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Annette Sell Der lebendige Begriff ALBER ... - Verlag Karl Alber

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<strong>Annette</strong> <strong>Sell</strong><strong>Der</strong> <strong>lebendige</strong> <strong>Begriff</strong><strong>ALBER</strong> THESENA


Über dieses Buch:Das Leben ist ein bedeutender <strong>Begriff</strong> der Hegelschen Philosophie, derin fast allen Bereichen seines Denkens auftritt. In diesem Buch wird dasLeben in seiner Beziehung zur Logik untersucht. Was ist logisches Leben?Wie kann Leben für den <strong>Begriff</strong> konstitutiv sein? Zur Beantwortungdieser Fragen bedarf es der Analyse der Entwicklungsgeschichtedes Hegelschen logischen Lebensbegriffs, der Erarbeitung seiner philosophiehistorischenBezüge (besonders Aristoteles, Kant, Schelling)und einer Hegel immanenten Untersuchung in der Naturphilosophieund der Anthropologie. Erst vor diesem Hintergrund kann bestimmtwerden, was das logische Leben bei Hegel ausmacht. Das Leben erweistsich als methodischer <strong>Begriff</strong> innerhalb der dialektischen Logik, so dassschließlich vom »<strong>lebendige</strong>n <strong>Begriff</strong>« bei Hegel gesprochen werdenkann. Die Tragweite dieser Erkenntnis wird in einem Ausblick auf aktuelleTheorien der Selbstorganisation, des Konstruktivismus und einerPhilosophie der Biologie herausgestellt. Nicht nur für die Hegelforschungbietet diese Studie eine neue Interpretation des häufigverschwommen, einseitig oder gar ideologisch dargestellten <strong>Begriff</strong>sdes logischen Lebens, sondern es wird vor dem Hintergrund der HegelschenPhilosophie gezeigt, was es heißt, wenn wir uns begrifflich demnatürlichen Leben zuwenden, und wie die begrifflich-formale Methodemit dem Inhalt des Lebens verbunden ist, so dass sich eine neue Perspektivefür den Zusammenhang von <strong>lebendige</strong>r Natur und logischemDenken eröffnet.Über die Autorin:<strong>Annette</strong> <strong>Sell</strong> (geb. 1964), Studium der Philosophie, Germanistik undErziehungswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. 1997 Promotionmit einer Arbeit über Heideggers Auseinandersetzung mit HegelsPhänomenologie des Geistes. 2010 Habilitation mit der Schriftüber Hegels <strong>lebendige</strong>n <strong>Begriff</strong>. Privatdozentin an der Ruhr-UniversitätBochum. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hegel-ArchivBochum verantwortlich für die Edition der Vorlesungsnachschriftenzu Hegels Logik.


<strong>Annette</strong> <strong>Sell</strong><strong>Der</strong> <strong>lebendige</strong> <strong>Begriff</strong>Leben und Logik bei G. W. F. Hegel<strong>Verlag</strong> <strong>Karl</strong> <strong>Alber</strong> Freiburg/München


InhaltDanksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9I. Die Entwicklungsgeschichte deslogischen Lebensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27a) Jugendschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27b) Jenaer Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40c) Phänomenologie des Geistes . . . . . . . . . . . . . . 59d) Zum Mechanismus, Chemismus, Organismus undErkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86e) Nürnberger Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92f) Wissenschaft der Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . 95g) Enzyklopädie und Vorlesungsnachschriften . . . . . . . 121II.Die philosophiegeschichtlichen Bezügedes Lebensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131a) Aristoteles: Seelenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . 139b) Kant: Kritik der teleologischen Urteilskraft . . . . . . . 150c) Schelling: Naturphilosophie . . . . . . . . . . . . . . 161III. <strong>Der</strong> Lebensbegriff in der Natur- und Geistphilosophie . 168a) <strong>Der</strong> animalische Organismus . . . . . . . . . . . . . . 169b) Die Seele in der Anthropologie . . . . . . . . . . . . . 175<strong>Der</strong> <strong>lebendige</strong> <strong>Begriff</strong> A 5


InhaltIV. Das logische Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182a) Leben als unmittelbare Idee . . . . . . . . . . . . . . . 182b) Leben als methodischer <strong>Begriff</strong> . . . . . . . . . . . . . 192c) Leben ist keine Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . 196d) <strong>Der</strong> <strong>lebendige</strong> <strong>Begriff</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206Schluss – Das logische Leben und seine aktuelle Bedeutung . 222A) Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238B) Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241C) Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2496 <strong>ALBER</strong> THESEN <strong>Annette</strong> <strong>Sell</strong>


DanksagungMit dieser Schrift habe ich mich im Wintersemester 2010/11 an derFakultät für Philosophie und Erziehungswissenschaft an der Ruhr-UniversitätBochum habilitiert und die Venia legendi für das Fach Philosophieerhalten. Für die Drucklegung ist sie geringfügig überarbeitetworden. Ich danke Herrn Prof. Dr. Walter Jaeschke herzlich für die Unterstützung,die das Entstehen der Arbeit ermöglicht hat. Für die sachkundigenund fruchtbaren Gutachten zu meiner Schrift danke ich desgleichenvielmals Frau Prof. Dr. Käte Meyer-Drawe sowie HerrnProf. Dr. Burkhard Mojsisch und Herrn Prof. Dr. Alexander Haardt.Herrn Lukas Trabert danke ich für die Aufnahme des Buches in dieReihe »<strong>Alber</strong> Thesen« des <strong>Verlag</strong>es <strong>Karl</strong> <strong>Alber</strong>. Zudem gilt mein Dankallen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich die Thesen dieser Arbeitauf Tagungen und im persönlichen Gespräch diskutieren konnte. Auchmeinen Freunden und meiner Mutter sei Dank für das wohlwollendeund anerkennende Interesse an meiner Arbeit. Ich möchte an dieserStelle ausdrücklich Adrian danken, dass er mit seinen aufmunterndenFragen und heiteren Kommentaren Anteil an der Entstehung des Buchesgenommen hat.Schließlich danke ich Andris für die kritisch denkende, praktischunterstützende und liebende Begleitung sowie für so vieles andere, dasallein in Worten nicht gesagt werden kann, sondern sich im <strong>lebendige</strong>nVollzug immer wieder zeigt.Bochum, im Frühjahr 2013<strong>Annette</strong> <strong>Sell</strong><strong>Der</strong> <strong>lebendige</strong> <strong>Begriff</strong> A 7


»But to return. Let us again pretend that life is a solid substance,shaped like a globe, which we turn about in ourfingers. Let us pretend that we can make out a plain andlogical story, so that when one matter is dispatched – lovefor instance – we go on, in an orderly manner, to the next.«Virginia Woolf, The Waves


EinleitungWenn der <strong>Begriff</strong> des Lebens zum Gegenstand einer philosophischenUntersuchung wird, so ist besondere Sorgfalt und Umsicht gefordert,da es sich beim Leben um ein vielgestaltiges »Gebilde« handelt, das sichnur schwer fassen lässt und leicht von einer Disziplin oder gar Weltanschauungvereinnahmt zu werden droht. Die Philosophie- und Religionsgeschichte,die Anthropologie, die politische Philosophie sowiedie Naturphilosophie zeigen die unterschiedlichsten Formationen undInterpretationen des Lebens. Es geht dabei um göttliches, menschliches,sittliches genauso wie um natürliches Leben. Die Tagespresse ist nahezutäglich mit neusten Erkenntnissen über das Leben, zumeist das politischeoder biologische befasst. Dieses bunte Sammelsurium wird mitdem einen <strong>Begriff</strong> des Lebens bedacht. Eine wissenschaftliche Abhandlungüber das Leben bedarf also einer genauen Spezifizierung undeiner Begrenzung, d. h. Bestimmung des Themas. Mit dieser Bestimmungdes Inhalts geht auch die Notwendigkeit der Wahl einer Methodikeinher, mit welcher der Gegenstand begriffen werden soll. Unterder Voraussetzung dieser Vorgaben lassen sich der Gegenstand undein Erkenntnisinteresse formulieren. So hat die folgende Untersuchungdas Ziel, den <strong>Begriff</strong> des Lebens in Hegels Denken darzustellenund ihn in seiner systematischen Bedeutung für das Denken, unddas heißt in diesem Fall für die Hegelsche Logik zu entwickeln. Methodischsoll dieses Ziel zunächst durch die systematische Betrachtung derEntwicklungsgeschichte des Lebensbegriffs in Hegels Werken erreichtwerden. Die Entwicklung des Hegelschen Systems und der <strong>Begriff</strong>e,durch die es getragen bzw. konstituiert wird, machen auch den Lebensbegriffbezüglich seines Inhalts und seiner formalen Funktion plausibel.Die bisherige Forschungsliteratur zum Lebensbegriff bei Hegelrichtet sich in erster Linie auf den frühen Hegel, der das Leben im Kontextdes politischen und religiösen Bereichs entfaltet. In dieser frühenPhase wird die systematische Bedeutung des Lebens entwickelt, und so<strong>Der</strong> <strong>lebendige</strong> <strong>Begriff</strong> A 9


Einleitunggilt es auch in dieser Studie, zunächst die Entwicklungsgeschichte desLebensbegriffes von Beginn an nachzuzeichnen. (Kapitel I)Dann soll die Philosophiegeschichte betrachtet werden, die denHintergrund des Hegelschen Lebensbegriffs erhellt und somit für dieKonturierung des <strong>Begriff</strong>s unumgänglich ist. (Kapitel II) Hegel selbstentwickelt seine Philosophie vor dem Hintergrund seiner philosophischenVorgänger. Die <strong>Begriff</strong>e, die sein System bilden, stehen stets indieser Geschichte. Um den <strong>Begriff</strong> des Lebens zu verstehen, ist alsoebenfalls auf die Philosophiegeschichte zu blicken. In Anlehnung undKritik an Aristoteles’ Entelechie, Kants innerer Zweckmäßigkeit undSchellings Konzeption des <strong>lebendige</strong>n Organismus entwickelt Hegelden Lebensbegriff in der Logik. Es ist des Weiteren zu sehen, wie Hegeldas Leben in bestimmten (realphilosophischen) Teilen seines Systemsdarstellt. Da für das Begreifen bzw. Verstehen des logischen Lebens insbesonderedas Leben in der Natur relevant ist, soll dieses auch in derForm des animalischen Organismus gezeigt werden. An dieser höchstenStufe der Naturphilosophie, d. h. dem tierischen Leben, orientiertsich die Konzeption des unmittelbaren Lebens in der <strong>Begriff</strong>slogik. Sosoll im Folgenden auch der animalische Organismus sowie der sich darananschließende Übergang von der Naturphilosophie in die Geistphilosophieuntersucht werden. <strong>Der</strong> subjektive Geist, der die erste Stufeder Geistphilosophie bildet, beginnt mit einer noch naturhaften Formdes Geistes, dem Naturgeist oder der Seele. Das Leben spielt in diesemSystemteil eine ausgezeichnete Rolle. Die Seele ist sowohl eine leiblicheals auch schon eine geistige Form von Leben. Diese Vermittlerpositionnimmt Hegel auch in der Logik für seine Konzeption des <strong>Begriff</strong>sauf. So beschreibt er den <strong>Begriff</strong> als Seele. »<strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong> ist als Seele ineinem Leibe realisirt, […]« 1 sagt Hegel in der Enzyklopädie von 1830.Wie die Seele, die in der Logik auch der <strong>Begriff</strong> ist und somit zur logischenMethode gehört, als Teil des subjektiven Geistes zu denken ist,muss erarbeitet werden. (Kapitel III) Die gesamten Ergebnisse sollenschließlich dazu führen, das Leben in der Logik zu erforschen und densystematischen Stellenwert des Lebens in Hegels Denken darzulegen.Dabei gilt es, den Lebensbegriff als methodischen <strong>Begriff</strong> herauszustel-1G. W. F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse(1830). Gesammelte Werke Band 20. Unter Mitarbeit von Udo Rameil herausgegebenvon Wolfgang Bonsiepen/Hans-Christian Lucas. Hamburg 1992. (Im Folgenden zitiertals GW 20), hier: GW 20, 219.10 <strong>ALBER</strong> THESEN <strong>Annette</strong> <strong>Sell</strong>


Einleitunglen und schließlich zu klären, was einen <strong>lebendige</strong>n <strong>Begriff</strong> ausmacht.(Kapitel IV)<strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong> des Lebens findet sich in allen Teilen des HegelschenSystems, und so ist er in seinen frühen bis zu seinen späten Werkenund Vorlesungen relevant. In Anbetracht dieses mannigfachen Vorkommensdes Lebens ist von einer eindeutigen Bedeutung dieses <strong>Begriff</strong>ssicherlich nicht zu sprechen. 2 Die unterschiedlichen Kontexte implizierenauch viele Bedeutungsvarianten des Lebensbegriffes. Sospricht Hegel etwa vom »Leben des Geistes« 3 ebenso wie vom »Lebendes Ganzen« 4 und vom »Leben der organischen Natur«. 5 Die Charakteristikades Lebens drückt Hegel auch mit dem Adjektiv »lebendig«und dessen subjektivierter Form »Lebendigkeit« aus. Es gilt in dieserStudie nicht alle diese Bedeutungskontexte, in denen das Leben steht,im einzelnen zu erforschen, sondern es soll gezeigt werden, welche systematischeBedeutung das Leben für Hegels logisches Denken hat. Umdiese Aufgabe zu erfüllen, ist insbesondere die Hegelsche Wissenschaftder Logik, welche die Grundlage und das Herz des gesamten Systemsist, zu betrachten. Dabei lässt sich anhand der Entwicklungsgeschichteder Logik zeigen, wie sich die Strukturen der Hegelschen Dialektik inVerbindung mit dem Lebensbegriff entwickeln. Eine Arbeit über Hegelslogischen Lebensbegriff rechtfertigt sich nun nicht dadurch, dasser als der wichtigste <strong>Begriff</strong> für die spekulative Logik und die Dialektikangesehen wird, doch soll die These aufgestellt werden, dass die HegelscheLogik ohne den <strong>Begriff</strong> und die Bewegung des Lebens überhauptnicht denkbar wäre. Argumente hierfür lassen sich – wie bemerkt – inder Entwicklungsgeschichte, in der von Hegel aufgenommenen Philosophiegeschichteund in der Konzeption der Logik selbst finden.<strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong>, in dem sich das Denken vollzieht und den es vollzieht,zeichnet sich Hegel zufolge durch Lebendigkeit aus. Seine Bewegungvollzieht sich als Trennung und Rückführung in die Einheit. Wie diese2Vgl. zu den unterschiedlichen systematischen Bedeutungen des Hegelschen LebensbegriffsHans Friedrich Fulda: Das Leben des Geistes. – In: Hegel-Jahrbuch 2006. DasLeben denken. Erster Teil. Hrsg. von Andreas Arndt/Paul Cruysberghs/Andrzej Przylebski,in Verbindung mit Franck Fischbach. Berlin 2006, 27–35.3G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes. Gesammelte Werke Band 9. Hrsg. vonWolfgang Bonsiepen/Reinhard Heede. Hamburg 1980. (Im Folgenden zitiert als GW 9),hier: GW 9, 27.4GW 9, 10.5GW 9, 167.<strong>Der</strong> <strong>lebendige</strong> <strong>Begriff</strong> A 11


Einleitung<strong>Begriff</strong>sbewegung zu verstehen ist, wird im Folgenden genauer zu zeigensein. In der Wissenschaft der Logik hat sich der <strong>Begriff</strong> im Übergangvon der Wesenslogik zur <strong>Begriff</strong>slogik selbst zur Grundlage derLogik gemacht. Er »ist das Concrete und Reichste, weil er der Grundund die Totalität der frühern Bestimmungen, der Kategorien desSeyns, und der Reflexionsbestimmungen ist; dieselben kommen daherwohl auch an ihm hervor.« 6 <strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong> als mit sich Identisches undVernünftiges hat die Bestimmungen des Gegensatzes in sich und hatsomit die Fähigkeit, sich zu entzweien. Hegel zeigt, wie der <strong>Begriff</strong> sichselbst in dieser Entzweiung bestimmt. Seine Form ist die Allgemeinheit.Indem er sich als das Allgemeine bestimmt, ist er das Besondere,und die sich auf sich selbst beziehende Bestimmtheit ist die Einzelheit.So ist der <strong>Begriff</strong> als das Allgemeine, Besondere und Einzelne die spekulativ-dialektischeBewegung selbst. In diesem dialektisch bewegtenSinne ist es auch zu verstehen, dass Hegel <strong>Begriff</strong>en Lebendigkeit zuschreibt,denn sie sind »<strong>lebendige</strong> Bewegungen«. 7 Diese Bewegungwird durch den Widerspruch getragen, der in der Wesenslogik als»Wurzel der Lebendigkeit« 8 bezeichnet wird. Alles, was den Widerspruchin sich enthält, ist nach Hegel lebendig. 9 Die Dialektik bzw. diedialektische Bewegung ist also am <strong>Begriff</strong> des Lebens orientiert. Es giltaber auch die umgekehrte Richtung: Was reflexiv bzw. noch nicht dialektischbewegt ist, hat kein Leben. Diese Beziehung von Dialektik undLeben wird durch ein Zitat aus der Logik-Nachschrift von Good pointiertdeutlich. »Das Dialectische ist der Puls des Lebens überhaupt.« 106G. W. F. Hegel: Wissenschaft der Logik. Zweiter Band. Die subjektive Logik (1816).Gesammelte Werke Band 12. Hrsg. von Friedrich Hogemann/Walter Jaeschke. Hamburg1981. (Im Folgenden zitiert als GW 12), hier: GW 12, 48.7GW 12, 47.8G. W. F. Hegel: Wissenschaft der Logik. Erster Band. Die objektive Logik (1812/13).Gesammelte Werke Band 11. Hrsg. von Friedrich Hogemann/Walter Jaeschke. Hamburg1978. (Im Folgenden zitiert als GW 11), hier: GW 11, 286.9Vgl. GW 11, 287.10G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Wissenschaft der Logik. Nachschriften zu denKollegien der Jahre 1801/02, 1817, 1823, 1824, 1825 und 1826. Gesammelte WerkeBand 23/1. Hrsg. von <strong>Annette</strong> <strong>Sell</strong>. Hamburg 2013. (Im Folgenden zitiert als GW 23/1),hier: GW 23/1, 22. Vgl. auch die Voredition dieser Vorlesungsnachschrift: G. W. F. Hegel:Vorlesungen über Logik und Metaphysik. Heidelberg 1817. Mitgeschrieben vonF. A. Good. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte Band 11. Hrsg. von KarenGloy, unter Mitarbeit von M. Bachmann/R. Heckmann/R. Lambrecht. Hamburg 1992,13.12 <strong>ALBER</strong> THESEN <strong>Annette</strong> <strong>Sell</strong>


EinleitungOb und inwiefern das Dialektische und das Leben in diesem Satz vertauschtwerden können, wird zu prüfen sein. Es hieße dann: Das Lebenist der Puls des Dialektischen überhaupt. Durch die Beschaffenheit derIdee, die sich unmittelbar im Leben realisiert, und da der <strong>Begriff</strong>, derdie dialektische Bewegung der Logik trägt, als <strong>lebendige</strong>r zu denken ist,muss auch ein Inhalt wie das Leben in der Logik entwickelt werden.Ohne das Leben wäre die Idee, zu der die Logik hinführt, bzw. das Wahre(und somit auch die gesamte Hegelsche Logik), wie Hegel selbstsagt, etwas Leeres und Bestimmungsloses. 11 Ohne das Lebendige istder <strong>Begriff</strong> also nicht denkbar. »Insofern würde sich die Notwendigkeit,die Idee des Lebens in der Logik zu betrachten, auf die, auch sonst anerkannteNothwendigkeit, den concreten <strong>Begriff</strong> des Erkennens hier abzuhandeln,gründen.« 12 Weil also das Erkennen in der Logik gedachtwerden muss, muss auch das Leben seinen Platz finden. Diese Theseist demnach der Hegelschen Logik selbst zu entnehmen. Nun heißt esbei Hegel, dass es beim <strong>Begriff</strong> des Lebens einer besonderen Rechtfertigungbedarf, warum er überhaupt in der Logik seinen Platz findet. Ersagt selbst, dass er mit diesem <strong>Begriff</strong> die Logik zu überschreitenscheint. 13 Hier wird das Verhältnis von Logik und sogenannter Realphilosophieangesprochen. Indem das Leben stets an Außerlogisches,wie etwa Natürliches, Körperliches gebunden ist, gehört es eigentlichnicht in eine reine Logik. Wie kann es in dieser Logik aber doch diesescheinbar »außerlogischen« Momente geben? Einer Antwort auf dieseGrundsatzfrage zur Hegelschen Logik gilt es im Verlaufe der Untersuchungnäherzukommen. Dabei geht es also einerseits um die logischeBestimmung des Lebensbegriffs und andererseits um die Funktion derdialektischen Logik im Ganzen.Dabei kann hier schon an verschiedene Forschungsergebnisse angeknüpftwerden, die Teilaspekte des logischen Lebensbegriffs oder diehier anzustrebende Argumentationsrichtung andeuten bzw. unterstützen.Wenn Georg Sans etwa die »Realisierung des <strong>Begriff</strong>s« erforscht,indem er eine Interpretation der Schlusslehre in der Logik vorlegt, sokommt er schließlich zu der Einsicht, dass »Hegel die absolute Methodenach dem Modell einer organischen Entwicklung beschreibt.« 1411Vgl. GW 12, 180.12GW 12, 179.13Ebd.14Georg Sans: Die Realisierung des <strong>Begriff</strong>s. Eine Untersuchung zu Hegels Schlußlehre.Berlin 2004, 74.<strong>Der</strong> <strong>lebendige</strong> <strong>Begriff</strong> A 13


EinleitungEtwas weiter heißt es dann: »Wenn Hegel von der Tätigkeit des <strong>Begriff</strong>sspricht, hat er vielmehr die organische Entwicklung eines <strong>lebendige</strong>nWesens vor Augen.« 15 Sans’ Anliegen ist es, die Schlusslehre innerhalbder <strong>Begriff</strong>slogik als ein wichtiges logisches Moment herauszuarbeiten.Hegel entwickelt mit Hilfe der spekulativen Form des Schlusses seineTheorie des <strong>Begriff</strong>s. Die Konzeption des <strong>Begriff</strong>s als objektives undkonkretes Allgemeines ist dabei an den Mittelbegriff des Schlusses gebunden.<strong>Der</strong> zunächst bloß formelle <strong>Begriff</strong> geht am Ende der Entwicklungdes Schlusses in ein Objekt über, so dass schließlich von der Realisierungdes <strong>Begriff</strong>s gesprochen werden kann. Dabei gilt es nun,besonders den mittleren Term zu betrachten, denn dieser muss die beidenExtreme miteinander verbinden. <strong>Der</strong> Schluss geht in Hegels Denkenüber das Urteil hinaus. »Im Unterschied zur traditionellen Logikdeutet Hegel den Schluß nicht als die Ableitung eines Urteils auseinem oder mehreren anderen, sondern als die Vermittlung zweier <strong>Begriff</strong>edurch einen dritten. <strong>Der</strong> mittlere Term des Schlusses tritt bildlichgesprochen an die Stelle der Kopula des Urteils.« 16 Wenn nun diesermittlere bzw. dritte Term innerhalb des Schlusses betrachtet wird, sostößt Sans auch auf den <strong>Begriff</strong> der Gattung, denn diese Mitte stehtim Verhältnis zu ihren Extremen wie eine Gattung zu ihren Arten. Indiesem Sinne verhalten sich auch Allgemeines, Besonderes und Einzelnes,welche ja die Bestandteile des Schlusses sind, wie die Arten einerGattung. 17 An dieser Stelle sieht Sans die Parallele zur Naturphilosophieund damit einhergehend zum natürlichen Gattungsbegriff gegeben.18 »Es ist kein Zufall, dass Hegel in seinen Vorlesungen als Beispieleiner Gattung oder substantiellen Natur gerade die Lebendigkeitder Tiere wählt. Das Lebendige diente ihm in allen Phasen seines Schaf-15A.a.O., 75.16A.a.O., 3117Vgl. a.a. O., 186.18Was den Bezug des logischen Gattungsbegriffs auf das Lebendige betrifft, so argumentiertauch Erich Frank in seiner einschlägigen Studie über »Das Problem des Lebensbei Hegel und Aristoteles« ähnlich wie Sans: »Mag es auch sonst berechtigt und notwendigsein, logisch allgemeine Gattungsbegriffe zu bilden, ursprünglich gibt es eineihnen ganz entsprechende Realität nur auf dem Gebiet der organischen Lebewesen, undes ist nicht Zufall, daß die griechischen <strong>Begriff</strong>e für Gattung und Art – auch eâdo@bezeichnet ursprünglich nur die <strong>lebendige</strong> Form – aus der logischen Betrachtung diesesGebiets stammen.« Erich Frank: Das Problem des Lebens bei Hegel und Aristoteles. – In:Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 5. 1927,609–643, hier: 614f.14 <strong>ALBER</strong> THESEN <strong>Annette</strong> <strong>Sell</strong>


Einleitungfens als ein Modell für die Art, wie er das Verhältnis des Allgemeinenzum Einzelnen aufgefaßt wissen wollte. Den paradigmatischen Charakterdes Lebendigen für Hegels Konzept von Allgemeinheit macht mansich am besten anhand dessen klar, wie er die Kategorie des Lebensnäher bestimmt.« 19 Das organische Leben kann als Verbindung von Individuumund Gattung gesehen werden, und dieses Verhältnis lässtsich auf die logische Verknüpfung von Einzelheit und Allgemeinheitübertragen. Sans beschreibt diese Wechselbeziehung zwischen den dreilogischen Elementen (A, B, E) und dem Prozess des Lebendigen als <strong>lebendige</strong>sIndividuum und Gattungsprozess, um den logischen und <strong>lebendige</strong>nKreislauf darzustellen. Diese Arbeit von Sans zeigt also dieVerbundenheit von logischer Form und organischem Modell, ohne dabeieine »Naturalisierung« der Logik vorzunehmen. Die HegelscheLogik wird als eine reine, dialektische Logik, die nichts Empirischesbzw. Äußerliches enthält, anerkannt. Rein aus der logischen <strong>Begriff</strong>sbewegungwird eine Orientierung am Lebendigen argumentativ belegt.<strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong> wird als eine sich selbst bestimmende und sich selbstrealisierende Bewegung gezeigt, wobei diese (Selbst-)Bewegung anhanddes Modells eines <strong>lebendige</strong>n Organismus konzipiert ist. DieseArgumentation von Georg Sans entspricht der These der vorliegendenStudie.Thomas Sören Hoffmann nennt seine Gesamtdarstellung zu Hegeleine »Propädeutik« und stellt Hegels Leben und in erster Linie seinDenken dar. Die drei Teile des Buches folgen dem Hegelschen Werk.<strong>Der</strong> erste Teil umfasst Jugendschriften und das Jenenser Debüt, derzweite Teil Phänomenologie und Wissenschaft der Logik und der drittedas Berliner System, das den philosophischen Disziplinen (außer derLogik) im Einzelnen folgt. Dabei stellt auch Hoffmann die Bedeutungdes Lebensbegriffs heraus. »Das System ist nicht das Korsett, das demLeben des Geistes angelegt wird, sondern das Wissen darum, daß diesesLeben weiter reicht als das hier und jetzt Thematisierte, daß es sichüber jede aktuale Bestimmtheit hinaus kontinuierlich ist und alle Diskretiondiesem Leben nur immanent, nicht äußerlich sein kann.« 20 Mitdieser Aussage wendet sich Hoffmann dagegen, das systematische Philosophierenmit der Festlegung auf ein starres, vollständiges Refle-19Georg Sans: Die Realisierung des <strong>Begriff</strong>s, 192.20Thomas Sören Hoffmann: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Eine Propädeutik. Wiesbaden2 2012, 31.<strong>Der</strong> <strong>lebendige</strong> <strong>Begriff</strong> A 15


Einleitungxionsprodukt zu verbinden. Hegels Denken zeichnet sich in erster Liniedurch eine logische Kontinuität aus, die in das Erkennen selbst fällt.»Den Inhalt in seiner ›kontinuierlichen Eigenbestimmtheit‹ zu denkenist dann nichts anderes als die Aufgabe des Systems.« 21 Hiermit nimmtHoffmann das Gesamte des Hegelschen Werkes in den Blick. Dass hierbeider <strong>Begriff</strong> des Lebens eine tragende Rolle spielt, wird deutlich,wenn Hoffmann das Leben als Modell für die dialektische Bewegungfasst. 22 Schon ab den frühen Frankfurter Schriften erkennt Hoffmanndie konstitutive Bedeutung des Lebensbegriffs, »dessen innere DialektikHegel auszuarbeiten begonnen hatte und für ihn dann Modellcharakterfür sein Denken insgesamt erlangen sollte.« 23 Dabei zeichnetsich das Leben unter anderem dadurch aus, dass es die Struktur desSicht-Beziehens hat. Leben ist Beziehung von einzelnem Individuumund der Gesamtheit des Lebenszusammenhangs, und das heißt, dass esauch von dem Reflexionsunterschied von Einzelheit und Allgemeinheitgeprägt ist. »Erwähnt sei diese [Beziehung, A. S.] hier nur, weilsich für Hegel das Verhältnis von Allgemeinem und Einzelnem, vomModell des Lebens her verstanden, tatsächlich neu gestaltet; Hegelsdialektischer <strong>Begriff</strong>srealismus, das heißt seine These, daß das Allgemeineniemals nur als Abstraktum aufgefaßt werden kann, verstehtsich primär von diesem ›Modell‹ her.« 24 Diese wichtige und zutreffendeThese bestätigt Hoffmann im Verlaufe seines Buches an verschiedenenStellen des Hegelschen Werkes und vor allem in der Logik. Wenn esz. B. um die wahrhafte Unendlichkeit innerhalb der Seinslogik geht, so»können wir auf unser Grundmodell für Hegels dialektisches Denken,auf den <strong>Begriff</strong> des Lebens, zurückkommen.« 25 Wenn Hegel zeigt, wiedas Endliche verschwindet und die Unendlichkeit zunächst als schlechteUnendlichkeit erscheint und sich im Weiteren der Argumentationdie wahre Unendlichkeit, die nicht bloß Negation des Endlichen ist, ergibt,so ist diese <strong>Begriff</strong>sbewegung wiederum am Prozess des Lebendigenorientiert. Auch die Bestimmung der <strong>Begriff</strong>sverhältnisse innerhalbder Wesenslogik zeigt Hoffmann »an unserem Modell für dasspekulative Verhältnis, am Leben« 26 auf. Das spekulative <strong>Begriff</strong>sver-21A.a.O., 32.22A.a.O., vgl. auch z.B. 123ff., 317f., 355.23A.a.O., 123.24A.a.O., 126.25A.a.O., 317.26A.a.O., 355.16 <strong>ALBER</strong> THESEN <strong>Annette</strong> <strong>Sell</strong>


Einleitunghältnis lässt sich danach als Verhältnis von Leben und Lebendigem bzw.Einheit von Ganzem und Teil denken. Diese Hinweise zeigen exemplarisch,in welcher Weise Hoffmann die systematische Bedeutung desLebensbegriffs für die Hegelsche Logik herausstellt. Vor dem Hintergrunddieser methodischen und inhaltlichen Überlegungen erscheintHegel in diesem Buch als ein Denker, mit dem es gelingen kann, »diegewohnten Denkhorizonte in Bewegung zu setzen und den Versuch zuwagen, das Denken selbst sich als Letzthorizont menschlichen SelbstundWeltverständnisses entfalten zu lassen.« 27Mit dem <strong>Begriff</strong> des Modells arbeiten auch Dina Emundts undRolf-Peter Horstmann in ihrer Einführung in die Philosophie Hegels,um die Orientierung des Hegelschen Denkens am Lebendigen erkennenzu lassen. In der Einleitung sprechen die beiden Autoren zunächstvon Hegels Vernunftbegriff, der dem Wirklichkeitsbegriff entspricht.Dabei soll es das Ziel sein, dass sich die Vernunft in der Wirklichkeiterkennt. »Diesen Prozeß der Selbsterkenntnis der Vernunft darzustellen,ist die Aufgabe der Philosophie. Hegel konzipiert diesen Prozeß inAnlehnung an das Modell organischer Entwicklung, die auf verschiedenenEbenen stattfindet. Die seine Konzeption leitende Grundvorstellungist die, daß man die Vernunft nach dem Vorbild eines <strong>lebendige</strong>nOrganismus zu fassen hat. Ein <strong>lebendige</strong>r Organismus wird von Hegelgedacht als ein Wesen, das die gelungene Realisierung eines Planes darstellt,in dem alle individuellen Merkmale dieses Wesens enthaltensind.« 28 Die <strong>lebendige</strong> Entwicklung des Systems wird bereits in denFrankfurter Schriften angelegt und schlägt sich dann besonders in derFormulierung innerhalb des sogenannten Systemfragments von 1800nieder, wenn Hegel das Leben als »Verbindung der Verbindung undNichtverbindung« bestimmt. »Diese Formel und der ihr zugrunde liegendeLebensbegriff verweisen bereits deutlich auf Hegels spätere organizistischeMetaphysik.« 29 Obwohl dieser Interpretation in weitenTeilen zu folgen ist, 30 gilt es den <strong>Begriff</strong> der organizistischen Metaphysik,der hier von den Autoren eingeführt wird, nicht aufzunehmen.Allzu groß ist die Gefahr einer Verkennung des Hegelschen Denkens,27A.a. O., 11.28Dina Emundts/Rolf-Peter Horstmann: G. W. F. Hegel. Eine Einführung. Stuttgart2002, 11.29A.a. O., 24.30Vgl. auch Kapitel IVb) dieser Arbeit, in dem auf Horstmanns Schrift über Wahrheitaus dem <strong>Begriff</strong> näher einzugehen sein wird.<strong>Der</strong> <strong>lebendige</strong> <strong>Begriff</strong> A 17


Einleitungsei es, dass diese Klassifizierung in den Bereich der Lebensphilosophieführen könnte, 31 sei es dass eine allzu große Nähe zum Denken desfrühen Schelling hergestellt werden könnte. Mit der Bezeichnung der»organizistischen Metaphysik« scheint Hegels Philosophie nicht treffendbezeichnet worden zu sein, da sich Hegel zwar am Modell des natürlichLebendigen für die Konzeption seiner Gedankenbestimmungenorientiert, aber diese Orientierung bezieht sich auf die dialektische Bewegungdes <strong>Begriff</strong>s, der letztendlich ein <strong>Begriff</strong> der Subjektivitätbleibt. Wie sich ein solcher <strong>lebendige</strong>r <strong>Begriff</strong> im Sinne Hegels denkenlässt, soll die vorliegende Arbeit zeigen. Wenn Emundts und Horstmannsich in ihrer Darstellung der Hegelschen Philosophie der Wissenschaftder Logik zuwenden, so ist für diese Untersuchung interessant,wie sie nun den <strong>Begriff</strong> des <strong>Begriff</strong>s interpretieren. Hegels Redevon objektiven Gedanken, die ausdrücken, dass <strong>Begriff</strong>e dasjenige bezeichnen,was in Wirklichkeit bzw. in der Welt ist, führt die Autorendazu, dem <strong>Begriff</strong> eine ontologische Konnotation zuzuschreiben. Hegels<strong>Begriff</strong>e sind Entitäten, die nicht sinnlich und somit Gedankenbestimmungenund zugleich objektiv, also nicht rein subjektiv zu verstehensind. Da nicht alle Objekte im Hegelschen Sinne einen <strong>Begriff</strong>haben, muss er das Objekt näher eingrenzen. »Ein Hegelscher <strong>Begriff</strong>kommt nur solchen Objekten zu, die nach dem Muster eines Organismusbetrachtet werden können.« 32 Ohne diese Hegel zugesprocheneThese durch Zitate zu belegen, bauen die Verfasser ihre These von derorganologischen Verfasstheit von Objekten im Weiteren vor dem Hintergrundder Kantischen teleologischen Urteilskraft auf. Die »innereZweckmäßigkeit« soll dabei dem Objekt entsprechen. »Die innereZweckmäßigkeit denkend zu erfassen, setzt dann Hegel zufolge voraus,das Objekt aus seinem <strong>Begriff</strong> heraus zu erklären, und dieser <strong>Begriff</strong>soll der Hegelsche <strong>Begriff</strong> sein.« 33 Im Kontext der Betrachtung der Kritikder teleologischen Urteilskraft (Kapitel IIb) wird auf diese Thesenoch einmal zurückzukommen sein. Diese interessante und originelleInterpretation des Hegelschen <strong>Begriff</strong>s zeigt, wie das natürlich Lebendigeeine konstitutive Bedeutung für die Logik bekommen kann, indemdas Objekt, dem ein <strong>Begriff</strong> zukommt, selbst als organisch verfasstes31Vgl. Klaus Hartmann: Hegels Logik. Hrsg. von Olaf Müller, mit einem Vorwort vonKlaus Brinkmann. Berlin/New York 1999, 4.32Dina Emundts/Rolf-Peter Horstmann: G. W. F. Hegel. Eine Einführung, 69.33A.a.O., 73.18 <strong>ALBER</strong> THESEN <strong>Annette</strong> <strong>Sell</strong>


Einleitunggedacht wird. Die vorliegende Studie verfolgt demgegenüber aber eineandere Deutung des Lebens. Im Sinne von Hegels Äußerung, dass <strong>Begriff</strong>e»<strong>lebendige</strong> Bewegungen« 34 seien, gilt es Argumente zu finden,welche die Bewegung des Lebens als Bewegung des <strong>Begriff</strong>s zeigen, sodass das natürliche Leben als Modell für die <strong>Begriff</strong>sbewegung und damitfür die Dialektik gelten kann.Unter den Arbeiten, die sich mit dem logischen Lebensbegriff auseinandersetzen,sei noch auf die bedeutende Studie von Bernard Mabillehingewiesen, welche die konstitutive Bedeutung des logischenLebensbegriffs erarbeitet. 35 Dabei argumentiert Mabille sowohl innerlogischals auch philosophiehistorisch und stellt die Frage, was eigentlichdas logische Leben bedeutet. Historisch knüpft er für die Beantwortungder Frage insbesondere an Platon und Plotin an und zeigt dieVerbindung von Logos und Leben unter Bezug auf Hegels Äußerungenüber diese Denker in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophieauf. Aber: »Ce qui manque pourtant à cette pensée platoniciennede la vie logique c’est le principe moderne de la subjectivité. Le Panteloson est bien étant total. En tant que vivant, il a bien le principe de sonmouvement en soi-même mais c’est sur le mode de l’âme et non de laconscience. L’absolu, s’il est substance vivante, n’est pas véritablementsujet.« 36 Damit zeigt Mabille auch die Differenzen zum PlatonischenLebensbegriff und arbeitet innerlogisch die systematische Bedeutungdes Lebens heraus, wobei er die Negativität als bestimmenden <strong>Begriff</strong>der Logik herausstellt und schließlich von einer <strong>lebendige</strong>n Negativität(negativité vivante) spricht, die nicht bloß im Abstrakten bleibt. »Cettenégativité comme principe de vie explique le fait que le système ne peutpas être mis en ordre extérieure mais croissance interne et organique.«37 Vor dem Hintergrund dieser Argumentationen zieht Mabilleschließlich folgendes Fazit im Hinblick auf eine Gesamtsicht der Wissenschaftder Logik und deren <strong>Begriff</strong>sbewegung: »L’auto-mouvementn’est pas mécanique inexorable, processus nécessaire: il est croissanceorganique, liberté. La Science de la logique est Darstellung de la vielogique elle-même.« 3834GW 12, 47.35Bernard Mabille: La vie logique. – In: Hegel et la vie. Hrsg. von Jean-Louis Vieillard-Baron. Paris 2004, 107–153.36A.a. O., 136.37A.a. O., 152.38A.a. O., 153.<strong>Der</strong> <strong>lebendige</strong> <strong>Begriff</strong> A 19


Einleitung<strong>Der</strong> kurze Überblick über grundlegende Ansätze zum logischen Lebensbegriffsoll an dieser Stelle genügen, um einige Arbeiten hervorzuheben,an die sich die folgende Argumentation anlehnen bzw. mitwelchen sie sich kritisch auseinandersetzen kann und muss. Dass imHinblick auf die verschiedenen Aspekte des Lebens noch viele weitereForschungen herangezogen werden können, steht außer Frage undwird durch die in Anmerkungen und Haupttext diskutierte Literaturbelegt. Da das Leben nun in den verschiedenen Bereichen der HegelschenPhilosophie zu finden ist, ist auch davon auszugehen, dass esnicht den einen <strong>Begriff</strong> des Lebens gibt. Mit einer solchen Deutungwäre dieser <strong>Begriff</strong> sicherlich unangemessen verstanden. Hans FriedrichFulda zeigt in einem bedeutenden Aufsatz sowohl die Vielschichtigkeitdes Lebensbegriffs als auch einen »Pluralismus von Lebenskonzeptualisierungen«auf. 39 Dabei fragt er nach dem Unterscheidungsmerkmalvon Leben des Geistes, Leben der Natur und Idee desLebens. Warum muss es überhaupt ein Leben des Geistes geben? DasLeben der Natur, wie es auch in der Naturphilosophie vorkommt, istverstreut, und es kommt ihm die Äußerlichkeit zu. Demgegenüberhat die Idee des Lebens ihre Voraussetzung schon in der Idee und nichtin der Äußerlichkeit. Es ist noch nicht bestimmt und auf ein von ihm zuunterscheidendes Subjekt hin gedacht. »<strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong> als Form, in welchedie Momente der Idee des Lebens eingeschlossen bleiben, verhält sichzum Leben in der Idee nicht wie ein Subjekt zu seiner Attribution (odergar zur Selbstbestimmung des Subjekts). Er ist nur eine durch alle Momente,welche die Idee des Lebens oder ihre Realität ausmachen, hindurchgehende,sie auf Adäquation von Subjektivem und Objektivemhin formende Tätigkeit.« 40 Aber diese Feststellung beantwortet fürFulda immer noch nicht die Frage, wie Hegel überhaupt von der Ideedes Lebens sprechen kann. Um diese Frage zu beantworten, blickt Fuldaauf den Übergang von der Teleologie zum Leben. Im Fortgang von deräußeren zur inneren Zweckmäßigkeit wird die Idee als das Wahre entdeckt.Dieses hat nur noch sich selbst zum Zweck und ist nur auf dieRealisierung des Selbstzwecks hin organisiert. Dass nun in diesem Entdeckennoch kein »Sich-Selbst-Erfassen des <strong>Begriff</strong>s enthalten ist, d. h.kein Erkennen«, 41 ist für Fulda einsehbar, und einen »so erkenntnis-39Hans-Friedrich Fulda: Das Leben des Geistes, 28.40A.a.O., 29.41Ebd.20 <strong>ALBER</strong> THESEN <strong>Annette</strong> <strong>Sell</strong>


Einleitunglosen, sich durch Organisation von Vereinzelung des <strong>Begriff</strong>s und derenProzessualität realisierenden und in der Realisierung enthaltendenSelbstzweck kann man mit gutem Recht Leben nennen.« 42 Nun sagtFulda, dass dieser Lebensbegriff unabhängig von <strong>Begriff</strong>en naturalenLebens ist. Damit beugt er Interpretationen vor, die Hegels logischenLebensbegriff in die Nähe einer Lebenskraft stellen möchten. Die Redevon Leben sieht Fulda über Kants Lehre von der Objektivität vermittelt.Es kann kein allgemeiner Lebensbegriff gewonnen werden. »Einesolche Spezifikation wäre von der Idee des Lebens aus gar nicht möglich.Denn diese Idee ist selbst schon ein – innerlogisch – vollständigbestimmter <strong>Begriff</strong>; ein <strong>Begriff</strong> also, der seine Funktion gar nicht wieeine Kategorie oder ontologische Grundbestimmung durch Konkretisierungund Spezifikation dessen erhält, was unter ihn fällt.« 43 Fuldasieht die Funktion der Idee des Lebens eher darin, dass sie sich in eineandere Idee, nämlich die Idee des Erkennens, verwandeln soll, um dannin die absolute Idee einzugehen. Dieses gewichtige Argument Fuldasist zu prüfen, da die »Idee des Lebens« von Hegel eben doch aus konkreten,vornehmlich naturphilosophischen Inhalten besteht. Die Ideeist bei Hegel schließlich als Subjekt-Objekt gedacht, und der <strong>Begriff</strong>ist bei ihm stets das konkrete Allgemeine. Ob also die Idee und auchdie Idee des Lebens ohne Spezifikation und letztlich ohne Inhalt auskommenkönnen, bleibt fraglich. Hegel sagt in der Passage über dasLeben selbst, dass sie einen so konkreten und reellen Gegenstand betrifft,dass es scheint, als würde hier die Logik überschritten werden.Wenn diese Logik lediglich aus leeren oder toten Gedankenformen bestünde,so könne sie einen Inhalt wie die Idee oder das Leben gar nichtenthalten. 44 Diese Aussagen deuten darauf hin, dass die Idee und dasLeben zwar schon begrifflich und somit innerlogisch bestimmt sind,dass Hegel aber den Inhalt des Lebens durchaus anerkennt und in seineLogik zu integrieren sucht. Wie diese komplizierte Integration zu denkenist, wird im Folgenden (besonders in Kapitel IV) zu zeigen sein.Diesem logischen Lebensbegriff stehen nun aber weitere Lebensbegriffegegenüber, die auch Fulda analysiert, um das Verhältnis von Geistund Leben bzw. von Leben des Geistes und unvergänglichem Lebender absoluten Idee zu deuten.42Ebd.43A.a. O., 30.44GW 12, 179.<strong>Der</strong> <strong>lebendige</strong> <strong>Begriff</strong> A 21


Einleitung<strong>Der</strong> große Fragenkatalog, der Fuldas Studie durchzieht, und seinedifferenzierte Suche nach Antworten zeigen die Spannung zwischenLeben und Geist sowie die Schwierigkeit, beide Bereiche aufeinanderzu beziehen. Fulda bietet eine Erklärung bzw. Lösung der Spannungan, indem er vor allem die Pluralität des Lebensbegriffs fordert. Dievorliegende Untersuchung gibt zum Teil andere Antworten auf FuldasFragen und versucht die systematische Grundlage dieser Pluralität desLebensbegriffes zu erweisen. Will man sich dem Hegelschen Denken,das diese Spannung zwischen Subjektivem und Objektivem nichtleichtfertig zugunsten einer Seite auflöst, nähern, so gilt es sich derdialektischen Bewegung mit allen ihren Problemen zu stellen. Fuldahat sich in seiner Studie und in seinem gesamten Werk stets dieserHerausforderung gestellt und sie auf seine Weise beantwortet. Hiergilt es nun ebenfalls eine Antwort auf die Frage nach dem Leben zusuchen und Strukturmomente herauszuarbeiten, die eine Verbindungder verschiedenen Bereiche herstellen können, in denen der logischeLebensbegriff im Hegelschen Werk eine systematische Rolle spielt.Gibt es also ein strukturelles Moment, das den verschiedenen Lebensbegriffengemeinsam ist? Es handelt sich ja um einen <strong>Begriff</strong>, so liegtdie Vermutung nahe, dass es ein Kriterium oder mehrere Kriteriengibt, die typisch bzw. charakteristisch für Hegels <strong>Begriff</strong> des Lebenssind. So kann es auch zu Verbindungen zwischen dem <strong>Begriff</strong> des logischenLebens und dem <strong>Begriff</strong> des naturalen Lebens sowie dem <strong>Begriff</strong>des geistigen Lebens kommen. Nun ist aber schon hier dem Missverständnisvorzubeugen, dass die Identität von natürlichem Leben undlogischem Leben einerseits oder Natur und Geist andererseits behauptetwerden soll. Es ist also schon jetzt festzuhalten, dass Hegel das Lebeneines Tieres sicherlich vom Leben des <strong>Begriff</strong>s oder von dem derPflanze unterscheiden wollte. Eine Identität beider Arten von Leben zubehaupten, entspräche nicht Hegels Denken. Schelling versucht demgegenüberin den Ideen zu einer Philosophie der Natur von 1797 zuzeigen, wie ein Zusammenhang von Geist und Natur unter der Annahmeeiner ursprünglichen Einheit von Geist und Materie möglich seinsoll. Er spricht von einem höheren Prinzip, das allem zugrunde liegt.Dieses bestimmt sich als absolute Identität. Ein viel zitierter Satz ausden Ideen zu einer Philosophie der Natur gibt den Grundgedankenwieder: »Die Natur soll der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbareNatur seyn. Hier also, in der absoluten Identität des Geistes in uns undder Natur außer uns, muß sich das Problem, wie eine Natur außer uns22 <strong>ALBER</strong> THESEN <strong>Annette</strong> <strong>Sell</strong>


Einleitungmöglich seye, auflösen.« 45 Hegel verfolgt hier einen anderen Weg, dasnatürliche Leben zu denken. Dass Schelling dennoch als ein wichtigesVorbild für Hegels logischen Lebensbegriff gelten kann, wird sich weiterunten noch zeigen. Die Bestimmung des »<strong>lebendige</strong>n Individuums«innerhalb der Logik vollzieht sich in den <strong>Begriff</strong>en Sensibilität, Irritabilitätund Reproduktion. Diese <strong>Begriff</strong>strias entlehnt Hegel der SchellingschenNaturphilosophie. Im Folgenden (siehe Kapitel IIc) wird dargestellt,dass sich Hegel aber grundsätzlich von Schellings Ansatzunterscheidet. Für Hegels Denken ist stets zu berücksichtigen, dass esihm um den <strong>Begriff</strong> der Natur und den <strong>Begriff</strong> des Geistes geht und aufdiese Weise schon eine romantische Vergeistigung der Natur ausgeschlossenwerden kann. Ein <strong>Begriff</strong> ist immer schon Ausdruck vonSubjektivität. <strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong>, der die Denkbestimmungen der Subjektivitätträgt, ist die Grundlage der Wissenschaft der Logik und wird als solcherin der <strong>Begriff</strong>slogik entwickelt. Im <strong>Begriff</strong> sind Sein und Wesen aufgehoben.Er hat die Substanz zu seiner Voraussetzung, entwickelt sichaber zu einem Höheren, d. h. dem Subjekt. Wie der <strong>Begriff</strong> als <strong>lebendige</strong>r<strong>Begriff</strong> zu denken ist, wird sich im Kapitel IVb) zeigen, wenn vordem Hintergrund der gesamten Argumentation der <strong>Begriff</strong> des Lebensin seiner methodischen Bedeutung ausgewiesen werden soll.Um zum Schluss dieser einleitenden Gedanken noch zu zeigen, dassdas Denken des Lebendigen auch für die Hegelsche Auffassung desWahren geltend gemacht werden kann, sollen folgende Zitate aus Briefen,die Hegel an Edouard Casimir Benjamin Duboc geschrieben hat,zitiert werden. <strong>Der</strong> Hamburger Hutfabrikant Duboc wandte sich anHegel mit der Bitte, ihm einen Rat zu geben, welcher Weg der bestesei, die Hegelsche Philosophie zu studieren. Als philosophischer »Laie«fragt er in seinem Brief direkt und unverblümt nach der Wahrheit, derer sich bislang noch nicht wissenschaftlich nähern konnte. Nun erhoffter sich von Hegel Aufklärung darüber, was die Wahrheit eigentlich sei.Am 30. Juli 1822 antwortet Hegel Duboc und gibt bereitwillig eineprägnante Antwort auf die Frage des Geschäftsmannes nach der Wahrheit:»Denn das Wahre ist noch ein nur Ruhendes, Seiendes, sondernnur als sich selbst bewegend, als lebendig; – das ewige Unterscheiden45Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797).Reihe I, Historisch-Kritische Ausgabe Werke 5. Hrsg. von Manfred Durner unter Mitwirkungvon Walter Schieche. Stuttgart 1994, 107.<strong>Der</strong> <strong>lebendige</strong> <strong>Begriff</strong> A 23


Einleitungund die in Einem seiende Reduktion des Unterschiedes dahin, daß eskein Unterschied [mehr] ist; – was auch [,als] Empfindungsweise aufgefaßt,die ewige Liebe genannt worden ist. Nur als diese Bewegung insich, die ebenso absolute Ruhe ist, ist die Idee, Leben, Geist.« 46 Auchhier findet sich wiederum die Verbindung von Leben und Selbst-Bewegung,von der oben bereits die Rede war. Einige Jahre später nimmt dieArgumentation in einem weiteren Brief an Duboc nahezu dieselbeRichtung ein, wenn Hegel das Absolute als das Wahre bestimmt, welchesein bewegtes, <strong>lebendige</strong>s ist. »Aber im Sinne des philosophischAbsoluten bestimme ich das Wahre als das in sich Konkrete, d. i. (wieSie auch anführen) als Einheit entgegengesetzter Bestimmungen insich, sodaß diese Entgegensetzung in der Einheit noch erhalten ist, –oder die Wahrheit nicht als ein Stehendes, Starres (abstrakte Identität,Sein), sondern als Bewegung, Leben in sich selbst, als Indifferenz nurals in sich scheinende Indifferenz oder mit einem Unterschied in ihr,der als in ihr, in der Einheit, zugleich keiner, als ein aufgehobener,d.h.vernichteter und aufbewahrter ist, – der darum, daß er ein scheinenderist, nicht – nicht ist.« 47Somit sind die Eigenschaften und die systematische Stellung des logischenLebensbegriffs vorläufig umrissen, und im Schlusskapitel dervorliegenden Untersuchung werden diese allgemeinen Fragen vordem Hintergrund der gesamten Argumentation erneut diskutiert.Wenn die Schrift unter dem Titel dieses <strong>lebendige</strong>n <strong>Begriff</strong>s steht, sogeht es eben nicht darum, dem Hegelschen <strong>Begriff</strong> das Leben in derForm anzudichten, als dass er etwa atmen und verdauen könne. Auchdie einleitenden Überlegungen sollten zeigen, dass hier Strukturmomenteherausgearbeitet werden sollen, die Hegel für die Konstitutionseines <strong>Begriff</strong>s des natürlichen Lebens und des begrifflichen Lebensdienen. Auch wenn Hegel von der Natur oder dem natürlichen Lebenspricht, so ist er sich stets bewusst, dass er der Natur doch nie näherkommt,als der <strong>Begriff</strong> es zulässt. <strong>Der</strong> <strong>Begriff</strong> bleibt <strong>Begriff</strong> und somitein gedankliches, subjektiv-objektives Gebilde, das nicht zum natürlichenLeben erweckt werden kann. Wie sich <strong>Begriff</strong>e allerdings in Re-46Briefe von und an Hegel. Band II: 1813–1822. Hrsg. von Johannes Hoffmeister. Hamburg1953, 329.47Briefe von und an Hegel. Band III: 1823–1831. Hrsg. von Johannes Hoffmeister.Hamburg 1954, 13.24 <strong>ALBER</strong> THESEN <strong>Annette</strong> <strong>Sell</strong>


Einleitunglation aufeinander verhalten und die Wirklichkeit wiedergeben, ist jeweilszu untersuchen. Mit der Hegelschen dialektischen <strong>Begriff</strong>sbewegungist eine Weise des Denkens gegeben, die sich als lebendig bezeichnenlässt. In diesem Sinne wird hier von einem <strong>lebendige</strong>n <strong>Begriff</strong>gesprochen. Diesem <strong>lebendige</strong>n <strong>Begriff</strong> »nur« eine metaphorische Bedeutungzu unterstellen, wäre falsch und würde eine wesentliche Seiteder Hegelschen Dialektik übersehen. Die Entwicklungs- und Philosophiegeschichtesowie die innerlogische Verfasstheit liefern Argumentegegen diese Rede vom »bloß« Metaphorischen. Bei diesem »Vorwurf«einer metaphorischen Verwendung des Lebensbegriffs wäre der Kritikernatürlich in der Pflicht zu klären, was das Metaphorische überhauptist und warum Hegel einem angeblich metaphorischen <strong>Begriff</strong>in der Logik ein eigenes Kapitel widmet. 48Den <strong>Begriff</strong> des Lebens gilt es also als systematischen, konstitutiven<strong>Begriff</strong> innerhalb der Hegelschen Philosophie aufzufassen. Dabeisoll sich auf verschiedene Weisen zeigen, welche Eigenschaften den Lebensbegriffzu einem epistemologischen machen. Gerade diese auch amNatürlichen orientierte Sicht des Lebensbegriffs zeigt die Sachlichkeitund Formalität des <strong>Begriff</strong>s. Durch seine Vielgestaltigkeit und Uneindeutigkeitist Hegels Lebensbegriff leicht der Gefahr ausgesetzt, füreine weltanschauliche oder ideologische Richtung vereinnahmt zu werden.Dieser Gefahr versucht diese Arbeit durch eine Analyse und Interpretationdes Lebens in Hegels Logik zu begegnen.48Vgl. hierzu die Argumentation in Kapitel IVc), wo gezeigt wird, dass das Leben vonHegel in seiner Logik gerade nicht im metaphorischen Sinne gebraucht wird.<strong>Der</strong> <strong>lebendige</strong> <strong>Begriff</strong> A 25

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