Als <strong>La</strong>teinamerikanerin bin ich sehr froh darüber, hier in Moers so viele Menschenzu kennen, die sich für unseren Kontinent engagieren. Die Arbeit im Partnerschaftsvereinholt mir immer wieder ein Stück Heimat zurück. Für mich ist wichtig,den Menschen hier zu vermitteln, daß die Armut und die Probleme in <strong>La</strong>teinamerikanicht unabhängig vom Konsumverhalten in unseren Industrieländern sind unddaß jeder etwas tun kann, um dieses zu ändern.Karen Rütten-Sander, Vorstandsmitglied aus Chile und Spanischdozentin an der VHSEine Welt-Arbeitwozu eigentlich?Die Überschwemmungen in Asien, Dürrekatastrophenund Völkermord in Afrika, Erdbebenund Wirbelstürme in Zentralamerika, Bürgerkriegeund Flüchtlingselend in fast allenTeilen der Welt sind für uns in Mitteleuropa jaweit weg. Doch rücken ferngeglaubte Kontinentesehr viel näher, wenn wir sagen: Giftmüllexportnach Indonesien, Treibhauseffektund Ozonloch im Süden, Regenwaldvernichtungund Erosion, Großkonzerne und Globalisierung,europäische Einfuhrverbote undSchuldenlast der armen Länder, Waffenexporteund Militärdiktaturen, Asylrecht und„Festung Europa”, zukunftsfähige Entwicklungund Nachhaltigkeit im Sinne von Agenda 21.In diesem Weltgetriebe ist unsere Eine-Welt-chen Empfang wie bei den Freunden in <strong>La</strong><strong>Trinidad</strong> habe ich noch nicht erlebt. Ich fühltemich in der so anderen Welt überhaupt nichtfremd. Obwohl man sich teils vorkommt, wiein einem Film: die Cowboys, die mit ihrenPferden an der Plaza Halt machen, diekleinen Häuschen an den Gassen, die Pferdekarrenusw.Auch wenn die Menschen in <strong>La</strong> <strong>Trinidad</strong> nurwenig zum Leben haben und davon nocheiniges durch „Mitch“ verloren haben, eineshaben sie sich nicht nehmen lassen: ihrenLebensmut, ihre Fröhlichkeit und ihren Optimismus.Das ist es, wovon wir alle lernenkönnen. Die Reise nach Nicaragua und der„Blick über den Tellerrand“ haben mirgezeigt, daß man viele Dinge hier aus einemanderen Blickwinkel sehen und vieles auchlockerer und leichter nehmen sollte. Für michheißt es:Hasta la próxima en Nicaragua – bis zumnächsten Mal in Nicaragua!Sabine WerlerVereinsmitglied und „Mitreisende“ 1999Warum ist die Städtepartnerschaft nötig?Unsere Welt wird immer kleiner, die Verantwortung des einzelnen für das Ganzeimmer größer. Unser christlicher Glaube lehrt uns, den Schwachen beizustehen.Nicaragua ist ein sehr armes <strong>La</strong>nd. Ausländische medizinische und soziale Hilfewird noch lange in <strong>La</strong> <strong>Trinidad</strong> nötig sein. Durch zahlreiche Besuche haben sichFreundschaften zwischen Bürgerinnen und Bürgern beider Städte gebildet. Diesemenschlichen Kontakte verpflichten.Was wir daraus lernen können:Auch arme Menschen sind Menschen. Sie haben ihre Träume und Sehnsüchte wiewir. Sie leiden an Armut und Unterentwicklung. Sie haben ein Recht auf Unterstützung.Im Kontakt mit Menschen aus Dritte-Welt-Ländern können wir sehen, wie gutes uns in Deutschland materiell geht. Wir können im Kontakt mit unseren Partnerinnenund Partnern in <strong>La</strong> <strong>Trinidad</strong> lernen, uns selbst wieder mehr auf das Wesentlichein unserem eigenen Leben zu besinnen.Jürgen Kunellis, Pfarrer und VereinsmitgliedZweimal bin ich in <strong>La</strong> <strong>Trinidad</strong> gewesen. Jedesmal bin ich gestärkt in der Überzeugungzurückgekommen, wie wichtig diese Städtepartnerschaft ist, für dieMenschen in <strong>La</strong> <strong>Trinidad</strong> und für uns. In Nicaragua können wir mit relativ geringenMitteln viel bewirken. Und für uns lernen wir, unseren materiellen Überfluß hierund unsere Probleme mit anderen Augen zu sehen.Maren Schmidt, Fraktionssprecherin Bündnis 90/Die Grünen und Vorstandsmitglied7
<strong>La</strong> <strong>Trinidad</strong>Städtepartnerschaft mit dem nicaraguanischen<strong>La</strong> <strong>Trinidad</strong> nur ein Sandkorn. Aber wirkönnen verstehen lernen und manchmal ganzkonkret Menschen helfen.Wir erfahren, wie wenig Campesinos für denangebauten Kaffee bekommen, wie Großgrundbesitzermit ihren Juristen und Pistoleroszurückkommen, warum arme Bauern Bäumefällen. Wir erfahren, warum immer mehrFrauen in <strong>La</strong>teinamerika ohne den Schutz derim <strong>La</strong>nd schon erkämpften Sozialrechte in sogenannten“Freien Produktionszonen” als“Maquilas” ausgebeutet werden. Warum immermehr Kinder zu Arbeit gezwungen sind.Was Straßenkinder und Mädchen, die sichprostituieren müssen, erleiden.Anfangs glaubten wir mit dem Priester undDichter Ernesto Cardenal, daß die sandinistischeRevolution sich in ihrer Pluralität zu einemModell für ganz <strong>La</strong>teinamerika entwickelnkönnte. Contrakrieg und das Ergebnisfreier Wahlen setzten dem zunächst ein Ende.Heute unterstützen wir von Europa aus Schulen,Krankenhäuser und andere Sozialeinrichtungen.Aber es gibt in Nicaragua eine neueOberschicht. Sie verlangt Schulgeld und Studiengebühren,die die Campesinofamilien nichtaufbringen können. Sie kürzt die Mittel für dieKrankenhäuser und arbeitet mit uns gern zusammen,so lange wir nicht von Politik redenoder die skandalöse Schwerfälligkeit derBehörden kritisieren. Ist das für uns eine akzeptableArbeitsteilung?Haben Sie nicht Lust, an diesem Lernprozeß,mitzuwirken? An einem gelebten Nord-Süd-Dialog? Ist Menschenwürde nicht unteilbar?Bernhard Schmidt, Mitinitiator der Partnerschaftund stellv. Vorsitzender des VereinsEs gibt einelängereVorgeschichte...Nach ersten Kontakten seit 1982 trafen sichim Februar 1984 beim Moerser ChristlichenVerein Junger Menschen in der Haagstraße etwa35 überwiegend junge Leute zur Gründungdes Moerser Nicaragua-Arbeitskreises. Sie vertraten19 Initiativen, vorwiegend aus dem alternativen,linken oder christlichen Spektrum.Andere kamen aus dem 1977 eingerichteten<strong>La</strong>teinamerika- und Chilearbeitskreis der MoerserVolkshochschule. Bereits im Winter1982/1983 war dessen Leiter, Raúl Vega, inden besonders gefährdeten Norden Nicaraguasgereist. Er war 1976 als politischer Flüchtlingaus dem Chile des Diktators Pinochetnach Moers gekommen.Den jungen Leuten gemeinsam war das Interessean der erfolgreichen Revolution der SandinistischenBefreiungsbewegung in Nicaragua.Diese hatten in einer breiten und pluralistischenVolksbewegung im Jahr 1979 die 45Jahre von den USA offen unterstützte Bereicherungsdiktaturder Familie Somoza im ärmsten<strong>La</strong>nd Mittelamerikas mit Waffengewaltbeseitigt. Doch schon 1980 begann im Nordenan der Grenze zu Honduras der Contra-Krieg, der das <strong>La</strong>nd im folgenden Jahrzehntüber die Hälfte seines jährlichen Staatshaushalteskosten sollte und so der Revolution denAtem nahm. Alle Nicaragua-Aktiven warenempört über die dabei kaum verdeckte imperialistischeRolle der USA, wie dies später auchder Internationale Gerichtshof in Den Haagoder viele Schriftsteller in der Welt, darunterHeinrich Böll, Günter Grass und Erich Fried,bestätigen sollten. In vielen europäischenStädten bildeten sich „Brigaden“ mit jugendlichenAufbauhelfern, die den Revolutionärenzu Hilfe eilten.Bereits im April und Juni 1984 überbrachtenMitglieder des Moerser Arbeitskreises Geldspendenan ein Blindenzentrum in Managua.Zur Jahreswende 1985/1986 reisten Raúl Vegaund Bernhard Schmidt in den Norden Nicaraguas.Dabei besuchten sie auch die deutscheÄrztin Barbara Kloss, die im Krankenhausvon <strong>La</strong> <strong>Trinidad</strong> unter schwierigsten Bedingungeneine Krankenpflegerausbildung leitete.Während des Bürgerkrieges hatte die Anästhesistin,über die das Magazin „Der Stern” breitberichtete, bereits im Urwald den kämpfendenGuerrilleros beigestanden. Im August 1985war <strong>La</strong> <strong>Trinidad</strong> gerade von einer 300köpfigenContra-Bande überfallen und der BürgermeisterFrancisco García ermordet worden.<strong>La</strong> <strong>Trinidad</strong> an der Nord-Süd-Hauptstrecke„Panamericana” hatte noch keine Partnerstadtin Deutschland. Santa María, eine Alternativean der Nordgrenze zu Honduras, lag im ständigenKriegsgebiet. Deshalb verpflichteten sichder Bürgermeister von <strong>La</strong> <strong>Trinidad</strong>, Noel Moreno,und Christa Martin-Godde aus dem MoerserNica-Arbeitskreis im Sommer 1986 in ei-8