4Wie weiter mit der US-Militärbasis Diego Garcia?Auf Diego Garcia, der Haupt<strong>in</strong>sel der Chagos-Inseln<strong>in</strong>mitten des Indischen Ozeans,unterhalten die USA e<strong>in</strong>en ihrer wichtigstenMar<strong>in</strong>e- und Luftwaffenstützpunkte weltweit.Von hier aus lassen sich die Seewegeim Indischen Ozean, darunter Routen vomPersischen Golf nach Ostasien und nach Europakontrollieren.Von enormer Bedeutung ist Diego Garcia,wenn die USA <strong>in</strong> Irak, Iran oder AfghanistanKrieg führen. Auf der Werft der Basiskönnen US-Kriegsschiffe repariert werden,ohne <strong>in</strong>s Mittelmeer oder <strong>in</strong> den Pazifik fahrenzu müssen. Der Vorrat an Militärmaterial– von Munition über Ersatzteile bis zuPanzern – ermöglicht es den USA <strong>in</strong>nerhalbkurzer Zeit überall rund um den IndischenOzean zu <strong>in</strong>tervenieren. Die Basis gehörtzum globalen Satellitenspionage- und Telekommunikationsnetzder USA. WährendLangstreckenbomber von Diego Garcia ihretödliche Fracht leicht <strong>in</strong> den Nahen Ostenund nach Südasien tragen können, ist dieBasis umgekehrt kaum angreifbar, schon garnicht durch Terroranschläge. Denn sie liegtgeographisch isoliert. Die ganze Inselgruppeist Sperrgebiet.Auf Diego Garcia leben ca. 4000 USamerikanischeund e<strong>in</strong>ige wenige britischeMilitärangehörige sowie meist philipp<strong>in</strong>ischeZivilangestellte. Die anderen Inselns<strong>in</strong>d unbewohnt. Die Abgeschiedenheit erleichtertes auch, illegale Gefangenenlagerund CIA-Verhör- und Folterzentren zu unterhalten.Während die rechtswidrigen US-Gefangenenlager<strong>in</strong> Guantanamo Bay früh bekanntwaren, dauerte es noch bis 2008, bisdie britische Regierung zwei illegale Gefangenentransportezugab und e<strong>in</strong> UN-SpezialberichterstatterBerichte über Folter auf US-Schiffen rund um die Basis als glaubwürdige<strong>in</strong>stufte. Günstig für die USA ist, dass dieInseln dem verlässlichen Verbündeten Großbritanniengehören und dass ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heimischeZivilbevölkerung gegen Militärpräsenzund Kriege protestieren kann.2014 müsste der Pachtvertrag verlängertwerden, um 2016 nicht auszulaufen. DochMauritius erkennt die britische Herrschaftüber die Inseln nicht an und die für den Bauder Basis vertriebene Bevölkerung f<strong>in</strong>detsich nicht mit ihrer Vertreibung ab. Ende Januar2013 entschied der Ständige Schiedshof<strong>in</strong> Den Haag, e<strong>in</strong>e Klage von Mauritiuszu behandeln.Die Vertreibung der IloisDauerhaft kolonisiert wurden die Chagos-Inseln ab 1793 von Frankreich. Zur Arbeitauf den Plantagen wurden Sklaven aus Ostafrika,Madagaskar und auch aus Südostasienauf die Chagos-Inseln verschleppt. Dortentstand e<strong>in</strong>e überwiegend afrikanischstämmigekreolische Ethnie, die Ilois, mit e<strong>in</strong>erauf dem Französischen basierenden Kreolsprache.1814 musste Frankreich Mauritiuszusammen mit den Chagos-Inseln an Großbritannienabtreten, das für 150 Jahre Hegemonialmachtim Indischen Ozean blieb. BeiEntkolonialisierung gab das Vere<strong>in</strong>igte Königreichfast alle Militärstützpunkte „East ofSuez“ auf.Die USA traten im Ost-West-Konflikt imIndischen Ozean militärisch an die StelleGroßbritanniens. Da die frisch entkolonialisiertenStaaten der Region wenig Neigunghatten, westliche Militärbasen zu beherbergen,suchte man für e<strong>in</strong>e US-Basis e<strong>in</strong>en politischunproblematischen Standort ohne potenziellstörende Bevölkerung. 1965 wurdendie Chagos-Inseln von der britischen KolonieMauritius abgetrennt. Aus ihnen und e<strong>in</strong>igenzuvor von den Seychellen aus verwaltetenInseln wurde das British Indian OceanTerritory (BIOT) geschaffen. Die Firma, derals alle<strong>in</strong>iger Arbeitgeber und Grundbesitzeralle Plantagen auf den Chagos-Inseln gehörte,stellte den Betrieb e<strong>in</strong>, auch die Lebensmittelversorgung.Wider besseres Wissen wurde gelogen,es gäbe ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heimische Bevölkerung,die etwa 2000 auf den Inseln lebenden Menschenseien nur temporär anwesende Arbeitskräfte.Sie wurden 1967 bis 1973schrittweise unter menschenunwürdigenUmständen deportiert, die meisten nachMauritius. Britische Zahlungen an Mauritiusverh<strong>in</strong>derten nicht, dass viele der Vertriebenenauf e<strong>in</strong>er Insel mit damals 20% Arbeitslosigkeit<strong>in</strong> Armut versanken.Die Insel Diego Garcia wurde für 50Jahre, bis 2016, an die USA verpachtet. DieUSA zahlen ke<strong>in</strong>e Pacht, aber Großbritannienerhielt Rabatt beim Kauf von Polaris-Atomraketen, was damals noch geheim war.Streit um SouveränitätMauritius hat sich mit der Loslösung derChagos-Inseln nicht abgefunden und beanspruchtsie, gestützt auf die Resolution derUN-Generalversammlung von 1960, wonachbei Entkolonialisierung von Kolonienke<strong>in</strong>e Gebiete abgetrennt werden sollen. Diebritische Regierung erkennt den Anspruchvon Mauritius nicht an, stellte aber mehrfachRückgabe der Inseln <strong>in</strong> Aussicht, sobaldsie nicht mehr für Verteidigungszweckebenötigt würden. E<strong>in</strong>en Präzedenzfall gibtes: Die Seychellen erhielten bei ihrer Unabhängigkeit1976 die 1965 abgetrennten Inselnzurück. Seitdem besteht das BIOT nurnoch aus den Chagos-Inseln.Der Kampf um RückkehrDie Ilois, die sich heute bevorzugt Chagossiansnennen, fordern nach wie vor, <strong>in</strong> ihreHeimat zurückzukehren. Dass ihre Vertreibungschäbig und moralisch nicht zu rechtfertigengewesen sei, wird von britischenPolitikern und Medien e<strong>in</strong>geräumt. Seit2000 entschieden britische Gerichte mehrmalszugunsten des Rechts auf Rückkehr,was mehrfach revidiert wurde, zuletzt 2008.Der Europäische Menschenrechtsgerichtshoferklärte sich im Dezember 2012 für unzuständig,weil mit der Annahme von Entschädigungszahlungendurch e<strong>in</strong>en Teil derVertriebenen die Angelegenheit schon <strong>in</strong>nerhalbdes britischen Rechtssystems geregeltworden sei.
Wikileaks entlarvt britischeUmweltschutzrhetorik2010 erklärte Großbritannien das Seegebietrund um die Chagos-Inseln mit Ausnahmevon Diego Garcia zum Meeresschutzgebiet,<strong>in</strong> dem auch Fischfang verbotenist. Dies diente als weiteres Argumentgegen das Rückkehrrecht, denn ohneFischfang sei ke<strong>in</strong>e ökonomische Existenzgrundlagevorhanden. Durch Wikileakswurde bekannt, dass der Umweltschutzbewusst als Argument vorgeschobenwurde.Da die Meeresschutzzone von mauritischenFischern genutzte Fischgründe umfasst,klagt Mauritius unter Berufung aufdas UN-Seerechtsübere<strong>in</strong>kommen. Was alsSchachzug gegen das Rückkehrrecht gedachtwar, br<strong>in</strong>gt nun Großbritannien <strong>in</strong> Erklärungsnotbeim Ständigen Schiedshof <strong>in</strong>Den Haag, wo auch die Souveränität Themawerden wird.Selbstbestimmungsrechtgegen Entkolonialisierung?In den 1960ern behauptete die britische Regierung,dass die Bevölkerung der Chagos-Inseln nicht dorth<strong>in</strong> gehörte. Heute umwirbtGroßbritannien genau diejenigen, die es früherloswerden wollte. Es gestand 2002 denim BIOT Geborenen und ihren unmittelbarenNachkommen die britische Überseestaatsbürgerschaftzu. Was menschenfreundlichaussieht, wird auch als britischer Trickkritisiert, um die Inseln doch behalten zukönnen. Denn e<strong>in</strong>e Mehrheit der Chagossianskönnte, um der Vorteile der britischenStaatsbürgerschaft willen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em etwaigenReferendum für den Verbleib der Chagos-Inselnbeim Vere<strong>in</strong>igten Königreich votieren,vor allem wenn e<strong>in</strong>ige zurückkehrendürften. Wie bei den Falkland-Inseln undGibraltar könnte Großbritannien Gebietsansprücheanderer Staaten mit dem Verweisauf das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung,die britisch bleiben will, zurückweisen.Proteste weltweit und <strong>in</strong>MauritiusIn se<strong>in</strong>em Anspruch auf die Chagos-Inselnwird Mauritius <strong>in</strong>ternational unterstützt, z.B.von der Afrikanischen Union und der Bewegungder Blockfreien.Menschenrechtsorganisationen kritisierendie US-Basis, e<strong>in</strong>erseits wegen der Vertreibungder Chagossians, andererseits wegenFolter und illegaler Gefangenenlager.Für die Schließung der US-Militärbasis engagiertsich die Friedensbewegung weltweit,z.B. das International Network for the Abolitionof Foreign Military Bases.Besonders engagiert gegen die US-Basisauf Diego Garcia ist <strong>in</strong> Mauritius die 1976gegründete Organisation LALIT (= Kreolisch:Kampf), seit 2011 auch Partei. LALITsteht mit der <strong>in</strong>ternationalen Friedensbewegung<strong>in</strong> Kontakt, darunter auch mit der WarResisters’ International, der auch die <strong>DFG</strong>-<strong>VK</strong> angehört.LALIT fordert• Schließung der US-Militärbasis. „Sie istdie Wurzel für all das Leiden und bleibte<strong>in</strong>e Gefahr für die Menschheit.“• Wiedervere<strong>in</strong>igung von Mauritius unddamit vollständige Entkolonisierung• Rückkehrrecht und Entschädigung füralle ChagossiansLALIT de Klas (Klassenkampf, so der vollständigeName) betont, dass die Interessen,die vom US-Militär geschützt werden, dieder herrschenden Klassen s<strong>in</strong>d. LALITvergisst nicht zu fordern, dass nach Auflösungder Basis für die Zivilangestelltenandere Arbeitsplätze gefunden werdenund dass die Umweltschäden beseitigtwerden müssen.Neuregelung im Jahr2014?Seit Jahren wird diskutiert, e<strong>in</strong>ige Chagos-Inselnwiederzubesiedeln und fürÖkotourismus zu öffnen. Nach Gesprächenmit dem britischen Premierm<strong>in</strong>isterCameron 2012 erklärte der mauritische Premierm<strong>in</strong>isterNav<strong>in</strong>chandra Ramgoolam(Mauritius Labour Party), dass man e<strong>in</strong>Fenster der Gelegenheit habe, den Streit sobeizulegen, dass Mauritius se<strong>in</strong>e Souveränitätüber die Chagos-Inseln ausüben könneund die USA die Basis weiterh<strong>in</strong> für Verteidigungszweckenutzen können. E<strong>in</strong>e Rückgabeder Inseln an Mauritius oder e<strong>in</strong> „Co-Management“ wie es Mauritius mit Frankreichauf der Insel Tromel<strong>in</strong> praktiziert, wärealso nicht automatisch das Ende der Militärbasis.Mauritius würde sich die Verlängerungdes Pachtvertrags gut bezahlen lassen,zumal es die Basis auch anderen Mächtenwie Indien anbieten könnte. Dass MauritiusStandort e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>ternationalen Gerichts zurVerfolgung von Piraterie wird, könnte schone<strong>in</strong> Teil der E<strong>in</strong>igung se<strong>in</strong>. Vieles spricht dafür,dass für 2014 e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>vernehmliche Regelungangestrebt wird: 2014 muss über e<strong>in</strong>eetwaige Pachtverlängerung entschiedenwerden. 2015 wird Mauritius Gastgeber desTreffens der Regierungschefs des Commonwealthse<strong>in</strong>, das nicht vom Chagos-Konfliktüberschattet werden soll.Es könnte also passieren, dass es 2014 zue<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>igung kommt, die die Ansprüchevon Mauritius befriedigt, aber nicht die MilitärbasisDiego Garcia beseitigt. Für alle,die die Schließung des Kriegsstützpunktserreichen wollen, s<strong>in</strong>d die nächsten Monateentscheidend.Gernot Lennert5Strohfeuer Express: Lieder aus gegebenem AnlassKritische Botschaften im Popsongformat füre<strong>in</strong>e gewaltfrei, ökologisch und sozial orientierteGegenwart. Undogmatisch, antimilitaristischund musikantisch ist der Rahmen,den wir uns für das Liedermacherprojekt„Strohfeuer Express“ gesetzt haben.Mandol<strong>in</strong>e und Ukulele werden je nachBesetzung durch Gitarre und Percussion ergänzt,oder mal mit e<strong>in</strong>er „Simona“ oderNasenflöte. So ist unser akustisches Infopaketseit Anfang 2011 vor allem im Rhe<strong>in</strong>-Ma<strong>in</strong>-Gebiet unterwegs, vom Infostand <strong>in</strong>der Fußgängerzone bis zur Floßtour, bei Antiatomdemosund Open Stages, als Rahmenprogrammfür Feiern, Vorträge und Buchvorstellungen,bei der Hausbesetzung odere<strong>in</strong>fach am Kneipentisch.Folkrock- und Boogienummern wechselnsich mit Walzer und Ballade ab, dazu Anklängean K<strong>in</strong>derlieder und Bänkelgesang:Punk meets Puppenkiste. Mitunter schreibenwir Text und Musik frisch zum gegebenenAnlass, etwa für gefangene KriegsgegnerInnen<strong>in</strong> aller Welt, für den WhistleblowerBradley Mann<strong>in</strong>g oder gleich nach Fukushimazum Thema „Abschalten, sofort“. Unde<strong>in</strong> sangesfreudiges Publikum schätzt esauch, dass sich der e<strong>in</strong>e oder andere Refra<strong>in</strong>so prima mits<strong>in</strong>gen lässt.Don Kisselbach