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Schwedischer Sportler im italienischen Kleid - David Zwadlo

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SCHWEDISCHER SPORTLITALIENISCHEN KLEIDFAHREN VOLVO P1800124 MOTOR MANIACS | 01/2013


Elegante Schnauze, runde Heckflossen, modernste Technik:Der Volvo P1800 war schon in den 60er-Jahren ein Kuriosum.Zu Beginn von Problemen verfolgt, erlangte das Coupé alsS<strong>im</strong>on Templars Dienstwagen weltweite Berühmtheit.Und bis heute begeistert der Schwede mit dem barockenDesign und der robusten TechnikER IMText und Fotos: DAVID ZWADLOer P1800 macht sich rar auf unseren Straßen,verdammt rar. Kein Wunder also, dass er beider ersten Begegnung gnadenlos täuscht. Dieelegante Front mit der gestreckten Motorhaube:klassisch italienisch. Das kurze Heckmit den runden Heckflossen: amerikanischinspiriert. Die Seitenlinie: britisches Coupé?Be<strong>im</strong> Blick aufs Emblem dann die große Überraschung:Volvo!Volvo? Die produzieren doch nur kantigeSpießerkarren (240, 760, 960 …) oder weichgeformteCrossover-SUV-Irgendetwas-Kombis(XC90). Alles davon natürlich praktisch,vielseitig – und fürchterlich langweilig.Kaum vorstellbar heute, dass Volvo auch einmalgeile Autos gestalten und Sportwagenvom Schlage eines Ferrari 250 oder Maserati3500 GT optisch Paroli bietenkonnte. Der Volvo P1800ist jedoch das beste Beispieldafür: Sein barockes 50er-Jahre-Design fand schon <strong>im</strong>mer Gefallen beiAdligen, Künstlern und Wohlhabenden – darunterauch: Sir Roger Moore. Der Schauspielerist seit 50 Jahren begeisterter P1800-Fahrer,privat wie beruflich.In den Hollywood-Olymp aufgestiegen ist derEngländer mit seinen sieben James-Bond-Filmenaus den 1970er- und 80er-Jahren. Dochbereits ein Jahrzehnt vor „Leben und sterbenlassen“ erlangte Roger Moore weltweite Berühmtheit:Mit seiner Hauptrolle in der FernsehserieThe Saint („Der Heilige“), hierzulandebekannt als S<strong>im</strong>on Templar.GENTLEMAN MIT FILTERZIGARETTEDarin spielt der damals 35-Jährige zum erstenMal einen smarten Detektiv, der länderübergreifendFälle löst. S<strong>im</strong>on Templar wirdangeh<strong>im</strong>melt von Mädchen und Müttern,erntet Bewunderung von Jungs und Vätern.Selbstverständlich fährt S<strong>im</strong>on Templar keingewöhnliches Allerweltsfahrzeug. SeineWahl vereint klassischen Stil mit modernsterTechnik: ein Volvo P1800, natürlich in strahlendemWeiß. Die Wahl des Dienstwagenshatte zunächst allerdings keine stilistischenGründe: Die britischen Serienmacher wolltenlieber ein Jaguar E-Type verwenden, doch diegeizigen Jaguar-Manager lehnten es ab, demFilmstudio ein Exemplar ihres Sportwagenszu überlassen. Volvo hingegen zeigte sofortInteresse und ließ einen P1800 ausliefern. DieBelohnung folgte kurze Zeit später: Nach demStart der Fernsehserie <strong>im</strong> Jahr 1962 zogendie bis dato schleppenden P1800-Verkäufein England deutlich an. Ausgerechnet einschwedisches Produkt galt plötzlich als envogue.Bei seiner Entwicklung n<strong>im</strong>mt der VolvoP1800 vorweg, was heute in der Autobranchevollkommen üblich ist: Die Zusammenarbeitüber Ländergrenzen hinweg. Der P1800 istkein reinrassiger Skandinavier, sondern ein01/2013 | MOTOR MANIACS125


FAHREN VOLVO P1800Herrlicher Hintern: Die chromgefassten Rücklichterund die runden Heckflossen lassen dasHeck weiblich und elegant erscheinenWie kleine Raketenköpfe lugen die Frontblinker unter denScheinwerfern hervor. Der Fliegendreck drumrum zeugtvon schnellen FahrtenErogene Zone: Das Rot des Leders und der Teppicheknallt ins Auge. Die Sessel sind –typisch Volvo - auch auf Langstrecken bequemmultinationales Produkt mit schwedischen,<strong>italienischen</strong> und englischen Wurzeln.Geplant in den 1950er-Jahren als Nachfolgerfür den glücklosen P1900, wird das Blechkleidfür den <strong>Sportler</strong> 1958 von Pelle Petterson inItalien entworfen – der schwedische Designerist be<strong>im</strong> Karosserieschneider Pietro Fruaangestellt. Für die Produktion schaut sichVolvo nach Partnern um. Die geplante Allianzmit Karmann scheitert am Widerstand Volkswagens,auch Gespräche mit NSU, Hanomagund Drauz bleiben ohne Erfolg. Zum Schlusswird Volvo in England fündig: Pressed Steelproduziert die Rohkarossen, Volvo liefert diemechanischen Teile, Jensen Motors in WestBromwich montiert die fertigen Automobile.1961 läuft der erste P1800 vom Band.Die Fahrzeugtechnik ist auf dem neuestenStand: Die Karosserie ist selbsttragend, dieVorderachse hat Einzelradaufhängung mitDreiecksquerlenkern und Schraubenfedern.90 Pferdestärken treiben den P1800 auf biszu 170 Kilometer pro Stunde. Entschleunigtwird mit einem Dreikreisbremssystem. Optional:ein Overdrive von Laycock de Normanville.QUALITÄTSMÄNGEL UND ROSTPROBLEMEDas Armaturenbrett ist rustikal: Zwei-Lochspeichen-Lenkrad,Rückspiegel auf dem Armaturenbrettund viel nacktes Blech. Luxuriös:die bequemen Vordersitze mit demsportlich gesteppten Leder und serienmäßigenDreipunkt-Gurten. Notfalls kann sogarder Nachwuchs <strong>im</strong> 2+2-Sitzer mitgenommenwerden – allerdings ist die umklappbareRückbank eher für robuste Golftaschen ausgelegtals für den Transport fühlender Wesen.Auf längeren Strecken fühlt sich dortniemand wohl.Tester stellen fest: Das Coupé ist eher GranTurismo als Sportwagen. Für schnelle Kurvenist der P1800 mit seinen 1130 KilogrammLeergewicht zu schwer und zu weich gefedert.Doch Singles und Paare lieben das Autoals idealen Reisebegleiter.Allerdings werden schon bald zahlreiche Problemebekannt: Montage- und Qualitätsmängel,Rostanfälligkeit. Volvo will das Image rettenund schickt Teams hinaus, die Mängelumstandslos beseitigen. Doch der schlechteRuf des Jensen-Coupés bleibt bestehen. ImHerbst 1963 verlegen die Volvo-Manager dieProduktion nach Schweden und führen eineneue Bezeichnung ein: P1800S.Weitere Änderungen: Die geteilte, gehörnteStoßstange wächst zusammen, der Overdrivewird ab sofort serienmäßig verbaut, die Motorleistungwächst auf 96 und 105 Pferdestärken.Mit dem P1800E folgt 1969 die Krönung:124 Pferdestärken und ein neues Innendesignmit Drei-Speichen-Lenkrad aus Plastik, Rückspiegelunterm Dach und viel Holzfurnier.Sieht fader aus, ist aber sicherer.126 MOTOR MANIACS | 01/2013


DIE DORNIER DO 28IST SECHS JAHRE JÜNGERALS DER VOLVO. ALLERDINGSHAT DER VOGEL EINIGEHUNDERTTAUSEND MEILENMEHR AUF DEM TACHODie Blaupunkt-Lautsprecher auf der Hutablagesind nachgerüstet, die „Kosmos-Unfallhilfe“aus blauem Leder ist zeitgenössischDurch die abgenutzte und gilbe Scheibe der Do 28 betrachtet,die be<strong>im</strong> Shooting eine tolle Kulisse bot, erscheintder Volvo wie in einer filmischen RetrospektiveDie gelungene Front besteht aus Alumnium,Chrom und Stahl. Die Rillen verleihen demFrontgrill ein luftig-lockeres AussehenDer hier gezeigte Volvo P1800E wird 1970nach Österreich ausgeliefert und – typischOberklassenmodell- zunächst von einer WienerZahnarztgemahlin gefahren. Ein deutscherImmobilienhai entdeckt den Volvowährend seines Österreich-Urlaubs und kauftihn spontan ab. Er erneuert die Lackierungund das rote Leder, begnügt sich aber liebermit seinen drei Porsche 356.„ABSOLUT ALLTAGSTAUGLICH“Im Jahr 2000 wechselt der P1800E zum jetzigenBesitzer, einem begeisterten Fallschirmspringeraus dem Kreis Paderborn inWestfalen, der unerkannt bleiben möchte.Er benutzt den Volvo als Daily Driver, zumPendeln ebenso wie als Freizeit- und Urlaubsmobil.Zehn- bis zwölftausend Kilometerspult er jedes Jahr damit ab. DurchschnittlicherSpritverbrauch: zehn bis zwölf LiterSuper Plus. „Der P1800E ist perfekt für entspannteLandfahrten: Fenster runter, vierterGang und Overdrive rein, Sound genießen.Ein absolut alltagstaugliches Gefährt.“ Besondersfaszinierend am P1800E: Der Kontrastzwischen dem Zweiliter-Graugussmotormit untenliegender Nockenwelle, also englischerUralt-Technik, und der damals hochmodernenBosch D-Jetronic-Einspritzanlage.„Das war 1969 echtes Hightech. Sonst gab esdie D-Jetronic nur bei Citroën, Mercedes undPorsche.“ Anders als bei modernen Fahrzeugen,kann die überschaubare Technik leichtverstanden und repariert werden. Problemetreten selten auf, zuletzt eine kaputte Tachowelleund ein defekter Overdrive-Schalter,„ansonsten macht der Klassiker keinerleiMätzchen“.Noch sind die Coupés vergleichsweise günstig:Ein P1800E wird <strong>im</strong> ADAC-Oldt<strong>im</strong>er-KatalogNr. 26 zwischen 30.000 Euro (Zustand1) und 21.400, 12.500, 6.400 bis 2.400 Euro(Zustand 5) taxiert. P1800 und P1800S liegenleicht darunter, der SchneewittchensargP1800ES leicht darüber.S<strong>im</strong>on TemplarDie britische Kr<strong>im</strong>iserie über denbritischen Luxus-Abenteurer undFrauenschwarm wurde von 1962 bis1969 in Großbritannien in den Studiosvon Hertfordshire produziert. Als Vorbilddienten die Kr<strong>im</strong>inalromane desSchriftstellers Leslie Charteris. In allen118 Episoden übernahm Roger Moore dieHauptrolle, in acht davon führte er selbstRegie. Sein Dienstwagen war stets einweißer Volvo mit dem Kennzeichen„ST 1“, allerdings wechselten die vielenP1800-Modelle teilweise von Szene zuSzene. Die Fernsehserie dokumentiertauch den Wandel der Technik: 71 Folgenwurden in Schwarz-Weiß gedreht, 47in Farbe. Bis heute wurde „The Saint“ inüber 90 Ländern weltweit ausgestrahlt. InDeutschland werden <strong>im</strong>mer wiedereinzelne Folgen gesendet: In den 60er-Jahren zeigte die ARD mehrere Episoden,zuletzt holte ARTE einzelne Folgen ausdem Archiv. Die vollständigen sechs Staffelnsind ab 30 Euro pro „Collector‘s Box“auf DVD erhältlich, Ausschnitte einzelnerEpisoden stehen aber auch auf Youtube.01/2013 | MOTOR MANIACS 127


FAHREN VOLVO P1800Äußerlich zeigt sich derVolvo <strong>im</strong> elfenbeinfarbenenHochglanz(rechts). Erst be<strong>im</strong> Blickin den herrlichpatinierten,ölverschmierten undungeputzten Motorraumoffenbaren sich dieSpuren der JahrzehnteAls Roger Moore 1969 die Rolle des S<strong>im</strong>onTemplar aufgibt, ist auch das Ende des P1800abzusehen. Die Qualitätsprobleme sind zwarverschwunden, aber der P1800 gilt längst alsold fashioned. Bis 1972 werden 39.000 Fahrzeugeverkauft. Die letzte Modellvariante,ein Kombi-Coupé namens P1800ES, <strong>im</strong> Volksmundals „Schneewittchensarg“ verspottet,wird zunächst neben dem P1800E parallelangeboten, 8.077 Exemplare werden ausgeliefert.Mitte 1973 begräbt Volvo seine Sportwagen-Ambitionenendgültig.CHARAKTERLOS UND UNSPEKTAKULÄRUnd S<strong>im</strong>on Templar? Der durfte irgendwanndoch noch in eine britische Raubkatze steigen:Als 1978 „Return Of The Saint“ gedreht wird,steuert der neue Hauptdarsteller Ian Ogilvyeinen – inzwischen liebend gerne zur Verfügunggestellten – Jaguar XJS.Noch ein paar Jahre später, 1997, wird „TheSaint – Der Mann ohne Namen“ von Val Kilmerneu interpretiert. Seine Darstellung des„Heiligen“ ist glatt, charakterlos und unspektakulär,passt also zum Filmauto: einemkirschroten Volvo C70. Die damaligen Filmkritikerverreißen den Film als „spannend, aberpeinlich albern“ („TV hören und sehen“) und„dümmste Story des Kinojahres“ („TV Today“).Altmeister Roger Moore ist schlau genug, seinEngagement auf eine Sprechrolle für das Autoradiound den Schlusstext zu reduzieren.Damit nicht genug, soll S<strong>im</strong>on Templar balderneut auf Verbrecherjagd gehen: Für 2013ist der Produktionsbeginn einer neuen Seriegeplant, diesmal mit dem Briten Rupert Penry-Jonesin der Hauptrolle. WahrscheinlicheDrehorte: London und New York. Dienstwagen:streng gehe<strong>im</strong>, Jaguar und Volvo sollen<strong>im</strong> Gespräch sein. Vielleicht ein P1800?DER AUTOR<strong>David</strong> <strong>Zwadlo</strong> verbringt seineWochenenden oft auf dem FlugplatzSoest-Bad Sassendorf, um dieSkydiver zu bewundern. Dabei lernteer auch den Fahrer des Volvo P1800Ekennen.Technische DatenMARKEVolvoTYPP1800EERSTZULASSUNG1970MOTORZwei-Liter-Graugussmotor, 1986 ccm, 91 kW (124PS)Größere Kolben, erhöhte Verdichtung,bearbeitete Pleuel, elektronische VW-Zündungvon Hoffmann Speedstar, Overdrive,Lackierung California-Weiß, rotes Leder innen,185er-Reifen.iOVERDRIVEDer Overdrive ist ein Schongang für das Getriebe, der <strong>im</strong> dritten oder vierten Gang elektrisch zugeschaltet werden kann.Der Overdrive senkt die Drehzahl und damit auch den Kraftstoffverbrauch und die Motorlautstärke – besonders angenehm beiÜberlandfahrten mit gleichbleibend hoher Geschwindigkeit. In den 1950er und 60er-Jahren installierten vor allem englischeHersteller den Overdrive in höherklassige Fahrzeuge. Im Volvo P1800E ist der Overdrive Type J des Kultherstellers Laycock deNormanville eingebaut. Laut Angabe des Besitzers ist der Overdrive ein „wesentliches Feature“ bei diesem Auto.128 MOTOR MANIACS | 01/2013

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