Entrepreneur by Ernst & Young – Magazin 1/2011 - Home - Ernst ...
Entrepreneur by Ernst & Young – Magazin 1/2011 - Home - Ernst ...
Entrepreneur by Ernst & Young – Magazin 1/2011 - Home - Ernst ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Entrepreneur</strong><br />
<strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong><br />
<strong>Magazin</strong> No. 1/<strong>2011</strong><br />
Entscheidung<br />
Risk Radar Eine Studie für mehr<br />
Planungssicherheit<br />
Autonomie Von der Entscheidungs-<br />
kultur in Familienunternehmen<br />
Gipfelstürmer Wenn Mensch und Berg<br />
sich begegnen<br />
Vernetzung Wie wir entscheiden<br />
„Emotionen kommen vor<br />
dem Business“<br />
Harti Weirather, CEO,<br />
Weirather-Wenzel & Partner GmbH
Editorial<br />
Durch mutige, teils auch unkonventionelle Entscheidungen die Handlungsfähigkeit des<br />
Unternehmens zu sichern und Handlungsstärke zu beweisen, gehört zu den wichtigsten<br />
Aufgaben von <strong>Entrepreneur</strong>en. Und vielleicht auch zu den schwierigsten. Um es in den<br />
Worten des österreichischen Dichters Franz Grillparzer und einer seiner Dramenfiguren zu<br />
formulieren: „Man sage nicht, das Schwerste sei die Tat,/Da hilft der Mut, der Augenblick,<br />
die Regung;/Das Schwerste dieser Welt ist der Entschluss.“<br />
Anders als entschlossenes Handeln sind unternehmerische Entscheidungen das Ergebnis<br />
eines Prozesses, in dem viele Einflussfaktoren zu bedenken und zu antizipieren sind. Und<br />
häufig müssen langfristige Entscheidungen unter Ungewissheit getroffen werden. Dennoch<br />
werden <strong>Entrepreneur</strong>e in letzter Konsequenz an der Qualität ihrer Entscheidungen<br />
gemessen. Damit rückt die Frage in den Mittelpunkt, was die Basis ist: Analyse, Erfahrung,<br />
Intuition? Und: Ist unternehmerische Exzellenz eher das Ergebnis einer Entscheidung über<br />
Strategien oder für die richtigen Mitstreiter?<br />
Harti Weirather stand schon als Dreijähriger auf Skiern. Mit 24 Jahren feierte er Gold bei<br />
den Skiweltmeisterschaften 1982. Bald darauf wurde aus dem Einzelkämpfer ein Teamplayer.<br />
Gemeinsam mit Hanni Wenzel gründete er die Agentur WWP. Beide hatten erlebt,<br />
wie schwierig es war, ihre Siege zu vermarkten. Inzwischen haben sie das Geschäft mit den<br />
grossen Emotionen professionalisiert. Als Junge guckte Marcelo Alecrim seinem Vater,<br />
einem Tankstellenbesitzer, über die Schulter. Dann bewies er das grössere Verkaufstalent.<br />
Als der brasilianische Kraftstoffmarkt liberalisiert wurde, war das seine Chance. Er hatte<br />
eine Marktnische erkannt und nutzte sie. Morten Hannesbo, CEO AMAG AG, steht seit rund<br />
einem Jahr als erster unternehmensfremder Manager an der Spitze des schweizerischen<br />
Marktführers im Autohandel mit etwa 5 000 Mitarbeitern. Sein Credo: „Eine gute Entscheidung<br />
ist nicht unbedingt die perfekte Entscheidung. Sie ist dann gut, wenn die Mitarbeiter<br />
hinter ihr stehen.“<br />
Für Reinhold Messner waren Entscheidungen nicht selten eine Frage von Leben und Tod.<br />
Seine Expeditionen führten den Abenteurer in menschenfeindliche Regionen. Dass sie ihm<br />
nicht zum Verhängnis wurden, verdankt sich auch seiner inneren Einstellung, der Todesgefahr<br />
mit Kalkül zu begegnen und Bergsteigen als Risikomanagement zu betreiben. Im<br />
entscheidenden Moment jedoch würde er es nie wagen, seinem Instinkt zu widersprechen.<br />
Eine vorausschauende Analyse und ein Erfahrungsreichtum, der die Intuition schärft, das<br />
sind für Messner die Voraussetzungen richtiger Entscheidungen. Sie werden auch der<br />
Komplexität unternehmerischer Entscheidungssituationen gerecht. Ich wünsche Ihnen<br />
eine anregende Lektüre.<br />
Bruno Chiomento<br />
CEO <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong><br />
(Schweiz)<br />
3
In kluger Voraussicht:<br />
Seine Entscheidungsfreiheit<br />
hat für ihn oberste<br />
Priorität. Marcelo Alecrim,<br />
Präsident des brasilianischenKraftstoffvertreibers<br />
ALESAT, ist ein<br />
unabhängiger und ideenreicher<br />
Kopf, der immer<br />
vorausdenkt. Zudem hat<br />
langjährige Erfahrung<br />
seine Intuition geschärft.<br />
Wenn sich dann die<br />
richtige Gelegenheit bietet,<br />
entscheidet er aus<br />
dem Bauch heraus. Und<br />
das mit Erfolg.<br />
4 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Seite 30<br />
Eine Frage des Kapitals:<br />
Unternehmerische Entscheidungen<br />
setzen die<br />
Verfügbarkeit von Kapital<br />
voraus. Ohne Kapital<br />
droht der Stillstand. Ein<br />
effizientes Kapitalmanagement<br />
ist deshalb<br />
gerade in Zeiten des Wandels<br />
und des beginnenden<br />
Aufschwungs der<br />
Schlüssel zum Erfolg.<br />
Denn eine starke Capital<br />
Agenda kann Unternehmen<br />
helfen, wirkungsvolle<br />
Kapitalentscheidungen<br />
zu treffen, um Wachstumschancen<br />
zu nutzen.<br />
Seite 37<br />
In eigener Sache:<br />
Er sei kein Unternehmer,<br />
sondern ein Spieler, so<br />
beschreibt Reinhold<br />
Messner sich selbst. Denn<br />
nicht wirtschaftliche<br />
Zweckmässigkeit, sondern<br />
die grösste persönliche<br />
Freiheit sind das Ziel<br />
seiner Entscheidungen.<br />
Dieser Selbstverwirklichungsdrang<br />
befähigt<br />
ihn, innere wie äussere<br />
Widerstände zu überwinden.<br />
Mit der Realisierung<br />
des Messner Mountain<br />
Museum hat er jüngst<br />
seinen „15. Achttausender“<br />
erklommen.<br />
Seite 58
Entscheidung<br />
03 Editorial<br />
<strong>Entrepreneur</strong>e<br />
06 Der Vorreiter Report: Der Pionier des Sporteventmarketings Harti Weirather,<br />
CEO von WWP, war Einzelkämpfer, bis er erkannte, wie wichtig die Entscheidung für<br />
kompetente Mitstreiter ist.<br />
14 „Mit den besten Leuten trifft man auch die richtigen Entscheidungen.“<br />
Interview: Für Hans Smit, Gründer und CEO ApotheekZorg B.V., ist die Auswahl<br />
kompetenter Führungskräfte in einem schnell wachsenden Unternehmen von<br />
grösster Bedeutung.<br />
22 Passt! Report: Auf welche Weise Werner Böck, Vorstandsvorsitzender der<br />
Marc O’Polo AG, seit mehr als 40 Jahren immer wieder in der wichtigsten Entscheidung<br />
seines Lebens bestätigt wird<br />
30 Der Mann von der Tankstelle Porträt: Dank seiner Entscheidungsfreude brachte<br />
Marcelo Alecrim es von der Aushilfe an der Zapfsäule zum Gründer des brasilianischen<br />
Kraftstoffvertreibers ALESAT.<br />
Expertise<br />
37 Schlüssel zum Erfolg in einer unsicheren Welt Wie Unternehmen von einem<br />
effizienten Kapitalmanagement optimal profitieren können<br />
42 „Erst wenn es nicht mehr an dir hängt, bist du erfolgreich.“ Peter Englisch,<br />
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong>, im Dialog mit Max Maier über familiengeführte Unternehmen und<br />
ihre Entscheidungskultur<br />
48 Navigationshilfe für ein unübersichtliches Terrain Welche Risiken Unternehmen<br />
bei ihren Entscheidungen vorrangig im Blick behalten sollten<br />
Impulse<br />
53 „Wir müssen wissen, dass wir nicht immer alles richtig entscheiden können.“<br />
Für Morten Hannesbo, CEO AMAG AG, ist eine vertrauensvolle Streitkultur unverzichtbar,<br />
wenn es darum geht, durch Innovationen die Weichen für Wachstum neu zu stellen.<br />
58 „Tun, was mir wichtig ist!“ Der Gipfelstürmer Reinhold Messner trifft seine<br />
Entscheidungen im Wissen um die Endlichkeit des eigenen Seins.<br />
66 Die Entscheidungsfreudige Warum Sara Hürlimann mit dem Zahnarztzentrum so<br />
erfolgreich ist<br />
68 Engstens vernetzt Der Hirnforscher <strong>Ernst</strong> Pöppel über den vermeintlichen<br />
Gegensatz von Analyse und Intuition in Entscheidungsprozessen<br />
70 Zehn Fragen an Peter Sauber Was den Formel1RennstallBesitzer antreibt, aus dem<br />
Ruhestand zurückzukehren, um sich erneut seinem Lebenswerk zu widmen<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 5
<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />
Der Vorreiter<br />
Als 13-Jähriger setzte Harti Weirather seinen Geschäftssinn ein, um an neue Skier zu kommen. Viele Siege und Erfolge später nutzte der<br />
Tiroler Weltmeister im Abfahrtslauf seine Sporterfahrungen, um Unternehmer zu werden. Mit seiner Frau Hanni Wenzel gründete er die<br />
Agentur WWP und wurde zum Pionier bei der Vermarktung von Sportevents.<br />
6 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Fotos: Martin Langhorst
<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 7
<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />
Skistöcke hat sie nicht. Aber die Dynamik des Abfahrtsläufers<br />
kommt in der Statuette eines Skifahrers gut zum Ausdruck. So mag<br />
Harti Weirather ausgesehen haben, als er 1982 den Planai hinunterraste.<br />
Ein Vorsprung von 48 Hundertstelsekunden sicherte dem<br />
jungen Österreicher damals die Weltmeisterschaft im alpinen Abfahrtslauf<br />
der Herren. Heute steht die kleine Figur zwischen zahllosen<br />
anderen Preisen, Medaillen und Pokalen in einem Büroraum in<br />
Dornbirn, Vorarlberg. Die meisten freilich hat nicht Weirather, sondern<br />
seine Frau Hanni Wenzel gewonnen. Die Erinnerungen an vergangene<br />
Erfolge füllen einen grossen Glasschrank – nicht zu übersehen,<br />
aber doch abgeschlossen wie die Sportlerkarriere der beiden<br />
Spitzenathleten. Den womöglich noch grösseren Erfolg jedoch stellt<br />
die Sportagentur dar, die Weirather und Wenzel sich nach dem<br />
Ende ihrer aktiven Zeit aufgebaut haben.<br />
In gut zwei Jahrzehnten ist die Agentur Weirather-Wenzel & Partner<br />
zu einem renommierten Dienstleister im Sportmarketing herangewachsen.<br />
„Unser Geschäft sind Emotionen“, sagt Weirather.<br />
Genauer gesagt schafft er Kontakte zwischen Sportlern und Sponsoren,<br />
Verbänden und Medien und bietet Dienstleistungen auf dem<br />
Gebiet der Sportkommunikation an. Er vermarktet das Hahnenkammrennen,<br />
betreut Red Bull bei der Formel 1, stellt den Audi-<br />
Fuhrpark bei Real Madrid sowie FC Barcelona und vermarktet für<br />
Siemens die chinesische Fussball-Liga.<br />
Diese Tätigkeit war dem Sohn Tiroler Bauern nicht an der Wiege<br />
gesungen. Mit elf Jahren verliess Weirather das Elternhaus und<br />
ging auf eine Schule für Skitalente. Mit 13 handelte er, wie er gern<br />
erzählt, seinen ersten guten Vertrag mit einem Skiausrüster aus<br />
– er brachte ihm fünf Paar neue Skier und ein Taschengeld ein. Doch<br />
die Entwicklung vom Spitzensportler zum erfolgreichen Unternehmer<br />
verlief für Weirather weder auf einer vorgezeichneten Bahn<br />
noch war sie das Resultat einer bewusst getroffenen Entscheidung.<br />
„Es war ein schleichender Prozess“, sagt er. „Ich bin da hineingeschliddert.“<br />
Eine frühe Station auf dem Weg zu dem, was<br />
seine zweite Karriere werden sollte, war der Kampf der Skisportler<br />
um eigene Werbeflächen. „Wir hatten die Idee, unsere Kopfbedeckungen<br />
als Werbeträger einzusetzen, weil die in den Fernsehinterviews<br />
so gut zu sehen sind.“ Weltmeister Weirather machte<br />
sich die Sache zu eigen, verhandelte mit dem Internationalen Skiverband,<br />
drohte sogar mit der Gründung eines eigenen Profiver-<br />
Das Startkapital von<br />
Harti Weirather<br />
und seiner Frau Hanni<br />
Wenzel waren ihre<br />
Erfahrungen im Spitzensport<br />
und die Kontakte,<br />
die beide während<br />
ihrer aktiven Karriere<br />
sammeln konnten.<br />
bandes – und erreichte schliesslich, dass Stirnband und Helm den<br />
Sportlern als Werbeflächen überlassen wurden. Der Ausgang dieser<br />
Machtprobe versetzte alle Beteiligten schlagartig in eine neue<br />
Lage – die Athleten eingeschlossen. „Niemand hatte einen Sponsor“,<br />
erinnert sich Weirather. Auch er selbst nicht. Doch der junge<br />
Mann, der im Winter Ski lief, fuhr im Sommer Autorennen und<br />
hatte bei diesen Gelegenheiten die Bekanntschaft mit Teamchefs<br />
und Sponsoren aus der Formel 1 gemacht. Weirather nutzte diese<br />
Kontakte, um verschiedene Firmen für die neuen Werbemöglichkeiten<br />
im Skisport zu interessieren, und vermittelte sie an seine<br />
Kollegen. Mit dem deutschen Felgenhersteller ATS, mit Tag Heuer<br />
und ICI brachte er die ersten branchenfremden Sponsoren in den<br />
alpinen Wintersport.<br />
Geschäftsidee: Win-win-Situationen schaffen<br />
Die Professionalisierung des Wintersports lag Anfang der achtziger<br />
Jahre in der Luft. Die Skiläuferin Hanni Wenzel, die 1980 mit zwei<br />
Medaillen von den Olympischen Spielen in Lake Placid zurückkehrte,<br />
hatte sich damals mit den gleichen Themen auseinanderzusetzen<br />
wie ihr späterer Ehemann. „Ich erlebte, wie schwierig es<br />
war, meine Olympiasiege zu vermarkten“, sagt sie. „Auf den Rat<br />
eines Mentors hin gründete ich damals meine eigene Firma.“ Als<br />
Folge dieser Entscheidung sah das Olympische Komitee sie als<br />
Profi an und untersagte ihr die Teilnahme an den Spielen von 1984.<br />
Weirather betrieb die Pflege seiner Sponsoren zunächst neben seiner<br />
Skikarriere. Dabei erkannte er bald, dass er seinen Geschäftspartnern<br />
mehr bieten musste als nur den Zugang zu Werbeflächen.<br />
Er lud die Sponsoren nach Kitzbühel ein – und sah sich vor die<br />
logistische Herausforderung gestellt, Grossgruppen zu befördern,<br />
zu bewirten und unterzubringen. Anregungen holte er sich wiederum<br />
vom Motorsport. „Bei uns und im Fussball steckte die Vermarktung<br />
ja noch in den Kinderschuhen. Aber die Formel 1 war infolge<br />
der Übernahme durch Bernie Ecclestone schon sehr früh sehr professionell<br />
geworden.“ Seit Anfang der siebziger Jahre hatte der<br />
Engländer den Motorsport konsequent kommerzialisiert. Bei ihm<br />
fand Weirather reichlich Anschauungsmaterial – zum Beispiel das<br />
VIP-Zelt. „Die Kunden unserer Sponsoren standen früher draussen<br />
im Schnee herum und haben gefroren, und danach ging es ins<br />
Gasthaus. Wir sagten uns: Wenn die Formel 1 ein Zelt aufstellen<br />
8 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />
„Ich erlebte, wie schwierig es war, meine<br />
Olympiasiege zu vermarkten. Wir mussten bei<br />
null anfangen und unser Geschäft von der Pike<br />
auf lernen. Das war unser Glück.“ Hanni Wenzel<br />
kann, dann können wir das doch auch. Das war eine der ersten<br />
Dienstleistungen, die wir entwickelt haben.“<br />
Fünf Jahre nach seinem Sieg in Kitzbühel beendet Weirather seine<br />
Karriere, heiratet Hanni Wenzel und gründet mit ihr und zunächst<br />
noch zwei weiteren Partnern die Agentur. Sein Startkapital sind die<br />
Erfahrung im Spitzensport und zahlreiche Kontakte, die er gesammelt<br />
hat. Weirather weiss, wie es in den Sportverbänden zugeht,<br />
er weiss, wie Veranstaltungen organisiert werden, und er kennt die<br />
Denkweisen von Sportlern und Medienvertretern. Berater hat er<br />
in dieser Zeit nicht. Kein Wunder, denn in diesem Geschäftsfeld ist<br />
noch alles neu. „Es gab keinerlei Vergleichsmöglichkeiten, keine<br />
Benchmark“, erinnert er sich. „Es war unser Glück, dass sich der<br />
Gesamtmarkt so positiv entwickelt hat. Mit ihm sind auch wir gewachsen.“<br />
Was Weirather nicht sagt: Als er mit dem Sportmarketing<br />
anfing, gab es diesen Markt noch gar nicht – er selbst hat ihn<br />
mitgeschaffen. Als früherer Spitzensportler geniesst Weirather<br />
bei seinen Geschäftspartnern ein hohes Mass an Glaubwürdigkeit.<br />
„Sport funktioniert anders als ein normales Geschäft: An erster<br />
Stelle steht die Emotion; das Business folgt erst in zweiter Linie.“<br />
Weirather geht den Weg in die entgegengesetzte Richtung:<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 9
<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />
„Zu Beginn war ich davon überzeugt,<br />
ich müsse alles selbst machen.<br />
Wir sind heute genau andersherum<br />
aufgestellt. Wir haben die<br />
Verantwortung sehr aktiv abgegeben.<br />
Ich glaube, heute kann ich das.“<br />
10 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />
Er verwandelt Emotionen in harte Münze. „Das ist der Kern der<br />
Geschäftsidee: Win-win-Situationen schaffen, von denen alle etwas<br />
haben – der Verband, der Sponsor und die Medien.“ Doch wenn es<br />
so einfach wäre, wie es bei ihm klingt – warum machen das dann<br />
nicht auch andere? Anders gefragt: Warum ist ihm gelungen, woran<br />
viele andere Ex-Sportler scheitern? Wenn man von Hanni Wenzels<br />
Worten rückschliesst, dann lässt sich der Erfolg wohl in erster<br />
Linie durch eine dünkellose Lernbereitschaft erklären. „Wir mussten<br />
bei null anfangen und unser Geschäft von der Pike auf lernen“,<br />
sagt die zweifache Olympiasiegerin. „Und das war unser Glück.“<br />
Die ersten Erfahrungen machen Weirather und Wenzel im Ausland.<br />
„Wir sind sehr bewusst in den Frankfurter Raum gegangen, haben<br />
bei Pirelli im Odenwald und bei Braun in Kronberg vorgesprochen“,<br />
sagt Weirather. Hinter dieser Entscheidung steckt ein Kalkül:<br />
„Wenn ich damals gleich nach Wien gegangen wäre, hätte sich<br />
zwar jede Tür geöffnet. Aber ich hätte auch unter extremer Beobachtung<br />
gestanden: Ein Fehler, und ich wäre ebenso schnell wieder<br />
draussen gewesen. So haben wir uns zuerst im Ausland einen Namen<br />
gemacht und haben erst dann in Österreich die eine oder andere<br />
Firma angesprochen.“<br />
Die dritte Weichenstellung kostet ihn die grösste Überwindung. Als<br />
Leistungssportler ist Weirather von Kindesbeinen darauf konditioniert,<br />
sich mit voller Hingabe seiner Aufgabe zu widmen – und zwar<br />
er und nur er allein. „Ich war davon überzeugt, ich müsse alles<br />
selbst machen“, sagt er. „Dieser Gedanke war so tief in mir verwurzelt,<br />
dass ich dachte, etwas anderes würde ich gar nicht ertragen.“<br />
Doch der Erfolg zwingt ihn bald, Helfer herbeizuziehen. „Wir haben<br />
sehr früh zwei, drei Grossaufträge hereinbekommen, die ich allein<br />
nicht mehr bewältigen konnte. Ich war gezwungen, mir Mitarbeiter<br />
zu suchen – und ich habe gesehen, dass sie ihre Aufgabe besser<br />
lösten, als ich es hätte tun können. So kam die Sache in Fahrt.“<br />
Den Wünschen seiner Kunden folgend, wächst Weirathers Unternehmen<br />
schnell aus dem alpinen Wintersport heraus – und in andere<br />
Regionen und Sportarten hinein. Zunächst hatte er sich in dem<br />
Bestreben, die Wertschöpfungskette im Wintersport zu verlängern,<br />
auch beim Handel mit Rechten und Lizenzen für Skirennen engagiert.<br />
Doch dann entschloss er sich, die Agentur ausschliesslich als<br />
Dienstleister zu positionieren und auf den Handel mit Rechten zu<br />
verzichten. „Das war die wichtigste und schwierigste Entscheidung,<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 11
die wir je getroffen haben“, sagt Weirather. „Natürlich werden immer<br />
wieder solche Offerten an uns herangetragen. Aber wir haben<br />
gesagt: Nein, wir wollen uns anders entwickeln.“ Eine Ausnahme<br />
macht er allein beim Hahnenkammrennen in Kitzbühel, das er seit<br />
1997 vermarktet: „Da hängt viel Herzblut dran.“ Verständlich –<br />
denn dort gewann 1982 Weirather in einer Rekordzeit, die zehn<br />
Jahre lang nicht unterboten wurde.<br />
WeiratherWenzel & Partner definieren ihr Geschäft als Dienstleistungen<br />
auf dem Feld der Sportkommunikation. Sie stellen Bandenwerbung,<br />
Hospitality, Promotion, Ticketing und Organisation. Der<br />
Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf dem Angebot individueller Lösungen<br />
für Kunden, die so unterschiedlich sind wie der Österreichische<br />
Skiverband (ÖSV), die Online-Gaming-Firma bwin, die<br />
Mobilfunkfirma A1, der Versicherungskonzern Allianz oder die<br />
Brauerei Veltins. Das Geschäft verteilt sich inzwischen zu je einem<br />
Drittel auf den Skisport, den Fussball und Motorsport.<br />
Die Agentur hat rund 70 Festangestellte und beschäftigt noch einmal<br />
doppelt so viele freie Mitarbeiter. Neben dem Firmensitz in<br />
Liechtenstein unterhält WWP Tochtergesellschaften in Österreich,<br />
Italien, Spanien und Bulgarien. Jedes Büro hat einen regionalen<br />
Geschäftsführer und einen Key Accounter, der grosse Kunden betreut.<br />
Dieser Kreis von zehn Personen bildet den inneren Zirkel,<br />
der über strategische Fragen berät und über die künftige Entwicklung<br />
des Unternehmens entscheidet.<br />
Der Einstieg ins<br />
Sport eventmarketing<br />
resultierte nicht aus<br />
einer bewusst getroffenen<br />
Entscheidung.<br />
Er war zunächst dem<br />
eigenen Kampf um<br />
Sponsoren geschuldet.<br />
Heute unterhält WWP<br />
neben dem Büro in<br />
Dornbirn und dem<br />
Firmensitz in Liechtenstein<br />
auch Tochterge -<br />
sell schaften in Italien,<br />
Spanien und Bulgarien.<br />
War es für den Einzelkämpfer Weirather schon ein grosser Schritt, die<br />
Hilfe von Dritten anzunehmen, so kostete es ihn geradezu Überwindung,<br />
Verantwortung abzugeben und an seine Mitarbeiter zu übertragen.<br />
„Ich glaube aber, heute kann ich das“, sagt er. Als Voraussetzung<br />
dafür sieht er eine Unternehmenskultur des Vertrauens und<br />
der Offenheit für Kritik. Die ist in seinem Unternehmen so sehr verankert,<br />
dass er seinen Führungskräften selbst dann freie Hand lässt,<br />
wenn er selbst von der Richtigkeit ihrer Entscheidung nicht völlig<br />
überzeugt ist. „Wir sind heute genau andersherum aufgestellt als<br />
am Anfang. Wir haben die Verantwortung sehr aktiv abgegeben.“<br />
Grossen Wert legt Weirather daher auf die Auswahl seiner Mitarbeiter.<br />
Und es bereitet ihm Genugtuung, dass viele schon seit zwei Jahrzehnten<br />
bei ihm sind. „Wenn sie sich hier wohlfühlen, dann teilt sich<br />
das auch den Kunden mit“, sagt er. In Dienstleistungsunternehmen<br />
wie dem seinen spiele die Persönlichkeit der Mitarbeiter eine weit<br />
grössere Rolle als anderswo. Daher lässt er sich bei der Besetzung<br />
von Stellen auch von seinen Sympathien leiten. „Wenn ich drei oder<br />
vier Bewerber in der Endausscheidung habe, dann frage ich mich:<br />
Mit wem möchtest du das ganze Jahr hindurch zusammenarbeiten?<br />
Wenn schon ich nicht hundertprozentig mit jemandem kann, dann<br />
wird auch der Kunde keine Freude an ihm haben.“ Wie zu seiner Zeit<br />
als Sportler, als er in Sekundenbruchteilen entscheiden musste,<br />
folgt er hier seinem Bauchgefühl – auch wenn er einräumen muss,<br />
dabei schon einmal enttäuscht worden zu sein. Verändert hat sich<br />
hingegen seine Einstellung zum Leistungsdruck. „Ich bin selbst<br />
12 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />
äusserst ungeduldig und verlange wohl zu viel von meinen Mitarbeitern“,<br />
räumt er ein. „Das ist wahrscheinlich ein Überbleibsel aus<br />
dem Spitzensport. Da muss ich sehr aufpassen und mich zurücknehmen.<br />
Die Führungsmitarbeiter entwickeln alle schon von sich<br />
aus so viel Initiative und Eigendruck – wenn da noch Druck von mir<br />
dazukommt, dann wird es einfach zu viel. Burn-out ist für uns ein<br />
wichtiges Thema.“ Das hängt eng mit dem Geschäftsmodell seiner<br />
Agentur zusammen. „Bei uns sind die Wochenenden selten erholsam,<br />
denn gerade da finden die grossen Events statt. Und wenn<br />
man wie wir in mehreren Sportarten tätig ist, dann gibt es auch<br />
keine Jahreszeiten, in denen es etwas ruhiger zugeht.“ Auf der<br />
Suche nach einem Ausgleich hat Weirather daher begonnen, seinen<br />
Mitarbeitern viele Freiheiten bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeiten<br />
einzuräumen – im Kleinen wie im Grossen. „Wir haben einen Key<br />
Accounter, der hat eine Auszeit von einem halben Jahr genommen<br />
und eine Weltreise gemacht. Er kam mit ganz neuem Esprit zurück.<br />
Damit haben wir sehr positive Erfahrungen gemacht.“<br />
Weirather selbst plant, sich in den nächsten zwei Jahren völlig<br />
aus dem operativen Geschäft zurückziehen. Er hat Strukturen geschaffen,<br />
die gewährleisten, dass das Unternehmen auch ohne ihn<br />
läuft. Seit zwei Jahren bereitet er einen Nachfolger auf die Rolle<br />
des CEO vor. Wenn der Übergang vollzogen ist, will Weirather sich<br />
in den Verwaltungsrat zurückziehen und sich schwerpunktmässig<br />
dem Lob<strong>by</strong>ing und der Kundenbetreuung widmen. Aber auch ausserhalb<br />
seiner Agentur wird es ihm nicht an Beschäftigung fehlen.<br />
Er ist an einer Reihe von Unternehmen beteiligt, unter anderem<br />
einem Start-up, das den „Streetstepper“ entwickelt hat, einen<br />
Wipproller, der die Eigenschaften eines Fahrrads mit denen eines<br />
Lauftrainers kombiniert. Es ist vielleicht kennzeichnend für Weirathers<br />
Ambitionen, dass dies das einzige Gerät seiner Art ist, mit dem man<br />
auch bergauf fahren kann.<br />
Für die Zukunft hat der frühere Weltmeister also noch viele Pläne.<br />
Welche zurückliegende Entscheidung er heute anders treffen würde?<br />
„Wahrscheinlich würde ich nicht in der Maturaklasse die Schule<br />
schmeissen“, sagt er. „Aber dann, denke ich, hätte ich vielleicht auch<br />
nicht meine Erfolge im Sport gehabt. Und auch nicht den Zwang<br />
verspürt, alles für meinen Beruf zu geben.“ Womöglich hätte es<br />
dann beides nicht gegeben: weder die 48 Hundertstelsekunden<br />
noch die zwei Jahrzehnte danach.<br />
„Sport funktioniert nach eigenen Gesetzen:<br />
An erster Stelle stehen Emotionen, das Business<br />
folgt erst in zweiter Linie.“<br />
Harti Weirather<br />
Gründer und CEO der Weirather-Wenzel & Partner GmbH, Liechtenstein<br />
Harti (eigentlich: Hartmann) Weirather, 52, wuchs auf dem Bauernhof<br />
seiner Eltern in Wängle (Tirol) auf. Mit elf Jahren ging er auf eine Schule<br />
für Skitalente und gewann 1982 die alpinen Skiweltmeisterschaften der<br />
Herren. Schon während seiner Zeit als aktiver Sportler begann er mit der<br />
Vermittlung und Betreuung von Sponsoren. Ende der achtziger Jahre<br />
gründete er gemeinsam mit seiner Frau Hanni Wenzel, 53, eine Sport vermarktungsagentur<br />
und wurde zum Pionier des Sportmarketing.<br />
Weirather positionierte WWP als Mittler und Berater, kreative Ideenschmiede<br />
und umsetzenden Dienstleister für die werbetreibende Industrie,<br />
Sportverbände, Teams, Individualsportler und Medien. Zu seinen<br />
Kunden gehören unter anderem der Österreichische Skiverband, Audi,<br />
bwin, Red Bull, VW und Veltins. Die Geschäftsfelder verteilen sich zu<br />
je einem Drittel auf Ski, Motorsport und Fussball. Als einen „Ausreisser“<br />
im Portfolio betrachtet Weirather die Vermarktung der Rechte am Hahnenkammrennen<br />
– aber in Kitzbühel gewann er einst mit Rekordzeit.<br />
2009 kürte ihn <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> zum „<strong>Entrepreneur</strong> des Jahres“.<br />
Rund um die Welt beschäftigt WWP knapp 70 feste Angestellte und<br />
noch einmal rund 150 freie Mitarbeiter. Neben dem Firmensitz in Liechtenstein<br />
unterhält die Agentur Tochtergesellschaften in Österreich,<br />
Italien, Spanien und Bulgarien. Grundsätzlich gibt Weirather keinerlei<br />
Zahlen des Unternehmens bekannt.<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 13
<strong>Entrepreneur</strong>e Interview<br />
Fotos: Jürgen Frank<br />
„Mit den<br />
besten Leuten<br />
trifft man auch<br />
die richtigen<br />
Entscheidungen.“<br />
Hans Smit<br />
Gründer und Chief Executive Officer ApotheekZorg B.V.<br />
Im Gesundheitswesen werden Entscheidungen selten Hals über<br />
Kopf getroffen. Manchmal sei es besser, zwei oder drei Monate zu<br />
warten, bis der Knoten sich von allein entwirrt hat, erklärt Hans<br />
Smit, Gründer und CEO der holländischen ApotheekZorg, einer<br />
Spezialapotheke für hochwirksame Medikamente gegen chronische<br />
Krankheiten. Alle Entscheidungen in seinem Unternehmen<br />
„müssen dem Patienten dienen“, sagt der Niederländer. „Wir<br />
machen nichts ausschliesslich mit dem Ziel, Geld zu verdienen.“<br />
14 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
15
<strong>Entrepreneur</strong>e Interview<br />
<strong>Entrepreneur</strong>: Herr Smit, welches war die bislang schwierigste<br />
Entscheidung in Ihrer Karriere als Unternehmer?<br />
Hans Smit: Da muss ich nicht lange nachdenken. Als ich mich vor<br />
drei Jahren von den drei Apotheken getrennt habe, mit denen ich<br />
mehr als 20 Jahre zuvor angefangen hatte, war das die schwierigste<br />
Entscheidung meiner Unternehmerlaufbahn. Diese Apotheken<br />
waren sozusagen die Keimzelle meines heutigen Unternehmens.<br />
Ich brauchte drei oder vier Jahre, bis ich mich zu dem Verkauf<br />
durchringen konnte. Immer wieder überlegte ich: „Soll ich die Apotheken<br />
behalten oder nicht? Wenn ich noch ein bisschen mehr<br />
arbeite, dann wird es schon gehen.“ Ich kannte jeden Mitarbeiter,<br />
mit einigen hatte ich seit zehn oder 15 Jahren oder noch länger<br />
zusammengearbeitet. Ich hatte das Gefühl, etwas unwiederbringlich<br />
zu verlieren. Aber andererseits musste ich die Entscheidung<br />
treffen, weil ich mich auf unser neues Geschäft konzentrieren wollte.<br />
Irgendwann habe ich dann entschieden: „Nein, es ist das Beste,<br />
wenn ich die Apotheken verkaufe, und zwar jetzt.“<br />
Es ist Ihnen doch sicherlich ähnlich schwergefallen, als Sie sich<br />
vor zehn Jahren aus dem Internetapotheken-Geschäft zurückgezogen<br />
haben, das ja eine Zeit lang sehr erfolgreich lief.<br />
Nein, diese Entscheidung fiel mir vergleichsweise leicht, da gab<br />
es nicht viel zu überlegen. Als ich 1998 das Modell einer Internetapotheke<br />
präsentierte, war ich damit der Erste auf dem holländischen<br />
Markt. Das Geschäft lief vielversprechend, bis die gesamte<br />
Internetökonomie kollabierte und unsere Umsätze binnen weniger<br />
Monate von einem hohen Niveau aus völlig einbrachen. Die Menschen<br />
hatten ganz einfach kein Vertrauen mehr in irgendetwas,<br />
das nach Internet klang. Im medizinischen Bereich ist mangelndes<br />
Vertrauen das Todesurteil.<br />
Da gab es also keinen Entscheidungsspielraum mehr?<br />
Zum Rückzug aus diesem Markt gab es keine Alternative. Das war<br />
eine Existenzfrage. Aber wir haben aus dieser bedrohlichen Situation<br />
heraus im Jahr 2000 schnell eine neue Vision entwickelt. Meine<br />
Idee war es, unser Geschäft auf eine überschaubare Nische zu konzentrieren<br />
und dadurch zusätzlichen Wert zu schöpfen. Das war<br />
die Geburtsstunde von ApotheekZorg, der spezialisierten Apotheke,<br />
die den Patienten nicht nur mit wichtigen Medikamenten versorgt,<br />
sondern ihn auch bei deren Anwendung unterstützt. Sie zielt auf<br />
Menschen mit ernsthaften Krankheiten, die auf Injektionen oder<br />
„Wenn ein Pharma-<br />
unternehmen ein neues<br />
Produkt in der Pipeline<br />
hat, das für uns<br />
interessant sein könnte,<br />
schaue ich es mir ganz<br />
genau an. Da geht es<br />
ausschliesslich um Fakten,<br />
nicht um Intuition.“<br />
Infusionen angewiesen sind. Genau dieser Patientengruppe wollte<br />
ich durch die Kombination von Apotheke und häuslicher Betreuung<br />
einen Nutzen, eine Erleichterung verschaffen. Ein Krebspatient<br />
beispielsweise muss für seine Chemotherapie-Infusion nicht mehr<br />
wie früher ins Krankenhaus, sondern kann daheimbleiben. Ich<br />
glaube, so etwas passiert im Leben nicht selten – dass man aus<br />
einer kritischen Situation heraus etwas Kreatives entwickelt, eine<br />
ganz besondere Idee.<br />
Was war Ihr Leitgedanke bei der Entscheidung für dieses neue<br />
Geschäftsmodell?<br />
Im Mittelpunkt dieser Entscheidung stand primär die Frage, ob sie<br />
dem Patienten einen zusätzlichen Nutzen bringt. Das gilt übrigens<br />
für alle wesentlichen Unternehmensentscheidungen seitdem. Im<br />
Gesundheitssektor geht es nun mal hauptsächlich um Vertrauen –<br />
zwischen Arzt und Patient, aber auch zwischen Apotheker und<br />
Patient. Ein Geschäftsmodell, das keine Vertrauensbasis schafft,<br />
ist in dieser Branche nicht zukunftsfähig. Aber natürlich habe ich<br />
auch die wirtschaftlichen Chancen durchkalkuliert. Ich war der Erste<br />
und Einzige, der ein solches Konzept entwickelt hatte, ein Pionier.<br />
Die Chancen waren vielversprechend, die Risiken überschaubar.<br />
Wir begannen sehr vorsichtig, mit nur einem Medikament – und<br />
waren absolut überrascht, wie grossartig das einschlug.<br />
Erzählen Sie doch ein wenig über diese Anfangszeit. Mit welchem<br />
Medikament haben Sie angefangen, und wie haben Sie es in<br />
den Markt eingeführt?<br />
Es war ein Wachstumshormon für Kinder bis zehn Jahre, das täglich<br />
gespritzt werden muss. Wir haben den Ärzten angeboten, dass<br />
wir zur ersten Anwendung des Medikaments eine Krankenschwester<br />
zu den Kindern nach Hause schicken, die den Eltern alles erklärt:<br />
wie man die Injektion setzt, wie wichtig die regelmässige Verabreichung<br />
ist, welche Probleme oder Nebenwirkungen auftreten können<br />
und was dann zu tun ist.<br />
Kommt die Krankenschwester denn jedes Mal vorbei, wenn der<br />
Patient sich unsicher oder überfordert fühlt? Oder besucht sie<br />
jeden Patienten nur ein Mal?<br />
In den meisten Fällen reicht ein einziger Besuch aus. Es gibt aber<br />
immer einige Patienten, die etwas nicht verstehen oder bis zur<br />
nächsten Injektion etwas Wichtiges vergessen haben. Zu denen<br />
16 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
<strong>Entrepreneur</strong>e Interview<br />
fahren wir dann mehrmals. Andere Patienten wiederum können<br />
sich selbst keine Injektion setzen, etwa weil sie unter schwerer<br />
Arthritis leiden und niemand da ist, der ihnen hilft. In solchen<br />
Fällen kommt unsere Krankenschwester regelmässig zur Injektion.<br />
Diesen Service bieten Sie aber nicht für jedes nur denkbare<br />
Medikament an?<br />
Nein, wir sind hoch spezialisiert, genau darin unterscheiden wir uns<br />
von der Apotheke an der Ecke, die die gesamte Palette an Arzneimitteln<br />
anbietet. Wir beschränken uns auf 20 bis 30 Präparate.<br />
Nach welchen Kriterien wählen Sie die Medikamente aus, die für<br />
das Konzept der spezialisierten Apotheke inklusive Hausbesuch der<br />
Krankenschwester infrage kommen?<br />
Bei einer einfachen Tablette benötigen Sie in der Regel keine Krankenschwester,<br />
die beim Patienten sitzt und aufpasst, wie er sie einnimmt.<br />
Wir befassen uns ausschliesslich mit hocheffektiven Präparaten<br />
gegen schwere und oft chronische Krankheiten wie Parkinson,<br />
Multiple Sklerose, Morbus Bechterew, Arthritis oder Morbus Crohn.<br />
Bei diesen Medikamenten, die meist per Injektion oder Infusion<br />
verabreicht werden, kommt es entscheidend auf die korrekte<br />
Dosierung und Anwendung an. Wenn der Patient ein so hochwirksames<br />
Medikament, etwa eine Chemotherapie gegen eine Krebserkrankung,<br />
falsch dosiert oder die Einnahme vergisst, kann das<br />
schwerwiegende Folgen haben.<br />
Richten sich die wichtigsten Entscheidungen eines <strong>Entrepreneur</strong>s<br />
eigentlich eher auf das Was oder auf das Wer? Anders<br />
gefragt: Geht es für Sie primär um die richtige Strategie oder darum,<br />
die richtigen Führungskräfte an Bord zu holen und um sich<br />
zu scharen?<br />
Das Wer ist die entscheidende Frage. Mit den richtigen, den besten<br />
Leuten trifft man auch die richtigen Entscheidungen. Die Auswahl<br />
der Führungskräfte ist eine der grössten Herausforderungen für<br />
einen Unternehmensführer. Allzu viele Fehler kann ich mir dabei<br />
nicht leisten.<br />
Suchen Sie bewusst Führungskräfte, die Fähigkeiten mitbringen,<br />
die bei Ihnen selbst möglicherweise weniger ausgeprägt sind?<br />
Ja, natürlich, sonst wäre ein schnell wachsendes Unternehmen wie<br />
ApotheekZorg überhaupt nicht steuerbar. Ich bin ein grundsolider<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
17
<strong>Entrepreneur</strong>e Interview<br />
Apotheker, und ich leite dieses Unternehmen. Im Management-Team<br />
haben wir auch noch ein paar andere Apotheker. Das ist sinnvoll,<br />
weil das Unternehmen im Kern ja immer noch eine Apotheke ist.<br />
Aber wir haben auch Experten im Team, die nicht aus der Branche<br />
kommen. Einen Spezialisten in Corporate Finance beispielsweise,<br />
ohne den wir unsere internationale Wachstumsstrategie nicht verfolgen<br />
könnten. Und natürlich brauchten wir auch jemanden, der sich<br />
um die Prozesse kümmert, um IT und Logistik beispielsweise.<br />
Nach welchen Kriterien sind Sie bei der Auswahl vorgegangen?<br />
Es hört sich vielleicht seltsam an, aber unser Logistikspezialist<br />
arbeitete vorher für ein Tabakunternehmen in Sri Lanka – als Leiter<br />
einer Fabrik mit 5 000 Beschäftigten. Ich fand, dass die Produktion<br />
von Zigarren sehr viele Ähnlichkeiten mit unseren Prozessen aufwies.<br />
Zigarren werden gefertigt, in eine Kiste gepackt und versandt.<br />
Unsere Medikamente auch. Eigentlich ist es das Gleiche …<br />
Wenn man sich eine Zigarrenmanufaktur vorstellt, in der fast<br />
alles auf Handarbeit basiert, ist es schwer vorstellbar, dass es<br />
das Gleiche ist …<br />
Ja, es gibt natürlich Manufakturen, zum Beispiel auf Kuba, wo die<br />
Tabakblätter von Hand gerollt werden. Das Werk, das ich meine,<br />
war eine hoch effiziente Fabrik, und da ging es um Downsizing-Prozesse,<br />
Ressourcenplanung, Controlling und Ähnliches. Wir waren<br />
zum damaligen Zeitpunkt in einer Situation, in der wir gerade in<br />
diesen Bereichen ein Defizit hatten. Das Unternehmen war so rapide<br />
gewachsen, dass wir die Prozesse mit Bordmitteln kaum noch in<br />
den Griff bekamen. Wir brauchten jemanden mit langjähriger Erfahrung<br />
in einem schnell wachsenden Unternehmen. Da kam dieser<br />
Spezialist gerade zum richtigen Zeitpunkt.<br />
Sie akzeptieren also Ihr eingeschränktes Know-how in bestimmten<br />
Bereichen und kompensieren es ganz bewusst durch die Auswahl<br />
entsprechender Führungskräfte.<br />
Ich bin ein <strong>Entrepreneur</strong>, ich habe das Unternehmen aufgebaut<br />
und auf einen schnellen Wachstumspfad gebracht. Aber irgendwann<br />
benötigt man zusätzliche Kompetenzen, damit das Unternehmen<br />
sich trotz eines rapiden Wachstums gesund entwickelt und<br />
die Prozesse beherrschbar bleiben. Fast jeder hat doch ein Gespür<br />
dafür, wo seine Stärken liegen und wo nicht. Dann braucht man<br />
Leute an seiner Seite, die diese Defizite kompensieren.<br />
„Ich verlasse mich eindeutig<br />
am meisten auf meine<br />
Erfahrung. Seit fast 25<br />
Jahren bin ich als Apotheker<br />
tätig. Ich weiss, was die Ärzte<br />
beschäftigt, und ich weiss,<br />
wie Patienten auf bestimmte<br />
Dinge reagieren. Ich<br />
entscheide so gut wie nie<br />
intuitiv.“<br />
18 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
<strong>Entrepreneur</strong>e Interview<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
19
<strong>Entrepreneur</strong>e Interview<br />
Die Frage des Wer haben Sie also gelöst. Und wie sieht die<br />
nächste Herausforderung aus?<br />
Jetzt befassen wir uns vor allem mit unserer internationalen<br />
Wachstumsstrategie. Holland ist ein vergleichsweise kleines Land.<br />
Trotzdem werden wir dort in diesem Jahr voraussichtlich mehr als<br />
260 Millionen Euro umsetzen. Hätten wir den gleichen Erfolg, den<br />
gleichen Marktanteil in Deutschland, läge unser Umsatz schon bei<br />
anderthalb Milliarden Euro und statt 120 hätten wir vermutlich<br />
schon 800 Mitarbeiter. Bei Grossbritannien liegt die Sache ähnlich.<br />
Aber es geht nicht nur um mehr Umsatz oder mehr Mitarbeiter.<br />
Das Unternehmen wird sich durch das Wachstum verändern. Bisher<br />
ist ApotheekZorg eine schlanke Organisation. Wir werden aufpassen<br />
müssen, dass die Distanz zwischen dem Management und<br />
den Mitarbeitern in den jeweiligen Ländern nicht zu gross wird.<br />
In der Praxis fallen Entscheidungen im Unternehmen auf der<br />
Basis von Analyse, Intuition und Erfahrung. Wie würden Sie diese<br />
Bestimmungsgründe von Entscheidungen persönlich gewichten?<br />
Ich verlasse mich eindeutig am meisten auf meine Erfahrung. Seit<br />
fast 25 Jahren bin ich als Apotheker tätig. Ich weiss, was die Ärzte<br />
beschäftigt, und ich weiss, wie Patienten auf bestimmte Dinge<br />
reagieren. Ich entscheide so gut wie nie intuitiv. Wenn ein Pharmaunternehmen<br />
ein neues Produkt in der Pipeline hat, das für uns<br />
interessant sein könnte, analysiere ich die Wirkungsweise, ich informiere<br />
mich über die Verabreichung und die Nebenwirkungen und<br />
lasse die bisherige Zusammenarbeit mit diesem Produzenten<br />
Revue passieren. Da geht es ausschliesslich um Fakten, nicht um<br />
Intuition. Die wäre da völlig fehl am Platz.<br />
Aber wenn es um Personalfragen geht, um die Einstellung eines<br />
Mitarbeiters für eine wichtige Position beispielsweise – verlässt<br />
man sich da zu guter Letzt, nachdem man alle Informationen und<br />
Eindrücke aus dem Auswahlverfahren abgewogen hat, nicht doch<br />
auf seine Intuition, wenn die Entscheidung ansteht: Nehmen wir ihn<br />
oder nicht?<br />
Da haben Sie sicherlich recht, aber in solchen Momenten halte ich<br />
mich lieber zurück. Intuitives Entscheiden ist nun mal nicht meine<br />
Stärke. Ich bleibe lieber bei dem, was mir meine Erfahrung und die<br />
Fakten sagen. Zum Glück habe ich aber Kollegen im Management-<br />
Team, die das ausgleichen und bei solchen Entscheidungen den<br />
intuitiven Part übernehmen.<br />
„Ich glaube, so etwas passiert im Leben nicht<br />
selten – dass man aus einer kritischen<br />
Situation heraus etwas Kreatives entwickelt,<br />
eine ganz besondere Idee.“<br />
Lassen Sie häufig das Team entscheiden, um möglichst viel von<br />
dem Wissen, das im Unternehmen vorhanden ist, in die Entscheidung<br />
einfliessen zu lassen?<br />
Ich bin ein grosser Anhänger des Teamgedankens. Die Teammitglieder<br />
befruchten sich gegenseitig, und dadurch kommt man bei<br />
Entscheidungen in vielen Fällen zu besseren Ergebnissen. Allerdings<br />
glaube ich, dass Teams auch eine Gefahr in sich bergen: Es<br />
kommt vor, dass jemand aus dem Team eine gute Idee hat und es<br />
keine halbe Stunde dauert, bis das Team sie völlig zerredet hat<br />
und alle der Meinung sind, dass man die Idee nicht weiterverfolgen<br />
sollte. Da ist es meine Aufgabe als CEO, die Teamdiskussion zu<br />
steuern und aufzupassen, dass gute Initiativen nicht kaputtge redet<br />
werden.<br />
Würden Sie Ihre Führungskräfte eine Entscheidung treffen<br />
lassen, auch wenn Sie selbst Zweifel haben, dass es eine richtige<br />
Entscheidung ist?<br />
Ja, es ist schon vorgekommen, dass ich beispielsweise der Meinung<br />
war, dass ein an und für sich guter Vorschlag für eine neue Aktivität<br />
nicht zur richtigen Zeit kommt. Oder ich war mit dem Weg zur<br />
Erreichung eines Ziels nicht ganz einverstanden. Meine Erfahrung<br />
sagt mir dann, dass es oft mehrere Wege gibt, ein Ziel zu erreichen.<br />
Der von mir favorisierte muss nicht der einzige sein. Also greife<br />
ich zunächst einmal nicht ein, auch wenn ich nicht 100-prozentig<br />
überzeugt bin.<br />
Welche Grundwerte oder Grundüberzeugungen bilden die<br />
Eckpfeiler des Entscheidungsspielraums in Ihrem Unternehmen?<br />
Im Gesundheitssektor ist ein ethisches Fundament unverzichtbar.<br />
Alles, was wir tun, muss dem Patienten dienen. Wir machen nichts<br />
ausschliesslich mit dem Ziel, Geld zu verdienen. Und selbstverständlich<br />
verlassen wir nie auch nur einen Schrittbreit den Boden<br />
der Legalität. Wir überreden beispielsweise die Ärzte nicht, ein<br />
bestimmtes Medikament zu verschreiben, an dem wir möglicherweise<br />
mehr verdienen. Auf solche Dinge achten wir sehr genau.<br />
Wie entscheiden Sie in kritischen Momenten, in denen die Zeit<br />
fehlt, Argumente abzuwägen, Analysen anzustellen, Ihre Entscheidung<br />
aber gefragt ist?<br />
Wenn es nur um Ja oder Nein geht? Dann konsultiere ich unser<br />
Risikomanagement und schaue mir die Risiken der zur Wahl<br />
20 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
<strong>Entrepreneur</strong>e Interview<br />
stehenden Alternativen an. Ich neige dann zu der Alternative, die<br />
mit dem geringeren Risiko verbunden ist.<br />
Gibt es Situationen, in denen es ratsam ist, nicht zu entscheiden,<br />
sondern erst einmal abzuwarten?<br />
Auch das kommt vor. Manchmal sind Entscheidungen derart kompliziert<br />
und komplex, dass es ratsam ist, zwei oder drei Monate<br />
zu warten, bis der Knoten sich von allein entwirrt hat. In unserer<br />
Branche ist es nicht unbedingt üblich, von jetzt auf gleich zu entscheiden.<br />
Wenn ich also der Meinung bin, dass wir noch Zeit brauchen,<br />
um zusätzliche Informationen zu beschaffen, dann nehmen<br />
wir uns diese Zeit. Das ist doch einer der wichtigsten Aspekte von<br />
Entscheidungen: zu wissen, wann der richtige Zeitpunkt für die<br />
Entscheidung gekommen ist.<br />
Das klingt auf jeden Fall so, als ob Sie eher ein vorsichtiger<br />
Mensch sind und keine Spielernatur.<br />
Absolut. Spielernaturen haben im Gesundheitssektor nichts zu suchen.<br />
Schliesslich geht es hier um Menschen und nicht um irgendein<br />
Konsumgut. Das darf man nie vergessen.<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Hans Smit<br />
Gründer und Chief Executive Officer ApotheekZorg B.V.<br />
Der heute 49-jährige Arztsohn Hans Smit sollte nach dem Willen seines<br />
Vaters ebenfalls den Beruf des Arztes wählen. Er entschied sich aber für<br />
ein Pharmaziestudium, das er 1985 abschloss. Bereits ein Jahr später<br />
eröffnete er drei Apotheken im niederländischen Almere. Ende der neunziger<br />
Jahre baute er eine Internetapotheke auf. Das Konzept scheiterte<br />
mit dem Niedergang der New Economy. Im Jahr 2000 gründete Smit<br />
ApotheekZorg, sein bis heute existierendes Unternehmen. <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong><br />
kürte ihn zum niederländischen <strong>Entrepreneur</strong> Of The Year 2009.<br />
ApotheekZorg B.V.<br />
Das niederländische Unternehmen mit Management-Sitz in Amsterdam<br />
hat sich auf Gesundheitsdienstleistungen im Apothekensektor spezialisiert.<br />
ApotheekZorg (holländisch für „Apotheke“ und „Pflege“) liefert in<br />
den gesamten Niederlanden und mittlerweile auch in Belgien und Luxemburg<br />
mit eigenen Kurieren 24 Stunden am Tag passgenau auf den Patienten<br />
abgestimmte Medikamente – insbesondere gegen schwere chronische<br />
Krankheiten wie Arthritis, Parkinson oder Multiple Sklerose – nach Hause.<br />
Eine besondere Dienstleistungsinnovation ist das im Jahr 2003 eingeführte<br />
Konzept der „mobilen Krankenschwester“. ApotheekZorg beschäftigt<br />
45 erfahrene Krankenschwestern, die die Patienten zu Hause aufsuchen,<br />
ihnen die Einnahme der Medikamente erklären und auch Injektionen<br />
und Infusionen vornehmen. Die „mobile Krankenschwester“ bringt den<br />
Patienten ein höheres Niveau in ihrer Gesundheitsversorgung, vermeidet<br />
in etlichen Fällen einen Arztbesuch oder eine stationäre Aufnahme<br />
und erhöht die Effektivität teurer Medikamente: Denn nur ein richtig angewendetes<br />
und dosiertes Medikament erreicht die erhoffte Wirkung.<br />
Ein Beispiel ist ein (sehr teures) Präparat gegen Multiple Sklerose. Da<br />
das Medikament in den ersten Monaten schwere Nebenwirkungen mit sich<br />
bringt, stoppten früher 50 Prozent der Patienten nach einiger Zeit die<br />
Einnahme. Nachdem eine ApotheekZorg-Krankenschwester die Patienten<br />
in den ersten Monaten nach der Verschreibung nun drei Mal aufsucht, ist<br />
die Abbrecherquote auf zehn Prozent gesunken.<br />
In den vergangenen Jahren konnte das Unternehmen, das derzeit knapp<br />
120 Mitarbeiter beschäftigt, beeindruckende Wachstumsraten bei Umsatz<br />
und Gewinn vorweisen. Allein zwischen 2005 und 2009 erhöhte sich der<br />
Umsatz von 53 Millionen auf 200 Millionen Euro, der Gewinn vor Steuern<br />
wuchs von 0,79 auf 3,91 Millionen Euro. Die Ziele für die nächsten Jahre<br />
sind ehrgeizig: Der Umsatz soll im laufenden Jahr 260 Millionen Euro erreichen<br />
und schon in wenigen Jahren bei 350 Millionen Euro liegen. Aktuell<br />
denkt Smit über eine Ausweitung der Aktivitäten nach Deutschland,<br />
Grossbritannien, in die Schweiz und nach Skandinavien nach.<br />
21
<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />
Passt!<br />
Mit Begeisterung und Bedacht hat Werner Böck aus dem Nischen-Label Marc O’Polo eine europaweit führende Lifestyle-Marke gemacht mit<br />
der Philosophie „Modern Casual“. Und damit den Beweis geliefert, dass man auch aus der Not heraus sehr erfolgreich sein kann. „Wir sind<br />
wie unsere Kunden, wir verkleiden uns nicht“, sagt Werner Böck. Eine klare Linie – das gilt für seine Mode wie für seine Entscheidungen.<br />
22 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Fotos: Michael Herdlein
<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 23
<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />
„Wir sind keine Trendmacher. Trends<br />
verändern sich so schnell. Wir haben<br />
ein klares Gesicht, und ein Gesicht<br />
bekommt man nur durch Weglassen.“<br />
24 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />
Alexander Gedat,<br />
Vorstand für Vertrieb.<br />
In der gewachsenen<br />
Vertrauenskultur des<br />
Unter nehmens fungiert<br />
er seit 15 Jahren<br />
als hochgeschätzter<br />
Sparringspartner von<br />
Werner Böck.<br />
Mit federndem Schritt kommt Werner Böck näher. Über dem weissen<br />
Hemd trägt er ein blaues Sakko mit fein gewebtem Muster, aus<br />
der Brusttasche lugt ein blau-weisses Einstecktuch hervor. Seine<br />
Beine stecken in einer bequemen, beigen Hose. Die Schuhe an seinen<br />
Füssen schimmern hellbraun. Natürlich trägt Werner Böck von<br />
oben bis unten Marc O’Polo, so wie jeden Tag. Schliesslich steht der<br />
67-Jährige wie kein Zweiter für diese Marke, als Mehrheitseigner<br />
und Vorstandsvorsitzender der Marc O’Polo AG in Stephanskirchen<br />
bei Rosenheim. Vor allem aber als der Mann, der aus dem Nischen-<br />
Modelabel einen führenden europäischen Lifestyle anbieter gemacht<br />
hat – mit denselben Tugenden, die auch seine Mode kennzeichnen:<br />
Modernität und Bodenständigkeit, Natürlichkeit und<br />
Qualität, mit einer klaren Linie und eindeutigen Entscheidungen.<br />
„Wir machen keine Hosen mit drei Beinen“, sagt Werner Böck. „Wir<br />
entwerfen Kleidung, die man länger tragen kann als drei Monate.<br />
Und wir sind wie unsere Kunden: Wir verkleiden uns nicht.“<br />
Mode ist Ausdruck einer inneren Haltung, und es ist schon frappierend,<br />
wie sehr die Mode von Marc O’Polo auch zu den unternehmerischen<br />
Entscheidungen Werner Böcks passt. Seine Geschichte ist<br />
die steter Wandlungen, ohne dass er seine Identität jemals aufgegeben<br />
hätte. Dass er vor 42 Jahren als Hippie anfing und nun als erfolgreicher<br />
Geschäftsmann auftreten kann, ist dabei kein Widerspruch.<br />
„Ich will immer wieder etwas Neues, ich will etwas<br />
verändern“, sagt Werner Böck. „Das treibt mich an.“<br />
Seine Geschichte beginnt in Oberbayern, in Rosenheim, rund 70<br />
Kilometer südöstlich von München, inmitten von Wiesen und klarer<br />
Luft. „Mode hatte ich von Beginn an im Blut“, erinnert sich Werner<br />
Böck an seine Kindheit. Die Mutter hat eine Hutmacherei, später<br />
betreibt der Vater ein Herrenmodegeschäft. Dort absolviert der<br />
Sohn seine Lehre zum Textilkaufmann, bevor er nach einem Textilwirtschaftsstudium<br />
in den sechziger Jahren nach London aufbricht,<br />
auf der Suche nach einem Job. „London war hip damals“, erinnert<br />
sich Werner Böck. „Alles war sehr modern. Das war eine gute Erfahrung.“<br />
Und doch kehrt er nach Rosenheim zurück. Was zunächst<br />
wie eine Niederlage aussieht, entpuppt sich als entscheidender<br />
Schritt im Leben des Werner Böck. Auf der Suche nach neuer<br />
Ware für den Herrenausstatter des Vaters entdeckt er 1967 auf<br />
einer Messe in Köln eine Mode, die so ganz anders ist als alles,<br />
was er bislang gesehen hat. „Das waren so schöne Hemden“, sagt<br />
Werner Böck. „Die hatten Look, einen Stil. Sie waren handgewebt,<br />
und die Mustervielfalt war enorm. Vor allem aber waren sie aus Naturmaterialien<br />
wie Baumwolle, Leinen oder Seide. Nicht so wie die<br />
damals üblichen Sachen aus Nylon. Da habe ich einen Ruck gespürt<br />
– ich wollte das einfach haben. Fertig.“<br />
Es ist Werner Böcks erste Begegnung mit dem Modelabel Marc O’Polo,<br />
einer jungen schwedischen Firma, gegründet von zwei Schweden<br />
und einem Amerikaner. „Das waren Hippies“, erinnert sich Werner<br />
Böck. „Die reisten nach Indien und meditierten. Aber ich hatte damals<br />
auch lange Haare, wir waren ja irgendwie alle Hippies damals.<br />
Die Persönlichkeit war wichtig, und die Chemie stimmte einfach.“<br />
Werner Böck ist erst 25 Jahre alt, und er trifft die Entscheidung<br />
seines Lebens – für Marc O’Polo. Im Jahr 1968 übernimmt er den<br />
Vertrieb für Deutschland, Österreich und die Schweiz.<br />
Eine Bauchentscheidung<br />
Dass ihm die Firma einmal gehören wird, ahnt er zu diesem Zeitpunkt<br />
noch nicht. Aber er trifft seine Entscheidungen bereits früh<br />
mit der ihm eigenen Mischung aus Begeisterung und Bedacht.<br />
„Viele haben damals geglaubt, ich habe einen Vogel“, sagt Werner<br />
Böck. „Nun ja, stattdessen kannte ich schon ein paar Dutzend<br />
Einkäufer von Modehäusern, denen ich meine Sachen anbieten<br />
konnte. Ich wusste einfach, dass es klappt.“<br />
Werner Böck behält recht. Zwar nimmt er als Vertriebspartner während<br />
der folgenden knapp 20 Jahre nur wenig Einfluss auf die Management-Entscheidungen<br />
bei Marc O’Polo, aber das Unternehmen<br />
entwickelt sich prächtig. Im Jahr 1972 schafft Marc O’Polo den<br />
Durchbruch mit einfarbigen T-Shirts und Pullovern aus Baumwolle,<br />
auf denen breit der Markenname prangt. Die Teile verkaufen sich<br />
millionenfach. Drei Jahre später erweitern die Schweden ihre Kollektion<br />
zu einer kompletten Damen- und Herrenlinie, liefern künftig<br />
mehr als ein Mal im Jahr neue Stücke. Werner Böck macht Deutschland<br />
zum bis heute wichtigsten Absatzmarkt für Marc O’Polo, indem<br />
er immer neue Abnehmer findet und ein Franchisesystem etabliert.<br />
Dabei wagt er sich an Neues: Im Jahr 1979 eröffnet er in Düsseldorf<br />
direkt neben seinem schärfsten Konkurrenten den ersten Marc-<br />
O’Polo-Monostore in Deutschland. „Ich wollte einfach beweisen, dass<br />
die Marke stark genug dafür ist“, erinnert sich Böck. „Eine solche<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 25
<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />
Entscheidung trifft man nicht ohne den Bauch. Erfahrung und Gefühl<br />
– das kommt ja immer zusammen Aber ich folge meinem Bauch<br />
auch mal dann, wenn die Zahlen eigentlich dagegen sprechen.“<br />
Nur wenige Jahre später wird er wieder auf seinen Bauch hören.<br />
Auch wenn ihm die Umstände gehörig Magengrummeln bereiten.<br />
Mitte der achtziger Jahre gerät Marc O’Polo ins Schlingern. „Die<br />
Gründer waren immer länger in Indien und abwesend“, erinnert<br />
sich Böck. „Darunter litt die Qualität. Irgendwann reichte die nicht<br />
mehr für deutsche Verhältnisse. Und auch der Vertrieb im Mutterhaus<br />
war eine Katastrophe.“ Verkaufsgerüchte machten die Runde.<br />
Werner Böck aber trug in Deutschland Verantwortung für rund 50<br />
Mitarbeiter und diverse Franchisenehmer – er musste verhindern,<br />
dass Marc O’Polo dauerhaft Schaden nimmt. „Ich wollte Einfluss<br />
haben und brauchte dafür eine Stimme im Aufsichtsrat. Deshalb<br />
habe ich 1987 40 Prozent der Unternehmensanteile gekauft.<br />
Ich glaubte an die Marke, aber ich habe mich vor allem aus einem<br />
Sicherheitsbedürfnis heraus für diesen Schritt entschieden.“<br />
Eigenverantwortlichkeit und Expansion<br />
Unter Werner Böcks Einfluss richtet sich Marc O’Polo wieder auf<br />
und legt mit der Vergabe von Lizenzen für Schuhe, Brillen und Unterwäsche<br />
die Grundlage für die Entwicklung zum Lifestyleanbieter.<br />
Böck schickt auch einen deutschen Manager nach Schweden, um<br />
die entscheidenden Probleme zu lösen. „Beim Präsentieren war<br />
dann alles prima“, sagt er. „Aber mit der Umsetzung hat es nicht<br />
wirklich geklappt.“ So entschliesst sich Werner Böck im Jahr 1997<br />
zum massgeblichen Schritt – für sich selbst wie auch für Marc O’Polo.<br />
Er kauft weitere 40 Prozent, übernimmt damit die Mehrheit und<br />
die volle Verantwortung für das Unternehmen. „Hätte ich damals<br />
eine haarkleine Analyse gemacht“, lacht Böck, „dann sässe ich wohl<br />
heute nicht hier. Ich habe unter Druck entschieden, quasi aus der<br />
Not heraus. Der Punkt ist aber: Die Marke war stark und eindeutig.<br />
Und ich habe es mir zugetraut, denn ich hatte klare Ziele: Profitabilität,<br />
Wachstum, Begehrlichkeit. Natürlich hatte ich Herzklopfen,<br />
aber das ist doch toll. Und wenn eine Entscheidung einmal gefallen<br />
ist, wird auch nicht mehr gehadert.“<br />
Kaum verwunderlich, dass er auch dabei nicht einfach ins kalte<br />
Wasser sprang. Schon ein Jahr vor der Übernahme stellte er sich<br />
neue Lieferanten und ein neues Team zusammen. Menschen, mit<br />
denen gemeinsam er seitdem endlich entscheiden kann, was und<br />
wie er es will. Denn mit der Übernahme verlegte Werner Böck die<br />
Firmenzentrale von Stockholm komplett nach Stephanskirchen und<br />
fing im Grunde neu an. Design, Produktionsplanung, Vertrieb und<br />
Marketing – alles kam unter ein gemeinsames Dach. „Die wichtigsten<br />
Entscheidungen aber sind die für Menschen“, sagt Böck. Ohne<br />
die richtigen Mitarbeiter, das ist ihm damals schon klar, wird er diese<br />
Herausforderung nicht meistern.<br />
Er sammelt junge, erfolgshungrige Menschen um sich, und gemeinsam<br />
schaffen sie es, die Firma wieder in die Spur zu bringen. Denn<br />
sie konzentrieren sich auf das, was entscheidend ist: Qualität und<br />
Verlässlichkeit. „Handelspartner und Kunden müssen wissen, was<br />
sie an Marc O’Polo haben“, sagt Werner Böck, „und das jederzeit.<br />
Und ich wollte in den Premiumbereich vorstossen.“ Bei Material und<br />
Verarbeitung machen sie keine Kompromisse mehr. Sie richten ein<br />
Zentrallager ein und schaffen endlich strikte Liefertreue für ihre<br />
Handelspartner. Sie vergeben weitere Lizenzen, für Taschen, Bademode,<br />
Strumpfwaren, Schmuck und Parfum, und bauen so eine ganze<br />
Lifestylewelt. Sie unterscheiden sehr genau zwischen dem, was sie<br />
selbst können, und dem, was bei Spezialisten besser aufgehoben ist.<br />
Doch die Kontrolle geben sie niemals ab – so holen sie die Lizenz für<br />
Schuhe wieder zurück ins eigene Unternehmen. Und sie entscheiden<br />
sich ganz bewusst gegen eine Expansion auf Risiko, konzentrieren<br />
sich auf Deutschland und Europa. Kaufofferten weist Werner Böck<br />
beharrlich zurück. Er behält seine Anteile und verzichtet dafür auf<br />
Finanzspritzen von aussen. „Eigenständigkeit ist ein hohes Gut“, sagt<br />
Böck. „Das habe ich in der Schweden-Zeit gelernt.“<br />
Trotz des höheren Risikos eröffnet Marc O’Polo neben Franchisegeschäften<br />
auch immer mehr eigene Filialen, um im eigenen Unternehmen<br />
zu lernen, worauf es Einzelhandelspartnern ankommt.<br />
So beliefern sie die Geschäfte nur noch „scheibchenweise“ und<br />
sichern damit einen stets neuen Warenfluss, ohne auf Restposten<br />
sitzen zu bleiben. Sie steigern den Output auf acht Kollektionen<br />
pro Jahr. Um sich nicht nur auf ihr Gefühl verlassen zu müssen,<br />
installieren sie ausgefeilte Warenwirtschaftssysteme, verbinden<br />
dadurch Emotionen und Fakten zu eindeutigen Erkenntnissen über<br />
Erfolg oder Misserfolg ihrer Entwürfe – und können so rechtzeitig<br />
nachliefern, sobald ein Teil vergriffen ist.<br />
26 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />
„Ich folge meinem Bauch auch mal dann,<br />
wenn die Zahlen eigentlich dagegen sprechen.“<br />
Nach einigen stabilen Jahren rasen die Zahlen nach oben, denn Marc<br />
O’Polo schafft den Einstieg bei wichtigen Schlüsselkunden wie Peek<br />
& Cloppenburg. Vom Jahr 2005 bis 2010 wächst der Umsatz von<br />
158 auf 329 Millionen Euro, die Zahl der Mitarbeiter steigt von 550<br />
auf über 1 400 Angestellte. Mittlerweile beliefert Marc O’Polo weltweit<br />
rund 2 500 Geschäfte oder Warenhäuser. Aus der kleinen Modefirma<br />
ist ein international operierender Lifestyleanbieter geworden,<br />
den man gemeinhin in Mailand, Stockholm oder München vermuten<br />
würde. Doch der Weg zu Marc O’Polo führt durch Wiesen, Einfamilienhaussiedlungen<br />
und einen Wald in ein wenig glamouröses Gewerbe -<br />
gebiet. Das passt zu Marc O’Polo, geht es dem Unternehmen doch<br />
nicht um Glanz oder Eitelkeiten. „Wir sind keine Trendmacher“, sagt<br />
Werner Böck. „Trends verändern sich so schnell. Wir haben ein klares<br />
Gesicht, und ein Gesicht bekommt man nur durch Weglassen.“<br />
Es ist auch eine gehörige Portion Demut, die den Erfolg von Werner<br />
Böck und seiner Firma Marc O’Polo ausmacht. Mit dem Wechsel<br />
vom Vertriebspartner zum Unternehmenschef hat Böck eine<br />
Organisation geschaffen, die längst zu gross ist, als dass er darin<br />
noch alles allein entscheiden könnte. Fragt man Böck nach seiner<br />
wichtigsten unternehmerischen Entscheidung, nennt er die Entdeckung<br />
des kleinen Hippie-Labels von damals. Aber vielleicht ist es<br />
auch seine Fähigkeit, Entscheidungen abzugeben – gerade weil es<br />
ihm nicht immer leichtfällt. „Einen Inhaber werden Sie niemals<br />
dazu kriegen, dass er den Mund hält“, sagt Werner Böck. Er hält<br />
es weiterhin, wie er es immer gehalten hat: Er mischt sich ein.<br />
Denn alles steht und fällt mit dem Kern der Marke. Natürlich beschäftigt<br />
das Unternehmen professionelle Designer, gänzlich freie<br />
Hand haben sie bei Werner Böck jedoch nicht. „Sie können selbst<br />
entscheiden, solange es der Marke nicht weh tut“, sagt er. „Aber<br />
jeder Designer will sich selbst verwirklichen, deshalb bedarf es der<br />
Kontrolle. Ich habe mich zwar schon etwas zurückgenommen, aber<br />
bis heute schaue ich mir jedes Muster an. Und dann gibt es durchaus<br />
auch mal ein Nein.“ Unternehmerische Entscheidungen sind<br />
ihm zu wichtig, als dass er die Auseinandersetzung darüber scheuen<br />
würde. „Ich muss mich nicht immer durch setzen, aber lenken<br />
möchte ich schon.“<br />
Werner Böck hat seinem Unternehmen die richtige Struktur verliehen,<br />
um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Direkt nach<br />
der Übernahme hat er Marc O’Polo als Aktiengesellschaft<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 27
<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />
28 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
<strong>Entrepreneur</strong>e Report<br />
aufgestellt und die Vorstandsposten an vertrauensvolle Kollegen<br />
übergeben, die ihn nunmehr seit vielen Jahren begleiten. Mittlerweile<br />
hat sich eingestellt, was Werner Böck von Beginn an bezweckte:<br />
eine gewachsene Vertrauenskultur, in der er Aufgaben<br />
guten Gewissens delegieren kann. Etwa an Alexander Gedat, Vorstand<br />
für Vertrieb. Der 46-jährige Manager ist seit 15 Jahren dabei<br />
und ein guter Sparringspartner für Werner Böck. Er hat auch die<br />
Verlagerung des Marc O’Polo Firmensitzes von Stockholm nach<br />
Stephanskirchen mitverantwortet und ist seit 2004 mit fünf Prozent<br />
an der Marc O’Polo AG beteiligt. So wie auch sein Kollege<br />
Andreas Baumgärtner, Vorstand für Design, Produktion und Lizenzen.<br />
2008 kam noch Jürgen Hahn, Vorstand für Finanzen, dazu.<br />
Eindeutige Personen, eindeutig verantwortlich für bestimmte Themen<br />
– eine Entscheidung sei das, meint Böck, mit der er sich noch<br />
heute „sauwohl“ fühle. „Ich bin nicht mehr der zentrale Entscheider,<br />
sondern der Fragesteller, und diese Rolle passt wunderbar.<br />
Beschlüsse im Vorstand fallen demokratisch – was aber bedeuten<br />
kann, dass wir uns vorher gehörig hakeln. Das Produkt selbst und<br />
das Marketing – das ist eben mein Ding. Mit EDV hingegen kann ich<br />
mich nicht befassen, und auch Finanzen sind nicht so meins.“ Das<br />
heisst, dass er sich durchaus auch mal beraten lässt. „Wenn ich mir<br />
bei etwas unsicher bin, frage ich Menschen, die davon mehr verstehen.<br />
Es kommt nur darauf an, wen man fragt.“ Das ist nicht nur<br />
ein schöner Spruch – vor kurzem hat Werner Böck einen speziellen<br />
Marken-Vorstand berufen: Christof Macke, seit 2010 Vorstand für<br />
Marketing. Also auf Werner Böcks ureigenem Gebiet.<br />
Als Beginn seines Ausstiegs will Werner Böck diesen Schritt freilich<br />
nicht verstanden wissen. Sicherlich, er ist mittlerweile 67<br />
Jahre alt, und seit zwei Jahren spielt er Golf. Aber fürs Altenteil<br />
ist Böck noch lange nicht reif, auch wenn er viel mit seiner freien<br />
Zeit anzufangen wüsste. Aber es wäre eine schwerwiegende Entscheidung.<br />
Vielleicht die schwerste in seinem Unternehmerleben?<br />
Werner Böck lächelt ein wenig, wenn er darüber nachdenkt. „Ein<br />
solcher Schritt fällt nicht leicht, wenn einem ein Unternehmen<br />
gehört. Und ich bin ja gern hier in der Firma. Aber nicht mehr jeden<br />
Tag. Daran möchte ich eigentlich nichts ändern.“<br />
„Ich will immer wieder etwas Neues, ich will<br />
etwas verändern. Das treibt mich an.“<br />
Werner Böck<br />
Vorstandsvorsitzender der Marc O’Polo AG, Stephanskirchen<br />
Werner Böck, 67, stammt aus Rosenheim in Bayern und hat Textilwirtschaft<br />
studiert. Auf der Suche nach neuer Ware für das Herrenmodegeschäft<br />
seines Vaters entdeckt er 1967 auf einer Messe in Köln das<br />
kleine schwedische Modelabel Marc O’Polo und ist sofort begeistert von<br />
den natürlichen Materialien und farbenfrohen Mustern. 20 Jahre lang<br />
übernimmt er den Vertrieb für Deutschland, Österreich und die Schweiz<br />
und baut Deutschland dabei zum wichtigsten Markt für Marc O’Polo aus.<br />
Im Jahr 1987 kauft er 40 Prozent der Unternehmensanteile, 1997 sichert<br />
er sich die Mehrheit und verlegt den Unternehmenssitz von Stockholm<br />
nach Stephanskirchen bei Rosenheim.<br />
Seitdem hat Werner Böck die Firma auf einem insgesamt stagnierenden<br />
Markt zu einem führenden CasualLifestyleAnbieter in Europa ausgebaut,<br />
der neben Kleidung für Männer, Frauen und Kinder auch Accessoires,<br />
Schuhe, Bademoden, Unterwäsche, Strumpfwaren, Brillen, Schmuck und<br />
Parfum, sowie die eigenständige Kollektion „Campus“ für Männer und<br />
Frauen vertreibt. Marc O’Polo steht heute für einen urbanen, lässigen<br />
Lifestyle mit gehobenem Anspruch. Zur schwedischen Herkunft der<br />
Marke gehört die Vorliebe für natürliche Materialien.<br />
Innerhalb von zehn Jahren hat Werner Böck den Umsatz auf zuletzt<br />
329 Millionen Euro gesteigert, Deutschland ist mit einem Umsatzanteil<br />
von über 60 Prozent der für Marc O’Polo wichtigste Markt. Das Unternehmen<br />
macht stetig Gewinne und beschäftigt rund 1 400 Mitarbeiter,<br />
davon etwa 1 100 in Deutschland. Marc O’Polo beliefert inter national<br />
83 eigene Geschäfte, 122 FranchiseStores, über 1 000 Flächenpartner<br />
und 1 400 MultiBrandStores. Das Unternehmen ist organisch gewachsen,<br />
ohne Übernahmen oder die Beteiligung von Dritten. Werner Böck hält<br />
heute 89 Prozent der Anteile. Zurückziehen will sich der Kunstliebhaber<br />
und Freizeitwinzer noch nicht. Ob seine beiden fast erwachsenen Söhne<br />
bei Marc O’Polo einsteigen werden, ist derzeit ungewiss.<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 29
Foto: gettyimages
<strong>Entrepreneur</strong>e Porträt<br />
Der Mann<br />
von der Tankstelle<br />
Marcelo Alecrim<br />
Gründer und Präsident der ALESAT Combustíveis S.A.<br />
Der Zufall stellte Marcelo Alecrim neben eine Zapfsäule. Dort lernte er das Geschäft<br />
mit Tankstellen von der Pike auf kennen. So gut, dass er heute einer der Grossen<br />
seiner Branche ist. Glück, Zufall, Intuition: Wenn man Alecrim glaubt, war es nicht<br />
schwer, immer die richtige Entscheidung zu treffen. Sieht man genauer hin, steckt<br />
dahinter viel Arbeit und vor allem eine intime Kenntnis des Marktes, seiner Kunden<br />
und ihrer Mentalität.<br />
Fotos: Jürgen Frank<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 31
<strong>Entrepreneur</strong>e Porträt<br />
„Geschäft und Sport haben vieles gemeinsam“, sagt Marcelo<br />
Alecrim. „Beides hat ein bisschen mit Glück zu tun.“ Alecrim ist ein<br />
umgänglicher, kräftig gebauter Mittvierziger, und man fragt sich,<br />
welche Sportart man sich für ihn vorstellen kann. „Können ist<br />
wichtig“, fährt er fort, „aber noch wichtiger ist der Einsatz, die<br />
Anstrengung, die man in eine Sache steckt. Das macht häufig den<br />
entscheidenden Unterschied. Nicht immer ist es das beste Team,<br />
das gewinnt. Es ist das Team, das am besten spielt.“<br />
Marcelo Alecrim kam im Nordosten Brasiliens zur Welt. Canguaretama,<br />
das Dorf, in dem er aufwuchs, liegt am Meer. Kein Wunder<br />
also, dass der Sport seiner Kinder- und Jugendjahre das Schwimmen<br />
war. „Ich war in der Jugendnationalmannschaft meines Bundesstaates<br />
Rio Grande do Norte“, sagt er. Das sieht man ihm heute<br />
nicht mehr an; doch die Zielstrebigkeit und Ausdauer des Leistungssportlers<br />
sind ihm geblieben. Sie haben ihn im grössten Land<br />
Südamerikas zum viertgrössten Lieferanten von Tankstellen gemacht<br />
– und das in nur anderthalb Jahrzehnten.<br />
Alecrim war 14 Jahre alt, als sein Vater Mitte der siebziger Jahre<br />
eine Tankstelle kaufte. „Es war eine kleine Tankstelle“, erinnert er<br />
sich. „Mein Vater verkaufte etwa 80 000 Liter im Monat.“ Aber im<br />
strukturschwachen Nordosten Brasiliens haben Tankstellen, unabhängig<br />
von ihrer Grösse, eine soziale Funktion, die nicht nur Autofahrer<br />
interessiert: Sie sind ein Treffpunkt. „Ich war fasziniert und<br />
half natürlich im Laden mit.“ Der junge Mann verbringt viel Zeit an<br />
der Zapfsäule und am Verkaufstresen, und der Vater erkennt bei<br />
ihm ein Talent im Umgang mit Kunden. Anfang der achtziger Jahre<br />
schickt er ihn zum Wirtschaftsstudium an die Universität und überträgt<br />
ihm schliesslich Verantwortung. „Als mein Vater aus gesundheitlichen<br />
Gründen ein halbes Jahr lang ausfiel, konnte ich mich<br />
allein um das Geschäft kümmern und selber Entscheidungen treffen“,<br />
sagt Alecrim. Er war damals 19. Die Entscheidungen, die er<br />
traf, sollten seinen künftigen Weg bestimmen.<br />
Die Tankstelle von Alecrim senior wurde von Esso beliefert. Dort<br />
blieb das Wirken seines Sohnes nicht unbemerkt: Auch wenn er nur<br />
vorübergehend und aushilfsweise tätig wurde – Marcelo Alecrim<br />
verstand es, den Umsatz der Tankstelle merklich zu steigern. „Esso<br />
bot mir an, mich auch um andere Tankstellen zu kümmern, die nicht<br />
so gut liefen“, erinnert er sich. Kundenkenntnis und Betriebswirt-<br />
32<br />
„Die Entscheidung, ein Unternehmen zu<br />
gründen, fiel mir nicht schwer: Ich hatte eine<br />
Marktnische identifiziert und wollte sie nutzen,<br />
bevor es ein anderer tat.“<br />
schaft beflügelten seine unternehmerische Phantasie: „Ich fing an,<br />
Minimärkte einzurichten, die Bezahlung per Kreditkarte einzuführen<br />
und eine Reihe anderer Angebote zu machen.“ Nach wenigen<br />
Jahren führte Alecrim eine kleine Kette von 13 Tankstellen. Das<br />
Studium hatte er inzwischen abgebrochen. „Alles was ich weiss,<br />
weiss ich aus Erfahrung“, sagt er. Sie half ihm, den Absatz der<br />
väterlichen Tankstelle in sechs Jahren auf 400 000 Liter im Monat<br />
zu steigern – fünf Mal so viel wie vorher.<br />
Marktnische im Nordosten<br />
Der Vater hatte es richtig erkannt: Marcelo war ein Naturtalent.<br />
Neben Ideen, um seine Tankstellen zum Laufen zu bringen, hatte<br />
er Pläne, weitere Glieder der Wertschöpfungskette zu kontrollieren.<br />
So verkaufte er 1992 das Auto seiner Mutter und erwarb dafür<br />
einen Lastwagen: ein erster Schritt, um in die Belieferung der<br />
Tank stellen einzusteigen und den Transport vom Depot zur Verkaufsstelle<br />
zu organisieren. Alecrim begann, im Gastransportgeschäft<br />
tätig zu werden.<br />
Mit einer Fläche von 8,5 Millionen Quadratkilometern ist Brasilien<br />
das grösste Land Lateinamerikas. Seit Mitte der fünfziger Jahre regulierte<br />
der Staat alles, was mit der Infrastruktur zusammenhing,<br />
so auch die Treibstoffversorgung. Benzin und Diesel wurden allein<br />
durch das staatliche Unternehmen Petrobras verkauft – und subventioniert.<br />
Die Rolle der wenigen Mineralölgesellschaften beschränkte<br />
sich darauf, Tankstellen zu beliefern; betreiben durften<br />
sie sie nicht. Das Verhältnis zu ihnen gestalteten Verträge, aus<br />
denen sich die Verkaufsstellen jedoch nicht lösen konnten.<br />
„Ich merkte bald, dass die grossen Konzerne die kleinen Tankstellen<br />
im Nordosten schlecht behandelten“, sagt Alecrim. Er erkannte<br />
eine Marktnische für einen Lieferanten, der den Kunden günstigere<br />
Konditionen bietet – sah aber unter den bestehenden Gesetzen keine<br />
Möglichkeit, ein solches Unternehmen zu gründen.<br />
Erst Mitte der neunziger Jahre setzte eine Liberalisierung des<br />
brasilianischen Kraftstoffmarktes ein. Die neu geschaffene Agência<br />
Nacional do Petróleo (ANP) zwang Petrobras, Treibstoff an jeden<br />
zu verkaufen, der als Verteiler auftreten wollte – also nicht nur an die<br />
Handvoll etablierter, grosser Unternehmen. Zugleich erlaubte ANP<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
<strong>Entrepreneur</strong>e Porträt<br />
den Tankstellen, ihre exklusive Bindung an einen Lieferanten zu<br />
kündigen und als unabhängige, freie Tankstelle aufzutreten.<br />
Marcelo Alecrim war mittlerweile 30 Jahre alt. Sein halbes Leben<br />
hatte er mit Tankstellen verbracht. Jetzt war die Gelegenheit da,<br />
einen beherzten Schritt zu tun: 1996 gründete er Satélite Distribuidora<br />
de Petróleo S/A – kurz SAT. „Die Entscheidung, ein Unternehmen<br />
zu gründen, fiel mir nicht schwer: Ich hatte eine Marktnische<br />
identifiziert und wollte sie nutzen, bevor es ein anderer tat.“<br />
SAT spezialisierte sich auf die Belieferung kleiner Tankstellen im<br />
Nordosten Brasiliens. Deren geringe Umsätze und periphere Lage<br />
in einem vergleichsweise wenig erschlossenen Gebiet trugen dazu<br />
bei, dass sie den grossen Treibstoffversorgern nicht lohnend erschienen.<br />
Sie konzentrierten sich vorrangig darauf, ihr Netz in den<br />
grösseren Städten auf- und auszubauen. Im strukturschwachen<br />
Nordosten stiess Alecrim daher zunächst auf wenig Widerstand.<br />
Seine Idee war, die Verkehrsströme von der Strasse aufs Wasser zu<br />
verlagern: Statt auf Lastwagen, transportierte er den Treibstoff in<br />
Tankschiffen. Dies bedeutete einen höheren Kapital- und Planungsaufwand<br />
und zwang ihn, ein System von Tanklagern aufzubauen.<br />
Überdies brauchte er die Hilfe von Fachleuten. Hier konnte er Kontakte<br />
nutzen, die er über die Jahre hinweg geknüpft hatte: Alecrim<br />
überredete den Esso-Manager Jucelino Sousa, als leitender Geschäftsführer<br />
zu ihm zu kommen. Sousa hatte 13 Jahre lang für<br />
multinationale Unternehmen gearbeitet und brachte wiederum<br />
wertvolle Kontakte zu Tankstellenbetreibern, der staatlichen Petrobras,<br />
Transportunternehmen und anderen Akteuren der Industrie<br />
mit. Gemeinsam stellten sie weitere Mitarbeiter ein.<br />
Die grossartigen ersten Jahre<br />
Für Alecrim war das eine neue Erfahrung. „Ich musste lernen,<br />
Arbeiten zu delegieren und Leute zu beschäftigen, die besser sind<br />
als ich selbst – ohne Angst davor zu haben.“ Auch den engen Rahmen<br />
eines Familienunternehmens liess er hinter sich; seine<br />
Schwestern, die zunächst Kapital eingebracht hatten, sollte er bald<br />
auszahlen. Andererseits wusste er, dass die eigenen Erfahrungen<br />
sein bestes Kapital waren. Und Bodenhaftung war es, die er auch<br />
bei seinen Mitarbeitern suchte: „Ich habe nie mit Headhuntern<br />
gearbeitet“, sagt er. „Ich habe immer alles selbst gemacht, Leute<br />
gesucht, die in die lokale Kultur passten.“ Ihm brauchte niemand<br />
zu sagen, dass bei guten Entscheidungen das Wer mindestens so<br />
wichtig ist wie das Was.<br />
SAT operierte von elf Treibstofflagern aus, die den wichtigsten Raffinerien<br />
Nordostbrasiliens angeschlossen waren. Von dort brachte<br />
das Unternehmen den Treibstoff zu den Tankstellen. Die Beziehung<br />
zu den Abnehmern wird durch langfristige Verträge geregelt. Diese<br />
legen die monatliche Mindestabnahme fest, verpflichten zur Einhaltung<br />
von SAT-Standards und darauf, den Markennamen zu<br />
benutzen. Im Gegenzug gibt das Unternehmen Finanzierungshilfen,<br />
schult die Mitarbeiter der angeschlossenen Tankstellen, schafft<br />
einheitliche Qualitätsstandards und wacht über deren Einhaltung.<br />
Alecrim weitete die klassische Produktpalette von Diesel, Biodiesel,<br />
Ethanol und Gas aus. Er trat in Verhandlungen mit Goodyear und<br />
Gulf, um auch Reifen und Schmierstoffe in sein Sortiment aufzunehmen.<br />
Von 1995 bis 2000 stieg der Umsatz pro Jahr im Schnitt<br />
um 86 Prozent. Mitte 2002 operierten 380 Tankstellen unter dem<br />
Markennamen SAT, weitere 700 unabhängige Tank stellen wurden<br />
beliefert. „Diese ersten Jahre waren eine gross artige Zeit“, sagt<br />
Alecrim im Rückblick.<br />
Seine Arbeit findet Erfolg und Anerkennung. Sein Unternehmen,<br />
das in einem abgelegenen Winkel des Landes begonnen hat,<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 33
34<br />
„Uns war wichtig, selbst über die<br />
Zusammensetzung unseres Managements<br />
zu entscheiden. Ohne unsere Wendigkeit<br />
und Schlagkraft wäre SAT ein Unternehmen<br />
wie viele andere gewesen.“<br />
erhält begehrte Zertifizierungen, gewinnt prestigeträchtige Auszeichnungen<br />
(„bester Einzelhändler“, „bester Arbeitgeber“), und<br />
schon 2000 wählte <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> Marcelo Alecrim zum Jungunternehmer<br />
des Jahres. Popularität und Bekanntheit halfen, die<br />
Aufmerksamkeit von Kapitalgebern zu wecken. Unter ihnen war<br />
Dar<strong>by</strong> Overseas, ein Investmentunternehmen, das der frühere US-<br />
Finanzminister Nicholas Brady ins Leben gerufen hatte. Dar<strong>by</strong> interessierte<br />
sich für den Einstieg bei SAT – und stellte Marcelo Alecrim<br />
vor die bis dahin wichtigste Entscheidung über die Zukunft seines<br />
Unternehmens.<br />
„Wir hatten einen grossen Kapitalbedarf“, sagt Alecrim. Schliesslich<br />
wollte er weiter wachsen. Aber er wollte auch das Rezept<br />
seines Erfolgs nicht gefährden – seine Unabhängigkeit. Das war<br />
den Verhandlungpartnern nicht leicht zu vermitteln. „Eine unserer<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
<strong>Entrepreneur</strong>e Porträt<br />
wichtigsten Bedingungen war, dass Dar<strong>by</strong> nicht die Mehrheit<br />
übernehmen sollte“, sagt Alecrim. „Uns war wichtig, selbst über<br />
die Zusammensetzung unseres Managements zu entscheiden.<br />
Ohne unsere Wendigkeit und Schlagkraft wäre SAT ein Unternehmen<br />
wie viele andere gewesen.“ Seine Entscheidungsfreiheit hatte<br />
für Alecrim die oberste Priorität.<br />
Eine neue Kultur<br />
Kurz nach der Jahrtausendwende war Brasilien alles andere als ein<br />
sicherer Hafen für Anlagekapital. Das Land war mit einem wirtschaftlichen<br />
Risiko behaftet. Die nordamerikanischen Investoren<br />
stellten daher an SAT strenge Anforderungen an Transparenz.<br />
„Aber das war kein Problem“, sagt Alecrim. „Ich dachte immer, ein<br />
Unternehmen sollte transparent und offen sein. Das würde künftiges<br />
Wachstum erlauben.“ Endlich, nach zwei Jahren, kamen die<br />
Verhandlungen zum Abschluss: Im Jahr 2004 beteiligte Dar<strong>by</strong><br />
sich mit 34 Prozent an SAT.<br />
„Für uns war das ein enorm wichtiger Schritt. Mit Konzessionen<br />
bei der Corporate Governance haben wir uns Chancen auf ein<br />
weiteres Wachstum eröffnet.“ Der Handel bezieht sich auf die Art,<br />
wie Alecrim Entscheidungen trifft: „Ich habe die Uni abgebrochen“,<br />
resümiert er. „Was ich weiss, habe ich zum grössten Teil aus der<br />
Praxis gelernt. Wenn sich eine Gelegenheit auftut, brauche ich nicht<br />
lange nachzudenken – ich entscheide aus dem Bauch heraus.“<br />
Mit dem Eintritt von Dar<strong>by</strong> wurde dieser Entscheidungsprozess<br />
sehr viel analytischer und strukturierter. „Wir planen für die nächsten<br />
fünf Jahre und revidieren diesen Plan von Jahr zu Jahr im<br />
Lichte neuer Daten. Das bedeutet viele Analysen auf Papier.“ Trotzdem<br />
beschreibt sich Marcelo Alecrim weiterhin als einen Träumer<br />
mit vielen Ideen. Von deren Umsetzbarkeit muss er zwar seinen<br />
Vorstand überzeugen – aber es hilft, dass der sich aus den alten<br />
Weggefährten zusammensetzt, die ihn von Anfang an begleitet<br />
haben. „Ich mag es nicht, wenn ich meine Ideen verteidigen<br />
muss“, sagt der Unternehmer.<br />
Dem erhofften Wachstum hat der neue Stil nicht geschadet. Das<br />
lässt sich an der Zahl der Tankstellen ablesen: „2004 hatten wir<br />
400 Tankstellen. Mit Dar<strong>by</strong>s Hilfe waren wir zwei Jahre später auf<br />
„Was ich weiss, habe ich<br />
zum grössten Teil<br />
aus der Praxis gelernt.<br />
Wenn sich eine Gelegenheit<br />
auftut, brauche ich nicht<br />
lange nachzudenken —<br />
ich entscheide aus dem<br />
Bauch heraus.“<br />
550 gewachsen.“ Noch wichtiger war die Unterstützung mit Kapital<br />
und Know-how für die regionale Expansion. SAT war bis dahin ausschliesslich<br />
im Nordosten tätig gewesen. Nunmehr konnte Alecrim<br />
die Fühler in den Südosten ausstrecken – zu einem anderen Regionalvertreiber,<br />
der ALE Distribuidora, die im südlich gelegenen Bundesstaat<br />
Minas Gerais operierte.<br />
Wieder zogen sich die Verhandlungen lange hin. Für jemanden, der<br />
so stark in seiner Heimatregion verwurzelt ist wie Alecrim, mussten<br />
zunächst einmal die grossen Unterschiede zwischen den zwei<br />
Unternehmen ins Auge fallen. Beide hatten sehr unterschiedliche<br />
Unternehmenskulturen. Doch erkannte Alecrim auch Übereinstimmungen<br />
– in der Arbeitsauffassung etwa und dem hohen Wert, den<br />
sie auf gute Kundenbeziehungen legten. Nach zwei Jahren der<br />
Überlegung und Vorbereitung fusionierten SAT und ALE im April<br />
2006 zu ALESAT Combustíveis. Es war um diese Zeit, dass Dar<strong>by</strong><br />
seine Beteiligung an dem brasilianischen Treibstofflieferanten zu<br />
seinem weltweit wichtigsten Investment erklärte.<br />
Marcelo Alecrim hält an der neuen Gesellschaft 50 Prozent und<br />
ist ihr Präsident. Mit der Fusion gelang ihm der Sprung auf die<br />
nationale Ebene: Sein Unternehmen ist in 22 Bundesstaaten vertreten,<br />
versorgt von 43 Basen aus mit einer Flotte von 216 Lastwagen<br />
1 700 Tankstellen und ist an dieser Zahl gemessen der<br />
Branchenvierte in Brasilien. 2009 machte es einen Umsatz von<br />
4,052 Milliarden Dollar.<br />
Trotz dieses Erfolgs ist Alecrim nicht abgehoben. „Mir ist wichtig,<br />
dass ich sichtbar bin, dass die Leute sehen, wer das Geschäft leitet.<br />
Ich weiss, wie wichtig die direkte Beziehung zu den Tankstellenbesitzern<br />
ist – schliesslich war ich selbst einer. Darum treffe ich mich<br />
immer wieder mit ihnen. Das gibt mir einen direkten Zugang zu<br />
dem, was auf dem Markt passiert.“<br />
Instinkt und Entschlossenheit<br />
Wenn er auf seinen Weg zurückblickt, sieht er viele Zufälle und<br />
viel Glück. Aber auch viel Arbeit. „Ich denke viel nach. Ich habe<br />
viele Ideen“, sagt er. „Wenn sich eine Gelegenheit auftut, kann<br />
ich schnell entscheiden, denn ich erkenne etwas, worüber ich mir<br />
schon eine Meinung gebildet habe.“ Diese Einschätzung scheint<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 35
<strong>Entrepreneur</strong>e Porträt<br />
vor allem auf die Zeit vor 1996 zuzutreffen, als er eine Reihe von<br />
Geschäftsmöglichkeiten sah, die er aufgrund der starren Regulierung<br />
nicht umsetzen konnte.<br />
Die grossen Entscheidungen der jüngeren Zeit hingegen – der<br />
Einstieg von Dar<strong>by</strong>, die Fusion mit ALE – haben sehr viel mehr Zeit<br />
gebraucht. „Ich glaube nicht, dass ich weniger Mut habe als<br />
früher“, meint Alecrim. „Aber heute muss ich den Verwaltungsrat<br />
überzeugen, dass meine Ideen realisierbar sind. Doch das ist in<br />
Ordnung. Wenn sich alle einig sind, ist das nur ein Zeichen dafür,<br />
dass eine Sache nicht genügend analysiert wurde.“<br />
Und dennoch erzählt er gern von schnellen Entscheidungen.<br />
Besonders, wenn sie sich als so glücklich erweisen wie das Sponsoring<br />
für Flamengo, den Fussballclub von Rio de Janeiro. „Das war<br />
eine Entscheidung, die ich in zehn Minuten getroffen habe, beim<br />
Mittagessen“, sagt er. „Die Wahrscheinlichkeit, dass Flamengo<br />
Champion würde, war sehr klein – ein Prozent vielleicht. Sie standen<br />
auf Platz 14. Aber Flamengo ist der grösste Fussballverein in<br />
Brasilien. Mir erschien das eine kleine Investition, aber sie verschaffte<br />
uns Aufmerksamkeit.“<br />
Mit der Unterstützung für den Fussballclub gewann Alecrim auch<br />
die Anhängerschaft des Vereins: „Tank ALE, damit wir Flamengo<br />
unterstützen können“, lautete ein Slogan, mit dem er die Fans ansprach<br />
– und man muss seine Kundschaft schon sehr gut kennen,<br />
um zu wissen, ob so eine Kampagne funktionieren kann. Sie tat<br />
es – und bescherte Alesat nicht nur ein riesiges Echo im fussballbe<br />
geisterten Brasilien, sondern auch einen kräftigen Umsatzschub.<br />
Alecrims Engagement funktionierte aber auch in die andere Richtung.<br />
„Ich habe ein paarmal am Training teilgenommen“, sagt er.<br />
„Die Atmosphäre in dem Club hat sich sehr verändert. Das konnte<br />
ich spüren.“ Und er hatte wieder Glück: Von 13 Spielen hat Flamengo<br />
zehn gewonnen – und wurde brasilianischer Meister. Wer<br />
wird Marcelo Alecrim verdenken, dass er Ähnlichkeiten zwischen<br />
Sport und Wirtschaft sieht.<br />
36<br />
Daten und Fakten<br />
Unternehmen<br />
ALESAT Combustíveis S.A., mit Sitz in Natal, Brasilien<br />
Gründer<br />
Marcelo Alecrim<br />
Firmenhistorie<br />
Mit Satélite Distribuidora de Petróleo (SAT) gründete Marcelo Alecrim<br />
1996 ein Unternehmen, das sich auf die Belieferung kleiner Tankstellen im<br />
Nordosten Brasiliens spezialisierte. Er legte ein beträchtliches Wachstum<br />
vor und weckte damit das Interesse von Dar<strong>by</strong> International, einem Kapital <br />
geber, der sich 2004 an dem Unternehmen beteiligte. Dies erlaubte Alecrim,<br />
zwei Jahre später mit einem ähnlichen Unternehmen (ALE) im Süden des<br />
Landes zu fusionieren. Das Ergebnis ist ALESAT Combustíveis, inzwischen<br />
der fünftgrösste Kraftstoffvertreiber im Lande. Als Präsident und Mitglied<br />
des Direktoriums steuert Alecrim sein Unternehmen weiterhin auf Wachstumskurs:<br />
Bis 2013 will er sein Tankstellennetz auf 2 500 Einheiten<br />
erweitern. Seine unternehmerische Leistung wurde in den vergangenen<br />
Jahren durch zahlreiche Auszeichnungen gewürdigt. 2009 wurde er von<br />
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> zum <strong>Entrepreneur</strong> Of The Year in Brasilien gewählt.<br />
Umsatz<br />
4 052 Millionen USDollar (2009)<br />
Mitarbeiter<br />
911<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
Expertise Kapitalmanagement<br />
Schlüssel zum Erfolg in einer unsicheren Welt<br />
Eine starke Capital Agenda hilft Unternehmen, den Produktionsfaktor Kapital effizient zu managen.<br />
Das ist heute wichtiger denn je, denn Kapital bleibt weiterhin knapp. Und wer nicht darüber verfügt,<br />
kann am beginnenden Aufschwung nicht teilhaben.<br />
Von Louis Siegrist<br />
Unternehmen brauchen Kapital. Es macht<br />
sie handlungsfähig, flexibel, erfolgreich.<br />
Das ist keine neue Erkenntnis. Und doch ist<br />
sie heute so aktuell wie lange nicht mehr.<br />
Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftkrise<br />
mussten allzu viele Unternehmen erfahren,<br />
dass ohne Kapital der Stillstand droht. So<br />
verwundert es nicht, dass der Zugang zu<br />
Kapital derzeit höchste Priorität hat. In<br />
einer Zeit, in der Finanzmittel weder problemlos<br />
zur Verfügung stehen noch billig zu<br />
haben sind, hat sich die Einstellung der Unternehmenslenker<br />
und Manager zu Kapital<br />
spürbar verändert. Es gibt praktisch keine<br />
Verwaltungsrat- oder Managemententscheidung,<br />
die heute nicht mit der Frage<br />
nach Kapital verbunden wäre. Seine Verfügbarkeit<br />
bestimmt über angestrebte Ziele<br />
und einzuschlagende Wege – und nicht selten<br />
über Sein oder Nichtsein.<br />
Grund genug für <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong>, seine<br />
Transaction Advisory Services (TAS) an<br />
neuen Koordinaten auszurichten. Wir haben<br />
unsere TAS-Beratungsleistungen enger<br />
miteinander verzahnt und auf einen Fokus<br />
konzentriert: die individuellen Bedürfnisse<br />
und Anforderungen von Unternehmen<br />
rund um das Thema Kapital. Auf diese Weise<br />
stellen wir das gesamte Portfolio unserer<br />
TAS-Expertise in den Dienst der Capital<br />
Agenda unserer Kunden: Wir analysieren<br />
die Capital Agenda des Unternehmens und<br />
unterstützen es dabei, sein Kapitalmanagement<br />
zu verbessern und fundierte Kapitalentscheidungen<br />
zu treffen.<br />
Schauen wir uns anhand eines Beispiels an,<br />
wie dies in der Praxis aussehen kann: Ein<br />
international tätiger, kotierter Technikkonzern<br />
sprach uns an, weil er frisches Fremdkapital<br />
benötigte. Dabei sollten nicht nur<br />
neue Finanzquellen erschlossen, sondern<br />
auch längere Laufzeiten für die fraglichen<br />
Verbindlichkeiten erreicht werden. Gleichzeitig<br />
strebte das Unternehmen an, seine<br />
Investoren-Basis zu verbreitern und die<br />
Kosten zu begrenzen. Eine komplexe Aufgabenstellung,<br />
die eine weitreichende Kompetenz<br />
und Erfahrung erforderte.<br />
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> stand dem Konzern als exklusiver<br />
Finanzberater zur Seite. Unsere<br />
Experten ermittelten und bewerteten mögliche<br />
Investoren, stellten dem Management<br />
umfassende Daten und Einschätzungen<br />
über Märkte, Prozesse und Preise zur Verfügung<br />
und schlugen ein genau auf die<br />
Anforderungen zugeschnittenes, innovatives<br />
Verfahren zur Kapitalbeschaffung vor.<br />
Auf Basis dieser detaillierten Informationen<br />
war die Unternehmensführung in der Lage,<br />
die Mittelbeschaffung selbst in die Hand zu<br />
nehmen. Dabei erreichte sie optimale Preise<br />
und konnte auch die gewünschten längeren<br />
Laufzeiten realisieren.<br />
Der Technikkonzern erwarb vier Kapitaltranchen<br />
auf dem Markt für privat platzierte<br />
Anleihen. Durch diese neuen Finanzinstrumente<br />
diversifizierte er nicht nur seine<br />
Finanzquellen. Sie ermöglichten es dem<br />
Management auch, fruchtbare Beziehungen<br />
zu den Investoren aufzubauen, ähnlich wie<br />
sie bereits zur Hausbank des Unternehmens<br />
bestanden. Der Kapitalerwerb übertraf<br />
damit die Erwartungen des Managements.<br />
Ermöglicht wurde dieses positive Ergebnis<br />
In einer Zeit, in der Finanzmittel<br />
weder problemlos noch<br />
billig zu haben sind, bestimmt<br />
die Verfügbarkeit von Kapital<br />
über angestrebte Ziele und<br />
einzuschlagende Wege.<br />
nicht zuletzt durch die bereits seit einigen<br />
Jahren bestehende enge Beziehung unserer<br />
Berater zur Verwaltungsratsebene und<br />
ihre fundierte Kenntnis des Unternehmens.<br />
Ähnlich wie hier im Bereich Kapitalbeschaffung<br />
profitieren Unternehmen auch bei der<br />
Optimierung, Sicherung und Investition von<br />
Kapital von der Ausrichtung von <strong>Ernst</strong> &<br />
<strong>Young</strong> auf die Capital Agenda von Unternehmen.<br />
Anlass und Problemstellung können<br />
dabei höchst unterschiedlich sein. Inwieweit<br />
ist eine operative Restrukturierung sinnvoll?<br />
Wann sollte man Vermögensgegenstände<br />
veräussern, und welche? Wo liegen die<br />
grössten Möglichkeiten für Zukäufe? Welche<br />
Optionen bieten sich, wenn kein Zugang<br />
zu Kapital besteht? Wer auf Fragen<br />
wie diese mit fundierten Entscheidungen<br />
antworten will, braucht eine zielgerichtete<br />
und wirkungsvolle Capital Agenda.<br />
Kapitalstrategien für Wachstum und<br />
Markterfolg<br />
Das zeigen auch aktuelle Studien: Im Rahmen<br />
seines Capital Confidence Barometer<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 37
Expertise Kapitalmanagement<br />
Schlüssel zum Erfolg in einer unsicheren Welt von Louis Siegrist<br />
Führende Unternehmen<br />
konzentrieren sich auf die<br />
Chancen, die der Wandel<br />
mit sich bringt, und nutzen<br />
Wachstumsmöglichkeiten,<br />
die sich gerade jetzt ergeben.<br />
befragte <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> in 2009 und 2010<br />
rund 500 Top-Manager grosser Unternehmen<br />
aus unterschiedlichen Branchen in<br />
32 Ländern. Kernziel der Studie war es, zu<br />
erfassen, inwieweit die Unternehmen gegenwärtig<br />
der wirtschaftlichen Entwicklung<br />
vertrauen und welche Prioritäten sie für die<br />
nächsten zwölf Monate setzen. Ausserdem<br />
wollten wir feststellen, welche Mittel und<br />
Wege gerade jene Unternehmen nutzen,<br />
die in der Phase be ginnender wirtschaftlicher<br />
Erholung die Initiative ergreifen und<br />
zum Vorreiter ihrer Branche werden.<br />
Vieles lässt derzeit einen starken weltweiten<br />
Aufschwung in den kommenden Jahren<br />
wenig wahrscheinlich erscheinen. Wie<br />
schnell und wie nachhaltig sich die begonnene<br />
wirtschaftliche Erholung fortsetzen<br />
wird, bleibt unsicher. Diese eher vorsichtige<br />
Einschätzung bestätigte in unserer Untersuchung<br />
die Mehrheit der Befragten. Über<br />
die Hälfte der Manager gingen davon aus,<br />
dass ihre Branche die Folgen der Krise auch<br />
in den nächsten zwölf Monaten noch spüren<br />
werde, eine Mehrheit rechnete damit, dass<br />
sie sich noch länger auswirkt.<br />
Vor diesem Hintergrund zeichnet sich eine<br />
deutliche Polarisierung ab: Bei schwacher<br />
Nachfrage, schrumpfenden Gewinnmargen,<br />
Kapitalknappheit und einem Klima anhaltender<br />
Unsicherheit fürchtet sich ein Grossteil<br />
der Unternehmen vor möglichen Fehlern<br />
in der Kapitalverwendung und scheut<br />
davor zurück, strategische Risiken einzugehen.<br />
Demgegenüber schlagen führende<br />
Unternehmen einen anderen Weg ein. Statt<br />
auf die Risiken, konzentrieren sie sich auf<br />
die Chancen, die der Wandel mit sich bringt<br />
und nutzen Wachstumsmöglichkeiten, die<br />
sich gerade jetzt ergeben. Wie unsere Studie<br />
zeigt, sehen diese Unternehmen ihr Erfolgsrezept<br />
in einer starken Capital Agenda.<br />
In den vier Schlüsselbereichen des Kapitalmanagements<br />
setzen sich dabei spezifische<br />
Ansätze und Praktiken durch:<br />
Beschaffung: Um ihr Kapital zu erhöhen,<br />
prüfen führende Unternehmen ihren<br />
künftigen Kapitalbedarf und diversifizieren<br />
die Quellen der Kapitalbeschaffung,<br />
sodass ihnen eine grössere Vielfalt an<br />
Optionen zur Verfügung steht.<br />
Investition: Um Kapital erfolgreich zu<br />
investieren, schärfen sie ihre Verfahren<br />
zu Bewertung und Umsetzung von Investitionen,<br />
sodass sie Investment-Chancen<br />
nutzen und zugleich die hiermit verbundenen<br />
Risiken steuern und bewältigen<br />
können.<br />
Sicherung: Um ihr Kapital zu erhalten,<br />
überdenken sie ihre operative und finanzielle<br />
Basis und gestalten sie so um, dass<br />
sie auch den Bedingungen einer andauernden<br />
Rezession standhält.<br />
Optimierung: Um ihre Kapitalbasis zu<br />
verbessern, stocken sie ihre Barmittel<br />
und Liquiditätsreserven auf. Mit dem<br />
Ziel, kurzfristigere Kapitalerträge zu erreichen,<br />
passen sie zudem das Portfolio<br />
ihrer Vermögenswerte an.<br />
Darüber hinaus verbessern führende Unternehmen<br />
ihre Planungs-, Bewertungs- und<br />
Prognoseverfahren sowie ihre Steuerungsprozesse,<br />
um Kapitalentscheidungen<br />
schneller und effektiver treffen zu können.<br />
38 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
Expertise Kapitalmanagement<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 39<br />
Foto: Corbis
Expertise Kapitalmanagement<br />
Schlüssel zum Erfolg in einer unsicheren Welt von Louis Siegrist<br />
Das alles mag wenig revolutionär klingen.<br />
Und in der Tat greift man hier auf Massnahmen<br />
und Methoden zurück, die letztlich zur<br />
Grundausstattung guten Managements gehören.<br />
Doch in den vergangenen Jahren<br />
des Wachstums haben sich viele Unternehmen<br />
erlaubt, diese zu vernachlässigen.<br />
Heute jedoch stehen sie, wie unsere Studie<br />
belegt, bei einer wachsenden Zahl von Unternehmen<br />
wieder hoch im Kurs. Ebendiese<br />
Unternehmen werden aus unserer Sicht im<br />
Wettbewerb um die knappe Ressource Kapital<br />
zu den Gewinnern zählen. Sie werden<br />
sich das Vertrauen der Investoren sichern<br />
und Erfolg versprechende Transaktionsmöglichkeiten<br />
nutzen können. Und sie werden<br />
in der Lage sein, Marktveränderungen<br />
frühzeitig vorauszusehen und aufzugreifen.<br />
Auf diese Weise werden sie Wachstumschancen<br />
wahrnehmen, die anderen verschlossen<br />
bleiben.<br />
Kompetenz rund ums Kapital<br />
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> unterstützt Unternehmen<br />
bei der Bewältigung ihrer Capital Agenda<br />
und verhilft ihnen dazu, als Gewinner aus<br />
den gegenwärtigen Veränderungen hervorzugehen.<br />
Mit diesem Ziel stellen wir unsere<br />
Expertise aus allen TAS-Bereichen zur Verfügung,<br />
um gemeinsam mit den Kunden<br />
massgeschneiderte Lösungen zu erarbeiten.<br />
Dabei spielen neben fachtechnischen Gesichtspunkten<br />
auch strategische, branchenspezifische<br />
und interkulturelle Aspekte eine<br />
wichtige Rolle – wie die folgenden Beispiele<br />
aus drei weiteren Schlüsselbereichen des<br />
Kapitalmanagements zeigen. Im Hintergrund<br />
jeder dieser Erfolgsgeschichten stan-<br />
den für die Unternehmensführung Fragen<br />
der Capital Agenda – etwa diese: Wie passt<br />
unsere Kapitalstrategie zu den Kernzielen<br />
und Initiativen des Unternehmens? Wie hilft<br />
sie, Wert für die Stakeholder zu schaffen?<br />
Harmoniert sie mit der Unternehmensstrategie?<br />
Und wie beeinflusst sie Geschäftstreiber<br />
in Feldern wie Wachstum, Finanzen<br />
und Betriebsabläufe?<br />
Investition: Erfolgreicher Unternehmenskauf<br />
erlaubt Expansion<br />
Ein führender europäischer Private-Equity-<br />
Investor, der auf Investments im mittleren<br />
Grössenbereich spezialisiert ist, versprach<br />
sich von einer geplanten Übernahme wichtige<br />
Chancen im Rahmen seiner Wachstumsstrategie.<br />
Das Unternehmen, das bereits<br />
zahlreiche Transaktionen auf dem<br />
Software-Sektor getätigt hatte, beabsichtigte,<br />
einen führenden deutschen Anbieter<br />
von Software-Lösungen im Bereich Talent<br />
Management zu erwerben. Für den Finanzinvestor<br />
wäre dies der dritte Kauf eines<br />
Technologie-Unternehmens, das dem zukunftsweisenden,<br />
auf Internet-Techniken<br />
basierenden Geschäftsmodell „Software as<br />
a Service“ (SaaS) folgt. Die aussichtsreiche<br />
Investition musste minutiös geplant<br />
werden, um das verfügbare Kapital effizient<br />
und werterhaltend einzusetzen.<br />
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> unterstützte den Investor als<br />
Finanzberater bei der Vorbereitung und taktischen<br />
Planung der Übernahme. Unser<br />
Mergers & Acquisitions-Team stimmte seine<br />
Beratungsleistungen exakt auf die Anforderungen<br />
und die Kapitalstrategie des Kunden<br />
Eine starke und fokussierte<br />
Capital Agenda, die die<br />
Strategie des Unternehmens<br />
substanziell untermauert,<br />
ist für immer mehr Firmen<br />
der Schlüssel zum Erfolg.<br />
ab und begleitete ihn durch eine äusserst<br />
dynamische und von scharfer Konkurrenz<br />
geprägte Verkaufsauktion. Unser Kunde<br />
erhielt schliesslich den Zuschlag und erwarb<br />
das Unternehmen zum gewünschten Preis.<br />
Für den Software-Anbieter öffnete die<br />
Übernahme den Weg in eine neue Phase<br />
der Expansion.<br />
Sicherung: Wirksames Zulieferer-Risikomanagement<br />
begrenzt Verlustgefahr<br />
Ein renommierter britischer Produzent von<br />
Premium-Fahrzeugen und SUVs sah den<br />
Erhalt des eingesetzten Kapitals durch Einnahmeverluste<br />
gefährdet, die durch Ausfälle<br />
bei der Lieferung von Bauteilen entstehen<br />
können. Wie jeder Automobil hersteller<br />
bezieht das Unternehmen fremdgefertigte<br />
Bauteile just in time vom zuständigen Hersteller<br />
– ein kosteneffizientes Verfahren,<br />
das wegen der Abhängigkeit von jeweils<br />
nur einer Bezugsquelle jedoch erhebliche<br />
Risiken birgt. Bleibt eine Lieferung aus,<br />
kann unter Umständen die gesamte Produktion<br />
zum Stillstand kommen. Das Unternehmen<br />
plante daher, sein Zulieferer-<br />
40 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
Expertise Kapitalmanagement<br />
Risiko management zu optimieren, um<br />
Fehler noch schneller erkennen und sofort<br />
Gegenmassnahmen ergreifen zu können.<br />
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> stellte dem Automobilhersteller<br />
ein Team von Experten zur Seite, zu<br />
dem auch Spezialisten für Restrukturierungsprozesse<br />
und Fachleute für Lieferketten<br />
sowie Automobilexperten gehörten.<br />
Unsere Berater arbeiteten im Team des<br />
Kunden mit. Sie überprüften den Risikomanagement-Prozess,<br />
empfahlen Verbesserungen<br />
und leiteten die Umsetzung der vorgeschlagenen<br />
Massnahmen – all dies stets<br />
im Blick auf die Capital Agenda und das<br />
übergeordnete Ziel der Werterhaltung. Auf<br />
diese Weise gelang es, eine Reihe von Verbesserungsoptionen<br />
zu identifizieren und<br />
die Wirksamkeit des Systems zu erhöhen.<br />
So können Gefahren heute schneller erkannt<br />
und gezielter bekämpft werden.<br />
Der Erfolg dieser Zusammenarbeit beruhte<br />
nicht zuletzt darauf, dass unsere Berater<br />
sich gut in das Team des Kunden integrierten<br />
und flexibel auf die vorgefundene<br />
Arbeitsweise eingingen. Nicht zuletzt verhalfen<br />
auch ihre umfangreichen Branchenkenntnisse<br />
dazu, dass die eingebrachten<br />
Vorschläge auf fruchtbaren Boden fielen<br />
und mit Gewinn umgesetzt wurden.<br />
Optimierung: Neustrukturierung setzt<br />
Kapital frei<br />
Um Kosten zu senken, plante ein kotierter<br />
globaler Finanzdienstleister, seine Unternehmensstruktur<br />
zu rationalisieren. Ziel<br />
war es, das Eigenkapital besser einzusetzen,<br />
die Aktivitäten im Kerngeschäft zu<br />
konzentrieren, die Effizienz zu steigern und<br />
Kosten zu senken. Zu diesem Zweck sollte<br />
insbesondere die Zahl der rechtlich eigenständigen<br />
Unternehmensgesellschaften<br />
reduziert werden, um gebundenes Kapital<br />
freizusetzen.<br />
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> begleitete das Unternehmen<br />
als Berater durch den gesamten Restrukturierungsprozess.<br />
Als Mitglieder zweier<br />
Komitees des Kunden berieten unsere<br />
Experten das Management zu technischen<br />
und Planungsthemen ebenso wie zu speziellen<br />
Fragen, die sich bei der Auflösung von<br />
Unternehmenseinheiten stellen. Sie koordinierten<br />
die Reviews, die der Auflösung<br />
von über 150 Einheiten vorausgingen, und<br />
entwickelten gemeinsam mit dem Management<br />
ein solides Rahmenwerk, mit dessen<br />
Hilfe Probleme, die während der Reviews<br />
festgestellt wurden, gelöst werden konnten.<br />
Darüber hinaus übernahm <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong><br />
die Rolle des Liquidators für 141 Einheiten.<br />
Diese solventen Gesellschaften wurden<br />
liquidiert, um die Neuverteilung von freiem<br />
Kapital zu erleichtern.<br />
Das Ergebnis: Innerhalb von zwei Jahren<br />
löste der Finanzdienstleister 74 Prozent<br />
seiner Unternehmenseinheiten auf. Unser<br />
Kunde konnte auf diese Weise ein Kapitalvolumen<br />
von über 100 Millionen US- Dollar<br />
freisetzen und neu verwenden. Hinzu<br />
kamen spürbare Kosteneinsparungen.<br />
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> konnte in diesem Projekt<br />
auf sein umfangreiches Wissen über Restrukturierungsprozesse<br />
zurückgreifen und<br />
bewährte Programme und Verfahren nutzen.<br />
Auch unsere Erfahrung in der Bildung<br />
Louis Siegrist<br />
louis.siegrist@ch.ey.com<br />
Louis Siegrist ist Partner bei<br />
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong>. Er leitet das Geschäftsfeld<br />
Transaktionsberatung in der Schweiz.<br />
von Spezialisten-Teams trug dazu bei, dass<br />
ein maximaler Wertzuwachs für den Kunden<br />
erreicht wurde.<br />
Erfolgreich in Zeiten des Wandels<br />
Ähnlich wie in diesen Beispielen mobilisieren<br />
gegenwärtig immer mehr Unternehmen<br />
ihre Ressourcen, um auf die kommenden<br />
Jahre eines aller Voraussicht nach eher<br />
schleppenden und hart zu erkämpfenden<br />
Aufschwungs vorbereitet zu sein. Eine starke<br />
und fokussierte Capital Agenda, die die<br />
Strategie und die Initiativen des Unternehmens<br />
substanziell untermauert, ist für sie<br />
der Schlüssel zum Erfolg. Sie erlaubt ihnen,<br />
wirkungsvolle Kapitalentscheidungen zu<br />
treffen. Auf diese Weise können sie Chancen<br />
ergreifen, wo andere Gefahren fürchten,<br />
und voranschreiten, wo diese das Risiko<br />
scheuen. So setzen sie um, was die Krise<br />
sie gelehrt hat: Nicht im Wandel liegt Gefahr,<br />
sondern darin, dass man sich nicht<br />
auf ihn einstellt.<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 41
Expertise Dialog<br />
„Erst wenn es nicht mehr an dir hängt, bist du erfolgreich.“<br />
Peter Englisch, Lead Partner Strategic Growth Markets und Family Business bei <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong>,<br />
diskutiert mit Max Maier, Geschäftsführender Gesellschafter der Max Maier Unternehmensgruppe<br />
„Wir rechnen nicht, sondern glauben an das, was<br />
wir machen, und schauen dabei auf unser Potenzial<br />
und unsere Ressourcen. Und die Rechnungen<br />
gingen erstaunlicherweise trotzdem immer auf.”<br />
Peter Englisch: Herr Maier, Ihre Unternehmensgruppe<br />
vereint auf den ersten Blick<br />
ganz unterschiedliche Geschäftsfelder –<br />
Küchen- und Kühltechnik einerseits und Immobilienwirtschaft<br />
sowie Stadtentwicklung<br />
andererseits. Welche unternehmerische<br />
Entscheidung hält das Ganze zusammen?<br />
Max Maier: Unsere Idee ist es, elementare<br />
menschliche Bedürfnisse zu befriedigen –<br />
und dazu zählen nach meiner Überzeugung<br />
die Raumgebung und die Esskultur. Dabei<br />
kommt es uns darauf an, innovative Antworten<br />
zu finden auf die veränderten Lebens-<br />
und Arbeitsweisen heute. Mit Urban<br />
Development wollen wir Räume und Stadtgebiete<br />
so gestalten, dass sie die Verwirklichung<br />
vielfältigster Ideen und Bedürfnisse<br />
ermöglichen – und dies alles mit minimalem<br />
Energieeinsatz. In der Max Maier Kitchen<br />
Group geht es uns um die Entwicklung und<br />
Produktion von Geräten und Systemen zur<br />
Bereitstellung von qualitativ hochwertigem<br />
Essen zu Hause und ausser Haus – auch hier<br />
mit dem Anspruch höchster Energieeffizienz.<br />
Englisch: Sie sind nach der Übernahme<br />
des Küchentechnik-Unternehmens Rieber<br />
im Jahr 2005 mit einer ganzen Reihe von<br />
Innovationen an den Markt gegangen und<br />
haben zahlreiche Auszeichnungen und<br />
Design-Preise, etwa den „red dot award“,<br />
für Ihre Produkte erhalten. Stellen solche<br />
innovationsorientierten Entscheidungsprozesse<br />
eigene Anforderungen?<br />
Maier: Damit sprechen Sie einen wichtigen<br />
Punkt an. Es ist etwas völlig anderes, ob Sie<br />
zum Beispiel Kosten in einem Unterneh-<br />
42 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
Expertise Dialog<br />
mensbereich senken wollen – eher eine<br />
rationale Entscheidung mit klarer Ausgangslage<br />
und Zielkriterien – oder Innovationen<br />
anstreben, bei denen oft weder die Ausgangslage<br />
noch die Zielkriterien oder Optionen<br />
klar sind.<br />
Englisch: Wo liegt für Sie der Schlüssel für<br />
Innovation in Ihrer Branche?<br />
Maier: In diesem Markt hatte bis dahin jeder<br />
nur an einzelne Produkte gedacht. Der<br />
eine hat einen Ofen gebaut, der nächste<br />
eine Spüle, der Dritte hat sich mit der Vorbereitung<br />
beschäftigt. Jeder war Spezialist,<br />
und all diese Spezialisten haben nur ihr<br />
Produkt optimiert – und dabei den Gesamtprozess<br />
aus dem Blick verloren.<br />
Für mich war Bill Gates ein Anstoss, als er<br />
mit Windows 95 auf den Markt kam. Damals<br />
habe ich mir das erste Mal Gedanken<br />
über die Bedeutung von Betriebssystemen<br />
gemacht: Sie ermöglichen die unterschiedlichsten<br />
Funktionen auf ein und demselben<br />
Standard. Hier liegen die Analogien zu der<br />
Firma Rieber, mit der wir damals noch auf<br />
einem ganz anderen Feld zusammengearbeitet<br />
haben. Rieber hat in den sechziger<br />
Jahren eine Revolution in der Gastronomie<br />
vorangetrieben – die Einführung eines einheitlichen<br />
Ordnungs- und Betriebssystems,<br />
des später international üblichen Gastronorm-Standards.<br />
In diesem Infrastrukturansatz<br />
und mit Blick auf den gesamten<br />
Arbeitsprozess in und um die Küche sehen<br />
wir grosse Innovationspotenziale.<br />
Englisch: In der mutigen und zielstrebigen<br />
Weise, in der Sie Innovationen angehen,<br />
„Man muss für eine solch unabhängige<br />
Einstellung aber auch die Voraussetzungen<br />
haben. Unternehmen, die stark fremdfinanziert<br />
sind, geht so etwas häufig verloren.”<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 43<br />
Fotos: Michael Hudler
Expertise Dialog<br />
„Erst wenn es nicht mehr an dir hängt, bist du erfolgreich.“ von Peter Englisch und Max Maier<br />
liegt möglicherweise ein Charakteristikum<br />
von Familienunternehmen. Beschneiden<br />
sich börsennotierte Unternehmen in ihrer<br />
Zahlen- und Faktengetriebenheit und kurzfristigen<br />
Gewinnorientierung um Innovationspotenziale?<br />
Maier: Wir rechnen nicht, sondern glauben<br />
an das, was wir machen, und schauen dabei<br />
auf unser Potenzial und unsere Ressourcen.<br />
Und die Rechnungen gingen erstaunlicherweise<br />
trotzdem immer auf. Rechnet es sich<br />
etwa, eine alte Fabrik mit ihren denkmalgeschützten<br />
Hallen zu einem Werkzentrum<br />
für die Kreativ- und Medienszene umzubauen,<br />
so wie wir das in Ludwigsburg gemacht<br />
haben? Glauben Sie, das kann man rechnen?<br />
Glauben Sie, man kann Transformation<br />
und Paradigmenwechsel rechnen? Ausgeschlossen!<br />
Aber wenn Sie das elementare<br />
Grundbedürfnis der Menschheit auf ökologische<br />
und ökonomische Art und Weise befriedigen,<br />
dann brauchen Sie sich über den<br />
Return on Investment keine Gedanken zu<br />
machen, es ist nur eine Frage der Zeit.<br />
Englisch: Man muss für eine solch unabhängige<br />
Einstellung aber auch die Voraussetzungen<br />
haben. Unternehmen, die stark<br />
fremdfinanziert sind, geht so etwas häufig<br />
verloren, die geraten in eine Spirale hinein,<br />
in der sie nur noch Anforderungen von<br />
aussen befriedigen müssen. Gleiches gilt<br />
möglicherweise für Publikumsgesellschaften.<br />
Maier: Es stimmt sicherlich, dass Familienunternehmen<br />
eher dazu geeignet sind, eine<br />
langfristige Perspektive zu verfolgen, vor<br />
allem, was Investitionen anbelangt. Ich kann<br />
mich auch besser darauf konzentrieren, einen<br />
treuen Mitarbeiterstamm aufzubauen,<br />
wenn ich nicht unter dem Druck stehe, im<br />
Quartalsrhythmus Ergebniszahlen vorzulegen.<br />
Aber Familienunternehmen haben auch<br />
mit hausgemachten Problemen zu kämpfen:<br />
Ich habe viele Unternehmen erlebt, die von<br />
mehreren Mitgliedern geführt wurden und<br />
die, weil sie das Wohl der Familie und deren<br />
Zusammenhalt voranstellten, untergegangen<br />
sind. Es geht aber einzig und allein um<br />
den Fortbestand und den Erfolg des Unternehmens<br />
und seiner Mitarbeiter.<br />
Englisch: Das heisst, die Interessen der Familie<br />
geraten in Widerspruch zu denen des Unternehmens?<br />
Maier: Es sind komplett widersprüchliche<br />
Interessen. Ein Unternehmer muss klare<br />
Entscheidungen fällen, auch wenn das mit<br />
Konflikten verbunden ist. In der Familie hingegen<br />
regiert zum grossen Teil die Harmonie,<br />
und sie zu erhalten ist eine gemeinsame<br />
Aufgabe in der Familie.<br />
Konkret kann ich von den Unternehmen reden,<br />
die ich übernommen und saniert habe.<br />
Da waren es immer die gleichen Mechanismen:<br />
Es war keine Entscheidungskultur<br />
mehr da, weil man sich gegenseitig in der<br />
Familie nicht wehtun wollte. Es ging nicht<br />
mehr um die Sache. Entscheidungen bringen<br />
Veränderungen mit sich, und damit<br />
schmerzen sie – gerade wenn sie nachhaltig<br />
sein sollen. Dieses Wehtun bedeutet Veränderung,<br />
und das muss man aushalten.<br />
Englisch: Wie bauen Sie in Ihrem Unternehmen<br />
solchen Konflikten vor?<br />
Maier: Ich habe für mich erst einmal klargestellt:<br />
Ich habe kein Unternehmen, ich<br />
bin ein Unternehmer. Will sagen: Das Unternehmen<br />
ist etwas ganz anderes als ich.<br />
Deswegen baue ich eine selbstständige Managementebene<br />
auf – einen Führungskreis<br />
von Mitarbeitern, die in der Lage sind, ihren<br />
Aufgaben möglichst besser gerecht zu werden<br />
als ich. Auch Geschäftsführer habe ich<br />
eingestellt. Wir sind da auf einem sehr guten<br />
Weg, und ich würde mein Unternehmen<br />
deswegen weniger als familien-, sondern<br />
als unternehmergeführt bezeichnen.<br />
Englisch: Was bedeutet das für Sie persönlich?<br />
Maier: Dem Gefühl nach ist das ein permanenter<br />
Abschiedsprozess, aber ich glaube,<br />
man kann damit gar nicht früh genug beginnen.<br />
Erst wenn das geschafft ist, wenn<br />
es also nicht an dir hängt, sondern im Unternehmen,<br />
bist du nach meiner Ansicht<br />
auch ein erfolgreicher Unternehmer. Ich<br />
konzentriere mich zunehmend auf meine<br />
Eigentümer- und Aufsichtsratsfunktion,<br />
wichtige Weichenstellungen behalte ich mir<br />
jedoch vor, und ich greife auch ein, wenn<br />
sich die Dinge nicht wie geplant entwickeln.<br />
Englisch: Sie legen nicht nur Wert darauf,<br />
dass Ihr Management eigenständig denkt,<br />
sondern auch Ihre Teams – dass sie Freiräume<br />
haben, um Ideen zu entwickeln. Das ist<br />
ja auch ein Stück der Führung, das vorzuleben<br />
und dazu zu ermuntern. Welcher Mehrwert<br />
liegt in dieser Autonomie?<br />
Maier: Ich habe gemerkt, wenn ich die Teams<br />
nicht nur begeistere, sondern die Mitarbeiter<br />
44 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
Expertise Dialog<br />
„Das Innerfamiliäre ist und<br />
bleibt natürlich entscheidend.<br />
Allgemein geht es ja darum,<br />
wie man beim Generationenübergang<br />
einen offenen<br />
Dialog über gegenseitige<br />
Erwartungen und Rollen verständnisse<br />
sicherstellt, um<br />
Konflikte gar nicht erst entstehen<br />
zu lassen. Auch die<br />
Familie ist eine Organi sationsform,<br />
die gemanagt<br />
werden will.”<br />
„Manchmal fängt das ja<br />
schon mit ganz einfachen<br />
Dingen an: etwa bei der Frage,<br />
wer eigentlich zum Kreis<br />
der Familie gehört und mit<br />
wem man welche Art von<br />
Ent scheidung abstimmen<br />
muss. Bei manchen Familien<br />
ist allein schon diese Klärung<br />
ausser ordentlich komplex.”<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 45
Expertise Dialog<br />
stolz mache auf das, was sie tun, sprudeln<br />
auf einmal die Innovationen und Anregungen<br />
– und zwar von der Reinigungskraft bis<br />
hin zum Meister, quer durch das Unternehmen.<br />
Durch diese Kultur der Ermutigung<br />
und Anerkennung brauchen wir uns keine<br />
Gedanken darüber zu machen, ob wir unsere<br />
Arbeitsplätze ins Ausland verlagern.<br />
Englisch: Wenn dann eine Idee aus Ihren<br />
Teams kommt, wie bewerten Sie die? Und<br />
wie fällt dann Ihre Entscheidung: Das wollen<br />
wir weiterverfolgen?<br />
Maier: Am Anfang steht für mich das Zuhören.<br />
Wenn ich merke, das Team steht dahinter,<br />
folgen die üblichen Schritte: Die Potenzialanalyse<br />
und die Frage: Haben wir<br />
Beziehungen zu dem Markt, zu den Mittlern?<br />
Dann starten wir ein Vorprojekt, dabei<br />
binden wir geeignete Nutzer ein. Wenn wir<br />
über dieses Projektstadium hinaus sind,<br />
klären wir, ob wir auch in der Lage sind, die<br />
Produkte mit einem hohen Kapitaleinsatz<br />
hier vor Ort zu produzieren. Die Grundvoraussetzung<br />
ist aber, dass die Mannschaft<br />
hinter der Idee steht und motiviert ist.<br />
Englisch: Abzugeben, Entscheidungsfreiräume<br />
zu delegieren – das stelle ich mir<br />
nicht einfach vor. Insbesondere dann, wenn<br />
Sie den Eindruck haben, dass etwas in eine<br />
falsche Richtung läuft.<br />
Maier: Das ist mit das Schwierigste, diese<br />
Disziplin aufzubringen. Nötig ist die rationale<br />
Einsicht, dass nur über Selbstorganisation<br />
und Eigenverantwortlichkeit etwas Grosses<br />
entstehen kann. Dazu gehört untrennbar<br />
auch eine fehlerfreundliche Kultur. Das war<br />
ein Lernprozess, auch für mich. Wie häufig<br />
war ich schon der Auffassung: Das kann<br />
nicht funktionieren. Und am Ende wurde ich<br />
von einem grandiosen Ergebnis überrascht.<br />
Tatsächlich wollen es meine Mitarbeiter mir<br />
auch beweisen. Auch bei unserem K-POT<br />
war ich zunächst ungeheuer skeptisch. Eine<br />
solche multifunktionale, programmierbare<br />
mobile Kochstation war immer mein Traum<br />
– aber ich konnte mir nie vorstellen, dass<br />
das funktioniert. Richtig gutes Kochen ist ja<br />
gar nicht so einfach, und deswegen ist das<br />
eine hochkomplexe Aufgabe, wenn man es<br />
ohne die Verantwortung und das Gespür des<br />
Kochs oder der Servicekräfte schaffen will.<br />
Dass wir das hinbekommen haben, hätte ich<br />
nie geglaubt. Heute gehört der K-POT zu<br />
unseren Vorzeigeprodukten und war eines<br />
der Exponate im Deutschen Pavillon der<br />
Expo 2010 in Schanghai.<br />
Englisch: Die Mehrzahl der Kaufentscheidungen<br />
auf dem Küchenmarkt wird vermutlich<br />
von Frauen getroffen. Spiegelt sich das<br />
in Ihrem Management? Will sagen: Legen<br />
Sie Wert darauf, Frauen in Entscheidungspositionen<br />
zu besetzen?<br />
Maier: Ich gebe zu, es ist ein bisschen paradox:<br />
Wir machen für Entscheidungen, die<br />
zu 70 bis 80 Prozent von Frauen getroffen<br />
werden, Produkte von Männern. Deswegen<br />
bemühen wir uns seit einigen Jahren ganz<br />
gezielt darum, unsere Führung durch Frauen<br />
zu verstärken. Eine Schwierigkeit ist<br />
aber nach meiner Ansicht: Frauen wollen<br />
alles und das zu hundert Prozent. Man<br />
muss aber an der Kreuzung über Produkte<br />
„Ein Unternehmer muss klare<br />
Entscheidungen fällen, auch<br />
wenn das mit Konflikten<br />
verbunden ist. Entscheidungen<br />
bringen Veränderungen mit<br />
sich, und damit schmerzen sie –<br />
gerade wenn sie nachhaltig<br />
sein sollen. Dieses Wehtun<br />
bedeutet Veränderung, und<br />
das muss man aushalten.“<br />
Max Maier<br />
46 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
Expertise Dialog<br />
entscheiden und dann konsequent einen<br />
Weg gehen. Zum Beispiel: Machen wir es<br />
jetzt flexibel oder stationär. Frauen wollen<br />
beides! Verstehen Sie? Aber dafür haben<br />
wir nicht die Kapazitäten.<br />
Englisch: Aber wenn es stimmt, dass Frauen<br />
anders führen, dann steckt darin vielleicht<br />
auch ein Mehrwert, den eine rein<br />
männliche Führung nicht bietet.<br />
Maier: Natürlich, und das analysieren wir genau.<br />
Wie können wir typisch weibliche Fähigkeiten<br />
wie die soziale Kompetenz und ein<br />
angeborenes Gespür für einen nichtverschwenderischen<br />
Umgang mit Ressourcen<br />
für uns produktiv machen? Wenn Sie mit<br />
einem Ingenieur eine Grossanlage planen,<br />
dann schmeisst er die Lebensmittel weg. Die<br />
Frauen denken ans Recycling. Sie denken<br />
einfach von Natur aus ans Bewahren und<br />
Sammeln. Beide Zugangsweisen, die männliche<br />
und die weibliche, optimal zu verbinden,<br />
das ist eigentlich die Aufgabe der Führung.<br />
Englisch: Eine langfristig zu planende unternehmerische<br />
Entscheidung ist auch die<br />
der Unternehmensnachfolge. Wie bereiten<br />
Sie Ihre Kinder darauf vor – so sie sich denn<br />
vorstellen können, in Ihr Unternehmen einzusteigen?<br />
Maier: Meine Tochter und mein Sohn sind<br />
jetzt 16 und 18 Jahre alt, und ich stelle mit<br />
grosser Freude fest, dass sie sich zunehmend<br />
für das interessieren, was ich mache.<br />
Deswegen bin ich guter Dinge, dass sie<br />
nach Abschluss ihrer Ausbildung auch wirklich<br />
eine Rolle im Unternehmen überneh-<br />
Max Maier<br />
max.maier@eisfink.de<br />
Max Maier ist Geschäftsführender<br />
Gesellschafter der Max Maier Unternehmensgruppe<br />
mit Sitz in Ludwigsburg.<br />
men wollen. Ich lasse die Kinder teilhaben<br />
und ermögliche ihnen Einblicke, wenn sie<br />
denn wollen. Sie haben inzwischen auch<br />
verschiedene Bereiche kennengelernt.<br />
Gleichwohl haben es die Kinder schwerer<br />
als ich – sie müssen mehr aus zweiter Hand<br />
lernen, denn sie haben das Unternehmen<br />
nicht aufgebaut. Dadurch fehlen ihnen Erfahrungen,<br />
aus denen ich viel gelernt habe.<br />
Dennoch erkenne ich bei ihnen ein wachsendes<br />
Verantwortungsgefühl dafür, was es<br />
heisst, Unternehmer zu sein. Dieses Bewusstsein<br />
kann man fördern, aber nicht erzwingen.<br />
Die Teilnahme unserer Kinder an<br />
der diesjährigen <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> Junior Academy<br />
hat in dieser Beziehung einen grossartigen<br />
Beitrag geleistet.<br />
Englisch: Wie stellen Sie sicher, dass die<br />
strategische Ausrichtung des Unternehmens<br />
auch ohne Ihre direkte Mitwirkung<br />
auf einem guten Fundament steht?<br />
Maier: Ich denke, da gibt es verschiedene<br />
Ansatzpunkte. Zum einen versuche ich, wie<br />
gesagt, das Unternehmen wetterfest zu machen<br />
durch ein unternehmergeführtes Management.<br />
Ausserdem installiere ich einen<br />
sogenannten Beirat, einen Verwaltungsrat,<br />
der sich vor allem mit der zukünftigen Entwicklung<br />
der Max Maier Unternehmensgruppe<br />
beschäftigt. In ihm gelten klare Regeln:<br />
Die Zahlen sind nicht unser Kriterium.<br />
Natürlich werden sie analysiert, wenn es<br />
Fehlentwicklungen gibt. Aber massgeblich<br />
ist die Frage, wie wir unsere Produktbereiche<br />
optimal weiterentwickeln.<br />
Aber das Innerfamiliäre ist und bleibt natürlich<br />
entscheidend. Allgemein geht es ja dar-<br />
Peter Englisch<br />
peter.englisch@de.ey.com<br />
Peter Englisch ist Lead Partner Strategic<br />
Growth Markets und Family Business bei<br />
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong>.<br />
um, wie man beim Generationenübergang<br />
einen offenen Dialog über gegenseitige Erwartungen<br />
und Rollenverständnisse sicherstellt,<br />
um Konflikte gar nicht erst entstehen<br />
zu lassen. Auch die Familie ist eine Organisationsform,<br />
die gemanagt werden will,<br />
und es gibt Rollen, die notwendigerweise<br />
wahrgenommen werden müssen.<br />
Englisch: Manchmal fängt das ja schon mit<br />
ganz einfachen Dingen an: etwa bei der<br />
Frage, wer eigentlich zum Kreis der Familie<br />
gehört und mit wem man welche Art von<br />
Entscheidung abstimmen muss. Bei manchen<br />
Familien ist allein schon diese Klärung<br />
ausserordentlich komplex. Wenn Sie da keine<br />
klaren Strukturen haben, laufen Sie Gefahr,<br />
dass emotionale, persönliche Verletzungen<br />
und Konflikte zurückfallen auf das<br />
Unternehmen. Das gilt es zu vermeiden.<br />
In vielen Fällen, die ich kennengelernt habe,<br />
wäre es für die Unternehmerfamilie enorm<br />
wichtig gewesen, zur Konsensfindung einen<br />
unabhängigen Moderator an der Seite zu<br />
haben. Jemanden, der den notwendigen<br />
Dialog anstösst und in der Lage ist, das,<br />
was sich die Beteiligten am Küchentisch<br />
nicht offen erzählen können, wie ein Katalysator<br />
aufzunehmen und dem Ganzen eine<br />
Struktur zu geben.<br />
Maier: Ich gebe Ihnen recht, wir Unternehmer<br />
brauchen diese Unterstützung. Und<br />
wenn Sie mich fragen, glaube ich, dass daraus<br />
für die Beratung ganz neue Geschäftsbereiche<br />
entstehen könnten: Solche, die die<br />
„soft facts“ in den Blick nehmen, denn die<br />
sind eigentlich viel wichtiger als immer nur<br />
diese Zahlen.<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 47
Expertise Studie<br />
Navigationshilfe für ein unübersichtliches Terrain<br />
Der Business Risk Radar 2010 zeigt <strong>Entrepreneur</strong>en, welche Risiken sie bei Unternehmensentscheidungen<br />
heute im Blick behalten sollten.<br />
Von Dr. Robert Heinrich und Dr. Michael Dalla Torre<br />
Nichts beunruhigt die Wirtschaft derzeit so<br />
sehr wie staatliche Regulierungsvorhaben<br />
und der erschwerte Zugang zu Finanzmitteln.<br />
In der Rangfolge der Risiken, die führende<br />
Unternehmen heute als bedeutend erachten,<br />
rangieren diese Themen weltweit ganz oben.<br />
Das zeigt der <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> Business Risk<br />
Radar 2010. Die Studie beleuchtet, mit welchen<br />
Risiken Unternehmen weltweit rechnen,<br />
und gibt Unternehmenslenkern wertvolle<br />
Entscheidungsgrundlagen an die Hand –<br />
Informationen, die gerade in einer Zeit<br />
dynamischer Veränderung und vielfältiger<br />
Ungewissheiten helfen, sich abzeichnende<br />
Entwicklungen zu erkennen und zu bewerten.<br />
Seit 2008 alljährlich durchgeführt, ist der<br />
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> Business Risk Radar Teil<br />
eines fortlaufenden globalen Austauschs<br />
über Geschäftsrisiken, die unternehmerische<br />
Entscheidungen massgeblich beeinflussen.<br />
Er liefert eine Momentaufnahme der<br />
wichtigsten Risiken aus den Bereichen Finanzen,<br />
Strategie, Compliance und operatives<br />
Geschäft.<br />
Für den Business Risk Radar 2010 haben<br />
wir weltweit über 70 Spitzenführungskräfte<br />
und Experten aus 14 Sektoren nach ihrer<br />
Einschätzung befragt und sie gebeten, die<br />
für ihre Branche brisantesten Risiken zu<br />
priorisieren. Die Liste der Top Ten lässt drei<br />
prägnante Trends erkennen.<br />
Trend 1: Die Folgen der Krise<br />
bleiben spürbar<br />
Folgt man dem Bild, das die Mehrheit der<br />
befragten Manager zeichnet, bleibt kein<br />
Zweifel: Die gobale Wirtschaftskrise ist<br />
längst nicht ausgestanden. Alle drei Risiken<br />
an der Spitze des Rankings sind – direkt<br />
oder indirekt – auf sie zurückzuführen. Das<br />
Thema „Regulierung und Compliance“<br />
nimmt den ersten Platz bereits zum zweiten<br />
Mal ein. Schon 2008 hatte es das Ranking<br />
angeführt, wurde 2009 aber vom Risiko<br />
des „Access to credit“ abgelöst,<br />
nachdem die Banken ihre Kreditvergabe<br />
massiv eingeschränkt hatten.<br />
Jetzt ist „Regulierung und Compliance“ auf<br />
den Spitzenplatz zurückgekehrt. Dabei fürchtet<br />
keineswegs nur die Branche der Finanzdienstleister<br />
mögliche Folgen gesetzlicher<br />
Regelungen. Die Sorge herrscht vielmehr in<br />
einer ganzen Reihe von Branchen vor, von<br />
Life Sciences über die Telekommunikation bis<br />
hin zu den Energieversorgern und Real Estate.<br />
Die Schwerpunkte sind allerdings unterschiedlich.<br />
So befürchtet der Finanzsektor<br />
weitreichende Veränderungen seines Geschäfts<br />
infolge gesetzlicher Regelungen wie<br />
beispielsweise Basel III. Gesetzliche Regelungen<br />
erhöhen auch den Druck auf die Life-<br />
Science-Unternehmungen – einerseits sollen<br />
die Medikamentenpreise stärker kontrolliert<br />
werden, andererseits wird die Zulassung neuer<br />
Medikamente immer aufwendiger. Die Unternehmen<br />
bekunden vor allem Schwierigkeiten<br />
mit dem Umgang der Ungewissheit in<br />
Bezug auf das Inkrafttreten neuer Regulatorien,<br />
da sie die Entscheidungsfindung hemmen<br />
und die Planung von Investitionen erschweren.<br />
Unternehmen können jedoch Schritte<br />
unternehmen, um auf diese Ungewissheit zu<br />
reagieren. Ein möglicher Schritt beinhaltet,<br />
vorausschauend zu planen, welche Änderun-<br />
Nicht nur die Finanzdienstleister,<br />
viele Branchen<br />
fürchten mögliche Folgen<br />
gesetzlicher Regulierungen:<br />
von Life Sciences bis zu den<br />
Energieversorgern.<br />
gen in den Regulatorien zu erwarten sind, um<br />
diese dann in die Geschäftsplanung mit einzubeziehen.<br />
An zweiter Stelle im Ranking der Risiken steht<br />
der Zugang zu Krediten. Nachdem staatliche<br />
Rettungspakete und Förderprogramme<br />
die Situation am Finanzmarkt entspannen<br />
konnten, verlor dieses Risiko leicht an Bedeutung.<br />
Im Vorjahr auf Platz eins, rangiert der<br />
„Access to credit“ im Business Risk Radar<br />
2010 jedoch immer noch an zweiter Stelle.<br />
Zwar zeigten sich einige Befragte wieder optimistisch,<br />
doch es besteht die Angst, dass die<br />
erhöhte Staatsverschuldung einen erheblichen<br />
Einfluss auf die Kosten von Krediten<br />
hat. Im Finanzsektor machen sich die Manager<br />
vor allem über mögliche Nachbeben der<br />
Kreditknappheit und über nicht realisierte<br />
oder verdeckte Kapitalverluste Sorgen. In der<br />
Automobilbranche beispielsweise bereiteten<br />
knappe und verteuerte Kredite im Jahr 2009<br />
Schwierigkeiten im Beschaffungsprozess, wo<br />
bei Grosszulieferern bis zu den Werkzeugherstellern<br />
Engpässe bestanden. Und auch heute<br />
hängen immer noch viele Unternehmen von<br />
staatlicher Unterstützung ab.<br />
48 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
Expertise Studie<br />
Ist die beginnende Erholung nachhaltig?<br />
Oder erleben wir gerade einen scheinbaren<br />
Aufschwung, aus dem die Wirtschaft in<br />
eine zweite Rezession zu schlittern droht?<br />
Die Frage beschäftigt Manager und Spezialisten<br />
fast aller Sektoren – und steht 2010<br />
damit an dritter Stelle in der Rang folge der<br />
Geschäftsrisiken. Sie betrifft vor allem zyklische<br />
Branchen wie die Konsumgüterindustrie.<br />
Die Gefahr der Rezession wird<br />
weiterhin als sehr hoch eingeschätzt, nicht<br />
zuletzt wegen der immensen Staatsverschuldung<br />
und des Ausfallrisikos einzelner<br />
Länder. Auch fürchten viele, dass die staatlichen<br />
Rettungspakete die Probleme lediglich<br />
in die Zukunft verlagern, statt sie zu<br />
lösen.<br />
Trend 2: Der Mangel an<br />
Nachwuchskräften wird virulent<br />
Der Aufstieg des Themas Talentmanagement<br />
von Platz sieben im Vorjahr auf den<br />
vierten Platz im Risk Radar 2010 lässt<br />
einen weiteren wichtigen Trend erkennen:<br />
In den entwickelten Industriegesellschaften<br />
werden die Folgen des demografischen<br />
Wandels zunehmend spürbar. Vielfach fehlt<br />
es bereits an qualifizierten Nachwuchskräften.<br />
In den meisten Sektoren erkennen die<br />
befragten Führungskräfte hier eine zunehmende<br />
Brisanz. Branchen wie die Metallverarbeitung<br />
und die Energieversorgung, aber<br />
auch die Automobilhersteller leiden bereits<br />
darunter. Hier fehlen vor allem qualifizierte<br />
Ingenieure – ein Mangel, der umso folgenreicher<br />
ist, als für diese Branchen wichtige<br />
Chancen in der Entwicklung neuer, klimafreundlicher<br />
Technologien liegen.<br />
Darüber hinaus wird ein positives Unternehmensimage<br />
für die Gewinnung neuer Fachkräfte<br />
immer wichtiger. So müssen beispielsweise<br />
die Öl- und Gasindustrie, aber auch die<br />
Automobilbranche, die Öffentlichkeit über<br />
ihre Ansätze hinsichtlich Umweltverträglichkeit<br />
und Zukunftsfähigkeit informieren. Doch<br />
nicht nur die Rekrutierung geeigneter Talente<br />
bereitet den Managern Sorge, auch die Notwendigkeit,<br />
fähige Mitarbeiter im Unternehmen<br />
zu halten und sie weiterzuentwickeln,<br />
fordert sie heraus. Im Finanzsektor kommt<br />
hinzu, dass die Managergehälter teilweise im<br />
Kreuzfeuer öffentlicher Kritik stehen und<br />
Vergütungsfragen weiterhin ungelöst sind.<br />
Trend 3: Umweltorientierung<br />
und gesellschaftliche Akzeptanz sind<br />
Zukunftsthemen<br />
Der Business Risk Radar 2010 zeigt, dass<br />
Fragen rund um Nachhaltigkeit, Umwelt-<br />
und Klimaschutz sowie die gesellschaftliche<br />
Verantwortung von Unternehmen an Bedeutung<br />
gewinnen.<br />
Im gegenwärtigen wirtschaftlichen Klima<br />
stehen „grüne“ Themen verständlicherweise<br />
weniger im Vordergrund. Auf der Rangliste<br />
der Top Ten fielen die Risiken in diesem<br />
Bereich 2010 denn auch vom vierten auf<br />
den achten Platz. Für die meisten Befragten<br />
sind sie dennoch ein drängendes Zukunftsthema<br />
– und, für einige Branchen, ebenso<br />
risiko- wie chancenreich.<br />
Angesichts spürbarer Auswirkungen des<br />
Klimawandels und einer weltweit fortschreitenden<br />
Beeinflussung der Umwelt dürfte<br />
das in vielen Ländern bereits ausgeprägte<br />
Umweltbewusstsein weiter wachsen. Die<br />
Unternehmen sind damit gefordert, ihre<br />
Umweltauswirkungen zu reduzieren und<br />
möglichst nachhaltig zu wirtschaften – und<br />
dies nicht nur, um ihre Reputation zu bewahren.<br />
Vielmehr sieht sich der Privatsektor<br />
zunehmend dazu gedrängt, koordinierte<br />
Initiativen für Innovationen auf diesem<br />
Gebiet anzustossen, wie sie die Politik bisher<br />
nicht leisten konnte und voraussichtlich<br />
auch nicht leisten wird.<br />
In unserer Befragung zeigten sich Manager<br />
unterschiedlicher Sektoren überzeugt, dass<br />
der Unternehmenserfolg in ihrer Branche<br />
künftig nicht zuletzt davon abhängen werde,<br />
inwieweit die Firmen ihr Geschäft an<br />
einer konsequenten Umweltpolitik ausrichten.<br />
Einige sehen grosse Chancen darin,<br />
den Konsumenten mit ihren Produkten<br />
neue, energieeffizientere Formen des Lebens<br />
und Arbeitens zu ermöglichen. Ein<br />
Beispiel dafür sind Smart Grids, die im Telekommunikations-<br />
und Energieversorgungsbereich<br />
Strom, Internet und Haushalte intelligent<br />
vernetzen.<br />
Neu unter den Top Ten ist der Risikobereich<br />
der gesellschaftlichen Akzeptanz und Unternehmensverantwortung<br />
(Corporate Social<br />
Responsibility, CSR). Nach oben gebracht<br />
haben ihn nicht zuletzt die Hinter gründe und<br />
Folgen der Finanzkrise, doch der Aufstieg<br />
zeichnete sich in den letzten Jahren bereits<br />
ab. Die Thematik ist weit gefasst. Sie betrifft<br />
alle Risiken, die die gesellschaftliche Zustimmung<br />
zur Tätigkeit eines Unternehmens<br />
(Licence to operate) gefährden können.<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 49
Expertise Studie<br />
Navigationshilfe für ein unübersichtliches Terrain von Dr. Robert Heinrich und Dr. Michael Dalla Torre<br />
Letztlich geht es um das Vertrauen der<br />
Öffentlichkeit, das Unternehmen erlangen,<br />
indem sie ihr Geschäft verantwortungsvoll<br />
und unter Beachtung gesellschaftlicher<br />
Belange betreiben. Obwohl dieses Thema<br />
noch teilweise unterschätzt wird, dürfte es<br />
nach der Wahrnehmung vieler Befragter<br />
künftig an Einfluss gewinnen.<br />
Verlässlicher Indikator in<br />
unsicheren Zeiten<br />
Über diese Trends hinaus macht der Business<br />
Risk Radar 2010 weitere Entwicklungen<br />
sichtbar – von der stetig zunehmenden Bedeutung<br />
der „Emerging markets“ über den<br />
unvermindert hohen Kostendruck in vielen<br />
Branchen bis hin zur sinkenden Zahl von<br />
Unternehmenstransaktionen in folge erschwerter<br />
Finanzierung. Jenseits der Top<br />
Ten rücken zudem neue Risikobereiche ins<br />
Blickfeld: mangelnde Innovationsfähigkeit,<br />
steigende Investitionen in Infrastruktur,<br />
technologischer Fortschritt, Verschärfung<br />
steuerlicher Rahmenbedingungen und<br />
zunehmender Preisdruck.<br />
All das ergibt ein überaus vielschichtiges<br />
Bild, das zugleich klare Entwicklungslinien<br />
erkennen lässt. Vergleicht man dabei die<br />
Einschätzungen aus den vergangenen<br />
Jahren mit der eingetretenen Entwicklung,<br />
zeigt sich der Business Risk Radar als zuverlässiger<br />
Indikator. Er spricht von Gefahren<br />
und Herausforderungen, mit denen zu<br />
rechnen ist – und verweist damit letztlich<br />
auf Chancen. Denn gerade dort, wo sich<br />
Hindernisse in den Weg stellen, gelingt es<br />
oft, Kräfte für Neues zu mobilisieren.<br />
Deutschland, Österreich, Schweiz: Risiken im Radar der Schlüsselbranchen<br />
Ein Blick auf die für Deutschland, Österreich und die Schweiz wichtigsten Branchen vermittelt ein genaueres Bild<br />
der Risiko-Trends in dieser Region:<br />
In der Automobilbranche bleibt nach den Absatzverlusten der letzten Jahre neben<br />
der Kreditbeschaffung auch die Kostensenkung eine beständige Herausforderung.<br />
Die Branche befindet sich weiterhin im Wandel und ist dabei, ihre Kapazitäten weltweit<br />
anzupassen. Gleichzeitig verlangen ein verändertes Käuferverhalten sowie die schärfere<br />
Regulierung eine forcierte Entwicklung „grüner“ Antriebskonzepte. Um sich in<br />
den aufstrebenden Märkten der Schwellenländer durchzusetzen, entscheiden sich die<br />
Hersteller für Unternehmenstransaktionen und Allianzen.<br />
Auch für die Energieversorger stellen knappe und teure Kredite nach wie vor ein<br />
relevantes Risiko dar. Die bedeutendsten Gefahren aber erwachsen für sie aus politischen<br />
Eingriffen in die Märkte und einer weitreichenden Regulierung. Da Letztere<br />
„grün“ motiviert und von nicht unerheblichem öffentlichem Druck untermauert ist,<br />
rangieren Risiken im Bereich „Radical greening“ und „Social acceptance“ in der<br />
Branche ebenfalls recht weit oben.<br />
Im Konsumgüterbereich stehen das veränderte Konsumentenverhalten, Strategien<br />
für „Emerging markets“, Innovation und Preisdruck im Vordergrund. Umwelt- und<br />
Nachhaltigkeitsthemen spielen für die Branche ebenfalls eine wachsende Rolle.<br />
Gerade für Markenhersteller sind hiermit deutliche Reputationsrisiken verbunden.<br />
Die Life-Sciences-Industrie steht vor tief greifenden Veränderungen. Bei schärferen<br />
gesetzlichen Vorgaben, erhöhtem Druck auf die Preise und gestiegenen Forschungskosten<br />
sind die Unternehmen gezwungen, Innovationen voranzutreiben. Viele<br />
wählen den Weg in „Emerging markets“ und gehen Allianzen ein, um einerseits ihre<br />
Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionskapazitäten kostengünstig auszubauen<br />
und grösseren Marktzugang zu haben. Zusätzlich sollen operative Prozesse effektiver<br />
und kosteneffizienter gestaltet werden. Vor diesem Hintergrund liegen die grössten<br />
Risiken für die Branche in den Bereichen „Regulierung und Compliance“ sowie<br />
„Emerging markets“.<br />
50 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
Expertise Studie<br />
Financial<br />
Impact of<br />
currency volatility<br />
Liquidity shocks and<br />
access to credit<br />
Industry restructuring<br />
and global capacity realignment<br />
Shifts in consumer<br />
preferences<br />
Selecting alternative<br />
propulsion systems<br />
Strategic<br />
Financial<br />
Emerging<br />
market<br />
strategy and<br />
execution<br />
Competitive<br />
intensity<br />
Strategic<br />
Risks of doing<br />
business in<br />
emerging markets<br />
Compliance risk<br />
Cost control and cost<br />
base optimization<br />
Managing risks<br />
across the value<br />
and supply chain<br />
Inability to attract and retain<br />
knowledge and competencies<br />
during industry transition<br />
Dr. Robert Heinrich<br />
robert.heinrich@de.ey.com<br />
Dr. Robert Heinrich ist Managing Partner<br />
bei <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> und verantwortlich<br />
für den Bereich Advisory Services GSA<br />
(Germany, Switzerland, Austria).<br />
Compliance<br />
Operations<br />
Dr. Michael Dalla Torre<br />
michael.dallatorre@ch.ey.com<br />
Dr. Michael Dalla Torre ist Partner bei<br />
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> und Advisory Regional<br />
Market Coordinator in der Schweiz.<br />
Automotive<br />
Power and utilities<br />
Automotive Power and utilities<br />
Consumer<br />
dynamics and<br />
demographic shifts<br />
Pricing pressures<br />
and pricing<br />
strategy<br />
Retailer power and<br />
private label growth<br />
Radical greening,<br />
sustainability and<br />
climate change<br />
Failure of M&A<br />
Speed and success<br />
of innovation<br />
Compliance<br />
Supply chain agility<br />
and resilience<br />
Brand and marketing<br />
effectiveness<br />
Operations<br />
Significant shifts<br />
in the cost /<br />
accessibility<br />
of capital<br />
Managing planning<br />
and public<br />
acceptance risk<br />
Political intervention<br />
in power and utilities<br />
Expanding, renewing<br />
and maintaining<br />
network infrastructure<br />
Responding to both<br />
market liberalization<br />
and protection<br />
of national champions<br />
Pressure on the power<br />
generation equipment<br />
supply chain<br />
Compliance and<br />
regulatory risks<br />
Access to<br />
competitively<br />
priced long-term<br />
fuel supplies<br />
Implementing<br />
low-carbon<br />
technologies<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 51<br />
Financial<br />
Strategic<br />
markets<br />
Consumer products<br />
Life sciences<br />
Consumer products Life sciences<br />
Financial<br />
Strategic<br />
Capital access<br />
and allocation<br />
Emergence of<br />
new markets<br />
Managing<br />
the “extraprise”<br />
Human capital<br />
and talent<br />
Protecting<br />
intellectual<br />
property<br />
Regulatory<br />
compliance<br />
Compliance<br />
Operations<br />
Compliance<br />
Demonstrating value<br />
amid pricing pressures<br />
R&D productivity<br />
Inability to<br />
achieve<br />
sufficient<br />
scale<br />
Sustaining a culture<br />
of innovation<br />
Product safety<br />
Operations
Expertise Studie<br />
Navigationshilfe für ein unübersichtliches Terrain von Dr. Robert Heinrich und Dr. Michael Dalla Torre<br />
Die zehn wichtigsten Risiken 2010<br />
(Vorjahresrang in Klammern)<br />
1. Regulierung und Compliance / Regulation and compliance (2)<br />
2. Zugang zu Krediten / Access to credit (1)<br />
3. Langsamer Aufschwung oder Rückfall in die Rezession / Slow recovery or double-dip recession (3)<br />
4. Talentmanagement / Managing talent (7)<br />
5. Neue Märkte in Schwellenländern / Emerging markets (12)<br />
6. Kostenreduzierung / Cost-cutting (6)<br />
7. Neue Wettbewerber / Non-traditional entrants (5)<br />
8. Strikte Umweltorientierung / Radical greening (4)<br />
9. Gesellschaftliche Akzeptanz und Unternehmensverantwortung (neu) / Social acceptance risk and Corporate Social Responsibility<br />
10. Allianzen und Unternehmenstransaktionen (8) / Executing alliances and transactions<br />
Risk impact matrix<br />
Risks<br />
1. Regulation and compliance<br />
2. Access to credit<br />
3. Slow recovery/double-dip recession<br />
4. Managing talent<br />
5. Emerging markets<br />
6. Cost-cutting<br />
7. Non-traditional entrants<br />
8. Radical greening<br />
9. Social acceptance risk/CSR<br />
10. Executing alliances and transactions<br />
Asset<br />
management<br />
Automotive<br />
Banking<br />
Consumer<br />
products<br />
Insurance<br />
Life sciences<br />
Industries<br />
Media and<br />
entertainment<br />
Mining<br />
Government and<br />
public sector<br />
Impact scale<br />
Critical<br />
High<br />
Medium<br />
Moderate<br />
52 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Oil and gas<br />
Power and<br />
utilities<br />
Real<br />
estate<br />
Technology<br />
Telecoms
Impulse Interview<br />
„ Wir müssen wissen, dass wir nicht immer<br />
alles richtig entscheiden können.“<br />
Der Däne Morten Hannesbo steht an der Spitze des Schweizer Autohandelskonzerns AMAG Automobil-<br />
und Motoren AG. In einem insgesamt rückläufigen Umfeld baut der Marktführer seine Stärke immer<br />
weiter aus und ist auf Wachstumskurs. Doch langfristig gilt es, die Weichen neu zu stellen und die<br />
Mobilitätskonzepte der Zukunft mitzugestalten. Auch angesichts dieser Herausforderung plädiert<br />
Hannesbo für eine vertrauensvolle Streitkultur und die Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen.<br />
Fotos: Michael Hudler<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
53
Impulse Interview<br />
Wie würden Sie Entscheidungen in Ihrem Unternehmen<br />
charakterisieren?<br />
Ein Entscheidungsprozess ist oft eine Kompromisssuche, bei der<br />
man die Lösung sucht, die am besten funktioniert. Das gilt insbesondere<br />
in einem Unternehmen wie AMAG. Wir arbeiten in einer<br />
Matrixorganisation, in der es darum geht, alle einzubinden und<br />
abzuholen und erst dann zu entscheiden, wenn sich eine Mehrheit<br />
für die Entscheidung gefunden hat. Das ist oft mühsam, aber ich<br />
sehe unsere Firma wie eine Menge an Zahnrädern, die ineinandergreifen<br />
müssen. In so einer Konstruktion braucht es Öl, damit die<br />
Organisation funktioniert und die Zahn räder auch bei der Umsetzung<br />
einschneidender Entscheidungen weiterhin gut geschmiert<br />
sind und reibungslos laufen.<br />
Welche Rolle haben Sie als CEO in den Entscheidungsprozessen?<br />
Ich verstehe mich als Schiedsrichter. Ich sorge dafür, dass eine<br />
Entscheidung getroffen wird oder dass sie verschoben wird, wenn<br />
der Zeitpunkt nicht reif ist. Meine Aufgabe ist zu verstehen, ob die<br />
Firma für die anliegende Entscheidung bereit ist. Ich muss fragen:<br />
Passt die Entscheidung zu unserer Struktur? Würden die Mitarbeiter<br />
die Entscheidung unterstützen? Eine gute Entscheidung ist<br />
nicht unbedingt die perfekte Entscheidung, sondern sie ist davon<br />
abhängig, dass sie gut umgesetzt wird. Das heisst, sie ist dann gut,<br />
wenn die Mitarbeiter hinter ihr stehen und sagen: „Ja, das ist richtig<br />
entschieden.“<br />
Was wäre zum Beispiel eine Entscheidung, die gut, aber nicht<br />
perfekt ist?<br />
Bei Investitionsentscheidungen ist das oft der Fall. Wir können<br />
hier nicht alles im Vorfeld prüfen und alle Informationen einholen.<br />
Da kommt es auf Schnelligkeit an.<br />
Kommt es bei Entscheidungen auch auf Mut an? Auf den Mut,<br />
Fehler zu machen?<br />
Grundsätzlich gehört Mut zu Entscheidungen natürlich dazu.<br />
AMAG ist ein sehr starkes Unternehmen, deshalb können wir es<br />
uns auch leisten, mutig zu sein. Ich glaube aber, dass die Fehlerkultur<br />
in der Schweiz nicht besonders ausgereift ist. Wir müssen<br />
lernen, mit Fehlern umzugehen und weniger zu kritisieren. Dabei<br />
ist es aber nicht egal, welche Fehler gemacht werden. Nicht alle<br />
Fehler sind erlaubt.<br />
Welche Fehlentscheidungen wären tabu?<br />
Fehlentscheidungen zum Beispiel, die unsere Unternehmenswerte<br />
verletzen, sind nicht akzeptabel. Bei der Integrität, mit der wir<br />
unsere Mitarbeiter behandeln, dürfen uns ebenfalls keine Fehler<br />
unterlaufen. Wenn wir dagegen entscheiden, dass wir eine bestimmte<br />
Summe investieren, und es stellt sich heraus, sie war<br />
nicht angemessen, dann müssen und können wir das als Fehler<br />
akzeptieren. Das sind Entscheidungen, die getroffen werden<br />
müssen, und wenn sie fehlerhaft sind, kann man daraus lernen.<br />
Wir müssen unterscheiden zwischen den Entscheidungen, die<br />
den Kern unseres Unternehmens – unsere Werte – betreffen,<br />
und den Entscheidungen, die sich auf unsere Geschäftsfelder<br />
beziehen. Bei den Geschäftsfeldern gibt es immer wieder Unwäg<br />
barkeiten, hier können wir nicht alles wissen. Aber unsere<br />
Unternehmens werte müssen wir kennen. Als Schweizer Familienunternehmen<br />
müssen wir unsere Mitarbeiter wie Familienmitglieder<br />
behandeln.<br />
Wie bereiten Sie Entscheidungen vor?<br />
Mein Ziel ist es, Entscheidungen so vorzubereiten, dass wir ungefähr<br />
80 Prozent über die zu entscheidende Lage wissen, die<br />
restlichen 20 Prozent müssen wir annehmen. Darüber hinaus<br />
konzentrieren wir die Entscheidungen auf das Ziel und diskutieren<br />
weniger den Weg. Die Entscheidungen beziehen sich auf die<br />
Frage, wo wir bis wann hinwollen und wer dafür die Verantwortung<br />
übernimmt. Den Weg überlassen wir den Mitarbeitern, denn<br />
sie verfügen über das Fachwissen. Dabei versuche ich immer<br />
auch, mein Team so einzubinden und vorzubereiten, dass sie von<br />
den Entscheidungen nicht überrascht werden. Doch auch wenn<br />
ich AdhocEntscheidungen möglichst vermeide, werden meine<br />
Mitarbeiter sicherlich dennoch sagen, dass viele Entscheidungen<br />
plötzlich getroffen werden.<br />
Sie räumen Ihren Mitarbeitern grosse operative Spielräume und<br />
Verantwortung ein. Mussten Sie lernen, Verantwortung abzugeben<br />
und Ihren Mitarbeiter voll und ganz zu vertrauen?<br />
Ja, das war und ist immer noch ein wichtiger Lernprozess. Wir<br />
versuchen Verantwortung weitgehend zu delegieren. In Bereichen,<br />
in denen ich persönlich das Gefühl habe, ich könnte mehr<br />
beitragen, fällt mir das immer noch sehr schwer. Aber wir können<br />
uns nicht mit allen Details beschäftigen, sonst verlieren wir den<br />
54 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
Impulse Interview<br />
Überblick. Ich konzentriere mich auf die zehn Prozent, die oben<br />
sind – Strategie, unsere Werte und unsere Kultur.<br />
Wie fördern und stärken Sie Ihre Mitarbeiter darin, die ihnen eingeräumten<br />
Entscheidungsfreiheiten konstruktiv und im Sinne von<br />
AMAG zu nutzen?<br />
Wir arbeiten intensiv daran, dass unsere Mitarbeiter immer verstehen,<br />
was unsere Strategie und unsere Ziele sind und über<br />
welchen Handlungsspielraum wir verfügen. Als Marktführer werden<br />
wir in allem, was wir machen, beobachtet. Unsere Spielräume<br />
sind also begrenzt und müssen immer wieder neu definiert und<br />
kommuniziert werden. So veranstalten wir zum Beispiel sogenannte<br />
SkipLevelGespräche, bei denen wir Mitarbeiter verschiedener<br />
Ebenen treffen und genau diese Themen diskutieren. Bei der Zieldefinition<br />
versuchen wir so konkret wie möglich zu sein und sie<br />
auch mit einem Termin zu versehen. Wenn die Mitarbeiter dann<br />
das Ziel verstehen und das Gefühl haben, den Weg innerhalb der<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
„Ein Entscheidungsprozess ist oft eine Kompromisssuche, bei der<br />
man die Lösung sucht, die am besten funktioniert. Das gilt<br />
insbesondere in einem Unternehmen wie AMAG. Ich verstehe mich als<br />
Schiedsrichter. Ich sorge dafür, dass eine Entscheidung getroffen<br />
wird oder dass sie verschoben wird, wenn der Zeitpunkt nicht reif ist.”<br />
vorgegebenen Zeit selbst gestalten und beschreiten zu können,<br />
sind sie vorbereitet, und wir können sie alleine laufen lassen.<br />
Wie gestalten Sie ganz konkret den Dialog mit Ihren Mitarbeitern?<br />
Ich suche die direkte Nähe zu meinen Mitarbeitern, mit vielen duze<br />
ich mich, und meine Tür ist immer offen. Ich bin erreichbar, beantworte<br />
Telefonate und EMails schnell. Ich lobe viel und versuche<br />
immer, mehr Lob als Kritik auszusprechen. Je mehr ich die Stärken<br />
meiner Mitarbeiter sehe, schätze und anspreche, desto einfacher<br />
ist es für sie auch, mit Kritik umzugehen.<br />
Sie werden in der Presse als Optimist beschrieben. Prägt das auch<br />
Ihre Art, Entscheidungen zu treffen?<br />
Ist das so? Ich weiss nicht, ob ich Optimist bin, ich bin eher Realist,<br />
auch wenn für mich das Glas immer halbvoll und nicht halbleer ist.<br />
Ich habe die Fähigkeit, sehr kritisch mit Fakten umzugehen und die<br />
Gefahren zu sehen.<br />
55
Impulse Interview<br />
„Eine gute Entscheidung ist nicht<br />
unbedingt die perfekte Ent scheidung,<br />
sondern sie ist davon abhängig, dass<br />
sie gut um gesetzt wird. Das heisst,<br />
sie ist dann gut, wenn die Mitarbeiter<br />
hinter ihr stehen.”<br />
Wie treffen Sie Entscheidungen: analytisch oder eher intuitiv?<br />
Im Geschäft muss man aufpassen, dass das Bauchgefühl keinen zu<br />
hohen Stellenwert erhält. Entscheidungen, die nach Gefühl getroffen<br />
werden, sind schwer zu vermitteln und werden von den Mitarbeitern<br />
nicht getragen. Es braucht eine solide Analyse, um beurteilen<br />
und erläutern zu können, ob und dass die Rechnung ausreichend<br />
sicher ist und die Richtung stimmt. Wir arbeiten daher auch mit<br />
Szenarien, die mögliche Entwicklungen über einen Zeitraum von<br />
drei Jahren antizipieren. Allerdings sind wir im Handel und nicht in<br />
der Forschung. Bei uns wird schnell gehandelt und entschieden.<br />
Das Bauchgefühl hingegen ist dann besonders wichtig, wenn wir<br />
über die Einstellung von Mitarbeitern entscheiden und die Chemie<br />
stimmen muss. Alle anderen Entscheidungen wie Investitionen,<br />
Preisstellungen und Marketingausrichtungen würde ich, wie gesagt,<br />
eher analytisch angehen.<br />
Haben Sie lernen müssen, Entscheidungen zu treffen? Vielen<br />
Menschen fällt es ja leichter, einfach zu handeln als bewusst zu<br />
entscheiden?<br />
In der Regel entscheide ich gerne und ich bin auch ein schneller<br />
Entscheider. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang sicherlich, dass<br />
ich gut mit Fehlentscheidungen umgehen kann und keine Schwierigkeiten<br />
habe, meine Entscheidungen zu revidieren. Bei der AMAG<br />
haben wir eine Einrichtung, die uns hilft: den sogenannten Restart<br />
Room. Wenn wir Entscheidungen treffen müssen, sitzen wir in unserem<br />
Sitzungszimmer, das gleichzeitig auch unser Restart Room<br />
ist. Man darf von Neuem beginnen – es ist in Ordnung, Entscheidungen<br />
zu revidieren.<br />
Wie steht es mit Entscheidungen, die andere Menschen betreffen?<br />
Man sagt, diese Entscheidungen gehören zu den schwierigsten.<br />
Niemand trifft diese Entscheidungen gerne. Doch Schnelligkeit,<br />
Performance und Veränderung sind die zentralen Herausforderungen,<br />
vor die uns die heutige Wirtschaft stellt, und nicht alle Mitarbeiter<br />
sind in der Lage, rasch genug mit den Veränderungen und<br />
dem Leistungsdruck umzugehen. Deshalb ist es leider immer wieder<br />
notwendig, Entscheidungen über Mitarbeiter zu treffen. Diese<br />
Entscheidungen müssen gründlich geprüft und konsequent umgesetzt<br />
werden, damit man den Mitarbeitern in die Augen schauen<br />
kann. Solche Entscheidungen sind wie ein Schnitt, der mit Schmerzen<br />
verbunden ist, nach dem es dann aber weitergeht.<br />
Worauf achten Sie, wenn Sie sich entscheiden, Mitarbeiter bei<br />
AMAG einzustellen?<br />
Ich lege grossen Wert auf Integrität, auf Werte, die in unser Familienunternehmen<br />
passen und auf Leistungsfähigkeit. Wenn ich fachliche<br />
Qualifikation und Persönlichkeit gegeneinander abwägen<br />
müsste, gäbe im Zweifel die Persönlichkeit den Ausschlag. Innere<br />
Stärke ist sehr wichtig. Man kann fast jedem beibringen, was er in<br />
seinem Job braucht, wenn er eine gewisse Grundausbildung und<br />
den entsprechenden Willen mitbringt.<br />
Wie wichtig ist es für Sie, widersprüchliche Meinungen in den<br />
Entscheidungsprozess mit einzubeziehen?<br />
Ich finde das sehr wichtig, aber unsere Kultur ist in diesem Punkt<br />
noch nicht weit entwickelt. Wir haben immer noch eine sehr starke<br />
Konsenskultur, die kaum Widersprüche zulässt. In unserem Führungsteam<br />
arbeiten wir mit Coaching systematisch daran, Vertrauen<br />
aufzubauen. Das soll uns in die Lage versetzen, Kritik zu üben<br />
und entgegenzunehmen, ohne verletzt zu sein.<br />
Erklären Sie sich die heute noch fehlende Streitkultur bei AMAG<br />
mit der patriarchalisch geprägten Unternehmenskultur der Vergangenheit?<br />
Nein, ich sehe den Grund vielmehr in der Schweizer Kultur, die sehr<br />
konsensorientiert ist. Ich habe auch in Deutschland gearbeitet, wo<br />
die Streitkultur sehr viel ausgeprägter ist. Unsere Kunden sind international<br />
und unsere Lieferanten überwiegend deutsch. Wir<br />
müssen lernen, uns zu behaupten und uns zu streiten.<br />
Vor welchen strategischen Entscheidungen steht AMAG?<br />
Wir müssen die Weichen für Wachstum neu stellen. Das ist die<br />
grösste Herausforderung. Heute sind wir Marktführer und behaupten<br />
uns gut, aber wir dürfen uns damit nicht zufriedengeben. An<br />
einigen Stellen sind wir noch nicht stark genug, zum Beispiel an<br />
unseren Verkaufs und Servicepunkten. Wir werden uns langfristig<br />
mit den Fragen auseinandersetzen, die der demografische Wandel<br />
aufwirft. Die jüngere Generation denkt ganz anders als wir. Und<br />
das sind unsere zukünftigen Kunden. Eigentum zum Beispiel ist ihnen<br />
nicht mehr so wichtig, sie bewegen sich schneller und haben<br />
zum Thema Ökologie eine entschiedene Meinung. Die Entwicklung<br />
neuer Mobilitätskonzepte wie Elektromobilität wird uns neue<br />
Wachstumsmöglichkeiten bieten, die wir nutzen wollen. Diesen<br />
56 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
Impulse Interview<br />
Markt, der unter anderem auch eine neue Infrastruktur verlangen<br />
wird, müssen wir schnell analysieren und uns rasch eine Position<br />
erarbeiten. Wir werden sicherlich unser Händlernetz anpassen<br />
müssen, vielleicht werden wir uns in der Nähe von Verkehrsknoten<br />
aufstellen, damit wir an den Schnitt stellen zum öffentlichen Verkehr<br />
sind. Wenn wir in diesem Markt erfolgreich wachsen wollen,<br />
müssen wir einen überdurchschnitt lichen Marktanteil erreichen,<br />
das heisst recht zeitig investieren.<br />
Wenn Sie Ihren eigenen Werdegang betrachten: Ist er mehr vom<br />
Zufall oder von bewussten Entscheidungen geprägt?<br />
Vielleicht klingt es nicht sehr glaubwürdig, aber ich habe immer<br />
einen Plan gehabt. Ich habe mir vorgenommen, in einiger Zeit etwas<br />
Bestimmtes zu erreichen, ohne mich auf Details wie Ort oder Zeitpunkt<br />
festzulegen. Per Zufall haben sich dann die Details ergeben.<br />
Wenn sich eine Gelegenheit anbot, die ich gesucht hatte, war ich<br />
auch bereit, sie zu ergreifen. Ich kann Ihnen ein Beispiel geben, als<br />
meine Frau wegen meiner Entschiedenheit fast verrückt geworden<br />
ist. Ich hatte ein JobAngebot in Deutschland er halten, das ich mit<br />
meiner Frau abgesprochen hatte und auch an neh men wollte. Dann<br />
rief mein zukünftiger Arbeitgeber an und teilte mir mit, der Job sei<br />
doch nicht in Deutschland, sondern in England. Wir hatten vier Wochen<br />
Zeit, mit unseren drei schulpflichtigen Kindern nach England<br />
zu ziehen. Für mich war das in Ordnung, weil ich mich für diesen Job<br />
entschieden hatte und ihn wollte.<br />
Erinnern Sie sich an besonders schwere Entscheidungen – private<br />
oder berufliche?<br />
Ja, zum Beispiel beruflich, als wir uns vor ein paar Monaten entschlossen,<br />
eine grosse Garage zu bauen, obwohl der Business Case<br />
nicht in Ordnung war. Wir wussten aber, dass die Entscheidung<br />
langfristig richtig ist. Wir riskierten, Verluste zu machen, aber wir<br />
haben uns dennoch für den Bau entschieden. Und privat erinnere<br />
ich mich sehr gut, dass der Umzug von England in die Schweiz eine<br />
besonders schwierige Entscheidung war. Unsere Kinder waren<br />
nicht bereit umzuziehen. Ich habe viel Zeit investiert und ihnen die<br />
Gründe erklärt. Wir sind gemeinsam in die Schweiz gereist und haben<br />
alles angeschaut. Ihre Zustimmung konnte ich nicht erkaufen,<br />
sondern nur mit Nähe, Zeit und Überzeugung gewinnen.<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Morten Hannesbo<br />
CEO AMAG Automobil- und Motoren AG<br />
Der Däne Morten Hannesbo steht seit Oktober 2009 dem grössten<br />
Schweizer Automobilhandelsunternehmen AMAG Automobil- und<br />
Motoren AG als CEO vor und ist damit der erste Manager an der<br />
Spitze des Traditionsunternehmens, der von aussen kommt. 1962 in<br />
Dänemark geboren, absolvierte er zunächst eine Lehre als Schifffahrtskaufmann.<br />
Mit 24 Jahren stieg er in die Automobilbranche ein,<br />
in der er rasch führende internationale Positionen einnahm: zunächst<br />
für Toyota und Nissan in Dänemark, anschliessend für Ford in Frankreich<br />
und England. Parallel dazu schloss er ein Studium der Betriebswirtschaft<br />
mit dem MBA ab. Seit 2006 lebt der Däne mit seiner Frau<br />
und seinen drei Söhnen in der Schweiz. Bei AMAG startete er als<br />
Managing Director des Geschäftsbereichs Import, nur zwei Jahre<br />
später wurde er zum CEO der gesamten Gruppe ernannt. Die AMAG-<br />
Gruppe blickt auf eine 65-jährige Tradition als Familienunternehmen<br />
zurück. Heute ist die Amag-Gruppe mit knapp 5 000 Mitarbeitenden<br />
Markt führer im Schweizer Markt und ist mit 700 Auszubildenden<br />
einer der grössten Ausbilder der Schweiz. Über den Geschäftsbereich<br />
AMAG IMPORT importiert und vertreibt sie Automobile der Marken<br />
VW, VW Nutzfahrzeuge, Skoda, Audi, Seat über das grösste Vertreternetz<br />
der Schweiz, 1 000 Händler und Servicepartner. Dazu zählen<br />
auch die rund 80 eigenen Filialbetriebe des Geschäftsbereichs AMAG<br />
RETAIL. Porsche AMAG RETAIL ist mit zehn eigenen Porsche-Zentren<br />
die grösste Porsche-Handelsorganisation der Schweiz. Unter der<br />
Marke ROC werden zudem sechs Occasionszentren betrieben. Zur<br />
AMAG-Gruppe gehören neben den Unternehmungen rund um das Auto<br />
auch die AMAG LEASING AG als kompetenter Finanzdienstleister<br />
und in der Schweiz die Mietwagenfirma Europcar. Zudem betreibt sie<br />
diverse öffentliche Parkhäuser.<br />
57
Fotos: Michael Herdlein<br />
58 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
<strong>Entrepreneur</strong>e Interview<br />
„Tun,<br />
was mir<br />
wichtig<br />
ist!“<br />
Mit einzigartigem Schaffenstrieb hat sich Reinhold Messner immer wieder für<br />
gewaltige Projekte entschieden. Ob am Berg, in der Antarktis oder etwa in der Wüste,<br />
stets ging es auch um Leben und Tod. Gerade hat er den einzigartigen Reigen<br />
seines Bergmuseums vollendet und wappnet sich bereits, weiterzustürmen. Ein<br />
Einblick in die Motivationslage dieses aussergewöhnlichen Grenzgängers.<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 59
Impulse Grenzgänger<br />
Ein Mann mit Halskette, opulent und farbenfroh, handgefertigt in<br />
Tibet und durchdrungen mit den mythologischen Segnungen fürs<br />
Seelenheil, tritt nicht als Erster auf die Bildfläche der Imagination,<br />
wenn man sich einen grossen Entscheider vorstellen soll. Dennoch<br />
ist Reinhold Messner genau das. Dazu gehört einfach auch, dass<br />
gängige Klischees an ihm zerbröseln wie ein in die Tiefe gestürzter<br />
Felsbrocken; und dass in der Bestimmtheit, mit der er die extremen<br />
Projekte seines Lebens anpackte, immer auch Schicksalhaftigkeit<br />
mitschwang. Denn meist ging es bei seinen Entscheidungen um<br />
nichts weniger als um die Frage von Leben oder Tod. Mit Harakiri<br />
allerdings hat das nichts zu tun. „Bergsteigen, wie ich es betreibe,<br />
ist im Grunde genommen Risikomanagement.“<br />
Tempi passati? Weit gefehlt. Trotz seiner im letzten Herbst vollendeten<br />
66 Jahre gibt Messner nicht die befriedete Mannsperson im<br />
Rentenalter. Doch er gestattet einen Blick zurück, auf die Summe<br />
der Erfahrungen, den grösseren Rahmen sozusagen, in dem sein<br />
Handeln sich stets bewegte. „Um entscheiden zu können“, sagt er<br />
ohne eine Sekunde des Zögerns, „muss ich mir zuallererst klarmachen,<br />
dass ich ein Sterblicher bin.“ „Morti natus es“, ganz im Sinne<br />
Senecas: „Für den Tod bist du geboren.“ Aus diesem Wissen um die<br />
Begrenztheit des eigenen Seins heraus vernimmt er geradezu<br />
die Pflicht, mehr noch, den archaischen Imperativ, vorgetragen mit<br />
Südtiroler Zungenschlag: „Tun, was mir wichtig ist!“ Seiner ureigenen<br />
Sache nachgehen! Dieser Antrieb macht ihn stark. Umfrageergebnisse,<br />
denen zufolge in Europa nur 20 Prozent der Menschen<br />
das tun, was ihnen Freude bereitet, während die überwältigende<br />
Mehrheit einer Arbeit nachgeht, die sie nicht liebt, bereiten ihm<br />
Horrorgefühle, wecken seine Widerspenstigkeit. „Warum soll ich<br />
etwas machen, das sich andere für mich ausgedacht haben?“<br />
Eintauchen in eine andere Welt<br />
Messners Schaffenstrieb hat eine gewaltige Anzahl einzigartiger<br />
Spuren hinterlassen und geradezu Berge versetzt: Er bezwang als<br />
erster Mensch die 14 höchsten Gipfel der Erde und als zweiter die<br />
„Seven Summits“, die jeweils höchsten Massive der sieben Kontinente.<br />
Auf 3 500 Bergfahrten machte er sich zu 100 Erstbegehungen<br />
auf. Kein Wunder, dass seine Autobiografie, erschienen zu seinem<br />
60. Geburtstag im Jahr 2004, den Titel trägt „Mein Leben<br />
am Limit“. Dass dieser unbändige Selbstverwirklichungsdrang ihm<br />
immer wieder die Kritik einbrachte, er sei der Prototyp eines Egoisten,<br />
lässt ihn kalt. Da hat er den Philosophen Friedrich Nietzsche<br />
ganz und gar verinnerlicht und weiss, ein solches Denken entstammt<br />
der landläufigen Moral und ist nichts weiter als „die Summe des<br />
Denkens der Spiessbürger“.<br />
Als Bergsteiger, Politiker, Publizist, Autor und Essayist firmiert<br />
Messner im Internationalen Biografischen Archiv. Als Abenteurer,<br />
Extrembergsteiger, als Mann der Superlative, dem kein Gipfel zu<br />
hoch war und kein Drama zum endgültigen Verhängnis wurde, so<br />
lebt er in den Köpfen der vielen, die sein Wirken auf dem Fernsehbildschirm<br />
oder in den Illustrierten verfolgen. Ein Mann jedenfalls,<br />
der den Widerstand geradezu braucht, um an ihm zu reifen. Kein<br />
Wunder, dass so einer nicht nur Bewunderung erntet, sondern<br />
den Menschen häufig genug auch Angst macht.<br />
An seinem Image schreibt er aber auch selbst kräftig mit. Durch<br />
seine Dokumentarfilme, die 50 Buchveröffentlichungen, übersetzt<br />
in zwei Dutzend Sprachen. Darunter „Reinhold Messners Philosophie“,<br />
mit der er „Sinn machen“ will, „in einer Welt ohne Sinn“. Er<br />
berichtet über die Todeszone des Annapurna, die Durchquerung<br />
der Antarktis und der Wüste Gobi oder über seine Expedition zum<br />
Mount Everest, mit der er 1978 weltweites Aufsehen erregte. Zusammen<br />
mit Peter Habeler bezwang er den Gipfel doch tatsächlich<br />
ohne Sauerstoffgerät – was die Fachwelt bis dato als unrealisierbar<br />
attestiert hatte. Messner legt Zeugnis ab über alles, was er selbst<br />
er- und durch- und überlebt hat. Aber natürlich fällt auch dem<br />
Schlechtinformiertesten unter seinen Kennern sofort seine erste<br />
HimalayaExpedition ein, die er 1970 startete und bei der er ohne<br />
Sauerstoffgerät den Nanga Parbat bestieg. Gemeinsam mit seinem<br />
Bruder Günther, der dabei ums Leben kam. Ein Drama, das ihn für<br />
immer prägt und bis heute die Gemüter erregt. Messner selbst,<br />
darüber gibt er bereitwillig Auskunft, hat die Erfahrung der Todesnähe<br />
fortan radikaler gemacht in all seinen Entscheidungen.<br />
Reinhold Messner oben auf dem Berg zu treffen, ist also mehr als<br />
naheliegend. Über Bozen, wo der Schlern und die Texelgruppe das<br />
Landschaftsbild beherrschen, auch von Schloss Sigmundskron aus<br />
betrachtet, in dem er sein der Vollendung zustrebendes jüngstes<br />
Werk präsentiert, das Messner Mountain Museum, genauer gesagt<br />
MMM Firmian, das Herzstück des Ganzen.<br />
60 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
Impulse Grenzgänger<br />
Wer das Tor zwischen den beiden Hütern, zwei stattlichen bronzenen<br />
Löwen, durchschreitet, taucht ein in eine andere Welt. Selbst<br />
der grösste Rationalist mag sich plötzlich in Ergriffenheit wiederfinden.<br />
Eine Leichtigkeit umspielt die antiken Ruinen, die architektonisch<br />
gekonnt in den avantgardistisch anmutenden Schlossbau<br />
integriert sind, mit Stahlbrücke und treppen und trotz alledem<br />
zierlich in der Anmutung. Alles so geschickt in die Landschaft eingebettet,<br />
dass der Mensch beDacht ist im wörtlichen Sinne und<br />
gleichzeitig frei von jeglichem Zwang der Festungsmauern.<br />
Die Menschen, die hier arbeiten, verbindet die tiefe Beziehung zu<br />
den Bergen, zur Natur. Sie scheinen im Reinen zu sein mit sich und<br />
ihrem Tun, ein fast spirituelles Fluidum beschwingt die Atmosphäre.<br />
Als wären die, die hier oben angekommen sind, lange genug durch<br />
die Mühen der Ebene marschiert, um sie nun getrost hinter sich zu<br />
lassen. Obwohl doch aus einem völlig anderen Kulturkreis, wirken<br />
auch die Statuen des Guru Rinpoche im Schlosshof oder des Vogelgotts<br />
Garuda oder all der anderen Gottheiten und Geister in den<br />
Felsenfenstern und Vorsprüngen, als wäre dies ihr natürlicher Be<br />
„Bergsteigen, wie ich<br />
es betreibe“, erläutert<br />
Reinhold Messner,<br />
„<br />
ist im Grunde genommen<br />
Risiko manage ment.“<br />
In der Wirtschaft sind<br />
seine Vorträge geschätzt,<br />
Parallelen zum Top -<br />
Manage ment evident.<br />
stimmungsort. Als gehörten sie hierher wie die tibetischen Gebetsfähnchen<br />
im Museumsshop, die reissenden Absatz finden. Gleich<br />
daneben stapeln sich die Kosmetiktöpfchen der „Messner Mountain<br />
Moments“, die vom Kräuterschlössl in Vinschgau hergestellt werden,<br />
aus natürlich angebauten Pflanzen. Ganz im Sinne von Messners<br />
biologisch nachhaltiger Landwirtschaftsidee.<br />
In jahrelanger SisyphosArbeit hat Messner für sein Bergmuseum<br />
gekämpft und mittlerweile ein Ensemble geschaffen, das seinesgleichen<br />
sucht. Er nennt es seinen „15. Achttausender“ und fügt<br />
hinzu, „dieses Projekt war wirtschaftlich gesehen viel schwieriger,<br />
als alle Achttausender zusammengenommen.“ Es ist kein Haus<br />
mit fünf Stockwerken, wie er Wert legt festzustellen, sondern ein<br />
Museum mit fünf Häusern, verteilt über Norditalien, „in denen ich<br />
erzähle, was passiert, wenn Mensch und Berg sich begegnen“.<br />
Dass man in diesen Begegnungen zu den Wurzeln der Existenz und<br />
zum Ursprung des Universums vordringt, versteht sich beinahe<br />
von selbst. „Die Religionen kommen alle vom Berg herunter, das ist<br />
sehr interessant“, sagt Messner. Da ist Moses, der auf dem Berge<br />
62 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
Impulse Grenzgänger<br />
Sinai von Gott die zehn Gebote entgegennimmt; Mohammed, der<br />
auf dem Berge Hira meditiert und von Allah seine Eingebung<br />
bekommt; auch Buddha meditiert, im Himalaya allerdings, und die<br />
jüngeren Religionsstifter Marpa und Milarepa – Figuren aus der<br />
tibetischen Mythologie – steigen ebenfalls vom Berg herunter. Der<br />
Berg suggeriert ein Momentum der Ewigkeit, aber auch Übersicht,<br />
Weitsicht, Welt- und Jenseitssicht, Geheimnis, Klarheit und Erkenntnis.<br />
Und sei es in Gestalt der Stimme, die aus dem brennenden<br />
Dornbusch kommt.<br />
Radikale Klarheit in allen Entscheidungen<br />
Die anderen Ableger von Messners Bergmuseum sind: das MMM<br />
Ortles in Sulden, das sich thematisch an den Gletschern wetzt; das<br />
MMM Dolomites, auf dem Monte Rite bei Cortina, wo sich alles um<br />
den Alpinismus in den Dolomiten dreht; und MMM Juval, das erste<br />
der fünf Häuser auf dem gleichnamigen Schloss im Vinschgau,<br />
in dem Messner mit seiner Familie einen Teil des Jahres auch lebt,<br />
widmet sich ganz dem unerschöpflichen Mythos Berg; und schliesslich<br />
wird MMM Ripa im Schloss Bruneck in einigen Monaten Eröffnung<br />
feiern und den Reigen der Messner‘schen Bergmuseen vollenden.<br />
Dort soll sich alles um das Leben der Bergvölker drehen.<br />
Seitdem 1970 einfache Bergbauern am Nanga Parbat Messner das<br />
Leben retteten, fühlt er sich eng mit ihnen verbunden, wie überhaupt<br />
mit allen Völkern in den Bergen. Jahrelang organisierte er<br />
Hilfe für die Bewohner des „Schicksalsbergs“ und gründete die<br />
Messner Mountain Foundation. Eine Stiftung, die den Einheimischen<br />
im Himalaya, im Karakorum, in den Anden und anderen unzugänglichen<br />
Bergregionen Hilfe zur Selbsthilfe leistet. Im Diamir-<br />
Tal etwa, in der Kaschmir-Region Pakistans, baute die Stiftung<br />
die Günther-Messner-Schule, in der nun 50 Kinder aus der Region<br />
unterrichtet werden können. Der Weg zur nächsten Schule betrug<br />
vorher zwölf Stunden Fussmarsch.<br />
„Ich bin ja kein Unternehmer, sondern eher ein Spieler“, sagt Reinhold<br />
Messner. Wir sitzen auf Gartenstühlen, rundum grüne Wiese,<br />
und das Strahlen seiner blauen Augen leuchtet ins Südtiroler Land.<br />
Dass Messner kein Musterexemplar des Homo oeconomicus ist,<br />
eines Menschen, der sein Handeln ausschliesslich an der Zweckmässigkeit<br />
wirtschaftlicher Erwägungen misst, braucht nicht mehr<br />
eigens erwähnt werden, wenn man seine Biografie kennt. Aber<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Auf Schloss Sigmundskron,<br />
oberhalb von Bozen, liegt das<br />
Herzstück des einzigartigen<br />
Messner Mountain Museums,<br />
MMM Firmian. Schlern und<br />
Texelgruppe beherrschen das<br />
Landschaftsbild (Bild links)<br />
Buddhistische Gottheiten,<br />
hier Ganesha, sind im<br />
Schlosshof von MMM Firmian<br />
so selbstverständlich wie<br />
tibetische Gebetsfahnen oder<br />
Messners Naturkosmetik.<br />
steckt nicht in jedem Unternehmer im Grunde genommen ein<br />
Homo ludens, einer der sich dem Schöpferischen auch immer auf<br />
spielerische Weise nähert? Einem Spieler hingegen haftet doch<br />
stets etwas Verantwortungsloses, gar Ruchloses an. „Nein“, bleibt<br />
Messner kategorisch. „Von allen Menschen geniesst der Spieler die<br />
grösste Freiheit in seinen Entscheidungen.“ Und Freiheit, wie er sie<br />
meint, die braucht er nun einmal wie die Luft zum Atmen.<br />
Trotz seiner mehrjährigen Repräsentanz für die Südtiroler Grünen<br />
im Europäischen Parlament ist es für ihn selbstverständlich, dass<br />
er „keiner Partei nach dem Mund reden muss“. Auch wirtschaftlich<br />
sei er niemandem verpflichtet, sagt er, und daher von keinerlei<br />
Rücksichtnahmen eingezwängt. Frei von jedweder äusseren Zensur<br />
also, hört er nur auf die Stimme seines inneren Tabernakels und<br />
kann ohne Wenn und Aber behaupten: „Ich gehe nach wie vor meinen<br />
Leidenschaften nach.“ Seine Leidenschaften haben sich immer<br />
wieder geändert, fast zuverlässig im 15-Jahres-Rhythmus. Mit<br />
dem Felsklettern hatte es ein unwiderrufliches Ende, nachdem<br />
Messner während der Nanga-Parbat-Tortur die Zehen erfroren. Mit<br />
einer kompromisslosen Klarheit, die alle seine Entscheidungen auszeichnet,<br />
wurde er danach zum Höhenbergsteiger. Aber als er den<br />
höchsten Berg der Welt, den Mount Everest, bestiegen hatte, lebte<br />
er nicht etwa davon, den Sieg lange auszukosten. Nein, Reinhold<br />
Messner konstatierte anschliessend in aller Schlichtheit: „So, jetzt<br />
bin ich oben angekommen, mehr kann ich nicht. Ich kann mich nur<br />
noch wiederholen.“ Wiederholungen aber findet er, wir ahnen es<br />
bereits, „langweilig.“<br />
Und Langeweile kann dieser Mann nicht ertragen. Als der Berg ihn<br />
nicht mehr genügend provozieren konnte, entschloss er sich dazu,<br />
seine Herausforderungen künftig in extremen Fernmärschen durch<br />
menschenfeindliche Wildnis zu suchen. Unvergesslich bleibt sein<br />
langer Marsch von 1989/90 mit Expeditionspartner Arved Fuchs.<br />
92 Tage lang stapften die beiden, im bewussten Verzicht auf Hunde-<br />
oder Motorschlitten, 2 800 Kilometer durch die Antarktis zum<br />
Südpol. Nach dem ewigen Eis kam dann die Wüsten-Phase. Zu seinem<br />
60. Geburtstag wagte Messner die 2 000-Kilometer-Längsdurchquerung<br />
der Wüste Gobi im Alleingang; frei nach Nietzsche<br />
„ohne einander“. Ausgestattet nur mit einem 50-Kilo-Rucksack,<br />
Zelt und GPS. Diesen „letzten Grenzgang zwischen Leben und Tod“<br />
begriff er auch als Versuch, mit dem Alter zurechtzukommen.<br />
63
Impulse Grenzgänger<br />
„Man kann am Widerstand wachsen“,<br />
erläutert Messner die eigene Erfahrung.<br />
„Wenn Widerstände da sind, entwickle<br />
ich viel mehr Kräfte.“ Sein Bergmuseum<br />
hat eine Menge dieser Kraft verlangt.<br />
Und er entdeckte dabei „die Wüste in mir“. In seiner kräftigen Stimme<br />
klingt – vielleicht eine Begleiterscheinung des ewigen Anrennens gegen<br />
Widerstände – unterschwellig eine gewisse Dosis Trotz mit. Widerstände,<br />
er gibt es ohne Umschweife zu, sind ihm zur Obsession<br />
geworden. „Man kann am Widerstand wachsen, und ich bin so veranlagt:<br />
Wenn Widerstände da sind, entwickle ich viel mehr Kräfte.“<br />
So betrachtet ist eine Felswand nichts anderes als ein Widerstand.<br />
Mit den Zupacker-Händen, die dennoch erstaunlich zart wirken,<br />
seinem gegerbten Äusseren, in Baumwollhose und blaukariertem<br />
Holzfällerhemd, sieht Messner aus wie die moderne Version eines<br />
Bergbauern, der rechtschaffen und redlich in der ständigen Auseinandersetzung<br />
mit den Naturgewalten hadert und schon deshalb die<br />
Bodenhaftung gar nicht verlieren kann. Gut möglich, dass es unter<br />
anderem genau das ist, was die Granden der Wirtschaft an ihm mögen.<br />
Denn bekanntermassen leben diese Führungspersönlichkeiten<br />
in ständiger Gefahr abzuheben, und nicht wenigen unter ihnen entgleitet<br />
die Beziehung zu den Mitarbeitern, zu ihrer ganzen Lebenswelt<br />
gar. In der Welt des Business jedenfalls ist Messner ein begehrter<br />
Vortragsreisender. Und für eine kleine exklusive Gruppe von<br />
CEOs und Unternehmern, die sogenannten Similauner, war er viele<br />
Jahre ein grosser Coach und Entscheider, ein „Leader“ im wahrsten<br />
Sinne. Einmal jährlich ziehen sie immer noch gemeinsam ins Gebirge,<br />
obwohl einige von ihnen gar nicht mehr in ihren früheren TopPositionen<br />
sind. Wenn am Abend über die Risiken und Nebenwirkungen<br />
auf einem anderen Gipfel, dem der Macht nämlich, debattiert<br />
wird, dann ist Messner Bergführer im metaphorischen Sinn.<br />
Dann mag im vertraulichen Kreis schon einmal darüber befunden<br />
werden, was ein Einzelner warum und wie entschieden hat. Und<br />
sollte einer in Unsicherheit und Selbstzweifel über einmal getroffene,<br />
aber unglückliche Entscheidungen schlittern, kann er gleich an<br />
der Philosophie des Reinhold Messner gesunden: „Zurückzuschauen,<br />
das ist absolut verlorene Zeit.“ Wenn etwas nicht gelungen ist,<br />
dann ist es nicht gelungen. Basta. Die Gründe des Scheiterns, weiss<br />
Messner aus hinreichend eigener Erfahrung, offenbaren sich immer<br />
umgehend und lassen sich daher korrigieren.<br />
Hingegen: „Wenn ich Erfolg habe, weiss ich oft nicht warum.“ Es ist<br />
nun einmal so, wie es der Volksmund weise kundtut: Der Erfolg hat<br />
viele Väter. Gerade deshalb ist er so schwer berechenbar. Aber jeder<br />
ins Gelingen Verliebte muss sich vor Augen halten, „erfolgreich<br />
wird man nur, wenn man immer wieder scheitert. Wenn jemand nur<br />
Erfolg hat, dann fällt er früher oder später absolut durch und ist<br />
dann weg.“ So betrachtet ist das Scheitern unabdinglich als Karrierestabilisator,<br />
ist es der kleine Bruder des Gedeihens.<br />
Das Gesetz des Energierückflusses<br />
Wirtschaftliche Blüte und Entfaltung aber, darüber herrscht Einigkeit,<br />
setzt richtige Entscheidungen voraus. Und eine gute Entscheidung,<br />
so lernen die Wirtschaftslenker von heute, basiere auf der<br />
gelungenen Mischung aus Analyse, Intuition und Erfahrung. Von<br />
Reinhold Messner aber stammt die einprägsame Maxime: „Meinen<br />
Instinkten wage ich nicht zu widersprechen.“ Was also gilt, wenn<br />
es darauf ankommt, Kopf oder Bauch, Verstand oder Instinkt? „In<br />
kritischen Situationen“, da ist sich Messner sicher, „entscheidet<br />
der Instinkt, ist dann wichtiger als der Verstand.“ Und warum?<br />
„Weil der Verstand zu langsam ist. Er muss ja alle Erfahrungen zusammenbringen,<br />
um zu schlussfolgern, so könnte es gehen.“<br />
Wie aber soll sich der Mensch, der Wirtschaftsmensch insbesondere,<br />
seine Instinkte erhalten, in einer durch und überanalysierten<br />
Welt? „Wir haben die gesamten Instinkte in uns, seit der Mensch<br />
zum Menschen geworden ist“, da ist sich Reinhold Messner seiner<br />
Sache ganz sicher. Zum einen durch die Erfahrungen, die aus dem<br />
eigenen Handeln resultieren, zum anderen durch die Erfahrungen<br />
in der Entwicklungsgeschichte als solcher. Natürlich kann das nicht<br />
heissen, dass ein Bergsteiger etwa gleich im schwierigen Gelände<br />
einsteigt. Auf diese Weise würde er umkommen. Er trainiert seinen<br />
Instinkt, so wie es auch die Vernunft gebietet, in kleinen Schritten.<br />
Dann ist da noch das Gesetz des Energierückflusses, erfahren wir.<br />
Stammt das nun aus der Spiritualität des asiatischen Kulturkreises,<br />
mit dem Messner einen Gutteil seines Lebens in Berührung gekommen<br />
ist? Doch da rückt er schnell zurecht: „Ich bin weit weg<br />
von der Esoterik. Ich bin ein Praktiker.“ Und als solcher hat er die<br />
Erfahrung gemacht, dass jedes gelungene Projekt ein Vielfaches<br />
der Energie zurückgibt, die er investiert hat. Irgendwo an diesen<br />
Reibungspunkten der Energien entsteht Kreativität. Die Voraussetzung<br />
für jeden Spitzenbergsteiger, genauso wie für jeden Top<br />
Manager oder Unternehmer.<br />
64 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
Impulse Grenzgänger<br />
Messner ist all das in einer Person. Und trotz des langen Atems<br />
für eine Sache gehört er zu denen, die sich immer abringen, noch<br />
einen Schritt voranzugehen, auf unbehaustem Territorium. Sein<br />
Bergmuseum, das steht nun bald. Er wird die Fäden noch eine Weile<br />
selbst in der Hand halten, aber dann an eine junge Direktorin übergeben.<br />
Denn: „Es gibt nichts Langweiligeres, als ein funktionierendes<br />
Unternehmen zu verwalten.“<br />
Es ist unüberhörbar, dass er sich bereits entschieden hat, zu neuen<br />
Gipfeln aufzubrechen. Dass er wieder losziehen wird mit seiner<br />
grandiosen Neugier, etwas Neues zu lernen und zu erobern. „Ja“,<br />
sagt er, „ich habe schon eine vage Vorstellung.“<br />
Reinhold Messner<br />
Reinhold Messner wurde im September 1944 in Brixen/Südtirol als zweites<br />
von neun Kindern geboren. Schon als Fünfjähriger bestieg er mit seinem<br />
Vater, einem Lehrer, seinen ersten Dreitausender. Die Bergsteigerei sollte<br />
die Leidenschaft seines Lebens werden. Er war ein begeisterter Felskletterer<br />
und hatte bereits als 20-Jähriger 500 Klettertouren in den Ostalpen<br />
und den Dolomiten bewältigt. 1970 bestieg er den Nanga Parbat mit seinem<br />
Bruder Günther ohne Sauerstoffgerät über die bis dahin unbezwungene<br />
Rupalwand. Sie erreichten zwar den Gipfel, aber beim Abstieg kam<br />
der Bruder ums Leben. Ein Drama, das Reinhold Messners Leben prägt.<br />
Die Erfahrung der Todesnähe hat seinen Blick aufs Leben geschärft. Wegen<br />
der Amputation von sechs erfrorenen Zehen war er als Kletterer für<br />
immer behindert. So verlegte er sich aufs Höhenbergsteigen im Eis, auf<br />
die Achttausender, immer mit der Motivation: „Wenn ich mich aussetze,<br />
wenn ich in Schwierigkeiten, in Gefahr und in Exposition, also weit weg<br />
von jeder möglichen Sicherheit unterwegs bin, mache ich die stärksten<br />
Erfahrungen, und um die geht es.“ Messner hatte immer den Ehrgeiz, mit<br />
möglichst wenig technischen Hilfsmitteln auszukommen und schwierige<br />
Touren als Erster zu meistern. Nachdem es ihm, wieder ohne Sauerstoffgerät,<br />
gelang, den Mount Everest zu bezwingen, machte er sich in der<br />
Folgezeit auf extreme Fernmärsche, etwa durch die Antarktis oder die<br />
Wüste Gobi. Parallel zu seinen Abenteuern wurde er auch zum gefragten<br />
Redner und Coach für Top-Manager, zum erfolgreichen Autor und Filmer,<br />
ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen. In seinem jüngsten Projekt geht<br />
es um sein Erbe, um die Realisierung des Messner Mountain Museum, kurz<br />
MMM, mit fünf Häusern in Norditalien. Sein Anliegen: zu erzählen, „was<br />
in uns passiert, wenn wir uns den Bergen ausliefern, ihren Gefahren und<br />
ihrer Erhabenheit, ihrer Grösse und ihren Geheimnissen“. Messner lebt<br />
mit Frau und Kindern in Meran, auf Schloss Juval im Vintschgau und in<br />
seinem Zweitwohnsitz München.<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
Architektonisch gekonnt<br />
sind die antiken Ruinen<br />
in den avantgardistisch<br />
anmutenden Museumsbau<br />
integriert.<br />
Stahlbrücke und -treppen<br />
sind so zierlich in ihrer<br />
Anmutung, dass der Blick<br />
auf die Ausstellungsstücke<br />
frei bleibt.<br />
65
Impulse Mindmap<br />
Die Entscheidungsfreudige<br />
Warum Sara Hürlimann mit dem Zahnarztzentrum so erfolgreich ist<br />
Entscheidungen müssen möglichst einfach, aber strukturiert sein, lautet der Grundsatz von Sara<br />
Hürlimann, die sich selbst zudem als eine schnelle Entscheiderin charakterisiert. Gemeinsam mit ihrem<br />
Mann Christoph Hürlimann ist sie Geschäftsführerin der zahnarztzentrum ch AG. Ihr Ziel war es von<br />
Anfang an, in Grösse und Qualität ein führender Anbieter von zahnmedizinischen Leistungen zu werden.<br />
Das ist der Zahnärztin und dem ehemaligen Unternehmensberater in nur sieben Jahren gelungen.<br />
Angefangen hat die Erfolgsgeschichte in Zürich. Aufgrund des Freizügigkeitsabkommens zwischen der<br />
Schweiz und der EU war es der gebürtigen Schwedin 2003 möglich, hier eine eigene Praxis zu eröffnen.<br />
Mit Räumen für zwölf Ärzte war das erste Zentrum bereits auf Wachstum ausgerichtet. Doch anfangs<br />
praktizierten hier nur sie, ein weiterer Zahnarzt und eine Dentalhygienikerin. Und das 365 Tage im<br />
Jahr, auch ausserhalb der üblichen Sprechstunden sowie am Wochenende. Diese Orientierung an den<br />
Bedürfnissen der Patienten kam so gut an, dass bis zum heutigen Tag elf weitere Zentren mit insgesamt<br />
220 Mitarbeitern folgten. Anfang diesen Jahres dann fiel die Entscheidung, ins Ausland zu expandieren,<br />
mit der finanziellen Unterstützung und der Expertise eines französischen Private-Equity-Investors.<br />
Nun heisst das nächste Ziel Stockholm. Der Anspruch der Patienten an Service und Qualität sind dort<br />
genauso hoch wie in der Schweiz. Wer sollte das besser wissen als Sara Hürlimann.<br />
66 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
Impulse Mindmap<br />
Turbo fürs Hirn<br />
In den späten sechziger Jahren von dem britischen<br />
Psychologen Tony Buzan erfunden,<br />
machen Mindmaps komplexe Herausforderungen<br />
anschaulich, weil sie auf der assoziativen<br />
Arbeitsweise des Gehirns aufbauen und dem<br />
Brainstorming eine greifbare Gestalt geben.<br />
Die Idee zur Mindmap kam Buzan bei der Arbeit<br />
an seinem Buch „An Encyclopedia of the<br />
Brain and Its Use“ (1971), später liess er<br />
Werke wie „Use Your Head“ und „The Mind<br />
Map Book“ folgen. Das Prinzip der Mindmap<br />
ist schlicht: Um einen zentralen Begriff herum<br />
– in diesem Fall: Entscheidung – gruppieren<br />
sich Schlüsselthemen, in denen sich eine<br />
Assoziation an die andere reiht. Schnell entsteht<br />
so ein kreatives Gedankengebäude, das<br />
bei unternehmerischen und privaten Entscheidungen<br />
Orientierung bietet.<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong> 67
Impulse Vordenker<br />
Engstens vernetzt<br />
Wenn Entscheider sich an den Erfolgsrezepten der Evolution orientieren, sind sie besser in der Lage,<br />
gute Entscheidungen zu treffen und zu kommunizieren, davon ist Professor <strong>Ernst</strong> Pöppel, Hirnforscher<br />
und KoDirektor des Parmenides Center for the Study of Thinking, überzeugt. Sein Buch „Zum Entscheiden<br />
geboren“ zeigt Erkenntnisse der Hirnforschung auf, die im unternehmerischen Kontext nützlich<br />
sein können. In seinem Essay für „<strong>Entrepreneur</strong>“ widmet Pöppel sich insbesondere dem Thema Analyse<br />
versus Intuition bei der Entscheidungsfindung.<br />
Viele Entscheider sind der Überzeugung, sie würden ihre Entscheidungen<br />
ausschliesslich rational anhand von Analysen treffen und<br />
sie liessen sich dabei nicht von ihrer Intuition, von ihrem „Bauchgefühl“<br />
leiten. Das ist verständlich angesichts der weitreichenden<br />
Verantwortung, die <strong>Entrepreneur</strong>e mit ihren Entscheidungen für<br />
das Unternehmen, die Stakeholder und die Mitarbeiter tragen. Es<br />
ändert aber nichts an der Tatsache, dass es ein Vorurteil ist. Der<br />
vermeintliche Gegensatz Analyse versus Intuition existiert so nicht.<br />
Wie auch Entscheidungen „aus dem Bauch heraus“ tatsächlich im<br />
Gehirn getroffen werden. Es entspricht der Struktur des menschlichen<br />
Gehirns, dass alle Ebenen, Analyse und Intuition, engstens<br />
vernetzt sind.<br />
Aus Sicht der Hirnforschung gibt es zwei Typen von Entscheidungen,<br />
die expliziten Entscheidungen, die bewusst getroffen werden,<br />
und die impliziten, weitgehend unbewussten Entscheidungen.<br />
Was so kompliziert zu sein scheint, ist für unser Gehirn im Grunde<br />
die natürlichste Sache der Welt. Alle zwei, drei Sekunden fragt<br />
es von innen nach aussen: „Was gibt es Neues in der Welt?“ Auf<br />
diese Weise trifft es jeden Tag etwa 20 000 Entscheidungen –<br />
beispielsweise vor jeder Reaktion auf einen Sinnesreiz. Entsprechend<br />
dem Konzept von den expliziten und impliziten Entscheidungen<br />
lassen sich darüber hinaus verschiedene Ebenen der<br />
Entscheidung festhalten, die in einem längeren zeitlichen Rahmen<br />
getroffen werden. In den Kontext der expliziten Entscheidungen<br />
gehören die strategischen, die taktischen und die operativen.<br />
Ein Beispiel für eine strategische Entscheidung ist die für ein Studienfach.<br />
Damit gebe ich die Richtung vor für die nächsten Jahre<br />
und länger. Ein anderes Beispiel sind unternehmerische Entscheidungen,<br />
die oftmals Konsequenzen über Jahrzehnte hinaus zeitigen.<br />
Strategische Entscheidungen finden im frontalen Bereich<br />
des Gehirns statt. Sie müssen robust sein gegenüber taktischen<br />
Erwägungen, die kurzfristiger sind: Denn der Entscheider sollte<br />
wissen, dass es nicht immer nur einen geraden Weg zu einem Ziel<br />
gibt, sondern dass zufällige Ereignisse taktisch klug, das heisst<br />
zielführend genutzt werden können und müssen. Und schliesslich<br />
kon trolliert die operative Ebene erlernte, routinierte Handlungsmuster.<br />
Ganz wesentlich für Entscheidungsprozesse ist die Inter<br />
aktion zwischen strategischer, taktischer und operativer Ebene.<br />
Sie ist Merkmal eines jeden zielgerichteten Handelns.<br />
Das heisst aber keineswegs, dass wir nur durch unsere Vernunft<br />
gesteuert würden und bewusste, explizite Entscheidungen treffen.<br />
Vielmehr ist ein Entscheiden ohne eine emotionale Bewertung und<br />
die Einbettung in frühere Erfahrungen gar nicht möglich. Gute Entscheidungen<br />
erfolgen immer auch intuitiv, das heisst unter Einbeziehung<br />
unseres impliziten Wissens. Und dieses implizite Wissen<br />
verdankt sich der Effizienz unseres Gehirns. Es funktioniert beispielsweise<br />
so, dass vieles unbewusst erledigt wird oder dass probeweise<br />
Verbindungen zwischen Wissensinseln aus früheren Zeiten<br />
hergestellt werden, die erst dann zum Bewusstsein kommen, wenn<br />
sie im Rahmen einer Entscheidung erfolgversprechend sind. Auf<br />
die Effizienz des Gehirns ist also zurückzuführen, dass ich bei<br />
„Bauchentscheidungen“ im Augenblick der Entscheidung nicht<br />
weiss, warum ich in einer bestimmten Weise entschieden habe,<br />
ich aber das Gefühl habe, richtig entschieden zu haben. Das enthebt<br />
Entscheider natürlich nicht der Pflicht, sich im Nachhinein<br />
klar zu machen, warum sie wie entschieden haben. Es diskreditiert<br />
implizite Entscheidungen aber auch nicht, im Gegenteil.<br />
Viele leben in der Illusion, ausschliesslich analytisch zu handeln.<br />
Doch gerade Entscheider in internationalen Unternehmen werden<br />
auch die Erfahrung gemacht haben, wie wichtig es für den Erfolg<br />
und die Akzeptanz weitreichender Entscheidungen, zumal über<br />
kulturelle Grenzen hinweg ist, zunächst einmal Vertrauen zu schaffen<br />
und eine emotionale Atmosphäre herzustellen. Und wie wichtig<br />
es ist, Selbsttransparenz zu erzeugen und sich darüber klar zu werden,<br />
dass und in welcher Hinsicht ich immer vorgeprägt bin. Hier<br />
kann die Hirnforschung zu einem neuen Selbstverständnis beitragen.<br />
Denn das ökonomische Prinzip der Informationsverarbeitung<br />
verlangt geradezu nach Vorannahmen. Da ist jede Entscheidung<br />
nur die Bestätigung oder Zurückweisung einer Hypothese. Deshalb<br />
sollten Entscheider sich um Selbsttransparenz bemühen im Sinne<br />
des aufklärerischen Imperativs: „Wage zu wissen.“ Gerade für die<br />
gelungene Kommunikation zwischen Kulturen, gesellschaftlichen<br />
Gruppen oder Unternehmensetagen ist damit viel gewonnen.<br />
68 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
Impulse Vordenker<br />
<strong>Ernst</strong> Pöppel, geboren 1940 in Schwessin (Pommern), habilitierte in Sinnesphysiologie und<br />
in Psychologie. Nach Stationen in Cambridge, Boston sowie am Max-Planck-Institut für<br />
Verhaltensphysiologie und Psychiatrie ist er seit 1976 Ordinarius für Medizinische Psychologie<br />
in München und seit 2001 Ko-Direktor des Parmenides Center for the Study of Thinking.<br />
Pöppel hat gegenwärtig auch eine Gastprofessur an der Peking University inne.<br />
<strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong><br />
69
Impulse Zehn Fragen<br />
Zehn Fragen an<br />
Peter Sauber<br />
Formel-1-Piloten müssen bei Rennen<br />
häufig in Bruchteilen von Sekunden Entscheidungen<br />
treffen. Was kann man von<br />
ihnen lernen?<br />
Hätte man im Strassenverkehr die Reaktionszeit<br />
eines Formel-1-Piloten, wäre das<br />
bestimmt hilfreich. Aber lernen kann man<br />
nur innerhalb des eigenen Talents – und das<br />
ist in den meisten Fällen vergleichsweise<br />
begrenzt.<br />
2005 haben Sie die Sauber Motorsport<br />
AG an BMW verkauft. 2009, im Alter von<br />
66 Jahren, haben Sie Ihr Unternehmen<br />
zurückerworben. Warum?<br />
BMW hätte den Standort Hinwil geschlossen<br />
und alle Mitarbeiter entlassen. Das war<br />
für mich keine Option.<br />
Wie haben Sie diese Entscheidung getroffen?<br />
Was gab dabei den Ausschlag – Kopf<br />
oder Bauch?<br />
Nach ganz nüchternen Überlegungen hätte<br />
ich diesen Schritt wohl nicht wagen dürfen.<br />
Es war also eher eine Bauchentscheidung.<br />
Es gibt eine Reihe von Mitarbeitern, die 20<br />
und mehr Jahre in dieses Projekt investiert<br />
haben. Ihnen ging es nicht primär um den<br />
Lohn, sondern um die Sache. Für diese Mitarbeiter<br />
war es mir wichtig, dass es weitergeht.<br />
Zudem wäre am Standort Hinwil sehr<br />
viel Know-how verloren gegangen.<br />
Was hat Sie bewogen, im Alter von 27<br />
Jahren professionell in den Rennsport<br />
einzusteigen?<br />
Das war reiner Zufall. Ich hatte jemanden<br />
kennengelernt, der VW-Käfer tunte. Das<br />
war der erste Schritt, dem viele weitere<br />
folgten.<br />
Wie gehen Sie mit Zweifeln in Entscheidungssituationen<br />
um?<br />
Zweifel gehören bei einer Entscheidungsfindung<br />
dazu, das ist völlig normal. Wichtig<br />
ist jedoch, dass sie den Entscheidungsprozess<br />
nicht lähmen.<br />
Woran spüren Sie, dass Sie eine richtige<br />
Entscheidung getroffen haben?<br />
Am Ergebnis – der Sport ist da besonders<br />
ehrlich. In der Formel 1 lässt sich das anhand<br />
der WM-Punkte sehr genau beurteilen.<br />
Alle Sauber-Rennwagen tragen bis heute<br />
den Anfangsbuchstaben Ihrer Frau in<br />
der Bezeichnung – ein „C“. Wie wichtig<br />
ist Ihnen die Unterstützung Ihrer<br />
Frau bei schwierigen beruflichen Entscheidungen?<br />
Die Unterstützung meiner Frau war mir<br />
im privaten Bereich meines Lebens immer<br />
sehr wichtig. Aber ich habe Beruf und<br />
Familie streng getrennt und dementsprechend<br />
berufliche Entscheidungen selbst<br />
getroffen. Natürlich war es dabei immer<br />
wichtig, dass meine Frau das Vertrauen in<br />
mich hatte, diese Entscheidungen richtig<br />
zu treffen.<br />
Sie gelten als einer der weltweit besten<br />
Talentsucher für junge Formel-1-Piloten.<br />
Nach welchen Gesichtspunkten treffen<br />
Sie die Auswahl eines neuen Fahrers?<br />
Es ging für mich nie darum, Talente zu<br />
suchen, sondern aus den vielen jungen<br />
Fahrern, die mir von deren Managern angeboten<br />
wurden, die richtigen auszusuchen.<br />
Natürlich habe ich mir dabei die Resultate<br />
der Kandidaten genau angeschaut. Genauso<br />
wichtig war es mir aber, diese jungen<br />
Burschen kennenzulernen und ein Gefühl<br />
für sie zu bekommen. Das hat sich ganz<br />
gut bewährt.<br />
Als Sie einst den noch relativ unbekannten<br />
Michael Schumacher verpflichtet<br />
haben – was hat Ihnen besonders an ihm<br />
imponiert?<br />
Dass wir ihn engagiert haben, war Zufall.<br />
Wir wollten ein Juniorteam gründen und<br />
verpflichteten die drei ersten der deutschen<br />
Formel-3-Meisterschaft 1989. Das waren<br />
Karl Wendlinger, Heinz-Harald Frentzen<br />
und Michael Schumacher. Er hatte damals<br />
nicht mehr Talent als Frentzen, aber es war<br />
schon bald klar, mit welcher Fokussiertheit<br />
und Konsequenz er arbeitete. Das hat<br />
letztlich den Unterschied ausgemacht.<br />
Für ein paar Jahre waren Sie bereits im<br />
offiziellen Ruhestand. Auf welche beruflichen<br />
Entscheidungen haben Sie gerne<br />
verzichtet?<br />
Auf alle: Keine beruflichen Entscheidungen<br />
treffen zu müssen – wichtige oder unwichtige<br />
– war sehr befreiend.<br />
Peter Sauber<br />
Ein Formel-1-Rennstall in einem Land, in<br />
dem es keine grosse Autoindustrie gibt? Eigentlich<br />
ein Ding der Unmöglichkeit. Doch<br />
der Elektromonteur Peter Sauber, geboren<br />
1943 in Zürich, wollte nicht den Plänen<br />
seines Vaters folgen, der ihn gerne als Nachfolger<br />
in seinem Unternehmen für elektrotechnische<br />
Anlagen gesehen hätte. Während<br />
seiner Studienzeit scherte er aus und baute<br />
1970 seinen ersten Rennwagen, mit dem er<br />
gleich die Schweizer Sportwagen-Meisterschaft<br />
gewann. Gute 40 Jahre im professionellen<br />
Motorsport folgten. In dieser Zeit<br />
überzeugte er Mercedes davon, gemeinsam<br />
mit ihm zurück in den internationalen Motorsport<br />
zu gehen. Er kooperierte mit Ford, genauso<br />
wie später mit BMW. Und zahlreichen<br />
Formel-1-Piloten wie Michael Schumacher<br />
ermöglichte er die ersten Karriere schritte.<br />
2005 wurde er zum Schweizer des Jahres<br />
gekürt – da hatte er gerade die Mehrheit<br />
der Anteile seines Rennstalls an BMW verkauft.<br />
Als das bayerische Unternehmen<br />
2009 den Ausstieg aus der Formel 1 verkündete,<br />
kaufte Sauber sein Lebenswerk zurück.<br />
Rund 260 Mitarbeiter arbeiten derzeit für<br />
den Rennstall in Hinwil. Sauber ist seit über<br />
45 Jahren verheiratet und Vater zweier erwachsener<br />
Söhne.<br />
70 <strong>Entrepreneur</strong> <strong>by</strong> <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> 1/<strong>2011</strong>
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> AG<br />
Konzept und Redaktion<br />
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> AG<br />
Bleicherweg 21<br />
Postfach, CH-8022 Zürich<br />
Telefon +41 58 286 40 85<br />
Telefax +41 58 286 40 40<br />
Druck<br />
Druck- und Verlagshaus Zarbock<br />
Frankfurt am Main
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong><br />
Assurance | Tax | Legal | Transactions |<br />
Advisory<br />
Über <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong><br />
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> ist ein weltweit führendes Unternehmen<br />
in den Bereichen Wirtschaftsprüfung,<br />
Steuern, Transaktionen und Beratung. Unsere<br />
141 000 Mit arbeitenden auf der ganzen Welt<br />
verbinden unsere gemeinsamen Werte sowie ein<br />
konsequentes Bekenntnis zur Qualität. Wir differenzieren<br />
uns, indem wir unseren Mitarbeitenden,<br />
unseren Kunden und unseren Anspruchsgruppen<br />
dabei helfen, ihr Potenzial auszuschöpfen.<br />
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> bezieht sich auf die globale Organisation<br />
der Mitgliedsfirmen von <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong><br />
Global Limited (EYG), von denen jede eine eigene<br />
Rechtseinheit bildet. EYG, eine Gesellschaft<br />
mit beschränkter Haftung nach britischem Recht,<br />
erbringt keine Dienstleistungen für Kunden.<br />
In der Schweiz ist die <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> AG ein<br />
führendes Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen<br />
mit rund 2 000 Mitarbeitenden an<br />
10 Standorten und bietet auch Dienstleistungen<br />
in den Bereichen Steuern und Recht sowie<br />
Transaktionen und Rechnungslegung an.<br />
Weitere Informationen finden Sie auf unserer<br />
Website www.ey.com/ch<br />
© 2010<br />
<strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong> AG<br />
All Rights Reserved<br />
Diese Publikation enthält Informationen in zusammengefasster<br />
Form und dient daher nur der allgemeinen Orientierung. Sie<br />
ersetzt keine detaillierte Recherche oder fachmännische Beratung.<br />
Weder EYGM Limited noch ein anderes Mitglied von <strong>Ernst</strong> & <strong>Young</strong><br />
Global haften für Schäden, die aus Handlungen oder Unter lassungen<br />
von Personen auf der Grundlage von Informationen in dieser Publikation<br />
entstehen. Für alle konkreten Fragen sollten die Dienste<br />
eines qualifizierten Beraters in Anspruch genommen werden.