13.07.2015 Aufrufe

Evidenzbasierte Methoden der Unterrichtsdiagnostik ... - Bildung & ICT

Evidenzbasierte Methoden der Unterrichtsdiagnostik ... - Bildung & ICT

Evidenzbasierte Methoden der Unterrichtsdiagnostik ... - Bildung & ICT

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

EMU ist ein Akronym für <strong>Evidenzbasierte</strong> <strong>Methoden</strong> <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> und-entwicklung. Es handelt sich dabei um ein Programm, das wir im Rahmen desProjektes UdiKom im Auftrag <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz entwickelt haben und dasseit <strong>der</strong> Freischaltung im Januar 2011 bereits vielfach eingesetzt wurde. Weil bei EMUsicher je<strong>der</strong> an die gleichnamige Vogelart denkt, haben wir dieses possierliche Tier inunser Logo aufgenommen.1Das auf <strong>der</strong> www.unterrichtsdiagnostik.de verfügbare Material umfasst die vorliegende Broschüre sowie weiterführende Texte und Verweise auf Internetseiten Instrumente für die Unterrichtsbeobachtung Software für die Visualisierung <strong>der</strong> Ergebnisse PowerPoint-Folien für Einführungsveranstaltungen zur <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> Videografierte Unterrichtsstunden für ÜbungszweckeÜbersicht1) <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> - was ist das, und warum ist sie nötig?2) An wen richtet sich EMU?3) Welchen wissenschaftlichen Hintergrund hat EMU?4) Was heißt "Abgleich von Perspektiven"?5) Was leistet das Auswertungsprogramm?6) Welche Szenarien und Veranstaltungsformate haben sich in <strong>der</strong> Praxis bewährt?7) Wovon hängt das Gelingen ab?8) <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> - und was dann?9) Wie kann das Kollegium zum Mitmachen motiviert werden?10) Kostet die Nutzung etwas, und wie erhält man das Material?11) EMUplus: <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> und LehrergesundheitHier finden Sie nähere Informationen zum Autorenteam und zur Vorgeschichte von EMUHier geht‘s direkt zu den FragebögenHier geht’s direkt zu den Auswertungsprogrammen für die <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> und zu denManualenLiteraturDiese Broschüre, das zugehörige Material und die Software werden fortlaufend verbessert und ergänzt.Hinweise, Vorschläge und Fragen bitte an unterrichtsdiagnostik@gmail.comVersion 4.0 KMK-<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>, © A. Helmke et al. 2013


44) Was heißt „Abgleich von Perspektiven“?Die folgende Übersicht veranschaulicht das Prinzip <strong>der</strong> Erfassung des Unterrichts durch äquivalente Angabenaus unterschiedlichen Perspektiven (unterrichtende Lehrkraft, Schüler/in, Kollege/in). Exemplarisch füreine weibliche Lehrkraft wird für jeden Bereich jeweils eine Frage aus allen Perspektiven dargestellt: (1)Klassenführung, (2) Lernför<strong>der</strong>liches Klima, (3) Klarheit/Strukturiertheit, (4) Aktivierung und (5) Bilanz.Schülerfragebogen Lehrerfragebogen KollegenfragebogenIch konnte in dieser Unterrichtsstundeungestört arbeiten.Wenn die Lehrerin in dieser Unterrichtsstundeeine Frage gestellthat, hatte ich ausreichend Zeit zumNachdenken.Mir ist klar, was ich in dieserStunde lernen sollte.Ich war die ganze Stunde über aktivbei <strong>der</strong> Sache.Ich habe in dieser Unterrichtsstundeetwas dazu gelernt.Die Schüler/innen konntenungestört arbeiten.Wenn ich eine Frage gestellthabe, hatten die Schüler/innenausreichend Zeitzum Nachdenken.Den Schüler/innen war klar,was sie in dieser Stunde lernensollten.Die Schüler/innen waren dieganze Stunde über aktiv bei<strong>der</strong> Sache.Ich habe die Lernziele dieserUnterrichtsstunde erreicht.Die Schüler/innen konnten ungestörtarbeiten.Wenn die Kollegin eine Frage gestellthat, hatten die Schüler/innen ausreichendZeit zum Nachdenken.Den Schüler/innen war klar, was sie indieser Stunde lernen sollten.Die Schüler/innen waren die ganzeStunde über aktiv bei <strong>der</strong> Sache.Die Kollegin hat die Lernziele dieserUnterrichtsstunde erreicht.Die Frage zum Lerngewinn ist eine <strong>der</strong> wenigen, bei denen eine äquivalente Formulierung bei Schülern undLehrern keinen Sinn gemacht hätte. Hier sollen die Tandems über Fragen <strong>der</strong> Unterrichtsplanung undLernzielerreichung ins Gespräch kommen und die eigene Einschätzung mit dem subjektiven Lerngewinn <strong>der</strong>Schüler/innen abgleichen. Selbstverständlich ersetzen Schülerangaben zum Lernzuwachs keinen Test;gleichwohl wird subjektiven Schülereinschätzungen in <strong>der</strong> Forschung ein wichtiger Stellenwert eingeräumt(vgl. z.B. das Evaluationstool students' assessment of their learning gain, SALG).Der EMU-Schülerfragebogen weist zwei Beson<strong>der</strong>heiten auf, verglichen mit an<strong>der</strong>en Fragebögen zumUnterricht: Anschlussfähigkeit: Gegenstand ist nicht <strong>der</strong> Unterricht im Allgemeinen bzw. über einen längerenZeitraum, son<strong>der</strong>n eine konkrete Unterrichtsstunde. Dies ermöglicht den Abgleich <strong>der</strong> Schülersicht mitdenjenigen des unterrichtendem und hospitierenden Kollegen. Um den Einsatz des Schülerfeedbacksauch für längere Referenzzeiträume (z.B. Unterrichtseinheit, Lernsituation) zu ermöglichen, gibt eszusätzlich eine WORD-Version <strong>der</strong> Fragebögen, die entsprechend adaptiert werden kann. Subjektivität: Die Items verwenden überwiegend die „Ich"-Form statt „wir" o<strong>der</strong> „uns". Schüler müssensich also nicht in die Perspektive ihrer Mitschüler versetzen und eine "Durchschnittsbildung"vornehmen, son<strong>der</strong>n beurteilen ihr eigenes subjektives Erleben. Da ein- und dasselbeUnterrichtsangebot je nach individuellen Lernvoraussetzungen oft ganz unterschiedlichwahrgenommen, interpretiert und genutzt wird, kann die Sichtung solcher Ergebnisse fürHeterogenität sensibilisieren.Die Verknüpfung unterschiedlicher Sichtweisen führt zu einem facettenreicheren Bild. Der Abgleich schafftAnlässe, um gemeinsam über Verlauf und Ertrag <strong>der</strong> Unterrichtsstunde, über Konsens und Dissens bei <strong>der</strong>Beurteilung nachzudenken.Version 4.0 KMK-<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>, © A. Helmke et al. 2013


5Das Instrument ist modular aufgebaut. Man kann z.B. das Instrument zunächst einmal nur für sich selbst, als eine Art „Logbuch“ verwenden einen Überblick über alle fünf Bereiche gewinnen, aber auch nur einen Bereich auswählen das Instrument nur punktuell ("Momentaufnahme") o<strong>der</strong> zur Erfassung von Verän<strong>der</strong>ungen alsErgebnis <strong>der</strong> Unterrichtsentwicklung mehrfach einsetzen die eigene Sicht mit einer an<strong>der</strong>en Perspektive statt mit beiden (Kollege, Klasse) abgleichenDas o.g. Fundamentum kann um Zusatzbereiche („Additum“) ergänzt werden, z.B.: Kognitive Aktivierung, Umgang mit Vielfalt / Individualisierung, kooperativesLernen/Gruppenarbeit, Lehrersprache, fachliche/fachdidaktische Qualität sowieKompetenzorientierung / Orientierung an den <strong>Bildung</strong>sstandards) Instrumente zum Unterricht <strong>der</strong> Externen Evaluation / Schulinspektion des Bundeslandes selbst entwickelte Items zu Bereichen, die <strong>der</strong> Schule wichtig sind individuell vereinbarte Beobachtungsaufträge.Hier gelangen Sie zu den Fragebögen. Es gibt Versionen für eine männliche vs. weibliche Lehrperson,um politisch korrekte, aber unelegante Formulierungen wie „Der Lehrer / die Lehrerin" zu vermeiden.5) Was leistet das Auswertungsprogramm?Geht es lediglich um den Abgleich zwischen unterrichten<strong>der</strong> und hospitieren<strong>der</strong> Lehrperson, braucht mankeine Software, son<strong>der</strong>n kann einfach die beiden Bögen nebeneinan<strong>der</strong> halten und vergleichen. Das Potenzial<strong>der</strong> Software liegt in <strong>der</strong> Visualisierung von Ergebnissen, wenn zu ein und demselben Unterricht vieleUrteile vorliegen, wie beim Schülerfeedback o<strong>der</strong> <strong>der</strong> videobasierten Einschätzung einerUnterrichtssequenz durch eine Gruppe, siehe die untenstehende Abbildung:Hierfür gibt es ein weiteres Programm. Dieses visualisiert erstens die Verteilung <strong>der</strong> Antwortkategorien(von 1 = stimme nicht zu bis 4 = stimme zu) in Form von Stabdiagrammen, um so Konsens und Dissens zuveranschaulichen. Zweitens stellt das Programm das individuelle Urteilsprofil dem Durchschnittsprofil <strong>der</strong>Gesamtgruppe gegenüber: Wo bin ich mit meinem Urteil im mainstream, wo weiche ich vom Durchschnittab? Im obigen Fall hat die Kollegin („Mein Profil“) möglicherweise ein spezifisches Konzept von„angemessenem Lob“.Hier finden Sie Anregungen für die Unterrichtsanalyse im Team.Version 4.0 KMK-<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>, © A. Helmke et al. 2013


6Beim Datenabgleich aus drei Perspektiven (Triangulation) könnte eine Visualisierung so aussehen:Der Vergleich <strong>der</strong> Perspektiven kann die Reflexion über Unterricht anregen. Im vorliegenden Beispiel siehtman teils mäßigen Konsens (Items 6 und 7), teils starken Dissens (Item 8 und 9).Beim Schülerfeedback ist die Antwortverteilung innerhalb <strong>der</strong> Klasse oft interessanter als <strong>der</strong>Klassenmittelwert, siehe die Stabdiagramme auf <strong>der</strong> linken Seite <strong>der</strong> Abbildung. Diese Verteilung ist einAusdruck für Homogenität o<strong>der</strong> Heterogenität innerhalb <strong>der</strong> Klasse, denn je nach individuellenLernvoraussetzungen wird ein und dasselbe Unterrichtsangebot unterschiedlich wahrgenommen,interpretiert und genutzt. Im obigen Beispiel gibt es einen deutlichen Konsens bei Items 6 und 7, die sichauf ein durch Freundlichkeit und Wertschätzung charakterisiertes Klima beziehen. Für die Items 8 und 9dagegen zeigt sich eine erhebliche klasseninterne Streuung: Die Wartezeit nach Fragen wird von <strong>der</strong>Mehrheit <strong>der</strong> Schüler/innen für ausreichend gehalten, ein beachtlicher Teil <strong>der</strong> Schüler/innen hätte jedochmehr Zeit zum Nachdenken gebraucht.Software und Manuale können von <strong>der</strong> EMU-Website heruntergeladen werden. Die Erfahrung zeigt, dassman pro Schüler höchstens 1 Minute für die Dateneingabe benötigt. Bei Daten von 30 Schülern dauert esalso höchstens eine halbe Stunde. In <strong>der</strong> Praxis delegieren die meisten Lehrpersonen die Dateneingabe anSchüler in ihrer Klasse delegiert, die solche Arbeit gerne und kompetent erledigen. Zur Unterstützung <strong>der</strong>datenbasierten Reflexion über Unterricht haben wir beispielbasierte Leitfragen entwickelt.Hier geht es zum Auswertungsprogramm für die <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> und zu den Manualen.Version 4.0 KMK-<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>, © A. Helmke et al. 2013


6) Welche Szenarien und Veranstaltungsformate haben sich in <strong>der</strong> Praxis bewährt?Die folgende Abbildung veranschaulicht die Gesamtarchitektur und einzelne Szenarien <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>.Dabei werden drei Phasen (A, B, C) unterschieden:7A) Vorbereitung: Die Initiierung <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> als Katalysator <strong>der</strong> Unterrichtsentwicklungerfor<strong>der</strong>t ein systematisches und koordiniertes Vorgehen und ist eine Führungsaufgabe <strong>der</strong> Schulleitung(siehe Huber & Bartz, 2005). Die Vorbereitung erfolgt zweckmäßigerweise mit kollegialer Unterstützung.Die Erfahrungen zeigen, dass eine sorgfältige Vorbereitung durch eine Steuergruppe o<strong>der</strong> einenKoordinator hilfreich ist.B) Der Einstieg in die <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> (B) kann auf unterschiedliche Weise erfolgen: Für die Schule empfiehlt sich zu Beginn eine zentrale Veranstaltung (z.B. im Rahmen einesPädagogischen Tages o<strong>der</strong> einer SchiLF), die wie folgt verlaufen kann: in die Thematik einführen, einevideografierte Unterrichtssequenz zeigen, diese mit dem EMU-Bogen beurteilen, die Daten eingebenund datenbasiert über Dissens und Konsens diskutieren. Als Hilfestellung für eine solcheVeranstaltung steht auf <strong>der</strong> EMU-Website eine Powerpoint-Präsentation zur Verfügung. Außerdemwerden Hinweise auf käuflich erhältliche Unterrichtsvideos gegeben. Denkbar ist jedoch auch einStart in Gestalt einer punktuellen Nutzung <strong>der</strong> EMU-Instrumente durch einzelne Lehrkräfte /Tandems im Rahmen einer kollegialen Hospitation (Individualfeedback) o<strong>der</strong> durch Schülerfeedback;auch dies kann Auftakt für die evidenzbasierte Unterrichtsentwicklung sein. Studienseminaren bietet die Arbeit mit EMU vielfältige Lernchancen. Bewährt hat sich einehalbtägige Fortbildungsveranstaltung, günstigenfalls gefolgt von einem längerfristigen Projekt. Schließlich ist die <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> ein möglicher Gegenstand universitärer Lehrerausbildung.Version 4.0 KMK-<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>, © A. Helmke et al. 2013


C) Systematische Unterrichtsentwicklung: Das hauptsächliche Potenzial von EMU liegt in einemlängerfristigen Programm <strong>der</strong> Diagnostik und Reflexion des Unterrichts, gekoppelt mit systematischerUnterrichtsentwicklung. Wo es bereits eine entwickelte Kultur <strong>der</strong> Kooperation gibt, können die Phasen Aund B auch entfallen.8Die Abbildung zeigt (auf <strong>der</strong> rechten Seite) einen idealtypischen Verlauf <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> durch einTandem, bei dem systematisch die Rollen gewechselt werden. Das Vorgehen sollte den bewährten Dreischritt"Bestandsaufnahme - Intervention - Evaluation" zugrunde legen, d.h. die erste Erhebung verstehtsich als Screening von Stärken und Schwächen im Unterricht und bildet die Grundlage für Planung vonMaßnahmen <strong>der</strong> Professionalisierung (z.B. vertiefende Information) und <strong>der</strong> Weiterentwicklung des Unterrichts.Ob diese erfolgreich war, kann durch eine Wie<strong>der</strong>holung <strong>der</strong> Erhebung zu einem späteren Zeitpunktfestgestellt werden.Schulentwicklung: Wechselseitige Unterrichtsbesuche sind das Herzstück von EMU. Neben ihrerdiagnostischen Funktion für die Weiterentwicklung des Unterrichts können so Impulse für dieSchulentwicklung erfolgen: Weg von <strong>der</strong> Einzelkämpfermentalität, von <strong>der</strong> noch immer vorherrschendenVorstellung des Unterrichts als Privatangelegenheit hin zu einer professionellen Lerngemeinschaft.7) Wovon hängt das Gelingen ab?Der Erfolg des Unternehmens hängt von wichtigen institutionellen und individuellen Bedingungen ab: Auf institutioneller Seite sind die Chancen günstig, wenn die <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> im Schulprogrammverankert ist und bereits eine Kultur <strong>der</strong> kollegialen Kooperation entwickelt wurde. Die Schulleitungnimmt dabei (vgl. Altrichter, 2010) eine Schlüsselposition ein. Als sehr wichtig erwies sich, dassausreichende Ressourcen zur Verfügung stehen, insbeson<strong>der</strong>e Zeit für Hospitation und anschließendeReflexion. Hinzu kommt:Um Unterrichtsbesuch und Unterrichtsnachbesprechung als Instrumente <strong>der</strong> Selbstreflexion erfahren und nutzen zukönnen, müssen Lehrpersonen die Möglichkeit haben, sie außerhalb hierarchischer Beziehungen und unabhängig vonexternen Kontrollinteressen erproben zu können (Horster & Rolff, 2006, S. 166). Auf individueller Ebene erfor<strong>der</strong>t die erfolgreiche Durchführung <strong>der</strong> Diagnostik die Fähigkeit undBereitschaft zur Selbstreflexion, gekoppelt mit <strong>der</strong> Fähigkeit, im Team zu arbeiten. Um die zurückgemeldetenUnterrichtsbeurteilungen verstehen zu können, ist ein Mindestmaß an Vertrautheit mitgraphischen und tabellarischen Darstellungen empirischer Ergebnisse erfor<strong>der</strong>lich. Weiterhin muss esfür eine Lehrperson lohnenswert sein, sich an <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> zu beteiligen, d.h. <strong>der</strong> erhoffteNutzen muss größer sein als befürchtete Kosten (Zeitverlust, Verunsicherung). Für die Arbeit <strong>der</strong> Tandems ist die Kenntnis wichtiger Regeln des Gebens und Nehmens von Feedbackunabdingbar.Die Erfahrungen in <strong>der</strong> Praxis zeigen, dass es bei <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>, insbeson<strong>der</strong>e was dieHospitation anbelangt, eine Reihe von Stolpersteinen gibt. Sie lassen sich zwar nicht immer vollständigausräumen, man kann sie aber zumindest entschärfen kann - wenn man sie kennt und sich rechtzeitigdarauf einstellt. Hier finden Sie Hinweise auf häufig gehörte Einwände sowie Möglichkeiten, damitumzugehen.Version 4.0 KMK-<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>, © A. Helmke et al. 2013


98) <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> - und was dann?Wer kennt nicht Sprüche wie „Vom Wiegen wird die Sau nicht fetter" o<strong>der</strong> „Entwickeln statt vermessen!"?Das Fatale an diesen populistischen Floskeln ist, dass sie einen wahren Kern enthalten: Diagnostik ist keinSelbstzweck, son<strong>der</strong>n ihr müssen zielgerichtete Maßnahmen nachfolgen („Von Daten zu Taten"). Beides istnötig: eine solide Standortbestimmung und daraus abgeleitete Konsequenzen. Hierfür steht EMU einFormblatt für die Protokollierung und Vereinbarung von Maßnahmen zur Verfügung.Ebenso wie für qualitativ hochwertigen Unterricht gibt es auch für die Unterrichtsentwicklung keinen Königsweg.Je nach Sachlage und vorhandenen Ressourcen kommt die gesamte Bandbreite von Maßnahmen<strong>der</strong> Unterrichtsentwicklung in Betracht: von überregionaler bis hin zu schulinterner Fortbildung, von Lehrerverhaltenstrainingsbis hin zu <strong>Methoden</strong> des Coaching, vom Training des Umgangs mit Disziplinproblemenbis zur För<strong>der</strong>ung von <strong>Methoden</strong>kompetenzen, vom Microteaching bis hin zum Lernen aus Videos.Wichtig: Der wechselseitige Austausch über Unterricht ist selbst bereits eine <strong>der</strong> effektivsten Lernformen in<strong>der</strong> Lehrerfortbildung:Die LehrerInnen erleben sich nicht als Einzelkämpfer, son<strong>der</strong>n als lernende Gruppe, die durch den gemeinsamen Blickauf die Sache 'Unterricht' dadurch auch ihre Beziehungen zueinan<strong>der</strong> för<strong>der</strong>n. Es erhöht sich die Wahrnehmungsfähigkeit,was sich wie<strong>der</strong>um auf die Selbstwahrnehmung im eigenen Unterricht positiv auswirkt. Die vielfältigen Rückmeldungen<strong>der</strong> Beobachtenden verhelfen zum Perspektivwechsel und zu Einsichten und erleichtern Verän<strong>der</strong>ungenvon eingeschliffenen Verhaltensweisen (Miller, 2004, S. 217).Die EMU-Software ermöglicht die Analyse mehrfacher Erhebungen. So könnte man sich als Ergebnis einerBestandsaufnahme (Messung 1) vornehmen, seinen Unterricht gezielt zu verän<strong>der</strong>n. Messung 2 (ausreichen<strong>der</strong>zeitlicher Abstand, gleiches Fach, ähnlicher Stundentypus) kann dann Verän<strong>der</strong>ungen visualisieren,siehe die folgende Abbildung. Dort war eine Lehrperson mit dem Ergebnis <strong>der</strong> ersten Erhebung unzufriedenund nahm sich vor, geduldiger zu sein - mit Erfolg, wie <strong>der</strong> Unterschied zwischen den beiden Profilen zeigt.Es sind auch an<strong>der</strong>e Quervergleiche möglich, z.B.: Wie unterscheidet sich <strong>der</strong> Unterricht in unterschiedlichenParallelklassen (gleiches Fach, gleiches Unterrichtsangebot) und verschiedenen Fächern (gleicheKlasse, gleiche Lehrperson)?Hier finden Sie Leitfragen und Beispiele zur Interpretation von Verän<strong>der</strong>ungen.Die Feststellung quantitativ darstellbarer Verän<strong>der</strong>ungen bei bestimmten Unterrichtsmerkmalen ist abernicht das einzige und vielleicht nicht einmal <strong>der</strong> wichtigste Ziel <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>. Die Konfrontation<strong>der</strong> Selbsteinschätzungen mit an<strong>der</strong>en Sichtweisen und das Gespräch mit einem sachkundigen undkritischen, aber wohlwollenden Partner (critical friend) über Dissens und Konsens ist eine ausgezeichneteLerngelegenheit, um sich eigener Sichtweisen, Erklärungen und Verhaltensmuster klar zu werden.Subjektive Theorien des Lehrens und Lernens steuern zwar das Handeln, bleiben aber oft unterhalb <strong>der</strong>Version 4.0 KMK-<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>, © A. Helmke et al. 2013


10Schwelle des bewussten Nachdenkens. Der kollegiale Austausch hat das Potenzial, solche intuitivenKonzepte <strong>der</strong> bewussten Kontrolle zugänglich zu machen und implizite Theorien explizit zu machen. Dies isteine günstige Voraussetzung für die Ingangsetzung von Verän<strong>der</strong>ungsprozessen. EMU hat in vielenLehrerzimmern bewirkt, dass dort seit langem erstmalig intensiv und engagiert über pädagogische unddidaktische Fragen des Unterrichts gesprochen wurde!9) Wie kann das Kollegium zum Mitmachen motiviert werden?Es wäre unrealistisch zu erwarten, dass sich ein Kollegium spontan und enthusiastisch mit <strong>der</strong><strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> beschäftigt. Es kommt also entscheidend darauf an, ob die Leitung das Kollegiumvom Sinn einer Teilnahme überzeugen kann, denn <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> funktioniert nicht per Anordnung,son<strong>der</strong>n erfor<strong>der</strong>t eine tragfähige Basis im Kollegium.Den Unterricht zu entwickeln ist Aufgabe <strong>der</strong> Lehrkräfte; Aufgabe <strong>der</strong> Schulleitung ist, die Unterrichtsentwicklungin einer Schule an einer gemeinsamen Zielrichtung und gemeinsamen Qualitätsstandards zuorientieren (…) Die Verständigung auf ein gemeinsames Bild von Unterricht und <strong>der</strong> Prozess schulinternerUnterrichtsentwicklung erfor<strong>der</strong>n Lehrerkooperation, die sich nicht nur auf Konferenzen und pädagogischeTage beschränken kann, son<strong>der</strong>n im schulischen Alltag verankert sein muss (Huber & Bartz, 2005, S. 1/2).Im Folgenden sind einige Argumente für eine Teilnahme stichwortartig aufgeführt: Appell an die Professionalität <strong>der</strong> Lehrerkolleginnen und -kollegen Erleben <strong>der</strong> Wirksamkeit des eigenen Unterrichts als Schutz vor Erschöpfung („burn-out“) Die Schulleitung nimmt selbst aktiv teil und ist damit Vorbild ("Lernen am Modell") Kollegiales Feedback als Schritt zur Entwicklung einer innerschulischen Kooperationskultur Hinweis auf Vorgaben und Empfehlungen in Schulgesetzen und Orientierungsrahmen Schülerfeedback, um unseriösen Praktiken ("spick-mich.de") den Wind aus den Segeln zu nehmen Wertschätzung innovativer Vorhaben durch Schulleitung, Schulaufsicht und Schulträger <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> als ein Schritt in Richtung Exzellenz (Zertifizierung, Gütesiegel) hohe Wertschätzung von Initiativen <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> seitens <strong>der</strong> Eltern10) Kostet die Nutzung etwas, und wie erhält man das Material?EMU wurde im Auftrag <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz entwickelt, ist auf www.unterrichtsdiagnostik.infofrei verfügbar und kann kostenlos genutzt werden. Schulen, die bereits über Online-Werkzeuge verfügen(wie z.B. UniPark, LimeSurvey, GrafStat) können die EMU-Fragebögen in ihre Verfahren einpflegen.11) EMUplus: <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> und LehrergesundheitGuter Unterricht, bei dem die Schüler/innen viel lernen, <strong>der</strong> sie unter Berücksichtigung ihrer Verschiedenheitindividuell för<strong>der</strong>t und in einem lernför<strong>der</strong>lichen Klima stattfindet, steigert die Zufriedenheit und dasErleben <strong>der</strong> Wirksamkeit <strong>der</strong> Lehrpersonen und ist somit zugleich ein wirksamer Schutz vor Erschöpfung.Guter Unterricht allein ist allerdings keine Garantie für den Erhalt <strong>der</strong> Lehrergesundheit, dennÜberengagement, unrealistisch hohe Erwartungen, schwierige Schüler/innen, Lärm, mangelndeUnterstützung im Kollegium sind gravierende berufliche Belastungsfaktoren.Wir haben deshalb - in Kooperation mit dem Kultusministerium des Landes Baden-Württemberg - einZusatzmodul entwickelt, das an<strong>der</strong>s als die bisherigen Module qualitativen Charakter hat, also nicht zueinem datenbasierten Ergebnisabgleich mit anschließen<strong>der</strong> Visualisierung führt, siehe EMUplus.Version 4.0 KMK-<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>, © A. Helmke et al. 2013


BEITRÄGE ZUR LEHRERBILDUNG, 31 (2), 2013<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> als Voraussetzung für Unterrichtsentwicklung*Andreas Helmke und Gerlinde LenskeZusammenfassung Wenn man Hatties For<strong>der</strong>ung, das Lernen sichtbar zu machen, auf dieProzesse des Lehrens erweitert, dann ergibt sich die Notwendigkeit einer empirischen Standortbestimmungdes Unterrichts. Hierfür wurde das Konzept <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> entwickelt,dessen Potenzial am Beispiel des Diagnosewerkzeugs EMU (<strong>Evidenzbasierte</strong> <strong>Methoden</strong><strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> und -entwicklung) veranschaulicht wird. Im Kern geht es dabei umdie datenbasierte und kriteriengeleitete Beschreibung des Unterrichts und um den Abgleich unterschiedlicherPerspektiven: Selbsteinschätzung <strong>der</strong> unterrichtenden Lehrperson, Feedback <strong>der</strong>hospitierenden Kollegin o<strong>der</strong> des hospitierenden Kollegen und Schülerfeedback. Die Grundgedankenund die dafür entwickelten Instrumente und Prozeduren lassen sich sowohl für die Lehrpersonenausbildungals auch für die Lehrpersonenfortbildung und -professionalisierung nutzen.Schlagwörter <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> – Unterrichtsentwicklung – Feedback – Unterrichtsqualität– diagnostische Kompetenz – Unterrichtsbeobachtung – PerspektivenwechselDiagnosis of Classroom Instruction from Different Perspectives as a Prerequisitefor Improving Teaching and LearningAbstract Starting out from Hattie’s focus on making student learning visible, we argue thatthis is also crucial to teaching processes. For this purpose, we have developed a system of questionnaires,software and other materials which helps teachers to gather an empirical data basein or<strong>der</strong> to monitor and improve their instruction. Based on mo<strong>der</strong>n research on teaching effectiveness,and on a concrete lesson, the core of the instrument consists of tools for a systematiccomparison of different perspectives: the teacher’s self-report, rating of an observing colleague,and students’ feedback.Keywords quality of instruction – diagnostic competence – feedback – classroom observa tion –change of perspectives1 EinführungOb John Hattie mit seiner monumentalen Studie «Visible Learning» (Hattie, 2009),die in <strong>der</strong> Zwischenzeit auch in deutscher Sprache erschienen ist (Hattie, 2013), tatsächlich«teaching’s holy grail» – also den Heiligen Gral – gefunden hat, wie vom«Times Educational Supplement» berichtet, mag dahingestellt bleiben. Auf jeden Fall* Wir danken Friedrich-Wilhelm Schra<strong>der</strong> für sehr konstruktive Korrekturvorschläge zu diesem Text.214


<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> als Voraussetzung für Unterrichtsentwicklunghat diese Studie etwas bewirkt, was we<strong>der</strong> die grossen Large-Scale-Studien (wie PISA,IGLU, DESI und TIMSS) noch zahlreiche an<strong>der</strong>e wissenschaftliche Bücher, Berichte,Foren, Appelle und Schriften geschafft haben: Den Blick <strong>der</strong> Öffentlichkeit, insbeson<strong>der</strong>eauch <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>spolitik und <strong>der</strong> Lehrpersonenaus- und -fortbildung, wie<strong>der</strong> aufdas Kerngeschäft <strong>der</strong> Schule, nämlich auf den Unterricht zu lenken und damit auf diewichtigsten Protagonistinnen und Protagonisten in diesem Geschäft, die Lehrerinnenund Lehrer.Eines <strong>der</strong> grundlegenden Postulate <strong>der</strong> Hattie-Studie besteht in <strong>der</strong> Notwendigkeit, daspädagogische Tun auf eine empirische Grundlage zu stellen, d.h. das Handeln auf Daten(empirische Evidenz) zu stützen. Hatties Hauptaugenmerk ist darauf gerichtet, dasLernen sichtbar zu machen, indem vielfältige Situationen geschaffen werden, in denenLehrpersonen Einblick in den laufenden Lernprozess ihrer Schülerinnen und Schülernehmen, einschliesslich möglicher Lernhin<strong>der</strong>nisse, Missverständnisse und Fehler.Ein zentraler Faktor ist dabei das Feedback, also die Rückmeldung über den aktuellenStand. Bemerkenswerterweise sieht Hattie Feedback jedoch nicht als Einbahnstrasse,obwohl er ursprünglich eine an<strong>der</strong>e Auffassung vertreten hatte:Der Fehler, den ich machte, war, in Feedback etwas zu sehen, was die Lehrpersonen den Lernenden geben.Das haben sie meist nicht getan, auch wenn sie behaupteten, dass sie es die ganze Zeit tun würden. Dasmeiste Feedback, das sie gaben, war sozialer und verhaltensbezogener Art. Erst als ich entdeckt habe, dassFeedback beson<strong>der</strong>s wirksam ist, wenn es <strong>der</strong> Lehrperson von den Lernenden gegeben wird, begann iches besser zu verstehen. Wenn Lehrpersonen Feedback von den Lernenden einfor<strong>der</strong>n – o<strong>der</strong> zumindestoffen sind gegenüber dem, was Lernende wissen, was sie verstehen, wo sie Fehler machen, wo sie falscheVorstellungen haben, wo es ihnen an Engagement mangelt – dann können Lehren und Lernen miteinan<strong>der</strong>synchronisiert werden und wirksam sein. Feedback an die Lehrperson hilft, das Lernen sichtbar zu machen.(Hattie, 2013, S. 206)Denkt man diesen Ansatz weiter, dann ist es nur konsequent, in analoger Weise zurSichtbarmachung des Lernens auch das Lehren, also den Unterricht, sichtbar zu machen.Diese Ausweitung spricht Hattie übrigens explizit an: «Der wichtigste Aspektbesteht darin, im Klassenzimmer Situationen zu schaffen, in denen die Lehrpersonenmehr Feedback über ihren Unterrichtsstil erhalten können» (Hattie, 2013, S. 15). Hierzubedarf es geeigneter Werkzeuge und <strong>Methoden</strong> – und genau darum geht es in diesemBeitrag.2 <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>2.1 Theoretische EinbettungDiagnostische Kompetenzen werden von <strong>der</strong> Pädagogischen Psychologie (sieheSchra<strong>der</strong> 2011, 2013 [in diesem Heft]) wie von <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>spolitik seit jeher für wichtig,ja unabdingbar gehalten. Für Weinert (Weinert & Helmke, 1996) ist diagnostischeKompetenz – neben didaktischer Kompetenz, fachlicher Kompetenz und Klassenführungskompetenz– eine <strong>der</strong> vier Kernkompetenzen des Lehrberufs. Ähnlich hoch215


BEITRÄGE ZUR LEHRERBILDUNG, 31 (2), 2013wird die diagnostische Kompetenz in <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>spolitik eingeschätzt (vgl. die Professionsstandards<strong>der</strong> Kultusministerkonferenz, 2004); hier lauten die vier zentralenKompetenzbereiche Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und Innovieren. Allerdings istmit «Diagnostik» in diesem Zusammenhang meist Individualdiagnostik gemeint. WieAbbildung 1 zeigt, kann sich Diagnostik jedoch auf sehr unterschiedliche Sachverhalteund Gegenstände beziehen: von Schülerleistungen und -kompetenzen über an<strong>der</strong>elernrelevante Schülermerkmale, beobachtbares Lern- und Aufmerksamkeitsverhalten(z.B. Helmke & Renkl, 1992) bis hin zu Merkmalen <strong>der</strong> Lehrpersonenpersönlichkeit(Herlt & Schaarschmitt, 2007) und Lehrpersonenprofessionalität (z.B. in <strong>der</strong> StudieCOACTIV, Kunter et al., 2011). Darüber hinaus kann Diagnostik auch auf die Qualität<strong>der</strong> unterrichtlichen Prozesse bezogen sein.LEHRPERSONProfessionswissenund Kompetenzen inden Bereichen Unterrichten Diagnostizieren Erziehen Beraten InnovierenPädagogischeOrientierungen,Erwartungen,EinstellungenUNTERRICHT(‹Angebot›)Qualität <strong>der</strong>UnterrichtsprozesseQualität des Lehr-Lern-MaterialsUnterrichtszeit:LerngelegenheitenAbbildung 1: Gegenstandsbereiche <strong>der</strong> pädagogischen Diagnostik (Quelle: www.unterichtsdiagnostik.info).Wahrnehmungund InterpretationZusammensetzung <strong>der</strong> Klasse hinsichtlichVorkenntnisse, Herkunftssprache, Intelligenz, Lernmotivationsozialer, selbstregulativer, interkultureller KompetenzenLERNAKTIVITÄTEN(‹Nutzung›)Aktive Lernzeitim UnterrichtAußerschulischeLernaktivitätenWIRKUNGEN(‹Ertrag›)Fachliche undfachübergreifendeKompetenzenDiagnostikeigenen Wissens undeigener Kompetenzen<strong>der</strong> Qualität und Quantitätdes eigenen Unterrichts<strong>der</strong> Unterrichts--wahrnehmung<strong>der</strong> Lernbedingungenund Lernprozesse<strong>der</strong> Lernergebnisse(«Kompetenzdiagnostik»)Folgt man dem Konzept einer Evidenzbasierung pädagogischer Praxis, wie es – keineswegsnur, aber beson<strong>der</strong>s prononciert – von Hattie vertreten wird, dann setzt einegezielte Weiterentwicklung des Unterrichts eine geeignete Standortbestimmung, also«Daten», voraus. Hierzu gibt es in <strong>der</strong> Forschung und in <strong>der</strong> Schulpraxis vielfältigesMaterial, das in zunehmendem Masse auch im Internet zugänglich ist. Für die gezielteNutzung empirischer Informationen über Unterricht entwickelte das LandauerForschungsteam (vgl. www.unterrichtsdiagnostik.info/media/files/Autorenteam.pdf)das Konzept «<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>». Während man bei «Diagnostik» im alltäglichenSprachgebrauch häufig zunächst an die Medizin denkt, ist doch festzuhalten, dass diesesaus dem Griechischen stammende Wort ursprünglich keinen bereichsspezifischen Charakterhatte, son<strong>der</strong>n nur die Erforschung eines Sachverhaltes meint mit dem Ziel, be-216


<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> als Voraussetzung für Unterrichtsentwicklungobachtete Merkmale einem Klassifikationssystem zuzuordnen; wer dies kann, ist eindiagnostikos («zum Unterscheiden begabt»).Ähnlich wie beim Konzept des «reflective practitioner» bei Schön (1983), des «forschendenLehrers» bei Altrichter und Posch (2007) und <strong>der</strong> «unterrichtsintegriertenSelbstevaluation» (Beywl, 2013) geht es auch bei <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> darum,sich in forschen<strong>der</strong> Absicht dem eigenen Unterricht zu nähern. Zusätzlich beinhaltetdas im Folgenden vorgestellte Konzept <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> den datenbasierten,systematischen und expliziten Abgleich unterschiedlicher Perspektiven unter Verwendungkriteriengeleiteter Werkzeuge (vgl. Abbildung 2). Dies entspricht <strong>der</strong> Sichtweisevon Hattie (2013, S. 281): «Begegnungen unter Lehrpersonen: Hier diskutieren, bewertenund planen sie ihren Unterricht im Licht <strong>der</strong> Feedback-Evidenz: über den Erfolgund die weiteren Wirkungen ihrer Lehrsrategien und Konzepte, über Fortschrittund angemessene Herausfor<strong>der</strong>ungen. Dies ist nicht (nur) kritische Reflexion, son<strong>der</strong>nkritische Reflexion im Licht <strong>der</strong> Evidenz, also im Licht empirischer Belege zu ihremUnterricht.»Abbildung 2: Datenbasiertes Feedbackgespräch im Anschluss an eine Unterrichtsstunde (Quelle:www.unterrichtsdiagnostik.info/video/).2.2 Werkzeuge und ProzedurenDie <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> lässt eine grosse Bandbreite von <strong>Methoden</strong>, Werkzeugen undPerspektiven zu (für eine ausführliche Übersicht vgl. Helmke, Helmke & Pham, 2012).So kann die Diagnostik des Unterrichts– überwiegend quantitativ (mit Einschätzskalen, Checklisten, Fragebögen) o<strong>der</strong> aberauch qualitativ erfolgen, wie z.B. beim Werkzeug «Fokus Unterricht» (Brosziewski& Mae<strong>der</strong>, 2007);– auf einen längeren Zeitraum gerichtet sein, also auf Schülerseite kumulative Urteileerfor<strong>der</strong>n (wie im Falle <strong>der</strong> Large-Scale-Studien und Lernstandserhebungen vomTyp PISA, TIMSS o<strong>der</strong> IGLU, aber auch wie in den meisten Schülerfragebögen <strong>der</strong>Schulinspektionen und Qualitätsagenturen), o<strong>der</strong> nur eine konkrete Unterrichtsstunde(o<strong>der</strong> eine Lerneinheit) betreffen;217


BEITRÄGE ZUR LEHRERBILDUNG, 31 (2), 2013– aus unterschiedlichen Perspektiven erfolgen, d.h. Urteile <strong>der</strong> unterrichtenden Lehrperson,<strong>der</strong> Schülerschaft, anwesen<strong>der</strong> Gäste (Hospitantinnen und Hospitanten) undim Falle <strong>der</strong> Videoanalyse auch Urteile einer Gruppe miteinbeziehen;– sich auf fachübergreifende («generische») Aspekte <strong>der</strong> Unterrichtsqualität o<strong>der</strong> auffachspezifische (fachdidaktische, fachwissenschaftliche) Merkmale beziehen.3 <strong>Evidenzbasierte</strong> <strong>Methoden</strong> <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> und -entwicklungDie Unterrichtsforschung hat gezeigt, dass Urteile über Unterricht aus verschiedenenPerspektiven oft nicht übereinstimmen und jeweils unterschiedliche blinde Fleckenaufweisen. Deshalb wird gefor<strong>der</strong>t, bei <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> ausdrücklich unterschiedlichePerspektiven einzubeziehen und verstärkt auf Perspektivenabweichungenzu fokussieren (vgl. Clausen, 2002). Genau dieser For<strong>der</strong>ung kommt das in Landauentwickelte Werkzeug EMU («<strong>Evidenzbasierte</strong> <strong>Methoden</strong> <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>und -entwicklung») nach. Es wurde im Auftrag <strong>der</strong> deutschen Kultusministerkonferenz(KMK) für die Praxis <strong>der</strong> Lehrpersonenaus- und -fortbildung entwickelt und umfasstFragebögen, Texte, Handreichungen, Folien, Videos authentischer Unterrichtsstundensowie Software für die Auswertung und Visualisierung von Unterrichtsbeobachtungen(Helmke et al., 2013). Das gesamte Material ist im Internet über die Website www.unterrichtsdiagnostik.info zugänglich, wo es uneingeschränkt, kostenlos und ohne irgendwelcheAnmeldungen, Registrierungen, Pass- o<strong>der</strong> Kennwörter heruntergeladenund genutzt werden kann. Es richtet sich primär an Schulen, daneben aber auch an dieLehrpersonenaus- und -fortbildung. Häufig kommt <strong>der</strong> Anstoss dazu von den Schulenselbst; immer öfter empfiehlt aber auch die Schulaufsicht – im Rahmen von Zielvereinbarungennach einer externen Evaluation –, EMU als Verfahren <strong>der</strong> Selbstevaluation zuverwenden. EMU hat sich in <strong>der</strong> Schulpraxis wie auch in <strong>der</strong> Lehrpersonenausbildungund -fortbildung bewährt und ist in mehreren deutschen Bundeslän<strong>der</strong>n bereits Teil desregulären Aus- und Fortbildungsangebots im Lehramtsstudium. Darüber hinaus wirdEMU auch von berufstätigen Lehrpersonen, Schulleitungen und Schulaufsichtsbeamtinnenund -beamten genutzt (so etwa in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz sowie im Kanton Zürich).Im Folgenden sollen die wichtigsten Features von EMU beschrieben werden (für weiterführendeHinweise und Details zum praktischen Vorgehen sowie zu den Gelingensbedingungenund Stolpersteinen in <strong>der</strong> Praxis vgl. www.unterrichtsdiagnostik.info sowieHelmke, Helmke & Schra<strong>der</strong>, 2012; Helmke et al., 2011).3.1 GegenstandsbereichEMU orientiert sich, was die Auswahl von Qualitätsbereichen anbelangt, an <strong>der</strong> internationalenUnterrichtsforschung (Marzano, Pickering & Pollock, 2005; Hattie, 2009;218


<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> als Voraussetzung für UnterrichtsentwicklungHelmke, 2012) und sieht eine Reihe von Qualitätsbereichen vor (in Klammern dahinter:die Anzahl <strong>der</strong> Items).– Basisbereiche: Effiziente Klassenführung (5), lernför<strong>der</strong>liches Klima und Motivierung(6), Klarheit und Strukturiertheit (5) sowie Aktivierung (6) als Merkmaleprozessualer Unterrichtsqualität. Hinzu kommt ein Bilanzbereich (5), d.h. eine Einschätzung<strong>der</strong> Unterrichtsstunde in emotionaler (Wohlfühlen), motivationaler (Interessantheit)und kognitiver Hinsicht (Lernertrag, Passung).– Zusatzbereiche: Das oben genannte Fundamentum kann um Zusatzbereiche («Additum»)ergänzt werden. Hierfür stehen gegenwärtig Itempools zu folgenden Bereichenzur Verfügung: kognitive Aktivierung (42), Umgang mit Vielfalt/Individualisierung(20), kooperatives Lernen/Gruppenarbeit (40), Lehrersprache (10),fachliche/fachdidaktische Qualität (3) sowie Kompetenzorientierung/Orientierungan den <strong>Bildung</strong>sstandards (alle <strong>der</strong>zeit geltenden <strong>Bildung</strong>sstandards).– Zusätzlich können Instrumente zum Unterricht <strong>der</strong> externen Evaluation/Schulinspektiondes Bundeslandes eingesetzt werden, selbst entwickelte Items zu Bereichen,die <strong>der</strong> Schule wichtig sind, o<strong>der</strong> es können Beobachtungsaufträge individuellvereinbart werden.EMU ist zwar im Kern ein quantitativer Ansatz (Einschätzbögen), umfasst jedochauch qualitative Elemente, beispielsweise (a) eine Checkliste zum Thema «Umgangmit Vielfalt» als Grundlage dafür, über Individualisierung und Differenzierung ins Gesprächzu kommen, und (b) Anregungen für konkrete Beobachtungsaufträge, etwa zumVerhalten ausgewählter Schülerinnen und Schüler.3.2 Abgleich von PerspektivenDen Kern von EMU stellt <strong>der</strong> Abgleich unterschiedlicher Perspektiven auf ein unddenselben Urteilsgegenstand dar; dies ist üblicherweise eine konkrete Unterrichtsstunde.Dadurch bietet EMU Anlässe, miteinan<strong>der</strong> über Konsens sowie Dissens – und dieGründe dafür – ins Gespräch zu kommen. Die jeweils identischen Formate und äquivalentenFormulierungen gewährleisten, dass die Urteile <strong>der</strong> unterrichtenden Lehrperson,des hospitierenden Gastes und <strong>der</strong> Schülerinnen und Schüler auf den gleichen Gegenstandgerichtet sind und gefundene Unterschiede zwischen den drei Ansätzen somitnicht auf die Unterschiedlichkeit <strong>der</strong> eingesetzten Werkzeuge, son<strong>der</strong>n auf unterschiedlicheSichtweisen zurückzuführen sind. Erst diese wechselseitige Anschlussfähigkeitmacht einen Abgleich von Perspektiven möglich. Abbildung 3 veranschaulicht denSachverhalt <strong>der</strong> Triangulation in Gestalt unterschiedlicher Mittelwertsprofile (rechteSeite) und zeigt darüber hinaus die Streuung <strong>der</strong> Antworten innerhalb <strong>der</strong> betreffendenKlasse (Stabdiagramme).219


BEITRÄGE ZUR LEHRERBILDUNG, 31 (2), 2013Abbildung 3: Triangulation: Unterricht aus drei Perspektiven (Ausschnitt aus einer Visualisierung, diedie EMU-Software nach Eingabe <strong>der</strong> Rohdaten «auf Knopfdruck» erzeugt).Zur Veranschaulichung <strong>der</strong> Architektur von EMU soll nachfolgend ein Beispielitemaus drei Perspektiven aufgeführt werden (4-stufiges Antwortformat: stimme nicht zu –stimme eher nicht zu – stimme eher zu – stimme zu):– Unterrichtende Lehrerin: «Wenn ich eine Frage gestellt habe, hatten die Schüler/innenausreichend Zeit zum Nachdenken.»– Hospitierende Lehrperson: «Wenn die Kollegin eine Frage gestellt hat, hatten dieSchüler/innen ausreichend Zeit zum Nachdenken.»– Schülerfragebogen: «Wenn die Lehrerin in dieser Unterrichtsstunde eine Frage gestellthat, hatte ich ausreichend Zeit zum Nachdenken.»3.3 ModularisierungEMU liegt ein Baukastenprinzip zugrunde: Je nach Bedarf und Situationseinschätzunglassen sich sehr unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten in <strong>der</strong> Art eines Menüszusammenstellen. So kann man– das Instrument zunächst einmal nur für sich selbst, als eine Art «Logbuch» verwenden.– einen Überblick über alle fünf Bereiche gewinnen, aber auch nur einen Bereichauswählen.– das Instrument nur punktuell («Momentaufnahme») o<strong>der</strong> zur Erfassung von Verän<strong>der</strong>ungenals Ergebnis <strong>der</strong> Unterrichtsentwicklung mehrfach einsetzen.– die eigene Sicht nur mit einer an<strong>der</strong>en Perspektive statt mit beiden (Kolleginnen/Kollegen, Klasse) abgleichen.Diese Modularisierung (Auswahl von Perspektiven, Inhalten, Referenzzeitraum) istnach den Erfahrungen aus <strong>der</strong> Pilotierungsphase für die Akzeptanz in <strong>der</strong> Praxis ausserordentlichwichtig. Dazu kommt die Möglichkeit, den angebotenen Itempool von EMUje nach Schwerpunkt des Schulprofils zu ergänzen und ihn nach persönlichen Interessenund Bedürfnissen zu individualisieren. In <strong>der</strong> Lehrerinnen- und Lehrerausbildungim Rahmen von Studienseminaren wird <strong>der</strong> im Internet angebotene fachübergreifendeTeil von EMU beispielsweise durch fachspezifische Aspekte ergänzt. Dies ist gleichbe-220


<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> als Voraussetzung für Unterrichtsentwicklungdeutend mit einer Koppelung von generischen Merkmalen <strong>der</strong> Unterrichtsqualität mitfachdidaktischen und fachwissenschaftlichen Aspekten. Aufgrund dieses bedeutsamenAspekts wurden – obwohl <strong>der</strong> Schwerpunkt von EMU klar auf fachübergreifenden Aspektenliegt – an mehreren Stellen Brücken zu fachspezifischer Reflexion geschlagen,zum Beispiel:– Orientierung an den <strong>Bildung</strong>sstandards (D, CH, A);– kollegiale Reflexion zur Erreichung <strong>der</strong> fachlichen Lernziele <strong>der</strong> Unterrichtsstunde;– Impulse für die fachdidaktische Reflexion.Schliesslich wurde dem Wunsch insbeson<strong>der</strong>e berufsbilden<strong>der</strong> Schulen Rechnung getragen,die dem Schülerfeedback häufig nicht nur eine einzelne Unterrichtsstunde, son<strong>der</strong>neine komplette Unterrichtseinheit zugrunde legen möchten; hierfür können siedie EMU-Vorlage entsprechend dem in ihrem Bundesland bzw. Kanton verwendetenVokabular adaptieren.3.4 Praxisgerechte FormateUrsprünglich war von <strong>der</strong> KMK als Auftraggeberin ein «Studienbrief» als Produkterwartet worden, und einen solchen hatten wir, in Gestalt einer über 120 Seiten langenBroschüre, damals auch konzipiert und erstellt. Die darauffolgende einjährigePilotierungsphase in Schulen, Studienseminaren und Universitäten sowie die Evaluationvon EMU (Ade-Thurow, 2011) zeigten jedoch, dass die Akzeptanz vor allem in <strong>der</strong>Schulpraxis zu wünschen übrig liess: Die beteiligten Schulleitungen und Lehrpersonenäusserten in <strong>der</strong> Mehrzahl ganz offen, sie seien nicht bereit, sich mit einem <strong>der</strong>art langenText auseinan<strong>der</strong>zusetzen. Als Resultat dieser Pilotierung entstanden im Dialog mitVertreterinnen und Vertretern von Schulen handliche und praxisgerechte Formate (allesverfügbar unter www.unterichtsdiagnostik.info), beispielsweise– eine einseitige Kurzinformation (gut zu lesen in <strong>der</strong> grossen Pause),– eine zehnseitige Broschüre (gut zu lesen in einer Freistunde),– Fragebögen,– vertiefende Texte, abrufbar über einen Hyperlink in <strong>der</strong> oben genannten Broschüre,– eine Powerpoint-Präsentation für die Vorstellung von EMU in den Schulen.3.5 Verän<strong>der</strong>ungssensitivitätEMU bietet die Möglichkeit einer Messwie<strong>der</strong>holung (z.B. in <strong>der</strong> gleichen Klasse, imgleichen Fach und mit äquivalentem Stundentypus), um durch eine Follow-up-ErhebungVerän<strong>der</strong>ungen visualisieren zu können. Wenn Unterrichtsentwicklung erfolgreichwar, dann sollte sich das auch in den Daten nie<strong>der</strong>schlagen, beispielsweise in einerverän<strong>der</strong>ten Schülerwahrnehmung des Unterrichts. Abbildung 4 zeigt den Vergleich«Vorher – Nachher» für eine Lehrperson, die EMU in ihrer Klasse eingesetzt hatte undvom Ergebnis <strong>der</strong> Erstmessung überrascht war, weil ihr dies nie zuvor in den Sinn gekommenwäre: Mehr Schülerinnen und Schüler, als ihr lieb waren, attestierten ihr, zu221


BEITRÄGE ZUR LEHRERBILDUNG, 31 (2), 2013Abbildung 4: Vorher-Nachher-Messung mit EMU (Ausschnitt).wenig Zeit zum Überlegen gehabt zu haben und häufig unterbrochen worden zu sein.Daraufhin arbeitete diese Lehrperson an ihrem Interaktionsverhalten und führte mithilfeeines MP3-Rekor<strong>der</strong>s (es muss nicht immer Video sein) eine Art «Self-Monitoring»durch. Die Ergebnisse <strong>der</strong> zweiten Messung, ca. 6 Wochen später, zeigten ihr, dass sichihr Verhalten aus Sicht <strong>der</strong> Schülerinnen und Schüler geän<strong>der</strong>t hatte.3.6 Von <strong>der</strong> Unterrichtsentwicklung zur SchulentwicklungDie Verbesserung <strong>der</strong> Kooperation und des kollegialen Austauschs innerhalb des Kollegiumswie auch die Überwindung von Einzelkämpfertum und Isolation gehören nichtzu den Primärzielen, sind aber ausserordentlich erwünschte Nebenwirkungen vonMassnahmen <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>. Zudem gibt es Belege dafür, dass die Qualität<strong>der</strong> kollegialen Kooperation positive Effekte auf das Kompetenzniveau <strong>der</strong> Schülerinnenund Schüler hat (vgl. Huber, Ahlgrimm & Ha<strong>der</strong>-Popp, 2012; Fussangel &Gräsel, 2012).Das EMU-Team hat zusätzlich eine Software entwickelt, mit <strong>der</strong>en Hilfe viele individuelleEMU-Daten (aus Kollegialfeedback und/o<strong>der</strong> Schülerfeedback) auf Schulebeneaggregiert und visualisiert werden können. Auf diese Weise sind die Ergebnisse nichtnur für individuelle Lehrpersonen und ihre Klassen von Nutzen, son<strong>der</strong>n die gesamteSchule kann in einen Lernprozess eingebunden werden, dem im Idealfall ein Dreischrittzugrunde liegt: (1) Diagnose <strong>der</strong> Ausgangslage, (2) Intervention, also vor allem Unterrichtsentwicklung,und (3) Evaluation, d.h. Wie<strong>der</strong>holung <strong>der</strong> Messung, wobei <strong>der</strong>Schwerpunkt auf einer Verän<strong>der</strong>ung des Unterrichsprofils <strong>der</strong> gesamten Schule liegt.222


<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> als Voraussetzung für Unterrichtsentwicklung4 Elemente <strong>der</strong> Lernwirksamkeit einer kriteriengeleiteten Reflexionüber UnterrichtDie Literatur zu «Teacher Change» (vgl. Richardson & Placier, 2002) zeigt, wie schwieriges ist, Verän<strong>der</strong>ungen des Lehrens zu bewirken. Angesichts <strong>der</strong> oft beschriebenen(Wahl, 2001) Resistenz eingefahrener, unbewusst ablaufen<strong>der</strong> Routinen, Gewohnheitenund Skripts, aber auch <strong>der</strong> Stabilität impliziter, subjektiver Unterrichtstheorienund Überzeugungen (Beliefs) kommt <strong>der</strong> Hospitation in Verän<strong>der</strong>ungsprozessen eingrosses Potenzial zu, weil bei diesem Szenario mehrere Elemente zusammenkommen,welche jedes für sich genommen lernför<strong>der</strong>lich sind. Diese lernför<strong>der</strong>lichen Elementewerden im Folgenden kurz beschrieben.4.1 EvidenzbasierungDie <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> basiert auf empirischer Evidenz, auf Beschreibungen desUnterrichts, die sich auf Beobachtungen stützen. Dies eröffnet die Möglichkeit einesevidenzbasierten Austauschs über Unterricht sowie einer datenbasierten Reflexion undMassnahmenplanung im Sinne einer gezielten Verbesserung des Unterrichts.4.2 Lernen durch BeobachtungLernen durch Beobachtung («Lernen am Modell») eröffnet <strong>der</strong> hospitierenden Kollegino<strong>der</strong> dem hospitierenden Kollegen die Chance, das eigene Verhaltensrepertoire weiterzuentwickeln.Dabei geht es keineswegs nur um die Imitation von Verhalten, son<strong>der</strong>nauch um das Entdecken von Regeln, Ritualen und <strong>Methoden</strong> (welche man bisher selbstnicht angewendet hat) sowie um die Beobachtung von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen.Die Lernsituation ist aussichtsreich, weil man – an<strong>der</strong>s als die unterrichtendeKollegin o<strong>der</strong> <strong>der</strong> unterrichtende Kollege – nicht unter Handlungsdruck steht und kein«cognitive overload» droht, sodass man den Blick auch auf normalerweise übersehene,wichtige Details richten kann.Der unterrichtenden Kollegin o<strong>der</strong> dem unterrichtenden Kollegen bietet sich demgegenüberdie Gelegenheit, neue Verhaltensweisen, Prozeduren, Szenarien o<strong>der</strong> Arrangements(z.B. eine neue Variante des kooperativen Lernens wie Gruppenpuzzle) zuerproben – verbunden mit <strong>der</strong> Chance, durch anschliessendes Feedback dazuzulernen(vgl. auch Abschnitt 6.3 zum Microteaching). Was für das Lernen von Schülerinnenund Schülern gilt, ist auch für das Lernen von Lehrpersonen relevant: Schaffung vonLernsituationen, in denen man auch einmal etwas ausprobieren kann und demnach auchFehler machen darf, aus denen man mit Unterstützung <strong>der</strong> Kollegin o<strong>der</strong> des Kollegenlernen kann – dies im Gegensatz zu prüfungsähnlichen Leistungssituationen, wie siez.B. bei Unterrichtsbesuchen mit den Ziel <strong>der</strong> Personalbeurteilung durch die Schulleitungentstehen.223


BEITRÄGE ZUR LEHRERBILDUNG, 31 (2), 20134.3 Potenzial des kriteriengeleiteten PerspektivenabgleichsDie Konstellation einer kriteriengeleiteten, beobachtungsbasierten wechselseitigenUnterrichtsbeobachtung in Verbindung mit darauf beruhen<strong>der</strong> gemeinsamer Reflexionbietet ein grosses kognitives Lernpotenzial. Sie stellt zum einen eine Gelegenheit dafürdar, auf eigene Routinen, Gewohnheiten und Marotten aufmerksam zu werden,vor allem aber auch dafür, eigener handlungsleiten<strong>der</strong> subjektiver Theorien gewahr zuwerden. Ziel dabei ist nicht die Zerschlagung dieser subjektiven Theorien (weitgehendsynonym mit Alltagstheorien, naiven Theorien, impliziten Theorien), son<strong>der</strong>n vielmehrihre «Öffnung» (Fauser, Rissmann & Weyrauch, 2009). Zum an<strong>der</strong>en sind kognitiveKonflikte, Dissonanzen und Irritationen Katalysatoren für Lernprozesse, wie man seitPiaget weiss: Die Erfahrung solcher Wi<strong>der</strong>sprüche kann günstigenfalls dazu führen,bisherige Konzepte zu überdenken, d.h. zu schärfen o<strong>der</strong> zu kalibrieren, und den damitverbundenen Kurs zu än<strong>der</strong>n.Auch <strong>der</strong> Forschungsansatz des Conceptual Change (Schnotz, 2006) ist in diesem Zusammenhangvon Bedeutung: Letztendlich geht es ja um die Verän<strong>der</strong>ung von Wissen,insbeson<strong>der</strong>e darum, subjektiv vorhandene, aber dysfunktionale Vorstellungen zu korrigieren,sowie darum, «vorhandene Fehlkonzepte durch wissenschaftliche Konzeptezu ersetzen. ... Dementsprechend soll <strong>der</strong> Lernende mit neuen Erfahrungen konfrontiertwerden, die bei ihm kognitive Konflikte auslösen und die bisherigen Konzepte in Fragestellen» (Schnotz, 2006, S. 78). Solche Prozesse <strong>der</strong> Wissensverän<strong>der</strong>ung werden – sodie Forschung zum Conceptual Change – vor allem dann geför<strong>der</strong>t, wenn es sich umauthentische und persönliche Kontexte handelt und «wenn <strong>der</strong> Wissenserwerb in einerermutigenden Lernkultur stattfindet, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> kooperative Erwerb von Kompetenzenim Vor<strong>der</strong>grund steht» (Schnotz, 2006, S. 81). Genau dies ist die Essenz von EMU:Die Hospitationssituation ist situiertes Lernen in Reinform. Es handelt sich um Lernen«vor Ort», um ein persönlich hoch bedeutsames Thema, und <strong>der</strong> kollegiale Austauschim Anschluss an die Unterrichtsstunde findet auf Augenhöhe und im bewertungsfreienRaum statt.4.4 Handlungsorientierung und ZielbezugDiagnostik ist kein Selbstzweck, son<strong>der</strong>n hat ebenso wie eine aufwendige externe Evaluationnur eine dienende Funktion, nämlich die Qualität von Schule und Unterricht zusichern und – falls nötig – zu verbessern. Konstitutiver Bestandteil des EMU-Szenariosnach einer gemeinsamen Besprechung einer Unterrichtsstunde anhand <strong>der</strong> dazu erhobenenDaten sind (a) die stichwortartige Zusammenfassung <strong>der</strong> Essentials des Gesprächs,(b) die Planung konkreter Massnahmen <strong>der</strong> Unterrichtsentwicklung, verbundenmit einer Schätzung des Unterstützungsbedarfs, und – bei mehreren Sitzungen imgleichen Schuljahr – (c) eine rückblickende Reflexion darüber, ob die Massnahmenüberhaupt realisiert wurden und, wenn ja, wie effektiv (Hat es etwas gebracht? Wer hatdavon profitiert? Wie habe ich das festgestellt?) und wie effizient (Stand <strong>der</strong> Aufwandin einem gesunden Verhältnis zum Ertrag? Wenn nein, was könnte man künftig optimieren?)diese Massnahmen waren.224


<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> als Voraussetzung für Unterrichtsentwicklung4.5 Forschendes LernenAn<strong>der</strong>s als beispielsweise bei <strong>der</strong> Unterrichtsbeobachtung durch Schulinspektorinnenund Schulinspektoren im Rahmen <strong>der</strong> externen Evaluation von Schulen geht es beiEMU ausdrücklich nicht darum, so genau wie möglich zu «messen». Im Gegenteil, mankönnte sogar sagen, <strong>der</strong> Weg sei das Ziel: Im Prozess, Konzepte <strong>der</strong> Unterrichtsqualitätpräzise und wissenschaftlich zu bestimmen, unterschiedliche Definitionen voneinan<strong>der</strong>abzugrenzen, unterrichtsbezogene Urteile auf beobachtbare Indikatoren zu beziehenund über <strong>der</strong>en Rolle und Gewichtung nachzudenken, liegt eine wesentliche Zielsetzungvon EMU. Insofern umfasst die Situation bei EMU auch wesentliche Aspektedessen, was man als «forschendes Lernen» bezeichnet (Dirks & Hansmann, 2002).Dabei sind Wi<strong>der</strong>sprüche und Dissens kein unerwünschtes «Rauschen in den Daten»und keine «Fehlervarianz», son<strong>der</strong>n eine willkommene und anregende Gelegenheit füreinen Diskurs über Unterricht, <strong>der</strong> nicht von allgemeinen didaktischen Konzepten undTheo rien, son<strong>der</strong>n von beobachtbarem Verhalten ausgeht und von dort aus gegebenenfallswie<strong>der</strong> vom Konkreten zum Abstrakten aufsteigt. Den Dreh- und Angelpunkt <strong>der</strong>Refle xion über Unterricht und des beobachtungsbasierten Feedbacks stellen Informa tionenauf <strong>der</strong> Ebene von Items dar. Aus diesem Grund bilden wir keine Summenscores(Mittel wert <strong>der</strong> Items eines Qualitätsbereichs). Insofern ist EMU zwar das Ergebnislang jähriger Unterrichts- und Lehrpersonenforschung, für quantitative Ansätze <strong>der</strong>Unter richtsforschung, die zur Erfassung übergeordneter Merkmale (wie z.B. «Effizienz<strong>der</strong> Klassenführung») mit Summenscores arbeiten, jedoch nicht gedacht und auchnicht geeignet.5 Ein Beispiel aus <strong>der</strong> Praxis von EMUZur Illustration des Einsatzes von EMU in <strong>der</strong> Schulpraxis soll in diesem Abschnitt ein(reales) Beispiel aufgeführt werden: In einer Schule hatte sich das Jahrgangsstufenteam<strong>der</strong> 7. Klasse darauf verständigt, gemeinsam die Qualität des Unterrichts zu sichten,um ihn – wo nötig – gezielt zu verbessern. Dazu wurde das EMU-Werkzeug eingesetzt.Bei einem Tandem kam es dabei zu einem Dissens zwischen <strong>der</strong> Einschätzung <strong>der</strong> unterrichtendenund <strong>der</strong>jenigen <strong>der</strong> hospitierenden Lehrperson. Erstere nannte als Grundfür ihre Einschätzung von Item 24 («Die Unterrichtsstunde war für die Schüler/inneninteressant.»), dem sie «eher nicht» zustimmte, dass sich nur wenige Schülerinnen undSchüler aktiv mit Meldungen am Unterricht beteiligt hätten – insbeson<strong>der</strong>e bei schwierigerenFragen. Aufgrund ihrer bisherigen persönlichen Erfahrung war sie <strong>der</strong> Ansicht,dass auch eine alltagsnahe Problemstellung in dieser Klasse zu keinem höheren Engagementführen würde. Sie glaubte, dass Schülerinnen und Schüler in diesem Alter generellweniger Interesse an Schule und Unterricht hätten. Die hospitierende Lehrpersonhingegen teilte diese subjektive Theorie nicht. Ihrer Einschätzung zufolge hatten dieSchülerinnen und Schüler einen durchaus anregenden und für sie interessanten Unter-225


BEITRÄGE ZUR LEHRERBILDUNG, 31 (2), 2013richt erlebt. Die geringe Anzahl sich beteiligen<strong>der</strong> Schülerinnen und Schüler, geradebei schwierigeren Fragestellungen, hatte die hospitierende Lehrperson zwar auch wahrgenommen,führte die geringe Anzahl an Meldungen jedoch nicht auf das Interesse,son<strong>der</strong>n auf die zur Verfügung stehende Antwortzeit zurück. Sie glaubte, die Schülerinnenund Schüler hätten schlichtweg zu wenig Zeit gehabt, um die Fragestellungenzu beantworten, da die unterrichtende Lehrperson stets schon nach kurzer Zeit eineSchülerin o<strong>der</strong> einen Schüler aufgerufen habe.Die beiden Lehrpersonen zogen in einem entscheidenden zweiten Schritt die Schülerperspektivehinzu, um ihre Hypothesen zu verifizieren bzw. zu falsifizieren, und inspiziertendie Verteilung <strong>der</strong> Schülerantworten (vgl. Abbildung 5).Abbildung 5: Visualisierung des Praxisbeispiels mithilfe <strong>der</strong> EMU-Software.In diesem Beispiel fanden zwar auch die Schülerinnen und Schüler die Stunde interessant.Es stellte sich jedoch heraus, dass etwa zwei Drittel von ihnen nicht genügend Zeitzum Nachdenken hatten. Durch den Perspektivenabgleich wurde <strong>der</strong> unterrichtendenLehrperson bewusst, dass ihre eigene Annahme auf einer subjektiven Theorie beruhte,diese jedoch nicht <strong>der</strong> Realität entsprach. Sie sieht ihre Lerngruppe nun mit an<strong>der</strong>enAugen und kann sich aufgrund des Feedbacks besser auf sie einstellen, indem sie denSchülerinnen und Schülern z.B. mehr Zeit zum Nachdenken gewährt. EMU unterstütztLehrkräfte also darin, das Lernen <strong>der</strong> Schülerinnen und Schüler – ganz nach Hatties(2009) Motto – durch die Augen <strong>der</strong> Schülerinnen und Schüler zu sehen.Des Weiteren hatte die oben genannte Situation zur Folge, dass sich die beteiligtenLehrpersonen zu einer ausgewählten Fragestellung – Rolle <strong>der</strong> Wartezeit – in <strong>der</strong> Fachliteraturinformierten und auf diese Weise die empirische Befundlage zur Kenntnis nahmen– z.B. Rowes (1986) Artikel mit dem vielsagenden Titel «Wait time: Slowing downmay be a way of speeding up» –, die ihnen bis dato unbekannt gewesen war. Obwohles seit Langem empirisch begründete untere «Schwellenwerte» für die Wartezeit («waittime») auf Schülerantworten gibt (sofern es sich nicht um automatisierte Prozesse han-226


<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> als Voraussetzung für Unterrichtsentwicklungdelt, wie z.B. beim Kopfrechnen), nämlich minimal drei Sekunden, begrenzt sich dieWartezeit von Lehrpersonen im Schnitt auf eine Sekunde o<strong>der</strong> weniger; anschliessendwie<strong>der</strong>holen sie die Frage, geben diese an an<strong>der</strong>e Schülerinnen und Schüler weiter, brechendie Frage-Antwort-Sequenz ab o<strong>der</strong> geben die Antwort praktischerweise gleichselbst (Helmke et al., 2008; Hattie, 2012). Ein solches Verhalten wollten die betei ligtenLehrpersonen in ihrem Unterricht künftig vermeiden. Aber können Lehrpersonen imlaufenden Unterricht überhaupt ein «Monitoring» ihres eigenen Verhaltens leisten?Hierzu meint <strong>der</strong> amerikanische Unterrichtsforscher Borich (2007, S. 13):Within the busy schedule of a school day, teachers do not have many opportunities to reflect on the relativemerits of the strategies and methods they use. To pause for contemplation during instruction could disruptthe rapidity of classroom events, and almost surely would result in a loss of momentum; to pause after classor at the end of the school day would require the ability to accurately recall events that may have occurredhours earlier. As a result, teachers frequently can be observed performing behaviors that they are unawareof, such as dominating discussions and allowing too little response time for students to think through ananswer.Ohne den Abgleich mit an<strong>der</strong>en Perspektiven und <strong>der</strong>en explizite Thematisierung bleibensubjektive Theorien meist implizit. Die Wahrnehmung des eigenen Lehrhandelnsund <strong>der</strong> eigenen Person unterscheidet sich in <strong>der</strong> Regel von <strong>der</strong> Fremdwahrnehmungund <strong>der</strong> Realität (Clausen, 2002). Illustriert wird dies durch das sogenannte Johari-Fenster (vgl. Abbildung 6), eine Denkfigur aus <strong>der</strong> Gruppendynamik, <strong>der</strong>en Name sichaus den jeweils ersten Buchstaben <strong>der</strong> Vornamen <strong>der</strong> beiden «Erfin<strong>der</strong>» Joseph Luft undHarrington Ingham ableitet (Luft & Ingham, 1955).Aöffentlichmir bekannt, an<strong>der</strong>en bekanntBgeheimmir bekannt, an<strong>der</strong>en nicht bekanntCblin<strong>der</strong> Fleckmir nicht bekannt, an<strong>der</strong>en bekanntDunbewusstmir nicht bekannt, an<strong>der</strong>en nicht bekanntAbbildung 6: Die vier Fel<strong>der</strong> des Johari-Fensters.Wie Abbildung 6 verdeutlicht, gibt es Bereiche, die <strong>der</strong> eigenen Wahrnehmung verborgenbleiben/sind (C, D). Während <strong>der</strong> Bereich des Unbewussten (D) we<strong>der</strong> <strong>der</strong> Selbstnoch<strong>der</strong> Fremdwahrnehmung zugänglich ist, beinhaltet <strong>der</strong> blinde Fleck (C) den Anteildes Verhaltens, den man selbst wenig wahrnimmt, obwohl er an<strong>der</strong>en offenkundig ist.Feedback kann helfen, die Fenstergrössen zu verän<strong>der</strong>n bzw. den blinden Fleck zu reduzierenund dadurch die Handlungsfähigkeit zu steigern.227


BEITRÄGE ZUR LEHRERBILDUNG, 31 (2), 20136 Nutzen von EMU für verschiedene Zielgruppen und Szenarien innerhalb<strong>der</strong> Lehrerinnen- und LehrerbildungDie bisherigen Ausführungen waren vor allem für die Schulpraxis und die Lehrpersonenfortbildungvon Bedeutung. Das Programm <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> eignet sichaber ebenso für die Lehrpersonenausbildung, nämlich sobald die Studierenden mit <strong>der</strong>Praxis eigenen Unterrichtens konfrontiert werden. Dadurch ergeben sich beispiels weiseLerngelegenheiten, um eigene Beobachtungskompetenzen zu entwickeln, wozu insbeson<strong>der</strong>eeine klare Unterscheidung zwischen Beschreibung und Bewertung gehört.Erfahrungen aus <strong>der</strong> Lehrpersonenausbildung in Deutschland sowohl aus <strong>der</strong> erstenPhase (Universität, PH) wie auch aus <strong>der</strong> zweiten Phase (Studienseminar) zeigen dieTendenz, (zu) schnell zu einem global bewertenden Urteil zu gelangen. Die Vorschaltungeiner differenzierten Analyse auf <strong>der</strong> Ebene von Qualitätsbereichen und einzelnenItems ergibt am Ende vielfach ein an<strong>der</strong>es Bild. Damit kann die Nutzung von EMU in<strong>der</strong> Lehrpersonenausbildung dazu beitragen, frühzeitig ein wissenschaftlich fundiertesVerständnis für eine methodisch fundierte Unterrichtsbeurteilung und für eine evidenzbasierteUnterrichtsentwicklung zu schaffen.6.1 Konzepte für LehrveranstaltungenFür die Praxis <strong>der</strong> Lehramtsausbildung werden auf <strong>der</strong> Website von EMU (www.unterrichtsdiagnostik.info)konkrete und bewährte (von den Autorinnen und Autoren inihren eigenen Lehrveranstaltungen mehrfach selbst praktizierte) Konzepte für eineLehrveranstaltung zur <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> mit zwei Wochenstunden pro Semester(alternativ: mit mehreren Blockveranstaltungen) vorgeschlagen, die folgende Moduleumfassen:– Information über zentrale fachübergreifende (und gegebenenfalls zusätzlich fachspezifische)Aspekte <strong>der</strong> Unterrichtsqualität (Input von Expertinnen und Experten:Dozierende o<strong>der</strong> Gast).– Praktische Durchführung <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> auf <strong>der</strong> Grundlage eines Unterrichtsvideos.– Der datenbasierte Austausch über Unterricht im Kollegium bzw. in <strong>der</strong> Fachgruppewird durch Kleingruppen von Studierenden simuliert, die Unterrichtsvideos verschiedenerFächer, Klassenstufen und Schularten individuell beobachten und bewerten,die Daten mithilfe <strong>der</strong> hierfür entwickelten speziellen Software eingeben und sieanschliessend – auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> vom Programm grafisch illustrierten Profile – imTeam diskutieren. Die Gruppen präsentieren ihre Ergebnisse im Plenum, wobei <strong>der</strong>Schwerpunkt auf folgenden Aspekten liegt: (a) Qualitätsbereiche und Sachverhalte(Items), bei denen die Übereinstimmung gering ist (Dissens), (b) Schwierigkeiten,Probleme o<strong>der</strong> offene Fragen bei <strong>der</strong> Interpretation <strong>der</strong> Ergebnisse, (c) ergänzendefachspezifische Aspekte <strong>der</strong> Unterrichtsqualität und (d) konstruktive Vorschläge zurVerbesserung <strong>der</strong> Instrumente mit dem Ziel, die Brauchbarkeit für die Lehrpersonenausbildungund die Schulpraxis zu steigern.228


<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> als Voraussetzung für Unterrichtsentwicklung– Vergleich unterschiedlicher Instrumente zur Beurteilung einer konkreten Unterrichtsstunde,ihrer Inhalte, Antwortformate, Stärken und Schwächen.Hierfür gibt es, ergänzend zu EMU, auch Übungsmaterial aus verschiedenen Bundeslän<strong>der</strong>n,beispielsweise die Broschüre BBBB (Beobachten – Beschreiben – Bewerten– Begleiten, vgl. http://lehrerfortbildung-bw.de/allgschulen/bbbb/). Das Potenzialdes Tandems, bei dem in <strong>der</strong> Schulpraxis die Rollen von unterrichten<strong>der</strong> und hospitieren<strong>der</strong>Lehrperson jeweils rotieren, lässt sich bei Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärternebenfalls nutzen, jedoch in einer an<strong>der</strong>en Architektur: keine Tandemsauf Augenhöhe und mit Rotation <strong>der</strong> Rollen (A unterrichtet und B hospitiert, anschliessendumgekehrt), son<strong>der</strong>n als Coaching-Situation (Mentorin o<strong>der</strong> Mentor/Ausbil<strong>der</strong>ino<strong>der</strong> Ausbil<strong>der</strong> einerseits, Studentin o<strong>der</strong> Student/Mentee an<strong>der</strong>erseits; vgl. dazu dieVorarbeiten von Staub 2001, 2005, sowie Staub & Niggli, 2009).6.2 Videobasierte Unterrichtsanalyse im TeamEin an<strong>der</strong>es, für Seminarveranstaltungen – und für an<strong>der</strong>e Settings, in <strong>der</strong>en RahmenGruppen, Teams o<strong>der</strong> Fachschaften gemeinsam (videografierten) Unterricht reflektieren– beson<strong>der</strong>s geeignetes Format ist die videobasierte Unterrichtsanalyse im Team(zum Potenzial <strong>der</strong> Nutzung von Videos für Coaching und Unterrichtsreflexion vgl.z.B. Sherin, 2003, sowie für den deutschen Sprachraum die Pionierarbeiten <strong>der</strong> Gruppeum Reusser, z.B. Petko & Reusser, 2005). Dieses Szenario sieht die folgenden Schrittevor: (1) Einführung in Fragen <strong>der</strong> Unterrichtsqualität und Vertrautmachen mit einemkonkreten Diagnoseinstrument, z.B. EMU, (2) gemeinsame Bearbeitung des Unterrichtsbeobachtungsbogens,(3) Eingabe <strong>der</strong> Daten und (4) Diskussion <strong>der</strong> visualisiertenErgebnisse, die z.B. so aussehen könnten, wie in Abbildung 7 dargestellt.Abbildung 7: Visualisierte Ergebnisse einer Unterrichtsbeobachtung als Grundlage für die Unterrichtsanalyseim Team.Dabei fallen vier Arten von Informationen an, die Grundlage für gemeinsame und/o<strong>der</strong>individuelle Reflexion sein können:– Analyse des Profils: Wo zeigen sich auf <strong>der</strong> Basis des (über alle Urteilenden gemittelten)Gruppenprofils Stärken und Schwächen im Unterricht?229


BEITRÄGE ZUR LEHRERBILDUNG, 31 (2), 2013– Konsens und Dissens: Wo stimmen die Urteilenden überein, wo nicht – und wennLetzteres: warum?– Milde und Strenge: Für alle Urteilenden lassen sich Kennwerte <strong>der</strong> individuellenUrteilstendenz berechnen, insbeson<strong>der</strong>e in Bezug auf Milde versus Strenge.– Idiosynkratisches Urteilsprofil: Wo weiche ich («mein Profil») vom Profil <strong>der</strong> gesamtenGruppe («mainstream») ab und woran könnte das liegen?Der Gewinn von Unterrichtsanalysen im Team liegt vor allem darin, dass man– durch die Notwendigkeit, die eigenen Urteile zu begründen und mit beobachtetemVerhalten zu belegen, zu genauen Beobachtungen und zur Explikation <strong>der</strong> eigenenAlltagskonzepte und des impliziten Verständnisses von gutem Unterricht ermuntertwird;– das eigene Beobachtungsverhalten und die eigenen Beurteilungsmassstäbe durchden Vergleich mit an<strong>der</strong>en Lehrpersonen einzuschätzen lernt;– durch einen intensiven Diskurs ein gemeinsames Begriffsverständnis entwickelnund in <strong>der</strong> Folge Differenzen minimieren kann. Lehrpersonen unterhalten sich überUnterricht häufig auf einer abstrakten Sprachebene mittels Begrifflichkeiten wiebeispielsweise «kindgerecht», «alltagsnah» o<strong>der</strong> «schülerorientiert». Zum Teil definierensie diese Begrifflichkeiten jedoch unterschiedlich und reden somit aneinan<strong>der</strong>vorbei – ohne dies zu realisieren. Unterrichtsreflexion mit Fokus auf eine konkreteStunde unterstützt Lehrpersonen dabei, abstrakte Begrifflichkeiten mit Inhaltzu füllen und Definitionen abzugleichen.6.3 Microteaching und <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>Ein überraschendes Ergebnis <strong>der</strong> Hattie-Studie war für viele <strong>der</strong> enorm positive Effektdes Microteachings (für Details vgl. Klinzing, 2002). Auf <strong>der</strong> Rangliste <strong>der</strong> 138 Effektstärkensteht das Microteaching auf Platz 4 (Hattie, 2013, S. 134 f.). Die Kernelementedes Microteachings sind bemerkenswerterweise identisch mit jenen <strong>der</strong> evidenzbasiertenReflexion von Unterricht im Sinne von EMU: In beiden Fällen geht es um eineerfahrungsgestützte, beobachtungsbasierte kollegiale Reflexion über Unterricht. DerUnterschied besteht lediglich darin, dass das Microteaching ausserhalb des regulärenUnterrichts angesiedelt ist und mit videogestütztem Feedback arbeitet, während EMUsich auf naturalistischen Unterricht bezieht und die Datenbasis aus <strong>der</strong> Bearbeitung desEMU-Werkzeugs bezieht.Unter diesen Umständen erscheint es aussichtsreich, in <strong>der</strong> Lehrpersonenaus- und -fortbildungSituationen zu schaffen, in denen das nachweislich erfolgreiche Microteachingmit kriteriengeleiteter <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> und Reflexion über Unterricht gekoppeltwird. Kramis (1991) hat dies – lange vor Hattie und EMU – in seinem wegweisendenAufsatz «Eine Kombination mit hoher Effektivität: Microteaching – Reflective Teaching– Unterrichtsbeobachtung» bereits vor über 20 Jahren empfohlen!230


<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> als Voraussetzung für Unterrichtsentwicklung7 AusblickZurück zu Hattie: Die aus unserer Sicht vielleicht überzeugendste Botschaft <strong>der</strong> Hattie-Studie (2009, 2013) ist, dass <strong>Methoden</strong> und Organisationsformen des Unterrichts per seeher unbedeutend sind. Man kann sehr viele unterschiedliche Szenarien des Unterrichtsso anlegen, dass sie lernwirksam werden. Mit an<strong>der</strong>en Worten, <strong>der</strong> Einsatz bestimmter<strong>Methoden</strong> und die Nutzung bestimmter Werkzeuge per se ist nicht automatisch lernför<strong>der</strong>lich;es kommt auf das Wie an und weniger auf das Ob. Diese Kernaussage giltselbstverständlich auch für die EMU-<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>. Das heisst: KollegialeHospitation unter Nutzung <strong>der</strong> EMU-Werkzeuge ist nicht automatisch ertragreich. Wirdsie als «Wellness-Veranstaltung» betrachtet, verbunden mit gegenseitiger Schmeichelei(nach dem Motto «Nenn mich Goethe, dann nenn ich dich Schiller» – eine originelleMetapher, die von H.G. Rolff (2010, S. 69) stammt), dann verfehlt sie ihren Zweck.Wird sie hingegen ernsthaft und verantwortungsvoll angegangen, dann erfor<strong>der</strong>t siedie strikte Beachtung von Feedbackregeln und die Fähigkeit, konstruktive Kritik zugeben und auch zu ertragen. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass das Verlassen«bewährter» Routinen, die Öffnung und vielleicht Revision subjektiver Theorien imEinzelfall durchaus auch anstrengend sein kann – «Lernen ist schmerzhaft», so betiteltenOser und Spychiger (2005) ihr folgenreiches Buch. Viel stärker ist allerdingsdas Entlastungspotenzial: Es kann erleichternd sein, zu sehen, dass an<strong>der</strong>e auch nur«mit Wasser kochen» und vielleicht mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben wieman selbst und dass man diese Probleme jetzt gemeinsam angehen kann statt allein.Ausserdem ist regelgestütztes Feedback niemals destruktiv und nur negativ. Auch diesist für Lehrpersonen eine Quelle für positive Motivation, denn in <strong>der</strong> Regel erhalten sieeher Feedback, wenn etwas nicht so gut läuft, als wenn es reibungslos und glatt läuft.Dazu kommt, dass es befriedigend sein kann, einmal schwarz auf weiss zu erfahren,dass man etwas gut kann, von dem man bislang lediglich vage vermutete, es zu können(vgl. das EMU-Feedbackgespräch unter www.unterrichtsdiagnostik.info/video).Vor allem aber verspicht die Investition von Zeit und Energie in EMU eine lohnendeRendite: die För<strong>der</strong>ung des Lehrens und Lernens und damit die Zufriedenheit mit demeigenen Beruf. Aus diesem Grund hat das Kultusministerium Baden-Württembergs dasDiagnosewerkzeug EMU als zentrales Modul in das landesweite Fortbildungsangebot«10plus – Motiviert und gesund bleiben im Lehrberuf» integriert (Landesakademie fürFortbildung und Personalentwicklung an Schulen, 2013).LiteraturAde-Thurow, M. (2011). Empirische Untersuchungen zur <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> an Schulen. Masterthesisim Masterstudiengang Schulentwicklung. Weingarten: Pädagogische Hochschule Weingarten.Altrichter, H. & Posch, P. (2007). Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht (4. Auflage). BadHeilbrunn: Klinkhardt.Beywl, W. (2013). Mit Taten zu Daten. Der Ansatz <strong>der</strong> unterrichtsintegrierten Selbstevaluation. Journal fürSchulentwicklung, 17 (1), 7–14.231


BEITRÄGE ZUR LEHRERBILDUNG, 31 (2), 2013Borich, G.D. (2007). Observation Skills for Effective Teaching (5. Auflage). Upper Saddle River, NJ: MerrillPrentice Hall.Brosziewski, A. & Mae<strong>der</strong>, C. (2007). Fokus Unterricht. Unterrichtsentwicklung durch Beobachtung.Zürich: Seismo.Clausen, M. (2002). Unterrichtsqualität: Eine Frage <strong>der</strong> Perspektive? Münster: Waxmann.Dirks, U. & Hansmann, W. (Hrsg.). (2002). Forschendes Lernen in <strong>der</strong> Lehrerbildung. Auf dem Weg zueiner professionellen Unterrichts- und Schulentwicklung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.Fauser, P., Rissmann, J. & Weyrauch, A. (2009). Das Entwicklungsprogramm für Unterricht und Lernqualität.Lehrerfortbildung als theoriegeleitete Intervention und Ausbildung adaptiver Routinen. Beiträgezur Lehrerbildung, 27 (3), 361–371.Fussangel, K. & Gräsel, C. (2012). Lehrerkooperation aus Sicht <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>sforschung. In E. Baum,T.-S. Idel & H. Ullrich (Hrsg.), Kollegialität und Kooperation in <strong>der</strong> Schule: Theoretische Konzepte undempirische Befunde (S. 29–40). Wiesbaden: Springer VS.Hattie, J. (2009). Visible Learning. A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. London:Routledge.Hattie, J. (2012). Visible Learning for Teachers. Maximizing Impact on Learning. London: Routledge.Hattie, J. (2013). Lernen sichtbar machen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von «Visible Learning»besorgt von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer. Baltmannsweiler: Schnei<strong>der</strong> Verlag Hohengehren.Helmke, A. (2012). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserungdes Unterrichts (Schule weiterentwickeln – Unterricht verbessern: Orientierungsband) (4., überarbeiteteAuflage). Seelze: Klett-Kallmeyer.Helmke, A., Helmke, T., Lenske, G., Pham, G., Praetorius, A.-K., Schra<strong>der</strong>, F.-W. & Ade-Thurow, M.(2011). <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> – Voraussetzung für die Verbesserung <strong>der</strong> Unterrichtsqualität. In A. Bartz, M.Dammann, S. Huber, C. Kloft & M. Schreiner (Hrsg.), PraxisWissen SchulLeitung, AL 28 (Kapitel 30.71).Köln: Wolters Kluwer.Helmke, A., Helmke, T., Lenske, G., Pham, G., Praetorius, A.-K., Schra<strong>der</strong>, F.-W. & Ade-Thurow, M.(2013). EMU – <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>. Studienbrief Version 4.0. Kultusministerkonferenz: Projekt EMU(<strong>Evidenzbasierte</strong> <strong>Methoden</strong> <strong>der</strong> <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong>). Landau: Universität Koblenz-Landau, CampusLandau.Helmke, A., Helmke, T. & Pham, G. (2012). Von <strong>der</strong> externen zur internen Evaluation des Unterrichts.Hamburg macht Schule, Heft 3, 31–32.Helmke, A., Helmke, T. & Schra<strong>der</strong>, F.-W. (2012). <strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> mit EMU – Unterricht ausmehreren Perspektiven betrachten und diskutieren. PDF Download Unterrichtsqualität Sekundarstufe. InM. Bonsen, W. Homeier & K. Tschekan (Hrsg.), Unterrichtsqualität sichern – Sekundarstufe (17. Ergänzung).Stuttgart: Raabe.Helmke, A. & Renkl, A. (1992). Das Münchener Aufmerksamkeitsinventar (MAI): Ein Instrument zursystematischen Verhaltensbeobachtung <strong>der</strong> Schüleraufmerksamkeit im Unterricht. Diagnostika, 38 (2),130–141.Helmke, T., Helmke A., Schra<strong>der</strong>, F.-W., Wagner W., Nold, G. & Schrö<strong>der</strong>, K. (2008). Die Videostudiedes Englischunterrichts. In DESI-Konsortium (Hrsg.), Unterricht und Kompetenzerwerb in Deutsch undEnglisch. Ergebnisse <strong>der</strong> DESI-Studie (S. 345–363). Weinheim: Beltz.Herlt, S. & Schaarschmidt, U. (2007). Fit für den Lehrerberuf?! In U. Schaarschmidt & U. Kieschke(Hrsg.), Gerüstet für den Schulalltag. Psychologische Unterstützungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer(S. 157–181). Weinheim: Beltz.Huber, S.G., Ahlgrimm, F. & Ha<strong>der</strong>-Popp, S. (2012). Kooperation in und zwischen Schulen sowie mitan<strong>der</strong>en <strong>Bildung</strong>seinrichtungen: Aktuelle Diskussionsstränge, Wirkungen und Gelingensbedingungen. InS.G. Huber & F. Ahlgrimm (Hrsg.), Kooperation: Aktuelle Forschung zur Kooperation in und zwischenSchulen sowie mit an<strong>der</strong>en Partnern (S. 323–372). Münster: Waxmann.Klinzing, H.G. (2002). Wie effektiv ist Microteaching? Ein Überblick über fünfunddreissig Jahre Forschung.Zeitschrift für Pädagogik, 48 (2), 194–214.Kramis, J. (1991). Eine Kombination mit hoher Effektivität: Microteaching – Reflective Teaching – Unterrichtsbeobachtung.Unterrichtswissenschaft, 19 (3), 260–277.232


<strong>Unterrichtsdiagnostik</strong> als Voraussetzung für UnterrichtsentwicklungKultusministerkonferenz. (2004). Standards für die Lehrerbildung: <strong>Bildung</strong>swissenschaften. Bonn: KMK.Kunter, M., Baumert, J., Blum, W., Klusmann, U., Krauss, S. & Neubrand, M. (Hrsg.). (2011).Professionelle Kompetenz von Lehrkräften – Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV. Münster:Waxmann.Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen. (2013). Fortbildungsmaßnahme«10plus – Motiviert und gesund bleiben im Lehrberuf». Online verfügbar unter: http://lehrerfortbildung-bw.de/qm/son<strong>der</strong>aufgaben/gesundheit/10plus/tninfo.htm(28.07.2013).Luft, J. & Ingham, H. (1955). The Johari Window, a graphic model for interpersonal relations. Los Angeles:University of California, Western Training Laboratory in Group Development, Extension Office.Marzano, J.S., Pickering, D.J. & Pollock, R.J. (2005). Classroom Instruction that works. Upper SaddleRiver, NJ: Merrill Prentice Hall.Oser, F. & Spychiger, M. (2005). Lernen ist schmerzhaft. Zur Theorie des Negativen Wissens und zurPraxis <strong>der</strong> Fehlerkultur. Weinheim: Beltz.Petko, D. & Reusser, K. (2005). Praxisorientiertes E-Learning mit Video gestalten. In A. Hohenstein & K.Wilbers (Hrsg.), Handbuch E-Learning. Expertenwissen aus Wissenschaft und Praxis (1. Ergänzungslieferung)(S. 1–21). Köln: Deutscher Wirtschaftsdienst.Richardson, V. & Placier, P. (2002). Teacher change. In V. Richardson (Hrsg.), Handbook of research onteaching (4. Auflage) (S. 905–950). Washington: American Educational Research Association.Rolff, H.G. (2010). Trugschlüsse <strong>der</strong> Individualisierung. Journal für Schulentwicklung, Heft 3, 67–69.Rowe, M.B. (1986). Wait time: Slowing down may be a way of speeding up. Journal of Teacher Education,37 (1), 43–50.Schnotz, W. (2006). Conceptual Change. In D.H. Rost (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie(3., überarbeitete und erweiterte Auflage) (S. 77–82). Weinheim: Beltz Psychologie Verlags Union.Schön, D.A. (1983). The refl ective practitioner. How professionals think in action. New York: Basic Books.Schra<strong>der</strong>, F.-W. (2011). Lehrer als Diagnostiker. In E. Terhart, H. Bennewitz & M. Rothland (Hrsg.),Handbuch <strong>der</strong> Forschung zum Lehrerberuf (S. 683–698). Münster: Waxmann.Schra<strong>der</strong>, F.-W. (2013). Diagnostische Kompetenz von Lehrpersonen. Beiträge zur Lehrerbildung, 31 (2),154–165.Sherin, M.G. (2003). New perspectives on the role of video in teacher education. In J.E. Brophy (Hrsg.),Using video in teacher education (S. 1–27). Oxford: Elsevier.Staub, F.C. (2001). Fachspezifisch-pädagogisches Coaching: För<strong>der</strong>ung von Unterrichtsexpertise durchUnterrichtsentwicklung. Beiträge zur Lehrerbildung, 19 (2), 175–198.Staub, F.C. (2005). Videos im Fachspezifisch-Pädagogischen Coaching. journal für lehrerinnen- undlehrerbildung, 5 (2), 26–30.Staub, F.C. & Niggli, A. (2009). Zertifikatskurs <strong>der</strong> Universität Freiburg: Coaching und Mentoring in <strong>der</strong>Lehrerbildung. Certified Course at the University of Fribourg: Coaching and Mentoring in Teacher Education.Beiträge zur Lehrerbildung, 27 (1), 93–103.Wahl, D. (2001). Nachhaltige Wege vom Wissen zum Handeln. Beiträge zur Lehrerbildung, 19 (2),157–174.Weinert, F.E. & Helmke, A. (1996). Der gute Lehrer: Person, Funktion o<strong>der</strong> Fiktion? In A. Leschinsky(Hrsg.), Die Institutionalisierung von Lehren und Lernen. Beiträge zu einer Theorie <strong>der</strong> Schule (Zeitschriftfür Pädagogik, 34. Beiheft) (S. 223–233). Weinheim: Beltz.Autor und AutorinAndreas Helmke, Prof. Dr., Universität Koblenz-Landau, Fachbereich Psychologie,helmke@uni-landau.de, andreas.helmke@uni-konstanz.de, www.andreas-helmke.de,www.unterrichtsdiagnostik.infoGerlinde Lenske, Dr., Universität Duisburg-Essen, gerlinde.lenske@uni-due.de233


Leitfaden für den kollegialen Austausch über Unterrichtaus Sicht <strong>der</strong> Lehrergesundheit (EMUplus)Mehr unter http://www.unterrichtsdiagnostik.info/lehrergesundheit/Ziele. EMUplus verfolgt das Ziel, die Lehr-Lernsituation aus Sicht <strong>der</strong> Lehrergesundheit zu reflektieren undüber mögliche Verbesserungen nachzudenken. Es geht sowohl darum, wie man die eigene Person stärkenkann, um den Anfor<strong>der</strong>ungen des Berufsalltags gewachsen zu sein, als auch darum, das Umfeld in geeigneterWeise zu gestalten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Unterricht als dem Kerngeschäft <strong>der</strong> Schule,auf dessen Gestaltung die Lehrperson großen Einfluss hat.Themen. Die Bedeutung <strong>der</strong> hier ausgewählten Bereiche für die Lehrergesundheit ist evident und spiegeltauch den Forschungsstand wi<strong>der</strong>. Hierzu finden sich Hinweise auf eine separate PowerPoint-Präsentation,nicht jedoch in diesem Leitfaden.Zwei Vorgehensweisen. Zur Thematisierung von Fragen <strong>der</strong> Lehrergesundheit nach einer UnterrichtsstundeEMUplus stehen zwei Szenarien und dementsprechend zwei unterschiedliche Werkzeugezur Wahl:(1) eine Checkliste, die von <strong>der</strong> unterrichtenden Lehrkraft als Stichworte für das kollegiale Gespräch verwendetwird; die hospitierende Lehrkraft hört zu und gibt - falls gewünscht - Feedback und ergänzt. DieseListe kann auch für unterrichtsbezogene Selbstreflexion (ohne Tandempartner) genutzt werden.(2) ein Gesprächs- o<strong>der</strong> Feedbackleitfaden, wobei die hospitierende Lehrkraft Fragen an die unterrichtendeLehrkraft stellt;Auswahl von Modulen. Der Leitfaden sollte nicht komplett "abgearbeitet" werden. Vielmehr sollte sichdas Tandem bereits vor <strong>der</strong> Unterrichtsstunde auf bestimmte Schwerpunkte einigen, so dass <strong>der</strong> hospitierendeTandempartner gezielt beobachten und ggf. entsprechende Notizen machen kann. EMUplus istmodular aufgebaut, d.h. je nach Bedarf können bestimmte Module ausgewählt werden. Auch die Reihenfolgeist nicht fix: Es mag vielfach nahe liegen, ist aber keineswegs zwingend, mit einem Rückblick auf dieZiele <strong>der</strong> Stunde zu beginnen.Feedback-Regeln: Eine wichtige Gelingensbedingung für das Gespräch über Fragen <strong>der</strong> Lehrergesundheitist die Vertrautheit mit Regeln des Gebens und Nehmens von Feedback. Dieser Punkt sollte vor Beginn <strong>der</strong>kollegialen Feedbackgespräche thematisiert werden.Von EMUplus zu EMU. An mehreren Stellen ist es naheliegend, die kollegiale Reflexion über Unterrichtum die Sichtweise <strong>der</strong> Schülerinnen und Schüler zu ergänzen. Hierzu finden sich in <strong>der</strong> rechten Spalte desLeitfadens konkrete Hinweise; siehe auch die Fragebogeninstrumente von EMU:http://www.unterrichtsdiagnostik.info/downloads/fragebogen/Was tun? In <strong>der</strong> rechten Spalte finden sich einige Hinweise auf Literatur, einschlägiges Material, Fortbildungenetc., zu denen man per Klick auf die Hyperlinks gelangt. Diese Hinweise werden nach und nachergänzt.Verbesserungsvorschläge. EMUplus ist ein lernendes Instrument, das ständig verbessert wird, um dengrößtmöglichen Nutzen für die Praxis zu entfalten. Vorschläge, Ideen sind sehr erwünscht! (Hinweise bittean unterrichtsdiagnostik@gmail.com o<strong>der</strong> helmke@uni-landau.de)EMUplus, Version 4.0© A. Helmke et al. & Kultusministerium Baden-Württemberg


Checkliste - Stichworte(1) BILANZ Hinweise, AnmerkungenDie Zufriedenheit mit <strong>der</strong> Wirksamkeit des eigenen Unterrichts ist ein wichtigerBeitrag zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Gesundheit. Wie sieht meine Bilanz <strong>der</strong> Stunde aus?2ZieleWelche Ziele wollte ich mit dieser Stunde erreichen?Habe ich diese Ziele erreicht? Wenn ja, woran kann ich das festmachen?Welche Rolle spielen für Zufriedenheit o<strong>der</strong> Unzufriedenheit meine Erwartungenund mein Anspruchsniveau (an dich selbst und an deine Schüler/innen)?StundenverlaufMit welchen Phasen des Stundenverlaufs bin ich zufrieden?Welche Situationen, Ereignisse o<strong>der</strong> Aspekte <strong>der</strong> Stunde sind mir in dieserStunde beson<strong>der</strong>s gelungen, welche habe ich als „gute Praxis“ in Erinnerung,worüber habe ich mich gefreut?Gibt es etwas, womit ich nicht so zufrieden bin, was vielleicht an<strong>der</strong>s hätte laufenkönnen? Woran zeigt sich das? Was wäre womöglich eine bessere Alternativegewesen?→ EMU-Schülerfragebogen(„Ich habe in dieser Unterrichtsstundeetwas dazugelernt“)→ EMU-Lehrerfragebögen- zum kompetenzorientiertenUnterricht- zu fachlichen Aspekten desUnterrichtsEffizienzWenn ich an die Vorbereitung dieser Stunde denke: Wie schätze ich die Effizienzein? War das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag angemessen?Wie ließe sich <strong>der</strong> Aufwand für die Stundenvorbereitung verringern?(2) UMGANG MIT EMOTIONENPositive EmotionenHabe ich positive Gefühlszustände erlebt (wie z.B. Wohlbefinden, Beschwingtheit,Heiterkeit, Begeisterung, Zuversicht, Unbeschwertheit, Gelassenheit, Genugtuung,Erleichterung)?Wie bin ich mit diesen positiven Emotionen umgegangen: Kann ich mich in dieserStunde an Stellen erinnern, wo ich ihnen Ausdruck verliehen habe, z.B. geschmunzelt,gelächelt o<strong>der</strong> gelacht habe (und damit auch den Schüler/innenein Signal gegeben habe)?→ EMU-Schülerfragebogen(„Ich habe mich in dieserUnterrichtsstunde wohlgefühlt“)Belastende EmotionenFalls ich auch belastende Emotionen erlebt habe (beispielsweise Wut, Ärger,Verdruss, Enttäuschung): Wie bin ich damit umgegangen? Welche alternativenMöglichkeiten sehe ich, mit dieser negativen Emotion umzugehen?(3) UMGANG MIT STÖRUNGENWelche Störungen habe ich während des Unterrichts wahrgenommen? WelcherArt waren die Störungen?Welche störenden Schüler/innen sind mir aufgefallen?Wenn ich mich in sie hineinversetze, welche Motivationslage könnte dahinterstecken? Könnte es vielleicht einen nachvollziehbaren „guten Grund“ für dasStörverhalten geben?Welche Maßnahmen habe ich ergriffen? War ich mit <strong>der</strong>en Wirkung zufrieden?Kann ich mir alternative Maßnahmen vorstellen?Habe ich in dieser Stunde weitere Störungen wahrgenommen (z.B. Straßenlärm,fehlende o<strong>der</strong> nicht funktionierende Medien, ungünstige Sitzordnungusw.)? Wie könnte man diese reduzieren?→ EMU-Schülerfragebogen(„Ich konnte in dieser Unterrichtsstundeungestört arbeiten“)EMUplus, Version 4.0© A. Helmke et al. & Kultusministerium Baden-Württemberg


RESÜMEE des Gesprächs vom __________________________4Die Sammlung dieser Resümee-Blätter kann ein Portfolio ergeben, das die Entwicklung innerhalbeines Schuljahres dokumentiert und nach Art eines Lerntagebuches geführt werden kann.Hauptpunkte: Protokoll <strong>der</strong> wichtigsten Themen des Feedbackgesprächs bzw. <strong>der</strong> Selbstreflexionin Stichworten:Ziele und Maßnahmen: Welche Ziele möchte ich erreichen, mit welcher Priorität und in welchemZeitraum? Welche Maßnahmen plane ich dafür? Welche Unterstützung kann ich dafür gebrauchen?Welche Ressourcen sind erfor<strong>der</strong>lich?Ab 2. Runde zusätzlich:_______________________________________________________________________________Effektivität: Habe ich die im vorigen Feedbackgespräch geplanten Maßnahmen durchgeführt unddie gesetzten Ziele erreicht? Wenn nein, woran kann das liegen? Was folgt daraus für den nächstenZeitabschnitt?Effizienz: War das Verhältnis zwischen Aufwand (realisierte Maßnahmen) und Ertrag angemessen?Wenn nein, wie könnte ich es verbessern?Innovation: Welche Erfahrungen seit dem letzten Gespräch waren für mich neu und überraschend?Habe ich etwas Neues ausprobieren können?EMUplus, Version 4.0© A. Helmke et al. & Kultusministerium Baden-Württemberg

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!