorde unterPolizisten. Im Jahr 2005 haben sich vierKollegen das Leben genommen.„Das hat in deren Umfeld großeBetroffenheit ausgelöst“, erinnert sie sich.„Alle haben sich gefragt: haben wir Signaleübersehen, hat es Zeichen gegeben?“

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