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Frankfurter Allgemeine Magazin - FAZ.net

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20 SEITENTITELINTERVIEW 21Von Moral würdeHarald Schmidtgern die Fingerlassen. „Weil das dieLeute permanentüberfordert.“Harald Schmidt überStil und Stilisierung,den Unernst des Lebensund die Unmöglichkeit,man selbst zu sein.Herr Schmidt, der Literaturkritiker Fritz J.Raddatz hat sich an dieser Stelle vor einpaar Monaten über die angebliche Unsittemeiner Generation aufgeregt, „die Jeans aufden nackten Arsch zu ziehen“. Ist Ihnen dasauch schon unangenehm aufgefallen?Ich weiß nicht, welcher Lebensmensch das dem legitimenErbe Tucholskys erzählt hat. Ich habe das noch nichtbeobachtet, aber ich bin ja auch heterosexuell, sozusageneiner der wenigen, die noch traditionell adoptieren. Oderes gleich selbst machen. Ich kann aber erahnen, wovonFritz J. Raddatz spricht, weil ich ja im Showgeschäft bin.Mir sagen homosexuelle Mitarbeiter, man wird heutzutagegegen vier Uhr morgens im Darkroom mit dem Satzbegrüßt: „Ich bin unterhalb der Nachweisgrenze, lass unsfeiern.“ Wer da Jeans oder auch nur Unterhose trägt, derist so was von Eighties, der liest auch noch Günter Grass.Über welche stilistischen Absonderlichkeiten regen Sie sich auf?Aufregen hat so etwas Bemühtes. Wenn mir einer Kirschsaftaufs Kaschmirjackett kippt, dann rege ich mich nichtauf, sondern schmeiße das Jackett weg und nehme einanderes aus dem Schrank.Fanden Sie es stillos, dass sich Ihre früheren Mitarbeiter HerbertFeuerstein und Manuel Andrack vor einiger Zeit im „Spiegel“über Sie ausgelassen haben?Da greift der Satz von Tocotronic: „Was Du auch machst,mach es nicht selbst.“ Das heißt in dem Fall: Das Interviewführten Andrack und Feuerstein für mich, und zwarunentgeltlich. Ich hab’ nämlich gar nicht die Zeit, mitden Lohnschreibern vom „Spiegel“ zu reden, die ja eigentlichein Interview mit mir und Gottschalk machenwollten.Sie sind den beiden also nicht böse?Überhaupt nicht. Feuerstein darf sowieso alles. Er istsozusagen mein Mastermind, durch den ich Late Nightüberhaupt erst kennengelernt habe. Dass er mich indem Interview mit afrikanischen Diktatoren verglichenhat, hat mir geschmeichelt, denn Feuerstein kenntAfrika sehr gut.Andrack sagte, Sie träten Leute, die auf dem Boden liegen, nicht,sondern sprängen auf sie drauf.Das ist, wie wenn Sie über einen Erfolgstrainer sagen:Der ist so brutal. Mich interessiert das nur, wenn es einersagt, während er Tag für Tag mit am Tisch sitzt. Andracksaß acht Jahre mit am Tisch, er hat nur davon profitiertund nie geklagt. Er hat aber auch Pech gehabt, weil erin dem Interview quasi groß ankündigte, dass es das fürmich gewesen sei, und zwei Tage später kam ich dannmit dem neuen Sky-Deal um die Ecke.Feuerstein sagte, Sie seien kein Mensch.Das kann er nur nietzscheanisch gemeint haben. Drunterwürde Feuerstein nie gehen, obwohl er mir gegenübermal die Vermutung geäußert hat, er sei der unehelicheSohn von Hitler. Zeitlich könnte es hinkommen –und er stammt ja auch aus der Nähe des Obersalzberges.Ihren früheren Partner Oliver Pocher haben Sie als „adipösesEx-Talent“ bezeich<strong>net</strong>, auch Gottschalk haben Sie in letzter Zeitnicht immer <strong>net</strong>t behandelt. Ist das nicht unter Ihrem Niveau?Man kann nicht permanent auf dem eigenen unerreichbarenLevel sein. Was Gottschalk betrifft: Er kennt dieSpielregeln des Gebens und Nehmens sehr genau. Undwenn der populärste Entertainer der letzten 30 Jahreso ans Netz geht, tennismäßig gesprochen, wie er dasmit seiner Vorabend-Sendung gemacht hat, habe ich alsLate-Night-Moderator die Pflicht, einen Gegenangriff zustarten. Das ist in seiner Gage inbegriffen, so wie es auchin meiner Gage inbegriffen ist, dass eigentlich jeder imGrunde alles sagen kann. Ich habe noch nie darauf reagiert,juristisch schon gar nicht. Bei Pocher war es anders,da hatte ich mich in den Rhythmus meiner Formulierungverliebt. Wolf Schneider würde aber wahrscheinlichsagen, sie war zu gesucht.Adipös bedeutet fettleibig. Hat Stil aus Ihrer Sicht auch etwasmit Aussehen zu tun?Stil nicht, aber Intelligenz. Zumindest ist ProfessorBazon Brock dieser Meinung, den ich kürzlich an derLondon School of Economics getroffen habe. Die deutschenStudenten dort hatten uns eingeladen, Thema:Quo vadis Kultur in Deutschland? Greatest Bazon hieltdie Keynote-Speech, fing an beim Thema Paulus, weiterbei Heinrich Mann, Pythagoras, Märkte, Marx, MickeyMouse. Ich rief dann mittendrin rein: „J’accuse!“ undsagte danach: „guter Vortrag, aber etwas oberflächlich“.Daraufhin Bazon: „Das reicht jetzt, Schluss mit demGewitzel, kann mal einer diesen Mann stoppen und ihmerklären, was Märkte sind?“ Darauf ich: „Sie sind dochnur neidisch, dass ich schöner bin als Sie!“ Gejohle imPublikum, worauf wiederum Bazon sagte: „Schönheit hatmit Intelligenz zu tun. Und intellektuell bin ich Ihnendreifach überlegen!“Immerhin sind Sie Träger des Medienpreises für Sprachkulturder Gesellschaft für deutsche Sprache. Wie beurteilen Sie diegegenwärtige Lage auf diesem Gebiet?Mein Standardsatz dazu: Als wir noch Gedichte konnten,war Opa in Stalingrad.Sie spielen auf unsere Vergangenheit an. Daher die Frage:Können Qualität und Stil charakterliche oder biographischeDefizite ausgleichen?Wenn einer richtig gut ist, dann interessiert mich nicht,was der sonst so macht oder gemacht hat. Es gibt aberauch so ’ne Attitüde, dass zum Beispiel der Faschist derbessere Schriftsteller sei. Klassiker auf dem Gebiet: Louis-Ferdinand Céline. An dem richten sich alle auf, die selbstauch ihre Frau schlagen, wobei ich gar nicht weiß, obCéline seine Frau geschlagen hat, im Zweifel hatte der garkeine. Trotzdem glauben manche, die ihre Frau schlagen,sie seien Céline. Das ist falsch.Können Sie mit der Kategorie Moral irgendetwas anfangen?Moral? Da kann ich nur Markus Söder zitieren, der zu mirnach einer Sendung beim Bier sagte: „Moral ist in derPolitik selbstverständlich keine Kategorie, außer wir wollenjemandem schaden.“ Ich würde überhaupt von Moraldie Finger lassen, weil das die Leute permanent überfordert.Der eine soll kein Geld für Vorträge bekommen,der andere soll einer „Stern“-Journalistin nicht ins Dirndlschauen, der nächste will die Hälfte seines Vermögensspenden, und dann ist es auch wieder nicht recht.Aus meiner Sicht soll man Gesetze machen, damit die

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