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Rede Berthold Hube - IG Metall

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<strong>Berthold</strong> <strong>Hube</strong>rZukunft der Mitbestimmung und der Tarifpolitik im Kontext desdemografischen WandelsTagung „Führungsdialog - Die Konsequenzen des demografischen Wandelsvorausschauend gestalten“ am 11./12. November in FrankfurtFrankfurt, 12. November 2005Es gilt das gesprochene Wort!


2Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,ich bedanke mich für die Einladung. Es ist gelebte Mitbestimmung, wennVertreterinnen und Vertreter der Unternehmen mit Betriebsräten und der <strong>IG</strong><strong>Metall</strong> zusammenkommen, um gemeinsam über die Herausforderungen desdemographischen Wandels zu sprechen. Ganz im Sinn ihres Stiftungsauftrags istdaran auch die Hans Böckler-Stiftung beteiligt.Mich ermutigen die vorliegenden Ergebnisse dieser Tagung noch aus einemanderen Grund. Weil hier ein drängendes Thema ernsthaft und mit vielKreativität bei der Entwicklung von Lösungsansätzen bearbeitet wird. AufSeiten der Politik vermisse ich diese Fähigkeit zur Innovation an vielen Stellen.Die „Rente mit 67“ ist keine Antwort auf die demographische Herausforderung!Das weiß jeder, der über eigene Erfahrungen mit der differenzierten Welt in denBetrieben verfügt.Ich komme noch auf unsere Vorstellungen in dieser Frage zurück. DieGestaltung des demografischen Wandels ist kein isoliertes sozial- oderrentenpolitisches Thema. Der demografische Wandel ist eine bildungs-,gesundheits- und wirtschaftspolitische Herausforderung, die nur durch einlösungsorientiertes Gesamtkonzept zu bewältigen ist. Als <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> können wir2


3einen Beitrag mit unseren Instrumenten der Mitbestimmung, nämlichTarifpolitik, Betriebsverfassung und der Unternehmensmitbestimmung leisten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,bevor ich das skizziere, will ich einen Blick auf die vorliegenden Fakten werfen.Wir können kein Lösungskonzept entwickeln, ohne die wesentlichenHerausforderungen zu kennen.Ganz unabhängig von politischen Entscheidungen über den Renteneintritt istsicher: Das Erwerbsleben wird länger. Die prognostizierte demografischeEntwicklung besagt, dass die Bevölkerung in der Bundesrepublik altert undzugleich schrumpft. Der Anteil der über 60-Jährigen Beschäftigten wird steigen.Und das hat deutliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt.Wir müssen uns jetzt mit der Gestaltung einer alters- und alternsgerechtenArbeitswelt beschäftigen. Höhere Lebensarbeitszeiten und weniger jüngere,dafür ein größerer Anteil älterer Beschäftigter in den Betrieben erhöht dieNotwendigkeit vorausschauernder Personalplanung undPersonalentwicklungsplanung. Die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> wird deshalb die Gestaltung derArbeit und der Arbeitszeit stärker als in der Vergangenheit ins Zentrum unsererBetriebs- und Tarifpolitik stellen müssen.3


4Der notwendige Handlungsbedarf zur Gestaltung des demografischen Wandelswird in den Betrieben heute nicht ausreichend zur Kenntnis genommen. EinGrund dafür ist sicher, dass die aktuelle Beschäftigungsstruktur in der <strong>Metall</strong>undElektrobranche auf diese Veränderungen noch nicht zwingend hinweist.Noch ist der Beschäftigungsanteil der über 50-Jährigen insgesamt gering.Darum ist in den meisten Betrieben das Bewusstsein über den demografischenWandel noch nicht sehr verbreitet. Nach einer Untersuchung des Referenz-Betriebs-Systems fühlen sich beim Thema „alternde Belegschaften“ gerade 31Prozent überhaupt betroffen. Einen möglichen Fachkräftemangel aufgrund derdemografischen Entwicklung erwarten ganze 14 Prozent der Betriebe.Das kann nur, ich erlaube mir diese Feststellung, als vollkommen blauäugigbezeichnet werden. Alle seriösen Prognosen gehen genau von diesemFachkräftemangel aus! Es ist höchste Zeit, dass diese Fakten umfassendverbreitet werden, damit wenigstens ein Problembewusstsein entsteht. Und zwarheute, weil wir dieses Problem nur vorausschauend lösen können und nicht,wenn „das Kind bereits in den Brunnen“ gefallen ist.Bisherige Strategien der Betriebe, wie die verstärkte Einstellung Jüngerer - mit43 Prozent die häufigste Maßnahme in den Betrieben - werden im Zuge des4


5demografischen Wandels so nicht mehr möglich sein. Die Belange „alternderBelegschaften“ müssen wir stärker ins Blickfeld betrieblichen Gestaltungs- undRegulationsbedarfs rücken. Wir brauchen einen Politikansatz, der alleGenerationen umfasst. Die Jüngeren brauchen einen Zugang insBeschäftigungssystem und die mittleren und älteren Generationen solcheArbeitsbedingungen, dass ein Altern in Gesundheit, damit Erwerbstätigkeit imAlter überhaupt erst möglich wird.Heute bietet kein Viertel der Betriebe - rund 23 Prozent - Maßnahmen zurFörderung Älterer. Dabei beziehen sich diese betrieblichen Maßnahmen zumErhalt der Beschäftigungsfähigkeit älterer Beschäftigter meist aufGesundheitsvorsorge (63 Prozent) und Arbeitsorganisation. Wenig wird dagegenfür die Personalentwicklung getan. Nur in 13 Prozent der befragten Betriebe gibtes spezielle Weiterbildungsangebote für Ältere.In der <strong>Metall</strong>- und Elektrobranche sind es rund 55 Prozent der Betriebe in Westund62 Prozent der Betriebe in Ostdeutschland, die im Rahmen des IAB-Betriebspanels angaben, dass sie keine besonderen Maßnahmen für Beschäftigteüber 50 Jahre anbieten. Und wer es tut, versteht darunter in erster Linie dieAltersteilzeit, die mit rund 32 Prozent an erster Stelle steht.5


6Maßnahmen zur Gestaltung der Arbeitsbedingungen spielen dagegen eine mehrals untergeordnete Rolle. Wobei in Ostdeutschland zumindest das Instrument„altersgemischte Besetzung von Arbeitsgruppen“ mit rund 20 Prozent einengewissen Stellenwert hat. Aber insgesamt fällt das Fazit sehr negativ aus.Sowohl in der <strong>Metall</strong>-Elektroindustrie in West- wie auch in Ostdeutschlandhaben Maßnahmen wie- „spezielle Weiterbildung für Ältere“ (West: 1,5%, Ost: 0,4%)- „Herabsetzung der Leistungsanforderungen“ (West: 7,9%, Ost: 2,5%)- und die „besondere Ausstattung der Arbeitsplätze“ (West: 5,6%, Ost:2,5%)so gut wie keine Bedeutung.Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,so kann, so darf es nicht weiter gehen! Niemand löst Probleme, indem er sicheinfach blind gegenüber der Realität stellt. Wir marschieren schnurstracks ineine gewaltige Krise, wenn wir jetzt nicht gegensteuern! Wir als <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>haben uns deshalb auf unserer tarifpolitischen Konferenz vor drei Wochen inMannheim entschieden, auch qualitative Fragen tarifpolitisch anzupacken.6


7Ich persönlich mache keinen Hehl daraus, dass ich Regelungen zuArbeitszeitkonten bundesweit für sinnvoll halte. Unternehmen brauchenFlexibilität und Beschäftigte haben einen Anspruch auf Zeitsouveränität. Siebrauchen dafür Regelungen und sie verlangen das auch von uns!Die Gründe, warum wir bundesweit Arbeitszeitkonten-Regelungen benötigensind zahlreich:1. Die demographische Entwicklung zwingt uns, auch mit Arbeitszeitkonten denvorzeitigen Ausstieg aus dem Berufsleben zu unterstützen. Das kann kein Ersatzfür eine angemessene Nachfolgeregelung beim Altersteilzeitgesetz sein.Arbeitszeitkonten lösen das Problem nicht, können aber eine Unterstützungbieten. Und klar ist: Der Gesetzgeber muss einen wirkungsvollenInsolvenzschutz für Arbeitszeitkonten schaffen. Wer zum Beispiel auf einLangzeitkonto spart, muss die Gewissheit haben, dass es am Ende bei ihmankommt.Es ist positiv, dass die neue Regierung in den Koalitionsverhandlungenangekündigt hat, dieses offene Frage klären zu wollen. Daneben muss auch dieFrage der sogenannten Portabilität geregelt werden, weil nicht mehr davonausgegangen werden kann, dass Menschen das gesamte Erwerbsleben nur ineinem Betrieb arbeiten.7


82. Wir brauchen Arbeitszeitkonten, damit die Menschen Familie und Beruf untereinen Hut bringen können. Kolleginnen und Kollegen, zwischen Familie undBeruf ist kein Platz für ein „Oder“! Frauen und Männer, die sich um dieKindererziehung kümmern wollen, brauchen auch Bedingungen, die ihnen dasermöglichen.3. Zu notwendigen tarifvertraglichen Regelungen zur Qualifizierung, auf die ichnoch eingehen werde, gehört auch die persönliche Weiterbildung. Das istohnehin ein fließender Übergang. Wenn ich den Arbeitsplatz wechseln will,muss ich oft mehr können, als das, was ich bisher getan habe: Und auch mehrals das, wofür ich dort qualifiziert worden bin. Persönliche Weiterbildung ist dienotwendige Ergänzung für betriebliche Weiterbildung. Auch da können wir überArbeitszeitkonten Hilfe geben.Selbstverständlich weiß ich, dass es dazu in der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> auch andereMeinungen gibt. Ich will aber nicht, dass es uns so geht wie bei der Gleitzeit!Die hat die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> aus politischen Gründen erst abgelehnt und dann nie mehrtarifvertraglich regeln können. Auch Kontenregelungen haben wir heute schonin sehr vielen Betrieben. Und nicht alle können wir gutheißen. Und deshalbkönnen wir uns nicht mehr in unendlichen Debatten erschöpfen. Jetzt haben wirnoch eine Chance zu gestalten, morgen nicht mehr.8


9In Baden-Württemberg, wo wir eine Regelung seit diesem Jahr haben, istfestgelegt, dass die genaue Ausgestaltung der Arbeitszeitkonten in den einzelnenUnternehmen vorgenommen wird. Weil eine freiwillige Betriebsvereinbarungabgeschlossen werden muss. Aber wir haben tarifvertragliche Eckpunkte sowohlfür flexible Arbeitszeitkonten als auch für Langzeitkonten vereinbart und damitso wichtige Fragen wie Ober- und Untergrenzen und Insolvenzschutz.Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,Deutschland mit einer immer wissensbasierteren Ökonomie muss aufqualifizierte Arbeitsplätze setzen. Dabei zwingt uns auch die demografischeEntwicklung zu Regelungen der Qualifizierung. Nach Aussagen des Prognos-Instituts wird der Anteil der über 50-jährigen von heute 22% auf 36% im Jahre2020 steigen.Für die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> ist dabei selbstverständlich, dass alle Beschäftigtengruppeneinen Zugang zur Weiterbildung haben müssen. Es ist nicht akzeptabel, dassbetriebliche Weiterbildung frei nach dem Motto läuft: Wer hat, dem wirdgegeben. Und wer wenig hat, schaut in die Röhre. 44 Prozent der Erwerbstätigenmit einen Hochschulabschluss nehmen an Weiterbildungsmaßnahmen teil, abernur 11 Prozent der Erwerbstätigen ohne Berufsausbildung.9


10Damit wird nicht nur soziale Selektion betrieben, sondern tendenziell dieMehrheit der Beschäftigten ausgegrenzt. Ungelernte, Ausländer und Frauen sindüber weite Strecken und in vielen Betrieben sogar vollständig ausgeschlossen.Wir müssen das korrigieren! Weil Aus- und Weiterbildung in unserer Weltknapper Arbeitsplätze die Voraussetzung für die Chance auf einselbstbestimmtes Leben sind. Auch insgesamt hat sich der Handlungsbedarfnoch vergrößert: Die Teilnahmequote an beruflicher Weiterbildung liegt imJahre 2003 bei 26 Prozent. 1997 lag sie noch bei 30 Prozent.Qualifikation und Qualifizierung der Beschäftigten sowie Arbeitsbedingungen,die die Gesundheit erhalten - beides muss zu jedem Zeitpunkt desErwerbslebens so gestaltet sein, dass der Verbleib im Beschäftigungssystemauch möglich ist. Es gibt in dieser Frage übrigens keine weiter gehendeRegelung als den Lohnrahmentarifvertrag II im TarifgebietNordbaden/Nordwürttemberg.Er ist ein einmaliges Beispiel - und zwar keineswegs nur wegen der dortenthaltenden Pausenregelung - wie tarifvertraglich Arbeitsbedingungen gestaltetund Arbeitsbelastungen begrenzt werden. Alle Regelungen diesesTarifvertrages, also Mindesttaktzeiten, Vorgabezeitermittlung,Mindestarbeitsinhalte usw. haben auch das Ziel, den vorzeitigen Verschleiß der10


11Gesundheit zu verhindern. Ich werde heute keine Brandrede zur kommendenTarifrunde halten, darum nur so viel: wer den Lohnrahmen II kündigen will,greift uns direkt ans Herz und wird die entsprechende Antwort erhalten!Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,ich komme zurück zum eigentlichen Thema, der tarifvertraglichen Regulierungvon Weiterbildung. Sie steht nicht im Gegensatz zu den Instrumenten, die unsdas Betriebsverfassungsgesetz heute bereits bietet. Ganz grundsätzlich ist imParagraf 96 Betriebsverfassungsgesetz geregelt, dass Arbeitgeber undBetriebsrat im Rahmen der betrieblichen Personalplanung die Berufsbildung derArbeitnehmer zu fördern haben. Explizit werden auch die Belange ältererBeschäftigter einbezogen.§ 92 Personalplanung bietet eine zusätzliche wichtige Grundlage zur Gestaltungdes demografischen Wandels. Insbesondere die seit 2001 aufgenommenenInitiativ- und Beratungsrechte zur Beschäftigungssicherung (§ 92a BetrVG) unddie erweiterte Mitbestimmung in § 97 Abs. 2 BetrVG geben den BetriebsrätenInstrumente an die Hand, um veränderte Arbeitsbedingungen undQualifikationsanforderungen gestalten zu können. Mitbestimmungsrechte, dieim Zusammenhang mit der Gestaltung alterns- und altersgerechteArbeitsbedingungen eine Rolle spielen, bestehen auch bei der11


12Arbeitszeitgestaltung (§ 87 Abs. 1, Satz 2, 3) sowie der Arbeitssicherheit unddem Gesundheitsschutz (§ 87 Abs. 1, Satz 7).Insgesamt müssen wir feststellen, dass die vorhandenen Rechte nichtausreichend genutzt werden. Wer den Alltag von Betriebsräten kennt, weißwarum. Gerade in der aktuell sehr schwierigen Situation sind die unmittelbarenAnforderungen so hoch, dass kaum Luft zum Atmen bleibt. Ich vernehmeähnliche Einschätzungen von der Arbeitgeberseite. Auf der Strecke bleibenvorausschauende Maßnahmen und Gestaltungsoptionen. Das müssen wirändern!Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,genau hier setzen die Tarifforderungen zu Qualifizierung und Innovation an, diewir in der kommenden Tarifrunde für die <strong>Metall</strong>- und Elektroindustrie fordernwerden. Wir fordern:- Eine Qualifizierung- und Innovationsplanung. Einmal pro Jahr hat derArbeitgeber basierend auf der mittelfristigen Unternehmensperspektive(3-5 Jahre) die jeweilige Maßnahmeplanung in den Feldern Qualifizierungund Innovation vorzulegen.12


13- eine jährliche Beratung über die Qualifizierungs- und Innovations-Planung. Diese Planung ist mit dem Betriebsrat unter Beteiligung der <strong>IG</strong><strong>Metall</strong> zu beraten; er hat dabei ein Initiativrecht für eigene oderzusätzliche Vorschläge.- ein jährliches Qualifizierungsgespräch. Jeder Beschäftigte hat dasindividuelle Recht auf jährliches Gespräch zur Feststellung des Bedarfs anbetrieblicher Weiterbildung. Dabei werden gemeinsam die erforderlichenMaßnahmen festgestellt sowie fachlich und zeitlich festgelegt.Noch offen und zu klären sind dabei Fragen der Zeit für Qualifizierung, derFinanzierung sowie des Controllings.Mich bestärken bei dieser Forderung aktuelle Untersuchungsergebnisse über dieUmsetzung unserer Qualifizierungs-Tarifverträge der Textil- undBekleidungsbranche (Westdeutschland) und der <strong>Metall</strong>- und Elektroindustrie inBaden-Württemberg. Sie ist im Auftrag des Bundesministeriums für Bildungund Forschung durchgeführt worden. Die Ergebnisse sind gerade gestern derÖffentlichkeit vorgestellt worden.Herausragendes Ergebnis ist: Betriebsräte mit Qualifizierungs-Tarifverträgenengagieren sich stärker für die berufliche Weiterbildung. Der Anteil an13


14Betrieben, die über eine Betriebsvereinbarung verfügen, ist dort allein zwischen2003 und 2005 von ca. 25 Prozent auf 40 Prozent gestiegen. Maßgeblich fürunsere Tarif-Initiative ist vor allem diese Schlussfolgerung aus derUntersuchung: „Drei Viertel der neu abgeschlossenen Vereinbarungen sind imGefolge des Tarifvertrages entstanden.“Hier funktioniert das Zusammenwirken von Tarif- und Betriebspolitik! Offenbar– und das belegt die genannte Studie – steigt die Verbindlichkeit deutlich an,wenn die Tarifvertragsparteien das Thema verbindlich regeln. Eine Reihe vonweiteren positiven Veränderungen sind durch diese Tarifverträge erreichtworden, vor allem- die stärkere Einbeziehung der Beschäftigten- die bessere Ermittlung des Weiterbildungsbedarfs- eine stärkere Berücksichtigung der Weiterbildungsinteressen dergewerblichen Arbeitnehmer- aber auch die Sensibilisierung der Führungskräfte und Vorgesetzten fürdas ThemaEine wesentliche Veränderung daneben ist, dass durch tarifvertraglicheRegelungen insgesamt das betriebliche Angebot an beruflicher Weiterbildung14


15zugenommen hat. All diese Ergebnisse verdeutlichen, dass wir mit unsererForderung nach tarifpolitischer Regulierung auf dem richtigen Weg sind.Besser umsetzen müssen wir die Regelungen, die dem Schutz und derbesonderen Förderung von Geringqualifizierten und Beschäftigten inrestriktiven Arbeitsverhältnissen sowie dem Erhalt der Qualifikation ältererBeschäftigter dienen sollen. Die Anwenderquote des Tarifvertrages sinkt hiererheblich und dezidierte Regelungen zur weitergehenden Qualifizierung ältererBeschäftigter gibt es in beiden Tarifvertragswerken nicht.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,ich verstehe das erwähnte Untersuchungsergebnis als Handlungsauftrag! Ichappelliere jetzt vor allem an die anwesenden Vertreterinnen und Vertreter derArbeitgeberseite. Ich hoffe, ich kann sie als Praktiker überzeugen, die mit denVerhältnissen vor Ort unmittelbar vertraut sind. Bitte wirken sie doch auf ihreVerbandsvertreter ein, dass sie sich ihrer Verantwortung als Tarifvertragsparteiin diesen und anderen Zukunftsfragen endlich stellen!Ich werde dieses Forum nicht zur Agitation für die kommende Tarifrundemissbrauchen. Dafür ist es zu wichtig. Aber es trifft nur auf mein Unverständnis,wenn sich führende Repräsentanten auf Arbeitgeberseite heftigst dagegen15


16wehren, Fragen, die für die Zukunft unserer gesamten Wirtschaft herausragendwichtige Bedeutung haben, auch tarifvertraglich anzugehen!Bei Fragen wie Qualifizierung, Arbeitszeitkonten, Leistungsregulierung undArbeitsplatzgestaltung prallen wir auf eine Ablehnungsfront, sobald wir hiertarifpolitische Initiativen ergreifen. Mir scheint das sehr ideologiegeleitet, allepraktischen Ergebnisse sprechen eine andere Sprache. Laut der von mirerwähnten Untersuchungen zur tarifvertraglichen Regelung von Qualifizierunggibt es kaum grundsätzliche Kritik. Bei den befragten Managern liegt der Anteilderjenigen, die Qualifizierungstarifverträge für unnötig und eher behindernd alsfördernd halten, bei unter fünf Prozent.Arbeitgebervertreter sind befragt worden, ob Tarifverträge aus ihrer Sicht zueiner Einengung des betrieblichen Handlungsspielraums und zu einer Abnahmean Flexibilität führen. Das Untersuchungsergebnis belegt das genaue Gegenteil:annähernd 90 Prozent können keine Flexibilitätsverluste erkennen.Das ist übrigens ein ähnliches hoher Prozentsatz wie bei der Manager-Befragungzur Unternehmensmitbestimmung, die das „Wissenschaftszentrum Berlin“ fürden deutschen Führungskräfteverband durchgeführt hat. Fast 90 Prozent derBefragten meinen, dass die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat dazu16


17beiträgt - ich zitiere - „die Interessen von Anteilseignern und Arbeitnehmern inEinklang zu bringen“.Ich nehme eine zunehmende Übereinstimmung zwischen denArbeitnehmervertretern in den Aufsichtsräten und denjenigenArbeitgebervertretern wahr, die auch an mittel- und langfristigen Perspektiveninteressiert sind und sich nicht völlig dem Diktat einer möglichst kurzfristigenRenditesteigerung unterworfen haben.Weil wir den demografischen Wandel gestalten müssen, bieten sich vielleichtneue Möglichkeiten, kurzfristiges Shareholder-Value-Denken stärker inRichtung nachhaltiges Wirtschaften zu beeinflussen. Die Vorgaben derVorstände müssen neben Renditezielen auch Maßnahmen zur nachhaltigenwirtschaftlichen Entwicklung enthalten. Wer vor diesem Hintergrund dieBeteiligungsrechte der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften in denAufsichtsräten einschränken oder abschaffen will, zerstört dieUnternehmenskultur, die wir in den letzten Jahrzehnten aufgebaut haben.Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,ganz in diesem Sinn wollen wir gemeinsam den demografischen Wandelgestalten. Dabei ist ein Zusammenspiel von Politik, Gewerkschaften und17


18Arbeitgeberverbänden einerseits sowie auf der betrieblichen Ebene vonArbeitgebern, Betriebsräten und Gewerkschaft andererseits notwendig.Das können wir mit den von mir genannten tarifvertraglichen Instrumenten tun.„Bausteine für eine Arbeit mit Zukunft“ haben wir das genannt, weil wir wissen,dass wir diese Fragen Schritt für Schritt in den nächsten Jahren anpackenmüssen. Weitere notwendige Themen wie Arbeitszeitkonten oderLeistungsregulierungen habe ich genannt. Alle Maßnahmen tragen auch dazubei, alters- und alternsgerechte Arbeitsbedingungen zu schaffen.Wieder oder immer noch sind die Beschäftigten oftmals hohen Belastungenausgesetzt - trotz aller arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Verkürzungvon Taktzeiten, unergonomische Arbeitsbedingungen, belastungsintensiveTätigkeiten - bei zunehmenden und intensivierten Arbeitszeiten - sindbetriebliche Alltags- und Arbeitsrealität. 49 Prozent der Männer und 55 Prozentder Frauen können sich nicht oder nur eingeschränkt vorstellen ihre Tätigkeit biszur gesetzlichen Altersgrenze auszuüben. Die überwältigende Mehrheit davon,weil sie es nicht können, und nicht weil sie vielleicht keine Lust daraufverspüren!Dieses Problem können die Tarifvertragsparteien nicht alleine lösen. Hier istauch die Politik gefordert. Der angebliche Ausweg, bis 67 zu arbeiten, ist18


19jedenfalls keine Lösung! An dieser Idee war mit Sicherheit niemand beteiligt,der in seinem Leben jemals im Minutentakt Autos montiert hat, in einer Nähereiarbeitet oder auf der Montage seine Knochen bei Wind und Wetter hinhaltenmuss. Und mit Sicherheit auch niemand, der als Personalverantwortlicher dafürzuständig ist, auch in zehn oder zwanzig Jahren die abgeforderten Ergebnissemit der von ihm verantworteten Belegschaftsstruktur gewährleisten zu müssen.Ich bitte deshalb alle Anwesenden hier, in dieser Frage auf die Politikeinzuwirken. Wir brauchen unbedingt eine Nachfolgeregelung für dasAltersteilzeitgesetz über 2009 hinaus. Hier ist die Politik gefordert. Es istpositiv, dass beim Rentenzugang erstmals die Versicherungspflichtjahreberücksichtigt werden. Wer 45 Jahre hat, kann mit 65 abschlagsfrei in Rentegehen. Aber das allein ist vor allem für besonders belasteteBeschäftigtengruppen keine hinreichende Lösung.Niemand sagt übrigens, dass es sich bei der Fortführung desAltersteilzeitgesetzes um eine Fortführung der heute geltende Regelung inunveränderter Form handeln muss. Wir können und wollen uns auch einendifferenzierten Rentenzugang vorstellen. Ich bin überzeugt, dass eine Vorgehen,das Faktoren wie körperliche Belastung oder das berufliche Eintrittsalter auchvon denjenigen mitgetragen wird, die mit Mitte 20 nach einerHochschulausbildung in das Erwerbsleben einsteigen. Also: wir brauchen hier19


20eine gesetzliche Regelung und wenn es sie gibt, dann ist die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>selbstverständlich bereit, dieses wichtige Thema tarifpolitisch zu unterstützten!Wir müssen die demografische Frage mit passgenauen Konzepten, mitdifferenzierten Ansätzen und über die Kooperation zwischen Politik,Arbeitgebern, <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> und Betriebsräten angehen. Und natürlich steht dieFrage, wie wir Wirtschaftlichkeit, Konkurrenzfähigkeit und die Gestaltung desdemographischen Wandels in Einklang bringen können. Lassen sie uns diesenFührungsdialog im diesem Sinn weiterführen.Ich danke für die Aufmerksamkeit.20

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