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Vreni Waechter: "Arbeitsscheue und Liederliche...". - thata site

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tI/\C ; 6022.: ~I! A R BEI T S S C HEU EUND LIEDERLICHEI!Protokolleaufgezeichnet von <strong>Vreni</strong> WächterNachwort von Andreas Gerwig1Verlag Huber Frauenfeld <strong>und</strong> Stuttgart!( 7~~" ~"q/b-;f0(1l.non:-. /jüc Äh .


Vorwort,-ISBN 3-7193-0486-88 1974 Verlag Huber & Co. AG, FrauenfeldDruck: Graphische Anstalt Schüler AG, BielPrinted in SwitzerlandSeit Beginn der 70er Jahre wird in der schweizerischenOeffentlichkeit die Fragwürdigkeit der administrativenVersorgung diskutiert. Die Tatsache, dassin unserem Lande sogenannte "<strong>Arbeitsscheue</strong>" <strong>und</strong> "<strong>Liederliche</strong>"für JVbnate <strong>und</strong> Jahre in Anstalten eingewiesenwerden können, erscheint als willkürliche <strong>und</strong> diepersönliche Freiheit verletzende Regelung.Als der B<strong>und</strong>esrat im Frühjahr 1974 den eidgenössischenRäten die Ratifikation der Europäischen Menschenrechtskonventionbeantragte, sah er sich jedenfalls genötigt,wegen der administrativen Versorgung einen Vorbehaltzur Konvention anZUbringen. In der Zwischenzeit habendie eidgenössischen Räte der Ratifikation unter verschiedenenVorbehalten zugestimmt, der B<strong>und</strong>esrat hatjedoch noch nicht ratifiziert.Die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzuges schiendurch die eidgenössischen <strong>und</strong> kantonalen Besetzgebungenin Bezug auf die administrative Versorgung nicptgenügend gewährleistet zu sein. Ohne richterlichenEntscheid <strong>und</strong> ohne genügenden Rechtsschutz können inunserem Land Menschen, die möglicherweise nie straffälliggeworden sind, in Arbeitserziehungsanstalteninterniert werden.Sie sind meist entmündigt <strong>und</strong> werden nach dem eidgenössischenVorm<strong>und</strong>schaftsrecht, ZGB Art. 406, versorgt.Dieser sieht vor, dass sich die ~rsorge desVorm<strong>und</strong>es auf den Schutz <strong>und</strong> Beistand in allen persönlichenAngelegenheiten des Bevorm<strong>und</strong>eten erstrekkensoll, nötigenfalls auch auf die Unterbringung ineiner Anstalt.Neben dem eidgenössischen Vorm<strong>und</strong>schaftsrecht existierenin noch 18 Kantonen kantonale FUrsorgegesetze, dieauch eine Einweisung von nicht bevorm<strong>und</strong>eten Personenermöglichen. Zwei Beispiele: Im Gesetz über die Versorgung<strong>und</strong> Verwahrung in Arbeitsanstalten des KantonsSolothurn vom 20. Juni 1954, § 1, heisst es:"Personen, die im Kanton wohnen oder heiootberechtigtsind, können in eine Arbeitsanstalt versorgt werden,5


wenn sie zufolge liederlichen Lebenswandels sichselbst oder andere in Not bringen oder einem Notstandaussetzen." Oder im Gesetz betreffend die administrativeEinweisung von Personen, die die öffentliche Ges<strong>und</strong>heitoder Sicherheit gefährden, des Kantons Fribourgvom 13. Mai 1942, Art. 1: IIPersonen im Alterv~n ü~er 18 Jahren, die durch gewohnheitsmässigen, unslttllchenLebenswandel oder Müssiggang die öffentlicheGes<strong>und</strong>heit oder Sicherheit gefährden können aufadministrativem Wege in das Arbeitshaus ~ingewiesenwerden. 11Allerdings gibt es einige Kantone, deren Gesetzgebungmehr Rechtsschutz bieten. So muss in den Kantonen Aarga~<strong>und</strong> ~larus der Richter einer Einweisung in die Arbeltserzlehungsanstaltzustimmen. In der Innerschweiz<strong>und</strong> in der Ostschweiz sind verschiedene Kantone daranihre kantonalen Versorgungsgesetze abzuschaffen, um 'n~ noch nach Vorm<strong>und</strong>schaftsrecht zu versorgen. Dadle Bestimmungen des VormUndschaftsrechtes dem Betroffenenaber genau so wenig Schutz gewähren müssennicht nur die kantonalen Gesetzgebungen abgeschafft,sonde~ auch das Vorm<strong>und</strong>schaftsrecht geändert werden.Im Aprll 1972 hat Nationalrat Andreas Gerwi&SP Basel­Stadt, vorher schon ähnlich Nationalrat Schaffer SPKanton Bern, im Parlament ein Postulat eingereichtmit welchem der B<strong>und</strong>esrat eingeladen wurde zu prüfenob nicht ein neues B<strong>und</strong>esgesetz zu schaffe~ sei zum 'Schutze der persönlichen Freiheit des Einzelnen vorstaatlichen Eingriffen. Es müsse verhindert werdendass d~s Recht auf persönliche Freiheit, das als ~-gesc~lebenes Verfassungsrecht gelte, durch administratlveVersorgungen weiterhin verletzt würde. DasPost~at ist überwiesen worden. Im Frühling 197~J hatdas Eldg. Justiz- <strong>und</strong> Polizeidepartement einen Entwurfzu einem eidgenössischen Versorgungsgesetz fürentmündigte <strong>und</strong> mündige Personen in die Vernehmlassunggegeben. Diese neuen Versorgungsvorschriftenwürden einmal zu einer Aenderung des eidgenössischenVorm<strong>und</strong>schaftsrechtes führen, zum andern würden sieda sie sich auch auf nicht entmündigte Personen er-'6strecken, die kantonalen Versorgungs gesetze überflüssigmachen. Nach Auswertung der im Vernehmlassungsverfahreneingegangenen Anregungen wird der B<strong>und</strong>esratdem Parlament eine Gesetzesvorlage unterbreiten. NationalratAndreas Gerwig wird im Nachwort dieses Bucheszu dem Gesetzesentwurf Stellung nehmen.Nirgends in den heutigen Gesetzen, auch nirgends inden schriftlichen Begründungen von Versorgungen sinddie Begriffe !!Arbeitsscheu!! <strong>und</strong> !!Liederlichkeit" näherumschrieben. Dieses Buch versucht, einige dieser"<strong>Arbeitsscheue</strong>n" <strong>und</strong> "<strong>Liederliche</strong>n!! genauer kennenzulernen,an Hand von einzelnen Schicksalen zu zeigen,was administrative Versorgung konkret bedeutet. Inlangen Gesprächen mit Versorgten sowie anschliessendden jeweiligen Vormündern sollten verschiedenartige<strong>und</strong> charakteristische Einzelfälle dokumentiert werden.Hierbei ergaben sich eine Reihe von SChwierigkeiten.Einige der Interviewten haben ein gestörtes Verhältniszur Wahrheit. Ein Geflecht von Schutzbehauptungen<strong>und</strong> Lebenslügen erschwert den Zugang zur tatsächlichenLebensgeschichte. Andere sind gar nicht mehrfähig, ihre Entwicklung kontinuierlich darzustellen.Auch in den sechs in d~sem Buch wiedergegebenen Gesprächenmit Versorgten finden sich Aussagen, diekrass von den Akten <strong>und</strong> der Stellungnahme des Vorm<strong>und</strong>esabweichen. Ich habe die Aussagen der Versorgtennie verändert, sondern die Stellungnahme der Vormündereinfach daneben gestellt.Ferner war es ausserordentlich schwierig, überhauptin die Anstalten zu gelangen. Die Behörden zeigtensich häufig vom Anliegen des Buches nicht begeistert.Ueberwiegend äusserten Anstaltsleiter <strong>und</strong> kantonaleRegierungsbeamte , über Straf- <strong>und</strong> Massnahmenvollzugsei schon viel Schlechtes <strong>und</strong> Tendenziöses geschrieben<strong>und</strong> gesendet worden, <strong>und</strong> man solle doch das Vertrauenin die Behörden nicht noch weiter untergraben.Ueberall bin ich auf ängstliche Informationsfeindlichkeitgestossen. UmSO mehr danke ich den Anstaltsleitern<strong>und</strong> Vormündern, die diese Arbeit doch noch ermöglichthaben.7


IZwar sind die in diesem Buch vorgeführten Fälle nichtvon mir ausgesucht worden, sondern von den jeweiligenAnstaltsleitern. Ich bin aber überzeugt, dass siedennoch in ihrer Vielfalt ein anschauliches Bild derheutigen Versorgungsproblematik abgeben.Protokolle<strong>Vreni</strong> Wächter8


Maria M.~ 2?~ "Ich habe den Haushalt nicht mehrgemacht. Wozu saUte ich auch?"!tIIch habe eine schöne Jugendzeit verbracht bis in die6. Klasse. Da hat die Mutter die Scheidung eingereicht,<strong>und</strong> meine Eltern sind geschieden worden. Am Tage derScheidung schon ist ein anderer Mann bei uns eingezogen.Der hat mich nicht so recht akzeptieren wollenals Tochter, <strong>und</strong> sie haben mich dann nach 14 Tagen inein Jugendheim gebracht. Ich bin halt auch ein bisschenein Gassenmädchen gewesen, aber nicht schlimm.Von dem Jugendheim kam ich dann an einen Pflegeplatz.Dort war es recht <strong>und</strong> gut, <strong>und</strong> es hat mir nichts gefehlt.Ich würde meiner Mutter keinen Vorwurf machen.Dass sie wieder ~heiratet hat, hat mir schon einbisschen einen Schock gegeben. Aber jetzt versteh ichmeine Mutter. Sie war halt allein <strong>und</strong> hübsch.Nach der Schule habe ich dann das Haushaltlehrjahrgemacht; das ging gut. Dann habe ich eine Lehre angefangenals Köchin. Zu dieser Zeit konnte man nochnichts beanstanden an mir. Im 2. lehrjahr habe ichmeinen künftigen M:l.nn kennengelernt • Da hat mich dieMutter aus der lehre genonmen <strong>und</strong> gesagt, wenn ichheiraten wolle, solle ich nach Hause konmen <strong>und</strong> Geldverdienen. Ein Kind war auch schon unterwegs. Ich wardamals 18. Ich bin dann nach Hause gegangen <strong>und</strong> habin einer Firma gearbeitet, in der Spedition. Ich habegut verdient.Seine Eltern waren gegen die Heirat. Es ging ihnenums Finanzielle. Sie wollten meinen Mann zu Hause behalten,damit er die Familie noch ein bisschen unterstütze.Viele leute, die meinen lVlann gekannt haben,haben mich gewarnt. Ich solle den nicht heiraten, dassei kein lVlann für mich. Er sei ein Säufer i111d labil.Er war ein Jahr älter als ich.Meine Mutter hat ihm befohlen, für uns eine Wohnungzu suchen. Denn seine Eltern wohnten in einem steinaltenHaus, ' wo alles grau vrurde. Meine Eltern warenmal zu Besuch <strong>und</strong> haben es schrecklich gef<strong>und</strong>en, daein Kind hineinzugebären. Er hat sich aber gar nicht11


ich kein Kind mehr bekomme. Heute bin ich so gescheit.Mein Vorm<strong>und</strong> will gar nicht, dass ich einen Fre<strong>und</strong> habe.Ich könne sowieso nicht heiraten. Dabei wäre dasvielleicht das beste für mich. Ich hätte gerne ein gemütlichesHeim, einen guten Mann, dann etwa noch einKind.Vorm<strong>und</strong>: Ich habe ihr oft gesagt~ sie könne so vieleMänner haben wie sie wolle. Nur müsse sie morgens zumBett raus <strong>und</strong> arbeiten gehen. Wenn sie nicht arbeitet~kann ich diese Männergeschichten nicht tolerieren. GegenFre<strong>und</strong>schaften habe ich nur insofern etwas einzuwenden~aZs ich ihr sage~ für sie wäre eine seriösereFre<strong>und</strong>schaft besser. Ich habe ihr gesagt~ sie könnenicht heiraten~ solange sie derart Schulden hätte. Abgesehendavon kann ich ihr gar nicht verbieten zu heiraten.Meine 2 Kinder kann ich nicht mehr zu mir nehmen. Beimkleineren haben sie sogar eine Namensänderung vorgenommen.Ich werde mich jetzt dafür einsetzen, dass dasKind dann auch adoptiert wird. Ich kann das Kind nichtrichtig gern haben, ich habe es ja nie gesehen. Wennsie mir dieses Kind gelassen hätten, wäre es vielleichtnie so weit gekommen. Aber für mich allein war mir dochalles egal. Das Besuchsrecht der Kinder hat man mirentzogen. Was soll ich da noch für die Kinder tun. Einmalging ich das kieinere holen <strong>und</strong> bin mit ihm spazierengegangen. Ich hatte das Gefühl, ich müsse mit demKinderwagen fort, fort. Die Ueberwindung, die es michgekostet hat, das Kind wieder zurückzubringen. Dann habich gemerkt, dass es besser ist, wenn ich mich distanziere.Das war ein Kampf. Es ist doch aber besser, wenndie Kinder irgendwo zu Hause sind. Sie haben da auchGeschwister. Ich kann jetzt die Kinder nie mehr da rausholen,die hätten doch einen Schock. Ich will nicht ,mehrnach den Kindern fragen.Wenn die Kinder grösser sind, sollen sie dann selberentscheiden, ob sie mich sehen wollen. Ich tue niemandemZwang an, weil ich weiss, wie Zwang ist. Was die20Pflegeeltern den Kindern bieten können, kann ichnicht.Vorne anfangen kann ich nicht mehr. Eine Lehre machenoder so. Aus finanziellen Gründen. Ich muss jetzterst eine Stelle suchen, wo ich meinen Lohn habe, damitich endlich aus den Schulden komme. 70 Frankenmuss ich ja auch Alimente für das kleinere Kind zahlen.J~ älter ich werde, umso schlimmer empfinde ich dieBevorm<strong>und</strong>ung. Wenn man sich bei einer Stelle vorstellenwill, muss man es einfach sagen. Viele Leute sindda gerade schockiert. So kann doch nie ein Vertrauensverhältnisentstehen mit dem Arbeitgeber. Auch derVorm<strong>und</strong> sollte mehr Vertrauen haben. Er glaubt immerviel eher allen andern Leuten, als mir.Ich habe mit mir selber nicht ~~tleid. Ich bin keinEngel <strong>und</strong> habe auch das Nötige zu meinen Versorgungengetan. Aber ich bin sensibel <strong>und</strong> weichherzig <strong>und</strong>leide unter der Versorgung. Man muss doch einen Menschenleben lassen. Man kann doch nicht sagen: jetztmusst du so, wie ich will.Fragen an den Vorm<strong>und</strong>Frage : "In einer Stelle hat sie gearbeitet <strong>und</strong> warauch sehr glücklich dabei~ nämlich in dem Restaurant~in dem sie erst mittags~ allerdings dann bis Mitternachtarbeiten musste. Warum hat man ihr nicht wiedereine SteUe mit ähnlicher Arbeitszeit gesucht?"Vorm<strong>und</strong>: "Ja~ das hätte man tun können~ aber ob mansie gef<strong>und</strong>en hätte. Ausserdem waren es dort nicht nurdie Arbeitszeiten~ die für sie günstig waren~ sondernauch die Art des ChefS. Er ging sehr lässig mit denAngestellten um~ was ihr gut gepasst hat. "Frage: "Der Richter hat in der Gerichtsverhandlunggeäussert~ Ihrem MUndel könnte geholfen werden~ wennman sie in einer Familie plazieren würde. "sie in eine Fami­Vorm<strong>und</strong>: "Ich hätte den Mut nicht~l-te zu geben. "21


Frage: "Haben Sie vor der Einweisung versucht, IhrMündel therapeutisch oder fürsorgerisch zu betreuen?"VOY'mUnd: "Ich habe mir überlegt, ob ich sie psychiatpischbegutaahten lassen soll. Iah bin abep davonabgekommen, weil ich nicht glaube, dass dabei vielherauskommen könnte. Ich glaube eher, dass sie einfachfurchtbar haltlos f-st."Frage: "Und Fürsorger?"Vorm<strong>und</strong>: '~uf der Vorm<strong>und</strong>schaft haben wir keinen Fürsorger.Ich müsste mein Mündel von der Fürsorge betreuenlassen. Auf der Fürsorge haben sie aber vielWechsel. Eine gut ausgebildete Fürsorgerin ist voreinem Jahr gekommen <strong>und</strong> wird wahrscheinlich schonbald wieder gehen. Ich bin bis jetzt immer davor zurückgeschreckt,eine Fürsorgerin anzugehen, weil ichbefürchte, dass sie dann nach 2 Jahren wieder geht.Ich mache die Betreuung lieber selber. So hab.ich denUeberblick. Manchmal ist es allerdings sehr beanspruchend.Ich habe immerhin 40 komplizierte Mündel. Mankönnte die Vorm<strong>und</strong>schaft reorganisieren <strong>und</strong> eine Fürsorgerinintegrieren. Ich bin aber einige Jahre vorder Pensionierung <strong>und</strong> kann diese Reorganisation nichtmehr machen. "Frage: "Gibt es also für sie keine andere Möglichkeit,als Versorgung?"VOY'mUnd: "Ich habe mich oft gefragt, ob die Versorgungzweckmässig· ist. Aber wenn jemand derart versagt,nicht arbeitet <strong>und</strong> dauernd Männerbekanntschafte~ hat,Schulden macht <strong>und</strong> kleine Betrügereien, bleibt nichtsanderes mehr übrig, als eine Versorgung. Ob es sehrs~nnvoll ist, weiss ich nicht. Ich bin aber gerade inallerletzter Zeit wieder vermehrt auf den Gedanken gekommen,dass eine gewisse Härte unerlässlich ist.Schliesslich müssen wir unserem Mündel eine gewisseHärte gegen sich selbst beibringen. Wer das nicht hat,versagt im Leben."22Johann P., 37, "Ich bin manchmal Montag, Dienstagoder so nicht arbeiten gegangen. Eswar alles wegen dem Fussball. "Ich habe 7 Jahre Primarschule gemacht <strong>und</strong> ein JahrMittelschule. Aufgaben hab ich nie gemacht, sondernirrmer abgeschrieben, <strong>und</strong> zwar meinem Bruder, er warin derselben Klasse.Nach der Schule hätte ich eigentlich gern Koch gelernt.Ich habe aber die Eignungsprüfung nicht bestanden<strong>und</strong> dann halt eine Lehre angefangen al~Maschinenschlosser.Schon am ersten Tag hat es mlr gestunken.Aber ich bin doch 2 V2 Jahre in der Le~regeblieben. Ich könnte mir heute die ~e ausrelssen,dass ich nicht fertig gemacht habe. Dle 2 V2 Jahrewaren doch so für die Katz, verloren. Ich habe danntrotzdem auf dieser Branche weitergearbeitet. Eshiess dann: Angelernter. Ich weiss nicht, was ~rein Beruf mich sonst interessieren würde . Auf JedenFall stinkt es mir, an' Maschinen r~uma~hen .Mein Vater war ein Trinker. Er hat eln elgenes Geschäftgehabt <strong>und</strong> machte dann Pleite. Er ~ar. Hafner<strong>und</strong> Plättlileger. Ich hatte immer Krach mlt ihm,weil ich ihm bei seiner Arbeit helfen sollte, <strong>und</strong>doch lieber Fussball gespielt habe. Ich war gmlzverrückt auf Fussball <strong>und</strong> auch ziemlich gut. Plötzlichhatte mein Vater 60 000 Franken Schulden .. Es hatmir eigentlich schon damals ausgehängt, als melneMutter wieder arbeiten gehen musste. Ic~ habe alsBub oft ihren ganzen Zahltag aufs Bet:elbungsarnt.bringen müssen. Die Mutter arbeitete.ln ~er Fabrl~.Nach der Lehre ging es dann bergab ml t . mlr. Ich. blnmanchmal Montag <strong>und</strong> Dienstag oder so nlcht arbeltengegangen. Es war alles wegen dem Fus~ball. Am Anfanghabe ich nichts getrunken <strong>und</strong> auch nl~ht ge:aucht.Plötzlich ist es dann gekommen. Und elnmal lm Fahrwasserist fertig, Feierabend. Und wenn ich getrunkenhabe komme ich morgens nicht aus dem Bett. Ichhabe da~ der Mutter zweimal das Kostgeld nicht bezahlt.Da machte sie Theater <strong>und</strong> ging auf die Ge-23


meinde. Es war eine liebe Mutter. Sie hat dann spätergesagt, es sei ein Fehler gewesen, wegen mir aufdie Gemeinde zu gehen.Vorm<strong>und</strong>: Mit 22 Jahren wurde er zum erstenmal verwarnt:wegen Arbeitsscheu <strong>und</strong> Liederlichkeit~ Wirtshaushocken<strong>und</strong> Alkoholmissbrauch. Aus denselben Gründenwurde er im gleichen Jahr entmündigt.Sie haben mir gesagt, wenn ich nicht freiwillig einenVorm<strong>und</strong> nehme, würden sie mir einen vollamtlichen anhängen.Wenn ich aber einen auf eigenes Begehren nähme,~~rden sie es nicht pUblizieren, <strong>und</strong> ich könnteauch das Stimm- <strong>und</strong> Wahlrecht behalten. Mein ersterVorm<strong>und</strong> war dann mein Grossvater. Doch die Sache wurdeihm mit der Zeit zu kompliziert. Das Stimm- <strong>und</strong>Wahlrecht habe ich heute noch. Das Stimmmaterialkommt in die Anstalt. Manchmal stimme ich auch. MeinVater . war ein Roter, ein Sozialdemokrat , <strong>und</strong> so binlch aufgewachsen. In der Vorm<strong>und</strong>schaftsbehörde sindaber auch die meisten rot. Und gerade die haben michversenkt. Darum geh ich für die nicht mehr stimmen.Die GesChwister haben die Mutter dazugebracht aufdie Gemeinde zu gehen. Die ältere Schwester w~r s'chonimmer gegen mich, schon als Kind. Die jüngere ist inOrdn~g. Sie i~t verh~iratet. Ich weiss nicht genau,,wo Sle heute slnd. Selt der Beerdigung der Mutter habenwir keinen Kontakt mehr. Der Bruder ist beim Grossvater.Er war Maurer <strong>und</strong> fiel bei der Arbeit einmalaus dem 4. Stock. Seither hat er einen Schaden.Vor Weihnachten ging ich aber wieder nicht arbeiten,<strong>und</strong> dann hat es gelangt. Ich habe dann Neuj ahr im Untersuchungsgefängnisverbracht. Dann wurde ich zumerstenmal versorgt, mit 25 Jahren. Ich habe Gott seiDank nie geheiratet, sonst müsste noch eine Frau leide~.Unt~r meiner Arbeitsscheu hat noch nie jemandlelden mussen, ausser mir selbst. Nach vier MOnatenhaben sie mich entlassen, wegen guter Führung.Vorm<strong>und</strong>: Nach der Entlassung aus der Anstalt hat er24eine Stelle bei einem Dienstkollegen angetreten. Obwohlihn die Eltern des Arbeitgebers gut betreuten~hat er bald versagt. Er wurde wieder trunksüchtig <strong>und</strong>verliess die Stelle. Nach weiteren gescheiterten Versuchenmit Arbeitsplätzen kam er mehr oder wenigerfreiwillig in die psychiatrische Klinik~ wo er abernicht lange bleiben konnte~ ~eil er alle Alko~olen~ziehungskuren verweigerte. W~eder suchte man ~hm e~neStelle wo er aber nach einem halben Jahr fristlosentlas~en wurde~ weil er oft nicht zur Arbeit erschienenwar. Er versprach dann~ sich zu bessern. Es folgtenneue Arbeitsplätze~ dann kam die Meldung~ e1:' hättesich nach Deutschland abgesetzt.In Deutschland hat mir niemand dreingeredet, <strong>und</strong> mirging es gut. Bei einem Weinhä~dler habe ich gea~beitet.In einem kleinen Dörflein. ZWlschendurch hatte lch malSChwierigkeiten, weil ich keine Papiere hatte. Ich machteSchwarzarbeit. Diese Angelegenheit hat aber der Vorm<strong>und</strong>in Ordnung gebracht. Im Winter konnte ich nicht beidem Bauern arbeiten. Und dann war meine Mutter im Sterben<strong>und</strong> ich kam in die Schweiz zurück. Nach der Beerdigun~blieb ich hier <strong>und</strong> habe bei mein~r jüng~ren ~chw:­ster gewohnt <strong>und</strong> beim Schwager gearbeltet. Wlr ~rle~enaber Krach. In meiner Familie war ich dann fertlg. Mitmeinem Vater bin ich ja sowieso nie ausgekommen. Undüberhaupt war ich schon für alle abgeschrieben, als ichzum erstenmal in die Anstalt musste. Dabei hatten wirfrüher ein gutes Verhältnis. Es haben ja auch alle zuHause gewohnt, bis die Mutter gestorben ist.Vorm<strong>und</strong>: Mit dem Tod seiner Mutter hat er den letztenHalt verloren. Aus dem Dorf gingen Klagen ein~ dass ersich betränke~ während seine MUtter im Sterben liege.Auch die Schwester erklärte~ sie hätte genug~ siewolle nichts mehr von ihm wissen.Beim Bruder wollte ich nochmal übernachten gehen, aneinem Samstag. Da schlug er mir die Türe vor der Nasezu. Von der Anstalt aus hab ich manchmal noch ein25


Kärtchen geschrieben, an Ostern. Aber meine Geschwisterhaben nie. reagiert. Dabei muss ich die Kärtchenvon dem hier verdienten Geld zahlen, <strong>und</strong> das istnicht viel.Von meiner Schwester ging ich dann wieder an meinenalten Wohnort zurück. Ueberhaupt ging ich immer wiederdahin zurück. Und das war eigentlich ein Fehler.Ich habe immer wieder die alten Fussballkollegen getroffen,<strong>und</strong> getrunken, <strong>und</strong> wieder ein paarmal dieStelle gewechselt <strong>und</strong> getrunken <strong>und</strong> rumgehühnert. Dashat dann wieder gereicht für die Anstalt .•Vorm<strong>und</strong>: Zuerst kam er nochmals in die psychiatrischeKlinik~ die Aerzte hofften~ ihm heZfen zu können.Nach einigen Entweichungen kam er nach einem Jahrwieder in die Arbeitserziehungsanstalt.Nach der Entlassung kam ich ins Männerheim <strong>und</strong> musstein dem christlichen Zeug wohnen, wo das Christentumnur bis zur Kasse geht. Das sagen selbst die Theologen.Gearbeitet hab ich auswärts. Einmal hab ich eineArbeitsstelle gehabt mit· normal 44 St<strong>und</strong>en. Aber wenndie Italiener am Freitagabend addio sagten, mussteich zu einem Fre<strong>und</strong> des Arbeitgebers. Der hatte einenBauernhof, <strong>und</strong> dort musste ich das Wochenende verbringen.Der Vorm<strong>und</strong> hat gemeint, so sei ich wenigstensirgendwo zu Hause. Aber ich musste dort arbeiten. Einmalhat mir der Bauer 5 Eier mitgegeben, sonst hab ichauf dem Hof nie etwas verdient. Ich mochte nicht· denTschumpel spielen <strong>und</strong> lief weg.Vo~<strong>und</strong>: Er kam dann so runter~ stank <strong>und</strong> hatte Hunger<strong>und</strong> kalt~ dass er sich auf dem Polizeiposten meldete<strong>und</strong> bat~ im Untersuchungsgefängnis übernachtenzu dürfen. Er musste versorgt werden~ diesmal für2 Jahre.Nachher habe ich an einer Drehbank gearbeitet. Ich warsehr gut gestellt <strong>und</strong> verdiente viel. Ich könnte michOhrfeigen, dass ich dann plötzlich abgehauen bin. Wenn26ich in einer Wohnung statt im Männerheim gewohnt hätte,wäre es nie soweit gekommen. Statt eine neue A:­beit zu suchen, bin ich dann rumgehockt <strong>und</strong> traf. elnender auch aus einer Anstalt unterwegs w~r. Wlrhab~n uns dann 14 'Tage im Wald versteckt. Eln Theologehat mir Geld versprochen, hat es c;be~ nie gebracht .Statt dessen kam dann die Kantonspollzel. .Und einmal bin i ch mit dem ganzen Zahltag verre:st.Wieder nach Deutschland. Ich hatte aber bald keln ..Geld mehr. Ich hätte mir schon Geld verschaffen konnenaber diese Tour liegt mir nicht . Ich habe nochkei~e einzige Strafe. Ias Männerheim sch~ckte dann ..ein Zugpillett <strong>und</strong> ich konnte wieder zuruck. Ich.hattedann natürlich wieder eine Stelle suchen sollen lnder Schweiz. Doch die konnten mir alle in die Schuheblasen. 14 Tage habe ich nichts getan.2 Jahre war ich höchstens an einem Arbeitsplatz, <strong>und</strong>dann hat es mir wieder ausgehängt . Der Vo:rm:nd sc;gtimmer wenn ich keinen Alkohol hätte, wäre lch elnganz ~ernünftiger Mensch. Aber soba~d ich be~offen .bin hängt es mir wieder aus. Und nlemand brlngt filchmeh; aus dem Bett morgens. Und die Anti-Alkoholtablettenmag ich nicht. Da wird man VÖllig impotent <strong>und</strong>geht kaputt.Vorm<strong>und</strong>: Es sind nicht die Antabustabletten~ die impotentmachen~ sondern der Alkohol. Der irrigen A~sichtsind aber viele AlkohoZiker~ <strong>und</strong> man kann S1.-efast nicht vom Gegenteil überzeugen.Ich hab auch bei der B<strong>und</strong>esbahn gearbeitet <strong>und</strong> c;n einigenanderen Stellen. Eine Firma duldet aber nlcht,wenn rren rumsäuft <strong>und</strong> nicht zur Arbeit kormrt. Ich habeoft gute Stellen gehabt . Als ich wich einmal vorstelltemusste ich ein Formular ausfüllen. Da stand:Bevo~dung. Ich dachte, das geht die doch nichts.an.Dann ging das etwa 14 Tage, <strong>und</strong> ich wurde vom Betrlebsleiterins Büro gerufen. Ich könne den Zahltag holen<strong>und</strong> sei fristlos entlassen, weil ich sie angelogenhätte. Ueberall ruft halt der Vorm<strong>und</strong> an. Da kann man27


das nicht verschweigen. Und jeder Kollege in der Budeweiss bald, dass man einen Vorm<strong>und</strong> hat. Und auch , ,wenn ich im Männerheim gewohnt habe, haben die Kollegensofort komisch geschaut. Es geht ja schliessliehkeiner freiwillig ins Männerheim.Man sollte mich machen lassen. Ich möchte den Lohn<strong>und</strong> Freiheit. Schliesslich habe ich nie Schulden gehabtoder die Fürsorge beansprucht. Ich wurde auchnie von einem Fürsorger betreut. Nur die Anstalt müssensie zahlen. Meine Steuern <strong>und</strong> Rechnungen sindalle bezahlt. Das sagte mir der Vorm<strong>und</strong> neulich <strong>und</strong>. 'zwar lSt das Zeug von meinem Geld bezahlt. Ich habeja von meinem Lohn immer nur 30 Franken Sackgeld proWoche bekommen. Der Rest ging zum Vorm<strong>und</strong>. Für diese30 Franken konnte ich rauchen lmd mir Fussballspieleansehen, mehr nicht.Auch mit Frauen habe ich gemerkt, was es bedeutetein Anstältler zu sein. Eine gute Fre<strong>und</strong>in arbeit~tein einer Spital- Lingerie. Ihr Vater wusste plötzlichalles von mir <strong>und</strong> schickte mich weg. Heute ist siemit einem anderen verheiratet <strong>und</strong> hat ein Kind. Einandermal lernte ich die Tochter von einem Fussballkollegen.kennen. Sie war zwar ein bisschen jung für mich.Als s7e vernommen . hat~ dass ich in der Anstalt gewesenbln, wollte 'Sle nlchts mehr von mir wissen. Man~chaut uns an wie.Verbrecher. 2 Jahre muss ich jetztln der Anstalt seln. Was hätte ich verbrechen könnenum 2 Jahre zu kriegen. Ich hätte eine Million klauen'müssen.Vorm<strong>und</strong> : Wir haben ein Amtsgeheimnis. Wenn wir jemandeni~formieren~ ist das ~t schriftlicher Zustimmungdes MUndeIs. Se~ne Fre<strong>und</strong>~nnen haben die Wahrheit ohnemein Zutun vernommen. Ich würde ja alles fördern dasser ~ine Fre<strong>und</strong>in kriegt. Dass er endlich mal irg~ndwoAnschluss hat.Bei Stellen ist es so eine Sache. Es taucht immer dieFrage auf~ soll man es sagen~ oder soll man es nichtsagen. Wir sagen es meistens nicht, aber man machtuns auch manchen Vorwurf deswegen. Wir sagen es gewöhn-28I1I\I!1II\Ilich erst dann, wenn zum erstenmal etwas passiert ist.Wenn sie ihn davon jagen wollen~ bitten wir sie dann ~doch ein bisschen Verständnis zu haben. Viele Firmenbeschäftigen doch auch körperlich Behinderte~ warumsoU man nicht auch so einen beschäftigen.Die kleine Lüge, dass er seine Vorm<strong>und</strong>schaft verschwiegenhat, ist nicht der Entlassungsgr<strong>und</strong> gewesen.Er nimmt es mit der Wahrheit nicht so genau. Aberdas ist nicht so schZimm. Die Trinker sind oft so . Erwurde damals entlassen, weil er nicht gearbeitet hat.Dass seine Rechnungen immer von seinem Geld bezahltwerden konnten~ stimmt.Nach den 2 Jahren, die ich jetzt absitze, muss ichdann wahrscheinlich wieder in ein Männerheim. Dabeimöchte ich lieber verreisen. Nach Kanada. Diese SchweizerMentalität, wo jeder blaue Tag ein Verbrechen ist ,mag ich nicht mehr. Ich lerne jetzt Englisch. . .Oder ich möchte als Gärtner in eine Parkanlage ln elnenschönen Kurort. Wenn ich noch einmal von vorne anfangenkönnte, würde ich es durchsetzen, Koch zu lernen, <strong>und</strong> würde auf ein Schiff gehen, <strong>und</strong> die Welt sehen. .Ich habe mich letzthin bei einer Schweizer Reederelerk<strong>und</strong>igt . Iah kann nicht mal mehr als Schiffsjungegehen, ich bin zu alt. Und etwas neues anfangen kannich auch nicht, weil ich von der Schule her nichtsmehr weiss.Wenn man einmal in der Anstalt gewesen ist, braucht esdann nicht mehr viel <strong>und</strong> man ist wieder da. Zwei- oderdreimal einen BlÖdsinn, <strong>und</strong> schon hockt man wieder.Ich ärgere miCh, dass ich in der Anstalt bin. Erstens,weil ich es ungerecht finde, dass wir nicht durch denRichter versorgt werden, <strong>und</strong> zweitens brauchen siejetzt draussen wieder einen Ausländer mehr .Fragen an den Vorm<strong>und</strong>Frage: "Was sagen Sie zu sei nen Zukunftswünschen?"Vorm<strong>und</strong>: "Ein Gedanke i st mi r vöU i g neu, dass ergerne Koch werden möchte. Mit dem Schi ff i st es lei-29


der zu spät, er ist zu alt, doch als Koch - daskönnte man probieren. Und wenn er Kost <strong>und</strong> Logis peimMeister hätte, der ihn am Morgen aus dem Bett rausholt,wenn er nicht von selbst kommt, ginge es viel­Zeicht. Ich ware sofort einverstanden, wenn nur einProzent Hoffnung besteht."Frage: "Was für Möglichkeiten sähen Sie sonst?"Vorm<strong>und</strong>: "Am liebsten würde ich ihm den Pass geben<strong>und</strong> ein bisschen Geld. Vogel friss oder stirb. Dassieht brutal aus, aber vielleicht wäre es eine Möglichkeitfür ihn. Ich habe den Pass immer bereit,falls er sich mal entschliessen kann. Ich habe ihmviel von den Clochards erzählt. Die fallen niemandemzur Last. Sie können sich selbst durchschlagen. Ichmöchte, er könnte auf der Existenzklippe leben, wiedie Clochards. Doch er vel'Sump ft immer tota l. Wenner doch nur 2 Tage in del' Woche arbeiten ginge. Wenner sich doch nur irgendwie durchschlagen könnte. Ichhabe manchmal das Gefühl, völlig zu versagen, dassich ihm das nicht beibringen kann. Statt dessen versorgeich ihn. Und diese Versorgerei hilft doch garnichts. Im Gegenteil. Da werden sie 2 1ahre in derAnstalt unselbständig ge~acht <strong>und</strong> kommen nachher überhauptnicht mehr zurecht. Aber was soll ich machen?Wenn er ganz auf dem H<strong>und</strong> ist, ruft er mich an. Dannmuss ich ihn holen. Dann stinkt er auf? Meter gegenden Wind <strong>und</strong> ist verlaust. Dann muss ich ihn einfachirgendwo unterbringen. Ich habe ihn auch schon heimgenommen.Er kommt dann in verschissenen Hosen, weiler sich im Suff nicht beherrschen kann. Ich habe schonalles mit ihm probiert: Trinkerheilstätte, psychiatrischeKlinik <strong>und</strong> Männerheim. Ein Heim wäre gut, wosolche Leute in Ruhe leben könnten. Wo sie einmal arbeitenkönnten, <strong>und</strong> wenn sie nicht mögen auch nichtarbeiten. Dort sollte dann auch ein Psychologe sein.Heute in den Anstalten sind viele gegen Psychologen,weil man das Gefühl hat, sie seien zu stark links <strong>und</strong>gegen die Behörden eingestellt. Ich weiss jetzt auchnicht genau, wie so ein Heim aussehen müsste, ob es30auf freiwilliger Basis wäre, ~b sie ausgehen könnten,... aber irgendso etwas, wo d~ese Menschen nicht leidenwürden, müsste doch möglich sein."i tII1\tI •31


Hans K." 22" "Ich war ziemlich verwöhnt <strong>und</strong>habe viel bekommen."Wir hatten einen Bauernhof zu Hause, <strong>und</strong> der Grossvaterwar Ross- <strong>und</strong> Viehhändler. Wir haben immer Pferdegehabt, <strong>und</strong> ich konnte gut reiten. Wir waren 2 Kinder.Meine Schwester ist älter als iCh, sie ist Filialleiterin.Mit ihr habe ich noch viel Kontakt. Wir hattenzu Hause ein gutes F.amilienverhältnis. Wir warennicht arm, <strong>und</strong> ich war ziemlich verwöhnt. Ich habevieles bekommen. Mit der Mutter kam ich besser .ausals mit dem Vater. Das ist, glaube iCh, norrral, dassdie Söhne mit der Mutter besser auskommen. Ich habedie Primarschule gemacht, die Sek<strong>und</strong>arschule <strong>und</strong> dieBerufswahlklasse. Ich bin ein mittelmässiger, durchschnittlicherSchüler gewesen. Der Lehrer hat gemeint,ich solle Förster werden oder so etwas. Ich hätte gerneLastwagenchauffeur gelernt. Aber sie hatten mir denLernfahrausweis gesperrt, weil ich mit einem Töfflirumgefahren bin, das in einem liederlichen Zustandwar. So hab ich nicht gewusst, was machen nach derSchule.Vorm<strong>und</strong>: Mein Mündel nimmt es mit der Wahrheit nichtsehr genau. Er erzählt seine Lebensgeschichte nie so"wie sie wirklich gewesen ist. - Er kommt aus sehr armenVerhältnissen. Der Grossvater hatte zwar einenBauernhof" doch einen kleinen" <strong>und</strong> der Vater war immerFabrikarbeiter. Trotzdem haben ihn die Eltern sehrverwöhnt. Vor allem von der MUtter konnte der Jungehaben" was er wollte. Sie nahm sogar für ihn Krediteauf" die sie dann nie zurückzahlen konnte. Die Summendie die MUtter für ihren Sohn aufbrachte" waren nicht"k~ein. Einmal hat sie ihm ein Pferd gekauft" einmale~nen Sportwagen. Der Vater hat nie viel dazu gesagt.Seine Schwester wohnte als kleines Kind bei den Grosseltern<strong>und</strong> wurde überhaupt mehr von den Grosselternerzogen" als von den Eltern. Sie ist heute FilialZeiterin"hat aber mit ihrem Bruder kaum Kontakt.32Die Mutter hat gesagt, ich soll Verkäufer werden.Aber das ist mir halt wirklich nicht gelegen. 3 Wochennur hab ichs versucht. Dann hab ich noch eineWeile in einer Brauerei gearbeitet. Da musste ich Fässerumbeigen <strong>und</strong> bin auch an der Maschine gewesen, alsHilfsarbeiter.Im Herbst hat mich die Mutter in einer Reitschule anmeldet,als Bereiter. 3 Jahre habe ich da eine Lehregemacht. Während der Lehre hatte ich überhaupt keineSChwierigkeiten. Ich hab immer normal gearbeitet, <strong>und</strong>einmal in der Woche ging ich in die Gewerbeschule.Mit Drogen habe ich nie etwas zu tun gehabt, ich bindagegen.Nach der Lehre habe ich ein paarmal die Stelle gewechselt,habe aber immer als Reitlehrer gearbeitet. Ichmusste Reitst<strong>und</strong>en geben in Abteilungen <strong>und</strong> Privatst~~den,auch für Anfänger, die noch nie auf einemRoss gesessen sind. Für die Pflege der Tiere hattensie Pferdepfleger. Die mussten putzen, füttern <strong>und</strong>satteln. Die Arbeit machte wir Spass. Ich verdiente2500 Franken. Ich bin mit der K<strong>und</strong>schaft gut ausgekommen.Etwa 2% waren Arbeiter. Die andern waren Doktoren<strong>und</strong> Direktoren. Und viele Damen aus der Stadt.Wir haben 120 Reitschüler gehabt. Keine Kleinigkeit.Vorm<strong>und</strong>: Er hat sich immer als Rei tlehrer ausgegeben"dabei war er Stallbursche" hat die Pferde putzen müssen<strong>und</strong> den StaU ausmisten <strong>und</strong> die ReithaUe sauber. halten. Verdient hat er 1400 Franken. Mein Mündel hatnie eine Lehre gemacht. Er hat zwar einige Male eineLehre angefangen" doch wurden ihm seine Verträge immerwieder gekündigt" weil er nicht arbeiten gegangenwar oder weil er gestohlen hatte. Der Vater hat manchmalnoch bezahlen müssen, damit der Sohn ohne Strafanzeigeaus der Firma entlassen wurde. Der Junge warnie an Arbeit gewöhnt worden, <strong>und</strong> die Familie war somachtlos ihm gegenüber, dass sie es selbst hinnahmen,wenn er ihnen zu Hause Geld gestohlen hat. Der Jungewar nicht wählerisch, wenn er Geld brauchte. Einmalz.B. hat er dem Vater die goldene Uhr gestohlen, die33


dieser von seiner Firma für 25 Jahre treue Diensteerhalten hatte. Die konnte ich dann zum Glück nochsicherstellen. - Dann hat mein Mündel noch verschiedeneHilfsarbeiterstellen gehabt: in einer Maschinenfabrik3 als Stapelfahrer 3 in einer.Br~erei usw.Weil er einen Reitfimmel hatte 3 habe ~ch ~hm danndiese Stallburschen-Stelle gesucht in der Reitschule.In der Reitschule begannen meine Schwierigkeiten mitder Arbeit . Ich habe schaffen müssen von morgens 7bis 12 Uhr <strong>und</strong> von 13 bis 22 Uhr. Ich habe zu Hausegewohnt. Bis ich jeweils naeh der Arbeit zu Hause imBett war, wurde es regelmässig ein Uhr nachts. AmSamstag musste ich auch schaffen, den ganzen ~ag <strong>und</strong>im Sommer sonntags noch 4 St<strong>und</strong>en. Ich habe elnfachnie frei gehabt <strong>und</strong> wollte mal frei machen. Ich versuchte,die Arbeitszeit zu reduzieren; aber es hateinfach geheissen, es sei schwer, einen zweiten Angestelltenzu finden. Vielleicht wollte der Chef einfachnicht, wegen dem Lohn, ich weiss es auch ~icht.Der Chef hat zwar auch St<strong>und</strong>en gegeben, aber nlchtviele. Dann hab ich Urlaub angemeldet. Es sagte, essei in Ordnung, ich könne gehen, <strong>und</strong> ich habe allesvorbereitet, ein Hotel öestellt. Am Tag vor der Abreise,morgens um 10 Uhr hat er gesagt, ich könnenicht gehen. Ich könne dann im Herbst gehen. Im Herbstpassierte wieder genau dasselbe. Da fing es mir anauszuhängen, <strong>und</strong> ich habe den ersten Blauen gemacht.Und dann den zweiten. Der Chef warnte mich. Dannhatte ich einen Unfall, weil mir ein Ross die Handzerschlagen hatte. Ich musste ins Spital, ging aberdann gleich wieder arbeiten. Dann musste ich ins Militär,3 Wochen. Dann hatte ich noch eine schwere Lungenentzündung.Ich bekam Krach mit dem Chef, weil ermir nicht glaubte, dass ich krank war, <strong>und</strong> ging nichtmehr arbeiten. Ich ging in die Ferien, ohne ihm etwaszu sagen. Und als ich nach 4 Wochen zurückkam, an einemDonnerstag, habe ich auf die Gemeinde gehen müssen.Die sagten, ich müsse am Freitag arbeiten gehen.Ich ging nicht. Am Freitag musste ich wieder auf die34Gemeinde. Sie sagten, das wäre die letzte Mahnung,ich müsse am Samstag arbeiten gehen, sonst käme ichin eine Arbeitsanstalt . Ich ging auch wieder nicht.Am Montag wäre ich wieder arbeiten gegangen.Vor.m<strong>und</strong>: Mitte Dezember 3 also nachdem er ein halbesJahr in dieser Reitschule gearbeitet hat 3 ist erfristlos entlassen worden 3 weil er nicht regelmässigarbeiten ging <strong>und</strong> Schulden gemacht hat. Der Chef hatmeinem Mündel auf väterlich-autoritäre Art oft zugeredet.Die Arbeitszeiten waren folgende: Morgens von 7 bis12 Uhr <strong>und</strong> nachmittags entweder von 13 bis 17 Uhr,oder von 16 bis 20 Uhr oder von 18 bis 22 Uhr. Es warennoch 2 Türken als Stallburschen da, <strong>und</strong> alle dreihaben sich in den verschiedenen Schichten abgewechselt.Weil viele Reitst<strong>und</strong>en abends gegeben wurden 3musste immer jemand bis 22 Uhr da sein. Samstags habensie immer nur bis 18 Uhr gearbeitet. SonntaG'shatte er jeden dritten Sonntag Dienst 3 um zu füttern.Geritten wurde sonntags nicht. Und zur Kompensationhat er unter der Woche einen Nachmittag frei gehabt.Und drei Wochen Ferien waren auch garantiert. Erkonnte diese Ferien auch ordnungsgemäss einziehen.Krank war er in dieser Zeit nicht 3 sondern er fuhrmit einem Fre<strong>und</strong> nach Spanien.Er erschien nicht nur nicht zur Arbeit, sondernmachte auch Schwierigkeiten mit dem Geld. Er war nochkein Jahr bevorm<strong>und</strong>et 3 <strong>und</strong> sein Lohn kam zur Schuldendeckungauf die Vorm<strong>und</strong>schaft. Er selber erhielt400 Franken Sackgeld. Er kam mit seinen 400 Frankenim Monat nicht aus <strong>und</strong> versuchte 3 auf betrügerischeWeise zu Geld zu kommen. Den Vater bestahl er um seineletzte Barschaft 3 um 600 Franken.Sie haben mich bevorm<strong>und</strong>et, als sie gesehen haben,dass ich nicht schaffte. Es ginge nicht mit mir, ichmüsse jemanden haben, der zu mir schaue. Ich habemich mit Händen <strong>und</strong> BUssen gewehrt, doch konnte ichnichts machen. Es heisst jetzt, ich könne dann die35


Vorm<strong>und</strong>schaft vielleicht wieder aufheben.V01~m<strong>und</strong>: Er ist auf eigenes Begehren bevorrmmdet worden.Man hat ihm allerdings gesagt~ Wenn er dies nichttue~ würde man ein Entmündigungsverfahren gegen ihneinleiten~ wegen Misswirtschaft <strong>und</strong> Liederlichkeit.Gewehrt hat er sich überhaupt nicht~ weil er eingesehenhat~ dass ein freiwil~ig genommener Vorm<strong>und</strong> dasBeste für ihn war.Der Vorm<strong>und</strong> hat mich dann in eine Anstalt gebracht.Er hat wahrscheinlich keine andere Wahl gehabt, weildie Gemeinde es so wollte. In der Anstalt war ich dannnur ein paar Tage. Dann ging ich ab. Und strolchte 7'Wochen umher.Vorm<strong>und</strong>: Als ich die Vorm<strong>und</strong>schaftsbehörde über alldie Schwierjgkeiten mit meinem MUndel orientiert habe~meinten sie~ ich solZe nicht mehr länger zuwarten mitHandeln. Es hätte nach dem vielen~ das der Bevqrm<strong>und</strong>ungvorausgegangen war~ keinen Sinn~ noch viele"Chancen" zu geben. Man hätte eher schon zu lange miteiner Arbeitserziehung zugewartet. Der junge Mannbrauche eine feste Hand. Auch ich war dieser Meinung~denn seit mein MUndel diß Schule beendet hat~ hat erdoch nichts anderes getan~ als seine Eltern ausgenützt<strong>und</strong> Arbeitsplätze gewechselt. Die Anstalt~ in die ichihn dann eingewiesen habe~ war eine Arbeiterkolonie~also eine sehr offene Anstalt.Nachdem ich aus der Anstalt weggelaufen war, strolchteich 7 Wochen umher. Gewohnt hab ich bei meinerFre<strong>und</strong>in. Sie hat eine Wohnung in der Stadt. Am Morgenschlief ich lan~, dann ging ich irgendwo essen,dann ins Kino oder Kollegen treffen. Oder wir gingenSchlittschuhlaufen. Das Geld zum Leben hab ich vonder Bank ab~hoben, :von meinem Geld. Meine Fre<strong>und</strong>inist Psychotherapeut in im Spital. Sie ist den ganzenTag arbeiten gegangen <strong>und</strong> hat nicht gemerkt, dass ichnichts getan habe.36Dann hab ich auch mal Schulden gemacht; aber diesind jetzt zurückbezahlt. Als ich ein Auto kaufte,hab ich zuviel von der Bank abgehoben. 23000 Franken.Ich habe das Auto auf Abzahlung kaufen wollen.Ich hätte jeden Monat 1500 Franken zahlen sollen.Das habe ich dann nicht gekonnt, da wurde ich betrieben.Vorm<strong>und</strong>: Seine Fre<strong>und</strong>in ist noch sehr jung <strong>und</strong> machteine Lehre als Spitalgehilfin. In diesen ? Wochen~in denen mein MUndel unterwegs war~ hat er Darlehenaufgenommen <strong>und</strong> zwar auf betrügerische Weise. Erbrachte andere Leute dazu~ für ihn Geld aufzunehmen~<strong>und</strong> verschwand dann. Aus dieser Zeit ist heute nochein Strafverfahren gegen ihn hängig~ wegen Darlehensbetrug.Es geht um ?OOO Franken. Für das Auto hatihm seinerzeit seine MUtter Geld aufgenommen. Alsdann das Auto wieder verkauft werden musste~ ist ermit einem grossen Teil dieses Geldes in die Feriengegangen~ <strong>und</strong> die Schulden waren ihm egal. Dazu kamenBetreibungen von weiteren Banken <strong>und</strong> von einemPferdehändler~ bei dem die MUtter ein Pferd gekaufthatte. AUe diese Betreibungen betrafen seine EUern~die für ihren Sohn unbegreifUcherweise immer Geldaufgenommen haben. 'Der alte Vater ist jetzt der Leidtragende.Er muss von seinem Lohn <strong>und</strong> von seinem Pen~sionskassengeld die Rechnungen bezahlen. Nach diesenverbummelten ? Wochen~ innerhalb welcher er Tausendevon Franken verbraucht hat~ haben wir ihn für einJahr in die Arbeitsanstalt eingewiesen.Rekurs habe ich bei den Versorgungen nicht gemacht.Ich habe mich bei der Bevorm<strong>und</strong>ung gewehrt <strong>und</strong> vielgeschrieben. Das ist mir dann verleidet. Die Behördensind stur. Die wissen auf alles eine Antwort. Rekursehaben überhaupt keinen Sinn. Sie haben mir gesagt,sie wollten mir helfen. Ich weiss nicht, wasdie unter helfen verstehen. Sie haben mich doch nureingewiesen. Sonst nichts. Der Vorm<strong>und</strong> sagt, so einJahr Versorgung würue nichts schaden. Ich meine, es37


ist ein verlorenes Jahr. Ich habe einige Kollegengehabt, denen es ähnlich ergangen ist.Ich bin überhaupt nicht arbeitsscheu. Das, was ichmachen muss, mache iCh, aber nicht mehr. Ich binnicht faul. Ich finde es nötig, zu arbeiten. Danebenginge ich gern tanzen oder mit Kollegen ausreiten.Auch würde ich gerne reisen.Jetzt bin ich 5 Monate in der Anstalt <strong>und</strong> muss noch7 Monate bleiben. Ich möchte dann die Vorm<strong>und</strong>schaftwieder aufheben. Delikte habe ich ja nie gehabt. Mitmeinem Vater habe ich noch Kontakt. Meine Mutter istgestorben im letzten Jahr. Ich würde wieder als Reitlehrerarbeiten <strong>und</strong> zu Hause wohnen. Ich möchte normalleben. Vielleicht einmal heiraten, aber da brauchtes halt zwei dazu. Und mit Fre<strong>und</strong>en würd ich zusammensein. Einer ist auch Reitlehrer, einer Automechaniker<strong>und</strong> einer Hilfsarbeiter - aber das spielt ja eigentlichkeine ROlle, was die machen.Wenn ich Vorm<strong>und</strong> wäre, würde ich solchen Leuten wiemir eine Chance geben <strong>und</strong> sagen: geh arbeiten. Undich würde Betreuungsversuche machen. Ich habe meinenVorm<strong>und</strong> nur etwa 5 mal gesehen.Vorm<strong>und</strong>: Wir haben sicher ein paar Dutzendmal persönlichenKontakt gehabt. Meine Betreuung war doch rechtintensiv <strong>und</strong> hat mich sehr beansprucht.Mm wird allgemein viel zu schnell versorgt. Manlässt einem zu wenig Chancen. Dem Amtsvorm<strong>und</strong> ist sowiesoalles egal. Der hat seinen IDhn <strong>und</strong> muss janicht in die Anstalt gehen. Meinen Vorm<strong>und</strong> hab ichselber ausgesucht - ich hab ihn gekannt.Fragen an den Vorm<strong>und</strong>Frage: "Woran liegt es" dass Ihr Mündel nicht fähigist" ein normales Leben zu führen?,tVorm<strong>und</strong>: "Er hat schlechte Voraussetzungen. SeineMutter hatte oft epileptische Anfälle" der Vatergeht zwar normal arbeiten" doch ist er ein Trinker.38 .Die MUtter hat vielleicht gerade durch ihre Behinderungenden Jungen grenzenlos verwöhnt. Sie hat ihreWUnsche auf den Sohn projiziert. Dass sie ihm einmalein Pferd gekauft hat~ zeigt dies deutlich. Ich habeoft bodenständig mit dieser Frau gesprochen <strong>und</strong> ihrgedroht" wenn sie ihrem Sohn noch einmal Geld gäbe"würde ich dafür sorgen" dass auch sie bevorm<strong>und</strong>etwürde. Ich habe ihr richtig die Hölle heiss gemacht.Und sie hat das bestimmt begriffen. Trotzdem hat sieihm ein paar Wochen darauf wieder einen Schuldvertragunterschrieben. Der Junge ist massiv fehlerzogenworden. Er hat nie eine gewisse Konsequenz gespürt.Er hat nie für irgend etwas" was er angestellthat" geradestehen müssen. Er hat ja jahrelang eigentlichschon Delikte begangen" ist aber nie zur Rechenschaftgezogen worden. Er war ein verwöhnter" arbeitsscheuer<strong>und</strong> verweichlichter Bursche. "Frage: "Ist eine Versorgung die beste Möglichkeitgewesen für Ihr Mündel?" .Vorm<strong>und</strong>: "Ich glaube" denn er musste wirklich irgendwolernen zu arbeiten. Ein Typ wie mein Mündel" deraus armen Verhältnissen stammt" wird zum Prügelknabender Gesellschaft" wenn er nicht lernt" sich anihre Spielregeln zu halten" <strong>und</strong> dazu gehört noch immerdas regelmässige Arbeiten für den Lebensunterhalt.Ein Bursche aus reichem Milieu" der sich gleich wiemein Mündel verhält" wird viel weniger rasch in dieAsozialität <strong>und</strong> Kriminalität abgleiten" weil ihm dieEltern immer wieder aus der Patsche helfen können.Will ich meinem Mündel das Schicksal ersparen" einAussenseiter <strong>und</strong> Ausgestossener unserer GeseUschaftzu werden" muss ich ihn dazu bringen" sich an dendurch seinen Arbeitsverdienst gegebenen materiellenRahmen zu halten. Es war daher höchste Zeit" ihn ausseinem Milieu herauszunehmen. Zuhause hat man ihn einfachnicht zu einem vernünftigen Leben bringen können.Um ihm trotzdem möglichst viel Freiheit zu belassen"habe ich zuerst die Arbeiterkolonie gewählt" wo nicht39


die geringsten Sicherungsmöglichkeiten bestehen. DieseMassnahme hat daher nur einen $inn~ wenn der Betreffendeden Willen hat~ dort zu bleiben. Ich verspreche miretwas davon~ dass er jetzt in der Arbeitserziehungsanstaltdiszipliniert wird. Eine solche Disziplinierungmuss erreicht werden~ solange er noch jung ist~darum habe ich ihn relativ schnell versorgt. Heutehat er doch noch die Chance~ sich an geregelte Arbeitzu gewöhnen."Frage: "Glauben Sie nicht~ dass er ausser dieser Disziplinierungauch eine therapeutische Betreuungbraucht?"Vorm<strong>und</strong>: "Davon wird im Moment viel geredet~ dochsind die verschiedenen Auffassungen darüber nicht unbestritten.Dazu kommt~ dass mir keine entsprechendenMöglichkeiten zur Verfügung stehen. Das Ganze isteben sehr personalintensiv <strong>und</strong> daher teuer. E~tscheidendist aber auch~ dass der Betroffene den Willenhat~ sich einer Therapie zu unterziehen. Im allgemeinenist das Resultat von solchen Massnahmen nicht ergiebiger~als die Resultate~ die man selber schon erreichthat. Oft haben 'SO lche Therapien A Zibi funktion. "Frage : "Wäre es nicht mögUch,~ dass ein Fürsorgeroder irgendeine Betreuerperson ambulant etwas erreichenkönnte bei Ihrem Mündel?"Vorm<strong>und</strong>: "Das Jugendstrafrecht kennt die Einweisungin eine geeignete Familie. Diese Massnahme ist aufdem Papier geblieben. Die Anpassungsschwierigkeitenin einer Familie sind zu gross. Ein Heim ist einfacher.Ich sähe für mein Mündel ein Männerheim~ in welchemihm eine gewisse Betreuung~ wie z.B. Lohnverwaltungzukommen wurde. Oder man könnte es einmal mit einerArbeitsstelle bei einem Bauern versuchen~ bei demer auch wohnen wurde. Er arbeitet gern in der Landwirtschaft.Doch sind die Bauern meist auch keine TherapeutenJ <strong>und</strong> die reflektierenden Typen sind dünn gesät."40Frage: "Man könnte Ihnen den Vorwurf machen~ dass Siebei Ihrem jungen Mündel gar nie andere Massnahmen versuchthaben~ als die Anstalt. "Vo~nd: "Ich haUe nicht viel von ther.apeu~ischenMassnahmen~ <strong>und</strong>~ wie erwähnt~ stehen m~r ke~ne entsprechendenMöglichkeiten zur verfu~ng. ~ch glaubeauch~ mein Mündel wurde dabei gar n~c~t m~~mac~en~<strong>und</strong> die Behandlung braucht längere . ze~~~ b~s .. s~e al ­lenfalls erste Resultate zeigt. Be~ me~nem Mündel,musste aber sofort gehandelt werden~ er konnte ,ke~nesfallslänger in seiner bisherigen Umgebung ble~~en.Zudem wurde es zuerst mit der g~nz offenen Arb~~terkolonieversucht~ bevor er in d~e stren~er ge~uhrteAnstalt kam~ in der er jetzt ist. Wenn ~ch me~nemMündel helfen will~ muss ich dafur be~orgt ~e~n~ dasser lernt durchzuhalten~ auch wenn es ~hm st~nkt. ,Daskann er nur an seinem jetzigen Aufenthaltsort. E~neandere Lösung sehe ich unter den gegebenen Verhältnissennicht. "41


Max W." 66" "Die soUen mich endlich in Ruh lassen."Jetzt bin ich schon wieder 9 MOnate in der Anstalt<strong>und</strong> muss noch ein halbes Jahr. Das nehm ich nicht an.In der heutigen Zeit geht das sowieso nicht mehr, dieseVersorgerei. - 1936 bin ich zum erstenmal versorgtworden. Als ich aus der Anstalt kam, war Arbeitslosigkeit.Ich hatte nichts zu tun, war mittellos geworden<strong>und</strong> wurde grad wieder eingelocht. Wegen Arbeitsscheu.Im ganzen hab ich jetzt schon etwa 6 oder 7 Jahre inAnstalten verbracht. Immer wegen Al:beitsscheu <strong>und</strong> wegenSchulden. Auch beim letztenmal wurde ich wegender Kosten versorgt. Die verlangen immer mehr. Zuersthab ich eine Rechnung gesehen von 65000 Franken. Dannhiess es 100000 <strong>und</strong> jetzt plötzlich 130000. Da kanndoch etwas nicht stimmen. Dabei hab ich von den Schuldenschon viel zurückbezahlt. Und die Gemeinde hatdoch auch Geld. Ueberhaupt ist doch schon längst allesverj ährt.Vo~<strong>und</strong>: Ich bin noch nicht lange sein Vorm<strong>und</strong>. MeinMündel hat ca. 14000 Franken Schulden. Die 130000FPanken" Von denen er spricht" sind Geld" das die Fürsorgefür ihn <strong>und</strong> seine Familie im Laufe der JahreaUfgebracht hat. Die öffentliche Fürsorge rechnet abernicht damit" dass diese 130000 FPanken jemals zurückkommen.Von den 14000 FPanken sollte er aber noch einigesin Ordnung bringen können" z.B. die Kleinkredite"die er aUfgenommen hat.Mein Vater war Fabrikarbeiter, <strong>und</strong> die Mutter hat denHaushalt gemacht. Der Vater ging immer schaffen <strong>und</strong>die Brüder auch. Wir waren 12 Kinder, aber keineslebt.mehr: Ich bin der einzig Ueberlebende. Der jüngstelSt filt 60 gestorben. Keiner war bevorm<strong>und</strong>et aus­~er mir. E~ner ist in die Fremdenlegion gegangen. DerlSt dann nlcht mehr heimgekommen. Er sei bei einemBahnunglück gestorben. Einer ist an einer Operationgestorben, einer an einer Herzkrise, einer an Wassersucht.Ich bin mit allen gut ausgekommen. Eine Schwe-42ster war auch verheiratet gewesen, hatte auch 4 oder5 Kinder. Da weiss ich nicht, wo die sind. .8 Jahre bin ich in die Schule gegangen <strong>und</strong> dre: Jahrehabe ich Gewerbeschule gemacht. Sattler, Tapezlererhab ich gelernt. Die Lehre hab ich fertig ~emacht.Nach der Lehre bin ich fortgefahren. Habe ln der Fremdegeschafft, d.h. in den ent~ege~en Tälern <strong>und</strong> O~schaftender Schweiz. Da hab lch lmmer etwas gelelstet<strong>und</strong> auf dem Beruf gearbeitet, bis es d~nn ~chl~chterwurde als der Krieg anfing. Da haben Sle filch lmmergepackt weil ich nicht gearbeitet hab, <strong>und</strong> habenmich in Hei~e getan. Dann ging ich in. ein ande:es Dorf,<strong>und</strong> sie packten mich wieder. Der ~melnde~chrelberliess mich verlochen. Einmal, als lch Schlcht schafftekamen sie tags <strong>und</strong> meinten, ich sei arbeitsscheu.De~ Bezirksamnann kam <strong>und</strong> befahl ein halbes Jahr Arbeitsanstalt.Bevor ich heiratete, wurde ich fünfmalversorgt.Vorm<strong>und</strong>: Mein Mündel ist in meinen Augen charakter­Zich ausserordentZich schwer geschädigt. Er folgt m~hrseinen Wünschen als seinen Verpflichtungen. Er arbe~teteinfach nicht., hat meist nur so e~nige .Tage .. hintereinandergearbeitet" <strong>und</strong> man kann ~hn .n~cht andern.Er war <strong>und</strong> ist leider nie in der Lage., s~ch durchzubringen.Gelebt hat er vom Bettel ~der v~n Gel~" daser sich durch Betrug., z.B. durch d~e Kle~nkred~te beschaffthat.1947 hab ich geheiratet, wir hatten 3 Kinder. Der Gerneindeschreiberder mein Vorm<strong>und</strong> war, machte Gegendruck<strong>und</strong> hat v~rweigert, dass ich heirate. Bis imHerbst ist ihm das gelungen. Dann hab ich eine Beschwerdegemacht an die Regierung: An die Jus~izdirektion.Die haben dem Gemeindeschrelber dann Belne gemacht<strong>und</strong> im Herbst konnten wir heiraten. Man wollteuns i~r wieder auseinandertreiben • Und dann h~benwir eine Wohnung gesucht <strong>und</strong> in der ganzen ~melndekeine gef<strong>und</strong>en. Dann hats uns halt her~etrleb~n,bis wir eine hatten in einer andern Gemelnde. Dle43


wollten uns dann aber wieder die Niederlassung verweigern.Immer alles kam von den Gemeinden aus. Undmi t uns ging es imner mehr bergab.Vorm<strong>und</strong>: Er gib~ immer den andern die SchuZd, den Behördenoder seiner Frau. Dass ihn seZber die HauptschuZdtrifft, sieht er nicht. NatürZich mag es einSchock für die FamiZie gewesen sein, dass sie Mühehatten, einen Wohnort oder eine Wohnung zu finden.Doch wer wiZZ schon eine vieZköpfige FamiZie unterhaUen.Der Armenpräsident war auch schlimm. Als die Frau insKindbett musste, haben sie mich weggenomnen <strong>und</strong> indie Anstalt geworfen. Und als die Frau aus dem Spitalkam, musste sie mich suchen. Als die Kinder noch kleinwaren, schaffte ich auf dem Strassenbau. Bis ich eineandere Arbeit bekommen hab . Dann war ich in einer Möbelfabrik.Damals war die Familie noch beieinander.Dann haben sie uns die Kinder weggenommen, alle 3,weil die Frau immer so herumgestrolcht ist <strong>und</strong> Geldverbraucht hat. Sie hat viel zu viel Geld gebraucht.A~s die Kinder weg mussten, gingen sie noch nicht einmalzur Schule. Sie kamen ins Kinderheim. Wir wolltendas nicht haben. Aber sie kamen weg, weil wir keineWohnung gehabt haben. Die Gemeinde musste viel zahlenfür . unsere Kinder. Die Kinderheime sind es , die sovlel gekostet haben. Kein Tag hab ich die Kinder mehrin den Händen gehabt. Und nie hätten sie mir etwas geholfen,mit der Arbeit oder so .Vorm<strong>und</strong>: Die FUrsorge hat für di e Kinder wirk Zieh sehrvieZ bezahZen müssen. Eine Tochter ist zudem schwerg~schädigt. Heute zahZt die InvaZiden-Versicherung fürs~e. Dazu kommt, dass mein MUndeZ Vater eines aussereheZieh geborenen Kindes ist, für das er AZimente zah­Zen musste. AZZen seinen famiZiären Verp[Zichtungenstand er immer ZeichtZebig <strong>und</strong> gZeichgüZtig gegenüber.Unser Bub machte eine Malerlehre, die Mädchen weiss44ich nicht. Ob der Bub abgeschlossen hat, weiss ichauch nicht. Die eine Tbchter hat im Altersheim denHaushalt gemacht, die andere weiss ich nicht. Dieeine hatte epileptische Anfälle <strong>und</strong> darf nicht heiraten.Das find ich auch, dass die nicht heiratensoll. Sie hat auch einen Vorm<strong>und</strong>. Vor einem Jahr hatsie ein Kind bekommen. Ich wollte ihr mal zum Geburtstagschreiben. Die Karte kam unbekannt retour.Sie kann aber auch gar nicht richtig schreiben.12 Jahre bin ich verheiratet gewesen. Scheiden liessich mich wegen folgendem: Die Frau wollt e eirunalspazieren gehen, <strong>und</strong> ich sagte, sie soll ein bissehenwarten, bis abends. Dann ging sie allein spazieren.Und sie ist zu einem gegangen, <strong>und</strong> ich habgesehen, dass sie bei dem im Haus war. Sie log michdann an <strong>und</strong> wurde verrückt. Ich sagte, jetzt kannstdu machen, was du willst, geh du zu dem <strong>und</strong> bleibbei ihm. Dann hat sie mich überredet, sie bliebe <strong>und</strong>hat mich wieder betrogen, <strong>und</strong> ich kam dann in dieAnstalt. Nachher schaffte ich dann wieder als Sattler,als die Frau schon fort war . Wo die Frau heuteist, weiss ich auch nicht. Manchmal hat sie noch einenBrief geschrieben.1936 bin ich bevorm<strong>und</strong>et worden. Das ging so hintenrum,als ich in der Anstalt war. Ich bin nicht einmalvorgeladen worden. Ich habe mich schon gewehrt,aber was habe ich machen sollen. Die Regierung warja dahinter. Die organisierte das . Ich sagte, daskäme doch nicht in Frage, ich hät te doch nichts verbrochen.So könnte man doch Tausende bevorm<strong>und</strong>en.Und wenn man bevorm<strong>und</strong>et ist, bekommt man keine Wohnungmehr. Da musste ich die Möbel einstellen, ineiner Möbelhalle. Und am nächsten Tag warfen sie michwieder in die Anstalt. Ich wehrte mich <strong>und</strong> sagte derPOlizei, ich müsse arbeiten gehen, in die Maschinenfabrik.Das war nämlich ein schöner Arbeitsplatz.Aber die hielten mich fest, MOntag, Dienstag, Mittwoch.Es war ein Irrtum, der Vorm<strong>und</strong> kam <strong>und</strong> gab mir20 Fränkli zum Heimfahren. Als ich am Donnerstagwieder in die Fabrik wollte, sagten die, ich hätte45


Arbeitsbruch begangen. Ich wurde entlassen, <strong>und</strong> esging weiter bergab.~ie Behörden haben mir nie geholfen. Der Vorm<strong>und</strong> hatlImler Lohnve:w~tung. gemacht <strong>und</strong> mir das Geld weggenommen.Dabel hatte lch das Geld für mich gebraucht.In der Woche hatte ich nur etwa 50 FrruJken SackgeldManchmal nicht mal das. Der Vorm<strong>und</strong> hat dann geWeCh~selt. Aber auch der neue gibt mir keine Ruhe <strong>und</strong> hatmich auch wieder in Anstalten getan. Der Vorm<strong>und</strong>IlEint irrrner, wenn ich mit jemand spreche, ginge ichGeld verlangen, betteln. Dabei WÜrde einem doch niemandGeld geben, höchstens der Pfarrer. Und auch die~rso~ge~er geben einem nie Geld. Getrunken habelch n7e Vl~l. I~h bin nur nicht arbeiten gegangen,~enn lch IDlch nlcht recht wohl fühlte. Manchmal habl~h lang an e~nem Arbeitsplatz geschafft. 4 Monate,elnmal auch eln halbes oder dreiviertel JahrIch habe eine Riesenbeige 'Briefe, wo ich Re~se gemacht~abe. U~d Beschwerden. Bin sogar bis vor B<strong>und</strong>~sgerlcht.Dle sagten, ich müsse Rekurs machen andle Oberaufsichtskommission. Da hab ich dort Beschwerdege~cht, un? der ~rief korrrnt in 8 Tagen retour,man konne d~ nlcht.eln~rete~, weil es die gleichenInstanzen waren, dle IDlch elnweisen würden.Vo~nd : Das .B<strong>und</strong>esgericht hat seine Beschwerde abge~~e~en~we~Z es eben auch der Meinung war~ dassbe~ d~esem Mann Versorgung die einzige Lösung wäre.S~äter ~ab ich einen Anwalt genorrrnen. Der sagte, mankonne nlchts machen. Ich hab auch ein bisschen Fehlergemacht. Aber die Behörden sind an allem SchuldPie ~ollen mich endlich in Ruh lassen. Dann wäre al~les ln ?rdnung. Die einen können da Dinger drehen<strong>und</strong> ~ellkte machen <strong>und</strong> werden nie versorgt, nur wir.Als lch das letztemal aus der Anstalt kam war ichin e~nem Männerheim. Im letzten Sorrrner. ~ hab ich~belt beko~en in einer Lederwarenfabrik. Aber einZlmmer hab lch geha?t, das war ganz im Keller unten.Gestunken hat das Wle der Teufel. Einer hat mit mir46.., .gewohnt, der hatte offene Beine, weiter hin~en.hateiner gekocht. Und kein Fenster offen. Da bln lchabgehauen. Ich war dann krank <strong>und</strong> gi~g z~ Arzt. Dersagte, ich hätte es auf de: Lunge. D~e me~nten dannschon wieder, ich sei arbeltsscheu, lch tate umherspazieren.Da wollte ich Selbstmord machen, nahmSchlaf tabletten. Dann wurde ich wieder in die Anstaltgetan. Kurz darauf hab ich die Schlagadern aufgeschnitten<strong>und</strong> wurde wieder in die Anstalt getan., . dFür was ist die Fürsorge da? Zum Leute elnlochen 0 erum den Leuten zu helfen? Fürs Ausland hat IDrul Geld,aber den eigenen hilft man nicht. Eine Frage istauch ob ich jetzt dann das AHV-Geld bek?mme . Es gehört'dochmir <strong>und</strong> das verlang ich auch. Damit ichwenigstens nur den halben Tag arbelten kann: LetztesJahr im Juli hab ich die erste AHV gekrlegt.400 Franken sind es. Für meine Frau muss ich nicht, .zahlen für die Kinder auch nicht mehr. Aber die, . 1Schulden - die will ich nicht mehr zahlen. Dle so -len das mal streichen. Die können mir doch nichtRechnungen machen bis über die Ohren.Für mich könnte man doch eine kleine Beschäftigungsuchen. Ich könnte schon existieren. Ich sollte irgendwoeine kleine Wohnung haben mit ei~em Arbeitsraum.Dann könnte ich noch Matratzen fllcken <strong>und</strong> solcheSachen <strong>und</strong> midh wieder hochschaffen. Am liebstenmache ich Lederarbeit ,<strong>und</strong> Matratzen. Wenn lchdraussen wär. Und dann ging ich ein bisschen spazie-, ren. Und schlafen würde ich. Wenn schönes Wetter wär,ginge ich spazieren, <strong>und</strong> wenn es regnete, würd ichzu Hause bleiben <strong>und</strong> ein bisschen lesen. Und morgensfrüh , auf , das mach ich gern. In die Berge oder anSeen ging ich gern. In Restaurants gehe ich selten.Nur wenn ich Durst habe, geschwind etwas trinken. Sojassen ganze Tage wie andere, mag ich nicht. W~nnich nochmals von vorne anfangen könnte, ginge lchauf ein Büro. Da hätte ich eine Existenz. Als Sattlerbekomnt man ja fast keine Stellen mehr. Heute gibtes ja nur noch Dekorationsarbeit. Und für die Polstermöbelhaben sie Spezialisten. Oder ich würde47


nach Amerika gehen <strong>und</strong> eine reiche Frau heiraten.Eine Existenz auftun. Da muss man natürlich Willenhaben. Ich, habe Willen, wenn ich will.Ich will keine Kollegen mehr, will keine Fre<strong>und</strong>inmehr. Da muss man nur Geld brauchen <strong>und</strong> sich ärgern.Oder dann schon eine richtig gute Fre<strong>und</strong>in, die michpflegen würde, <strong>und</strong> mit der ich spazieren gehen könnte,<strong>und</strong>die zu Hause ist. Ein richtig anständigesFraueli. Nicht eine, die rumsäuft <strong>und</strong> immer verreisenwill. Mit ihr würd ich dann in die Berge gehen.Manchmal gibt es in dem Heftli so Fre<strong>und</strong>schaften,wo man schreiben kann. Letzthin waren im Heftli vieleFrauen auf Männersuche. Die nehmen sogar Invalide.Ich mächte. selber nicht Vorm<strong>und</strong> sein. Macht man das,ist es nicht recht, macht man was anderes, ist esauch nicht recht. Da muss man sich immer plagen mitdiesen Burschen. Ich hätte auch Vorm<strong>und</strong> sein können,aber ich sagte, ich nehme das nicht an. Da hat manimmer Arbeit. Da wird man betrogen. Da hat jetztauch gerade wieder einer den Richter runtergeschossen,da weiss man nie.Fragen an den Vorm<strong>und</strong>:Frage: "Was waren die Einweisungsgründe bei der letztenInternierung vor 9 Monaten?"Vorm<strong>und</strong>: "Mein Mündel ist in die Arbeitsanstalt zu~rückversetzt worden, weil er sich bei der letztenEntlassung wiederum nicht bewährt hat. Er hat in einemMännerheim gewohnt <strong>und</strong> hätte von dort aus seinemBeruf nachgehen k8nnen. Er hatte eine gute Stelle.Aber er konnte sich nicht einordnen, ist wiederbetteln gegangen statt zu arbeiten, hat dann dieStelle verlassen <strong>und</strong> ist auch nicht zu einer weiterenZusammenarbeit mit mir bereit gewesen. Die Rückversetzungin die Anstalt war die einzige M8glichkeit.Nur so konnte man ihn davor bewahren, wiederin einen totalen Notstand zu geraten. Man mussteauch andere Leute vor ihm schützen. Wie oft hat er48irgendWelchen Bekannten von ihm, gutmütigen Witwenz.B., Geld abgekn8pft. Dazu kam, dass er wieder einenSelbstmordversuch verübt hatte <strong>und</strong> verschiedeneKlagen aus Pfarrämtern kamen, er bettle überall <strong>und</strong>erzähle rührselige Geschichten."Frage: ·"Warum muss ein Mann,. der 66 ist <strong>und</strong> AHV bezieht,überhaupt noch in eine Arbeitsanstalt?"Vorm<strong>und</strong>: l'Er ist noch arbeitsfähig, <strong>und</strong> in Männerheimen,in Unterkünften mit freierem Charakter hater sich einfach nie bewährt. Man muss ihn versorgenzu seinem Schutz, aber auch zum Schutz der Allgemeinheit,damit er nicht als bettelnder, kritisierender<strong>und</strong> st8render Mann einfach auf der Strasseist. "Frage: "Könnte man nicht dafür sorgen, dass er nachseiner Entlassung wenigstens nur noch halbtags arbeitenmuss, wie er es selber auch wünscht?"Vorm<strong>und</strong>: "Man wird schauen müssen, wie es weitergeht.Zwingen zur Arbeit kann man ihn ja nicht. Aber irgendJ»iearbeiten sollte er schon. Seine AHV-Rentewird verwaltet werden müssen, weil sonst seine Verpflichtungenfür Unterkunft <strong>und</strong> Verpflegung nie gedecktwerden können."Frage: "Sind die Schulden ein Gr<strong>und</strong> für die Versorgungen?"Vorm<strong>und</strong>: "Nein, gar nicht. Schulden sind kein Motiv,einen Menschen in eine Anstalt einzuweisen. Der Einweisungsgr<strong>und</strong>ist seine unstete Lebensweise, die Art<strong>und</strong> Weise, wie er Schulden macht. Die Neigung zumBettel <strong>und</strong> die offensichtliche Arbeitsscheu. "Frage: "Muss man es nicht in Kauf nehmen, dass einerunangepasst ist? Haben Anstalten für so einenMenschen, der überhaupt nicht mehr erziehbar ist,einen Sinn?"Vorm<strong>und</strong>: "Das ist eine Frage des Standortes. Nachmeiner Meinung würde eine liberale Haltung dazu füh-49


en~ dass diese Leute immer störender werden~ dassmit der Zeit eine Subkultur entsteht~ wie man siein den Slums hat. wir haben in der Schweiz keineSlums~ weil wir versucht haben~ diese Leute aufzufangen<strong>und</strong> nach Möglichkeit einzugliedern~ <strong>und</strong> wodas nicht gelungen ist~ sie einfach in die Heimeeinzuweisen. Die Leute verfügen nicht über das notwendigePflichtbewusstsein. Darin liegt ihre Schwäche."50..Clara P. ~ 55~ "Meine Tochter ist auf dem Strich~ <strong>und</strong>mein Verlobter hat ausser mir noch eineandere Verlobte."Mir ist schwer unrecht geschehen. An mir können siegar nicht mehr alles gutmachen. Wenn ich denke, wasandere für Delikte nachen, da bin ich doch ein Trotteldagegen. Ich habe kein einziges Delikt begangen<strong>und</strong> habe doch mein halbes Leben in Anstalten verbracht.Ich wäre fähig gewesen, ein normales Leben zufUhren, wenn mir jemand ein bisschen geholfen hä.tte.Jetzt bin ich in einem Uebergangsheim, dawit ich vonder Arbeitserziehungsanstalt nicht direkt nach draussenkomme. In diesem Heim wohne ich. Arbeiten tue ichaber draussen, ganz normal in einer Fabrik. Ein halbesJahr bleibe ich hier wohnen, <strong>und</strong> dann muss ichweitersehen. lch arbeite in einer Schallplattenfirma<strong>und</strong> bin in der Kontrolle. Ich muss die Arbeit von denandern nachschauen. Ich kann keine körperliche Arbeitmehr leisten. Meine Arbeit jetzt ist nur eine Belastungfür die Augen. Ich habe eine ganz starke Brille .Ich muss kontrollieren, 'ob irgendwo ein Kritzerchenist. Ich habe sehr viel Kopfweh. In der Firma wissensie, dass ich aus der Anstalt bin. Aber bis jetztmusste ich nicht drunter leiden. Das Arbeitsklima istgut. Ich kann auch mal zwischendurch die Brille ausziehen<strong>und</strong> aufschauen.Ich bin nicht ges<strong>und</strong>. Ich habe grenzenlose Rückenschmerzen.Ich habe Gallensteine. Ich habe manchmalKoliken, das ist furchtbar. Ich sollte wieder einmalzum Arzt geschickt werden. Und die Nieren sollten geröntgtwerden, so dass man sieht, dass ich nicht simuliere.Ich habe auch mit dem Wasser Schwierigkei-' ten. Ich kann es nicht mehr behalten, <strong>und</strong> das ist' sehrunangenehm, wenn man arbeiten geht. In der Anstalt habeich 210 Blutdruck gehabt. Morgens könnte ich schonum 5 Uhr arbeiten gehen. Ich erwache immer so früh.Aber mittags bin ich so müde, dass ich fast nicht mehressen mag. Auch bin ich mit den Nerven völlig unten.Darum arbeite ich auch gern. Im Geschäft geht es noch,51


ac)er wenn ich frei habe, muss ich immer denken. MeineTochter ist auf dem Strich, das hab ich vor einigenTagen erfahren, <strong>und</strong> mein Verlobter hat ausser mir nocheine andere Verlobte. Meine Tochter ist verheiratet<strong>und</strong> hat ein 5-jähriges Büblein. Ich weiss gar nichtrecht, wie es ist, ob ihr Mann sie auf die Strasseschickt. Ich habe ja nicht mehr so Kontakt mit meinerTochter. Ich bin jetzt ein Jahr in der Anstalt gewesen<strong>und</strong> habe sie in der Zeit nie gesehen. Wenn icheinmal mit ihr rede, rede ich von ihrem Kleinen. Einmalschlägt sie ihn, <strong>und</strong> dann ist sie wieder abgöttischlieb mit ihm.Vormun.d: Sie weiss seit Jahren~ dass ihre Tochter dasTrottoir macht. Doch stellt sie es immer wieder sodar~ wie wenn sie die üble Geschichte gerade erfahren<strong>und</strong> darum eine gewaltige Nervenkrise hätte. Sie simuliertimmer körperliche <strong>und</strong> psychische Krisen. Sicherist die Frau heute nicht mehr ges<strong>und</strong>, doch sie übertreibtmit ihren Leiden. Ich habe sie unzähZig~ Maleuntersuchen lassen. Alle sagten dasselbe~ auch diePsychiater: sie würde ~ssbrauch treiben mit Krankheiten.Ich bin aus gutem Haus. Es ist doch furchtbar fürmich. Mein Vater war Malermeister. Jet~t ist es derBruder. Wir waren 10 Kinder. Die Mutter hätte 20 gehabt,wenn sie sich nicht hätte operieren lassen. Ichhabe gar keinen Kontakt mehr mit meiner Familie. Dasbeschäftigt . mich auch. Der Kontakt ist abgebrochen ,als lch zum erstenmal interniert worden bin. Sie habensich geschämt. Nach der Schule habe ich in einerUhrenfabrik als Vi<strong>site</strong>use gearbeitet. Ich kontrolliertemit einer Lupe die Zifferblätter. Da wird man angelernt.Ich habe arbeiten nüssen, damit meine Brüdereine Lehre machen konnten. Ich ging auch servieren inder Zeit. Dass ich dann ein Kind unehelich geborenhabe, war für meine Familie schlimm. Da bin ich schonverdammt worden bis in alle Ewigkeit. Mein Bruder hatein Geschäft <strong>und</strong> eine Villa, sagen die Leute, ich52I.I11IIIhabe sie nie gesehen. Es geht ihm gut. Er hat jetzteine zweite Frau. Mit ihr ist er schon §egangen, alser noch mit seiner ersten Frau verheiratet gewesenist. Und hat ihr Kleider gekauft <strong>und</strong> sie unterhalten.Bei der Scheidung diskutierten sie dann vor Gerichtüber diese Rechnungen . Und mein Bruder hat vonmir verlangt, ich solle sagen, dass er mit dem Geldmich unterstützt hätte. Dass er mir die Kleider gekaufthätte. Das konnte ich einfach nicht. Dabei hatsich mein Bruder nie um mich gekümmert. Aber für ihnist es jetzt eine Blamage, dass ich in der Anstaltwar. Er ist doch ein feiner Geschäftsherr. Was habich davon, dass ich aus gutem Haus bin. Ich habe immerAngst vor meinem Bruder, dass er sich schämt . 30-lan§e es mir gut §egangen ist, sind die andern Geschwisteroft zu mir gekommen. Ich habe viel Besuchgehabt. Und wenn sie krank waren, riefen sie mich an.Die Eltern sind früh §estorben. Als ich mich scheidenliess, war der Vater schon gestorben <strong>und</strong> dieMutter gelähmt.Jetzt bin ich schon 20 Jahre geschieden. Und ich bin12 Jahre verheiratet gewesen. Mit 23 habe ich gehei ­ratet. Mein Mann hat Unzucht getrieben mit meiner unehelichenTochter. Er war Fabrikarbeiter, als ichihn kennenlernte. Aber er hat sich dann hochgearbeitetals Chef. Er hat viele gute EigenSChaften gehabt .Er war ein sehr guter Arbeiter <strong>und</strong> Sparer. Ich habeAchtung gehabt, weil er alles immer prompt bezahlt<strong>und</strong> nicht getrunken hat. 9 Jahre haben wir bei derSChwiegermutter gelebt . Ich bin den ganzen Tag arbeitengegangen <strong>und</strong> hatte meine 4- Zimmerwohnung inOrdnung. Das darf ich sagen. Und weil i ch ein schlechtesGewissen gehabt habe mit meiner unehelichen Tochter,habe ich auch bei der SChwiegermutter immer geputzt.Beim erstenmal, als ich ihn bei Unzucht erwischthabe, war das Kind 10 . Da hat man ihm nocheine Chance gegeben. Dann passierte es wieder, alses 14 war. Ich habe dann beim Richter die Trennungverlangt, weil er mich auch geschlagen hat, <strong>und</strong>dann kam alles aus .53


Er hat einen guten Anwalt gehabt, der hat ihm geholfen.Er hat einen Bedingten bekommen. Das Gericht hatauch Fehler der Tochter zu~schoben. Mein Mann hatteeinen guten Leum<strong>und</strong>. Iarum ist er so gut weggekommen,auch bei der Scheidung. Es gibt keine Wahrheit <strong>und</strong>keine Gerechtigkeit <strong>und</strong> gar nichts. Was mein Mannheute macht, weiss ich nicht. Es ist mir auch egal,ich will nichts mehr wissen.Nach der Scheidung hat man die Tbchter in ein Kinderheimgesteckt, weil sie auch sonst auf schlechte We~~kommen ist. Sie ging immer mit Buben, 2 Jahre istsie dann in dem Kinderheim gewesen. Dann hat sie angefangen,Coiffeuse zu lernen. Dreimal haben wir esmit der Lehre versucht, aber sie ist immer drausgelaufen.Ich habe aber meine Tochter von Herzen gern. Ichhabe dann die Möbel eingestellt <strong>und</strong> bei der Lehrerinvon meiner Tochter gewohnt. Ich habe dort den Haushaltgemacht. Aber sie war so eine Pedantin, dass ichtOdunglücklich gewesen bin. Der Mann hat getrunken.Die hatten so viel Wein im Keller, dass sie nicht einmalgemerkt hätten, wenn ich mir etwas genommen hätte.Ich habe aber keine Lust gehabt. Ich bin dann dortfort. Ich weiss nicht mehr, was dann alles gewesenist.Vorm<strong>und</strong>: Sie hat nach der Scheidung ein bewegtes Lebengeführt. Während sie anfangs noch arbeitete <strong>und</strong>mindestens für ihren eigenen Unterhal t aufkam~ liesssie sich schliesslich durch die soziale Fürsorge~durch Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Bekannte unterhalten. Sie hatte indieser Zeit auch zahllose Männerbekanntschaften.ZurBeobachtung <strong>und</strong> Begutachtung wurde sie darauf in diepsychiatrische Klinik eingewiesen. Der Facharzt stellt~die Diagnose einer angeborenen Charakterabnormitätim Sinne einer moralisch defekten~ haltlosen Psychopathie.Als Massnahmen empfahl er die Einweisung ineine Arbeitsanstalt <strong>und</strong> die Bevorm<strong>und</strong>ung. Sie hatdann einige Monate bei einem Mann als Haushälteringearbeitet <strong>und</strong> gab zu keinen Klagen Anlass~ von derArbeitsanstalt wurde noch abgesehen. Doch dann ver-91Iliess sie ihre Stelle~ wollte nicht mehr arbeiten~weil sie krank wäre. Der damalige Vorm<strong>und</strong> - sie hatim ganzen 5 gehabt - hat ihr eine Stelle nach der anderngesucht~ als Verkäuferin~ als Hilfsarbe~ter~n~als Spitalgehilfin: die einen SteZZen trat s~e n~chteinmal an~ die andern verZiess sie nach einigen Tagenwieder. Sie wurde dann wegen Arbeitsscheu <strong>und</strong> Liederlichkeitfür ein Jahr in die Arbeitsanstalt eingewiesen.Ich muss heute immer nur an meine Tochter. <strong>und</strong> meinenVerlobten denken. Ich mag wich nicht auf die Vergan­~nheit konzentrieren. Mein Pfarrer hat mir einmalgesagt, ich käme ihm vor wie eine Nussschale auf demMeer. Ich würde einmal hierhin <strong>und</strong> einmal dorthin geschlagen<strong>und</strong> hätte nir~nds einen Halt. Ich bin einfachnirgends mehr zu Hause gewesen. Ich habe manch­~al als Heirnpflegerin gearbeitet, da bin ich noch amglÜCkliChsten gewesen. Die Fabrik ist für mich eigentlichein Schrecken. Am liebsten möchte ich Hilfsschwesterwerden, in einem Spital. Aber das könnte ich inmeinem jetzigen Zustand nicht. Bei den Kranken mussman tapfer sein <strong>und</strong> sie aufmuntern. Ich habe einmalin einem Spital gearbeitet. Ich habe dann angefangen,Tabletten zu nehmen. Ich hatte schon immer viel Kopfweh<strong>und</strong> viele Leiden. Es war aber dann nicht ~r dasKopfWeh, sondern eine Gewohnheit, dass ich Tablettengeschluckt habe. Wenn ich in der Fabrik, wo ich arbeitete,gesagt habe, es ginge mir schlecht, haben siehalt Tabletten offeriert, damit ich nicht zu Hause gebliebenbin. Ich bin auf Saridon süchtig gewesen. Eswar nicht andauernd, es kam vom Seelischen aus. Ichhabe halt in der Ehe furchtbar gelitten.Vormwid: Die Tablettensucht war nicht zeitweilig~sondern stetig~ <strong>und</strong> dazu kam der Alkoholkonsum. Alssie einmal ihre Tochter in der Stadt besuchte~ wurdesie schon am Bahnhof zusammengelesen~ weil sie starkbetrunken war. Ich fürchte auch~ dass sie wieder Tabletten<strong>und</strong> Alkohol nehmen wird~ sobald sie aus dem55


Uebergangsheim heraus ist~ wo sie jetzt noch wohnt<strong>und</strong> beaufsichtigt wird.Schwer zu sagen, welche Wirkung die Tabletten hatten.Sie putschen mich irgendwie auf. Ich kam dann in diepsychiatrische Klinik <strong>und</strong> dann in die Arbeitserziehungsanstalt.Ich nehme jetzt rranchmal auch noch Tabletten,aber solche, die mir vom Arzt verschriebensind: für den Blutdruck <strong>und</strong> die Entwässerung <strong>und</strong>r~chmal zum Schlafen. Ich ~eiss vieles nicht mehr.Ich weiss auch nicht mehr, wann ich bevorm<strong>und</strong>et wordenbin. Ich habe einen Vorm<strong>und</strong> auf eigenes Begehrengenommen, als ich mir mal die Schlagadern aufgeschnittenhatte. Dann bin ich wieder in die Psychiatrischegekommen. Es hiess, ich solle jemanden haben der mirbeisteht. Ich habe dann einen Vorm<strong>und</strong> bekomm~n denich nie zuvor gesehen habe. Die haben mir nie ~eholfen.Nur eingelocht, das ist alles. Wenn sie einem ineiner Anstalt haben, haben sie Ruhe. Natürlich habeich viel nicht gearbeitet. Aber ich bin nicht ges<strong>und</strong><strong>und</strong> war es nie.Vorm<strong>und</strong>: Wiederholt musste sie urieder weqen Betrunkenheitin Arrest versetzt oder wegen ih;es Zustandesin Heil- <strong>und</strong> Pflegeanstalten eingewiesen werden. DiePsychiater schrieben in ihren Gutachten~ sie wäre einegejühlsarme~ triebhafte Person~ die zur Lügenhaftigkeit~zum Alkoholismus <strong>und</strong> zur Tablettensucht neige.Sie wurde dann in ein Pflegeheim gebracht~ wo siewohnen <strong>und</strong> leichte Arbeit verrichten konnte. Weil sieaber immer die Hausordnung überschritten~ z.B. Brieferausgeschmuggelt hat~ <strong>und</strong> dauernd intrigierte~ wurdesie unmöglich~ <strong>und</strong> man musste wieder eine neue Lösungsuchen. Nach einem neuerlichen Aufenthalt in der Heil<strong>und</strong>Pflegeanstalt kom sie in ein Versorgungsheim.Schulden habe ich keine. Einzig den Aufenthalt in derAnstalt haben sie bezahlen müssen. Ich habe sogar1500 Franken gespart.Auch in der Anstalt bin ich bei der Psychiaterin ge-56lIgewesen. Das ging mir so auf die Nerven zuletzt. Siesagte einfach nur, es käme dann schon wieder besser.lYBn rruss sich wohl selber helfen.Vorm<strong>und</strong>: Ueber die psychiaterin sagt sie jedesmal etwasanderes. In der Anstalt war sie sehr glücklichüber die gute Therapeutin~ die sich sehr viel Zeitfür sie nahm. Im Augenblick ist sie wieder in einemTief <strong>und</strong> sieht alles schwarz. Ich habe sie jedenfaUsnoch nie so negativ über die psychiaterin reden hören.Ich sollte den ganzen Tag stark arbeiten, dann habeich nicht so Angstgefühle. Auf der andern Seite binich 55 <strong>und</strong> habe dauernd Schmerzen <strong>und</strong> möchte abliegen.Fre<strong>und</strong>e habe ich keine mehl' . Doch ein paar wenige. DerPfarrer ist sehr lieb <strong>und</strong> auch eine Frau, die ich kenne.Sie kam mich sogar mal in die Anstalt besuchen.Ich hätte viele Chancen gehabt, wieder zu heiraten.Aber ich habe meinen Mann nicht vergessen können <strong>und</strong>habe immer Vergleiche gezogen. Früher habe ich aucheine feste Fre<strong>und</strong>in gehabt, aber die hat mich bitterenttäuscht. Sie war verstossen worden von ihrer Familie<strong>und</strong> ich bin zu ihr gestanden. Und als ich es dannschwer hatte, hat sie nichts mehr von mir wissen wollen.Ich bin skeptisch geworden. Im Moment möchte ichkeine Fre<strong>und</strong>e mehr. Ich denke viel <strong>und</strong> rede immer wenigerITit Menschen.Meinen Verlobten habe ich in einem Heim kennengelernt.Es hatte dort allerlei Leute. Trinker, Invalide <strong>und</strong>solche, die kein Heim mehr hatten. Ich bin nicht gerndort gewesen, <strong>und</strong> auf die t-traurigste Art ausgenütztworden. Mein Verlobter hat da den Uebergang gemacht,vom Gefängnis raus, so wie ich jetzt hier. Wir habendann zusammen in Bern gearbeitet. In einem Hotel. Wirhaben Zimmer gemacht. Er die Böden <strong>und</strong> ich die Betten.Diese Arbeit war mir viel zu streng. Körperlich. Ichhabe dann einen Blutsturz gehabt, vom Magen aus wahrscheinlich.Aber ich habe weitergearbeitet, weil ichAngst hatte, die Stelle zu verlieren. Dann hab icheine Nervenentzündung gehabt <strong>und</strong> konnte nicht mehr57


arbeiten. Während dieser Zeit habe ich auch immerReibereien gehabt mit meinem Verlobten. Ich habe gemerkt,dass mit ihm etwas nicht stimmt. Ich konnteihm aber nicht beweisen, dass er mir nicht treu ist.Ich habe auch gespannt, dass er Krämpfe gedreht hat,aber auch das konnte ich nicht beweisen. Er gingmanchmal tagelang weg <strong>und</strong> hat mir kein Wort gesagt,wo er gewesen ist. Das ist doch nicht normal wennman verlobt 1st..Ich habe dann Angst gehabt <strong>und</strong>'habeAlkohol getrunken. Weil ich meinen Verlobten nichtverlieren wollte, habe ich die Böden auch noch gemacht<strong>und</strong> unter Schmerzen gelitten. Ins Hotel kamendann plötzlich sehr nette Polizisten in Zivil <strong>und</strong>brachten mich für lV2 Tage ins Gefängnis, bis ichwieder ausgenüchtert war. Am MOntag wollte mich derVorm<strong>und</strong> in eine neue Stelle tun. Aber ich habe Galleerbrochen. Ich bin in einem so traurigen Zustand gewesen<strong>und</strong> konnte nicht anfangen. Ich habe dann dreiTage zu Bekannten gehen können. Es wäre ein Betrugder Arbeitgeberin gegenüber gewesen in dem Zustanddle . Stelle anzutreten. 'Vorm<strong>und</strong>: Nach dieser Krankheit habe ich ihr wiedereine Stelle gesucht. Sie konnte bei einer älterenFrau den Haushalt machen <strong>und</strong> auch bei ihr wohnen.Lei~er hat .sie in diesem Haushalt nie einen Fingerge~hrt. S~e h~t zwar dort gewohnt <strong>und</strong> hatte einigeAnfalle durch ~hre Tahlettensucht verursacht. Die Situationwar natürlich unmöglich~ <strong>und</strong> wir mussten siein die Arbeitserziehungsanstalt bringen.Und so kam ich dann wieder in die Anstalt. Mein Verlobtersitzt jetzt wegen Betrug <strong>und</strong> Urk<strong>und</strong>enfälschung.I~h w~re zu solchen Dingen nicht fähig. Es ist sovlel 1m Moment. Es wächst mir über den Kopf.J~tzt bin ich in einer Spannung. Mein Verlobter wirdin den nächsten Tagen entlassen <strong>und</strong> sollte mich dannbesuchen. Ich weiss nicht, was das Beste wäre fürmich. Jetzt habe ich noch an beiden Armen Arthritis<strong>und</strong> brauche Spritzen <strong>und</strong> Fangppackungen. Am liebsten58möchte ich einen Haushalt fUhren. Ich putze l~iden-.schaftlich gern. Mein Mann hat immer gesagt, lC~ selein putzteufel. Etwas mit Haushalt <strong>und</strong> Leuten mochteich tun. Es dünkt mich, es gibt nichts Schöner~s, alsjerr:andem zu helfen. Wenn ich jung.wäre, ~rde let;wieder heiraten. Ich möchte auch Jetzt wleder helraten,nicht wegen dem Sexuell~n, s~ndern w~ge~ de~ Familienleben.Dann würde ich ln melner Frelzelt WlederArztromane lesen <strong>und</strong> handarbeiten. Für das Grosskinddas täte ich gern. Aber momentan bin ich aufeine~ toten Punkt. Wenn ich meine ganze Verwandtsc~aftauf einen Schlag verlieren würde - nichts kö~te.IDlchmehr erschüttern. Höchstens noch, wenn es bel melnerTochter etwas gäbe.Fragen an den Vorm<strong>und</strong>:Frage: "Welches wäre die ideale Lösung für Ihr Mündel?"Vorm<strong>und</strong>: "Ein Fürsorger oder ich selber müssten hauptamtlich<strong>und</strong> ausschliesslich dieser Frau zur Verfügungstehen <strong>und</strong> sie betreuen. Dass das aus finanziellenGranden nicht geht~ ist klar. Nach me~ner ,Meinung ,sollte, sie einen Platz in einer psych~atr~schen Kl~nikfinden. In dieser Atmosphäre fühlt sie sich ~wohlsten kann ihre Leiden pflegen <strong>und</strong> braucht n~chtviel zu ~rbeiten. Aber die psychiatrischen Klinikenwollen sie nicht. Sie ist ein hoffnungsloser Fall~ dernach Meinung der Aerzte gar nicht psych~at~sch beh~deUwerden kann. Sie ist für die psych~atr~schen Khnikenuninteressant. Dazu kommt~ dass sie dort auchUnbeliebt ist weil sie immer intrigiert~ die andern~ ,Insassen gegeneinander aufbringt. Die Aerz~e me~nen~\ sie sei eine Simulantin <strong>und</strong> müsse zur Arbe~t gezwungenwerden. Ich bin der Mein~ng~ sie ,ist eine ~rme•Frau. Böse Menschen gibt es Ja gar n~cht. Neul~ch warich in Indien. Wenn Frau P. dort leben würde, würdesie irgendwo auf der Strasse sitz~n <strong>und</strong> aus B~ätte~Säfte saugen~ die sie betäuben. E~nes Tages ware s~~dann tot. Bei uns hat der Mensch nicht das Recht~ s~chzu Gr<strong>und</strong>e zu richten. Wir wollen human sein <strong>und</strong> sol-59


60~~~nv:~:~Z:~ lU:lfen·bWip vepbieten ihnen den Bettelo s-z-e zu etpeuen Dabei ist ' ,lich hoffnungslos weil ' . , ,e~ Ja e-z-genttesLeben passen. :, s-z-e gap n-z-cht ~.n e-z-n geopdne-Fpage: "Fpau P. ist jetzt im Uebep , ,bald wiedep vöZZi f" gangshe-z-m <strong>und</strong> w-z-pdd g pe-z- se-z-n. Sehen Sie eine Chanceass es diesmal gut geht?" .):orm<strong>und</strong>: ':Wie ich sie kenne.) klappt es nicht. I he vOP me-z-nen Augen schon wi d d'" c sesung. Und weil II e .e~ -z-e nachste Einweinichtmehl' woll:n ~'~ddepn K~-z-dn-z-ken,<strong>und</strong> Anstalten sie.) Wv~ es W-z-e ep d-z-e A~b 't 'hungsanstalt sein." ~- e-z- sepz-z-e-_Fpanz W . .) 55.) "Ich empfind es.) dass ich aZZein bin- <strong>und</strong> zwap saumässig."Jetzt bin ich wieder ein Jahr in der Anstalt. Amnächsten D:mnerstag geh ich he±m - a'lso was heisstheim, ich bin alleinstehend. Eine Stelle hab iCh, .auch eine Wohnung. Sie kostet 320 Franken, mit Küche<strong>und</strong> Duschraum. Die Küche werde ich teilen. Der waraber nicht da, als ich die Wohnung anschaute.Nach meiner ersten Versorgung wurde ich an Familienfestenicht mehr eingeladen. Ich kam mal am S2~tagin ein Restaurant . Da sassen viele Leute <strong>und</strong> der Männerchor.Die übten Lieder, alte, die die Mutter gernhörte. Sagt einer, was ist, warum bist du nicht inSchale, wir sind doch bei deinen Eltern eingeladen.Ich musste dem noch versprechen, dass ich den Elternnicht sagte, dass er es mir verraten hat. Meine Brüderwaren auch da. Ein Bruder lebt jetzt nicht mehr.Er hat sich erschossen. Man sagt immer, in sogenanntbesseren Kreisen da wäre alles gut, nur weil gegenaussen alles so aussieht. Meine Familie gehörte leiderauch zu den besseren Kreisen. Mein Vater war Mitbegründer<strong>und</strong> Verkaufsleiter eines grossen Geschäftes.Er war ein Krarnpfer. Er hat Unmögliches geleistet.War ein Tatmensch. Uebertrieben, der hat 63 Jahre inder gleichen Firma gearbeitet ohne Ferien. Als Bubenmussten wir laufen wie Soldaten <strong>und</strong> singen auf Befehl.Gefehlt hat uns nichts an Schulen oder Kleidern. Abereinen Vater, der mit uns Eisenbahn gespielt hätte,haben wir nicht gehabt. Er war j eden Abend bis 10 Uhrim Geschäft. Und hat dann noch Akten nach Hause gebracht.Die Mutter war eine arme.Als die Eltern tot waren, mussten wir Kinder zur Erbteilung.Ich weiss nicht, ob ich einfach empfindlicherbin als die andern; aber diese Veranstaltung schockiertemich richtig. Zu verteilen gab es ein Haus, die Möbel<strong>und</strong> ein 20-teiliges Meissener-Porzellan. Leiderhat auch ein so grosses Service nur eine Suppenschüssel,<strong>und</strong> meine Schwestern wussten nicht, wie tun, um dieseSchüssel zu erhalten. Schliesslich mussten sie Hälm-61


ehen ziehen. Und dann ging es noch um die Zinnbecher.Jedes Kind hatte von der Taufe her einen Zinnbecher miteingraviertem Namen. Mein Bruder nahm mir meinen Becherweg, weil er gern Zinn hatte. Dabei hatte er doch einePosition <strong>und</strong> hat sich alles leisten können.Ich machte die Primar- <strong>und</strong> 4 Jahre Realschule. Nachherbin ich in die Vorlehrklasse für Holzbearbeitunggegangen <strong>und</strong> habe wich entschlossen, den Schreinerberufzu erlernen. Dann ging ich in die Lehre <strong>und</strong> indie Gewerbeschule <strong>und</strong> habe eigentlich - wie soll ichsagen - Freude gehabt an dem Beruf. Ich war bei denPfadis <strong>und</strong> habe immer gerne gesungen, im Männerchorspäter <strong>und</strong> beim Jodelclub war ich auch. Bin eigentlichein lustiger Kerl gewesen. Dann hatte ich Bekanntschaft.4 Jahre Bekanntschaft <strong>und</strong> dann geheiratet.Dann war ich 9 Jahre verheiratet. 1944 bis 1953.Meine Frau arbeitete auch. Sie war auf dem Büro. Siewar eine tüchtige Frau. Wenn wir Kinder gehabt hätten,hätten wir uns nicht scheiden lassen. Wir habenbeide Fehler gehabt. Sie hatte viele Fre<strong>und</strong>innen <strong>und</strong>ich viele Kollegen, sogenannte. Ich bin den Schwierigkeitenaus dem Weg gegangen - ich meine - mit demTr~nken. Ich habe f~er schon getrunken, geselligkeltshalber.Ich habe aber dort nicht Blauen gemachtoder Schwierigkeiten; aber die Gewohnheit war natürli:hda. Schon ~rend der Ehe wurde ich versorgt.Melne Frau hat mlch angezeigt. In der Schreinereihatte ich vorne alle meine Polituren, <strong>und</strong> hinten hatteich BeaujOlais, Whisky <strong>und</strong> Malaga. Ich habe immerm~ine Wellen gemacht. Ich kann nicht sagen, dass ichnlcht ~earbeitet hätte; aber ich habe unregelmässiggearbel tet •Vormunq: ~t der Verehelichung hat er angefangen zutrinken. Die genauen Gründe sind uns nicht bekannt.Wir wissen nur~ das er mit seiner Frau eine schlechteEhe geführt hat. Er spricht nicht darüber. Nachdemihn seine Frau als arbeitsscheu bei den Behörden ge-'meldet hat~ musste er zum Gerichtsarzt. Dieser schriebdamals~ mein MUndel sei nervös~ erregbar <strong>und</strong> neige62,zu Trunksucht <strong>und</strong> Liederlichkeit.Wir haben uns erst getrennt. Ich bin dann in dieTrinkerheilanstalt gegangen. Zu dieser Zeit lerntemeine Frau den kennen, den sie jetzt geheiratet hat.Sie ist dann in andere Umstände gekommen. Nach derTrennung waren wir nochmals zusanmen. Als ich heimkamaus der Trinkerheilstätte, hatten wir Besuch.Meine 'Frau schenkte da ein <strong>und</strong> dort, <strong>und</strong> zu mir sagtesie, <strong>und</strong> dir, was soll ich dir geben. Mich hatdas blamiert. Das war doch nicht korrekt. Meine Geschwisterhaben mir nie geholfen, im Gegenteil. Alsich wegen des Trinkens angezeigt wurde, sagte mirder Beamte, meine Frau hätte reklamiert. Und als ichnach Hause kam, sagte ich zu ihr, das ist doch derGipfel. Da hat sie sich in ein Zimmer eingesperrt<strong>und</strong> geschrien, sie hätte es auf Anordnung von meinemBruder getan. Es waren verwandtschaftliche Intrigen.Nach der Scheidung wusste ich nicht, was ich wit miranfangen sollte.' Ich ging in die Beiz, lernte Frauenkennen. Aber die, die da rumhocken, sind nicht dieriChtigen. Ich bin jetzt 55. Wenn ich jemanden findenwürde, mit der ich zusammenpassen würde, das wäreschön, dann hätte ich ein Ziel. Aber lieber alleinsein, als unglücklich verheiratet. Ein Fre<strong>und</strong>von mir hat seine Frau verloren. Dann machten wirzusammen Inserate. Die eine, die sich meldete, wargut gestellt. Sie lud mich ein <strong>und</strong> sagte, sie wäreverheiratet, <strong>und</strong> wolle sich auch nicht scheiden lassen,sie wolle nur einen Fre<strong>und</strong>. Was soll ich miteiner solchen Frau anfangen. Eine andere hat mir Kuchen<strong>und</strong> Tee serviert, <strong>und</strong> alles war schön seriös,ich war im Himmel. Dann zügelte ich mein ganzes Zeugzu der Frau <strong>und</strong> habe auch das Geld dagelassen. Dakamen abends Fre<strong>und</strong>innen von ihr. Das war eine Hurereiin dem Haus, das gab mir erst richtig den Bogen.Auch Aerzte waren da - die kommen nie in die Kiste.Ich müsste auch eine grosszügige Frau haben. Diedürfte nicht meinen, ich solle j eden Abend zu Hausesein. Als ich verheiratet war, hab ich da grosse63


..Fehler gemacht. Sie kochte, <strong>und</strong> ich kam nicht, kamganze Nächte nicht. Manchmal hab ich ihr nicht einmaltelefoniert, wenn ich nicht kam.Ich habe schon während der Lehre Feste gebaut. Dochselbst, wenn ich einen sitzen hatte, hab ich am nächstenTag nie gefehlt. Wir besuchten einmal mit denVelos einen Lehrlingskollegen übers Wochenende <strong>und</strong>kamen erst am Montag wieder heim. Ich konnte michnur noch umziehen <strong>und</strong> ging gleich schaffen. Ich habedamals immer gerne gearbeitet. Ich habe speziell aufMöbel gelernt, <strong>und</strong> meine Spezialität war Fertigmachen.Das ist Beizen, Polieren. Der Fertigmacher istder, der es zuletzt in die Hände kriegt. Und dannauch Inneneinrichtungen. Habe in Büros Schreibtische,Bibliotheken <strong>und</strong> Täfer aufgefrischt. Das waren Aufträgefür ein paar Monate. Die wollten mich fest anstellenin der Industrie. Aber ich bin nicht der Fabrikler,ich bin eher der freie Handwerker, der Abwechslunghat <strong>und</strong> Kontakt mit den Leuten. Ich habeeigentlich immer Glück gehabt. Während dem Kriegoder in der grossen Arbeitslosigkeit habe ich nurein paar Tage gestempelt. Ich hatte immer wieder Arbeit.Und später habe iqh mich selbständig gemacht.Das heisst, ich habe auf eigene Rechnung gearbeitet.Später hab ich dann Schwierigkeiten gehabt. LetztesMal, als ich aus der Anstalt kam, hab ich grad miteinem. Schreiner abgemacht: Zimmer <strong>und</strong> Arbeit. Diewussten halt alle, dass ich aus der Anstalt kam. Unddann waren auch so hohe Anforderungen. Das Problembei den neuen Stellen war immer - ich weiss zwarnicht, . ob ich mir das einbildete - aber , wenn man anelnem fremien Ort ist, SpÜl·t man sofort, dass mander Anstältler ist.Ich wohnte bei einer Italienerfamilie . Am ersten Tagwaren sie so komisch, dass ich lieber in die Beiz ge­~gen wäre. Dann kam der Chef <strong>und</strong> sagte, das gingenlcht so. Das war mir dann auch recht. Ich hatte danndas Gefühl, ich wäre denen zu kompliziert. Einmal habeich bei einer Familie gewohnt, die sagten immer,es wäre schade um miCh, wenn ich abends so spät heim-64käme. Das ist so eine Sache mit Familienanschluss.Da, wo ich letztesmal wohnte, wäre ich eingeladengewesen, Fernsehen zu schauen. Hie <strong>und</strong> da bin ichauch gegangen, aber doch nicht immer. Das ist mirzuwider, mich Leuten aufzudrängen. Bei einer Familiewohnte iCh, da war ihr Bruder PfarTer. Da liegtein Brieflein <strong>und</strong> ein Fbto von einem Negerkind aufdem Bett, ich solle zum Bruder beichten gehenj <strong>und</strong>sie würde dann einen Gugelhopf backen. - Ich binFreidenker.Meine wirklich echten, guten Fre<strong>und</strong>e aus dem Aktivdienstsind gestorben. Die Kollegen, die so Jubel,Trubel, Heiterkeit m.achen, die hätte ich am laufendenBand. Aber helfen die einander - im Gegenteil.Die sind ärger als Waschweiber. Einmal bin ich nachder Arbeit in ein Restaurant gegangen. Da war einStammtisch. Da sass einer, der mich gut gekannt hat,nicht nur vom Plausch her, sondern auch vom Schaffen.Der hat mich nicht gesehen, weil ich hinter einemWändli an einem andern Tisch sass. Und der sagte lautzu seinen Kollegen, ich sei doch ein SchafseckeI. Dabeihabe ich dem mal geholfen. Die lachten mich aus,weil ich nicht einmal eine krumme Sache drehen könnte.Vorm<strong>und</strong>: Er wurde überhaupt immer ausgenützt. Erhatte immer Geld~ <strong>und</strong> das wussten seine Kumpanen. Sieüberredeten ihn immer~ sie einzuladen~ ihnen Geld zuleihen oder .zu sohenken. Auoh die Frauen behandeltenihn miserabel <strong>und</strong> wollten nur sein Geld. Einmal mussteich ihn mitten in der Naoht aus einem Park holen.Er war da splitternaokt <strong>und</strong> betrunken. Zwei Hurenhatten ihm alles genommen: die Kleider~ das Geld <strong>und</strong>den Pass.Schwer zu sagen, warum ich immer mehr getrunken habe.Mir hat einmal ein Psychiater gesagt, ein Trinker habees so: Wenn schön Wetter ist, trinkt er, weil erFreude am schönen Wetter hat, <strong>und</strong> wenn es regnet,muss er trinken, weil er traurig ist. Es ist seelischgelagert. Eine Un4ufriedenheit. Man ist nicht mehr65


glücklich. Gerade, als ich nach der Scheidung so alleinin diesen Zimmern hockte. Man hat Feierabend<strong>und</strong> geht abendessen. Für sich allein kocht man janicht. Es kommt mir zu blöd vor, die Wände anzuschauen<strong>und</strong> ein Buch zu lesen - ich wenigstens bin nicht derTyp. Einerseits sucht man Geselligk~it, andererseits -ich will ich Beispiel erzählen: Die Musikkapelle hattehier ein Festlein. Ich war beim Frühschoppen schon dabei,weil ich einige kenne. Es war lustig, wir habengetanzt. Um 4 spazierte ich dann herum. Da fuhr ichmit dem Tram an die Grenze <strong>und</strong> ·traf 2 lustige Burschen,die hatten einen sitzen <strong>und</strong> sangen <strong>und</strong> wolltenein Fest reissen, <strong>und</strong> ich war dabei. Wir gerieten ineinen Keller. Die beiden gingen gerade wieder hinaus.Die waren geSCheiter als ich. Manchmal muss ich michan den Kopf langen - jetzt bin ich in dem Alter <strong>und</strong>manchmal so blöa, wie ein Kind. An meinen Tisch kamen2 jüngere Fräuleins. Und was ich am Schluss bezahlthabe, 75 Franken. Ich weiss heute noch nicht,.ob dieFräuleins mit dem Kellner Fifty-fifty gemacht haben.So etwas merk ich nie.Ich darf gar nicht sagen, wie oft ich schon versorgtworden bin. Das ist eine ganze Kette. Ich bin auch 'immer wieder davongelaufen, man hat mir nur "Pilgrim"gesagt. Ich bin jeweils ganze Wochen weggewesen.Vorm<strong>und</strong>: Zuerst hatte man es mit Trinkerheilanstaltenversu~ht. Keine dieser Behandlungen hat aber etwasgenützt. Die Diagnose der Aerzte <strong>und</strong> Psychiater lautetimmer wieder: chronischer Alkoholismus bei einerpsychopathischen Persönlichkeit. Nach der Scheidungging er freiwillig in eine Heil- <strong>und</strong> Pflegeanstalt.Als auch hie~ kein Erfolg abzusehen wär~ versuchteman es zum erstenmal mit einer ArbeitserziehungsanstaU.Kaum war er dort entlassen~ betrank er sichwieder <strong>und</strong> ging nicht arbeiten. Daraufhin machte manden Versuch~ ihn frei laufen zu lassen. Nach einigerZeit wurde er aber von der Polizei aufgegriffen <strong>und</strong>als liederlich <strong>und</strong> trunksüchtig gemeldet. Seine Angehörigenverlangten darauf eine dauernde Versorgung66bis zu seinem Tod~ einen Antrag~ dem natürli ch nichtstattgegeben wurde. Wir haben schon alle Arten von Anstaltenausprobiert. Das Beste ist wohl ~ wenn wir esimmer wieder mit der Freiheit probieren ~ dann wiederfür eine gewisse Zeit irgendwo versorgen~ dann wiederein paar Monate Freiheit uSW. : Ein Hin- <strong>und</strong> HerpendeZnzwischen verschiedenen Anstalten <strong>und</strong> der Freiheit.Mein Mündel hat oft Depressionen. Darum wiLl er auchgar nicht vom Alkohol ablassen. Der Arzt sagt, die Psy-' chopathie sei heute ausgeprägter als der AlkohoZismus.Er äussert auch oft Selbstmordgedanken.Ich bin nicht der richtige Typ, darum bin ich immerversorgt. Ich habe vor allem Angst . Einmal musste ichzu einer Untersuchung ins Spital. Da musste ich einenSchlauch mit einem Lämpchen schlucken. Ich konnte esnicht, habe mich so geschämt, bin grad verschw<strong>und</strong>en ,verreist. Dann ging ich freiwillig in die Nervenklinik.Vor Weihnachten war das, <strong>und</strong> ich sollte ein paar Tageoben verbringen, <strong>und</strong> mich erholen <strong>und</strong> auffangen. Ichhabe gedacht, das ist recht. Aber wenn man nicht geisteskrankist <strong>und</strong> den Tag über unter normalen Leutenist <strong>und</strong> arbeitet, <strong>und</strong> abends muss man wieder in dieKlinik •.• das kann sich nur einer vorstellen, der' smitgernacht hat.Die jetzige Versorgung ist nicht wegen unregelrnä.ssigemSchaffen. Da war ein Dorffest. Da bin ich von der Nervenklinikauch an das Dorffest. Habe mir erlaubt, erstam andern Tag heimzukommen, was H<strong>und</strong>erttausend auch machen.Da in dem Dorf, wo ich alle Leute kenne, bin ichin die Dorfbeiz gegangen, die sie draussen aufgestellthaben. Es hat mir gepasst. Aber das war natürlich die. Hausordnung überschritten. Dann kam ich auf die AbteilungF. Das ist das Schlimmste vom Schlimmen. Dort hates einen, der schreit von morgens bis nachts Hugp, Hugp;der andere fängt Vogel, wo keine sind. Der Arzt fand,das wäre nicht richtig für miCh, er könne mit mir nichtsmachen. Sie haben wir auch noch in alle Kleider den Namengenäht. Da kann man ja nirgends den Mantel p,ufhängen,ohne dass man den Namen auf der eingenähten Kli-67


nik-Plakette sieht. - Der Vorm<strong>und</strong> fuhr dann mit mir indie Arbeitserziehungsanstalt. Ich sollte wieder einJahr bleiben. Im Januar hatte ich Urlaub von der Anstalt,traf den nicht, den ich treffen sollte. Da hates mich verjagt. Ich wollte nicht mehr in die Anstalt.Am ersten Abend blieb ich in der SBB-Kantine wo dieZugführer sind. Am zweiten Abend war ich zu ~de ichbin nicht mehr 20., Da ging ich auf den Posten. D~ kamich zurück <strong>und</strong> kriegte ein halbes Jahr länger. Die saheneinfach nur, dass ich versumpft bin. Von den Gründenwissen sie nichts. Ich will nicht mehr so leben' , ,lmmer ln Anstalten. Ich habe weder zu Fürsorgern nochPSYChiatern Vertrauen. Einmal, als ich noch verheiratetwar, kam ein ~lrsorger nach Hause, von einer staatlichenStelle. Er kam in die Bude <strong>und</strong> hockte auf denHobelbank. Er sagte, er sei mein Fre<strong>und</strong>. Ich musste lach~n<strong>und</strong> fand ihn einen lustigen Kerl. Aber da9 war nurselne Masche, sonst machte er nichts. Und die Psychiater,denen kann man nicht von den Problemen <strong>und</strong> Aengstenerzählen, sonst kriegt man das Abonnement für dieNervenklinik. Die Klinik ist so grass <strong>und</strong> besetzt mitsoviel Leuten. Ich habe da Puppenstuben, Spielwarengemacht. Da kommt wieder mal zwischendurch ein Arzt<strong>und</strong> der fragt, wi~ es ~ht. Ich sage, es geht so, sagter, dann machen Sle welter so. Und wenn ich sage, esgeht schlecht, so sagt er, es kommt schon wieder besser.Anno 59 wurde ich bevorm<strong>und</strong>et. Dort war ich ein ganzd~er Kerl. Ich ging zur Vorladung. Da hatte der soelnen Fackel auf dem Schreibtisch <strong>und</strong> sagte, ich solle~en un~erschreiben. Freiwillige Bevorm<strong>und</strong>ung. Da fragteleh, llegt etwas gegen mich vor, oder klagt jemand?S?hulde ich jemandem etwas? Er sagte, sie müssten zu~r s?hauen, bevor ~ch im Strassengraben läge. Und wennlch nlcht unterschrlebe , dann sähen wir uns in der Anstaltwieder. Ich sagte, ich sähe mich gezwungen, ein~nAnwalt zu nehmen. Wir gingen vor Zivilgericht. Dahless es, man wOl~e mich nicht plagen, sondern nUr helfen.Nach der Gerlchtsverhandlung wollte mein Anwaltappellieren. Da sagte ich zu ihm, was nützt das, das68gibt nur noch mehr Kosten. Die widersprechen doch ,nichtdem Bezirksgericht. Der Anwalt sagte, ~s Ap~elatlons ­gericht wäre sowieso überlastet, das glnge ~nd~stensein halbes Jahr> bis die für meinen Fall Zel~ hatten.Ich solle mich in dieser Zeit gut halten, .. kelnen ~lauen<strong>und</strong> nichts, damit die keinen Gr<strong>und</strong> mehr hatt~n, ffilC~ zubevorm<strong>und</strong>en. Es lag an mir. Vor das Appellatlon~gerlchtkarnen dann viele Zeugen. Mein ehemaliger ~hrmelste::<strong>und</strong> mein Vater mussten aussagen. Das,Urtell des Bezlrksgerichtswurde auf weiteres Verhalten hin sistiert. Dahab ich eine Welle gemacht, eine ziemlich dicke. Un~habe Leute eingeladen <strong>und</strong> habe Freude gehabt. Denn lchhätte nie geglaubt, dass wir siegen würden. Ich habe,gedacht, ich wäre sicher wieder der Nege~. Ga~z ehr~lch- ich hab eine Riesenwelle gemacht. Als lch elnen Sltzenhatte, rief ich eine Dame von der Fü~sorge a~, umein bisschen mit ihr zu plaudern, denn Sle war,ffilr,ganzsympathiSCh. Sie kam auch sofort ,<strong>und</strong> brachte mlr ~lneTierzeitschrift mit <strong>und</strong> redete ffilr gut zu, doch e~nbisschen Bildchen zu schauen <strong>und</strong> zu l~sen, ~tatt,lmmerzu trinken. Ich habe gelacht <strong>und</strong> gemelnt, Sle melne ~sja noch gut. Dabei hat sie mich , dann hereing~legt. Slesagte nämlich, wenn sie dem Gerlcht melde~ wur?e, ~ssich wieder einen Alkoholrückfall hätte, wurde lch e~nengerichtlichen Vorm<strong>und</strong> auf mindestens 5 J~re krlegen.Darum solle ich jetzt besser unterschrelben ~dfreiwillig einen Vorm<strong>und</strong> beantragen. Ich Dummer m~lnte,das wäre so<strong>und</strong> habe unterschrieben. Der Obergerlchtspräsidents~gte mir dann, i?h hät~e daS,nicht ~te~schreibenbrauchen. Ein Gerlcht wurde eln Urtell nlchteinfach umwerfen wegen einer Welle. Aber da war esschon zu spät, ich war bevorm<strong>und</strong>et.Ich komm jetzt raus. Punkto Arbeit werd ich scho~ zurechtkommen.Ich geh dann vielleicht später zu elnemandern Arbeitgeber, damit ich nicht mehr von der An- ,stalt komme. Aber das Wohnen macht mir Sorgen. Wenn lcheine Frau hätte oder einen Kameraden, der Fehler toleriert,<strong>und</strong> dem man alles sagen kann. Kollegen - sol~geman Geld hat hat man viele Fre<strong>und</strong>e. Aber wenn es elnemdreckig geht'durCh Selbstverschulden oder missbrauchtes69


Vertrauen, ist man allein. Auch sollten die Leute einbisschen mehr menschliches Verständnis haben. Versuchen,solchewie mich zu tolerieren. Nicht nur immerverurteilen. Das ist schwer. Wenn ich jetzt nicht insolche Sachen hineingerutscht wäre, wäre ich der gleicheoberflächliche Kerl, wie die grosse Allgemeinheit.Wenn ich Gitter sehen würde <strong>und</strong> Anstalten <strong>und</strong> hättenie damit zu tun gehabt, würd ich denken, wegen Fussschweisssitzt doch keiner. Das sind doch alles Verbrecher,Gauner, Betrü~r.Letzthin ging ich mit dem Anstaltsleiter hier zu seinerTochter. In der Wohnung etwas machen. Mir wärerecht, wenn ich alle Samstage in so eine 'Familie kämemit Kindern, schon nur allein der Milieuwechsel. Ichmöchte alles zusammen in der Welt, nur nicht wiederin Anstalten. Und lieber allein, als in der Anstalt.Es ist nicht leicht zu sagen, was für mich das Bestewäre. Als mich der Vorm<strong>und</strong> beim letztenmal in die Anstaltbrachte, ging ich ihm unterwegs davon. Ich möchtenicht, dass ich nochmal hierher komme. Ich möchtejetzt wirklich mal eine Aenderung. Ein Fürsorger sagtezu mir, ich sei das Opfer meiner Art, sei wie ein Fussball.Bald schickten sie mich in die Psychiatrische<strong>und</strong> dann wieder an einen' andern Ort. Dabei hab ich janie Schulden gemacht. Selbst die Anstalt wird von meine~Geld bezahlt, vom Erbe. Hoffentlich hab ich jetztbel der Entlassung Schwein. Aber die Leute wissen natürlich,dass ich Anstältler bin. Die denken sicherwiede:, ich h~tte Dreck am Stecken. Es macht mir Angst.Ich bln auf elne Art schwermütig. Ich trinke mir nichteinen Rausch an, um auf der Strasse herumzutorkelnoder Krach <strong>und</strong> Schlägereien zu machen. Das ist nichtmeine Art. Ich empfind es, dass ich allein bin <strong>und</strong>zwqr saumässig. Und gegen das nützt keine Versorgereietwas - im Gegenteil. Wenn ich Vorm<strong>und</strong> wäre, würde ichversuchen, mich überhaupt nicht als Fall zu sehen, sondernals Mensch. Die menschlichen Beziehungen so gutwie möglich pfle~n, <strong>und</strong> Versorgungen umgehen.70Fragen an den Vorm<strong>und</strong>:Frage: "Was versprechen Sie sich bei Ihrem Münde Ivon der Arbeitserziehungsanstalt?"Vorm<strong>und</strong>: "Wenn ich ihn nachts um 3 bringe, dreckig<strong>und</strong> betrunken, nehmen sie ihn auf ohne zu schimpfen,baden ihn <strong>und</strong> geben ihm ein Bett <strong>und</strong> Kleider. Wokann ich sonst mit ihm hingehen, wenn er wieder ineinem schauderhaften Zustand ist? Trotzdem tut esmir immer leid, ihn zu versorgen, weil er so unglücklichist. Die Versorgungen hängen mir sogar zum Halseraus. Aber die Freiheit ist für ihn auf die Längeeinfach unmöglich, weil er sich körperlich <strong>und</strong> geistigruiniert. Er ist ja auch in der Freiheit u~glücklieh.Er hat ja jetzt schon wieder Angst vor se~nerEntlassung aus der Anstalt. Er hätte sich schon langdas Leben genommen, wenn er nicht auch davor Angsthätte. Die Freiheitsversuche sind ausserdem sehr kostspielig.Das Zimmer muss zum voraus bezahlt werden,Kleider braucht er, die er dann wieder verliert, dannkommt er -immer Taschengeld holen, das er verliert oderverbraucht. Das alles konnte bis jetzt von seinem Erbebezahlt werden. Auch die Anstalt. Die Anstaltskostensind aber wesentlich kleiner, als die Kosten, die erin der Freiheit verursacht."Frage: '''Ist die Anstalt die aUereinzige Möglichkeit?"Vorm<strong>und</strong>: "Er müsste jemanden haben, der den ganzenTag über mit ihm zusammen wäre, dann ginge es vielleicht.Jüngere Leute, die sich für einen ~tmenscheneinsetzen, könnte man noch finden, doch Junge akzeptierter nicht. Es müsste also jemand in seinem Altersein. Und die Person ist nicht zu finden. Ein Mensch,der sich total einer Betreuung hingibt, Tag <strong>und</strong> Nacht,existiert nicht. Unsere Gesellschaft ist für solcheFälle total ohnmächtig. Ich habe Kapazitäten der Sozialwissenschaft<strong>und</strong> der Psychiatrie nach Ratschlägengefragt. Keiner konnte mir helfen. Ich habe auch persönlichsehr viel Zeit mit ihm verbracht. Im letztenJahr 38 Samstage. Es hat nichts genützt. Ich habe ihn71


auch zu mir nach Hause genommen. Aber ich habe dochnoch andere Fälle ausser ihm, ich kann ihm nicht meineganze Zeit opfern. Und die Leute, die mehr Zeithätten als ich, Witwen zum Beispiel, die gehen liebeFmi~ ihFen FFe<strong>und</strong>innen ins Cate, als sich mit einemSäufer <strong>und</strong> Psychopathen rumzuschlagen.In der Anfangsphase während seiner Ehe hätte manvielleicht noch etwas machen k8nnen. Damals war ernoch willig, sich zu bessern. Heute ist es vorbei.Ich muss ihn immer wieder versorgen; ich kann ihndoch nicht in die Vepwahrlosung treiben lassen. WennJemand eine bessere Idee hat, kann er den Fall mopgenübernehmen, ich wäre sehr glücklich über Jedebessere M8gZichkeit."Nachwort von Nationalrat Dr. Andreas Gerwig72f·


Die unfreiwillige Anstaltsversorgung stellt einensehr starken Eingriff in die persönliche Freiheitdes einzelnen Menschen dar. Umso erstaunlicher istes, dass noch heute, im Jahre 1974, die VersorgungMündiger in einer grossen Zahl von kantonalen Erlassengeregelt ist, die vollständig uneinheitlichsind. Es gibt viele Kantone, in welchen die sogenanntadministrative Versorgung den Vorschriftender Europäischen Menschenrechtskonvention nichtentspricht, obwohl diese Konvention nur Minimalvorschriftenaufstellt. Die Gesetze datieren meist auslängst vergangenen Zeiten <strong>und</strong> sind nie angepasstworden. Andere Kantone haben wohl bessere Regelungen,der Rechtsschutz durch den Richter fehlt aber,so dass auch hier oft Menschen auf keine rechtsstaatlichenSicherungen zählen können, obgleich geradesie als Aussenseiter der Gesellschaft daraufangewiesen wären. Immerhin sei betont, dass es auchKantone gibt, die eine rechtsstaatlich einwandfreieRegelung aufweisen <strong>und</strong> die damit Druck ausübten,solche Bestimmungen für das Gebiet der ganzen Schweizdurchzusetzen. Das neue Versorgungsrecht, auf welchesnoch eingetreten wird, nimmt den Kantonen diegesetzgeberische Kompetenz über die AnstaltsversorgungMündiger in Heime <strong>und</strong> Kliniken. Unbefriedigendauch für die Zukunft wird aber die Tatsache sein,dass es nur wenige geeignete Anstalten gibt, die garantierenwürden, dass die rechtsstaatlich letzteMassnahme der Versorgung auch tatsächlich zum see=lischen, körperlich aufbauenden Wohl des Versorgtenausgenützt wird. Zu sehr mahnt der Vollzug von administrativVersorgten noch an die Einweisung in Gefängnisse,obgleich der Einweisungsgr<strong>und</strong> ja nie einDelikt ist.Der neu vorgesehene Art. 397 a des Zivilgesetzbuchesnennt zwar ausdrücklich die "geeignete Anstalt" alsVoraussetzung der Einweisung. Es ist zu befürchten,dass die "geeigneten" Anstalten, speziell im Hinblickauf die Finanzknappheit des B<strong>und</strong>es <strong>und</strong> der Kantone,ebenso fehlen wie dies im Strafvollzug der Fall ist.75


Es ist eine alte Tatsache, dass jene, die sich füreine humane Behandlung von Aussenseitern einsetzen,in Parlamenten <strong>und</strong> bei Behörden nicht über die nötigeRückendeckung verfügen, um finanzielle Anliegen durchzusetzen.Es wird eben vielfach übersehen, dass dieAchtung vor einem Lande vor allem davon abhängt, wiees jene Menschen behandelt, die sich aus den verschiedenstenGründen im modernen Staate nicht mehr zurechtfinden·<strong>und</strong> dadurch die Verhaltensnormen oder die Gesetzeverletzen. Wenn sich die bessere Einsicht einmaldurchgesetzt haben wird, dann wird die Zahl jener,die fürsorgebedürftig sind, die Zahl jener, vor vlelchenwir Schutz brauchen, zurückgehen.1. Versorgte sind Menschen wie wirWenn wir die Interviews von <strong>Vreni</strong> v.Tächter genau betrachten,begegnen wir in allen Fällen wesensverwandtenSchicksalen, ob nun die Versorgten alt oder jung,weiblich oder männlich sind. Es sind vor allem einmalMenschen, die im Gegensatz zu uns "norrralen" vollSchwächen sind, Schwächen, die nicht plötzlich übersie hereingebrochen sind, sondern Fblge sind einermeist stark belasteten Jugend in zerrütteten Verhältnissen.Früher, bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegeshinein, hatten es solche Menschen vielfach leichter.Wenn vor 30 Jahren ein Mann in der Gegend herumvagab<strong>und</strong>ierte, bei dem einen oder andern Haus um Gelegenheitsarbeitfragte, tolerierte man ihn, liessihn Besen binden, Kessel flicken oder Kirschen lesen<strong>und</strong> liess ihn dann mit seinem LDhn verschwinden, biszum nächsten Jahr. Vielen von diesen alten Vagantenpassiert es heute, dass sie abgewiesen werden. Manbraucht sie nicht mehr, zu sehr ist unser Staat reglementiert<strong>und</strong> geordnet. JIITan sucht nur noch zuverlässigeArbeitSkräfte, dreckige, verstinkte, arbeitsscheueMenschen wirken suspekt <strong>und</strong> gefährlich.Die meist unverbesserlichen <strong>Arbeitsscheue</strong>n, die vonder Hand in den M<strong>und</strong> leben, nehmen daher immer nochviel Platz in unseren Arbeitserziehungsanstalten ein.76Sie sind häufig schwere Alkoholiker, sind körperlichoder geistig geschädigt. Es fehlt ihnen die Fähigkeitzur Beharrlichkeit, die Voraussetzung der Einordnungin feste Lebensformen. Sie haben sich an ein unstetesLeben gewöhnt <strong>und</strong> empfinden nur Verachtung für einenalltäglichen, für sie eintönigen Lebensgang. Für solche,wie man sie nennt, "asoziale Elemente" ist dasAnstaltsleben ein Graus. Es ist auch sinnlOS, weildiese Menschen ihren Lebensstil wieder aufnehmen, sobaldsie auf freiem Fuss sind. Aeltere Jahrgänge, dieschon manche Anstaltsjahre hinter sich haben <strong>und</strong> immerwieder neu eingewiesen werden, müssen gar mit einerVersorgung auf unbestimmte Zeit rechnen.Eine andere Art der Versorgten sind diejenigen, dieunter sich selbst leiden, die nicht zurechtkommen mitden Anforderungen, die das Leben an sie stellt. Essind oft Menschen, die an sich selber verzweifeln <strong>und</strong>nicht mehr wissen, was sie mit sich anfangen <strong>und</strong> wohinsie gehen sollen. Sie kommen häufig freiwi~lig indie Anstalt, fühlen sich hier relativ geborgen. Siekommen vor allem im Spätherbst <strong>und</strong> richten sich hierein, um den Winter gut zu überleben. Hier wird zuRecht an den Staat die Frage nach anderen Möglichkeitengestellt, welche di~sen Menschen zu bieten wären .Immer wieder sind aber auch junge Versorgte in denArbeitserziehungsanstalten anzutreffen. Ihre Zahlsteigt im Gegensatz zu den beiden ersten Kategorien.Unsere beiden 22~ <strong>und</strong> 27-3ährigen Interviewten sindsolche Fälle. Sie gehören zwar nicht zu den Jüngstenin den Anstalten. Schon 17-, 18-jährige werden versorgt.Sie kommen aus den verschiedensten Familien,weigern sich oder sind unfähig, einem Beruf nachzugehen,sind oft "ausgeflippt" <strong>und</strong> haben Erfahrungen mitDrogen. Sie gelten nicht als hoffnungslos, sondernals erziehungs fähig <strong>und</strong> werden deshalb meist für längereZeit in eine Arbeitserziehungsanstalt eingewiesen.In diesen Anstalten werden sie zu Dis~iplin angehalten<strong>und</strong> lernen arbeiten. Sie werden im Stall, inder Landwirtschaft, in der Schreinerei oder Schneidereieingesetzt. Eine von ihnen gewünschte Berufslehre,77


die für ihre Zukunft entscheidend sein könnte, könnensie meist nicht absolvieren, da die Möglichkeiten inAnstalten häufig nicht vorhanden sind. Für diese Jungenist eine Arbeitserziehungsru~stalt der bisherigenArt alles andere als geeignet. Denn hier sind sie mithoffnungslosen Fällen zusammen, statt Anregungen <strong>und</strong>einer gezielten Sozialtherapie erhalten sie schlechteVorbilder <strong>und</strong> Arbeitsdrill. Nur wenige Glücklichewerden therapeutisch behandelt <strong>und</strong> haben dann einegrosse Cha~ce, ihrem sonst sicheren Schicksal zu entgehen.Als Ursachen der Versorgungsbedürftigkeit werden inden verschiedenen Gesetzen "Arbeitsscheu" <strong>und</strong> "Liederlichkeit"angeführt. Niemand weiss, was diese Sammelbegriffeeigentlich bedeuten. Einige Kantone habenpräzisiert, nennen etwa "Bettelei", "Landstreicherei","Vernachlässigung der Familie", !!Widerspenstigkeit ge-.gen den Vorm<strong>und</strong>" oder "unsittliches Betragen" als Versorgungsgründe.Meist spielt das Geld, eine Rolle. SobaldSchulden gemacht .werden, die Familie von der öffentlichenHand unterstützt werden muss, schreitetdie Behörde ein. Oft sind es auch Familienangehörige,die die Fürsorge um MBssnahmen bitten. Administrativ. Versorgte sind aber nicht einfach Bettler, Widerspenstigeoder unsittlich, ihnen fehlt die Fähigkeit <strong>und</strong>die Mdglichkeit, sich in unserer Gesellschaft einzupassen.Sie sind nicht fähig, sich den Normen anzupassen.Sie werden in eine Anstalt gesteckt, weil siedort nicht mehr stören, die Gemeinde, den Vorm<strong>und</strong> oderdie Familie nicht ärgern. Sie werden in einen Lebensrahmengesteckt, der aber ihren Bedürfnissen alsMensch nicht gerecht wird. Mit Ausnahme derjenigen,die freiwillig in die Anstalt kommen leiden administrativVersorgte unter dem Anstaltsleben, leiden unterdem Freiheitsentzug, der strengsten der behördlichenMassnahmen derart, dass sie den Weg in ein menschenwürdigesDasein nicht mehr finden, wenn sie entlassensind. Wir kennen Fälle, wo Menschen jahrzehntelangversorgt blieben, obgleich dies nicht nötig gewesen,obgleich andere, therapeutische MBssnahmen78diesen Freiheitsentzug erübrigt hätten.Die 27-jährige ]Vfaria M. etwa hätte das Schicksal derVersorgung nicht verdient. Ihr Leben entschied sichnach der Scheidung ihrer Eltern. Ihr Vorm<strong>und</strong> weistselbst auf die wenig sinnvolle Art der Versorgung ineiner Anstalt hin <strong>und</strong> bedauert, dass gut ausgebildeteFürsorger fehlen. Mit seinen 40 komplizierten Mündelnist er auch überfordert. Ein Fürsorger hätte zweifellos'dafür gesorgt, dass der Versuch der Plazierung ineiner Familie gewagt worden wäre, er hätte sich zweifellosauch eingesetzt, um einen für sie geeigneterenArbeitsplatz als das Restaurant zu finden, auch mitihr passenden Arbeitszeiten. Das letzte Mittel derVersorgung erscheint in diesem Falle als falsch. Nachder Scheidung spätestens hätten therapeutische ]Vfassnahmeneingeleitet werden sollen. Heute wird es schwierigsein, ihr wieder Halt <strong>und</strong> Hoffnung zu geben. Alssie wegen eines kleinen Deliktes vor Gericht war, versuchteder Richter, dem Vorm<strong>und</strong> die Versorgung, auszureden.Er war leider erfolglos. Es kann kein Zweifelbestehen, dass für sie bessere Möglichkeiten als dieAnstalt gesucht worden wären, wenn sie auf Gr<strong>und</strong> einesAntrags wegen Versorgung vor den Richter gekommen wär e.Hans K., dem 22-jährigen Versorgten, ist es ähnlichgegangen. Auch er litt unter schlechten Voraussetzungen.Die Mutter war krank, der Vater ein Trinker. Vonrichtiger Erziehung konnte nicht gesprochen werden.Dies fLihrte dazu, dass Hans K. verweichlicht, verwöhnt<strong>und</strong> arbeitsscheu wurde . Nur charakterlich starke Menschenhätten seinem Schicksal entgehen können, oderaber jene, denen in geeigneter Fbrm vom Staat geholfenworden wäre. Es genügt eben nicht, gerade für Junge indiesem Alter, wenn der Vorm<strong>und</strong> von regelmässigem ArbeitszwangspriCht <strong>und</strong> eine Disziplinierung in einerArbeitserziehungsanstalt vorschreibt, dies, wie erselbst anführt, in "relativer Schnelle" . Diese Schnelligkeitlohnt sich für die Gesellschaft weder finanziellnoch menschlich: Hans K. wird unserem Staate immerzur Last fallen. Mit geeigneter therapeutischerBetreuung durch Fürsorger wäre die Möglichkeit gegeben79


gewesen, Hans K. in unsere Gesellschaft zu integrieren,vielleicht nicht auf so raschem Wege. Der Vorm<strong>und</strong>hat den Versuch gar nicht erst gewagt, vielleichtnicht gewollt, weil er Therapie für eine J.Vbdeströmunghält <strong>und</strong> weil wohl geeignete Erziehungsanstalten injener Gegend überhaupt gefehlt haben. Auch hier wiedereine verpasste Chance.2. Wann greifen Behörden zu Massnahmen der Versorgung?Echte Betreuung von Gefährdeten ist eine der schwerstenAufgaben, die jedem Staate gestellt ist. Es istdie Pflicht des Staates, diese Aufgabe richtig zu erfüllen.Versorgen heisst eigentlich "fürsorgen" • Bevordie letzte noch verbleibende Möglichkeit der Fürsorgeausgeschöpft ist, darf es nicht zur administrativenVersorgung im Sinne des Geset zes kommen. Die An~staltseinweisung dürfte erst möglich sein, wenn alleanderen Möglichkeiten durchgespielt <strong>und</strong> erschöpft sindGewiss gibt es Fälle, bei denen niemand mehr weiterkorrmt,weder die Fürsorge, Therapie noch der Vorm<strong>und</strong>oder der Betroffene selbst. Dies sind dann Fälle, beidenen alle Beteiligten, auch das Mündel, froh um dieAnstaltsversorgung sind:' Hier ist dem Versorgten nurauf diese Weise zu helfen. Es gibt aber andere Fälle.Fälle, bei denen die Behörden viel zu rasch mit denFormeln "Arbeitsscheu" <strong>und</strong> "Liederlichkeit" Versorgungsgründefinden. Viel zu rasch sind sie froh, ihnenlästige Menschen in die ArbeitserziehungsanstaltunterZUbringen. Die meisten Versorgungen stützen sichauf das Vorm<strong>und</strong>schaftsrecht, sind al~o von der Vorm<strong>und</strong>schaftsbehördeauf Antrag des Vorm<strong>und</strong>es beschlossenworden. Wenn der Vorm<strong>und</strong> als Amtsvorm<strong>und</strong> ungefähr200 Mündel betreut, kann man es ihm nicht einmal übelnehmen,wenn er sich für den Einzelfall nicht volleinsetzt, keine Zeit findet, sich um weniger einschneidende,aber intensivere Massnahmen zu bemühen.Ein Laienvorm<strong>und</strong> mag mehr Zeit haben, doch ist ermeist ein Bürger in guter Stellung, der sich noch niemit der Problematik eines Aussenseiters befasst hat.80Er ist auf Gr<strong>und</strong> sei ner eigenen Erfahrung völlig ungeschult<strong>und</strong> nicht in der Lage, ohne sein Verschulden,di e Sorgen, Nöte <strong>und</strong> Probleme seines MündelsÜberhaupt zu verstehen. Ratlosigkeit bedrängen oftdie Vormünder, sie müssen versagen <strong>und</strong> spüren das .auch, wie et wa der sehr menschl iche Vorm<strong>und</strong> von JohannP. Dieser Vorm<strong>und</strong> hätte so gerne etwas getan,wenn er dazu in der Lage gewesen wäre . Er sah ein,dass. die Versorgung nichts hilft, im Gegenteil schadet,aber was sol lte er tun? Sein Interview, in demer damit endet, dass "etwas" da sein sollte, wo dieseMenschen nicht l eiden müssen, ist ein Notschrei anden Staat, <strong>und</strong> di e Gesellschaft, die versagt haben.Weniger verständnisvolle Vormünder verweisen rechtoft auf die sittliche Pflicht zur Selbsterhaltungdurch Arbeit, wer nicht arbeite <strong>und</strong> somit seiner Fawilieoder der Oeffentlichkeit zur Last falle, habekeinen Anspr uch mehr auf per sönliche Freiheit <strong>und</strong> aufi ndivi duell e Betr euung. Diese geben recht eigentliChi hr e Mündel auf.Häufig führt die Verarmung, oft dawit verb<strong>und</strong>en diefinanziel le Vernachlässigung der Fawil ie, zur Versorgung.Viel e Fürsorger gehen daher dem eigentlichenGr<strong>und</strong>übel nicht auf die Spur, es erscheint ihnen vorersteinmal wi Chtiger, dafür zu sorgen, dass dieseVer armung wegfällt. Dies ist aber nie der Fall, wenndas Mündel in eine Arbeitserziehungsaristalt eingewiesenwird, weil die Erfolgsquote dort sehr gering ist.Die materiel le Unterstützung Verarmter ist nur eineäusserl iche Aufgabe der Fürsor ge, es müssen die Gr<strong>und</strong>übel,die Haltl osigkeit, das mangelnde Selbstvertrauendes Mündels, der f ehl ende Lebenssinn, die Angst vorder Gesel l schaft bekämpft werden. Im übrigen ist dieVerarmung oder die materielle Gefährdung der Familiean si ch noch kein Ver sorgungs gr<strong>und</strong>. Ein für den Staatsehr t eurer Aufenthal t in Arbeitserziehungsanstal teni st l ängst keine Garantie für ein gutes Resul tat.Viele Entlassene wandern von Anstalt zu Anstalt, häufigam Schl uss noch in Gefängnisse, wenngleich dieAnst alten Erfol gsquoten von 60% nennen . Auch Familien-81


konflikte sind selten durch Versorgung zu lösen. EineTrennung der Ehegatten für eine bestimmte Zeit istzweifellos dem Freiheitsentzug des "Ernährers" vorzuziehen,denn in einer Anstalt ist für die Familienichts zu verdienen. Die vorgesehene neue Gesetzgebungwird vielleicht mithelfen, die Versorgungs fällezu reduzieren <strong>und</strong> die Betreuungsfälle zu intensivieren.Die bereits seit Jahren laut gewordene Kritik an Einweisungsbehörden<strong>und</strong> Anstaltsleitern hat dazu geführt,dass die zuständigen Organe sich mehr <strong>und</strong> mehr mitSinn <strong>und</strong> Zweck der Versorgung beschäftigt haben. Dievielen kritischen Stimmen haben bei den Behörden, Fürsorgern,Vormündern <strong>und</strong> Anstaltsleitern verschiedenesbewirkt. Die einen haben Fehler eingesehen <strong>und</strong> ihreHaltung <strong>und</strong> Praxis verändert. Die andern aber - <strong>und</strong>sie sind zahlreich - reagierten mit Abwehr auf alleVerbesserungsvorschläge. Langfristig hat aber die Kritikgenützt, weil dadurch auch der Gesetzgeber ermuntertworden ist, etwas zu tun. Die von den eidgenösischenRäten beschlossene Ratifikation der EuropäischenMenschenrechtskonvention hat die Gesetzgebungweiter beschleunigt, das neue Versorgungsrecht sollteEnde 1975 durchberaten sein. Dies gibt auch einerneuen Betreuergeneration, die auf dem Gebiete der Behandlunggefährdeter Menschen spezialisiert ist, einegrosse Chance. Sie wird sich bereithalten müssen, denBehörden, Vormündern <strong>und</strong> Anstaltsleitern fachk<strong>und</strong>igbeizustehen. Sehr oft ist es, wie schon erwähnt, nichtschlechter Wille der FürsorgesteIle, sondern Ungeschicklichkeitdieser Organe, die zu Missständen <strong>und</strong>voreiligen Versorgungen geführt hat. Vorm<strong>und</strong>, Betreueroder Anstal tsleiter zu sein, gehört fachlich zumschwersten, was einem Menschen auferlegt werden kann.Die Fähigkeit hiezu fällt nicht vom Himmel, sondernsie muss erlernt sein, gründlicher wohl, als jederandere Beruf. Auch die neue Gesetzgebung wird es derstaatlichen Behörde nicht ersparen, die Ausbildungsolcher Betreuer zu intensivieren. Nur dann wird einemoderne Gesetzgebung auch etwas nützen. Hinter den82"verstockten Asozialen", den "<strong>Liederliche</strong>n", "<strong>Arbeitsscheue</strong>n"<strong>und</strong> "Trunksüchtigen" steht neben dem persönlichenVersagen auch die schlechte Erfahrung mit derFamilie, mit der Gesellschaft, mit der Umwelt. Frühschon, häufig als Kind, entsteht für diese Menschenein negatives Bild. Diese Hintergründe zu erkennen,zu behandeln <strong>und</strong> zu korrigieren durch neue positiveErlebnisse ist Aufgabe eines jeden Betreuers.3. Statt F~eiheitsentzug ande~e MassnahmenEs wird Aufgabe der neuen Betreuergeneration sein,die Versorgung nur als letztes Mittel einzusetzen <strong>und</strong>vorher andere Massnahmen zu treffen. Interesse an einergeregelten Arbeit ist nur möglich, wenn der Berufdem Interesse des Betreuten entspricht <strong>und</strong> von ihmselbst gewählt <strong>und</strong> erlernt werden kann. Das ist heuteselten der Fall. Es gibt nichts schlimmeres"als einenjungen, erziehungs fähigen Menschen einzusperren<strong>und</strong> ihn später als Ungelernten wieder zu entlassen.Es wird nötig, wenn auch nicht einfach sein, solchenMenschen eine Lehre ausserhalb einer Anstalt zu ermöglichen,eine Lehre, während welcher sie intensivbetreut werden müssen. Es ist etwa an therapeutischeWohngemeinschaften zu denken oder an private Lehrmeister,die vorher zu schulen wären. Bei Notwendigkeitvon Anstalten wären offene Anstalten zu schaffen, inwelchen den Zöglingen Gelegenheit geboten wäre, täglichausserhalb der Anstalt zu arbeiten <strong>und</strong> abendserst wieder zurückzukehren. Solche offene Arbeitsanstaltenkönnten auch ambulante Beratungsstellen einrichten,welche Ge_fährdeten zur Verfügung gestelltwürden. Für nicht mehr erziehungs fähige ältere Gefährdetesind Arbeitserziehungsanstalten sinnlos, offeneAmbulatorien wären vorzuziehen, unterstützt durch ge~schulte Betreuer ausserhalb des Ambulatoriums. Nichtmehr Erziehungsfähige brauchen offene Heime, wo siein allen SChwierigkeiten beraten werden, wo für siegesorgt wird <strong>und</strong> wo sie betreut werden.83


4. Die verschiedenen Versorgungsmöglichkeitendes geltenden Rechts. Kritik.Unter Versorgung verstehen wir jede Einweisung in eineAnstalt, die sich nicht auf ein strafgerichtlichesSchuldurteil stützt, oder anders ausgedrückt: jeder ·Zwangs aufenthalt in einer Anstalt, welcher sich nichtdurch ein strafgerichtliches Schuldurteil rechtfertigenlässt. Auszunehmen sind weiter alle Fälle von Untersuchungshaft,mindestens soweit sie sich auf dieklassischen HaftgrUnde der Flucht- <strong>und</strong> Kollusionsgefahrstützen.Die administrative <strong>und</strong> vorm<strong>und</strong>schaftliche Versorgungdarf nicht losgelöst von den übrigen Versorgungsmöglichkeitenunserer Rechtsordnung beurteilt werden.Denn wie weit administrative <strong>und</strong> vorm<strong>und</strong>schaftlicheVersorgung überhaupt nötig sind, hängt sicher auchdavon a8, welche anderen Versorgungsmöglichkeitenbestehen.Zunächst muss festgehalten werden, dass jeder, derdelinquiert hat, dafür von den Strafgerichten abgeurteiltwird <strong>und</strong> eine seiner Schuld angemessene Strafeerhält. Nun finden sich bereits im StrafgesetzbuchBestinmmgen, die unabhängig vom Schuldvorwurf oderüber diesen hinausgehend gestatten, den Täter zu versorgen.Es sind etwa die Vorschriften über die Verwahrungvon Gewohnheitsverbrechern, die Versorgung geistigAbnormer, von Trink- <strong>und</strong> Rauschgiftsüchtigen sowiedie Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt.Alle diese Massnahmen haben gemeinsam, dass sie vomStrafrichter im Zusammenhang wit der Beurteilung einerStraftat ausgesprochen werden können, <strong>und</strong> zwarohne dass der damit verb<strong>und</strong>ene Freiheitsentzug durcheinen Schuldvorwurf gedeckt wäre.Es fragt sich deshalb zunächst, ob darüber hinaus 'weitere freiheitsentziehende Vorschriften überhauptnotwendig sind. Für die Untersuchungshaft ist diesbei sogenannter Flucht- oder KOllusionsgefahr im Rahmendes Verhältnismässigxeitsgr<strong>und</strong>satzes zu bejahen,weil andernfalls die Strafuntersuchung nicht ordnungs-84~mäss durchgeführt werden könnte. Wesentlich problerratischerverhä.lt es sich allerdings damit bei der administrativen<strong>und</strong> vorm<strong>und</strong>schaftlichen Versorgung. DieseMassnahmen können von vorneherein nur Anwendungfinden, wenn nicht eine Straftat vorausgegangen ist -<strong>und</strong> da fragt es sieh, ob es überhaupt Gründe für eineso einschneidende Massnahme wie die Freiheitsentziehunggeben kann.Die kantonalen Versorgungsgesetze stellen darauf ab,dass der Einzuweisende sich oder andere gefährdenmuss.Die Gefährdung anderer rechtfertigt eine Freiheitsentziehungnur unter folgenden Voraussetzungen:Einrral muss es sich um eine erhebliche Gefährdung vonhochstehenden Rechtsgßtern handeln. Der Geisteskranke,der mit querulatorischen Eingaben <strong>und</strong> objektiv ehrverletzendenBriefen Amtsstellen <strong>und</strong> Private ä,rgert, maglästig sein, ist aber sicher harmlos, verglichen etwamit dem Gefährdungspotential der Motorfahrzeuge. Dawir aber die Gefährdung unseres Lebens durch den Strassenverkehrtäglich hinnehmen, müssen wir auch solcheBelästigungen ertragen, dürfen sie zumindest nichtmit einer Internierung zu verhindern suchen. Bedauerlicherweisewird aber diese .A.rt der Internierung, häufigfür Jahre oder sogar Jahrzehnte, immer wiederpraktiziert.Zum andern muss der Nachweis erbracht sein, dass geradediese Person mit hoher Wahrscheinlichkeit einhochstehendes Rechtsgut verletzen könnte. Dieser Nachweiskann aber höchstens gelingen, wenn der Betreffendebereits mehrfach Straftaten von einer gewissenSchwere begangen <strong>und</strong> trotz Bestrafung wiederholt hat.Insoweit ist aber eine administrative oder vorm<strong>und</strong>schaftlicheVersorgung überflüssig, da für diesen Bereichdie strafrechtlichen Massnahmen Anwendung findenkönnen. Eine Ausnahme mag höchstens bestehen beiFällen von medizinisch naChgewiesener Geisteskrankheit,mit welcher in aller Regel eine Gemeingefahrverb<strong>und</strong>en ist. Für solche Fälle bestehen denn auchvielfach Spezialgesetze. All~meine Versorgungsbestim-85


mungen, die ja nicht allein an Geisteskrankheit anknüpfen,vermögen sie nicht zu rechtfertigen.Somit ergibt sich: Der Schutz der Oeffentlichkeit istdurch die Bestimmungen des Strafgesetzbuches hinreichendsichergestellt. Darüber hinaus. lassen sich adwinistrativeoder vorm<strong>und</strong>schaftliche Versorgungen zudiesem Zwecke nicht rechtfertigen.Wie weit sind sie nun notwendig zum Schutze des Betroffenenselbst? Berücksichtigt man, dass jeder Anstaltsvollzugdie in· der Regel beim Betroffenen gegebeneAsozialität noch verstärkt, ist die Versorgungnur in extremen Einzelfällen notwendig, in Fällen, woder Betroffene, wenn er sich in Freiheit befände, seinLeben <strong>und</strong> seine Ges<strong>und</strong>heit in starkem Masse gefährdenwird <strong>und</strong> wo eine wildere Massnahme nicht in Betrachtkommt. Damit ist aber schon gesagt, dass den administrativen<strong>und</strong> vorm<strong>und</strong>schaftlichen Versorgungsbestimmungennur ein sehr beschränkter Anwendungsbereich zukommendarf: Arbeitsscheu <strong>und</strong> Liederlichkeit nachjetzt herrschender kantonaler Gesetzgebung oder Praxissind keine rechtsstaatlich zulässigen Versorgungsgründe.5. Zum Entwurf eines neuen Versorgungsgesetzes(Revision des Zivilgesetzbuches)Im Lichte dieser Ueberlegungen ist der Entwurf desB<strong>und</strong>esrates über das neue Versorgungsgesetz zu prüfen.Danach sollen zwei Versorgungs gründe bestehen: Einmalsoll Versorgung ~ulässig sein, wenn dem Betroffenen"wegen GeisteSkrankheit, GeisteSSChwäche, Trunksucht,Drogenabhängigkeit oder völliger Verwahrlosung die nötigepersönliche Fürsorge nicht anders erwiesen werdenkann". Liederlichkeit <strong>und</strong> Arbeitsscheu wären danachalso keine Versorgungs gründe mehr. Versteht man dievorgeschlagene Bestimmung wirklich als ultima ratio,wendet man sie also nur in Fällen an, wo der Betroffenesonst völlig zu verfallen droht, so ist nichtsgegen sie einzuwenden. Das Fehlen einer geeigneten Anstaltmüsste jedoch als kleineres Uebel zur Fblge ha-86ben, dass überhaupt nicht versorgt wird. Der Ausdruck"VÖllige Verwahrlosung" darf sicher nicht bedeuten,dass durch eine Art Hintertüre die Umschreibung einzelnerVersorgungstatbestände durch eine "Beinahe Generalklausel"illusorisch gemacht wird. Die zwangsweiseEinweisung eines völlig Verwahrlosten ist als ultimaratio gedacht, welche nicht zum Zuge kommt, wennder Hilfsbedürftige in einer Anstalt objektiv gesehenbesser betreut wäre, sondern erst, wenn der Verzichtauf die Versorgung für einen modernen Sozialstaatschlechthin unverantwortlich wäre.Zum anderen soll nach dem Entwurf eingewiesen werdenkönnen, wer "wegen Arbeitsscheu seine familienrechtlichenPflichten nicht erfüllt", sofern andere jVTassnahmenwirkungslos geblieben sind. Diese Bestimmungist rechtsstaatlich bedenklich. Wer seinen Unterhaltspflichtennicht nachkommt, kann strafrechtlich (St GBArt. 217) belangt werden. Dass daneben noch e~_ne Versorgungsmöglichkeit bestehen soll, ist schwer einzusehen.Denn während sich die strafrechtliche Verurteilungnoch auf einen Schuldvorwurf stUtzt , istschwer ersichtlich, worauf sich eine administrativeoder vorm<strong>und</strong>schaftlich:;. Versorgung wegen Vernachlässigungvon UnterstützungspfliChten gründen l ässt. Irgendetwas erreichen kann man mit einer solchen Massnahmeebenfalls nicht. Die Notlage seiner Fawilielässt sich durch die Einweisung nicht beheben. PoenalenCharakter sollte die Massnahme nicht haben, denndafür ist die zitierte strafrechtliche Bestimmung da.Es ist deshalb zu hoffen, dass dieser Versorgungsgr<strong>und</strong>des Entwurfes nicht Gesetz wird.In formeller Hinsicht stimmt bedenklich, dass nachdem Entwurf die Vorm<strong>und</strong>schaftsbehörde des Wohnsitzesfü~ die Einweisung zuständig sein soll. Im vorgesehenenGesetz ist der Richter lediglich als Rekursinstanzmöglich. Bedenkt man, dass Vorm<strong>und</strong>schaftsbehörde<strong>und</strong> Gemeinderat vielfach identisch sind, die Vorm<strong>und</strong>schaftsbehördealso eine politische Behörde ist,besteht die Gefahr einer missbräuchlichen Anwendungder Einweisungsbestimmungen. Die Rechtslehre ist sich87


heute darüber elnlg, dass Entscheidungen, die sicheinschneidend auswirken, wie die Aufhebung den persönlichenFreiheit durch eine Anstaltseinweisung, nurdurch den Richter erfolgen soll. Auch hier ist alsoder Entwurf änderungsbedürftig. Nur der Richter <strong>und</strong>nicht die Vorm<strong>und</strong>schftsbehörde sollte über die Versorgungin unabhängiger freier Ueberprüfung des Sachverhaltesentscheiden können. Das Sammeln des Prozessstoffesnach den Regeln der Zivilprozessordnung <strong>und</strong>die Erfahrung des Richters, Rechtsnormen nach bewährterLehre <strong>und</strong> Rechtssprechung anzuwenden, gewährleistendem Betroffenen die bestmögliche Rechtschutzgarantie.Diese Forderung geht über das, was von derMenschenrechtskonvention gefordert wird, hinaus. Angesichtsder Schwere des Eingriffes muss unseres Erachtensdie Garantie des justizmässigen Verfahrens imGesetz in eindeutiger Weise statuiert werden. Die Möglichkeiteiner vorsorglichen Einweisung erlaubt esdem Richter, auf Notfälle sofort zu reagieren <strong>und</strong> entkräftetzum vorneherein allfäilige Einwände, die Zuständigkeitdes Richters müsse das Verfahren verschleppen<strong>und</strong> dadurch die Zielsetzung des Gesetzes gefährden.Es ist zu hoffen, dass in den eidgenössischen Rätendieser vermehrte Rechtsschutz noch eingesetztwird.Dem Versorgten wird nach dem EntWl...1.I'f ein Versorgungsbeistandbestellt. Diese Regel ist ein Kernstück derRevision. Der von der Anstalt unabh~gige Helfer desVersorgten bildet das Bindeglied zwischen Dienstleistungsstelle, Vorm<strong>und</strong>schaftsbehörde , Anstalt <strong>und</strong> Versorgtem.Die Verantwortung für eine rechtzeitige Aufhebungder Versorgung liegt nach dem neuen Gesetz beimBeistand, der seinerseits in Kontakt mit der Anstalt<strong>und</strong> dem Versorgten stehen muss. Bei der Ernennung desBeistandes für die Dauer der Versorgung ist auf dessensozialpädagogische Qualifikation zu achten.IZentralbibliothek Zürich88111111 11111111111 1111111111111111111111111111111111111111111ZM01418248

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