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Sämtliche Vokalwerke - Bärenreiter Verlag

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men mit diesen nach England gekommen. 4 Schließlich weisenMerkmale musikalischer Art auf eine Entstehung an Pachelbels letztemDienstort und die Jahre nach 1700. Da ist zum einen der Aufwand,der auf ein professionelles Ensemble zielende Instrumentalpart,zum andern aber auch, und damit zusammenhängend, dieTonart E-Dur, ein um jene Zeit noch nicht allzu häufig anzutreffendesMerkmal. Es ist aber auch die Eleganz und Ökonomie, mit derdie bildhaften Momente des Textes aufgegriffen werden; knapp undwirkungssicher reihen sich die einzelnen Abschnitte aneinander. 5Allein die Subtilität, mit der Vers 5 („Dennoch soll die Stadt Gottes feinlustig bleiben mit ihren Brünnlein“) kompositorisch gefasst wird, verdientBeachtung: Nicht die bildhaften „Brünnlein“ werden ‚dargestellt‘; esist vielmehr die stille Freude des „fein lustig“, die hier ihren bürgerlich-geziemendenAusdruck erfährt. Dass der in Takt 34 allein umseiner expressiven Klanglichkeit willen eingestreute verminderteSeptakkord noch ein seltener Gast in der Kirchenmusik jener Zeitwar, mag als ein weiterer Hinweis auf Pachelbels musikalisch-rhetorischeAmbition zu verstehen sein.Im Fall der beiden ‚Choralkantaten‘ – Christ lag in Todes Banden undWas Gott thut, das ist wohl gethan – führt der musikgeschichtliche Instinktzunächst zur Annahme, dass beide Kompositionen, als geistlicheKonzerte über ein mehrstrophiges Kirchenlied, aus PachelbelsErfurter Zeit stammen. Es war Erfurt, wo das besondere Augenmerkvon Dienstherrn und Gemeinde der Choralpflege des Organistengalt; in der Bestallungsurkunde der Predigerkirche findet sich ausdrücklichdie Forderung nach dem „thematice praeambulando“ vor demChoralgesang. 6 Hier war es auch, wo sich Pachelbels ausstrahlendeWirksamkeit als Orgelspieler gar in der musikhistorischen Verschlagwortungzum festen Terminus des ‚Pachelbel-Typs‘ der Choralbearbeitunginsbesondere für Tasteninstrumente kristallisierte.Indes ist mittlerweile bekannt, dass auch anderen Nürnberger Organistendie vorimitierend-integrative Methode der Choralbearbeitungalles andere als fremd war, ja, dass der ‚Pachelbel-Typ‘ durchausauch nach Pachelbels Nürnberger Amtsvorgänger GeorgCaspar Wecker hätte benannt werden können. 7 Wie auch immer essich hierbei verhalten möge – die vielfältige Praxis der vokal-konzertantenChoralbearbeitungen mittel- und norddeutscher Komponistenverweist auf ein Umfeld, in dem beide Werke Pachelbels einen‚stimmigen‘ Platz einnehmen. Bevor weitere Überlegungen indieser Richtung angestellt werden, sei der Befund der erhaltenenmusikalischen Textzeugen zu den beiden Choralkantaten kurz examiniert.Beide Stücke liegen lediglich in Abschrift vor und entstammenüberdies verschiedenen Überlieferungszusammenhängen, was einegetrennte Besprechung erforderlich macht. Christ lag in Todes Bandenist durch gemeinsame Papiermarken mit einigen weiteren Musikmanuskriptenverbunden, die nachweislich der Nürnberger ZeitPachelbels zuzuordnen sind, nicht zuletzt mit dem ins Jahr 1704datierbaren Konzert Jauchzet dem Herren, PWV 1217. 8 Auch amSchriftbefund des arbeitsteilig erstellten Stimmensatzes von Christlag in Todes Banden lassen sich Beziehungen zu weiteren ‚Nürnberger‘Kompositionen Pachelbels dingfest machen. So ist der Schreiber der4Vgl. Henry Woodward, ‚A Study of the Tenbury Manuscripts of JohannPachelbel‘, Diss. Harvard University 1952; zu den Psalmen S. 270–310; zuPsalm 46: S. 299–310.5Vgl. Henry Woodward, ‚Study‘ (s. Anm. 4); auch ders., ‚Musical symbolismin the vocal works of Johann Pachelbel‘, in: Essays on music in honor ofArchibald Thompson Davison, Cambridge MA 1957, S. 225–234, insbesondereS. 226–228.6Abgedruckt in Johann Pachelbel, 94 Kompositionen: Fugen über das Magnificatfür Orgel oder Klavier, hrsg. von Hugo Botstiber und Max Seiffert, Wien 1901(ND Graz 1959) (= Denkmäler der Tonkunst in Österreich VIII/2 – Bd. 17), S. VIIf.7Zur Frage des ‚Pachelbel-Typs‘ in der Vokalmusik vgl. Krummacher:Kantate,S. 373–375; Vorwort zu: Deutsche Orgel- und Claviermusik des 17. Jahrhunderts:Werke in Erstausgaben, hrsg. von Siegbert Rampe, Kassel etc.: <strong>Bärenreiter</strong>2003, S. IX.8Paech Teil I, S. 38; siehe auch den vorliegenden Band, S. 208.Stimme von Violine I mit dem Schreiber der Sopran- und Altstimmedes auf 1705 datierten Magnificat in g (PWV 1503) identisch, undder Schreiber der ersten Seite der Tenorstimme dort dürfte wiederumdie Altstimme der ‚Choralkantate‘ geschrieben haben. Naheliegend ist ferner die Annahme, dass der Hauptschreiber vom Stimmensatzdes oben genannten Jauchzet dem Herren mit dem Schreiberdes Parts von Sopran und Viola II identisch ist. Der Schrift- undPapierbefund weist also nach Nürnberg, was freilich keinesfalls ausschließt,dass die Komposition des Stücks noch in die Erfurter ZeitPachelbels fällt und dieser die Aufführungsmaterialien in seinempersönlichen Fundus mitbrachte. In diesem Fall wäre dann vermutlichdie Besetzung der instrumentalen Basspartie mit dem damalsrecht aktuellen ‚Basson‘ (anstatt eines Violone oder Fagotts) fürNürnberg modifiziert worden.Leider führt die Suche nach einer passenden Textvorlage zu keinemErgebnis, mit dem die Frage nach der Lokalisierung und damit auchDatierung der Komposition beantwortet werden könnte. Der aufgezeichneteLiedtext stimmt mit keiner der verschiedenen Versionenüberein, die in zeitgenössischen Gesangbüchern überliefert werden,mehr noch: Er enthält ausgesprochen individuelle Varianten, die aufeine Sondertradition, auf eigene bewusste Modifizierung oder auchauf die Ungenauigkeit einer nicht schriftgestützten Textlegung hinweisen.9 Der Vorgang der Textgestaltung in figuraler Kirchenmusik– nach welcher Vorlage? nach welchen Prämissen? von welcherPerson angefertigt? – gehört auch im Zusammenhang mit der inirgend einer Weise öffentlich ‚regulierten‘ Kirchenmusik zu den sogut wie nicht belegten oder belegbaren Prozessen; in der Regelwird, bei Abweichungen zu potentiellen Vorlagen, der Gestaltungswilledes Autors angenommen. Um nur an einem Detail die Konstellationzu illustrieren: Der Luthersche Text sieht in der drittenZeile der ersten Strophe einen hinweisenden Artikel vor: „Christ lagin Todes Banden … der ist wieder erstanden“; im Text des Concertowird abgeschwächt formuliert: „… er ist wieder erstanden“. In derTat gibt es einige wenige Gesangbücher mit dieser Variante: dieNeuauflage der Praxis pietatis melica von Peter Sohren (Frankfurt/M.1674) und das Reußische Gesangbuch, 1689 in Jena gedruckt. 10 Daswürde gut auf Pachelbels Amtszeit in Erfurt verweisen. Dass damitaber das Problem der Textherkunft nur verlagert wird, erweist dieTatsache, dass in beiden Gesangbüchern, neben einigen weiterenkleineren Abweichungen, das silbenvermehrende „bezwingen“ statt„zwingen“ zum Anfang der zweiten Strophe steht.Bei der Behandlung der zweiten ‚Choralkantate‘, Was Gott thut, das istwohl gethan, rückt man etwas näher an die Erfurter Zeit JohannPachelbels heran, und das allein schon wegen des dem Stück zugrundeliegenden Lieds. 11 Von den Kirchenliedern des 17. Jahrhunderts,die sich bis heute einer gewissen Popularität erfreuen, gehörtes zu den chronologisch spätesten. Zur Beliebtheit des Lieds trägtwohl in hohem Maß die Melodie bei, deren schlichte Machart vonvorneherein auf leichte Rezipierbarkeit zielt, und es ist nicht verwunderlich,dass diese Melodie schon neu bereimt wurde, bevor sieüberhaupt gedruckt vorlag. (Genauso wenig verwunderlich ist es,dass diese Melodie als vereinfachende Abwandlung einer vorhandenenWeise verstanden werden kann.) 12 Wenn der Textdichter, derbis 1680 in Jena ansässige Theologe und Schulmann Samuel Rodigast(1649–1708), den Liedtext, wie überliefert wird, im Jahr 1675verfasste, dann dauerte es nur gut ein Jahr, bis der Text im Druckherauskam. Bemerkenswerterweise ist es diese frühe Version desLiedes, die der Textgrundlage von Pachelbels ‚Choralkantate‘ am9Der Wortlaut des Textes steht im Anhang des vorliegenden Bandes, S. 200.10Johann Crügers Neu zugerichtete PRAXIS PIETATIS MELICA […], Frankfurt/M.:Wust 1674; Reußisches vollständiges Gesang- und Handbuch […], Jena: Oehrling1689.11Näheres zu diesem Lied im Anhang des vorliegenden Bandes, S. 201.12Der Autor der Melodie war der Jenaer Kantor Severus Gastorius (1646-1682); vgl. zur Melodie Siegfried Fornaçon, ‚Werke von Severus Gastorius‘,in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 8, 1963, S. 165–170.VIII

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