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<strong>Entrepreneur</strong><br />

<strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong><br />

<strong>Magazin</strong> No. 1/<strong>2011</strong><br />

Entscheidung<br />

Risk Radar Eine Studie für mehr<br />

Planungssicherheit<br />

Autonomie Von der Entscheidungs-<br />

kultur in Familienunternehmen<br />

Gipfelstürmer Wenn Mensch und Berg<br />

sich begegnen<br />

Vernetzung Wie wir entscheiden<br />

„Emotionen kommen vor<br />

dem Business“<br />

Harti Weirather, CEO,<br />

Weirather-Wenzel & Partner GmbH


Editorial<br />

Durch mutige, teils auch unkonventionelle Entscheidungen die Handlungsfähigkeit des<br />

Unternehmens zu sichern und Handlungsstärke zu beweisen, gehört zu den wichtigsten<br />

Aufgaben von <strong>Entrepreneur</strong>en. Und vielleicht auch zu den schwierigsten. Um es in den<br />

Worten des österreichischen Dichters Franz Grillparzer und einer seiner Dramenfiguren zu<br />

formulieren: „Man sage nicht, das Schwerste sei die Tat,/Da hilft der Mut, der Augenblick,<br />

die Regung;/Das Schwerste dieser Welt ist der Entschluss.“<br />

Anders als entschlossenes Handeln sind unternehmerische Entscheidungen das Ergebnis<br />

eines Prozesses, in dem viele Einflussfaktoren zu bedenken und zu antizipieren sind. Und<br />

häufig müssen langfristige Entscheidungen unter Ungewissheit getroffen werden. Dennoch<br />

werden <strong>Entrepreneur</strong>e in letzter Konsequenz an der Qualität ihrer Entscheidungen<br />

gemessen. Damit rückt die Frage in den Mittelpunkt, was die Basis ist: Analyse, Erfahrung,<br />

Intuition? Und: Ist unternehmerische Exzellenz eher das Ergebnis einer Entscheidung über<br />

Strategien oder für die richtigen Mitstreiter?<br />

Harti Weirather stand schon als Dreijähriger auf Skiern. Mit 24 Jahren feierte er Gold bei<br />

den Skiweltmeisterschaften 1982. Bald darauf wurde aus dem Einzelkämpfer ein Teamplayer.<br />

Gemeinsam mit Hanni Wenzel gründete er die Agentur WWP. Beide hatten erlebt,<br />

wie schwierig es war, ihre Siege zu vermarkten. Inzwischen haben sie das Geschäft mit den<br />

grossen Emotionen professionalisiert. Als Junge guckte Marcelo Alecrim seinem Vater,<br />

einem Tankstellenbesitzer, über die Schulter. Dann bewies er das grössere Verkaufstalent.<br />

Als der brasilianische Kraftstoffmarkt liberalisiert wurde, war das seine Chance. Er hatte<br />

eine Marktnische erkannt und nutzte sie. Morten Hannesbo, CEO AMAG AG, steht seit rund<br />

einem Jahr als erster unternehmensfremder Manager an der Spitze des schweizerischen<br />

Marktführers im Autohandel mit etwa 5 000 Mitarbeitern. Sein Credo: „Eine gute Entscheidung<br />

ist nicht unbedingt die perfekte Entscheidung. Sie ist dann gut, wenn die Mitarbeiter<br />

hinter ihr stehen.“<br />

Für Reinhold Messner waren Entscheidungen nicht selten eine Frage von Leben und Tod.<br />

Seine Expeditionen führten den Abenteurer in menschenfeindliche Regionen. Dass sie ihm<br />

nicht zum Verhängnis wurden, verdankt sich auch seiner inneren Einstellung, der Todesgefahr<br />

mit Kalkül zu begegnen und Bergsteigen als Risikomanagement zu betreiben. Im<br />

entscheidenden Moment jedoch würde er es nie wagen, seinem Instinkt zu widersprechen.<br />

Eine vorausschauende Analyse und ein Erfahrungsreichtum, der die Intuition schärft, das<br />

sind für Messner die Voraussetzungen richtiger Entscheidungen. Sie werden auch der<br />

Komplexität unternehmerischer Entscheidungssituationen gerecht. Ich wünsche Ihnen<br />

eine anregende Lektüre.<br />

Bruno Chiomento<br />

CEO <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong><br />

(Schweiz)<br />

3


In kluger Voraussicht:<br />

Seine Entscheidungsfreiheit<br />

hat für ihn oberste<br />

Priorität. Marcelo Alecrim,<br />

Präsident des brasilianischenKraftstoffvertreibers<br />

ALESAT, ist ein<br />

unabhängiger und ideenreicher<br />

Kopf, der immer<br />

vorausdenkt. Zudem hat<br />

langjährige Erfahrung<br />

seine Intuition geschärft.<br />

Wenn sich dann die<br />

richtige Gelegenheit bietet,<br />

entscheidet er aus<br />

dem Bauch heraus. Und<br />

das mit Erfolg.<br />

4 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />

Seite 30<br />

Eine Frage des Kapitals:<br />

Unternehmerische Entscheidungen<br />

setzen die<br />

Verfügbarkeit von Kapital<br />

voraus. Ohne Kapital<br />

droht der Stillstand. Ein<br />

effizientes Kapitalmanagement<br />

ist deshalb<br />

gerade in Zeiten des Wandels<br />

und des beginnenden<br />

Aufschwungs der<br />

Schlüssel zum Erfolg.<br />

Denn eine starke Capital<br />

Agenda kann Unternehmen<br />

helfen, wirkungsvolle<br />

Kapitalentscheidungen<br />

zu treffen, um Wachstumschancen<br />

zu nutzen.<br />

Seite 37<br />

In eigener Sache:<br />

Er sei kein Unternehmer,<br />

sondern ein Spieler, so<br />

beschreibt Reinhold<br />

Messner sich selbst. Denn<br />

nicht wirtschaftliche<br />

Zweckmässigkeit, sondern<br />

die grösste persönliche<br />

Freiheit sind das Ziel<br />

seiner Entscheidungen.<br />

Dieser Selbstverwirklichungsdrang<br />

befähigt<br />

ihn, innere wie äussere<br />

Widerstände zu überwinden.<br />

Mit der Realisierung<br />

des Messner Mountain<br />

Museum hat er jüngst<br />

seinen „15. Achttausender“<br />

erklommen.<br />

Seite 58


Entscheidung<br />

03 Editorial<br />

<strong>Entrepreneur</strong>e<br />

06 Der Vorreiter Report: Der Pionier des Sporteventmarketings Harti Weirather,<br />

CEO von WWP, war Einzelkämpfer, bis er erkannte, wie wichtig die Entscheidung für<br />

kompetente Mitstreiter ist.<br />

14 „Mit den besten Leuten trifft man auch die richtigen Entscheidungen.“<br />

Interview: Für Hans Smit, Gründer und CEO ApotheekZorg B.V., ist die Auswahl<br />

kompetenter Führungskräfte in einem schnell wachsenden Unternehmen von<br />

grösster Bedeutung.<br />

22 Passt! Report: Auf welche Weise Werner Böck, Vorstandsvorsitzender der<br />

Marc O’Polo AG, seit mehr als 40 Jahren immer wieder in der wichtigsten Entscheidung<br />

seines Lebens bestätigt wird<br />

30 Der Mann von der Tankstelle Porträt: Dank seiner Entscheidungsfreude brachte<br />

Marcelo Alecrim es von der Aushilfe an der Zapfsäule zum Gründer des brasilianischen<br />

Kraftstoffvertreibers ALESAT.<br />

Expertise<br />

37 Schlüssel zum Erfolg in einer unsicheren Welt Wie Unternehmen von einem<br />

effizienten Kapitalmanagement optimal profitieren können<br />

42 „Erst wenn es nicht mehr an dir hängt, bist du erfolgreich.“ Peter Englisch,<br />

<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong>, im Dialog mit Max Maier über familiengeführte Unternehmen und<br />

ihre Entscheidungskultur<br />

48 Navigationshilfe für ein unübersichtliches Terrain Welche Risiken Unternehmen<br />

bei ihren Entscheidungen vorrangig im Blick behalten sollten<br />

Impulse<br />

53 „Wir müssen wissen, dass wir nicht immer alles richtig entscheiden können.“<br />

Für Morten Hannesbo, CEO AMAG AG, ist eine vertrauensvolle Streitkultur unverzichtbar,<br />

wenn es darum geht, durch Innovationen die Weichen für Wachstum neu zu stellen.<br />

58 „Tun, was mir wichtig ist!“ Der Gipfelstürmer Reinhold Messner trifft seine<br />

Entscheidungen im Wissen um die Endlichkeit des eigenen Seins.<br />

66 Die Entscheidungsfreudige Warum Sara Hürlimann mit dem Zahnarztzentrum so<br />

erfolgreich ist<br />

68 Engstens vernetzt Der Hirnforscher <strong>Ernst</strong> Pöppel über den vermeintlichen<br />

Gegensatz von Analyse und Intuition in Entscheidungsprozessen<br />

70 Zehn Fragen an Peter Sauber Was den Formel­1­Rennstall­Besitzer antreibt, aus dem<br />

Ruhestand zurückzukehren, um sich erneut seinem Lebenswerk zu widmen<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 5


<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />

Der Vorreiter<br />

Als 13-Jähriger setzte Harti Weirather seinen Geschäftssinn ein, um an neue Skier zu kommen. Viele Siege und Erfolge später nutzte der<br />

Tiroler Weltmeister im Abfahrtslauf seine Sporterfahrungen, um Unternehmer zu werden. Mit seiner Frau Hanni Wenzel gründete er die<br />

Agentur WWP und wurde zum Pionier bei der Vermarktung von Sportevents.<br />

6 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />

Fotos: Martin Langhorst


<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 7


<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />

Skistöcke hat sie nicht. Aber die Dynamik des Abfahrtsläufers<br />

kommt in der Statuette eines Skifahrers gut zum Ausdruck. So mag<br />

Harti Weirather ausgesehen haben, als er 1982 den Planai hinunterraste.<br />

Ein Vorsprung von 48 Hundertstelsekunden sicherte dem<br />

jungen Österreicher damals die Weltmeisterschaft im alpinen Abfahrtslauf<br />

der Herren. Heute steht die kleine Figur zwischen zahllosen<br />

anderen Preisen, Medaillen und Pokalen in einem Büroraum in<br />

Dornbirn, Vorarlberg. Die meisten freilich hat nicht Weirather, sondern<br />

seine Frau Hanni Wenzel gewonnen. Die Erinnerungen an vergangene<br />

Erfolge füllen einen grossen Glasschrank – nicht zu übersehen,<br />

aber doch abgeschlossen wie die Sportlerkarriere der beiden<br />

Spitzenathleten. Den womöglich noch grösseren Erfolg jedoch stellt<br />

die Sportagentur dar, die Weirather und Wenzel sich nach dem<br />

Ende ihrer aktiven Zeit aufgebaut haben.<br />

In gut zwei Jahrzehnten ist die Agentur Weirather-Wenzel & Partner<br />

zu einem renommierten Dienstleister im Sportmarketing herangewachsen.<br />

„Unser Geschäft sind Emotionen“, sagt Weirather.<br />

Genauer gesagt schafft er Kontakte zwischen Sportlern und Sponsoren,<br />

Verbänden und Medien und bietet Dienstleistungen auf dem<br />

Gebiet der Sportkommunikation an. Er vermarktet das Hahnenkammrennen,<br />

betreut Red Bull bei der Formel 1, stellt den Audi-<br />

Fuhrpark bei Real Madrid sowie FC Barcelona und vermarktet für<br />

Siemens die chinesische Fussball-Liga.<br />

Diese Tätigkeit war dem Sohn Tiroler Bauern nicht an der Wiege<br />

gesungen. Mit elf Jahren verliess Weirather das Elternhaus und<br />

ging auf eine Schule für Skitalente. Mit 13 handelte er, wie er gern<br />

erzählt, seinen ersten guten Vertrag mit einem Skiausrüster aus<br />

– er brachte ihm fünf Paar neue Skier und ein Taschengeld ein. Doch<br />

die Entwicklung vom Spitzensportler zum erfolgreichen Unternehmer<br />

verlief für Weirather weder auf einer vorgezeichneten Bahn<br />

noch war sie das Resultat einer bewusst getroffenen Entscheidung.<br />

„Es war ein schleichender Prozess“, sagt er. „Ich bin da hineingeschliddert.“<br />

Eine frühe Station auf dem Weg zu dem, was<br />

seine zweite Karriere werden sollte, war der Kampf der Skisportler<br />

um eigene Werbeflächen. „Wir hatten die Idee, unsere Kopfbedeckungen<br />

als Werbeträger einzusetzen, weil die in den Fernsehinterviews<br />

so gut zu sehen sind.“ Weltmeister Weirather machte<br />

sich die Sache zu eigen, verhandelte mit dem Internationalen Skiverband,<br />

drohte sogar mit der Gründung eines eigenen Profiver-<br />

Das Startkapital von<br />

Harti Weirather<br />

und seiner Frau Hanni<br />

Wenzel waren ihre<br />

Erfahrungen im Spitzensport<br />

und die Kontakte,<br />

die beide während<br />

ihrer aktiven Karriere<br />

sammeln konnten.<br />

bandes – und erreichte schliesslich, dass Stirnband und Helm den<br />

Sportlern als Werbeflächen überlassen wurden. Der Ausgang dieser<br />

Machtprobe versetzte alle Beteiligten schlagartig in eine neue<br />

Lage – die Athleten eingeschlossen. „Niemand hatte einen Sponsor“,<br />

erinnert sich Weirather. Auch er selbst nicht. Doch der junge<br />

Mann, der im Winter Ski lief, fuhr im Sommer Autorennen und<br />

hatte bei diesen Gelegenheiten die Bekanntschaft mit Teamchefs<br />

und Sponsoren aus der Formel 1 gemacht. Weirather nutzte diese<br />

Kontakte, um verschiedene Firmen für die neuen Werbemöglichkeiten<br />

im Skisport zu interessieren, und vermittelte sie an seine<br />

Kollegen. Mit dem deutschen Felgenhersteller ATS, mit Tag Heuer<br />

und ICI brachte er die ersten branchenfremden Sponsoren in den<br />

alpinen Wintersport.<br />

Geschäftsidee: Win-win-Situationen schaffen<br />

Die Professionalisierung des Wintersports lag Anfang der achtziger<br />

Jahre in der Luft. Die Skiläuferin Hanni Wenzel, die 1980 mit zwei<br />

Medaillen von den Olympischen Spielen in Lake Placid zurückkehrte,<br />

hatte sich damals mit den gleichen Themen auseinanderzusetzen<br />

wie ihr späterer Ehemann. „Ich erlebte, wie schwierig es<br />

war, meine Olympiasiege zu vermarkten“, sagt sie. „Auf den Rat<br />

eines Mentors hin gründete ich damals meine eigene Firma.“ Als<br />

Folge dieser Entscheidung sah das Olympische Komitee sie als<br />

Profi an und untersagte ihr die Teilnahme an den Spielen von 1984.<br />

Weirather betrieb die Pflege seiner Sponsoren zunächst neben seiner<br />

Skikarriere. Dabei erkannte er bald, dass er seinen Geschäftspartnern<br />

mehr bieten musste als nur den Zugang zu Werbeflächen.<br />

Er lud die Sponsoren nach Kitzbühel ein – und sah sich vor die<br />

logistische Herausforderung gestellt, Grossgruppen zu befördern,<br />

zu bewirten und unterzubringen. Anregungen holte er sich wiederum<br />

vom Motorsport. „Bei uns und im Fussball steckte die Vermarktung<br />

ja noch in den Kinderschuhen. Aber die Formel 1 war infolge<br />

der Übernahme durch Bernie Ecclestone schon sehr früh sehr professionell<br />

geworden.“ Seit Anfang der siebziger Jahre hatte der<br />

Engländer den Motorsport konsequent kommerzialisiert. Bei ihm<br />

fand Weirather reichlich Anschauungsmaterial – zum Beispiel das<br />

VIP-Zelt. „Die Kunden unserer Sponsoren standen früher draussen<br />

im Schnee herum und haben gefroren, und danach ging es ins<br />

Gasthaus. Wir sagten uns: Wenn die Formel 1 ein Zelt aufstellen<br />

8 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />

„Ich erlebte, wie schwierig es war, meine<br />

Olympiasiege zu vermarkten. Wir mussten bei<br />

null anfangen und unser Geschäft von der Pike<br />

auf lernen. Das war unser Glück.“ Hanni Wenzel<br />

kann, dann können wir das doch auch. Das war eine der ersten<br />

Dienstleistungen, die wir entwickelt haben.“<br />

Fünf Jahre nach seinem Sieg in Kitzbühel beendet Weirather seine<br />

Karriere, heiratet Hanni Wenzel und gründet mit ihr und zunächst<br />

noch zwei weiteren Partnern die Agentur. Sein Startkapital sind die<br />

Erfahrung im Spitzensport und zahlreiche Kontakte, die er gesammelt<br />

hat. Weirather weiss, wie es in den Sportverbänden zugeht,<br />

er weiss, wie Veranstaltungen organisiert werden, und er kennt die<br />

Denkweisen von Sportlern und Medienvertretern. Berater hat er<br />

in dieser Zeit nicht. Kein Wunder, denn in diesem Geschäftsfeld ist<br />

noch alles neu. „Es gab keinerlei Vergleichsmöglichkeiten, keine<br />

Benchmark“, erinnert er sich. „Es war unser Glück, dass sich der<br />

Gesamtmarkt so positiv entwickelt hat. Mit ihm sind auch wir gewachsen.“<br />

Was Weirather nicht sagt: Als er mit dem Sportmarketing<br />

anfing, gab es diesen Markt noch gar nicht – er selbst hat ihn<br />

mitgeschaffen. Als früherer Spitzensportler geniesst Weirather<br />

bei seinen Geschäftspartnern ein hohes Mass an Glaubwürdigkeit.<br />

„Sport funktioniert anders als ein normales Geschäft: An erster<br />

Stelle steht die Emotion; das Business folgt erst in zweiter Linie.“<br />

Weirather geht den Weg in die entgegengesetzte Richtung:<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 9


<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />

„Zu Beginn war ich davon überzeugt,<br />

ich müsse alles selbst machen.<br />

Wir sind heute genau andersherum<br />

aufgestellt. Wir haben die<br />

Verantwortung sehr aktiv abgegeben.<br />

Ich glaube, heute kann ich das.“<br />

10 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />

Er verwandelt Emotionen in harte Münze. „Das ist der Kern der<br />

Geschäftsidee: Win-win-Situationen schaffen, von denen alle etwas<br />

haben – der Verband, der Sponsor und die Medien.“ Doch wenn es<br />

so einfach wäre, wie es bei ihm klingt – warum machen das dann<br />

nicht auch andere? Anders gefragt: Warum ist ihm gelungen, woran<br />

viele andere Ex-Sportler scheitern? Wenn man von Hanni Wenzels<br />

Worten rückschliesst, dann lässt sich der Erfolg wohl in erster<br />

Linie durch eine dünkellose Lernbereitschaft erklären. „Wir mussten<br />

bei null anfangen und unser Geschäft von der Pike auf lernen“,<br />

sagt die zweifache Olympiasiegerin. „Und das war unser Glück.“<br />

Die ersten Erfahrungen machen Weirather und Wenzel im Ausland.<br />

„Wir sind sehr bewusst in den Frankfurter Raum gegangen, haben<br />

bei Pirelli im Odenwald und bei Braun in Kronberg vorgesprochen“,<br />

sagt Weirather. Hinter dieser Entscheidung steckt ein Kalkül:<br />

„Wenn ich damals gleich nach Wien gegangen wäre, hätte sich<br />

zwar jede Tür geöffnet. Aber ich hätte auch unter extremer Beobachtung<br />

gestanden: Ein Fehler, und ich wäre ebenso schnell wieder<br />

draussen gewesen. So haben wir uns zuerst im Ausland einen Namen<br />

gemacht und haben erst dann in Österreich die eine oder andere<br />

Firma angesprochen.“<br />

Die dritte Weichenstellung kostet ihn die grösste Überwindung. Als<br />

Leistungssportler ist Weirather von Kindesbeinen darauf konditioniert,<br />

sich mit voller Hingabe seiner Aufgabe zu widmen – und zwar<br />

er und nur er allein. „Ich war davon überzeugt, ich müsse alles<br />

selbst machen“, sagt er. „Dieser Gedanke war so tief in mir verwurzelt,<br />

dass ich dachte, etwas anderes würde ich gar nicht ertragen.“<br />

Doch der Erfolg zwingt ihn bald, Helfer herbeizuziehen. „Wir haben<br />

sehr früh zwei, drei Grossaufträge hereinbekommen, die ich allein<br />

nicht mehr bewältigen konnte. Ich war gezwungen, mir Mitarbeiter<br />

zu suchen – und ich habe gesehen, dass sie ihre Aufgabe besser<br />

lösten, als ich es hätte tun können. So kam die Sache in Fahrt.“<br />

Den Wünschen seiner Kunden folgend, wächst Weirathers Unternehmen<br />

schnell aus dem alpinen Wintersport heraus – und in andere<br />

Regionen und Sportarten hinein. Zunächst hatte er sich in dem<br />

Bestreben, die Wertschöpfungskette im Wintersport zu verlängern,<br />

auch beim Handel mit Rechten und Lizenzen für Skirennen engagiert.<br />

Doch dann entschloss er sich, die Agentur ausschliesslich als<br />

Dienstleister zu positionieren und auf den Handel mit Rechten zu<br />

verzichten. „Das war die wichtigste und schwierigste Entscheidung,<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 11


die wir je getroffen haben“, sagt Weirather. „Natürlich werden immer<br />

wieder solche Offerten an uns herangetragen. Aber wir haben<br />

gesagt: Nein, wir wollen uns anders entwickeln.“ Eine Ausnahme<br />

macht er allein beim Hahnenkammrennen in Kitzbühel, das er seit<br />

1997 vermarktet: „Da hängt viel Herzblut dran.“ Verständlich –<br />

denn dort gewann 1982 Weirather in einer Rekordzeit, die zehn<br />

Jahre lang nicht unterboten wurde.<br />

Weirather­Wenzel & Partner definieren ihr Geschäft als Dienstleistungen<br />

auf dem Feld der Sportkommunikation. Sie stellen Bandenwerbung,<br />

Hospitality, Promotion, Ticketing und Organisation. Der<br />

Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf dem Angebot individueller Lösungen<br />

für Kunden, die so unterschiedlich sind wie der Österreichische<br />

Skiverband (ÖSV), die Online-Gaming-Firma bwin, die<br />

Mobilfunkfirma A1, der Versicherungskonzern Allianz oder die<br />

Brauerei Veltins. Das Geschäft verteilt sich inzwischen zu je einem<br />

Drittel auf den Skisport, den Fussball und Motorsport.<br />

Die Agentur hat rund 70 Festangestellte und beschäftigt noch einmal<br />

doppelt so viele freie Mitarbeiter. Neben dem Firmensitz in<br />

Liechtenstein unterhält WWP Tochtergesellschaften in Österreich,<br />

Italien, Spanien und Bulgarien. Jedes Büro hat einen regionalen<br />

Geschäftsführer und einen Key Accounter, der grosse Kunden betreut.<br />

Dieser Kreis von zehn Personen bildet den inneren Zirkel,<br />

der über strategische Fragen berät und über die künftige Entwicklung<br />

des Unternehmens entscheidet.<br />

Der Einstieg ins<br />

Sport eventmarketing<br />

resultierte nicht aus<br />

einer bewusst getroffenen<br />

Entscheidung.<br />

Er war zunächst dem<br />

eigenen Kampf um<br />

Sponsoren geschuldet.<br />

Heute unterhält WWP<br />

neben dem Büro in<br />

Dornbirn und dem<br />

Firmensitz in Liechtenstein<br />

auch Tochterge -<br />

sell schaften in Italien,<br />

Spanien und Bulgarien.<br />

War es für den Einzelkämpfer Weirather schon ein grosser Schritt, die<br />

Hilfe von Dritten anzunehmen, so kostete es ihn geradezu Überwindung,<br />

Verantwortung abzugeben und an seine Mitarbeiter zu übertragen.<br />

„Ich glaube aber, heute kann ich das“, sagt er. Als Voraussetzung<br />

dafür sieht er eine Unternehmenskultur des Vertrauens und<br />

der Offenheit für Kritik. Die ist in seinem Unternehmen so sehr verankert,<br />

dass er seinen Führungskräften selbst dann freie Hand lässt,<br />

wenn er selbst von der Richtigkeit ihrer Entscheidung nicht völlig<br />

überzeugt ist. „Wir sind heute genau andersherum aufgestellt als<br />

am Anfang. Wir haben die Verantwortung sehr aktiv abgegeben.“<br />

Grossen Wert legt Weirather daher auf die Auswahl seiner Mitarbeiter.<br />

Und es bereitet ihm Genugtuung, dass viele schon seit zwei Jahrzehnten<br />

bei ihm sind. „Wenn sie sich hier wohlfühlen, dann teilt sich<br />

das auch den Kunden mit“, sagt er. In Dienstleistungsunternehmen<br />

wie dem seinen spiele die Persönlichkeit der Mitarbeiter eine weit<br />

grössere Rolle als anderswo. Daher lässt er sich bei der Besetzung<br />

von Stellen auch von seinen Sympathien leiten. „Wenn ich drei oder<br />

vier Bewerber in der Endausscheidung habe, dann frage ich mich:<br />

Mit wem möchtest du das ganze Jahr hindurch zusammenarbeiten?<br />

Wenn schon ich nicht hundertprozentig mit jemandem kann, dann<br />

wird auch der Kunde keine Freude an ihm haben.“ Wie zu seiner Zeit<br />

als Sportler, als er in Sekundenbruchteilen entscheiden musste,<br />

folgt er hier seinem Bauchgefühl – auch wenn er einräumen muss,<br />

dabei schon einmal enttäuscht worden zu sein. Verändert hat sich<br />

hingegen seine Einstellung zum Leistungsdruck. „Ich bin selbst<br />

12 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />

äusserst ungeduldig und verlange wohl zu viel von meinen Mitarbeitern“,<br />

räumt er ein. „Das ist wahrscheinlich ein Überbleibsel aus<br />

dem Spitzensport. Da muss ich sehr aufpassen und mich zurücknehmen.<br />

Die Führungsmitarbeiter entwickeln alle schon von sich<br />

aus so viel Initiative und Eigendruck – wenn da noch Druck von mir<br />

dazukommt, dann wird es einfach zu viel. Burn-out ist für uns ein<br />

wichtiges Thema.“ Das hängt eng mit dem Geschäftsmodell seiner<br />

Agentur zusammen. „Bei uns sind die Wochenenden selten erholsam,<br />

denn gerade da finden die grossen Events statt. Und wenn<br />

man wie wir in mehreren Sportarten tätig ist, dann gibt es auch<br />

keine Jahreszeiten, in denen es etwas ruhiger zugeht.“ Auf der<br />

Suche nach einem Ausgleich hat Weirather daher begonnen, seinen<br />

Mitarbeitern viele Freiheiten bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeiten<br />

einzuräumen – im Kleinen wie im Grossen. „Wir haben einen Key<br />

Accounter, der hat eine Auszeit von einem halben Jahr genommen<br />

und eine Weltreise gemacht. Er kam mit ganz neuem Esprit zurück.<br />

Damit haben wir sehr positive Erfahrungen gemacht.“<br />

Weirather selbst plant, sich in den nächsten zwei Jahren völlig<br />

aus dem operativen Geschäft zurückziehen. Er hat Strukturen geschaffen,<br />

die gewährleisten, dass das Unternehmen auch ohne ihn<br />

läuft. Seit zwei Jahren bereitet er einen Nachfolger auf die Rolle<br />

des CEO vor. Wenn der Übergang vollzogen ist, will Weirather sich<br />

in den Verwaltungsrat zurückziehen und sich schwerpunktmässig<br />

dem Lob<strong>by</strong>ing und der Kundenbetreuung widmen. Aber auch ausserhalb<br />

seiner Agentur wird es ihm nicht an Beschäftigung fehlen.<br />

Er ist an einer Reihe von Unternehmen beteiligt, unter anderem<br />

einem Start-up, das den „Streetstepper“ entwickelt hat, einen<br />

Wipproller, der die Eigenschaften eines Fahrrads mit denen eines<br />

Lauftrainers kombiniert. Es ist vielleicht kennzeichnend für Weirathers<br />

Ambitionen, dass dies das einzige Gerät seiner Art ist, mit dem man<br />

auch bergauf fahren kann.<br />

Für die Zukunft hat der frühere Weltmeister also noch viele Pläne.<br />

Welche zurückliegende Entscheidung er heute anders treffen würde?<br />

„Wahrscheinlich würde ich nicht in der Maturaklasse die Schule<br />

schmeissen“, sagt er. „Aber dann, denke ich, hätte ich vielleicht auch<br />

nicht meine Erfolge im Sport gehabt. Und auch nicht den Zwang<br />

verspürt, alles für meinen Beruf zu geben.“ Womöglich hätte es<br />

dann beides nicht gegeben: weder die 48 Hundertstelsekunden<br />

noch die zwei Jahrzehnte danach.<br />

„Sport funktioniert nach eigenen Gesetzen:<br />

An erster Stelle stehen Emotionen, das Business<br />

folgt erst in zweiter Linie.“<br />

Harti Weirather<br />

Gründer und CEO der Weirather-Wenzel & Partner GmbH, Liechtenstein<br />

Harti (eigentlich: Hartmann) Weirather, 52, wuchs auf dem Bauernhof<br />

seiner Eltern in Wängle (Tirol) auf. Mit elf Jahren ging er auf eine Schule<br />

für Skitalente und gewann 1982 die alpinen Skiweltmeisterschaften der<br />

Herren. Schon während seiner Zeit als aktiver Sportler begann er mit der<br />

Vermittlung und Betreuung von Sponsoren. Ende der achtziger Jahre<br />

gründete er gemeinsam mit seiner Frau Hanni Wenzel, 53, eine Sport vermarktungsagentur<br />

und wurde zum Pionier des Sportmarketing.<br />

Weirather positionierte WWP als Mittler und Berater, kreative Ideenschmiede<br />

und umsetzenden Dienstleister für die werbetreibende Industrie,<br />

Sportverbände, Teams, Individualsportler und Medien. Zu seinen<br />

Kunden gehören unter anderem der Österreichische Skiverband, Audi,<br />

bwin, Red Bull, VW und Veltins. Die Geschäftsfelder verteilen sich zu<br />

je einem Drittel auf Ski, Motorsport und Fussball. Als einen „Ausreisser“<br />

im Portfolio betrachtet Weirather die Vermarktung der Rechte am Hahnenkammrennen<br />

– aber in Kitzbühel gewann er einst mit Rekordzeit.<br />

2009 kürte ihn <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> zum „<strong>Entrepreneur</strong> des Jahres“.<br />

Rund um die Welt beschäftigt WWP knapp 70 feste Angestellte und<br />

noch einmal rund 150 freie Mitarbeiter. Neben dem Firmensitz in Liechtenstein<br />

unterhält die Agentur Tochtergesellschaften in Österreich,<br />

Italien, Spanien und Bulgarien. Grundsätzlich gibt Weirather keinerlei<br />

Zahlen des Unternehmens bekannt.<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 13


<strong>Entrepreneur</strong>e Interview<br />

Fotos: Jürgen Frank<br />

„Mit den<br />

besten Leuten<br />

trifft man auch<br />

die richtigen<br />

Entscheidungen.“<br />

Hans Smit<br />

Gründer und Chief Executive Officer ApotheekZorg B.V.<br />

Im Gesundheitswesen werden Entscheidungen selten Hals über<br />

Kopf getroffen. Manchmal sei es besser, zwei oder drei Monate zu<br />

warten, bis der Knoten sich von allein entwirrt hat, erklärt Hans<br />

Smit, Gründer und CEO der holländischen ApotheekZorg, einer<br />

Spezialapotheke für hochwirksame Medikamente gegen chronische<br />

Krankheiten. Alle Entscheidungen in seinem Unternehmen<br />

„müssen dem Patienten dienen“, sagt der Niederländer. „Wir<br />

machen nichts ausschliesslich mit dem Ziel, Geld zu verdienen.“<br />

14 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />

15


<strong>Entrepreneur</strong>e Interview<br />

<strong>Entrepreneur</strong>: Herr Smit, welches war die bislang schwierigste<br />

Entscheidung in Ihrer Karriere als Unternehmer?<br />

Hans Smit: Da muss ich nicht lange nachdenken. Als ich mich vor<br />

drei Jahren von den drei Apotheken getrennt habe, mit denen ich<br />

mehr als 20 Jahre zuvor angefangen hatte, war das die schwierigste<br />

Entscheidung meiner Unternehmerlaufbahn. Diese Apotheken<br />

waren sozusagen die Keimzelle meines heutigen Unternehmens.<br />

Ich brauchte drei oder vier Jahre, bis ich mich zu dem Verkauf<br />

durchringen konnte. Immer wieder überlegte ich: „Soll ich die Apotheken<br />

behalten oder nicht? Wenn ich noch ein bisschen mehr<br />

arbeite, dann wird es schon gehen.“ Ich kannte jeden Mitarbeiter,<br />

mit einigen hatte ich seit zehn oder 15 Jahren oder noch länger<br />

zusammengearbeitet. Ich hatte das Gefühl, etwas unwiederbringlich<br />

zu verlieren. Aber andererseits musste ich die Entscheidung<br />

treffen, weil ich mich auf unser neues Geschäft konzentrieren wollte.<br />

Irgendwann habe ich dann entschieden: „Nein, es ist das Beste,<br />

wenn ich die Apotheken verkaufe, und zwar jetzt.“<br />

Es ist Ihnen doch sicherlich ähnlich schwergefallen, als Sie sich<br />

vor zehn Jahren aus dem Internetapotheken-Geschäft zurückgezogen<br />

haben, das ja eine Zeit lang sehr erfolgreich lief.<br />

Nein, diese Entscheidung fiel mir vergleichsweise leicht, da gab<br />

es nicht viel zu überlegen. Als ich 1998 das Modell einer Internetapotheke<br />

präsentierte, war ich damit der Erste auf dem holländischen<br />

Markt. Das Geschäft lief vielversprechend, bis die gesamte<br />

Internetökonomie kollabierte und unsere Umsätze binnen weniger<br />

Monate von einem hohen Niveau aus völlig einbrachen. Die Menschen<br />

hatten ganz einfach kein Vertrauen mehr in irgendetwas,<br />

das nach Internet klang. Im medizinischen Bereich ist mangelndes<br />

Vertrauen das Todesurteil.<br />

Da gab es also keinen Entscheidungsspielraum mehr?<br />

Zum Rückzug aus diesem Markt gab es keine Alternative. Das war<br />

eine Existenzfrage. Aber wir haben aus dieser bedrohlichen Situation<br />

heraus im Jahr 2000 schnell eine neue Vision entwickelt. Meine<br />

Idee war es, unser Geschäft auf eine überschaubare Nische zu konzentrieren<br />

und dadurch zusätzlichen Wert zu schöpfen. Das war<br />

die Geburtsstunde von ApotheekZorg, der spezialisierten Apotheke,<br />

die den Patienten nicht nur mit wichtigen Medikamenten versorgt,<br />

sondern ihn auch bei deren Anwendung unterstützt. Sie zielt auf<br />

Menschen mit ernsthaften Krankheiten, die auf Injektionen oder<br />

„Wenn ein Pharma-<br />

unternehmen ein neues<br />

Produkt in der Pipeline<br />

hat, das für uns<br />

interessant sein könnte,<br />

schaue ich es mir ganz<br />

genau an. Da geht es<br />

ausschliesslich um Fakten,<br />

nicht um Intuition.“<br />

Infusionen angewiesen sind. Genau dieser Patientengruppe wollte<br />

ich durch die Kombination von Apotheke und häuslicher Betreuung<br />

einen Nutzen, eine Erleichterung verschaffen. Ein Krebspatient<br />

beispielsweise muss für seine Chemotherapie-Infusion nicht mehr<br />

wie früher ins Krankenhaus, sondern kann daheimbleiben. Ich<br />

glaube, so etwas passiert im Leben nicht selten – dass man aus<br />

einer kritischen Situation heraus etwas Kreatives entwickelt, eine<br />

ganz besondere Idee.<br />

Was war Ihr Leitgedanke bei der Entscheidung für dieses neue<br />

Geschäftsmodell?<br />

Im Mittelpunkt dieser Entscheidung stand primär die Frage, ob sie<br />

dem Patienten einen zusätzlichen Nutzen bringt. Das gilt übrigens<br />

für alle wesentlichen Unternehmensentscheidungen seitdem. Im<br />

Gesundheitssektor geht es nun mal hauptsächlich um Vertrauen –<br />

zwischen Arzt und Patient, aber auch zwischen Apotheker und<br />

Patient. Ein Geschäftsmodell, das keine Vertrauensbasis schafft,<br />

ist in dieser Branche nicht zukunftsfähig. Aber natürlich habe ich<br />

auch die wirtschaftlichen Chancen durchkalkuliert. Ich war der Erste<br />

und Einzige, der ein solches Konzept entwickelt hatte, ein Pionier.<br />

Die Chancen waren vielversprechend, die Risiken überschaubar.<br />

Wir begannen sehr vorsichtig, mit nur einem Medikament – und<br />

waren absolut überrascht, wie grossartig das einschlug.<br />

Erzählen Sie doch ein wenig über diese Anfangszeit. Mit welchem<br />

Medikament haben Sie angefangen, und wie haben Sie es in<br />

den Markt eingeführt?<br />

Es war ein Wachstumshormon für Kinder bis zehn Jahre, das täglich<br />

gespritzt werden muss. Wir haben den Ärzten angeboten, dass<br />

wir zur ersten Anwendung des Medikaments eine Krankenschwester<br />

zu den Kindern nach Hause schicken, die den Eltern alles erklärt:<br />

wie man die Injektion setzt, wie wichtig die regelmässige Verabreichung<br />

ist, welche Probleme oder Nebenwirkungen auftreten können<br />

und was dann zu tun ist.<br />

Kommt die Krankenschwester denn jedes Mal vorbei, wenn der<br />

Patient sich unsicher oder überfordert fühlt? Oder besucht sie<br />

jeden Patienten nur ein Mal?<br />

In den meisten Fällen reicht ein einziger Besuch aus. Es gibt aber<br />

immer einige Patienten, die etwas nicht verstehen oder bis zur<br />

nächsten Injektion etwas Wichtiges vergessen haben. Zu denen<br />

16 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


<strong>Entrepreneur</strong>e Interview<br />

fahren wir dann mehrmals. Andere Patienten wiederum können<br />

sich selbst keine Injektion setzen, etwa weil sie unter schwerer<br />

Arthritis leiden und niemand da ist, der ihnen hilft. In solchen<br />

Fällen kommt unsere Krankenschwester regelmässig zur Injektion.<br />

Diesen Service bieten Sie aber nicht für jedes nur denkbare<br />

Medikament an?<br />

Nein, wir sind hoch spezialisiert, genau darin unterscheiden wir uns<br />

von der Apotheke an der Ecke, die die gesamte Palette an Arzneimitteln<br />

anbietet. Wir beschränken uns auf 20 bis 30 Präparate.<br />

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Medikamente aus, die für<br />

das Konzept der spezialisierten Apotheke inklusive Hausbesuch der<br />

Krankenschwester infrage kommen?<br />

Bei einer einfachen Tablette benötigen Sie in der Regel keine Krankenschwester,<br />

die beim Patienten sitzt und aufpasst, wie er sie einnimmt.<br />

Wir befassen uns ausschliesslich mit hocheffektiven Präparaten<br />

gegen schwere und oft chronische Krankheiten wie Parkinson,<br />

Multiple Sklerose, Morbus Bechterew, Arthritis oder Morbus Crohn.<br />

Bei diesen Medikamenten, die meist per Injektion oder Infusion<br />

verabreicht werden, kommt es entscheidend auf die korrekte<br />

Dosierung und Anwendung an. Wenn der Patient ein so hochwirksames<br />

Medikament, etwa eine Chemotherapie gegen eine Krebserkrankung,<br />

falsch dosiert oder die Einnahme vergisst, kann das<br />

schwerwiegende Folgen haben.<br />

Richten sich die wichtigsten Entscheidungen eines <strong>Entrepreneur</strong>s<br />

eigentlich eher auf das Was oder auf das Wer? Anders<br />

gefragt: Geht es für Sie primär um die richtige Strategie oder darum,<br />

die richtigen Führungskräfte an Bord zu holen und um sich<br />

zu scharen?<br />

Das Wer ist die entscheidende Frage. Mit den richtigen, den besten<br />

Leuten trifft man auch die richtigen Entscheidungen. Die Auswahl<br />

der Führungskräfte ist eine der grössten Herausforderungen für<br />

einen Unternehmensführer. Allzu viele Fehler kann ich mir dabei<br />

nicht leisten.<br />

Suchen Sie bewusst Führungskräfte, die Fähigkeiten mitbringen,<br />

die bei Ihnen selbst möglicherweise weniger ausgeprägt sind?<br />

Ja, natürlich, sonst wäre ein schnell wachsendes Unternehmen wie<br />

ApotheekZorg überhaupt nicht steuerbar. Ich bin ein grundsolider<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />

17


<strong>Entrepreneur</strong>e Interview<br />

Apotheker, und ich leite dieses Unternehmen. Im Management-Team<br />

haben wir auch noch ein paar andere Apotheker. Das ist sinnvoll,<br />

weil das Unternehmen im Kern ja immer noch eine Apotheke ist.<br />

Aber wir haben auch Experten im Team, die nicht aus der Branche<br />

kommen. Einen Spezialisten in Corporate Finance beispielsweise,<br />

ohne den wir unsere internationale Wachstumsstrategie nicht verfolgen<br />

könnten. Und natürlich brauchten wir auch jemanden, der sich<br />

um die Prozesse kümmert, um IT und Logistik beispielsweise.<br />

Nach welchen Kriterien sind Sie bei der Auswahl vorgegangen?<br />

Es hört sich vielleicht seltsam an, aber unser Logistikspezialist<br />

arbeitete vorher für ein Tabakunternehmen in Sri Lanka – als Leiter<br />

einer Fabrik mit 5 000 Beschäftigten. Ich fand, dass die Produktion<br />

von Zigarren sehr viele Ähnlichkeiten mit unseren Prozessen aufwies.<br />

Zigarren werden gefertigt, in eine Kiste gepackt und versandt.<br />

Unsere Medikamente auch. Eigentlich ist es das Gleiche …<br />

Wenn man sich eine Zigarrenmanufaktur vorstellt, in der fast<br />

alles auf Handarbeit basiert, ist es schwer vorstellbar, dass es<br />

das Gleiche ist …<br />

Ja, es gibt natürlich Manufakturen, zum Beispiel auf Kuba, wo die<br />

Tabakblätter von Hand gerollt werden. Das Werk, das ich meine,<br />

war eine hoch effiziente Fabrik, und da ging es um Downsizing-Prozesse,<br />

Ressourcenplanung, Controlling und Ähnliches. Wir waren<br />

zum damaligen Zeitpunkt in einer Situation, in der wir gerade in<br />

diesen Bereichen ein Defizit hatten. Das Unternehmen war so rapide<br />

gewachsen, dass wir die Prozesse mit Bordmitteln kaum noch in<br />

den Griff bekamen. Wir brauchten jemanden mit langjähriger Erfahrung<br />

in einem schnell wachsenden Unternehmen. Da kam dieser<br />

Spezialist gerade zum richtigen Zeitpunkt.<br />

Sie akzeptieren also Ihr eingeschränktes Know-how in bestimmten<br />

Bereichen und kompensieren es ganz bewusst durch die Auswahl<br />

entsprechender Führungskräfte.<br />

Ich bin ein <strong>Entrepreneur</strong>, ich habe das Unternehmen aufgebaut<br />

und auf einen schnellen Wachstumspfad gebracht. Aber irgendwann<br />

benötigt man zusätzliche Kompetenzen, damit das Unternehmen<br />

sich trotz eines rapiden Wachstums gesund entwickelt und<br />

die Prozesse beherrschbar bleiben. Fast jeder hat doch ein Gespür<br />

dafür, wo seine Stärken liegen und wo nicht. Dann braucht man<br />

Leute an seiner Seite, die diese Defizite kompensieren.<br />

„Ich verlasse mich eindeutig<br />

am meisten auf meine<br />

Erfahrung. Seit fast 25<br />

Jahren bin ich als Apotheker<br />

tätig. Ich weiss, was die Ärzte<br />

beschäftigt, und ich weiss,<br />

wie Patienten auf bestimmte<br />

Dinge reagieren. Ich<br />

entscheide so gut wie nie<br />

intuitiv.“<br />

18 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


<strong>Entrepreneur</strong>e Interview<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />

19


<strong>Entrepreneur</strong>e Interview<br />

Die Frage des Wer haben Sie also gelöst. Und wie sieht die<br />

nächste Herausforderung aus?<br />

Jetzt befassen wir uns vor allem mit unserer internationalen<br />

Wachstumsstrategie. Holland ist ein vergleichsweise kleines Land.<br />

Trotzdem werden wir dort in diesem Jahr voraussichtlich mehr als<br />

260 Millionen Euro umsetzen. Hätten wir den gleichen Erfolg, den<br />

gleichen Marktanteil in Deutschland, läge unser Umsatz schon bei<br />

anderthalb Milliarden Euro und statt 120 hätten wir vermutlich<br />

schon 800 Mitarbeiter. Bei Grossbritannien liegt die Sache ähnlich.<br />

Aber es geht nicht nur um mehr Umsatz oder mehr Mitarbeiter.<br />

Das Unternehmen wird sich durch das Wachstum verändern. Bisher<br />

ist ApotheekZorg eine schlanke Organisation. Wir werden aufpassen<br />

müssen, dass die Distanz zwischen dem Management und<br />

den Mitarbeitern in den jeweiligen Ländern nicht zu gross wird.<br />

In der Praxis fallen Entscheidungen im Unternehmen auf der<br />

Basis von Analyse, Intuition und Erfahrung. Wie würden Sie diese<br />

Bestimmungsgründe von Entscheidungen persönlich gewichten?<br />

Ich verlasse mich eindeutig am meisten auf meine Erfahrung. Seit<br />

fast 25 Jahren bin ich als Apotheker tätig. Ich weiss, was die Ärzte<br />

beschäftigt, und ich weiss, wie Patienten auf bestimmte Dinge<br />

reagieren. Ich entscheide so gut wie nie intuitiv. Wenn ein Pharmaunternehmen<br />

ein neues Produkt in der Pipeline hat, das für uns<br />

interessant sein könnte, analysiere ich die Wirkungsweise, ich informiere<br />

mich über die Verabreichung und die Nebenwirkungen und<br />

lasse die bisherige Zusammenarbeit mit diesem Produzenten<br />

Revue passieren. Da geht es ausschliesslich um Fakten, nicht um<br />

Intuition. Die wäre da völlig fehl am Platz.<br />

Aber wenn es um Personalfragen geht, um die Einstellung eines<br />

Mitarbeiters für eine wichtige Position beispielsweise – verlässt<br />

man sich da zu guter Letzt, nachdem man alle Informationen und<br />

Eindrücke aus dem Auswahlverfahren abgewogen hat, nicht doch<br />

auf seine Intuition, wenn die Entscheidung ansteht: Nehmen wir ihn<br />

oder nicht?<br />

Da haben Sie sicherlich recht, aber in solchen Momenten halte ich<br />

mich lieber zurück. Intuitives Entscheiden ist nun mal nicht meine<br />

Stärke. Ich bleibe lieber bei dem, was mir meine Erfahrung und die<br />

Fakten sagen. Zum Glück habe ich aber Kollegen im Management-<br />

Team, die das ausgleichen und bei solchen Entscheidungen den<br />

intuitiven Part übernehmen.<br />

„Ich glaube, so etwas passiert im Leben nicht<br />

selten – dass man aus einer kritischen<br />

Situation heraus etwas Kreatives entwickelt,<br />

eine ganz besondere Idee.“<br />

Lassen Sie häufig das Team entscheiden, um möglichst viel von<br />

dem Wissen, das im Unternehmen vorhanden ist, in die Entscheidung<br />

einfliessen zu lassen?<br />

Ich bin ein grosser Anhänger des Teamgedankens. Die Teammitglieder<br />

befruchten sich gegenseitig, und dadurch kommt man bei<br />

Entscheidungen in vielen Fällen zu besseren Ergebnissen. Allerdings<br />

glaube ich, dass Teams auch eine Gefahr in sich bergen: Es<br />

kommt vor, dass jemand aus dem Team eine gute Idee hat und es<br />

keine halbe Stunde dauert, bis das Team sie völlig zerredet hat<br />

und alle der Meinung sind, dass man die Idee nicht weiterverfolgen<br />

sollte. Da ist es meine Aufgabe als CEO, die Teamdiskussion zu<br />

steuern und aufzupassen, dass gute Initiativen nicht kaputtge redet<br />

werden.<br />

Würden Sie Ihre Führungskräfte eine Entscheidung treffen<br />

lassen, auch wenn Sie selbst Zweifel haben, dass es eine richtige<br />

Entscheidung ist?<br />

Ja, es ist schon vorgekommen, dass ich beispielsweise der Meinung<br />

war, dass ein an und für sich guter Vorschlag für eine neue Aktivität<br />

nicht zur richtigen Zeit kommt. Oder ich war mit dem Weg zur<br />

Erreichung eines Ziels nicht ganz einverstanden. Meine Erfahrung<br />

sagt mir dann, dass es oft mehrere Wege gibt, ein Ziel zu erreichen.<br />

Der von mir favorisierte muss nicht der einzige sein. Also greife<br />

ich zunächst einmal nicht ein, auch wenn ich nicht 100-prozentig<br />

überzeugt bin.<br />

Welche Grundwerte oder Grundüberzeugungen bilden die<br />

Eckpfeiler des Entscheidungsspielraums in Ihrem Unternehmen?<br />

Im Gesundheitssektor ist ein ethisches Fundament unverzichtbar.<br />

Alles, was wir tun, muss dem Patienten dienen. Wir machen nichts<br />

ausschliesslich mit dem Ziel, Geld zu verdienen. Und selbstverständlich<br />

verlassen wir nie auch nur einen Schrittbreit den Boden<br />

der Legalität. Wir überreden beispielsweise die Ärzte nicht, ein<br />

bestimmtes Medikament zu verschreiben, an dem wir möglicherweise<br />

mehr verdienen. Auf solche Dinge achten wir sehr genau.<br />

Wie entscheiden Sie in kritischen Momenten, in denen die Zeit<br />

fehlt, Argumente abzuwägen, Analysen anzustellen, Ihre Entscheidung<br />

aber gefragt ist?<br />

Wenn es nur um Ja oder Nein geht? Dann konsultiere ich unser<br />

Risikomanagement und schaue mir die Risiken der zur Wahl<br />

20 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


<strong>Entrepreneur</strong>e Interview<br />

stehenden Alternativen an. Ich neige dann zu der Alternative, die<br />

mit dem geringeren Risiko verbunden ist.<br />

Gibt es Situationen, in denen es ratsam ist, nicht zu entscheiden,<br />

sondern erst einmal abzuwarten?<br />

Auch das kommt vor. Manchmal sind Entscheidungen derart kompliziert<br />

und komplex, dass es ratsam ist, zwei oder drei Monate<br />

zu warten, bis der Knoten sich von allein entwirrt hat. In unserer<br />

Branche ist es nicht unbedingt üblich, von jetzt auf gleich zu entscheiden.<br />

Wenn ich also der Meinung bin, dass wir noch Zeit brauchen,<br />

um zusätzliche Informationen zu beschaffen, dann nehmen<br />

wir uns diese Zeit. Das ist doch einer der wichtigsten Aspekte von<br />

Entscheidungen: zu wissen, wann der richtige Zeitpunkt für die<br />

Entscheidung gekommen ist.<br />

Das klingt auf jeden Fall so, als ob Sie eher ein vorsichtiger<br />

Mensch sind und keine Spielernatur.<br />

Absolut. Spielernaturen haben im Gesundheitssektor nichts zu suchen.<br />

Schliesslich geht es hier um Menschen und nicht um irgendein<br />

Konsumgut. Das darf man nie vergessen.<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />

Hans Smit<br />

Gründer und Chief Executive Officer ApotheekZorg B.V.<br />

Der heute 49-jährige Arztsohn Hans Smit sollte nach dem Willen seines<br />

Vaters ebenfalls den Beruf des Arztes wählen. Er entschied sich aber für<br />

ein Pharmaziestudium, das er 1985 abschloss. Bereits ein Jahr später<br />

eröffnete er drei Apotheken im niederländischen Almere. Ende der neunziger<br />

Jahre baute er eine Internetapotheke auf. Das Konzept scheiterte<br />

mit dem Niedergang der New Economy. Im Jahr 2000 gründete Smit<br />

ApotheekZorg, sein bis heute existierendes Unternehmen. <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong><br />

kürte ihn zum niederländischen <strong>Entrepreneur</strong> Of The Year 2009.<br />

ApotheekZorg B.V.<br />

Das niederländische Unternehmen mit Management-Sitz in Amsterdam<br />

hat sich auf Gesundheitsdienstleistungen im Apothekensektor spezialisiert.<br />

ApotheekZorg (holländisch für „Apotheke“ und „Pflege“) liefert in<br />

den gesamten Niederlanden und mittlerweile auch in Belgien und Luxemburg<br />

mit eigenen Kurieren 24 Stunden am Tag passgenau auf den Patienten<br />

abgestimmte Medikamente – insbesondere gegen schwere chronische<br />

Krankheiten wie Arthritis, Parkinson oder Multiple Sklerose – nach Hause.<br />

Eine besondere Dienstleistungsinnovation ist das im Jahr 2003 eingeführte<br />

Konzept der „mobilen Krankenschwester“. ApotheekZorg beschäftigt<br />

45 erfahrene Krankenschwestern, die die Patienten zu Hause aufsuchen,<br />

ihnen die Einnahme der Medikamente erklären und auch Injektionen<br />

und Infusionen vornehmen. Die „mobile Krankenschwester“ bringt den<br />

Patienten ein höheres Niveau in ihrer Gesundheitsversorgung, vermeidet<br />

in etlichen Fällen einen Arztbesuch oder eine stationäre Aufnahme<br />

und erhöht die Effektivität teurer Medikamente: Denn nur ein richtig angewendetes<br />

und dosiertes Medikament erreicht die erhoffte Wirkung.<br />

Ein Beispiel ist ein (sehr teures) Präparat gegen Multiple Sklerose. Da<br />

das Medikament in den ersten Monaten schwere Nebenwirkungen mit sich<br />

bringt, stoppten früher 50 Prozent der Patienten nach einiger Zeit die<br />

Einnahme. Nachdem eine ApotheekZorg-Krankenschwester die Patienten<br />

in den ersten Monaten nach der Verschreibung nun drei Mal aufsucht, ist<br />

die Abbrecherquote auf zehn Prozent gesunken.<br />

In den vergangenen Jahren konnte das Unternehmen, das derzeit knapp<br />

120 Mitarbeiter beschäftigt, beeindruckende Wachstumsraten bei Umsatz<br />

und Gewinn vorweisen. Allein zwischen 2005 und 2009 erhöhte sich der<br />

Umsatz von 53 Millionen auf 200 Millionen Euro, der Gewinn vor Steuern<br />

wuchs von 0,79 auf 3,91 Millionen Euro. Die Ziele für die nächsten Jahre<br />

sind ehrgeizig: Der Umsatz soll im laufenden Jahr 260 Millionen Euro erreichen<br />

und schon in wenigen Jahren bei 350 Millionen Euro liegen. Aktuell<br />

denkt Smit über eine Ausweitung der Aktivitäten nach Deutschland,<br />

Grossbritannien, in die Schweiz und nach Skandinavien nach.<br />

21


<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />

Passt!<br />

Mit Begeisterung und Bedacht hat Werner Böck aus dem Nischen-Label Marc O’Polo eine europaweit führende Lifestyle-Marke gemacht mit<br />

der Philosophie „Modern Casual“. Und damit den Beweis geliefert, dass man auch aus der Not heraus sehr erfolgreich sein kann. „Wir sind<br />

wie unsere Kunden, wir verkleiden uns nicht“, sagt Werner Böck. Eine klare Linie – das gilt für seine Mode wie für seine Entscheidungen.<br />

22 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />

Fotos: Michael Herdlein


<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 23


<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />

„Wir sind keine Trendmacher. Trends<br />

verändern sich so schnell. Wir haben<br />

ein klares Gesicht, und ein Gesicht<br />

bekommt man nur durch Weglassen.“<br />

24 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />

Alexander Gedat,<br />

Vorstand für Vertrieb.<br />

In der gewachsenen<br />

Vertrauenskultur des<br />

Unter nehmens fungiert<br />

er seit 15 Jahren<br />

als hochgeschätzter<br />

Sparringspartner von<br />

Werner Böck.<br />

Mit federndem Schritt kommt Werner Böck näher. Über dem weissen<br />

Hemd trägt er ein blaues Sakko mit fein gewebtem Muster, aus<br />

der Brusttasche lugt ein blau-weisses Einstecktuch hervor. Seine<br />

Beine stecken in einer bequemen, beigen Hose. Die Schuhe an seinen<br />

Füssen schimmern hellbraun. Natürlich trägt Werner Böck von<br />

oben bis unten Marc O’Polo, so wie jeden Tag. Schliesslich steht der<br />

67-Jährige wie kein Zweiter für diese Marke, als Mehrheitseigner<br />

und Vorstandsvorsitzender der Marc O’Polo AG in Stephanskirchen<br />

bei Rosenheim. Vor allem aber als der Mann, der aus dem Nischen-<br />

Modelabel einen führenden europäischen Lifestyle anbieter gemacht<br />

hat – mit denselben Tugenden, die auch seine Mode kennzeichnen:<br />

Modernität und Bodenständigkeit, Natürlichkeit und<br />

Qualität, mit einer klaren Linie und eindeutigen Entscheidungen.<br />

„Wir machen keine Hosen mit drei Beinen“, sagt Werner Böck. „Wir<br />

entwerfen Kleidung, die man länger tragen kann als drei Monate.<br />

Und wir sind wie unsere Kunden: Wir verkleiden uns nicht.“<br />

Mode ist Ausdruck einer inneren Haltung, und es ist schon frappierend,<br />

wie sehr die Mode von Marc O’Polo auch zu den unternehmerischen<br />

Entscheidungen Werner Böcks passt. Seine Geschichte ist<br />

die steter Wandlungen, ohne dass er seine Identität jemals aufgegeben<br />

hätte. Dass er vor 42 Jahren als Hippie anfing und nun als erfolgreicher<br />

Geschäftsmann auftreten kann, ist dabei kein Widerspruch.<br />

„Ich will immer wieder etwas Neues, ich will etwas<br />

verändern“, sagt Werner Böck. „Das treibt mich an.“<br />

Seine Geschichte beginnt in Oberbayern, in Rosenheim, rund 70<br />

Kilometer südöstlich von München, inmitten von Wiesen und klarer<br />

Luft. „Mode hatte ich von Beginn an im Blut“, erinnert sich Werner<br />

Böck an seine Kindheit. Die Mutter hat eine Hutmacherei, später<br />

betreibt der Vater ein Herrenmodegeschäft. Dort absolviert der<br />

Sohn seine Lehre zum Textilkaufmann, bevor er nach einem Textilwirtschaftsstudium<br />

in den sechziger Jahren nach London aufbricht,<br />

auf der Suche nach einem Job. „London war hip damals“, erinnert<br />

sich Werner Böck. „Alles war sehr modern. Das war eine gute Erfahrung.“<br />

Und doch kehrt er nach Rosenheim zurück. Was zunächst<br />

wie eine Niederlage aussieht, entpuppt sich als entscheidender<br />

Schritt im Leben des Werner Böck. Auf der Suche nach neuer<br />

Ware für den Herrenausstatter des Vaters entdeckt er 1967 auf<br />

einer Messe in Köln eine Mode, die so ganz anders ist als alles,<br />

was er bislang gesehen hat. „Das waren so schöne Hemden“, sagt<br />

Werner Böck. „Die hatten Look, einen Stil. Sie waren handgewebt,<br />

und die Mustervielfalt war enorm. Vor allem aber waren sie aus Naturmaterialien<br />

wie Baumwolle, Leinen oder Seide. Nicht so wie die<br />

damals üblichen Sachen aus Nylon. Da habe ich einen Ruck gespürt<br />

– ich wollte das einfach haben. Fertig.“<br />

Es ist Werner Böcks erste Begegnung mit dem Modelabel Marc O’Polo,<br />

einer jungen schwedischen Firma, gegründet von zwei Schweden<br />

und einem Amerikaner. „Das waren Hippies“, erinnert sich Werner<br />

Böck. „Die reisten nach Indien und meditierten. Aber ich hatte damals<br />

auch lange Haare, wir waren ja irgendwie alle Hippies damals.<br />

Die Persönlichkeit war wichtig, und die Chemie stimmte einfach.“<br />

Werner Böck ist erst 25 Jahre alt, und er trifft die Entscheidung<br />

seines Lebens – für Marc O’Polo. Im Jahr 1968 übernimmt er den<br />

Vertrieb für Deutschland, Österreich und die Schweiz.<br />

Eine Bauchentscheidung<br />

Dass ihm die Firma einmal gehören wird, ahnt er zu diesem Zeitpunkt<br />

noch nicht. Aber er trifft seine Entscheidungen bereits früh<br />

mit der ihm eigenen Mischung aus Begeisterung und Bedacht.<br />

„Viele haben damals geglaubt, ich habe einen Vogel“, sagt Werner<br />

Böck. „Nun ja, stattdessen kannte ich schon ein paar Dutzend<br />

Einkäufer von Modehäusern, denen ich meine Sachen anbieten<br />

konnte. Ich wusste einfach, dass es klappt.“<br />

Werner Böck behält recht. Zwar nimmt er als Vertriebspartner während<br />

der folgenden knapp 20 Jahre nur wenig Einfluss auf die Management-Entscheidungen<br />

bei Marc O’Polo, aber das Unternehmen<br />

entwickelt sich prächtig. Im Jahr 1972 schafft Marc O’Polo den<br />

Durchbruch mit einfarbigen T-Shirts und Pullovern aus Baumwolle,<br />

auf denen breit der Markenname prangt. Die Teile verkaufen sich<br />

millionenfach. Drei Jahre später erweitern die Schweden ihre Kollektion<br />

zu einer kompletten Damen- und Herrenlinie, liefern künftig<br />

mehr als ein Mal im Jahr neue Stücke. Werner Böck macht Deutschland<br />

zum bis heute wichtigsten Absatzmarkt für Marc O’Polo, indem<br />

er immer neue Abnehmer findet und ein Franchisesystem etabliert.<br />

Dabei wagt er sich an Neues: Im Jahr 1979 eröffnet er in Düsseldorf<br />

direkt neben seinem schärfsten Konkurrenten den ersten Marc-<br />

O’Polo-Monostore in Deutschland. „Ich wollte einfach beweisen, dass<br />

die Marke stark genug dafür ist“, erinnert sich Böck. „Eine solche<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 25


<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />

Entscheidung trifft man nicht ohne den Bauch. Erfahrung und Gefühl<br />

– das kommt ja immer zusammen Aber ich folge meinem Bauch<br />

auch mal dann, wenn die Zahlen eigentlich dagegen sprechen.“<br />

Nur wenige Jahre später wird er wieder auf seinen Bauch hören.<br />

Auch wenn ihm die Umstände gehörig Magengrummeln bereiten.<br />

Mitte der achtziger Jahre gerät Marc O’Polo ins Schlingern. „Die<br />

Gründer waren immer länger in Indien und abwesend“, erinnert<br />

sich Böck. „Darunter litt die Qualität. Irgendwann reichte die nicht<br />

mehr für deutsche Verhältnisse. Und auch der Vertrieb im Mutterhaus<br />

war eine Katastrophe.“ Verkaufsgerüchte machten die Runde.<br />

Werner Böck aber trug in Deutschland Verantwortung für rund 50<br />

Mitarbeiter und diverse Franchisenehmer – er musste verhindern,<br />

dass Marc O’Polo dauerhaft Schaden nimmt. „Ich wollte Einfluss<br />

haben und brauchte dafür eine Stimme im Aufsichtsrat. Deshalb<br />

habe ich 1987 40 Prozent der Unternehmensanteile gekauft.<br />

Ich glaubte an die Marke, aber ich habe mich vor allem aus einem<br />

Sicherheitsbedürfnis heraus für diesen Schritt entschieden.“<br />

Eigenverantwortlichkeit und Expansion<br />

Unter Werner Böcks Einfluss richtet sich Marc O’Polo wieder auf<br />

und legt mit der Vergabe von Lizenzen für Schuhe, Brillen und Unterwäsche<br />

die Grundlage für die Entwicklung zum Lifestyleanbieter.<br />

Böck schickt auch einen deutschen Manager nach Schweden, um<br />

die entscheidenden Probleme zu lösen. „Beim Präsentieren war<br />

dann alles prima“, sagt er. „Aber mit der Umsetzung hat es nicht<br />

wirklich geklappt.“ So entschliesst sich Werner Böck im Jahr 1997<br />

zum massgeblichen Schritt – für sich selbst wie auch für Marc O’Polo.<br />

Er kauft weitere 40 Prozent, übernimmt damit die Mehrheit und<br />

die volle Verantwortung für das Unternehmen. „Hätte ich damals<br />

eine haarkleine Analyse gemacht“, lacht Böck, „dann sässe ich wohl<br />

heute nicht hier. Ich habe unter Druck entschieden, quasi aus der<br />

Not heraus. Der Punkt ist aber: Die Marke war stark und eindeutig.<br />

Und ich habe es mir zugetraut, denn ich hatte klare Ziele: Profitabilität,<br />

Wachstum, Begehrlichkeit. Natürlich hatte ich Herzklopfen,<br />

aber das ist doch toll. Und wenn eine Entscheidung einmal gefallen<br />

ist, wird auch nicht mehr gehadert.“<br />

Kaum verwunderlich, dass er auch dabei nicht einfach ins kalte<br />

Wasser sprang. Schon ein Jahr vor der Übernahme stellte er sich<br />

neue Lieferanten und ein neues Team zusammen. Menschen, mit<br />

denen gemeinsam er seitdem endlich entscheiden kann, was und<br />

wie er es will. Denn mit der Übernahme verlegte Werner Böck die<br />

Firmenzentrale von Stockholm komplett nach Stephanskirchen und<br />

fing im Grunde neu an. Design, Produktionsplanung, Vertrieb und<br />

Marketing – alles kam unter ein gemeinsames Dach. „Die wichtigsten<br />

Entscheidungen aber sind die für Menschen“, sagt Böck. Ohne<br />

die richtigen Mitarbeiter, das ist ihm damals schon klar, wird er diese<br />

Herausforderung nicht meistern.<br />

Er sammelt junge, erfolgshungrige Menschen um sich, und gemeinsam<br />

schaffen sie es, die Firma wieder in die Spur zu bringen. Denn<br />

sie konzentrieren sich auf das, was entscheidend ist: Qualität und<br />

Verlässlichkeit. „Handelspartner und Kunden müssen wissen, was<br />

sie an Marc O’Polo haben“, sagt Werner Böck, „und das jederzeit.<br />

Und ich wollte in den Premiumbereich vorstossen.“ Bei Material und<br />

Verarbeitung machen sie keine Kompromisse mehr. Sie richten ein<br />

Zentrallager ein und schaffen endlich strikte Liefertreue für ihre<br />

Handelspartner. Sie vergeben weitere Lizenzen, für Taschen, Bademode,<br />

Strumpfwaren, Schmuck und Parfum, und bauen so eine ganze<br />

Lifestylewelt. Sie unterscheiden sehr genau zwischen dem, was sie<br />

selbst können, und dem, was bei Spezialisten besser aufgehoben ist.<br />

Doch die Kontrolle geben sie niemals ab – so holen sie die Lizenz für<br />

Schuhe wieder zurück ins eigene Unternehmen. Und sie entscheiden<br />

sich ganz bewusst gegen eine Expansion auf Risiko, konzentrieren<br />

sich auf Deutschland und Europa. Kaufofferten weist Werner Böck<br />

beharrlich zurück. Er behält seine Anteile und verzichtet dafür auf<br />

Finanzspritzen von aussen. „Eigenständigkeit ist ein hohes Gut“, sagt<br />

Böck. „Das habe ich in der Schweden-Zeit gelernt.“<br />

Trotz des höheren Risikos eröffnet Marc O’Polo neben Franchisegeschäften<br />

auch immer mehr eigene Filialen, um im eigenen Unternehmen<br />

zu lernen, worauf es Einzelhandelspartnern ankommt.<br />

So beliefern sie die Geschäfte nur noch „scheibchenweise“ und<br />

sichern damit einen stets neuen Warenfluss, ohne auf Restposten<br />

sitzen zu bleiben. Sie steigern den Output auf acht Kollektionen<br />

pro Jahr. Um sich nicht nur auf ihr Gefühl verlassen zu müssen,<br />

installieren sie ausgefeilte Warenwirtschaftssysteme, verbinden<br />

dadurch Emotionen und Fakten zu eindeutigen Erkenntnissen über<br />

Erfolg oder Misserfolg ihrer Entwürfe – und können so rechtzeitig<br />

nachliefern, sobald ein Teil vergriffen ist.<br />

26 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />

„Ich folge meinem Bauch auch mal dann,<br />

wenn die Zahlen eigentlich dagegen sprechen.“<br />

Nach einigen stabilen Jahren rasen die Zahlen nach oben, denn Marc<br />

O’Polo schafft den Einstieg bei wichtigen Schlüsselkunden wie Peek<br />

& Cloppenburg. Vom Jahr 2005 bis 2010 wächst der Umsatz von<br />

158 auf 329 Millionen Euro, die Zahl der Mitarbeiter steigt von 550<br />

auf über 1 400 Angestellte. Mittlerweile beliefert Marc O’Polo weltweit<br />

rund 2 500 Geschäfte oder Warenhäuser. Aus der kleinen Modefirma<br />

ist ein international operierender Lifestyleanbieter geworden,<br />

den man gemeinhin in Mailand, Stockholm oder München vermuten<br />

würde. Doch der Weg zu Marc O’Polo führt durch Wiesen, Einfamilienhaussiedlungen<br />

und einen Wald in ein wenig glamouröses Gewerbe -<br />

gebiet. Das passt zu Marc O’Polo, geht es dem Unternehmen doch<br />

nicht um Glanz oder Eitelkeiten. „Wir sind keine Trendmacher“, sagt<br />

Werner Böck. „Trends verändern sich so schnell. Wir haben ein klares<br />

Gesicht, und ein Gesicht bekommt man nur durch Weglassen.“<br />

Es ist auch eine gehörige Portion Demut, die den Erfolg von Werner<br />

Böck und seiner Firma Marc O’Polo ausmacht. Mit dem Wechsel<br />

vom Vertriebspartner zum Unternehmenschef hat Böck eine<br />

Organisation geschaffen, die längst zu gross ist, als dass er darin<br />

noch alles allein entscheiden könnte. Fragt man Böck nach seiner<br />

wichtigsten unternehmerischen Entscheidung, nennt er die Entdeckung<br />

des kleinen Hippie-Labels von damals. Aber vielleicht ist es<br />

auch seine Fähigkeit, Entscheidungen abzugeben – gerade weil es<br />

ihm nicht immer leichtfällt. „Einen Inhaber werden Sie niemals<br />

dazu kriegen, dass er den Mund hält“, sagt Werner Böck. Er hält<br />

es weiterhin, wie er es immer gehalten hat: Er mischt sich ein.<br />

Denn alles steht und fällt mit dem Kern der Marke. Natürlich beschäftigt<br />

das Unternehmen professionelle Designer, gänzlich freie<br />

Hand haben sie bei Werner Böck jedoch nicht. „Sie können selbst<br />

entscheiden, solange es der Marke nicht weh tut“, sagt er. „Aber<br />

jeder Designer will sich selbst verwirklichen, deshalb bedarf es der<br />

Kontrolle. Ich habe mich zwar schon etwas zurückgenommen, aber<br />

bis heute schaue ich mir jedes Muster an. Und dann gibt es durchaus<br />

auch mal ein Nein.“ Unternehmerische Entscheidungen sind<br />

ihm zu wichtig, als dass er die Auseinandersetzung darüber scheuen<br />

würde. „Ich muss mich nicht immer durch setzen, aber lenken<br />

möchte ich schon.“<br />

Werner Böck hat seinem Unternehmen die richtige Struktur verliehen,<br />

um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Direkt nach<br />

der Übernahme hat er Marc O’Polo als Aktiengesellschaft<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 27


<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />

28 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />

aufgestellt und die Vorstandsposten an vertrauensvolle Kollegen<br />

übergeben, die ihn nunmehr seit vielen Jahren begleiten. Mittlerweile<br />

hat sich eingestellt, was Werner Böck von Beginn an bezweckte:<br />

eine gewachsene Vertrauenskultur, in der er Aufgaben<br />

guten Gewissens delegieren kann. Etwa an Alexander Gedat, Vorstand<br />

für Vertrieb. Der 46-jährige Manager ist seit 15 Jahren dabei<br />

und ein guter Sparringspartner für Werner Böck. Er hat auch die<br />

Verlagerung des Marc O’Polo Firmensitzes von Stockholm nach<br />

Stephanskirchen mitverantwortet und ist seit 2004 mit fünf Prozent<br />

an der Marc O’Polo AG beteiligt. So wie auch sein Kollege<br />

Andreas Baumgärtner, Vorstand für Design, Produktion und Lizenzen.<br />

2008 kam noch Jürgen Hahn, Vorstand für Finanzen, dazu.<br />

Eindeutige Personen, eindeutig verantwortlich für bestimmte Themen<br />

– eine Entscheidung sei das, meint Böck, mit der er sich noch<br />

heute „sauwohl“ fühle. „Ich bin nicht mehr der zentrale Entscheider,<br />

sondern der Fragesteller, und diese Rolle passt wunderbar.<br />

Beschlüsse im Vorstand fallen demokratisch – was aber bedeuten<br />

kann, dass wir uns vorher gehörig hakeln. Das Produkt selbst und<br />

das Marketing – das ist eben mein Ding. Mit EDV hingegen kann ich<br />

mich nicht befassen, und auch Finanzen sind nicht so meins.“ Das<br />

heisst, dass er sich durchaus auch mal beraten lässt. „Wenn ich mir<br />

bei etwas unsicher bin, frage ich Menschen, die davon mehr verstehen.<br />

Es kommt nur darauf an, wen man fragt.“ Das ist nicht nur<br />

ein schöner Spruch – vor kurzem hat Werner Böck einen speziellen<br />

Marken-Vorstand berufen: Christof Macke, seit 2010 Vorstand für<br />

Marketing. Also auf Werner Böcks ureigenem Gebiet.<br />

Als Beginn seines Ausstiegs will Werner Böck diesen Schritt freilich<br />

nicht verstanden wissen. Sicherlich, er ist mittlerweile 67<br />

Jahre alt, und seit zwei Jahren spielt er Golf. Aber fürs Altenteil<br />

ist Böck noch lange nicht reif, auch wenn er viel mit seiner freien<br />

Zeit anzufangen wüsste. Aber es wäre eine schwerwiegende Entscheidung.<br />

Vielleicht die schwerste in seinem Unternehmerleben?<br />

Werner Böck lächelt ein wenig, wenn er darüber nachdenkt. „Ein<br />

solcher Schritt fällt nicht leicht, wenn einem ein Unternehmen<br />

gehört. Und ich bin ja gern hier in der Firma. Aber nicht mehr jeden<br />

Tag. Daran möchte ich eigentlich nichts ändern.“<br />

„Ich will immer wieder etwas Neues, ich will<br />

etwas verändern. Das treibt mich an.“<br />

Werner Böck<br />

Vorstandsvorsitzender der Marc O’Polo AG, Stephanskirchen<br />

Werner Böck, 67, stammt aus Rosenheim in Bayern und hat Textilwirtschaft<br />

studiert. Auf der Suche nach neuer Ware für das Herrenmodegeschäft<br />

seines Vaters entdeckt er 1967 auf einer Messe in Köln das<br />

kleine schwedische Modelabel Marc O’Polo und ist sofort begeistert von<br />

den natürlichen Materialien und farbenfrohen Mustern. 20 Jahre lang<br />

übernimmt er den Vertrieb für Deutschland, Österreich und die Schweiz<br />

und baut Deutschland dabei zum wichtigsten Markt für Marc O’Polo aus.<br />

Im Jahr 1987 kauft er 40 Prozent der Unternehmensanteile, 1997 sichert<br />

er sich die Mehrheit und verlegt den Unternehmenssitz von Stockholm<br />

nach Stephanskirchen bei Rosenheim.<br />

Seitdem hat Werner Böck die Firma auf einem insgesamt stagnierenden<br />

Markt zu einem führenden Casual­Lifestyle­Anbieter in Europa ausgebaut,<br />

der neben Kleidung für Männer, Frauen und Kinder auch Accessoires,<br />

Schuhe, Bademoden, Unterwäsche, Strumpfwaren, Brillen, Schmuck und<br />

Parfum, sowie die eigenständige Kollektion „Campus“ für Männer und<br />

Frauen vertreibt. Marc O’Polo steht heute für einen urbanen, lässigen<br />

Lifestyle mit gehobenem Anspruch. Zur schwedischen Herkunft der<br />

Marke gehört die Vorliebe für natürliche Materialien.<br />

Innerhalb von zehn Jahren hat Werner Böck den Umsatz auf zuletzt<br />

329 Millionen Euro gesteigert, Deutschland ist mit einem Umsatzanteil<br />

von über 60 Prozent der für Marc O’Polo wichtigste Markt. Das Unternehmen<br />

macht stetig Gewinne und beschäftigt rund 1 400 Mitarbeiter,<br />

davon etwa 1 100 in Deutschland. Marc O’Polo beliefert inter national<br />

83 eigene Geschäfte, 122 Franchise­Stores, über 1 000 Flächenpartner<br />

und 1 400 Multi­Brand­Stores. Das Unternehmen ist organisch gewachsen,<br />

ohne Übernahmen oder die Beteiligung von Dritten. Werner Böck hält<br />

heute 89 Prozent der Anteile. Zurückziehen will sich der Kunstliebhaber<br />

und Freizeitwinzer noch nicht. Ob seine beiden fast erwachsenen Söhne<br />

bei Marc O’Polo einsteigen werden, ist derzeit ungewiss.<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 29


Foto: gettyimages


<strong>Entrepreneur</strong>e Porträt<br />

Der Mann<br />

von der Tankstelle<br />

Marcelo Alecrim<br />

Gründer und Präsident der ALESAT Combustíveis S.A.<br />

Der Zufall stellte Marcelo Alecrim neben eine Zapfsäule. Dort lernte er das Geschäft<br />

mit Tankstellen von der Pike auf kennen. So gut, dass er heute einer der Grossen<br />

seiner Branche ist. Glück, Zufall, Intuition: Wenn man Alecrim glaubt, war es nicht<br />

schwer, immer die richtige Entscheidung zu treffen. Sieht man genauer hin, steckt<br />

dahinter viel Arbeit und vor allem eine intime Kenntnis des Marktes, seiner Kunden<br />

und ihrer Mentalität.<br />

Fotos: Jürgen Frank<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 31


<strong>Entrepreneur</strong>e Porträt<br />

„Geschäft und Sport haben vieles gemeinsam“, sagt Marcelo<br />

Alecrim. „Beides hat ein bisschen mit Glück zu tun.“ Alecrim ist ein<br />

umgänglicher, kräftig gebauter Mittvierziger, und man fragt sich,<br />

welche Sportart man sich für ihn vorstellen kann. „Können ist<br />

wichtig“, fährt er fort, „aber noch wichtiger ist der Einsatz, die<br />

Anstrengung, die man in eine Sache steckt. Das macht häufig den<br />

entscheidenden Unterschied. Nicht immer ist es das beste Team,<br />

das gewinnt. Es ist das Team, das am besten spielt.“<br />

Marcelo Alecrim kam im Nordosten Brasiliens zur Welt. Canguaretama,<br />

das Dorf, in dem er aufwuchs, liegt am Meer. Kein Wunder<br />

also, dass der Sport seiner Kinder- und Jugendjahre das Schwimmen<br />

war. „Ich war in der Jugendnationalmannschaft meines Bundesstaates<br />

Rio Grande do Norte“, sagt er. Das sieht man ihm heute<br />

nicht mehr an; doch die Zielstrebigkeit und Ausdauer des Leistungssportlers<br />

sind ihm geblieben. Sie haben ihn im grössten Land<br />

Südamerikas zum viertgrössten Lieferanten von Tankstellen gemacht<br />

– und das in nur anderthalb Jahrzehnten.<br />

Alecrim war 14 Jahre alt, als sein Vater Mitte der siebziger Jahre<br />

eine Tankstelle kaufte. „Es war eine kleine Tankstelle“, erinnert er<br />

sich. „Mein Vater verkaufte etwa 80 000 Liter im Monat.“ Aber im<br />

strukturschwachen Nordosten Brasiliens haben Tankstellen, unabhängig<br />

von ihrer Grösse, eine soziale Funktion, die nicht nur Autofahrer<br />

interessiert: Sie sind ein Treffpunkt. „Ich war fasziniert und<br />

half natürlich im Laden mit.“ Der junge Mann verbringt viel Zeit an<br />

der Zapfsäule und am Verkaufstresen, und der Vater erkennt bei<br />

ihm ein Talent im Umgang mit Kunden. Anfang der achtziger Jahre<br />

schickt er ihn zum Wirtschaftsstudium an die Universität und überträgt<br />

ihm schliesslich Verantwortung. „Als mein Vater aus gesundheitlichen<br />

Gründen ein halbes Jahr lang ausfiel, konnte ich mich<br />

allein um das Geschäft kümmern und selber Entscheidungen treffen“,<br />

sagt Alecrim. Er war damals 19. Die Entscheidungen, die er<br />

traf, sollten seinen künftigen Weg bestimmen.<br />

Die Tankstelle von Alecrim senior wurde von Esso beliefert. Dort<br />

blieb das Wirken seines Sohnes nicht unbemerkt: Auch wenn er nur<br />

vorübergehend und aushilfsweise tätig wurde – Marcelo Alecrim<br />

verstand es, den Umsatz der Tankstelle merklich zu steigern. „Esso<br />

bot mir an, mich auch um andere Tankstellen zu kümmern, die nicht<br />

so gut liefen“, erinnert er sich. Kundenkenntnis und Betriebswirt-<br />

32<br />

„Die Entscheidung, ein Unternehmen zu<br />

gründen, fiel mir nicht schwer: Ich hatte eine<br />

Marktnische identifiziert und wollte sie nutzen,<br />

bevor es ein anderer tat.“<br />

schaft beflügelten seine unternehmerische Phantasie: „Ich fing an,<br />

Minimärkte einzurichten, die Bezahlung per Kreditkarte einzuführen<br />

und eine Reihe anderer Angebote zu machen.“ Nach wenigen<br />

Jahren führte Alecrim eine kleine Kette von 13 Tankstellen. Das<br />

Studium hatte er inzwischen abgebrochen. „Alles was ich weiss,<br />

weiss ich aus Erfahrung“, sagt er. Sie half ihm, den Absatz der<br />

väterlichen Tankstelle in sechs Jahren auf 400 000 Liter im Monat<br />

zu steigern – fünf Mal so viel wie vorher.<br />

Marktnische im Nordosten<br />

Der Vater hatte es richtig erkannt: Marcelo war ein Naturtalent.<br />

Neben Ideen, um seine Tankstellen zum Laufen zu bringen, hatte<br />

er Pläne, weitere Glieder der Wertschöpfungskette zu kontrollieren.<br />

So verkaufte er 1992 das Auto seiner Mutter und erwarb dafür<br />

einen Lastwagen: ein erster Schritt, um in die Belieferung der<br />

Tank stellen einzusteigen und den Transport vom Depot zur Verkaufsstelle<br />

zu organisieren. Alecrim begann, im Gastransportgeschäft<br />

tätig zu werden.<br />

Mit einer Fläche von 8,5 Millionen Quadratkilometern ist Brasilien<br />

das grösste Land Lateinamerikas. Seit Mitte der fünfziger Jahre regulierte<br />

der Staat alles, was mit der Infrastruktur zusammenhing,<br />

so auch die Treibstoffversorgung. Benzin und Diesel wurden allein<br />

durch das staatliche Unternehmen Petrobras verkauft – und subventioniert.<br />

Die Rolle der wenigen Mineralölgesellschaften beschränkte<br />

sich darauf, Tankstellen zu beliefern; betreiben durften<br />

sie sie nicht. Das Verhältnis zu ihnen gestalteten Verträge, aus<br />

denen sich die Verkaufsstellen jedoch nicht lösen konnten.<br />

„Ich merkte bald, dass die grossen Konzerne die kleinen Tankstellen<br />

im Nordosten schlecht behandelten“, sagt Alecrim. Er erkannte<br />

eine Marktnische für einen Lieferanten, der den Kunden günstigere<br />

Konditionen bietet – sah aber unter den bestehenden Gesetzen keine<br />

Möglichkeit, ein solches Unternehmen zu gründen.<br />

Erst Mitte der neunziger Jahre setzte eine Liberalisierung des<br />

brasilianischen Kraftstoffmarktes ein. Die neu geschaffene Agência<br />

Nacional do Petróleo (ANP) zwang Petrobras, Treibstoff an jeden<br />

zu verkaufen, der als Verteiler auftreten wollte – also nicht nur an die<br />

Handvoll etablierter, grosser Unternehmen. Zugleich erlaubte ANP<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


<strong>Entrepreneur</strong>e Porträt<br />

den Tankstellen, ihre exklusive Bindung an einen Lieferanten zu<br />

kündigen und als unabhängige, freie Tankstelle aufzutreten.<br />

Marcelo Alecrim war mittlerweile 30 Jahre alt. Sein halbes Leben<br />

hatte er mit Tankstellen verbracht. Jetzt war die Gelegenheit da,<br />

einen beherzten Schritt zu tun: 1996 gründete er Satélite Distribuidora<br />

de Petróleo S/A – kurz SAT. „Die Entscheidung, ein Unternehmen<br />

zu gründen, fiel mir nicht schwer: Ich hatte eine Marktnische<br />

identifiziert und wollte sie nutzen, bevor es ein anderer tat.“<br />

SAT spezialisierte sich auf die Belieferung kleiner Tankstellen im<br />

Nordosten Brasiliens. Deren geringe Umsätze und periphere Lage<br />

in einem vergleichsweise wenig erschlossenen Gebiet trugen dazu<br />

bei, dass sie den grossen Treibstoffversorgern nicht lohnend erschienen.<br />

Sie konzentrierten sich vorrangig darauf, ihr Netz in den<br />

grösseren Städten auf- und auszubauen. Im strukturschwachen<br />

Nordosten stiess Alecrim daher zunächst auf wenig Widerstand.<br />

Seine Idee war, die Verkehrsströme von der Strasse aufs Wasser zu<br />

verlagern: Statt auf Lastwagen, transportierte er den Treibstoff in<br />

Tankschiffen. Dies bedeutete einen höheren Kapital- und Planungsaufwand<br />

und zwang ihn, ein System von Tanklagern aufzubauen.<br />

Überdies brauchte er die Hilfe von Fachleuten. Hier konnte er Kontakte<br />

nutzen, die er über die Jahre hinweg geknüpft hatte: Alecrim<br />

überredete den Esso-Manager Jucelino Sousa, als leitender Geschäftsführer<br />

zu ihm zu kommen. Sousa hatte 13 Jahre lang für<br />

multinationale Unternehmen gearbeitet und brachte wiederum<br />

wertvolle Kontakte zu Tankstellenbetreibern, der staatlichen Petrobras,<br />

Transportunternehmen und anderen Akteuren der Industrie<br />

mit. Gemeinsam stellten sie weitere Mitarbeiter ein.<br />

Die grossartigen ersten Jahre<br />

Für Alecrim war das eine neue Erfahrung. „Ich musste lernen,<br />

Arbeiten zu delegieren und Leute zu beschäftigen, die besser sind<br />

als ich selbst – ohne Angst davor zu haben.“ Auch den engen Rahmen<br />

eines Familienunternehmens liess er hinter sich; seine<br />

Schwestern, die zunächst Kapital eingebracht hatten, sollte er bald<br />

auszahlen. Andererseits wusste er, dass die eigenen Erfahrungen<br />

sein bestes Kapital waren. Und Bodenhaftung war es, die er auch<br />

bei seinen Mitarbeitern suchte: „Ich habe nie mit Headhuntern<br />

gearbeitet“, sagt er. „Ich habe immer alles selbst gemacht, Leute<br />

gesucht, die in die lokale Kultur passten.“ Ihm brauchte niemand<br />

zu sagen, dass bei guten Entscheidungen das Wer mindestens so<br />

wichtig ist wie das Was.<br />

SAT operierte von elf Treibstofflagern aus, die den wichtigsten Raffinerien<br />

Nordostbrasiliens angeschlossen waren. Von dort brachte<br />

das Unternehmen den Treibstoff zu den Tankstellen. Die Beziehung<br />

zu den Abnehmern wird durch langfristige Verträge geregelt. Diese<br />

legen die monatliche Mindestabnahme fest, verpflichten zur Einhaltung<br />

von SAT-Standards und darauf, den Markennamen zu<br />

benutzen. Im Gegenzug gibt das Unternehmen Finanzierungshilfen,<br />

schult die Mitarbeiter der angeschlossenen Tankstellen, schafft<br />

einheitliche Qualitätsstandards und wacht über deren Einhaltung.<br />

Alecrim weitete die klassische Produktpalette von Diesel, Biodiesel,<br />

Ethanol und Gas aus. Er trat in Verhandlungen mit Goodyear und<br />

Gulf, um auch Reifen und Schmierstoffe in sein Sortiment aufzunehmen.<br />

Von 1995 bis 2000 stieg der Umsatz pro Jahr im Schnitt<br />

um 86 Prozent. Mitte 2002 operierten 380 Tankstellen unter dem<br />

Markennamen SAT, weitere 700 unabhängige Tank stellen wurden<br />

beliefert. „Diese ersten Jahre waren eine gross artige Zeit“, sagt<br />

Alecrim im Rückblick.<br />

Seine Arbeit findet Erfolg und Anerkennung. Sein Unternehmen,<br />

das in einem abgelegenen Winkel des Landes begonnen hat,<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 33


34<br />

„Uns war wichtig, selbst über die<br />

Zusammensetzung unseres Managements<br />

zu entscheiden. Ohne unsere Wendigkeit<br />

und Schlagkraft wäre SAT ein Unternehmen<br />

wie viele andere gewesen.“<br />

erhält begehrte Zertifizierungen, gewinnt prestigeträchtige Auszeichnungen<br />

(„bester Einzelhändler“, „bester Arbeitgeber“), und<br />

schon 2000 wählte <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> Marcelo Alecrim zum Jungunternehmer<br />

des Jahres. Popularität und Bekanntheit halfen, die<br />

Aufmerksamkeit von Kapitalgebern zu wecken. Unter ihnen war<br />

Dar<strong>by</strong> Overseas, ein Investmentunternehmen, das der frühere US-<br />

Finanzminister Nicholas Brady ins Leben gerufen hatte. Dar<strong>by</strong> interessierte<br />

sich für den Einstieg bei SAT – und stellte Marcelo Alecrim<br />

vor die bis dahin wichtigste Entscheidung über die Zukunft seines<br />

Unternehmens.<br />

„Wir hatten einen grossen Kapitalbedarf“, sagt Alecrim. Schliesslich<br />

wollte er weiter wachsen. Aber er wollte auch das Rezept<br />

seines Erfolgs nicht gefährden – seine Unabhängigkeit. Das war<br />

den Verhandlungpartnern nicht leicht zu vermitteln. „Eine unserer<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


<strong>Entrepreneur</strong>e Porträt<br />

wichtigsten Bedingungen war, dass Dar<strong>by</strong> nicht die Mehrheit<br />

übernehmen sollte“, sagt Alecrim. „Uns war wichtig, selbst über<br />

die Zusammensetzung unseres Managements zu entscheiden.<br />

Ohne unsere Wendigkeit und Schlagkraft wäre SAT ein Unternehmen<br />

wie viele andere gewesen.“ Seine Entscheidungsfreiheit hatte<br />

für Alecrim die oberste Priorität.<br />

Eine neue Kultur<br />

Kurz nach der Jahrtausendwende war Brasilien alles andere als ein<br />

sicherer Hafen für Anlagekapital. Das Land war mit einem wirtschaftlichen<br />

Risiko behaftet. Die nordamerikanischen Investoren<br />

stellten daher an SAT strenge Anforderungen an Transparenz.<br />

„Aber das war kein Problem“, sagt Alecrim. „Ich dachte immer, ein<br />

Unternehmen sollte transparent und offen sein. Das würde künftiges<br />

Wachstum erlauben.“ Endlich, nach zwei Jahren, kamen die<br />

Verhandlungen zum Abschluss: Im Jahr 2004 beteiligte Dar<strong>by</strong><br />

sich mit 34 Prozent an SAT.<br />

„Für uns war das ein enorm wichtiger Schritt. Mit Konzessionen<br />

bei der Corporate Governance haben wir uns Chancen auf ein<br />

weiteres Wachstum eröffnet.“ Der Handel bezieht sich auf die Art,<br />

wie Alecrim Entscheidungen trifft: „Ich habe die Uni abgebrochen“,<br />

resümiert er. „Was ich weiss, habe ich zum grössten Teil aus der<br />

Praxis gelernt. Wenn sich eine Gelegenheit auftut, brauche ich nicht<br />

lange nachzudenken – ich entscheide aus dem Bauch heraus.“<br />

Mit dem Eintritt von Dar<strong>by</strong> wurde dieser Entscheidungsprozess<br />

sehr viel analytischer und strukturierter. „Wir planen für die nächsten<br />

fünf Jahre und revidieren diesen Plan von Jahr zu Jahr im<br />

Lichte neuer Daten. Das bedeutet viele Analysen auf Papier.“ Trotzdem<br />

beschreibt sich Marcelo Alecrim weiterhin als einen Träumer<br />

mit vielen Ideen. Von deren Umsetzbarkeit muss er zwar seinen<br />

Vorstand überzeugen – aber es hilft, dass der sich aus den alten<br />

Weggefährten zusammensetzt, die ihn von Anfang an begleitet<br />

haben. „Ich mag es nicht, wenn ich meine Ideen verteidigen<br />

muss“, sagt der Unternehmer.<br />

Dem erhofften Wachstum hat der neue Stil nicht geschadet. Das<br />

lässt sich an der Zahl der Tankstellen ablesen: „2004 hatten wir<br />

400 Tankstellen. Mit Dar<strong>by</strong>s Hilfe waren wir zwei Jahre später auf<br />

„Was ich weiss, habe ich<br />

zum grössten Teil<br />

aus der Praxis gelernt.<br />

Wenn sich eine Gelegenheit<br />

auftut, brauche ich nicht<br />

lange nachzudenken —<br />

ich entscheide aus dem<br />

Bauch heraus.“<br />

550 gewachsen.“ Noch wichtiger war die Unterstützung mit Kapital<br />

und Know-how für die regionale Expansion. SAT war bis dahin ausschliesslich<br />

im Nordosten tätig gewesen. Nunmehr konnte Alecrim<br />

die Fühler in den Südosten ausstrecken – zu einem anderen Regionalvertreiber,<br />

der ALE Distribuidora, die im südlich gelegenen Bundesstaat<br />

Minas Gerais operierte.<br />

Wieder zogen sich die Verhandlungen lange hin. Für jemanden, der<br />

so stark in seiner Heimatregion verwurzelt ist wie Alecrim, mussten<br />

zunächst einmal die grossen Unterschiede zwischen den zwei<br />

Unternehmen ins Auge fallen. Beide hatten sehr unterschiedliche<br />

Unternehmenskulturen. Doch erkannte Alecrim auch Übereinstimmungen<br />

– in der Arbeitsauffassung etwa und dem hohen Wert, den<br />

sie auf gute Kundenbeziehungen legten. Nach zwei Jahren der<br />

Überlegung und Vorbereitung fusionierten SAT und ALE im April<br />

2006 zu ALESAT Combustíveis. Es war um diese Zeit, dass Dar<strong>by</strong><br />

seine Beteiligung an dem brasilianischen Treibstofflieferanten zu<br />

seinem weltweit wichtigsten Investment erklärte.<br />

Marcelo Alecrim hält an der neuen Gesellschaft 50 Prozent und<br />

ist ihr Präsident. Mit der Fusion gelang ihm der Sprung auf die<br />

nationale Ebene: Sein Unternehmen ist in 22 Bundesstaaten vertreten,<br />

versorgt von 43 Basen aus mit einer Flotte von 216 Lastwagen<br />

1 700 Tankstellen und ist an dieser Zahl gemessen der<br />

Branchenvierte in Brasilien. 2009 machte es einen Umsatz von<br />

4,052 Milliarden Dollar.<br />

Trotz dieses Erfolgs ist Alecrim nicht abgehoben. „Mir ist wichtig,<br />

dass ich sichtbar bin, dass die Leute sehen, wer das Geschäft leitet.<br />

Ich weiss, wie wichtig die direkte Beziehung zu den Tankstellenbesitzern<br />

ist – schliesslich war ich selbst einer. Darum treffe ich mich<br />

immer wieder mit ihnen. Das gibt mir einen direkten Zugang zu<br />

dem, was auf dem Markt passiert.“<br />

Instinkt und Entschlossenheit<br />

Wenn er auf seinen Weg zurückblickt, sieht er viele Zufälle und<br />

viel Glück. Aber auch viel Arbeit. „Ich denke viel nach. Ich habe<br />

viele Ideen“, sagt er. „Wenn sich eine Gelegenheit auftut, kann<br />

ich schnell entscheiden, denn ich erkenne etwas, worüber ich mir<br />

schon eine Meinung gebildet habe.“ Diese Einschätzung scheint<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 35


<strong>Entrepreneur</strong>e Porträt<br />

vor allem auf die Zeit vor 1996 zuzutreffen, als er eine Reihe von<br />

Geschäftsmöglichkeiten sah, die er aufgrund der starren Regulierung<br />

nicht umsetzen konnte.<br />

Die grossen Entscheidungen der jüngeren Zeit hingegen – der<br />

Einstieg von Dar<strong>by</strong>, die Fusion mit ALE – haben sehr viel mehr Zeit<br />

gebraucht. „Ich glaube nicht, dass ich weniger Mut habe als<br />

früher“, meint Alecrim. „Aber heute muss ich den Verwaltungsrat<br />

überzeugen, dass meine Ideen realisierbar sind. Doch das ist in<br />

Ordnung. Wenn sich alle einig sind, ist das nur ein Zeichen dafür,<br />

dass eine Sache nicht genügend analysiert wurde.“<br />

Und dennoch erzählt er gern von schnellen Entscheidungen.<br />

Besonders, wenn sie sich als so glücklich erweisen wie das Sponsoring<br />

für Flamengo, den Fussballclub von Rio de Janeiro. „Das war<br />

eine Entscheidung, die ich in zehn Minuten getroffen habe, beim<br />

Mittagessen“, sagt er. „Die Wahrscheinlichkeit, dass Flamengo<br />

Champion würde, war sehr klein – ein Prozent vielleicht. Sie standen<br />

auf Platz 14. Aber Flamengo ist der grösste Fussballverein in<br />

Brasilien. Mir erschien das eine kleine Investition, aber sie verschaffte<br />

uns Aufmerksamkeit.“<br />

Mit der Unterstützung für den Fussballclub gewann Alecrim auch<br />

die Anhängerschaft des Vereins: „Tank ALE, damit wir Flamengo<br />

unterstützen können“, lautete ein Slogan, mit dem er die Fans ansprach<br />

– und man muss seine Kundschaft schon sehr gut kennen,<br />

um zu wissen, ob so eine Kampagne funktionieren kann. Sie tat<br />

es – und bescherte Alesat nicht nur ein riesiges Echo im fussballbe<br />

geisterten Brasilien, sondern auch einen kräftigen Umsatzschub.<br />

Alecrims Engagement funktionierte aber auch in die andere Richtung.<br />

„Ich habe ein paarmal am Training teilgenommen“, sagt er.<br />

„Die Atmosphäre in dem Club hat sich sehr verändert. Das konnte<br />

ich spüren.“ Und er hatte wieder Glück: Von 13 Spielen hat Flamengo<br />

zehn gewonnen – und wurde brasilianischer Meister. Wer<br />

wird Marcelo Alecrim verdenken, dass er Ähnlichkeiten zwischen<br />

Sport und Wirtschaft sieht.<br />

36<br />

Daten und Fakten<br />

Unternehmen<br />

ALESAT Combustíveis S.A., mit Sitz in Natal, Brasilien<br />

Gründer<br />

Marcelo Alecrim<br />

Firmenhistorie<br />

Mit Satélite Distribuidora de Petróleo (SAT) gründete Marcelo Alecrim<br />

1996 ein Unternehmen, das sich auf die Belieferung kleiner Tankstellen im<br />

Nordosten Brasiliens spezialisierte. Er legte ein beträchtliches Wachstum<br />

vor und weckte damit das Interesse von Dar<strong>by</strong> International, einem Kapital ­<br />

geber, der sich 2004 an dem Unternehmen beteiligte. Dies erlaubte Alecrim,<br />

zwei Jahre später mit einem ähnlichen Unternehmen (ALE) im Süden des<br />

Landes zu fusionieren. Das Ergebnis ist ALESAT Combustíveis, inzwischen<br />

der fünftgrösste Kraftstoffvertreiber im Lande. Als Präsident und Mitglied<br />

des Direktoriums steuert Alecrim sein Unternehmen weiterhin auf Wachstumskurs:<br />

Bis 2013 will er sein Tankstellennetz auf 2 500 Einheiten<br />

erweitern. Seine unternehmerische Leistung wurde in den vergangenen<br />

Jahren durch zahlreiche Auszeichnungen gewürdigt. 2009 wurde er von<br />

<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> zum <strong>Entrepreneur</strong> Of The Year in Brasilien gewählt.<br />

Umsatz<br />

4 052 Millionen US­Dollar (2009)<br />

Mitarbeiter<br />

911<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


Expertise Kapitalmanagement<br />

Schlüssel zum Erfolg in einer unsicheren Welt<br />

Eine starke Capital Agenda hilft Unternehmen, den Produktionsfaktor Kapital effizient zu managen.<br />

Das ist heute wichtiger denn je, denn Kapital bleibt weiterhin knapp. Und wer nicht darüber verfügt,<br />

kann am beginnenden Aufschwung nicht teilhaben.<br />

Von Louis Siegrist<br />

Unternehmen brauchen Kapital. Es macht<br />

sie handlungsfähig, flexibel, erfolgreich.<br />

Das ist keine neue Erkenntnis. Und doch ist<br />

sie heute so aktuell wie lange nicht mehr.<br />

Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftkrise<br />

mussten allzu viele Unternehmen erfahren,<br />

dass ohne Kapital der Stillstand droht. So<br />

verwundert es nicht, dass der Zugang zu<br />

Kapital derzeit höchste Priorität hat. In<br />

einer Zeit, in der Finanzmittel weder problemlos<br />

zur Verfügung stehen noch billig zu<br />

haben sind, hat sich die Einstellung der Unternehmenslenker<br />

und Manager zu Kapital<br />

spürbar verändert. Es gibt praktisch keine<br />

Verwaltungsrat- oder Managemententscheidung,<br />

die heute nicht mit der Frage<br />

nach Kapital verbunden wäre. Seine Verfügbarkeit<br />

bestimmt über angestrebte Ziele<br />

und einzuschlagende Wege – und nicht selten<br />

über Sein oder Nichtsein.<br />

Grund genug für <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong>, seine<br />

Transaction Advisory Services (TAS) an<br />

neuen Koordinaten auszurichten. Wir haben<br />

unsere TAS-Beratungsleistungen enger<br />

miteinander verzahnt und auf einen Fokus<br />

konzentriert: die individuellen Bedürfnisse<br />

und Anforderungen von Unternehmen<br />

rund um das Thema Kapital. Auf diese Weise<br />

stellen wir das gesamte Portfolio unserer<br />

TAS-Expertise in den Dienst der Capital<br />

Agenda unserer Kunden: Wir analysieren<br />

die Capital Agenda des Unternehmens und<br />

unterstützen es dabei, sein Kapitalmanagement<br />

zu verbessern und fundierte Kapitalentscheidungen<br />

zu treffen.<br />

Schauen wir uns anhand eines Beispiels an,<br />

wie dies in der Praxis aussehen kann: Ein<br />

international tätiger, kotierter Technikkonzern<br />

sprach uns an, weil er frisches Fremdkapital<br />

benötigte. Dabei sollten nicht nur<br />

neue Finanzquellen erschlossen, sondern<br />

auch längere Laufzeiten für die fraglichen<br />

Verbindlichkeiten erreicht werden. Gleichzeitig<br />

strebte das Unternehmen an, seine<br />

Investoren-Basis zu verbreitern und die<br />

Kosten zu begrenzen. Eine komplexe Aufgabenstellung,<br />

die eine weitreichende Kompetenz<br />

und Erfahrung erforderte.<br />

<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> stand dem Konzern als exklusiver<br />

Finanzberater zur Seite. Unsere<br />

Experten ermittelten und bewerteten mögliche<br />

Investoren, stellten dem Management<br />

umfassende Daten und Einschätzungen<br />

über Märkte, Prozesse und Preise zur Verfügung<br />

und schlugen ein genau auf die<br />

Anforderungen zugeschnittenes, innovatives<br />

Verfahren zur Kapitalbeschaffung vor.<br />

Auf Basis dieser detaillierten Informationen<br />

war die Unternehmensführung in der Lage,<br />

die Mittelbeschaffung selbst in die Hand zu<br />

nehmen. Dabei erreichte sie optimale Preise<br />

und konnte auch die gewünschten längeren<br />

Laufzeiten realisieren.<br />

Der Technikkonzern erwarb vier Kapitaltranchen<br />

auf dem Markt für privat platzierte<br />

Anleihen. Durch diese neuen Finanzinstrumente<br />

diversifizierte er nicht nur seine<br />

Finanzquellen. Sie ermöglichten es dem<br />

Management auch, fruchtbare Beziehungen<br />

zu den Investoren aufzubauen, ähnlich wie<br />

sie bereits zur Hausbank des Unternehmens<br />

bestanden. Der Kapitalerwerb übertraf<br />

damit die Erwartungen des Managements.<br />

Ermöglicht wurde dieses positive Ergebnis<br />

In einer Zeit, in der Finanzmittel<br />

weder problemlos noch<br />

billig zu haben sind, bestimmt<br />

die Verfügbarkeit von Kapital<br />

über angestrebte Ziele und<br />

einzuschlagende Wege.<br />

nicht zuletzt durch die bereits seit einigen<br />

Jahren bestehende enge Beziehung unserer<br />

Berater zur Verwaltungsratsebene und<br />

ihre fundierte Kenntnis des Unternehmens.<br />

Ähnlich wie hier im Bereich Kapitalbeschaffung<br />

profitieren Unternehmen auch bei der<br />

Optimierung, Sicherung und Investition von<br />

Kapital von der Ausrichtung von <strong>Ernst</strong> &<br />

<strong>Young</strong> auf die Capital Agenda von Unternehmen.<br />

Anlass und Problemstellung können<br />

dabei höchst unterschiedlich sein. Inwieweit<br />

ist eine operative Restrukturierung sinnvoll?<br />

Wann sollte man Vermögensgegenstände<br />

veräussern, und welche? Wo liegen die<br />

grössten Möglichkeiten für Zukäufe? Welche<br />

Optionen bieten sich, wenn kein Zugang<br />

zu Kapital besteht? Wer auf Fragen<br />

wie diese mit fundierten Entscheidungen<br />

antworten will, braucht eine zielgerichtete<br />

und wirkungsvolle Capital Agenda.<br />

Kapitalstrategien für Wachstum und<br />

Markterfolg<br />

Das zeigen auch aktuelle Studien: Im Rahmen<br />

seines Capital Confidence Barometer<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 37


Expertise Kapitalmanagement<br />

Schlüssel zum Erfolg in einer unsicheren Welt von Louis Siegrist<br />

Führende Unternehmen<br />

konzentrieren sich auf die<br />

Chancen, die der Wandel<br />

mit sich bringt, und nutzen<br />

Wachstumsmöglichkeiten,<br />

die sich gerade jetzt ergeben.<br />

befragte <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> in 2009 und 2010<br />

rund 500 Top-Manager grosser Unternehmen<br />

aus unterschiedlichen Branchen in<br />

32 Ländern. Kernziel der Studie war es, zu<br />

erfassen, inwieweit die Unternehmen gegenwärtig<br />

der wirtschaftlichen Entwicklung<br />

vertrauen und welche Prioritäten sie für die<br />

nächsten zwölf Monate setzen. Ausserdem<br />

wollten wir feststellen, welche Mittel und<br />

Wege gerade jene Unternehmen nutzen,<br />

die in der Phase be ginnender wirtschaftlicher<br />

Erholung die Initiative ergreifen und<br />

zum Vorreiter ihrer Branche werden.<br />

Vieles lässt derzeit einen starken weltweiten<br />

Aufschwung in den kommenden Jahren<br />

wenig wahrscheinlich erscheinen. Wie<br />

schnell und wie nachhaltig sich die begonnene<br />

wirtschaftliche Erholung fortsetzen<br />

wird, bleibt unsicher. Diese eher vorsichtige<br />

Einschätzung bestätigte in unserer Untersuchung<br />

die Mehrheit der Befragten. Über<br />

die Hälfte der Manager gingen davon aus,<br />

dass ihre Branche die Folgen der Krise auch<br />

in den nächsten zwölf Monaten noch spüren<br />

werde, eine Mehrheit rechnete damit, dass<br />

sie sich noch länger auswirkt.<br />

Vor diesem Hintergrund zeichnet sich eine<br />

deutliche Polarisierung ab: Bei schwacher<br />

Nachfrage, schrumpfenden Gewinnmargen,<br />

Kapitalknappheit und einem Klima anhaltender<br />

Unsicherheit fürchtet sich ein Grossteil<br />

der Unternehmen vor möglichen Fehlern<br />

in der Kapitalverwendung und scheut<br />

davor zurück, strategische Risiken einzugehen.<br />

Demgegenüber schlagen führende<br />

Unternehmen einen anderen Weg ein. Statt<br />

auf die Risiken, konzentrieren sie sich auf<br />

die Chancen, die der Wandel mit sich bringt<br />

und nutzen Wachstumsmöglichkeiten, die<br />

sich gerade jetzt ergeben. Wie unsere Studie<br />

zeigt, sehen diese Unternehmen ihr Erfolgsrezept<br />

in einer starken Capital Agenda.<br />

In den vier Schlüsselbereichen des Kapitalmanagements<br />

setzen sich dabei spezifische<br />

Ansätze und Praktiken durch:<br />

Beschaffung: Um ihr Kapital zu erhöhen,<br />

prüfen führende Unternehmen ihren<br />

künftigen Kapitalbedarf und diversifizieren<br />

die Quellen der Kapitalbeschaffung,<br />

sodass ihnen eine grössere Vielfalt an<br />

Optionen zur Verfügung steht.<br />

Investition: Um Kapital erfolgreich zu<br />

investieren, schärfen sie ihre Verfahren<br />

zu Bewertung und Umsetzung von Investitionen,<br />

sodass sie Investment-Chancen<br />

nutzen und zugleich die hiermit verbundenen<br />

Risiken steuern und bewältigen<br />

können.<br />

Sicherung: Um ihr Kapital zu erhalten,<br />

überdenken sie ihre operative und finanzielle<br />

Basis und gestalten sie so um, dass<br />

sie auch den Bedingungen einer andauernden<br />

Rezession standhält.<br />

Optimierung: Um ihre Kapitalbasis zu<br />

verbessern, stocken sie ihre Barmittel<br />

und Liquiditätsreserven auf. Mit dem<br />

Ziel, kurzfristigere Kapitalerträge zu erreichen,<br />

passen sie zudem das Portfolio<br />

ihrer Vermögenswerte an.<br />

Darüber hinaus verbessern führende Unternehmen<br />

ihre Planungs-, Bewertungs- und<br />

Prognoseverfahren sowie ihre Steuerungsprozesse,<br />

um Kapitalentscheidungen<br />

schneller und effektiver treffen zu können.<br />

38 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


Expertise Kapitalmanagement<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 39<br />

Foto: Corbis


Expertise Kapitalmanagement<br />

Schlüssel zum Erfolg in einer unsicheren Welt von Louis Siegrist<br />

Das alles mag wenig revolutionär klingen.<br />

Und in der Tat greift man hier auf Massnahmen<br />

und Methoden zurück, die letztlich zur<br />

Grundausstattung guten Managements gehören.<br />

Doch in den vergangenen Jahren<br />

des Wachstums haben sich viele Unternehmen<br />

erlaubt, diese zu vernachlässigen.<br />

Heute jedoch stehen sie, wie unsere Studie<br />

belegt, bei einer wachsenden Zahl von Unternehmen<br />

wieder hoch im Kurs. Ebendiese<br />

Unternehmen werden aus unserer Sicht im<br />

Wettbewerb um die knappe Ressource Kapital<br />

zu den Gewinnern zählen. Sie werden<br />

sich das Vertrauen der Investoren sichern<br />

und Erfolg versprechende Transaktionsmöglichkeiten<br />

nutzen können. Und sie werden<br />

in der Lage sein, Marktveränderungen<br />

frühzeitig vorauszusehen und aufzugreifen.<br />

Auf diese Weise werden sie Wachstumschancen<br />

wahrnehmen, die anderen verschlossen<br />

bleiben.<br />

Kompetenz rund ums Kapital<br />

<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> unterstützt Unternehmen<br />

bei der Bewältigung ihrer Capital Agenda<br />

und verhilft ihnen dazu, als Gewinner aus<br />

den gegenwärtigen Veränderungen hervorzugehen.<br />

Mit diesem Ziel stellen wir unsere<br />

Expertise aus allen TAS-Bereichen zur Verfügung,<br />

um gemeinsam mit den Kunden<br />

massgeschneiderte Lösungen zu erarbeiten.<br />

Dabei spielen neben fachtechnischen Gesichtspunkten<br />

auch strategische, branchenspezifische<br />

und interkulturelle Aspekte eine<br />

wichtige Rolle – wie die folgenden Beispiele<br />

aus drei weiteren Schlüsselbereichen des<br />

Kapitalmanagements zeigen. Im Hintergrund<br />

jeder dieser Erfolgsgeschichten stan-<br />

den für die Unternehmensführung Fragen<br />

der Capital Agenda – etwa diese: Wie passt<br />

unsere Kapitalstrategie zu den Kernzielen<br />

und Initiativen des Unternehmens? Wie hilft<br />

sie, Wert für die Stakeholder zu schaffen?<br />

Harmoniert sie mit der Unternehmensstrategie?<br />

Und wie beeinflusst sie Geschäftstreiber<br />

in Feldern wie Wachstum, Finanzen<br />

und Betriebsabläufe?<br />

Investition: Erfolgreicher Unternehmenskauf<br />

erlaubt Expansion<br />

Ein führender europäischer Private-Equity-<br />

Investor, der auf Investments im mittleren<br />

Grössenbereich spezialisiert ist, versprach<br />

sich von einer geplanten Übernahme wichtige<br />

Chancen im Rahmen seiner Wachstumsstrategie.<br />

Das Unternehmen, das bereits<br />

zahlreiche Transaktionen auf dem<br />

Software-Sektor getätigt hatte, beabsichtigte,<br />

einen führenden deutschen Anbieter<br />

von Software-Lösungen im Bereich Talent<br />

Management zu erwerben. Für den Finanzinvestor<br />

wäre dies der dritte Kauf eines<br />

Technologie-Unternehmens, das dem zukunftsweisenden,<br />

auf Internet-Techniken<br />

basierenden Geschäftsmodell „Software as<br />

a Service“ (SaaS) folgt. Die aussichtsreiche<br />

Investition musste minutiös geplant<br />

werden, um das verfügbare Kapital effizient<br />

und werterhaltend einzusetzen.<br />

<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> unterstützte den Investor als<br />

Finanzberater bei der Vorbereitung und taktischen<br />

Planung der Übernahme. Unser<br />

Mergers & Acquisitions-Team stimmte seine<br />

Beratungsleistungen exakt auf die Anforderungen<br />

und die Kapitalstrategie des Kunden<br />

Eine starke und fokussierte<br />

Capital Agenda, die die<br />

Strategie des Unternehmens<br />

substanziell untermauert,<br />

ist für immer mehr Firmen<br />

der Schlüssel zum Erfolg.<br />

ab und begleitete ihn durch eine äusserst<br />

dynamische und von scharfer Konkurrenz<br />

geprägte Verkaufsauktion. Unser Kunde<br />

erhielt schliesslich den Zuschlag und erwarb<br />

das Unternehmen zum gewünschten Preis.<br />

Für den Software-Anbieter öffnete die<br />

Übernahme den Weg in eine neue Phase<br />

der Expansion.<br />

Sicherung: Wirksames Zulieferer-Risikomanagement<br />

begrenzt Verlustgefahr<br />

Ein renommierter britischer Produzent von<br />

Premium-Fahrzeugen und SUVs sah den<br />

Erhalt des eingesetzten Kapitals durch Einnahmeverluste<br />

gefährdet, die durch Ausfälle<br />

bei der Lieferung von Bauteilen entstehen<br />

können. Wie jeder Automobil hersteller<br />

bezieht das Unternehmen fremdgefertigte<br />

Bauteile just in time vom zuständigen Hersteller<br />

– ein kosteneffizientes Verfahren,<br />

das wegen der Abhängigkeit von jeweils<br />

nur einer Bezugsquelle jedoch erhebliche<br />

Risiken birgt. Bleibt eine Lieferung aus,<br />

kann unter Umständen die gesamte Produktion<br />

zum Stillstand kommen. Das Unternehmen<br />

plante daher, sein Zulieferer-<br />

40 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


Expertise Kapitalmanagement<br />

Risiko management zu optimieren, um<br />

Fehler noch schneller erkennen und sofort<br />

Gegenmassnahmen ergreifen zu können.<br />

<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> stellte dem Automobilhersteller<br />

ein Team von Experten zur Seite, zu<br />

dem auch Spezialisten für Restrukturierungsprozesse<br />

und Fachleute für Lieferketten<br />

sowie Automobilexperten gehörten.<br />

Unsere Berater arbeiteten im Team des<br />

Kunden mit. Sie überprüften den Risikomanagement-Prozess,<br />

empfahlen Verbesserungen<br />

und leiteten die Umsetzung der vorgeschlagenen<br />

Massnahmen – all dies stets<br />

im Blick auf die Capital Agenda und das<br />

übergeordnete Ziel der Werterhaltung. Auf<br />

diese Weise gelang es, eine Reihe von Verbesserungsoptionen<br />

zu identifizieren und<br />

die Wirksamkeit des Systems zu erhöhen.<br />

So können Gefahren heute schneller erkannt<br />

und gezielter bekämpft werden.<br />

Der Erfolg dieser Zusammenarbeit beruhte<br />

nicht zuletzt darauf, dass unsere Berater<br />

sich gut in das Team des Kunden integrierten<br />

und flexibel auf die vorgefundene<br />

Arbeitsweise eingingen. Nicht zuletzt verhalfen<br />

auch ihre umfangreichen Branchenkenntnisse<br />

dazu, dass die eingebrachten<br />

Vorschläge auf fruchtbaren Boden fielen<br />

und mit Gewinn umgesetzt wurden.<br />

Optimierung: Neustrukturierung setzt<br />

Kapital frei<br />

Um Kosten zu senken, plante ein kotierter<br />

globaler Finanzdienstleister, seine Unternehmensstruktur<br />

zu rationalisieren. Ziel<br />

war es, das Eigenkapital besser einzusetzen,<br />

die Aktivitäten im Kerngeschäft zu<br />

konzentrieren, die Effizienz zu steigern und<br />

Kosten zu senken. Zu diesem Zweck sollte<br />

insbesondere die Zahl der rechtlich eigenständigen<br />

Unternehmensgesellschaften<br />

reduziert werden, um gebundenes Kapital<br />

freizusetzen.<br />

<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> begleitete das Unternehmen<br />

als Berater durch den gesamten Restrukturierungsprozess.<br />

Als Mitglieder zweier<br />

Komitees des Kunden berieten unsere<br />

Experten das Management zu technischen<br />

und Planungsthemen ebenso wie zu speziellen<br />

Fragen, die sich bei der Auflösung von<br />

Unternehmenseinheiten stellen. Sie koordinierten<br />

die Reviews, die der Auflösung<br />

von über 150 Einheiten vorausgingen, und<br />

entwickelten gemeinsam mit dem Management<br />

ein solides Rahmenwerk, mit dessen<br />

Hilfe Probleme, die während der Reviews<br />

festgestellt wurden, gelöst werden konnten.<br />

Darüber hinaus übernahm <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong><br />

die Rolle des Liquidators für 141 Einheiten.<br />

Diese solventen Gesellschaften wurden<br />

liquidiert, um die Neuverteilung von freiem<br />

Kapital zu erleichtern.<br />

Das Ergebnis: Innerhalb von zwei Jahren<br />

löste der Finanzdienstleister 74 Prozent<br />

seiner Unternehmenseinheiten auf. Unser<br />

Kunde konnte auf diese Weise ein Kapitalvolumen<br />

von über 100 Millionen US- Dollar<br />

freisetzen und neu verwenden. Hinzu<br />

kamen spürbare Kosteneinsparungen.<br />

<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> konnte in diesem Projekt<br />

auf sein umfangreiches Wissen über Restrukturierungsprozesse<br />

zurückgreifen und<br />

bewährte Programme und Verfahren nutzen.<br />

Auch unsere Erfahrung in der Bildung<br />

Louis Siegrist<br />

louis.siegrist@ch.ey.com<br />

Louis Siegrist ist Partner bei<br />

<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong>. Er leitet das Geschäftsfeld<br />

Transaktionsberatung in der Schweiz.<br />

von Spezialisten-Teams trug dazu bei, dass<br />

ein maximaler Wertzuwachs für den Kunden<br />

erreicht wurde.<br />

Erfolgreich in Zeiten des Wandels<br />

Ähnlich wie in diesen Beispielen mobilisieren<br />

gegenwärtig immer mehr Unternehmen<br />

ihre Ressourcen, um auf die kommenden<br />

Jahre eines aller Voraussicht nach eher<br />

schleppenden und hart zu erkämpfenden<br />

Aufschwungs vorbereitet zu sein. Eine starke<br />

und fokussierte Capital Agenda, die die<br />

Strategie und die Initiativen des Unternehmens<br />

substanziell untermauert, ist für sie<br />

der Schlüssel zum Erfolg. Sie erlaubt ihnen,<br />

wirkungsvolle Kapitalentscheidungen zu<br />

treffen. Auf diese Weise können sie Chancen<br />

ergreifen, wo andere Gefahren fürchten,<br />

und voranschreiten, wo diese das Risiko<br />

scheuen. So setzen sie um, was die Krise<br />

sie gelehrt hat: Nicht im Wandel liegt Gefahr,<br />

sondern darin, dass man sich nicht<br />

auf ihn einstellt.<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 41


Expertise Dialog<br />

„Erst wenn es nicht mehr an dir hängt, bist du erfolgreich.“<br />

Peter Englisch, Lead Partner Strategic Growth Markets und Family Business bei <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong>,<br />

diskutiert mit Max Maier, Geschäftsführender Gesellschafter der Max Maier Unternehmensgruppe<br />

„Wir rechnen nicht, sondern glauben an das, was<br />

wir machen, und schauen dabei auf unser Potenzial<br />

und unsere Ressourcen. Und die Rechnungen<br />

gingen erstaunlicherweise trotzdem immer auf.”<br />

Peter Englisch: Herr Maier, Ihre Unternehmensgruppe<br />

vereint auf den ersten Blick<br />

ganz unterschiedliche Geschäftsfelder –<br />

Küchen- und Kühltechnik einerseits und Immobilienwirtschaft<br />

sowie Stadtentwicklung<br />

andererseits. Welche unternehmerische<br />

Entscheidung hält das Ganze zusammen?<br />

Max Maier: Unsere Idee ist es, elementare<br />

menschliche Bedürfnisse zu befriedigen –<br />

und dazu zählen nach meiner Überzeugung<br />

die Raumgebung und die Esskultur. Dabei<br />

kommt es uns darauf an, innovative Antworten<br />

zu finden auf die veränderten Lebens-<br />

und Arbeitsweisen heute. Mit Urban<br />

Development wollen wir Räume und Stadtgebiete<br />

so gestalten, dass sie die Verwirklichung<br />

vielfältigster Ideen und Bedürfnisse<br />

ermöglichen – und dies alles mit minimalem<br />

Energieeinsatz. In der Max Maier Kitchen<br />

Group geht es uns um die Entwicklung und<br />

Produktion von Geräten und Systemen zur<br />

Bereitstellung von qualitativ hochwertigem<br />

Essen zu Hause und ausser Haus – auch hier<br />

mit dem Anspruch höchster Energieeffizienz.<br />

Englisch: Sie sind nach der Übernahme<br />

des Küchentechnik-Unternehmens Rieber<br />

im Jahr 2005 mit einer ganzen Reihe von<br />

Innovationen an den Markt gegangen und<br />

haben zahlreiche Auszeichnungen und<br />

Design-Preise, etwa den „red dot award“,<br />

für Ihre Produkte erhalten. Stellen solche<br />

innovationsorientierten Entscheidungsprozesse<br />

eigene Anforderungen?<br />

Maier: Damit sprechen Sie einen wichtigen<br />

Punkt an. Es ist etwas völlig anderes, ob Sie<br />

zum Beispiel Kosten in einem Unterneh-<br />

42 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


Expertise Dialog<br />

mensbereich senken wollen – eher eine<br />

rationale Entscheidung mit klarer Ausgangslage<br />

und Zielkriterien – oder Innovationen<br />

anstreben, bei denen oft weder die Ausgangslage<br />

noch die Zielkriterien oder Optionen<br />

klar sind.<br />

Englisch: Wo liegt für Sie der Schlüssel für<br />

Innovation in Ihrer Branche?<br />

Maier: In diesem Markt hatte bis dahin jeder<br />

nur an einzelne Produkte gedacht. Der<br />

eine hat einen Ofen gebaut, der nächste<br />

eine Spüle, der Dritte hat sich mit der Vorbereitung<br />

beschäftigt. Jeder war Spezialist,<br />

und all diese Spezialisten haben nur ihr<br />

Produkt optimiert – und dabei den Gesamtprozess<br />

aus dem Blick verloren.<br />

Für mich war Bill Gates ein Anstoss, als er<br />

mit Windows 95 auf den Markt kam. Damals<br />

habe ich mir das erste Mal Gedanken<br />

über die Bedeutung von Betriebssystemen<br />

gemacht: Sie ermöglichen die unterschiedlichsten<br />

Funktionen auf ein und demselben<br />

Standard. Hier liegen die Analogien zu der<br />

Firma Rieber, mit der wir damals noch auf<br />

einem ganz anderen Feld zusammengearbeitet<br />

haben. Rieber hat in den sechziger<br />

Jahren eine Revolution in der Gastronomie<br />

vorangetrieben – die Einführung eines einheitlichen<br />

Ordnungs- und Betriebssystems,<br />

des später international üblichen Gastronorm-Standards.<br />

In diesem Infrastrukturansatz<br />

und mit Blick auf den gesamten<br />

Arbeitsprozess in und um die Küche sehen<br />

wir grosse Innovationspotenziale.<br />

Englisch: In der mutigen und zielstrebigen<br />

Weise, in der Sie Innovationen angehen,<br />

„Man muss für eine solch unabhängige<br />

Einstellung aber auch die Voraussetzungen<br />

haben. Unternehmen, die stark fremdfinanziert<br />

sind, geht so etwas häufig verloren.”<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 43<br />

Fotos: Michael Hudler


Expertise Dialog<br />

„Erst wenn es nicht mehr an dir hängt, bist du erfolgreich.“ von Peter Englisch und Max Maier<br />

liegt möglicherweise ein Charakteristikum<br />

von Familienunternehmen. Beschneiden<br />

sich börsennotierte Unternehmen in ihrer<br />

Zahlen- und Faktengetriebenheit und kurzfristigen<br />

Gewinnorientierung um Innovationspotenziale?<br />

Maier: Wir rechnen nicht, sondern glauben<br />

an das, was wir machen, und schauen dabei<br />

auf unser Potenzial und unsere Ressourcen.<br />

Und die Rechnungen gingen erstaunlicherweise<br />

trotzdem immer auf. Rechnet es sich<br />

etwa, eine alte Fabrik mit ihren denkmalgeschützten<br />

Hallen zu einem Werkzentrum<br />

für die Kreativ- und Medienszene umzubauen,<br />

so wie wir das in Ludwigsburg gemacht<br />

haben? Glauben Sie, das kann man rechnen?<br />

Glauben Sie, man kann Transformation<br />

und Paradigmenwechsel rechnen? Ausgeschlossen!<br />

Aber wenn Sie das elementare<br />

Grundbedürfnis der Menschheit auf ökologische<br />

und ökonomische Art und Weise befriedigen,<br />

dann brauchen Sie sich über den<br />

Return on Investment keine Gedanken zu<br />

machen, es ist nur eine Frage der Zeit.<br />

Englisch: Man muss für eine solch unabhängige<br />

Einstellung aber auch die Voraussetzungen<br />

haben. Unternehmen, die stark<br />

fremdfinanziert sind, geht so etwas häufig<br />

verloren, die geraten in eine Spirale hinein,<br />

in der sie nur noch Anforderungen von<br />

aussen befriedigen müssen. Gleiches gilt<br />

möglicherweise für Publikumsgesellschaften.<br />

Maier: Es stimmt sicherlich, dass Familienunternehmen<br />

eher dazu geeignet sind, eine<br />

langfristige Perspektive zu verfolgen, vor<br />

allem, was Investitionen anbelangt. Ich kann<br />

mich auch besser darauf konzentrieren, einen<br />

treuen Mitarbeiterstamm aufzubauen,<br />

wenn ich nicht unter dem Druck stehe, im<br />

Quartalsrhythmus Ergebniszahlen vorzulegen.<br />

Aber Familienunternehmen haben auch<br />

mit hausgemachten Problemen zu kämpfen:<br />

Ich habe viele Unternehmen erlebt, die von<br />

mehreren Mitgliedern geführt wurden und<br />

die, weil sie das Wohl der Familie und deren<br />

Zusammenhalt voranstellten, untergegangen<br />

sind. Es geht aber einzig und allein um<br />

den Fortbestand und den Erfolg des Unternehmens<br />

und seiner Mitarbeiter.<br />

Englisch: Das heisst, die Interessen der Familie<br />

geraten in Widerspruch zu denen des Unternehmens?<br />

Maier: Es sind komplett widersprüchliche<br />

Interessen. Ein Unternehmer muss klare<br />

Entscheidungen fällen, auch wenn das mit<br />

Konflikten verbunden ist. In der Familie hingegen<br />

regiert zum grossen Teil die Harmonie,<br />

und sie zu erhalten ist eine gemeinsame<br />

Aufgabe in der Familie.<br />

Konkret kann ich von den Unternehmen reden,<br />

die ich übernommen und saniert habe.<br />

Da waren es immer die gleichen Mechanismen:<br />

Es war keine Entscheidungskultur<br />

mehr da, weil man sich gegenseitig in der<br />

Familie nicht wehtun wollte. Es ging nicht<br />

mehr um die Sache. Entscheidungen bringen<br />

Veränderungen mit sich, und damit<br />

schmerzen sie – gerade wenn sie nachhaltig<br />

sein sollen. Dieses Wehtun bedeutet Veränderung,<br />

und das muss man aushalten.<br />

Englisch: Wie bauen Sie in Ihrem Unternehmen<br />

solchen Konflikten vor?<br />

Maier: Ich habe für mich erst einmal klargestellt:<br />

Ich habe kein Unternehmen, ich<br />

bin ein Unternehmer. Will sagen: Das Unternehmen<br />

ist etwas ganz anderes als ich.<br />

Deswegen baue ich eine selbstständige Managementebene<br />

auf – einen Führungskreis<br />

von Mitarbeitern, die in der Lage sind, ihren<br />

Aufgaben möglichst besser gerecht zu werden<br />

als ich. Auch Geschäftsführer habe ich<br />

eingestellt. Wir sind da auf einem sehr guten<br />

Weg, und ich würde mein Unternehmen<br />

deswegen weniger als familien-, sondern<br />

als unternehmergeführt bezeichnen.<br />

Englisch: Was bedeutet das für Sie persönlich?<br />

Maier: Dem Gefühl nach ist das ein permanenter<br />

Abschiedsprozess, aber ich glaube,<br />

man kann damit gar nicht früh genug beginnen.<br />

Erst wenn das geschafft ist, wenn<br />

es also nicht an dir hängt, sondern im Unternehmen,<br />

bist du nach meiner Ansicht<br />

auch ein erfolgreicher Unternehmer. Ich<br />

konzentriere mich zunehmend auf meine<br />

Eigentümer- und Aufsichtsratsfunktion,<br />

wichtige Weichenstellungen behalte ich mir<br />

jedoch vor, und ich greife auch ein, wenn<br />

sich die Dinge nicht wie geplant entwickeln.<br />

Englisch: Sie legen nicht nur Wert darauf,<br />

dass Ihr Management eigenständig denkt,<br />

sondern auch Ihre Teams – dass sie Freiräume<br />

haben, um Ideen zu entwickeln. Das ist<br />

ja auch ein Stück der Führung, das vorzuleben<br />

und dazu zu ermuntern. Welcher Mehrwert<br />

liegt in dieser Autonomie?<br />

Maier: Ich habe gemerkt, wenn ich die Teams<br />

nicht nur begeistere, sondern die Mitarbeiter<br />

44 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


Expertise Dialog<br />

„Das Innerfamiliäre ist und<br />

bleibt natürlich entscheidend.<br />

Allgemein geht es ja darum,<br />

wie man beim Generationenübergang<br />

einen offenen<br />

Dialog über gegenseitige<br />

Erwartungen und Rollen verständnisse<br />

sicherstellt, um<br />

Konflikte gar nicht erst entstehen<br />

zu lassen. Auch die<br />

Familie ist eine Organi sationsform,<br />

die gemanagt<br />

werden will.”<br />

„Manchmal fängt das ja<br />

schon mit ganz einfachen<br />

Dingen an: etwa bei der Frage,<br />

wer eigentlich zum Kreis<br />

der Familie gehört und mit<br />

wem man welche Art von<br />

Ent scheidung abstimmen<br />

muss. Bei manchen Familien<br />

ist allein schon diese Klärung<br />

ausser ordentlich komplex.”<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 45


Expertise Dialog<br />

stolz mache auf das, was sie tun, sprudeln<br />

auf einmal die Innovationen und Anregungen<br />

– und zwar von der Reinigungskraft bis<br />

hin zum Meister, quer durch das Unternehmen.<br />

Durch diese Kultur der Ermutigung<br />

und Anerkennung brauchen wir uns keine<br />

Gedanken darüber zu machen, ob wir unsere<br />

Arbeitsplätze ins Ausland verlagern.<br />

Englisch: Wenn dann eine Idee aus Ihren<br />

Teams kommt, wie bewerten Sie die? Und<br />

wie fällt dann Ihre Entscheidung: Das wollen<br />

wir weiterverfolgen?<br />

Maier: Am Anfang steht für mich das Zuhören.<br />

Wenn ich merke, das Team steht dahinter,<br />

folgen die üblichen Schritte: Die Potenzialanalyse<br />

und die Frage: Haben wir<br />

Beziehungen zu dem Markt, zu den Mittlern?<br />

Dann starten wir ein Vorprojekt, dabei<br />

binden wir geeignete Nutzer ein. Wenn wir<br />

über dieses Projektstadium hinaus sind,<br />

klären wir, ob wir auch in der Lage sind, die<br />

Produkte mit einem hohen Kapitaleinsatz<br />

hier vor Ort zu produzieren. Die Grundvoraussetzung<br />

ist aber, dass die Mannschaft<br />

hinter der Idee steht und motiviert ist.<br />

Englisch: Abzugeben, Entscheidungsfreiräume<br />

zu delegieren – das stelle ich mir<br />

nicht einfach vor. Insbesondere dann, wenn<br />

Sie den Eindruck haben, dass etwas in eine<br />

falsche Richtung läuft.<br />

Maier: Das ist mit das Schwierigste, diese<br />

Disziplin aufzubringen. Nötig ist die rationale<br />

Einsicht, dass nur über Selbstorganisation<br />

und Eigenverantwortlichkeit etwas Grosses<br />

entstehen kann. Dazu gehört untrennbar<br />

auch eine fehlerfreundliche Kultur. Das war<br />

ein Lernprozess, auch für mich. Wie häufig<br />

war ich schon der Auffassung: Das kann<br />

nicht funktionieren. Und am Ende wurde ich<br />

von einem grandiosen Ergebnis überrascht.<br />

Tatsächlich wollen es meine Mitarbeiter mir<br />

auch beweisen. Auch bei unserem K-POT<br />

war ich zunächst ungeheuer skeptisch. Eine<br />

solche multifunktionale, programmierbare<br />

mobile Kochstation war immer mein Traum<br />

– aber ich konnte mir nie vorstellen, dass<br />

das funktioniert. Richtig gutes Kochen ist ja<br />

gar nicht so einfach, und deswegen ist das<br />

eine hochkomplexe Aufgabe, wenn man es<br />

ohne die Verantwortung und das Gespür des<br />

Kochs oder der Servicekräfte schaffen will.<br />

Dass wir das hinbekommen haben, hätte ich<br />

nie geglaubt. Heute gehört der K-POT zu<br />

unseren Vorzeigeprodukten und war eines<br />

der Exponate im Deutschen Pavillon der<br />

Expo 2010 in Schanghai.<br />

Englisch: Die Mehrzahl der Kaufentscheidungen<br />

auf dem Küchenmarkt wird vermutlich<br />

von Frauen getroffen. Spiegelt sich das<br />

in Ihrem Management? Will sagen: Legen<br />

Sie Wert darauf, Frauen in Entscheidungspositionen<br />

zu besetzen?<br />

Maier: Ich gebe zu, es ist ein bisschen paradox:<br />

Wir machen für Entscheidungen, die<br />

zu 70 bis 80 Prozent von Frauen getroffen<br />

werden, Produkte von Männern. Deswegen<br />

bemühen wir uns seit einigen Jahren ganz<br />

gezielt darum, unsere Führung durch Frauen<br />

zu verstärken. Eine Schwierigkeit ist<br />

aber nach meiner Ansicht: Frauen wollen<br />

alles und das zu hundert Prozent. Man<br />

muss aber an der Kreuzung über Produkte<br />

„Ein Unternehmer muss klare<br />

Entscheidungen fällen, auch<br />

wenn das mit Konflikten<br />

verbunden ist. Entscheidungen<br />

bringen Veränderungen mit<br />

sich, und damit schmerzen sie –<br />

gerade wenn sie nachhaltig<br />

sein sollen. Dieses Wehtun<br />

bedeutet Veränderung, und<br />

das muss man aushalten.“<br />

Max Maier<br />

46 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


Expertise Dialog<br />

entscheiden und dann konsequent einen<br />

Weg gehen. Zum Beispiel: Machen wir es<br />

jetzt flexibel oder stationär. Frauen wollen<br />

beides! Verstehen Sie? Aber dafür haben<br />

wir nicht die Kapazitäten.<br />

Englisch: Aber wenn es stimmt, dass Frauen<br />

anders führen, dann steckt darin vielleicht<br />

auch ein Mehrwert, den eine rein<br />

männliche Führung nicht bietet.<br />

Maier: Natürlich, und das analysieren wir genau.<br />

Wie können wir typisch weibliche Fähigkeiten<br />

wie die soziale Kompetenz und ein<br />

angeborenes Gespür für einen nichtverschwenderischen<br />

Umgang mit Ressourcen<br />

für uns produktiv machen? Wenn Sie mit<br />

einem Ingenieur eine Grossanlage planen,<br />

dann schmeisst er die Lebensmittel weg. Die<br />

Frauen denken ans Recycling. Sie denken<br />

einfach von Natur aus ans Bewahren und<br />

Sammeln. Beide Zugangsweisen, die männliche<br />

und die weibliche, optimal zu verbinden,<br />

das ist eigentlich die Aufgabe der Führung.<br />

Englisch: Eine langfristig zu planende unternehmerische<br />

Entscheidung ist auch die<br />

der Unternehmensnachfolge. Wie bereiten<br />

Sie Ihre Kinder darauf vor – so sie sich denn<br />

vorstellen können, in Ihr Unternehmen einzusteigen?<br />

Maier: Meine Tochter und mein Sohn sind<br />

jetzt 16 und 18 Jahre alt, und ich stelle mit<br />

grosser Freude fest, dass sie sich zunehmend<br />

für das interessieren, was ich mache.<br />

Deswegen bin ich guter Dinge, dass sie<br />

nach Abschluss ihrer Ausbildung auch wirklich<br />

eine Rolle im Unternehmen überneh-<br />

Max Maier<br />

max.maier@eisfink.de<br />

Max Maier ist Geschäftsführender<br />

Gesellschafter der Max Maier Unternehmensgruppe<br />

mit Sitz in Ludwigsburg.<br />

men wollen. Ich lasse die Kinder teilhaben<br />

und ermögliche ihnen Einblicke, wenn sie<br />

denn wollen. Sie haben inzwischen auch<br />

verschiedene Bereiche kennengelernt.<br />

Gleichwohl haben es die Kinder schwerer<br />

als ich – sie müssen mehr aus zweiter Hand<br />

lernen, denn sie haben das Unternehmen<br />

nicht aufgebaut. Dadurch fehlen ihnen Erfahrungen,<br />

aus denen ich viel gelernt habe.<br />

Dennoch erkenne ich bei ihnen ein wachsendes<br />

Verantwortungsgefühl dafür, was es<br />

heisst, Unternehmer zu sein. Dieses Bewusstsein<br />

kann man fördern, aber nicht erzwingen.<br />

Die Teilnahme unserer Kinder an<br />

der diesjährigen <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> Junior Academy<br />

hat in dieser Beziehung einen grossartigen<br />

Beitrag geleistet.<br />

Englisch: Wie stellen Sie sicher, dass die<br />

strategische Ausrichtung des Unternehmens<br />

auch ohne Ihre direkte Mitwirkung<br />

auf einem guten Fundament steht?<br />

Maier: Ich denke, da gibt es verschiedene<br />

Ansatzpunkte. Zum einen versuche ich, wie<br />

gesagt, das Unternehmen wetterfest zu machen<br />

durch ein unternehmergeführtes Management.<br />

Ausserdem installiere ich einen<br />

sogenannten Beirat, einen Verwaltungsrat,<br />

der sich vor allem mit der zukünftigen Entwicklung<br />

der Max Maier Unternehmensgruppe<br />

beschäftigt. In ihm gelten klare Regeln:<br />

Die Zahlen sind nicht unser Kriterium.<br />

Natürlich werden sie analysiert, wenn es<br />

Fehlentwicklungen gibt. Aber massgeblich<br />

ist die Frage, wie wir unsere Produktbereiche<br />

optimal weiterentwickeln.<br />

Aber das Innerfamiliäre ist und bleibt natürlich<br />

entscheidend. Allgemein geht es ja dar-<br />

Peter Englisch<br />

peter.englisch@de.ey.com<br />

Peter Englisch ist Lead Partner Strategic<br />

Growth Markets und Family Business bei<br />

<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong>.<br />

um, wie man beim Generationenübergang<br />

einen offenen Dialog über gegenseitige Erwartungen<br />

und Rollenverständnisse sicherstellt,<br />

um Konflikte gar nicht erst entstehen<br />

zu lassen. Auch die Familie ist eine Organisationsform,<br />

die gemanagt werden will,<br />

und es gibt Rollen, die notwendigerweise<br />

wahrgenommen werden müssen.<br />

Englisch: Manchmal fängt das ja schon mit<br />

ganz einfachen Dingen an: etwa bei der<br />

Frage, wer eigentlich zum Kreis der Familie<br />

gehört und mit wem man welche Art von<br />

Entscheidung abstimmen muss. Bei manchen<br />

Familien ist allein schon diese Klärung<br />

ausserordentlich komplex. Wenn Sie da keine<br />

klaren Strukturen haben, laufen Sie Gefahr,<br />

dass emotionale, persönliche Verletzungen<br />

und Konflikte zurückfallen auf das<br />

Unternehmen. Das gilt es zu vermeiden.<br />

In vielen Fällen, die ich kennengelernt habe,<br />

wäre es für die Unternehmerfamilie enorm<br />

wichtig gewesen, zur Konsensfindung einen<br />

unabhängigen Moderator an der Seite zu<br />

haben. Jemanden, der den notwendigen<br />

Dialog anstösst und in der Lage ist, das,<br />

was sich die Beteiligten am Küchentisch<br />

nicht offen erzählen können, wie ein Katalysator<br />

aufzunehmen und dem Ganzen eine<br />

Struktur zu geben.<br />

Maier: Ich gebe Ihnen recht, wir Unternehmer<br />

brauchen diese Unterstützung. Und<br />

wenn Sie mich fragen, glaube ich, dass daraus<br />

für die Beratung ganz neue Geschäftsbereiche<br />

entstehen könnten: Solche, die die<br />

„soft facts“ in den Blick nehmen, denn die<br />

sind eigentlich viel wichtiger als immer nur<br />

diese Zahlen.<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 47


Expertise Studie<br />

Navigationshilfe für ein unübersichtliches Terrain<br />

Der Business Risk Radar 2010 zeigt <strong>Entrepreneur</strong>en, welche Risiken sie bei Unternehmensentscheidungen<br />

heute im Blick behalten sollten.<br />

Von Dr. Robert Heinrich und Dr. Michael Dalla Torre<br />

Nichts beunruhigt die Wirtschaft derzeit so<br />

sehr wie staatliche Regulierungsvorhaben<br />

und der erschwerte Zugang zu Finanzmitteln.<br />

In der Rangfolge der Risiken, die führende<br />

Unternehmen heute als bedeutend erachten,<br />

rangieren diese Themen weltweit ganz oben.<br />

Das zeigt der <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> Business Risk<br />

Radar 2010. Die Studie beleuchtet, mit welchen<br />

Risiken Unternehmen weltweit rechnen,<br />

und gibt Unternehmenslenkern wertvolle<br />

Entscheidungsgrundlagen an die Hand –<br />

Informationen, die gerade in einer Zeit<br />

dynamischer Veränderung und vielfältiger<br />

Ungewissheiten helfen, sich abzeichnende<br />

Entwicklungen zu erkennen und zu bewerten.<br />

Seit 2008 alljährlich durchgeführt, ist der<br />

<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> Business Risk Radar Teil<br />

eines fortlaufenden globalen Austauschs<br />

über Geschäftsrisiken, die unternehmerische<br />

Entscheidungen massgeblich beeinflussen.<br />

Er liefert eine Momentaufnahme der<br />

wichtigsten Risiken aus den Bereichen Finanzen,<br />

Strategie, Compliance und operatives<br />

Geschäft.<br />

Für den Business Risk Radar 2010 haben<br />

wir weltweit über 70 Spitzenführungskräfte<br />

und Experten aus 14 Sektoren nach ihrer<br />

Einschätzung befragt und sie gebeten, die<br />

für ihre Branche brisantesten Risiken zu<br />

priorisieren. Die Liste der Top Ten lässt drei<br />

prägnante Trends erkennen.<br />

Trend 1: Die Folgen der Krise<br />

bleiben spürbar<br />

Folgt man dem Bild, das die Mehrheit der<br />

befragten Manager zeichnet, bleibt kein<br />

Zweifel: Die gobale Wirtschaftskrise ist<br />

längst nicht ausgestanden. Alle drei Risiken<br />

an der Spitze des Rankings sind – direkt<br />

oder indirekt – auf sie zurückzuführen. Das<br />

Thema „Regulierung und Compliance“<br />

nimmt den ersten Platz bereits zum zweiten<br />

Mal ein. Schon 2008 hatte es das Ranking<br />

angeführt, wurde 2009 aber vom Risiko<br />

des „Access to credit“ abgelöst,<br />

nachdem die Banken ihre Kreditvergabe<br />

massiv eingeschränkt hatten.<br />

Jetzt ist „Regulierung und Compliance“ auf<br />

den Spitzenplatz zurückgekehrt. Dabei fürchtet<br />

keineswegs nur die Branche der Finanzdienstleister<br />

mögliche Folgen gesetzlicher<br />

Regelungen. Die Sorge herrscht vielmehr in<br />

einer ganzen Reihe von Branchen vor, von<br />

Life Sciences über die Telekommunikation bis<br />

hin zu den Energieversorgern und Real Estate.<br />

Die Schwerpunkte sind allerdings unterschiedlich.<br />

So befürchtet der Finanzsektor<br />

weitreichende Veränderungen seines Geschäfts<br />

infolge gesetzlicher Regelungen wie<br />

beispielsweise Basel III. Gesetzliche Regelungen<br />

erhöhen auch den Druck auf die Life-<br />

Science-Unternehmungen – einerseits sollen<br />

die Medikamentenpreise stärker kontrolliert<br />

werden, andererseits wird die Zulassung neuer<br />

Medikamente immer aufwendiger. Die Unternehmen<br />

bekunden vor allem Schwierigkeiten<br />

mit dem Umgang der Ungewissheit in<br />

Bezug auf das Inkrafttreten neuer Regulatorien,<br />

da sie die Entscheidungsfindung hemmen<br />

und die Planung von Investitionen erschweren.<br />

Unternehmen können jedoch Schritte<br />

unternehmen, um auf diese Ungewissheit zu<br />

reagieren. Ein möglicher Schritt beinhaltet,<br />

vorausschauend zu planen, welche Änderun-<br />

Nicht nur die Finanzdienstleister,<br />

viele Branchen<br />

fürchten mögliche Folgen<br />

gesetzlicher Regulierungen:<br />

von Life Sciences bis zu den<br />

Energieversorgern.<br />

gen in den Regulatorien zu erwarten sind, um<br />

diese dann in die Geschäftsplanung mit einzubeziehen.<br />

An zweiter Stelle im Ranking der Risiken steht<br />

der Zugang zu Krediten. Nachdem staatliche<br />

Rettungspakete und Förderprogramme<br />

die Situation am Finanzmarkt entspannen<br />

konnten, verlor dieses Risiko leicht an Bedeutung.<br />

Im Vorjahr auf Platz eins, rangiert der<br />

„Access to credit“ im Business Risk Radar<br />

2010 jedoch immer noch an zweiter Stelle.<br />

Zwar zeigten sich einige Befragte wieder optimistisch,<br />

doch es besteht die Angst, dass die<br />

erhöhte Staatsverschuldung einen erheblichen<br />

Einfluss auf die Kosten von Krediten<br />

hat. Im Finanzsektor machen sich die Manager<br />

vor allem über mögliche Nachbeben der<br />

Kreditknappheit und über nicht realisierte<br />

oder verdeckte Kapitalverluste Sorgen. In der<br />

Automobilbranche beispielsweise bereiteten<br />

knappe und verteuerte Kredite im Jahr 2009<br />

Schwierigkeiten im Beschaffungsprozess, wo<br />

bei Grosszulieferern bis zu den Werkzeugherstellern<br />

Engpässe bestanden. Und auch heute<br />

hängen immer noch viele Unternehmen von<br />

staatlicher Unterstützung ab.<br />

48 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


Expertise Studie<br />

Ist die beginnende Erholung nachhaltig?<br />

Oder erleben wir gerade einen scheinbaren<br />

Aufschwung, aus dem die Wirtschaft in<br />

eine zweite Rezession zu schlittern droht?<br />

Die Frage beschäftigt Manager und Spezialisten<br />

fast aller Sektoren – und steht 2010<br />

damit an dritter Stelle in der Rang folge der<br />

Geschäftsrisiken. Sie betrifft vor allem zyklische<br />

Branchen wie die Konsumgüterindustrie.<br />

Die Gefahr der Rezession wird<br />

weiterhin als sehr hoch eingeschätzt, nicht<br />

zuletzt wegen der immensen Staatsverschuldung<br />

und des Ausfallrisikos einzelner<br />

Länder. Auch fürchten viele, dass die staatlichen<br />

Rettungspakete die Probleme lediglich<br />

in die Zukunft verlagern, statt sie zu<br />

lösen.<br />

Trend 2: Der Mangel an<br />

Nachwuchskräften wird virulent<br />

Der Aufstieg des Themas Talentmanagement<br />

von Platz sieben im Vorjahr auf den<br />

vierten Platz im Risk Radar 2010 lässt<br />

einen weiteren wichtigen Trend erkennen:<br />

In den entwickelten Industriegesellschaften<br />

werden die Folgen des demografischen<br />

Wandels zunehmend spürbar. Vielfach fehlt<br />

es bereits an qualifizierten Nachwuchskräften.<br />

In den meisten Sektoren erkennen die<br />

befragten Führungskräfte hier eine zunehmende<br />

Brisanz. Branchen wie die Metallverarbeitung<br />

und die Energieversorgung, aber<br />

auch die Automobilhersteller leiden bereits<br />

darunter. Hier fehlen vor allem qualifizierte<br />

Ingenieure – ein Mangel, der umso folgenreicher<br />

ist, als für diese Branchen wichtige<br />

Chancen in der Entwicklung neuer, klimafreundlicher<br />

Technologien liegen.<br />

Darüber hinaus wird ein positives Unternehmensimage<br />

für die Gewinnung neuer Fachkräfte<br />

immer wichtiger. So müssen beispielsweise<br />

die Öl- und Gasindustrie, aber auch die<br />

Automobilbranche, die Öffentlichkeit über<br />

ihre Ansätze hinsichtlich Umweltverträglichkeit<br />

und Zukunftsfähigkeit informieren. Doch<br />

nicht nur die Rekrutierung geeigneter Talente<br />

bereitet den Managern Sorge, auch die Notwendigkeit,<br />

fähige Mitarbeiter im Unternehmen<br />

zu halten und sie weiterzuentwickeln,<br />

fordert sie heraus. Im Finanzsektor kommt<br />

hinzu, dass die Managergehälter teilweise im<br />

Kreuzfeuer öffentlicher Kritik stehen und<br />

Vergütungsfragen weiterhin ungelöst sind.<br />

Trend 3: Umweltorientierung<br />

und gesellschaftliche Akzeptanz sind<br />

Zukunftsthemen<br />

Der Business Risk Radar 2010 zeigt, dass<br />

Fragen rund um Nachhaltigkeit, Umwelt-<br />

und Klimaschutz sowie die gesellschaftliche<br />

Verantwortung von Unternehmen an Bedeutung<br />

gewinnen.<br />

Im gegenwärtigen wirtschaftlichen Klima<br />

stehen „grüne“ Themen verständlicherweise<br />

weniger im Vordergrund. Auf der Rangliste<br />

der Top Ten fielen die Risiken in diesem<br />

Bereich 2010 denn auch vom vierten auf<br />

den achten Platz. Für die meisten Befragten<br />

sind sie dennoch ein drängendes Zukunftsthema<br />

– und, für einige Branchen, ebenso<br />

risiko- wie chancenreich.<br />

Angesichts spürbarer Auswirkungen des<br />

Klimawandels und einer weltweit fortschreitenden<br />

Beeinflussung der Umwelt dürfte<br />

das in vielen Ländern bereits ausgeprägte<br />

Umweltbewusstsein weiter wachsen. Die<br />

Unternehmen sind damit gefordert, ihre<br />

Umweltauswirkungen zu reduzieren und<br />

möglichst nachhaltig zu wirtschaften – und<br />

dies nicht nur, um ihre Reputation zu bewahren.<br />

Vielmehr sieht sich der Privatsektor<br />

zunehmend dazu gedrängt, koordinierte<br />

Initiativen für Innovationen auf diesem<br />

Gebiet anzustossen, wie sie die Politik bisher<br />

nicht leisten konnte und voraussichtlich<br />

auch nicht leisten wird.<br />

In unserer Befragung zeigten sich Manager<br />

unterschiedlicher Sektoren überzeugt, dass<br />

der Unternehmenserfolg in ihrer Branche<br />

künftig nicht zuletzt davon abhängen werde,<br />

inwieweit die Firmen ihr Geschäft an<br />

einer konsequenten Umweltpolitik ausrichten.<br />

Einige sehen grosse Chancen darin,<br />

den Konsumenten mit ihren Produkten<br />

neue, energieeffizientere Formen des Lebens<br />

und Arbeitens zu ermöglichen. Ein<br />

Beispiel dafür sind Smart Grids, die im Telekommunikations-<br />

und Energieversorgungsbereich<br />

Strom, Internet und Haushalte intelligent<br />

vernetzen.<br />

Neu unter den Top Ten ist der Risikobereich<br />

der gesellschaftlichen Akzeptanz und Unternehmensverantwortung<br />

(Corporate Social<br />

Responsibility, CSR). Nach oben gebracht<br />

haben ihn nicht zuletzt die Hinter gründe und<br />

Folgen der Finanzkrise, doch der Aufstieg<br />

zeichnete sich in den letzten Jahren bereits<br />

ab. Die Thematik ist weit gefasst. Sie betrifft<br />

alle Risiken, die die gesellschaftliche Zustimmung<br />

zur Tätigkeit eines Unternehmens<br />

(Licence to operate) gefährden können.<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 49


Expertise Studie<br />

Navigationshilfe für ein unübersichtliches Terrain von Dr. Robert Heinrich und Dr. Michael Dalla Torre<br />

Letztlich geht es um das Vertrauen der<br />

Öffentlichkeit, das Unternehmen erlangen,<br />

indem sie ihr Geschäft verantwortungsvoll<br />

und unter Beachtung gesellschaftlicher<br />

Belange betreiben. Obwohl dieses Thema<br />

noch teilweise unterschätzt wird, dürfte es<br />

nach der Wahrnehmung vieler Befragter<br />

künftig an Einfluss gewinnen.<br />

Verlässlicher Indikator in<br />

unsicheren Zeiten<br />

Über diese Trends hinaus macht der Business<br />

Risk Radar 2010 weitere Entwicklungen<br />

sichtbar – von der stetig zunehmenden Bedeutung<br />

der „Emerging markets“ über den<br />

unvermindert hohen Kostendruck in vielen<br />

Branchen bis hin zur sinkenden Zahl von<br />

Unternehmenstransaktionen in folge erschwerter<br />

Finanzierung. Jenseits der Top<br />

Ten rücken zudem neue Risikobereiche ins<br />

Blickfeld: mangelnde Innovationsfähigkeit,<br />

steigende Investitionen in Infrastruktur,<br />

technologischer Fortschritt, Verschärfung<br />

steuerlicher Rahmenbedingungen und<br />

zunehmender Preisdruck.<br />

All das ergibt ein überaus vielschichtiges<br />

Bild, das zugleich klare Entwicklungslinien<br />

erkennen lässt. Vergleicht man dabei die<br />

Einschätzungen aus den vergangenen<br />

Jahren mit der eingetretenen Entwicklung,<br />

zeigt sich der Business Risk Radar als zuverlässiger<br />

Indikator. Er spricht von Gefahren<br />

und Herausforderungen, mit denen zu<br />

rechnen ist – und verweist damit letztlich<br />

auf Chancen. Denn gerade dort, wo sich<br />

Hindernisse in den Weg stellen, gelingt es<br />

oft, Kräfte für Neues zu mobilisieren.<br />

Deutschland, Österreich, Schweiz: Risiken im Radar der Schlüsselbranchen<br />

Ein Blick auf die für Deutschland, Österreich und die Schweiz wichtigsten Branchen vermittelt ein genaueres Bild<br />

der Risiko-Trends in dieser Region:<br />

In der Automobilbranche bleibt nach den Absatzverlusten der letzten Jahre neben<br />

der Kreditbeschaffung auch die Kostensenkung eine beständige Herausforderung.<br />

Die Branche befindet sich weiterhin im Wandel und ist dabei, ihre Kapazitäten weltweit<br />

anzupassen. Gleichzeitig verlangen ein verändertes Käuferverhalten sowie die schärfere<br />

Regulierung eine forcierte Entwicklung „grüner“ Antriebskonzepte. Um sich in<br />

den aufstrebenden Märkten der Schwellenländer durchzusetzen, entscheiden sich die<br />

Hersteller für Unternehmenstransaktionen und Allianzen.<br />

Auch für die Energieversorger stellen knappe und teure Kredite nach wie vor ein<br />

relevantes Risiko dar. Die bedeutendsten Gefahren aber erwachsen für sie aus politischen<br />

Eingriffen in die Märkte und einer weitreichenden Regulierung. Da Letztere<br />

„grün“ motiviert und von nicht unerheblichem öffentlichem Druck untermauert ist,<br />

rangieren Risiken im Bereich „Radical greening“ und „Social acceptance“ in der<br />

Branche ebenfalls recht weit oben.<br />

Im Konsumgüterbereich stehen das veränderte Konsumentenverhalten, Strategien<br />

für „Emerging markets“, Innovation und Preisdruck im Vordergrund. Umwelt- und<br />

Nachhaltigkeitsthemen spielen für die Branche ebenfalls eine wachsende Rolle.<br />

Gerade für Markenhersteller sind hiermit deutliche Reputationsrisiken verbunden.<br />

Die Life-Sciences-Industrie steht vor tief greifenden Veränderungen. Bei schärferen<br />

gesetzlichen Vorgaben, erhöhtem Druck auf die Preise und gestiegenen Forschungskosten<br />

sind die Unternehmen gezwungen, Innovationen voranzutreiben. Viele<br />

wählen den Weg in „Emerging markets“ und gehen Allianzen ein, um einerseits ihre<br />

Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionskapazitäten kostengünstig auszubauen<br />

und grösseren Marktzugang zu haben. Zusätzlich sollen operative Prozesse effektiver<br />

und kosteneffizienter gestaltet werden. Vor diesem Hintergrund liegen die grössten<br />

Risiken für die Branche in den Bereichen „Regulierung und Compliance“ sowie<br />

„Emerging markets“.<br />

50 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


Expertise Studie<br />

Financial<br />

Impact of<br />

currency volatility<br />

Liquidity shocks and<br />

access to credit<br />

Industry restructuring<br />

and global capacity realignment<br />

Shifts in consumer<br />

preferences<br />

Selecting alternative<br />

propulsion systems<br />

Strategic<br />

Financial<br />

Emerging<br />

market<br />

strategy and<br />

execution<br />

Competitive<br />

intensity<br />

Strategic<br />

Risks of doing<br />

business in<br />

emerging markets<br />

Compliance risk<br />

Cost control and cost<br />

base optimization<br />

Managing risks<br />

across the value<br />

and supply chain<br />

Inability to attract and retain<br />

knowledge and competencies<br />

during industry transition<br />

Dr. Robert Heinrich<br />

robert.heinrich@de.ey.com<br />

Dr. Robert Heinrich ist Managing Partner<br />

bei <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> und verantwortlich<br />

für den Bereich Advisory Services GSA<br />

(Germany, Switzerland, Austria).<br />

Compliance<br />

Operations<br />

Dr. Michael Dalla Torre<br />

michael.dallatorre@ch.ey.com<br />

Dr. Michael Dalla Torre ist Partner bei<br />

<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> und Advisory Regional<br />

Market Coordinator in der Schweiz.<br />

Automotive<br />

Power and utilities<br />

Automotive Power and utilities<br />

Consumer<br />

dynamics and<br />

demographic shifts<br />

Pricing pressures<br />

and pricing<br />

strategy<br />

Retailer power and<br />

private label growth<br />

Radical greening,<br />

sustainability and<br />

climate change<br />

Failure of M&A<br />

Speed and success<br />

of innovation<br />

Compliance<br />

Supply chain agility<br />

and resilience<br />

Brand and marketing<br />

effectiveness<br />

Operations<br />

Significant shifts<br />

in the cost /<br />

accessibility<br />

of capital<br />

Managing planning<br />

and public<br />

acceptance risk<br />

Political intervention<br />

in power and utilities<br />

Expanding, renewing<br />

and maintaining<br />

network infrastructure<br />

Responding to both<br />

market liberalization<br />

and protection<br />

of national champions<br />

Pressure on the power<br />

generation equipment<br />

supply chain<br />

Compliance and<br />

regulatory risks<br />

Access to<br />

competitively<br />

priced long-term<br />

fuel supplies<br />

Implementing<br />

low-carbon<br />

technologies<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 51<br />

Financial<br />

Strategic<br />

markets<br />

Consumer products<br />

Life sciences<br />

Consumer products Life sciences<br />

Financial<br />

Strategic<br />

Capital access<br />

and allocation<br />

Emergence of<br />

new markets<br />

Managing<br />

the “extraprise”<br />

Human capital<br />

and talent<br />

Protecting<br />

intellectual<br />

property<br />

Regulatory<br />

compliance<br />

Compliance<br />

Operations<br />

Compliance<br />

Demonstrating value<br />

amid pricing pressures<br />

R&D productivity<br />

Inability to<br />

achieve<br />

sufficient<br />

scale<br />

Sustaining a culture<br />

of innovation<br />

Product safety<br />

Operations


Expertise Studie<br />

Navigationshilfe für ein unübersichtliches Terrain von Dr. Robert Heinrich und Dr. Michael Dalla Torre<br />

Die zehn wichtigsten Risiken 2010<br />

(Vorjahresrang in Klammern)<br />

1. Regulierung und Compliance / Regulation and compliance (2)<br />

2. Zugang zu Krediten / Access to credit (1)<br />

3. Langsamer Aufschwung oder Rückfall in die Rezession / Slow recovery or double-dip recession (3)<br />

4. Talentmanagement / Managing talent (7)<br />

5. Neue Märkte in Schwellenländern / Emerging markets (12)<br />

6. Kostenreduzierung / Cost-cutting (6)<br />

7. Neue Wettbewerber / Non-traditional entrants (5)<br />

8. Strikte Umweltorientierung / Radical greening (4)<br />

9. Gesellschaftliche Akzeptanz und Unternehmensverantwortung (neu) / Social acceptance risk and Corporate Social Responsibility<br />

10. Allianzen und Unternehmenstransaktionen (8) / Executing alliances and transactions<br />

Risk impact matrix<br />

Risks<br />

1. Regulation and compliance<br />

2. Access to credit<br />

3. Slow recovery/double-dip recession<br />

4. Managing talent<br />

5. Emerging markets<br />

6. Cost-cutting<br />

7. Non-traditional entrants<br />

8. Radical greening<br />

9. Social acceptance risk/CSR<br />

10. Executing alliances and transactions<br />

Asset<br />

management<br />

Automotive<br />

Banking<br />

Consumer<br />

products<br />

Insurance<br />

Life sciences<br />

Industries<br />

Media and<br />

entertainment<br />

Mining<br />

Government and<br />

public sector<br />

Impact scale<br />

Critical<br />

High<br />

Medium<br />

Moderate<br />

52 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />

Oil and gas<br />

Power and<br />

utilities<br />

Real<br />

estate<br />

Technology<br />

Telecoms


Impulse Interview<br />

„ Wir müssen wissen, dass wir nicht immer<br />

alles richtig entscheiden können.“<br />

Der Däne Morten Hannesbo steht an der Spitze des Schweizer Autohandelskonzerns AMAG Automobil-<br />

und Motoren AG. In einem insgesamt rückläufigen Umfeld baut der Marktführer seine Stärke immer<br />

weiter aus und ist auf Wachstumskurs. Doch langfristig gilt es, die Weichen neu zu stellen und die<br />

Mobilitätskonzepte der Zukunft mitzugestalten. Auch angesichts dieser Herausforderung plädiert<br />

Hannesbo für eine vertrauensvolle Streitkultur und die Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen.<br />

Fotos: Michael Hudler<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />

53


Impulse Interview<br />

Wie würden Sie Entscheidungen in Ihrem Unternehmen<br />

charakterisieren?<br />

Ein Entscheidungsprozess ist oft eine Kompromisssuche, bei der<br />

man die Lösung sucht, die am besten funktioniert. Das gilt insbesondere<br />

in einem Unternehmen wie AMAG. Wir arbeiten in einer<br />

Matrixorganisation, in der es darum geht, alle einzubinden und<br />

abzuholen und erst dann zu entscheiden, wenn sich eine Mehrheit<br />

für die Entscheidung gefunden hat. Das ist oft mühsam, aber ich<br />

sehe unsere Firma wie eine Menge an Zahnrädern, die ineinandergreifen<br />

müssen. In so einer Konstruktion braucht es Öl, damit die<br />

Organisation funktioniert und die Zahn räder auch bei der Umsetzung<br />

einschneidender Entscheidungen weiterhin gut geschmiert<br />

sind und reibungslos laufen.<br />

Welche Rolle haben Sie als CEO in den Entscheidungsprozessen?<br />

Ich verstehe mich als Schiedsrichter. Ich sorge dafür, dass eine<br />

Entscheidung getroffen wird oder dass sie verschoben wird, wenn<br />

der Zeitpunkt nicht reif ist. Meine Aufgabe ist zu verstehen, ob die<br />

Firma für die anliegende Entscheidung bereit ist. Ich muss fragen:<br />

Passt die Entscheidung zu unserer Struktur? Würden die Mitarbeiter<br />

die Entscheidung unterstützen? Eine gute Entscheidung ist<br />

nicht unbedingt die perfekte Entscheidung, sondern sie ist davon<br />

abhängig, dass sie gut umgesetzt wird. Das heisst, sie ist dann gut,<br />

wenn die Mitarbeiter hinter ihr stehen und sagen: „Ja, das ist richtig<br />

entschieden.“<br />

Was wäre zum Beispiel eine Entscheidung, die gut, aber nicht<br />

perfekt ist?<br />

Bei Investitionsentscheidungen ist das oft der Fall. Wir können<br />

hier nicht alles im Vorfeld prüfen und alle Informationen einholen.<br />

Da kommt es auf Schnelligkeit an.<br />

Kommt es bei Entscheidungen auch auf Mut an? Auf den Mut,<br />

Fehler zu machen?<br />

Grundsätzlich gehört Mut zu Entscheidungen natürlich dazu.<br />

AMAG ist ein sehr starkes Unternehmen, deshalb können wir es<br />

uns auch leisten, mutig zu sein. Ich glaube aber, dass die Fehlerkultur<br />

in der Schweiz nicht besonders ausgereift ist. Wir müssen<br />

lernen, mit Fehlern umzugehen und weniger zu kritisieren. Dabei<br />

ist es aber nicht egal, welche Fehler gemacht werden. Nicht alle<br />

Fehler sind erlaubt.<br />

Welche Fehlentscheidungen wären tabu?<br />

Fehlentscheidungen zum Beispiel, die unsere Unternehmenswerte<br />

verletzen, sind nicht akzeptabel. Bei der Integrität, mit der wir<br />

unsere Mitarbeiter behandeln, dürfen uns ebenfalls keine Fehler<br />

unterlaufen. Wenn wir dagegen entscheiden, dass wir eine bestimmte<br />

Summe investieren, und es stellt sich heraus, sie war<br />

nicht angemessen, dann müssen und können wir das als Fehler<br />

akzeptieren. Das sind Entscheidungen, die getroffen werden<br />

müssen, und wenn sie fehlerhaft sind, kann man daraus lernen.<br />

Wir müssen unterscheiden zwischen den Entscheidungen, die<br />

den Kern unseres Unternehmens – unsere Werte – betreffen,<br />

und den Entscheidungen, die sich auf unsere Geschäftsfelder<br />

beziehen. Bei den Geschäftsfeldern gibt es immer wieder Unwäg<br />

barkeiten, hier können wir nicht alles wissen. Aber unsere<br />

Unternehmens werte müssen wir kennen. Als Schweizer Familienunternehmen<br />

müssen wir unsere Mitarbeiter wie Familienmitglieder<br />

behandeln.<br />

Wie bereiten Sie Entscheidungen vor?<br />

Mein Ziel ist es, Entscheidungen so vorzubereiten, dass wir ungefähr<br />

80 Prozent über die zu entscheidende Lage wissen, die<br />

restlichen 20 Prozent müssen wir annehmen. Darüber hinaus<br />

konzentrieren wir die Entscheidungen auf das Ziel und diskutieren<br />

weniger den Weg. Die Entscheidungen beziehen sich auf die<br />

Frage, wo wir bis wann hinwollen und wer dafür die Verantwortung<br />

übernimmt. Den Weg überlassen wir den Mitarbeitern, denn<br />

sie verfügen über das Fachwissen. Dabei versuche ich immer<br />

auch, mein Team so einzubinden und vorzubereiten, dass sie von<br />

den Entscheidungen nicht überrascht werden. Doch auch wenn<br />

ich Ad­hoc­Entscheidungen möglichst vermeide, werden meine<br />

Mitarbeiter sicherlich dennoch sagen, dass viele Entscheidungen<br />

plötzlich getroffen werden.<br />

Sie räumen Ihren Mitarbeitern grosse operative Spielräume und<br />

Verantwortung ein. Mussten Sie lernen, Verantwortung abzugeben<br />

und Ihren Mitarbeiter voll und ganz zu vertrauen?<br />

Ja, das war und ist immer noch ein wichtiger Lernprozess. Wir<br />

versuchen Verantwortung weitgehend zu delegieren. In Bereichen,<br />

in denen ich persönlich das Gefühl habe, ich könnte mehr<br />

beitragen, fällt mir das immer noch sehr schwer. Aber wir können<br />

uns nicht mit allen Details beschäftigen, sonst verlieren wir den<br />

54 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


Impulse Interview<br />

Überblick. Ich konzentriere mich auf die zehn Prozent, die oben<br />

sind – Strategie, unsere Werte und unsere Kultur.<br />

Wie fördern und stärken Sie Ihre Mitarbeiter darin, die ihnen eingeräumten<br />

Entscheidungsfreiheiten konstruktiv und im Sinne von<br />

AMAG zu nutzen?<br />

Wir arbeiten intensiv daran, dass unsere Mitarbeiter immer verstehen,<br />

was unsere Strategie und unsere Ziele sind und über<br />

welchen Handlungsspielraum wir verfügen. Als Marktführer werden<br />

wir in allem, was wir machen, beobachtet. Unsere Spielräume<br />

sind also begrenzt und müssen immer wieder neu definiert und<br />

kommuniziert werden. So veranstalten wir zum Beispiel sogenannte<br />

Skip­Level­Gespräche, bei denen wir Mitarbeiter verschiedener<br />

Ebenen treffen und genau diese Themen diskutieren. Bei der Zieldefinition<br />

versuchen wir so konkret wie möglich zu sein und sie<br />

auch mit einem Termin zu versehen. Wenn die Mitarbeiter dann<br />

das Ziel verstehen und das Gefühl haben, den Weg innerhalb der<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />

„Ein Entscheidungsprozess ist oft eine Kompromisssuche, bei der<br />

man die Lösung sucht, die am besten funktioniert. Das gilt<br />

insbesondere in einem Unternehmen wie AMAG. Ich verstehe mich als<br />

Schiedsrichter. Ich sorge dafür, dass eine Entscheidung getroffen<br />

wird oder dass sie verschoben wird, wenn der Zeitpunkt nicht reif ist.”<br />

vorgegebenen Zeit selbst gestalten und beschreiten zu können,<br />

sind sie vorbereitet, und wir können sie alleine laufen lassen.<br />

Wie gestalten Sie ganz konkret den Dialog mit Ihren Mitarbeitern?<br />

Ich suche die direkte Nähe zu meinen Mitarbeitern, mit vielen duze<br />

ich mich, und meine Tür ist immer offen. Ich bin erreichbar, beantworte<br />

Telefonate und E­Mails schnell. Ich lobe viel und versuche<br />

immer, mehr Lob als Kritik auszusprechen. Je mehr ich die Stärken<br />

meiner Mitarbeiter sehe, schätze und anspreche, desto einfacher<br />

ist es für sie auch, mit Kritik umzugehen.<br />

Sie werden in der Presse als Optimist beschrieben. Prägt das auch<br />

Ihre Art, Entscheidungen zu treffen?<br />

Ist das so? Ich weiss nicht, ob ich Optimist bin, ich bin eher Realist,<br />

auch wenn für mich das Glas immer halbvoll und nicht halbleer ist.<br />

Ich habe die Fähigkeit, sehr kritisch mit Fakten umzugehen und die<br />

Gefahren zu sehen.<br />

55


Impulse Interview<br />

„Eine gute Entscheidung ist nicht<br />

unbedingt die perfekte Ent scheidung,<br />

sondern sie ist davon abhängig, dass<br />

sie gut um gesetzt wird. Das heisst,<br />

sie ist dann gut, wenn die Mitarbeiter<br />

hinter ihr stehen.”<br />

Wie treffen Sie Entscheidungen: analytisch oder eher intuitiv?<br />

Im Geschäft muss man aufpassen, dass das Bauchgefühl keinen zu<br />

hohen Stellenwert erhält. Entscheidungen, die nach Gefühl getroffen<br />

werden, sind schwer zu vermitteln und werden von den Mitarbeitern<br />

nicht getragen. Es braucht eine solide Analyse, um beurteilen<br />

und erläutern zu können, ob und dass die Rechnung ausreichend<br />

sicher ist und die Richtung stimmt. Wir arbeiten daher auch mit<br />

Szenarien, die mögliche Entwicklungen über einen Zeitraum von<br />

drei Jahren antizipieren. Allerdings sind wir im Handel und nicht in<br />

der Forschung. Bei uns wird schnell gehandelt und entschieden.<br />

Das Bauchgefühl hingegen ist dann besonders wichtig, wenn wir<br />

über die Einstellung von Mitarbeitern entscheiden und die Chemie<br />

stimmen muss. Alle anderen Entscheidungen wie Investitionen,<br />

Preisstellungen und Marketingausrichtungen würde ich, wie gesagt,<br />

eher analytisch angehen.<br />

Haben Sie lernen müssen, Entscheidungen zu treffen? Vielen<br />

Menschen fällt es ja leichter, einfach zu handeln als bewusst zu<br />

entscheiden?<br />

In der Regel entscheide ich gerne und ich bin auch ein schneller<br />

Entscheider. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang sicherlich, dass<br />

ich gut mit Fehlentscheidungen umgehen kann und keine Schwierigkeiten<br />

habe, meine Entscheidungen zu revidieren. Bei der AMAG<br />

haben wir eine Einrichtung, die uns hilft: den sogenannten Restart<br />

Room. Wenn wir Entscheidungen treffen müssen, sitzen wir in unserem<br />

Sitzungszimmer, das gleichzeitig auch unser Restart Room<br />

ist. Man darf von Neuem beginnen – es ist in Ordnung, Entscheidungen<br />

zu revidieren.<br />

Wie steht es mit Entscheidungen, die andere Menschen betreffen?<br />

Man sagt, diese Entscheidungen gehören zu den schwierigsten.<br />

Niemand trifft diese Entscheidungen gerne. Doch Schnelligkeit,<br />

Performance und Veränderung sind die zentralen Herausforderungen,<br />

vor die uns die heutige Wirtschaft stellt, und nicht alle Mitarbeiter<br />

sind in der Lage, rasch genug mit den Veränderungen und<br />

dem Leistungsdruck umzugehen. Deshalb ist es leider immer wieder<br />

notwendig, Entscheidungen über Mitarbeiter zu treffen. Diese<br />

Entscheidungen müssen gründlich geprüft und konsequent umgesetzt<br />

werden, damit man den Mitarbeitern in die Augen schauen<br />

kann. Solche Entscheidungen sind wie ein Schnitt, der mit Schmerzen<br />

verbunden ist, nach dem es dann aber weitergeht.<br />

Worauf achten Sie, wenn Sie sich entscheiden, Mitarbeiter bei<br />

AMAG einzustellen?<br />

Ich lege grossen Wert auf Integrität, auf Werte, die in unser Familienunternehmen<br />

passen und auf Leistungsfähigkeit. Wenn ich fachliche<br />

Qualifikation und Persönlichkeit gegeneinander abwägen<br />

müsste, gäbe im Zweifel die Persönlichkeit den Ausschlag. Innere<br />

Stärke ist sehr wichtig. Man kann fast jedem beibringen, was er in<br />

seinem Job braucht, wenn er eine gewisse Grundausbildung und<br />

den entsprechenden Willen mitbringt.<br />

Wie wichtig ist es für Sie, widersprüchliche Meinungen in den<br />

Entscheidungsprozess mit einzubeziehen?<br />

Ich finde das sehr wichtig, aber unsere Kultur ist in diesem Punkt<br />

noch nicht weit entwickelt. Wir haben immer noch eine sehr starke<br />

Konsenskultur, die kaum Widersprüche zulässt. In unserem Führungsteam<br />

arbeiten wir mit Coaching systematisch daran, Vertrauen<br />

aufzubauen. Das soll uns in die Lage versetzen, Kritik zu üben<br />

und entgegenzunehmen, ohne verletzt zu sein.<br />

Erklären Sie sich die heute noch fehlende Streitkultur bei AMAG<br />

mit der patriarchalisch geprägten Unternehmenskultur der Vergangenheit?<br />

Nein, ich sehe den Grund vielmehr in der Schweizer Kultur, die sehr<br />

konsensorientiert ist. Ich habe auch in Deutschland gearbeitet, wo<br />

die Streitkultur sehr viel ausgeprägter ist. Unsere Kunden sind international<br />

und unsere Lieferanten überwiegend deutsch. Wir<br />

müssen lernen, uns zu behaupten und uns zu streiten.<br />

Vor welchen strategischen Entscheidungen steht AMAG?<br />

Wir müssen die Weichen für Wachstum neu stellen. Das ist die<br />

grösste Herausforderung. Heute sind wir Marktführer und behaupten<br />

uns gut, aber wir dürfen uns damit nicht zufriedengeben. An<br />

einigen Stellen sind wir noch nicht stark genug, zum Beispiel an<br />

unseren Verkaufs­ und Servicepunkten. Wir werden uns langfristig<br />

mit den Fragen auseinandersetzen, die der demografische Wandel<br />

aufwirft. Die jüngere Generation denkt ganz anders als wir. Und<br />

das sind unsere zukünftigen Kunden. Eigentum zum Beispiel ist ihnen<br />

nicht mehr so wichtig, sie bewegen sich schneller und haben<br />

zum Thema Ökologie eine entschiedene Meinung. Die Entwicklung<br />

neuer Mobilitätskonzepte wie Elektromobilität wird uns neue<br />

Wachstumsmöglichkeiten bieten, die wir nutzen wollen. Diesen<br />

56 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


Impulse Interview<br />

Markt, der unter anderem auch eine neue Infrastruktur verlangen<br />

wird, müssen wir schnell analysieren und uns rasch eine Position<br />

erarbeiten. Wir werden sicherlich unser Händlernetz anpassen<br />

müssen, vielleicht werden wir uns in der Nähe von Verkehrsknoten<br />

aufstellen, damit wir an den Schnitt stellen zum öffentlichen Verkehr<br />

sind. Wenn wir in diesem Markt erfolgreich wachsen wollen,<br />

müssen wir einen überdurchschnitt lichen Marktanteil erreichen,<br />

das heisst recht zeitig investieren.<br />

Wenn Sie Ihren eigenen Werdegang betrachten: Ist er mehr vom<br />

Zufall oder von bewussten Entscheidungen geprägt?<br />

Vielleicht klingt es nicht sehr glaubwürdig, aber ich habe immer<br />

einen Plan gehabt. Ich habe mir vorgenommen, in einiger Zeit etwas<br />

Bestimmtes zu erreichen, ohne mich auf Details wie Ort oder Zeitpunkt<br />

festzulegen. Per Zufall haben sich dann die Details ergeben.<br />

Wenn sich eine Gelegenheit anbot, die ich gesucht hatte, war ich<br />

auch bereit, sie zu ergreifen. Ich kann Ihnen ein Beispiel geben, als<br />

meine Frau wegen meiner Entschiedenheit fast verrückt geworden<br />

ist. Ich hatte ein Job­Angebot in Deutschland er halten, das ich mit<br />

meiner Frau abgesprochen hatte und auch an neh men wollte. Dann<br />

rief mein zukünftiger Arbeitgeber an und teilte mir mit, der Job sei<br />

doch nicht in Deutschland, sondern in England. Wir hatten vier Wochen<br />

Zeit, mit unseren drei schulpflichtigen Kindern nach England<br />

zu ziehen. Für mich war das in Ordnung, weil ich mich für diesen Job<br />

entschieden hatte und ihn wollte.<br />

Erinnern Sie sich an besonders schwere Entscheidungen – private<br />

oder berufliche?<br />

Ja, zum Beispiel beruflich, als wir uns vor ein paar Monaten entschlossen,<br />

eine grosse Garage zu bauen, obwohl der Business Case<br />

nicht in Ordnung war. Wir wussten aber, dass die Entscheidung<br />

langfristig richtig ist. Wir riskierten, Verluste zu machen, aber wir<br />

haben uns dennoch für den Bau entschieden. Und privat erinnere<br />

ich mich sehr gut, dass der Umzug von England in die Schweiz eine<br />

besonders schwierige Entscheidung war. Unsere Kinder waren<br />

nicht bereit umzuziehen. Ich habe viel Zeit investiert und ihnen die<br />

Gründe erklärt. Wir sind gemeinsam in die Schweiz gereist und haben<br />

alles angeschaut. Ihre Zustimmung konnte ich nicht erkaufen,<br />

sondern nur mit Nähe, Zeit und Überzeugung gewinnen.<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />

Morten Hannesbo<br />

CEO AMAG Automobil- und Motoren AG<br />

Der Däne Morten Hannesbo steht seit Oktober 2009 dem grössten<br />

Schweizer Automobilhandelsunternehmen AMAG Automobil- und<br />

Motoren AG als CEO vor und ist damit der erste Manager an der<br />

Spitze des Traditionsunternehmens, der von aussen kommt. 1962 in<br />

Dänemark geboren, absolvierte er zunächst eine Lehre als Schifffahrtskaufmann.<br />

Mit 24 Jahren stieg er in die Automobilbranche ein,<br />

in der er rasch führende internationale Positionen einnahm: zunächst<br />

für Toyota und Nissan in Dänemark, anschliessend für Ford in Frankreich<br />

und England. Parallel dazu schloss er ein Studium der Betriebswirtschaft<br />

mit dem MBA ab. Seit 2006 lebt der Däne mit seiner Frau<br />

und seinen drei Söhnen in der Schweiz. Bei AMAG startete er als<br />

Managing Director des Geschäftsbereichs Import, nur zwei Jahre<br />

später wurde er zum CEO der gesamten Gruppe ernannt. Die AMAG-<br />

Gruppe blickt auf eine 65-jährige Tradition als Familienunternehmen<br />

zurück. Heute ist die Amag-Gruppe mit knapp 5 000 Mitarbeitenden<br />

Markt führer im Schweizer Markt und ist mit 700 Auszubildenden<br />

einer der grössten Ausbilder der Schweiz. Über den Geschäftsbereich<br />

AMAG IMPORT importiert und vertreibt sie Automobile der Marken<br />

VW, VW Nutzfahrzeuge, Skoda, Audi, Seat über das grösste Vertreternetz<br />

der Schweiz, 1 000 Händler und Servicepartner. Dazu zählen<br />

auch die rund 80 eigenen Filialbetriebe des Geschäftsbereichs AMAG<br />

RETAIL. Porsche AMAG RETAIL ist mit zehn eigenen Porsche-Zentren<br />

die grösste Porsche-Handelsorganisation der Schweiz. Unter der<br />

Marke ROC werden zudem sechs Occasionszentren betrieben. Zur<br />

AMAG-Gruppe gehören neben den Unternehmungen rund um das Auto<br />

auch die AMAG LEASING AG als kompetenter Finanzdienstleister<br />

und in der Schweiz die Mietwagenfirma Europcar. Zudem betreibt sie<br />

diverse öffentliche Parkhäuser.<br />

57


Fotos: Michael Herdlein<br />

58 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


<strong>Entrepreneur</strong>e Interview<br />

„Tun,<br />

was mir<br />

wichtig<br />

ist!“<br />

Mit einzigartigem Schaffenstrieb hat sich Reinhold Messner immer wieder für<br />

gewaltige Projekte entschieden. Ob am Berg, in der Antarktis oder etwa in der Wüste,<br />

stets ging es auch um Leben und Tod. Gerade hat er den einzigartigen Reigen<br />

seines Bergmuseums vollendet und wappnet sich bereits, weiterzustürmen. Ein<br />

Einblick in die Motivationslage dieses aussergewöhnlichen Grenzgängers.<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 59


Impulse Grenzgänger<br />

Ein Mann mit Halskette, opulent und farbenfroh, handgefertigt in<br />

Tibet und durchdrungen mit den mythologischen Segnungen fürs<br />

Seelenheil, tritt nicht als Erster auf die Bildfläche der Imagination,<br />

wenn man sich einen grossen Entscheider vorstellen soll. Dennoch<br />

ist Reinhold Messner genau das. Dazu gehört einfach auch, dass<br />

gängige Klischees an ihm zerbröseln wie ein in die Tiefe gestürzter<br />

Felsbrocken; und dass in der Bestimmtheit, mit der er die extremen<br />

Projekte seines Lebens anpackte, immer auch Schicksalhaftigkeit<br />

mitschwang. Denn meist ging es bei seinen Entscheidungen um<br />

nichts weniger als um die Frage von Leben oder Tod. Mit Harakiri<br />

allerdings hat das nichts zu tun. „Bergsteigen, wie ich es betreibe,<br />

ist im Grunde genommen Risikomanagement.“<br />

Tempi passati? Weit gefehlt. Trotz seiner im letzten Herbst vollendeten<br />

66 Jahre gibt Messner nicht die befriedete Mannsperson im<br />

Rentenalter. Doch er gestattet einen Blick zurück, auf die Summe<br />

der Erfahrungen, den grösseren Rahmen sozusagen, in dem sein<br />

Handeln sich stets bewegte. „Um entscheiden zu können“, sagt er<br />

ohne eine Sekunde des Zögerns, „muss ich mir zuallererst klarmachen,<br />

dass ich ein Sterblicher bin.“ „Morti natus es“, ganz im Sinne<br />

Senecas: „Für den Tod bist du geboren.“ Aus diesem Wissen um die<br />

Begrenztheit des eigenen Seins heraus vernimmt er geradezu<br />

die Pflicht, mehr noch, den archaischen Imperativ, vorgetragen mit<br />

Südtiroler Zungenschlag: „Tun, was mir wichtig ist!“ Seiner ureigenen<br />

Sache nachgehen! Dieser Antrieb macht ihn stark. Umfrageergebnisse,<br />

denen zufolge in Europa nur 20 Prozent der Menschen<br />

das tun, was ihnen Freude bereitet, während die überwältigende<br />

Mehrheit einer Arbeit nachgeht, die sie nicht liebt, bereiten ihm<br />

Horrorgefühle, wecken seine Widerspenstigkeit. „Warum soll ich<br />

etwas machen, das sich andere für mich ausgedacht haben?“<br />

Eintauchen in eine andere Welt<br />

Messners Schaffenstrieb hat eine gewaltige Anzahl einzigartiger<br />

Spuren hinterlassen und geradezu Berge versetzt: Er bezwang als<br />

erster Mensch die 14 höchsten Gipfel der Erde und als zweiter die<br />

„Seven Summits“, die jeweils höchsten Massive der sieben Kontinente.<br />

Auf 3 500 Bergfahrten machte er sich zu 100 Erstbegehungen<br />

auf. Kein Wunder, dass seine Autobiografie, erschienen zu seinem<br />

60. Geburtstag im Jahr 2004, den Titel trägt „Mein Leben<br />

am Limit“. Dass dieser unbändige Selbstverwirklichungsdrang ihm<br />

immer wieder die Kritik einbrachte, er sei der Prototyp eines Egoisten,<br />

lässt ihn kalt. Da hat er den Philosophen Friedrich Nietzsche<br />

ganz und gar verinnerlicht und weiss, ein solches Denken entstammt<br />

der landläufigen Moral und ist nichts weiter als „die Summe des<br />

Denkens der Spiessbürger“.<br />

Als Bergsteiger, Politiker, Publizist, Autor und Essayist firmiert<br />

Messner im Internationalen Biografischen Archiv. Als Abenteurer,<br />

Extrembergsteiger, als Mann der Superlative, dem kein Gipfel zu<br />

hoch war und kein Drama zum endgültigen Verhängnis wurde, so<br />

lebt er in den Köpfen der vielen, die sein Wirken auf dem Fernsehbildschirm<br />

oder in den Illustrierten verfolgen. Ein Mann jedenfalls,<br />

der den Widerstand geradezu braucht, um an ihm zu reifen. Kein<br />

Wunder, dass so einer nicht nur Bewunderung erntet, sondern<br />

den Menschen häufig genug auch Angst macht.<br />

An seinem Image schreibt er aber auch selbst kräftig mit. Durch<br />

seine Dokumentarfilme, die 50 Buchveröffentlichungen, übersetzt<br />

in zwei Dutzend Sprachen. Darunter „Reinhold Messners Philosophie“,<br />

mit der er „Sinn machen“ will, „in einer Welt ohne Sinn“. Er<br />

berichtet über die Todeszone des Annapurna, die Durchquerung<br />

der Antarktis und der Wüste Gobi oder über seine Expedition zum<br />

Mount Everest, mit der er 1978 weltweites Aufsehen erregte. Zusammen<br />

mit Peter Habeler bezwang er den Gipfel doch tatsächlich<br />

ohne Sauerstoffgerät – was die Fachwelt bis dato als unrealisierbar<br />

attestiert hatte. Messner legt Zeugnis ab über alles, was er selbst<br />

er- und durch- und überlebt hat. Aber natürlich fällt auch dem<br />

Schlechtinformiertesten unter seinen Kennern sofort seine erste<br />

Himalaya­Expedition ein, die er 1970 startete und bei der er ohne<br />

Sauerstoffgerät den Nanga Parbat bestieg. Gemeinsam mit seinem<br />

Bruder Günther, der dabei ums Leben kam. Ein Drama, das ihn für<br />

immer prägt und bis heute die Gemüter erregt. Messner selbst,<br />

darüber gibt er bereitwillig Auskunft, hat die Erfahrung der Todesnähe<br />

fortan radikaler gemacht in all seinen Entscheidungen.<br />

Reinhold Messner oben auf dem Berg zu treffen, ist also mehr als<br />

naheliegend. Über Bozen, wo der Schlern und die Texelgruppe das<br />

Landschaftsbild beherrschen, auch von Schloss Sigmundskron aus<br />

betrachtet, in dem er sein der Vollendung zustrebendes jüngstes<br />

Werk präsentiert, das Messner Mountain Museum, genauer gesagt<br />

MMM Firmian, das Herzstück des Ganzen.<br />

60 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


Impulse Grenzgänger<br />

Wer das Tor zwischen den beiden Hütern, zwei stattlichen bronzenen<br />

Löwen, durchschreitet, taucht ein in eine andere Welt. Selbst<br />

der grösste Rationalist mag sich plötzlich in Ergriffenheit wiederfinden.<br />

Eine Leichtigkeit umspielt die antiken Ruinen, die architektonisch<br />

gekonnt in den avantgardistisch anmutenden Schlossbau<br />

integriert sind, mit Stahlbrücke und ­treppen und trotz alledem<br />

zierlich in der Anmutung. Alles so geschickt in die Landschaft eingebettet,<br />

dass der Mensch be­Dach­t ist im wörtlichen Sinne und<br />

gleichzeitig frei von jeglichem Zwang der Festungsmauern.<br />

Die Menschen, die hier arbeiten, verbindet die tiefe Beziehung zu<br />

den Bergen, zur Natur. Sie scheinen im Reinen zu sein mit sich und<br />

ihrem Tun, ein fast spirituelles Fluidum beschwingt die Atmosphäre.<br />

Als wären die, die hier oben angekommen sind, lange genug durch<br />

die Mühen der Ebene marschiert, um sie nun getrost hinter sich zu<br />

lassen. Obwohl doch aus einem völlig anderen Kulturkreis, wirken<br />

auch die Statuen des Guru Rinpoche im Schlosshof oder des Vogelgotts<br />

Garuda oder all der anderen Gottheiten und Geister in den<br />

Felsenfenstern und Vorsprüngen, als wäre dies ihr natürlicher Be­<br />

„Bergsteigen, wie ich<br />

es betreibe“, erläutert<br />

Reinhold Messner,<br />

„<br />

ist im Grunde genommen<br />

Risiko manage ment.“<br />

In der Wirtschaft sind<br />

seine Vorträge geschätzt,<br />

Parallelen zum Top -<br />

Manage ment evident.<br />

stimmungsort. Als gehörten sie hierher wie die tibetischen Gebetsfähnchen<br />

im Museumsshop, die reissenden Absatz finden. Gleich<br />

daneben stapeln sich die Kosmetiktöpfchen der „Messner Mountain<br />

Moments“, die vom Kräuterschlössl in Vinschgau hergestellt werden,<br />

aus natürlich angebauten Pflanzen. Ganz im Sinne von Messners<br />

biologisch nachhaltiger Landwirtschaftsidee.<br />

In jahrelanger Sisyphos­Arbeit hat Messner für sein Bergmuseum<br />

gekämpft und mittlerweile ein Ensemble geschaffen, das seinesgleichen<br />

sucht. Er nennt es seinen „15. Achttausender“ und fügt<br />

hinzu, „dieses Projekt war wirtschaftlich gesehen viel schwieriger,<br />

als alle Achttausender zusammengenommen.“ Es ist kein Haus<br />

mit fünf Stockwerken, wie er Wert legt festzustellen, sondern ein<br />

Museum mit fünf Häusern, verteilt über Norditalien, „in denen ich<br />

erzähle, was passiert, wenn Mensch und Berg sich begegnen“.<br />

Dass man in diesen Begegnungen zu den Wurzeln der Existenz und<br />

zum Ursprung des Universums vordringt, versteht sich beinahe<br />

von selbst. „Die Religionen kommen alle vom Berg herunter, das ist<br />

sehr interessant“, sagt Messner. Da ist Moses, der auf dem Berge<br />

62 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


Impulse Grenzgänger<br />

Sinai von Gott die zehn Gebote entgegennimmt; Mohammed, der<br />

auf dem Berge Hira meditiert und von Allah seine Eingebung<br />

bekommt; auch Buddha meditiert, im Himalaya allerdings, und die<br />

jüngeren Religionsstifter Marpa und Milarepa – Figuren aus der<br />

tibetischen Mythologie – steigen ebenfalls vom Berg herunter. Der<br />

Berg suggeriert ein Momentum der Ewigkeit, aber auch Übersicht,<br />

Weitsicht, Welt- und Jenseitssicht, Geheimnis, Klarheit und Erkenntnis.<br />

Und sei es in Gestalt der Stimme, die aus dem brennenden<br />

Dornbusch kommt.<br />

Radikale Klarheit in allen Entscheidungen<br />

Die anderen Ableger von Messners Bergmuseum sind: das MMM<br />

Ortles in Sulden, das sich thematisch an den Gletschern wetzt; das<br />

MMM Dolomites, auf dem Monte Rite bei Cortina, wo sich alles um<br />

den Alpinismus in den Dolomiten dreht; und MMM Juval, das erste<br />

der fünf Häuser auf dem gleichnamigen Schloss im Vinschgau,<br />

in dem Messner mit seiner Familie einen Teil des Jahres auch lebt,<br />

widmet sich ganz dem unerschöpflichen Mythos Berg; und schliesslich<br />

wird MMM Ripa im Schloss Bruneck in einigen Monaten Eröffnung<br />

feiern und den Reigen der Messner‘schen Bergmuseen vollenden.<br />

Dort soll sich alles um das Leben der Bergvölker drehen.<br />

Seitdem 1970 einfache Bergbauern am Nanga Parbat Messner das<br />

Leben retteten, fühlt er sich eng mit ihnen verbunden, wie überhaupt<br />

mit allen Völkern in den Bergen. Jahrelang organisierte er<br />

Hilfe für die Bewohner des „Schicksalsbergs“ und gründete die<br />

Messner Mountain Foundation. Eine Stiftung, die den Einheimischen<br />

im Himalaya, im Karakorum, in den Anden und anderen unzugänglichen<br />

Bergregionen Hilfe zur Selbsthilfe leistet. Im Diamir-<br />

Tal etwa, in der Kaschmir-Region Pakistans, baute die Stiftung<br />

die Günther-Messner-Schule, in der nun 50 Kinder aus der Region<br />

unterrichtet werden können. Der Weg zur nächsten Schule betrug<br />

vorher zwölf Stunden Fussmarsch.<br />

„Ich bin ja kein Unternehmer, sondern eher ein Spieler“, sagt Reinhold<br />

Messner. Wir sitzen auf Gartenstühlen, rundum grüne Wiese,<br />

und das Strahlen seiner blauen Augen leuchtet ins Südtiroler Land.<br />

Dass Messner kein Musterexemplar des Homo oeconomicus ist,<br />

eines Menschen, der sein Handeln ausschliesslich an der Zweckmässigkeit<br />

wirtschaftlicher Erwägungen misst, braucht nicht mehr<br />

eigens erwähnt werden, wenn man seine Biografie kennt. Aber<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />

Auf Schloss Sigmundskron,<br />

oberhalb von Bozen, liegt das<br />

Herzstück des einzigartigen<br />

Messner Mountain Museums,<br />

MMM Firmian. Schlern und<br />

Texelgruppe beherrschen das<br />

Landschaftsbild (Bild links)<br />

Buddhistische Gottheiten,<br />

hier Ganesha, sind im<br />

Schlosshof von MMM Firmian<br />

so selbstverständlich wie<br />

tibetische Gebetsfahnen oder<br />

Messners Naturkosmetik.<br />

steckt nicht in jedem Unternehmer im Grunde genommen ein<br />

Homo ludens, einer der sich dem Schöpferischen auch immer auf<br />

spielerische Weise nähert? Einem Spieler hingegen haftet doch<br />

stets etwas Verantwortungsloses, gar Ruchloses an. „Nein“, bleibt<br />

Messner kategorisch. „Von allen Menschen geniesst der Spieler die<br />

grösste Freiheit in seinen Entscheidungen.“ Und Freiheit, wie er sie<br />

meint, die braucht er nun einmal wie die Luft zum Atmen.<br />

Trotz seiner mehrjährigen Repräsentanz für die Südtiroler Grünen<br />

im Europäischen Parlament ist es für ihn selbstverständlich, dass<br />

er „keiner Partei nach dem Mund reden muss“. Auch wirtschaftlich<br />

sei er niemandem verpflichtet, sagt er, und daher von keinerlei<br />

Rücksichtnahmen eingezwängt. Frei von jedweder äusseren Zensur<br />

also, hört er nur auf die Stimme seines inneren Tabernakels und<br />

kann ohne Wenn und Aber behaupten: „Ich gehe nach wie vor meinen<br />

Leidenschaften nach.“ Seine Leidenschaften haben sich immer<br />

wieder geändert, fast zuverlässig im 15-Jahres-Rhythmus. Mit<br />

dem Felsklettern hatte es ein unwiderrufliches Ende, nachdem<br />

Messner während der Nanga-Parbat-Tortur die Zehen erfroren. Mit<br />

einer kompromisslosen Klarheit, die alle seine Entscheidungen auszeichnet,<br />

wurde er danach zum Höhenbergsteiger. Aber als er den<br />

höchsten Berg der Welt, den Mount Everest, bestiegen hatte, lebte<br />

er nicht etwa davon, den Sieg lange auszukosten. Nein, Reinhold<br />

Messner konstatierte anschliessend in aller Schlichtheit: „So, jetzt<br />

bin ich oben angekommen, mehr kann ich nicht. Ich kann mich nur<br />

noch wiederholen.“ Wiederholungen aber findet er, wir ahnen es<br />

bereits, „langweilig.“<br />

Und Langeweile kann dieser Mann nicht ertragen. Als der Berg ihn<br />

nicht mehr genügend provozieren konnte, entschloss er sich dazu,<br />

seine Herausforderungen künftig in extremen Fernmärschen durch<br />

menschenfeindliche Wildnis zu suchen. Unvergesslich bleibt sein<br />

langer Marsch von 1989/90 mit Expeditionspartner Arved Fuchs.<br />

92 Tage lang stapften die beiden, im bewussten Verzicht auf Hunde-<br />

oder Motorschlitten, 2 800 Kilometer durch die Antarktis zum<br />

Südpol. Nach dem ewigen Eis kam dann die Wüsten-Phase. Zu seinem<br />

60. Geburtstag wagte Messner die 2 000-Kilometer-Längsdurchquerung<br />

der Wüste Gobi im Alleingang; frei nach Nietzsche<br />

„ohne einander“. Ausgestattet nur mit einem 50-Kilo-Rucksack,<br />

Zelt und GPS. Diesen „letzten Grenzgang zwischen Leben und Tod“<br />

begriff er auch als Versuch, mit dem Alter zurechtzukommen.<br />

63


Impulse Grenzgänger<br />

„Man kann am Widerstand wachsen“,<br />

erläutert Messner die eigene Erfahrung.<br />

„Wenn Widerstände da sind, entwickle<br />

ich viel mehr Kräfte.“ Sein Bergmuseum<br />

hat eine Menge dieser Kraft verlangt.<br />

Und er entdeckte dabei „die Wüste in mir“. In seiner kräftigen Stimme<br />

klingt – vielleicht eine Begleiterscheinung des ewigen Anrennens gegen<br />

Widerstände – unterschwellig eine gewisse Dosis Trotz mit. Widerstände,<br />

er gibt es ohne Umschweife zu, sind ihm zur Obsession<br />

geworden. „Man kann am Widerstand wachsen, und ich bin so veranlagt:<br />

Wenn Widerstände da sind, entwickle ich viel mehr Kräfte.“<br />

So betrachtet ist eine Felswand nichts anderes als ein Widerstand.<br />

Mit den Zupacker-Händen, die dennoch erstaunlich zart wirken,<br />

seinem gegerbten Äusseren, in Baumwollhose und blaukariertem<br />

Holzfällerhemd, sieht Messner aus wie die moderne Version eines<br />

Bergbauern, der rechtschaffen und redlich in der ständigen Auseinandersetzung<br />

mit den Naturgewalten hadert und schon deshalb die<br />

Bodenhaftung gar nicht verlieren kann. Gut möglich, dass es unter<br />

anderem genau das ist, was die Granden der Wirtschaft an ihm mögen.<br />

Denn bekanntermassen leben diese Führungspersönlichkeiten<br />

in ständiger Gefahr abzuheben, und nicht wenigen unter ihnen entgleitet<br />

die Beziehung zu den Mitarbeitern, zu ihrer ganzen Lebenswelt<br />

gar. In der Welt des Business jedenfalls ist Messner ein begehrter<br />

Vortragsreisender. Und für eine kleine exklusive Gruppe von<br />

CEOs und Unternehmern, die sogenannten Similauner, war er viele<br />

Jahre ein grosser Coach und Entscheider, ein „Leader“ im wahrsten<br />

Sinne. Einmal jährlich ziehen sie immer noch gemeinsam ins Gebirge,<br />

obwohl einige von ihnen gar nicht mehr in ihren früheren Top­Positionen<br />

sind. Wenn am Abend über die Risiken und Nebenwirkungen<br />

auf einem anderen Gipfel, dem der Macht nämlich, debattiert<br />

wird, dann ist Messner Bergführer im metaphorischen Sinn.<br />

Dann mag im vertraulichen Kreis schon einmal darüber befunden<br />

werden, was ein Einzelner warum und wie entschieden hat. Und<br />

sollte einer in Unsicherheit und Selbstzweifel über einmal getroffene,<br />

aber unglückliche Entscheidungen schlittern, kann er gleich an<br />

der Philosophie des Reinhold Messner gesunden: „Zurückzuschauen,<br />

das ist absolut verlorene Zeit.“ Wenn etwas nicht gelungen ist,<br />

dann ist es nicht gelungen. Basta. Die Gründe des Scheiterns, weiss<br />

Messner aus hinreichend eigener Erfahrung, offenbaren sich immer<br />

umgehend und lassen sich daher korrigieren.<br />

Hingegen: „Wenn ich Erfolg habe, weiss ich oft nicht warum.“ Es ist<br />

nun einmal so, wie es der Volksmund weise kundtut: Der Erfolg hat<br />

viele Väter. Gerade deshalb ist er so schwer berechenbar. Aber jeder<br />

ins Gelingen Verliebte muss sich vor Augen halten, „erfolgreich<br />

wird man nur, wenn man immer wieder scheitert. Wenn jemand nur<br />

Erfolg hat, dann fällt er früher oder später absolut durch und ist<br />

dann weg.“ So betrachtet ist das Scheitern unabdinglich als Karrierestabilisator,<br />

ist es der kleine Bruder des Gedeihens.<br />

Das Gesetz des Energierückflusses<br />

Wirtschaftliche Blüte und Entfaltung aber, darüber herrscht Einigkeit,<br />

setzt richtige Entscheidungen voraus. Und eine gute Entscheidung,<br />

so lernen die Wirtschaftslenker von heute, basiere auf der<br />

gelungenen Mischung aus Analyse, Intuition und Erfahrung. Von<br />

Reinhold Messner aber stammt die einprägsame Maxime: „Meinen<br />

Instinkten wage ich nicht zu widersprechen.“ Was also gilt, wenn<br />

es darauf ankommt, Kopf oder Bauch, Verstand oder Instinkt? „In<br />

kritischen Situationen“, da ist sich Messner sicher, „entscheidet<br />

der Instinkt, ist dann wichtiger als der Verstand.“ Und warum?<br />

„Weil der Verstand zu langsam ist. Er muss ja alle Erfahrungen zusammenbringen,<br />

um zu schlussfolgern, so könnte es gehen.“<br />

Wie aber soll sich der Mensch, der Wirtschaftsmensch insbesondere,<br />

seine Instinkte erhalten, in einer durch­ und überanalysierten<br />

Welt? „Wir haben die gesamten Instinkte in uns, seit der Mensch<br />

zum Menschen geworden ist“, da ist sich Reinhold Messner seiner<br />

Sache ganz sicher. Zum einen durch die Erfahrungen, die aus dem<br />

eigenen Handeln resultieren, zum anderen durch die Erfahrungen<br />

in der Entwicklungsgeschichte als solcher. Natürlich kann das nicht<br />

heissen, dass ein Bergsteiger etwa gleich im schwierigen Gelände<br />

einsteigt. Auf diese Weise würde er umkommen. Er trainiert seinen<br />

Instinkt, so wie es auch die Vernunft gebietet, in kleinen Schritten.<br />

Dann ist da noch das Gesetz des Energierückflusses, erfahren wir.<br />

Stammt das nun aus der Spiritualität des asiatischen Kulturkreises,<br />

mit dem Messner einen Gutteil seines Lebens in Berührung gekommen<br />

ist? Doch da rückt er schnell zurecht: „Ich bin weit weg<br />

von der Esoterik. Ich bin ein Praktiker.“ Und als solcher hat er die<br />

Erfahrung gemacht, dass jedes gelungene Projekt ein Vielfaches<br />

der Energie zurückgibt, die er investiert hat. Irgendwo an diesen<br />

Reibungspunkten der Energien entsteht Kreativität. Die Voraussetzung<br />

für jeden Spitzenbergsteiger, genauso wie für jeden Top­<br />

Manager oder Unternehmer.<br />

64 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


Impulse Grenzgänger<br />

Messner ist all das in einer Person. Und trotz des langen Atems<br />

für eine Sache gehört er zu denen, die sich immer abringen, noch<br />

einen Schritt voranzugehen, auf unbehaustem Territorium. Sein<br />

Bergmuseum, das steht nun bald. Er wird die Fäden noch eine Weile<br />

selbst in der Hand halten, aber dann an eine junge Direktorin übergeben.<br />

Denn: „Es gibt nichts Langweiligeres, als ein funktionierendes<br />

Unternehmen zu verwalten.“<br />

Es ist unüberhörbar, dass er sich bereits entschieden hat, zu neuen<br />

Gipfeln aufzubrechen. Dass er wieder losziehen wird mit seiner<br />

grandiosen Neugier, etwas Neues zu lernen und zu erobern. „Ja“,<br />

sagt er, „ich habe schon eine vage Vorstellung.“<br />

Reinhold Messner<br />

Reinhold Messner wurde im September 1944 in Brixen/Südtirol als zweites<br />

von neun Kindern geboren. Schon als Fünfjähriger bestieg er mit seinem<br />

Vater, einem Lehrer, seinen ersten Dreitausender. Die Bergsteigerei sollte<br />

die Leidenschaft seines Lebens werden. Er war ein begeisterter Felskletterer<br />

und hatte bereits als 20-Jähriger 500 Klettertouren in den Ostalpen<br />

und den Dolomiten bewältigt. 1970 bestieg er den Nanga Parbat mit seinem<br />

Bruder Günther ohne Sauerstoffgerät über die bis dahin unbezwungene<br />

Rupalwand. Sie erreichten zwar den Gipfel, aber beim Abstieg kam<br />

der Bruder ums Leben. Ein Drama, das Reinhold Messners Leben prägt.<br />

Die Erfahrung der Todesnähe hat seinen Blick aufs Leben geschärft. Wegen<br />

der Amputation von sechs erfrorenen Zehen war er als Kletterer für<br />

immer behindert. So verlegte er sich aufs Höhenbergsteigen im Eis, auf<br />

die Achttausender, immer mit der Motivation: „Wenn ich mich aussetze,<br />

wenn ich in Schwierigkeiten, in Gefahr und in Exposition, also weit weg<br />

von jeder möglichen Sicherheit unterwegs bin, mache ich die stärksten<br />

Erfahrungen, und um die geht es.“ Messner hatte immer den Ehrgeiz, mit<br />

möglichst wenig technischen Hilfsmitteln auszukommen und schwierige<br />

Touren als Erster zu meistern. Nachdem es ihm, wieder ohne Sauerstoffgerät,<br />

gelang, den Mount Everest zu bezwingen, machte er sich in der<br />

Folgezeit auf extreme Fernmärsche, etwa durch die Antarktis oder die<br />

Wüste Gobi. Parallel zu seinen Abenteuern wurde er auch zum gefragten<br />

Redner und Coach für Top-Manager, zum erfolgreichen Autor und Filmer,<br />

ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen. In seinem jüngsten Projekt geht<br />

es um sein Erbe, um die Realisierung des Messner Mountain Museum, kurz<br />

MMM, mit fünf Häusern in Norditalien. Sein Anliegen: zu erzählen, „was<br />

in uns passiert, wenn wir uns den Bergen ausliefern, ihren Gefahren und<br />

ihrer Erhabenheit, ihrer Grösse und ihren Geheimnissen“. Messner lebt<br />

mit Frau und Kindern in Meran, auf Schloss Juval im Vintschgau und in<br />

seinem Zweitwohnsitz München.<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />

Architektonisch gekonnt<br />

sind die antiken Ruinen<br />

in den avantgardistisch<br />

anmutenden Museumsbau<br />

integriert.<br />

Stahlbrücke und -treppen<br />

sind so zierlich in ihrer<br />

Anmutung, dass der Blick<br />

auf die Ausstellungsstücke<br />

frei bleibt.<br />

65


Impulse Mindmap<br />

Die Entscheidungsfreudige<br />

Warum Sara Hürlimann mit dem Zahnarztzentrum so erfolgreich ist<br />

Entscheidungen müssen möglichst einfach, aber strukturiert sein, lautet der Grundsatz von Sara<br />

Hürlimann, die sich selbst zudem als eine schnelle Entscheiderin charakterisiert. Gemeinsam mit ihrem<br />

Mann Christoph Hürlimann ist sie Geschäftsführerin der zahnarztzentrum ch AG. Ihr Ziel war es von<br />

Anfang an, in Grösse und Qualität ein führender Anbieter von zahnmedizinischen Leistungen zu werden.<br />

Das ist der Zahnärztin und dem ehemaligen Unternehmensberater in nur sieben Jahren gelungen.<br />

Angefangen hat die Erfolgsgeschichte in Zürich. Aufgrund des Freizügigkeitsabkommens zwischen der<br />

Schweiz und der EU war es der gebürtigen Schwedin 2003 möglich, hier eine eigene Praxis zu eröffnen.<br />

Mit Räumen für zwölf Ärzte war das erste Zentrum bereits auf Wachstum ausgerichtet. Doch anfangs<br />

praktizierten hier nur sie, ein weiterer Zahnarzt und eine Dentalhygienikerin. Und das 365 Tage im<br />

Jahr, auch ausserhalb der üblichen Sprechstunden sowie am Wochenende. Diese Orientierung an den<br />

Bedürfnissen der Patienten kam so gut an, dass bis zum heutigen Tag elf weitere Zentren mit insgesamt<br />

220 Mitarbeitern folgten. Anfang diesen Jahres dann fiel die Entscheidung, ins Ausland zu expandieren,<br />

mit der finanziellen Unterstützung und der Expertise eines französischen Private-Equity-Investors.<br />

Nun heisst das nächste Ziel Stockholm. Der Anspruch der Patienten an Service und Qualität sind dort<br />

genauso hoch wie in der Schweiz. Wer sollte das besser wissen als Sara Hürlimann.<br />

66 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


Impulse Mindmap<br />

Turbo fürs Hirn<br />

In den späten sechziger Jahren von dem britischen<br />

Psychologen Tony Buzan erfunden,<br />

machen Mindmaps komplexe Herausforderungen<br />

anschaulich, weil sie auf der assoziativen<br />

Arbeitsweise des Gehirns aufbauen und dem<br />

Brainstorming eine greifbare Gestalt geben.<br />

Die Idee zur Mindmap kam Buzan bei der Arbeit<br />

an seinem Buch „An Encyclopedia of the<br />

Brain and Its Use“ (1971), später liess er<br />

Werke wie „Use Your Head“ und „The Mind<br />

Map Book“ folgen. Das Prinzip der Mindmap<br />

ist schlicht: Um einen zentralen Begriff herum<br />

– in diesem Fall: Entscheidung – gruppieren<br />

sich Schlüsselthemen, in denen sich eine<br />

Assoziation an die andere reiht. Schnell entsteht<br />

so ein kreatives Gedankengebäude, das<br />

bei unternehmerischen und privaten Entscheidungen<br />

Orientierung bietet.<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 67


Impulse Vordenker<br />

Engstens vernetzt<br />

Wenn Entscheider sich an den Erfolgsrezepten der Evolution orientieren, sind sie besser in der Lage,<br />

gute Entscheidungen zu treffen und zu kommunizieren, davon ist Professor <strong>Ernst</strong> Pöppel, Hirnforscher<br />

und Ko­Direktor des Parmenides Center for the Study of Thinking, überzeugt. Sein Buch „Zum Entscheiden<br />

geboren“ zeigt Erkenntnisse der Hirnforschung auf, die im unternehmerischen Kontext nützlich<br />

sein können. In seinem Essay für „<strong>Entrepreneur</strong>“ widmet Pöppel sich insbesondere dem Thema Analyse<br />

versus Intuition bei der Entscheidungsfindung.<br />

Viele Entscheider sind der Überzeugung, sie würden ihre Entscheidungen<br />

ausschliesslich rational anhand von Analysen treffen und<br />

sie liessen sich dabei nicht von ihrer Intuition, von ihrem „Bauchgefühl“<br />

leiten. Das ist verständlich angesichts der weitreichenden<br />

Verantwortung, die <strong>Entrepreneur</strong>e mit ihren Entscheidungen für<br />

das Unternehmen, die Stakeholder und die Mitarbeiter tragen. Es<br />

ändert aber nichts an der Tatsache, dass es ein Vorurteil ist. Der<br />

vermeintliche Gegensatz Analyse versus Intuition existiert so nicht.<br />

Wie auch Entscheidungen „aus dem Bauch heraus“ tatsächlich im<br />

Gehirn getroffen werden. Es entspricht der Struktur des menschlichen<br />

Gehirns, dass alle Ebenen, Analyse und Intuition, engstens<br />

vernetzt sind.<br />

Aus Sicht der Hirnforschung gibt es zwei Typen von Entscheidungen,<br />

die expliziten Entscheidungen, die bewusst getroffen werden,<br />

und die impliziten, weitgehend unbewussten Entscheidungen.<br />

Was so kompliziert zu sein scheint, ist für unser Gehirn im Grunde<br />

die natürlichste Sache der Welt. Alle zwei, drei Sekunden fragt<br />

es von innen nach aussen: „Was gibt es Neues in der Welt?“ Auf<br />

diese Weise trifft es jeden Tag etwa 20 000 Entscheidungen –<br />

beispielsweise vor jeder Reaktion auf einen Sinnesreiz. Entsprechend<br />

dem Konzept von den expliziten und impliziten Entscheidungen<br />

lassen sich darüber hinaus verschiedene Ebenen der<br />

Entscheidung festhalten, die in einem längeren zeitlichen Rahmen<br />

getroffen werden. In den Kontext der expliziten Entscheidungen<br />

gehören die strategischen, die taktischen und die operativen.<br />

Ein Beispiel für eine strategische Entscheidung ist die für ein Studienfach.<br />

Damit gebe ich die Richtung vor für die nächsten Jahre<br />

und länger. Ein anderes Beispiel sind unternehmerische Entscheidungen,<br />

die oftmals Konsequenzen über Jahrzehnte hinaus zeitigen.<br />

Strategische Entscheidungen finden im frontalen Bereich<br />

des Gehirns statt. Sie müssen robust sein gegenüber taktischen<br />

Erwägungen, die kurzfristiger sind: Denn der Entscheider sollte<br />

wissen, dass es nicht immer nur einen geraden Weg zu einem Ziel<br />

gibt, sondern dass zufällige Ereignisse taktisch klug, das heisst<br />

zielführend genutzt werden können und müssen. Und schliesslich<br />

kon trolliert die operative Ebene erlernte, routinierte Handlungsmuster.<br />

Ganz wesentlich für Entscheidungsprozesse ist die Inter­<br />

aktion zwischen strategischer, taktischer und operativer Ebene.<br />

Sie ist Merkmal eines jeden zielgerichteten Handelns.<br />

Das heisst aber keineswegs, dass wir nur durch unsere Vernunft<br />

gesteuert würden und bewusste, explizite Entscheidungen treffen.<br />

Vielmehr ist ein Entscheiden ohne eine emotionale Bewertung und<br />

die Einbettung in frühere Erfahrungen gar nicht möglich. Gute Entscheidungen<br />

erfolgen immer auch intuitiv, das heisst unter Einbeziehung<br />

unseres impliziten Wissens. Und dieses implizite Wissen<br />

verdankt sich der Effizienz unseres Gehirns. Es funktioniert beispielsweise<br />

so, dass vieles unbewusst erledigt wird oder dass probeweise<br />

Verbindungen zwischen Wissensinseln aus früheren Zeiten<br />

hergestellt werden, die erst dann zum Bewusstsein kommen, wenn<br />

sie im Rahmen einer Entscheidung erfolgversprechend sind. Auf<br />

die Effizienz des Gehirns ist also zurückzuführen, dass ich bei<br />

„Bauchentscheidungen“ im Augenblick der Entscheidung nicht<br />

weiss, warum ich in einer bestimmten Weise entschieden habe,<br />

ich aber das Gefühl habe, richtig entschieden zu haben. Das enthebt<br />

Entscheider natürlich nicht der Pflicht, sich im Nachhinein<br />

klar zu machen, warum sie wie entschieden haben. Es diskreditiert<br />

implizite Entscheidungen aber auch nicht, im Gegenteil.<br />

Viele leben in der Illusion, ausschliesslich analytisch zu handeln.<br />

Doch gerade Entscheider in internationalen Unternehmen werden<br />

auch die Erfahrung gemacht haben, wie wichtig es für den Erfolg<br />

und die Akzeptanz weitreichender Entscheidungen, zumal über<br />

kulturelle Grenzen hinweg ist, zunächst einmal Vertrauen zu schaffen<br />

und eine emotionale Atmosphäre herzustellen. Und wie wichtig<br />

es ist, Selbsttransparenz zu erzeugen und sich darüber klar zu werden,<br />

dass und in welcher Hinsicht ich immer vorgeprägt bin. Hier<br />

kann die Hirnforschung zu einem neuen Selbstverständnis beitragen.<br />

Denn das ökonomische Prinzip der Informationsverarbeitung<br />

verlangt geradezu nach Vorannahmen. Da ist jede Entscheidung<br />

nur die Bestätigung oder Zurückweisung einer Hypothese. Deshalb<br />

sollten Entscheider sich um Selbsttransparenz bemühen im Sinne<br />

des aufklärerischen Imperativs: „Wage zu wissen.“ Gerade für die<br />

gelungene Kommunikation zwischen Kulturen, gesellschaftlichen<br />

Gruppen oder Unternehmensetagen ist damit viel gewonnen.<br />

68 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


Impulse Vordenker<br />

<strong>Ernst</strong> Pöppel, geboren 1940 in Schwessin (Pommern), habilitierte in Sinnesphysiologie und<br />

in Psychologie. Nach Stationen in Cambridge, Boston sowie am Max-Planck-Institut für<br />

Verhaltensphysiologie und Psychiatrie ist er seit 1976 Ordinarius für Medizinische Psychologie<br />

in München und seit 2001 Ko-Direktor des Parmenides Center for the Study of Thinking.<br />

Pöppel hat gegenwärtig auch eine Gastprofessur an der Peking University inne.<br />

<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />

69


Impulse Zehn Fragen<br />

Zehn Fragen an<br />

Peter Sauber<br />

Formel-1-Piloten müssen bei Rennen<br />

häufig in Bruchteilen von Sekunden Entscheidungen<br />

treffen. Was kann man von<br />

ihnen lernen?<br />

Hätte man im Strassenverkehr die Reaktionszeit<br />

eines Formel-1-Piloten, wäre das<br />

bestimmt hilfreich. Aber lernen kann man<br />

nur innerhalb des eigenen Talents – und das<br />

ist in den meisten Fällen vergleichsweise<br />

begrenzt.<br />

2005 haben Sie die Sauber Motorsport<br />

AG an BMW verkauft. 2009, im Alter von<br />

66 Jahren, haben Sie Ihr Unternehmen<br />

zurückerworben. Warum?<br />

BMW hätte den Standort Hinwil geschlossen<br />

und alle Mitarbeiter entlassen. Das war<br />

für mich keine Option.<br />

Wie haben Sie diese Entscheidung getroffen?<br />

Was gab dabei den Ausschlag – Kopf<br />

oder Bauch?<br />

Nach ganz nüchternen Überlegungen hätte<br />

ich diesen Schritt wohl nicht wagen dürfen.<br />

Es war also eher eine Bauchentscheidung.<br />

Es gibt eine Reihe von Mitarbeitern, die 20<br />

und mehr Jahre in dieses Projekt investiert<br />

haben. Ihnen ging es nicht primär um den<br />

Lohn, sondern um die Sache. Für diese Mitarbeiter<br />

war es mir wichtig, dass es weitergeht.<br />

Zudem wäre am Standort Hinwil sehr<br />

viel Know-how verloren gegangen.<br />

Was hat Sie bewogen, im Alter von 27<br />

Jahren professionell in den Rennsport<br />

einzusteigen?<br />

Das war reiner Zufall. Ich hatte jemanden<br />

kennengelernt, der VW-Käfer tunte. Das<br />

war der erste Schritt, dem viele weitere<br />

folgten.<br />

Wie gehen Sie mit Zweifeln in Entscheidungssituationen<br />

um?<br />

Zweifel gehören bei einer Entscheidungsfindung<br />

dazu, das ist völlig normal. Wichtig<br />

ist jedoch, dass sie den Entscheidungsprozess<br />

nicht lähmen.<br />

Woran spüren Sie, dass Sie eine richtige<br />

Entscheidung getroffen haben?<br />

Am Ergebnis – der Sport ist da besonders<br />

ehrlich. In der Formel 1 lässt sich das anhand<br />

der WM-Punkte sehr genau beurteilen.<br />

Alle Sauber-Rennwagen tragen bis heute<br />

den Anfangsbuchstaben Ihrer Frau in<br />

der Bezeichnung – ein „C“. Wie wichtig<br />

ist Ihnen die Unterstützung Ihrer<br />

Frau bei schwierigen beruflichen Entscheidungen?<br />

Die Unterstützung meiner Frau war mir<br />

im privaten Bereich meines Lebens immer<br />

sehr wichtig. Aber ich habe Beruf und<br />

Familie streng getrennt und dementsprechend<br />

berufliche Entscheidungen selbst<br />

getroffen. Natürlich war es dabei immer<br />

wichtig, dass meine Frau das Vertrauen in<br />

mich hatte, diese Entscheidungen richtig<br />

zu treffen.<br />

Sie gelten als einer der weltweit besten<br />

Talentsucher für junge Formel-1-Piloten.<br />

Nach welchen Gesichtspunkten treffen<br />

Sie die Auswahl eines neuen Fahrers?<br />

Es ging für mich nie darum, Talente zu<br />

suchen, sondern aus den vielen jungen<br />

Fahrern, die mir von deren Managern angeboten<br />

wurden, die richtigen auszusuchen.<br />

Natürlich habe ich mir dabei die Resultate<br />

der Kandidaten genau angeschaut. Genauso<br />

wichtig war es mir aber, diese jungen<br />

Burschen kennenzulernen und ein Gefühl<br />

für sie zu bekommen. Das hat sich ganz<br />

gut bewährt.<br />

Als Sie einst den noch relativ unbekannten<br />

Michael Schumacher verpflichtet<br />

haben – was hat Ihnen besonders an ihm<br />

imponiert?<br />

Dass wir ihn engagiert haben, war Zufall.<br />

Wir wollten ein Juniorteam gründen und<br />

verpflichteten die drei ersten der deutschen<br />

Formel-3-Meisterschaft 1989. Das waren<br />

Karl Wendlinger, Heinz-Harald Frentzen<br />

und Michael Schumacher. Er hatte damals<br />

nicht mehr Talent als Frentzen, aber es war<br />

schon bald klar, mit welcher Fokussiertheit<br />

und Konsequenz er arbeitete. Das hat<br />

letztlich den Unterschied ausgemacht.<br />

Für ein paar Jahre waren Sie bereits im<br />

offiziellen Ruhestand. Auf welche beruflichen<br />

Entscheidungen haben Sie gerne<br />

verzichtet?<br />

Auf alle: Keine beruflichen Entscheidungen<br />

treffen zu müssen – wichtige oder unwichtige<br />

– war sehr befreiend.<br />

Peter Sauber<br />

Ein Formel-1-Rennstall in einem Land, in<br />

dem es keine grosse Autoindustrie gibt? Eigentlich<br />

ein Ding der Unmöglichkeit. Doch<br />

der Elektromonteur Peter Sauber, geboren<br />

1943 in Zürich, wollte nicht den Plänen<br />

seines Vaters folgen, der ihn gerne als Nachfolger<br />

in seinem Unternehmen für elektrotechnische<br />

Anlagen gesehen hätte. Während<br />

seiner Studienzeit scherte er aus und baute<br />

1970 seinen ersten Rennwagen, mit dem er<br />

gleich die Schweizer Sportwagen-Meisterschaft<br />

gewann. Gute 40 Jahre im professionellen<br />

Motorsport folgten. In dieser Zeit<br />

überzeugte er Mercedes davon, gemeinsam<br />

mit ihm zurück in den internationalen Motorsport<br />

zu gehen. Er kooperierte mit Ford, genauso<br />

wie später mit BMW. Und zahlreichen<br />

Formel-1-Piloten wie Michael Schumacher<br />

ermöglichte er die ersten Karriere schritte.<br />

2005 wurde er zum Schweizer des Jahres<br />

gekürt – da hatte er gerade die Mehrheit<br />

der Anteile seines Rennstalls an BMW verkauft.<br />

Als das bayerische Unternehmen<br />

2009 den Ausstieg aus der Formel 1 verkündete,<br />

kaufte Sauber sein Lebenswerk zurück.<br />

Rund 260 Mitarbeiter arbeiten derzeit für<br />

den Rennstall in Hinwil. Sauber ist seit über<br />

45 Jahren verheiratet und Vater zweier erwachsener<br />

Söhne.<br />

70 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>


Impressum<br />

Herausgeber:<br />

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Konzept und Redaktion<br />

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Bleicherweg 21<br />

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Telefax +41 58 286 40 40<br />

Druck<br />

Druck- und Verlagshaus Zarbock<br />

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Über <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong><br />

<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> ist ein weltweit führendes Unternehmen<br />

in den Bereichen Wirtschaftsprüfung,<br />

Steuern, Transaktionen und Beratung. Unsere<br />

141 000 Mit arbeitenden auf der ganzen Welt<br />

verbinden unsere gemeinsamen Werte sowie ein<br />

konsequentes Bekenntnis zur Qualität. Wir differenzieren<br />

uns, indem wir unseren Mitarbeitenden,<br />

unseren Kunden und unseren Anspruchsgruppen<br />

dabei helfen, ihr Potenzial auszuschöpfen.<br />

<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> bezieht sich auf die globale Organisation<br />

der Mitgliedsfirmen von <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong><br />

Global Limited (EYG), von denen jede eine eigene<br />

Rechtseinheit bildet. EYG, eine Gesellschaft<br />

mit beschränkter Haftung nach britischem Recht,<br />

erbringt keine Dienstleistungen für Kunden.<br />

In der Schweiz ist die <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> AG ein<br />

führendes Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen<br />

mit rund 2 000 Mitarbeitenden an<br />

10 Standorten und bietet auch Dienstleistungen<br />

in den Bereichen Steuern und Recht sowie<br />

Transaktionen und Rechnungslegung an.<br />

Weitere Informationen finden Sie auf unserer<br />

Website www.ey.com/ch<br />

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