770 Jahre nach <strong>de</strong>r ZwangsrekrutierungWissen, was man nicht verstehen kannGespräch mit <strong>de</strong>m Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r „Amicale <strong><strong>de</strong>s</strong> anciens <strong>de</strong> Tambow“, Gaston JunckVON DIANE LECORSAISDer Terminkalen<strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>s</strong> 89-jährigenGaston Junck ist prall gefüllt.Schulklassen besuchen. Ein Terminmit Forschern <strong>de</strong>r Universität. EinGespräch mit <strong>de</strong>m LuxemburgerWort. Vor genau 70 Jahren, 1942,wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r damals 19-jährigezwangsrekrutiert. Nach<strong>de</strong>m er zu<strong>de</strong>n Russen übergelaufen war, kamJunck 1944 ins Gefangenenlager inTambow. Als Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r „Amicale<strong><strong>de</strong>s</strong> Anciens <strong>de</strong> Tambow“ hälter die Erinnerung an die damaligeZeit bis heute aufrecht.Als am 30. August 1942 in <strong>de</strong>nLimpertsberger Ausstellungshallendie Wehrmacht proklamiertwur<strong>de</strong>, war Gaston Junck 19 Jahrealt. An jenen Tag erinnert er sichnoch gut. Auf <strong>de</strong>m Glacis war„Schueberfouer“. Mit ein paarweiteren „Jongen“ konnte er sichan <strong>de</strong>m Abend im „Pafendall“ zunächstnoch verstecken. Doch wie<strong>15</strong> 408 an<strong>de</strong>re Luxemburger wur<strong>de</strong><strong>de</strong>r junge Mann, <strong>de</strong>r zum damaligenZeitpunkt eine Lehre zumKoch absolvierte und plante, eineHotelschule in Straßburg zu besuchen,zwangsrekrutiert. „Mit <strong>de</strong>menrôlement <strong>de</strong> <strong>force</strong> hat alles angefangen,richtig angefangen“,sagt Junck heute, 70 Jahre später.In seine Heimat kehrte er am 6.Juni 1945 zurück. Anfang <strong>de</strong>r1950er-Jahre grün<strong>de</strong>te er gemeinsammit zwei weiteren „TambowerJongen“ die „Amicale <strong><strong>de</strong>s</strong> Anciens<strong>de</strong> Tambow“, in <strong>de</strong>r er bisheute aktiv ist.Gast Junck wird heute oft danachgefragt, warum die Kin<strong>de</strong>r<strong>de</strong>r ehemaligen Tambow-Gefangenenso wenig über das Schicksalihrer Eltern wissen. „Wir wolltenunseren Kin<strong>de</strong>rn nichts erzählen.Wir hatten <strong>de</strong>rmaßen genug davon,und wollten ruhig sein. Je<strong>de</strong>rhatte genug mit sich selbst zu tun“,erklärt Junck. „Unsere Enkelkin<strong>de</strong>rjedoch, die wissen besser Bescheidals wir selber. Die habengefragt. Deshalb sind wir dannauch in die Schulen gegangen.“Der 11. November 1943Zahlreiche Schulen <strong><strong>de</strong>s</strong> Lan<strong><strong>de</strong>s</strong>,von Esch bis ins Ösling, hat Junckinzwischen besucht, um seine Geschichtezu erzählen: Zunächst absolvierteer <strong>de</strong>n Arbeitsdienst inPolen. Nach einer militärischenAusbildung in Russland kam er andie Ostfront, wo er aufseiten <strong>de</strong>rWehrmacht kämpfen musste. ImNovember 1943 fasste er schließlicheinen entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Entschluss:Zusammen mit einem Luxemburgerund einem Elsässer liefer über zu <strong>de</strong>n Russen. „Sie habenuns zunächst gefilzt und dann verhört“,erinnert sich Junck an jenen11. November im Jahr 1943. „Siestellten uns die gängige Frage,nämlich warum wir übergelaufensind. Wir antworteten: Wir sindkeine Deutschen, wir sind Luxemburger!Wir wollen nichts mit <strong>de</strong>nDeutschen zu tun haben!“ Unddann? „Wir rechneten damit, nachEngland gehen zu können, naiv wiewir waren“, erklärt Junck. Doch dieRussen waren auch Alliierte.„Dunn haten se eis schéi kritt“, sagtJunck. Schließlich kam es zu einerAbmachung: Einer <strong>de</strong>r dreien,nämlich er, verpflichtete sich,während eines Jahres an <strong>de</strong>r russischenFront zu bleiben. Im Gegenzugerhielt er die Zusicherung,nach En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Krieges sofort zurückkehrenzu können. „Das habensie gehalten“, weiß Junck heute.Nach einigen Monaten an <strong>de</strong>rrussischen Front musste <strong>de</strong>r jungeLuxemburger aufgrund von Verletzungenan <strong>de</strong>n Beinen ein Lazarettaufsuchen, in welchem er dienächsten zwei Monate verbringensollte. Da seine Einheit sich in <strong>de</strong>rZwischenzeit weit entfernt hatte,konnte er nicht mehr zurück andie Front. Eine Ärztin erzählte ihmschließlich vom GefangenenlagerTambow, wo sich mehrere Franzosenbefin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>n. Da ihmkeine an<strong>de</strong>re Möglichkeit blieb,ging Junck nach Tambow. Die erstenLuxemburger befan<strong>de</strong>n sich zu<strong>de</strong>m Zeitpunkt bereits dort.In die kleine Stadt, die 450 Kilometersüdöstlich von Moskauliegt, ist Gast Junck inzwischenzehnmal zurückgekehrt, zum erstenMal im Jahr 1988. Inzwischenzählt Tambow rund 300 000 Einwohner,vom Lager, das in einemWald gelegen war, ist nichts mehrübrig. Seit Jahren setzt die Amicalesich dafür ein, dass in Tambowein Denkmal aufgerichtetwird, um an die Luxemburger„Jongen“ im Gefangenenlager zuerinnern. Bislang konnte man sichmit <strong>de</strong>n russischen Autoritäten jedochnoch nicht über <strong>de</strong>n Standorteinigen. Die I<strong>de</strong>e für das Denkmalselbst steht aber.Während <strong><strong>de</strong>s</strong> Krieges war Juncketwa ein Jahr in Tambow. Dortangekommen war er 1944. „Ichhatte meine Papiere, und ich hatteeine Präferenz“, berichtet er überdie erste Zeit im Lager. Er umfragtesich nach <strong>de</strong>n Möglichkeiten,in <strong>de</strong>r Küche zu arbeiten. Daes dort aber keinen freien Platzgab, erhielt er schließlich eine Arbeitin <strong>de</strong>r Wäscherei. „Man darfsich nicht auf <strong>de</strong>n Bauch legen undwarten, bis etwas kommt“, hatJunck gelernt. Denn auf dieseWeise erhielt er eine Beschäftigung.Die Wäsche lieferte er unteran<strong>de</strong>rem an die Küche eines Lazaretts,so dass <strong>de</strong>r junge Mann genügendzu essen erhielt. „Das warganz wichtig“. Auch die an<strong>de</strong>renBil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Erinnerung: Das Foto, das Gaston Junck hier in die Kamera hält,zeigt ihn (Bildmitte) in <strong>de</strong>r russischen Uniform.(FOTO: GUY JALLAY)„Jongen“ konnte er so mit Essenversorgen. Am En<strong>de</strong> seiner Zeit imTambower Lager waren nebenJunck noch etwa 400 an<strong>de</strong>re Luxemburgerdort. Später waren esgar 1 004.Im Diekircher Militärmuseumerinnert heute ein ganzer Raum andie Luxemburger im Gefangenenlager.Eingerichtet wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Saalvon <strong>de</strong>n „Tambower Jongen“. Zuvor,in <strong>de</strong>n 1970er-Jahren, warensie mit einer Wan<strong>de</strong>rausstellungdurch das Land gezogen, erzähltJunck. Nun können die Gegenstän<strong>de</strong>in Diekirch eingesehenwer<strong>de</strong>n: Die erste Fahne <strong>de</strong>r„Tambower Jongen“. Klei<strong>de</strong>r, Objekte,Pläne. Und die russischeUniform von Gast Junck.Zehn Tage nach En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Krieges,am 21. Mai 1945, konnte er dasGefangenenlager in Tambow gemeinsammit vier weiteren Luxemburgernverlassen. ÜberO<strong><strong>de</strong>s</strong>sa und Marseille kehrten sieam 6. Juni als erste zurück nachLuxemburg. Bis die letzten „Jongen“endlich nach Luxemburg zurückkehrendurften, sollte es jedochnoch fast sechs Monate, biszum 5. November 1945, dauern. 167Luxemburger kamen in Tambowums Leben – 50 weitere starbenauf <strong>de</strong>r Rückreise.Erste Statuten im Jahr 1955Knapp zehn Jahre später, 1955, gabes die ersten Statuten <strong>de</strong>r „Amicale<strong><strong>de</strong>s</strong> Anciens <strong>de</strong> Tambow“. In <strong>de</strong>n26. Juli 1944:Genau 1 500 ElsässerundLothringer durftenTambow andiesem Tagverlassen. DerfranzösischeGeneral Petitund <strong>de</strong>r russischeGeneralPetrov hattenzuvor ein entsprechen<strong><strong>de</strong>s</strong>Abkommen unterzeichnet.DieLuxemburgermussten jedochzurückbleiben.(FOTO: LW-ARCHIV)Jahren zuvor galt es zunächst, die„Tambower Jongen“ zurückzufin<strong>de</strong>n.Zwar hatten Junck und diezwei weiteren Tambow-Überleben<strong>de</strong>n,die Anfang <strong>de</strong>r 1950er-Jahre die „Amicale“ ins Leben gerufenhatten, die Adressen <strong>de</strong>r ehemaligenLuxemburger Gefangenen.Viele von ihnen hatten ihrenWohnsitz in Zwischenzeit jedochgewechselt. „Daraufhin haben wirAnzeigen in <strong>de</strong>r Zeitung veröffentlicht“,erinnert sich Junck. Im Restaurant„Commerce“ auf <strong>de</strong>r Placed'Armes fand schließlich die ersteVersammlung <strong>de</strong>r „Amicale <strong><strong>de</strong>s</strong>Anciens <strong>de</strong> Tambow“ statt. Dievielen Bemühungen hatten sich gelohnt:„Wir waren sehr verwun<strong>de</strong>rtüber die vielen Menschen, die gekommensind“, so Junck. Gemeinsamfan<strong>de</strong>n sie nach und nach <strong>de</strong>nGroßteil <strong>de</strong>r 787 Luxemburger, dieTambow überlebt hatten. Nochheute zählt die Vereinigung mehrals 200 Mitglie<strong>de</strong>r, je<strong><strong>de</strong>s</strong> Jahr gibtes ein großes Treffen. Dieses fin<strong>de</strong>tsymbolisch am ersten Samstagnach <strong>de</strong>m 5. November statt. Von<strong>de</strong>njenigen, die damals im Gefangenenlagerin Tambow waren, sindheute jedoch nur noch um die 50,60 Menschen am Leben.Nächstes Jahr wird GastonJunck 90 Jahre alt. Aus <strong>de</strong>m Clubvorstandmöchte er sich dann zurückziehen,um Zeit für sich zuhaben. Die Aufgabe, die Erinnerungan Tambow aufrecht zu erhalten,hat er erfüllt. ZahlreichenMenschen hat er über seineschweren Erlebnisse erzählt.Junck erinnert sich an seine Besuchein Schulen, an das große Interesse<strong>de</strong>r Schüler. Und wie er <strong>de</strong>nKin<strong>de</strong>rn erklären musste, dass <strong>de</strong>rBus draußen auf sie warte, und sienun wirklich aufhören müssten.„Kommen Sie <strong>de</strong>nn zurück?“ hättendie Kin<strong>de</strong>r ihm dann entgegnet.„Sie waren interessiert, habenFragen gestellt. Sie wollten dasalles wissen. Das, was man nichtverstehen kann.“ Drei Bücher hatdie „Amicale“ zu<strong>de</strong>m über dasGefangenenlager in Tambow veröffentlicht.Gaston Juncks Wunsch für dieZukunft? Dass die jungen Leute,die nun im Vorstand sind, dieseArbeit fortsetzen. Und diejenigen,<strong>de</strong>nen diese Aufgabe von <strong>de</strong>r Regierungzugetragen wur<strong>de</strong>. Die„Amicale" setzt auf die nachfolgen<strong>de</strong>Generation: Sechs Mitglie<strong>de</strong>r<strong><strong>de</strong>s</strong> neuen Vorstands sind Kin<strong>de</strong>rvon ehemaligen Tambow-Gefangenen.Und <strong>de</strong>r Verein zählt soviele Mitglie<strong>de</strong>r wie nie zuvor.„Das ist die einzige Möglichkeit,damit das weiter besteht“, meintJunck.„Ich glaube, noch nie hatte auf <strong>de</strong>rJugend unseres Lan<strong><strong>de</strong>s</strong> eine solcheMasse von physischen und seelischenLei<strong>de</strong>n gelastet, und nicht nur während<strong>de</strong>r Kriegszeit. Die Luxemburger Jugend– eingezogen o<strong>de</strong>r nicht – hat indiesem Krieg großen Mut bewiesen,wie z. B. die 263 gemaßregelten Jungenund Mädchen <strong>de</strong>r Mittelschulen soauch die etwa 600 aus <strong>de</strong>n Studienentfernten Schüler.“(Christian Calmes)
8Gespräch mit Paul Dostert, Direktor <strong><strong>de</strong>s</strong> „Centre <strong>de</strong> documentation et <strong>de</strong> recherche sur la Résistance“Für Synergien zur Erhaltung <strong><strong>de</strong>s</strong> An<strong>de</strong>nkensHistoriker schlägt einheitliches Dokumentationszentrum und verstärkte Zusammenarbeit <strong>de</strong>r Akteure vorVON RAPHAEL ZWANKDie Einführung <strong>de</strong>r Wehrpflicht inLuxemburg war für die Besatzerlaut Paul Dostert, Direktor <strong><strong>de</strong>s</strong>„Centre <strong>de</strong> documentation et <strong>de</strong>recherche sur la Résistance“,keine leichte Entscheidung. Dochunter <strong>de</strong>m Druck <strong>de</strong>r Verlustebeim Russlandfeldzug wur<strong>de</strong>n alleBe<strong>de</strong>nken beiseitegeschoben – miteinem Generalstreik als Folge.Über die daraufhin beschlosseneUmsiedlung ist laut Paul Dostertnoch viel Forschungsarbeit nötig.An das Schicksal <strong>de</strong>r Betroffenenerinnern soll eine Ge<strong>de</strong>nkstätte inLeubus. Doch auch in Luxemburgsollte das An<strong>de</strong>nken laut Paul Dostertverstärkt in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrundrücken.Aus heiterem Himmel kam dieZwangsrekrutierung En<strong>de</strong> August1942 nicht: „Als im Mai 1941 dieReichsarbeitsdienst-Pflicht verfügtwur<strong>de</strong>, dachten bereits vieleLuxemburger, dass dies eine Vorstufesei.“ Dass das Ziel <strong>de</strong>r Besatzerdarin bestand, Luxemburgnach <strong>de</strong>m „Endsieg“ nicht nur <strong>de</strong>facto, son<strong>de</strong>rn auch völkerrechtlich<strong>de</strong>m Dritten Reich einzuverleiben,sei praktisch je<strong>de</strong>m klargewesen.Weil Luxemburg aber nicht aufgehörthatte, als Land zu existieren,zögerten die Deutschen, dieLuxemburger zum Wehrdienst zuverpflichten. Erst die schwerenVerluste beim Russlandfeldzugwen<strong>de</strong>ten das Blatt. Die Nazis versuchtenzunächst Anfang 1942,Freiwillige anzuwerben. Es mel<strong>de</strong>tensich relativ viele: „In meinerDatei befin<strong>de</strong>n sich rund 2 000Namen“, so Paul Dostert. Ob essich immer um freiwillige Luxemburgerhan<strong>de</strong>lte, müsse aber imEinzelfall untersucht wer<strong>de</strong>n. Zudieser Zeit lebten <strong>15</strong> 000 bis20 000 Deutsche in Luxemburg. Esgab aber auch Polizisten, die betrunkenenjungen Männern, diepatriotische Lie<strong>de</strong>r gesungen hatten,auf <strong>de</strong>m Revier einen Zettelzur Unterschrift vorlegten. O<strong>de</strong>reinen Arzt, <strong>de</strong>r Abtreibungen vorgenommenhatte, und zwischen<strong>de</strong>m KZ o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Wehrdienstwählen konnte.Die Freiwilligen reichten angesichts<strong>de</strong>r Verluste an <strong>de</strong>r Frontnicht. Bei einer Unterredung <strong>de</strong>rGauleiter Luxemburgs, Lothringensund <strong><strong>de</strong>s</strong> Elsass mit Hitlerwur<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong>halb die Zwangsrekrutierungbeschlossen. Da nur Deutschein <strong>de</strong>r Wehrmacht dienenkonnten, wur<strong>de</strong> verfügt, dass alleLuxemburger mit <strong>de</strong>m Eintritt indie Wehrmacht die <strong>de</strong>utsche Nationalitätannehmen. „Dies war einklarer Verstoß gegen das Völkerrechtund gegen die Haager Landkriegsordnung“,betont Paul Dostert.Im Auswärtigen Amt in Berlinhabe es durchaus Juristen und Diplomatengegeben, die sich dagegengewehrt hätten. Durchsetzenkonnten sie sich allerdings nicht.Durch die Wehrpflicht wur<strong>de</strong> –beabsichtigt o<strong>de</strong>r nicht – auch dieResistenz geschwächt, die zueinem großen Teil aus jungenMenschen bestand. Größere Vereinigungenwie die „LëtzebuergerVollekslegioun“ (LVL), <strong>de</strong>renChef Aloyse Raths zwangsrekrutiertwur<strong>de</strong>, funktionierten weiter,während kleinere Vereinigungenschwer getroffen wur<strong>de</strong>n.Paul DostertHeftige ReaktionIm Vergleich zu <strong>de</strong>n Reaktionenauf <strong>de</strong>n obligatorischen Beitrittzum Reichsarbeitsdienst – ab Mai1941 verließen manche Luxemburgerdas Land und viele Mädchenheirateten, um <strong>de</strong>m RAD zu entgehen– war die Reaktion <strong>de</strong>r Luxemburgerauf die Zwangsrekrutierungweitaus heftiger. Gerüchteüber die bevorstehen<strong>de</strong> Einführung<strong>de</strong>r Maßnahme hatte es seitlangem gegeben, doch eine Einigungüber <strong>de</strong>n Generalstreikwur<strong>de</strong> laut Aloyse Raths erst eineWoche vor <strong>de</strong>r Verkündung <strong>de</strong>rWehrpflicht gefun<strong>de</strong>n.Dabei stellte sich das Problem,wie die Bevölkerung zu informierenwar. Zuerst sollten keine Zügefahren, doch da die Bekanntmachungvon Gustav Simon an einemSonntag erfolgte, fuhren <strong>de</strong>ren nurwenige, und montags begann einean<strong>de</strong>re Schicht, sodass diese Lokführernicht informiert wer<strong>de</strong>nkonnten. In Brüssel gedruckteFlugblätter wur<strong>de</strong>n mit Koffernnach Luxemburg gebracht, konntenaber zum größten Teil nichtverteilt wer<strong>de</strong>n und enthielten zu<strong>de</strong>meinen unglaublichen Fehler,<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m Korrekturlesen passiertwar: Das wichtigste Wort,„Generalstreik“, war durch „Maj.“ersetzt wor<strong>de</strong>n – eine Anmerkung,die eigentlich nur ausdrücken sollte,dass das Wort fett gedrucktwer<strong>de</strong>n sollte.So blieb es bei vereinzeltenStreikaktionen, die sehr mutig,aber vor allem symbolisch waren:„Wirtschaftlich richtete <strong>de</strong>r Streikkeinen Scha<strong>de</strong>n an, doch die Deutschenreagierten mit Panik“, soPaul Dostert. Das Standrechtwur<strong>de</strong> in Luxemburg eingeführt.Das Standgericht bestand aus Gestapo-ChefFritz Hartmann undzwei weiteren Polizisten, die wieer Juristen waren, sich aber in <strong>de</strong>nDienst <strong><strong>de</strong>s</strong> Unrechts stellten. Siesprachen 20 To<strong><strong>de</strong>s</strong>urteile aus,überstellten 125 Personen an dieGestapo (die eine Einlieferung insKZ beschloss) und sprachen 20zumeist min<strong>de</strong>rjährige Personenfrei. Viele Schüler wur<strong>de</strong>n in Umerziehungslagerninterniert.Umsiedlungen waren bis dahinnicht vorgekommen – mit Ausnahmevon 20 Geistlichen, darunter<strong>de</strong>r spätere Bischof Léon Lommel,die sich für eine unabhängigeKirche eingesetzt hatten. Bei <strong>de</strong>rUmsiedlung ganzer Familien, dieals Folge <strong><strong>de</strong>s</strong> Generalstreiks einsetzte,spielte die Rasseni<strong>de</strong>ologie<strong>de</strong>r Nazis eine Rolle: Die Luxemburgerwur<strong>de</strong>n nicht etwa nach(FOTO: MICHEL BRUMAT)Frankreich <strong>de</strong>portiert, son<strong>de</strong>rnnach Westen, die meisten nachSchlesien.Dort wird das An<strong>de</strong>nken an jeneZeit zum Teil aufrechterhalten:„Das Grab eines Luxemburgersauf <strong>de</strong>m Friedhof von Leubus wirdvon <strong>de</strong>n Polen sehr gepflegt undLuxemburger, die es besuchen, legenBlumen darauf nie<strong>de</strong>r.“ Insgesamtwur<strong>de</strong>n rund 70 Luxemburgerin Schlesien begraben, darunterauch Kleinkin<strong>de</strong>r, die früh verstorbenwaren. Luxemburger habenauch Geld gespen<strong>de</strong>t für dieRenovierung <strong><strong>de</strong>s</strong> barocken Predigtstuhls<strong>de</strong>r Pfarrkirche vonLeubus. An <strong>de</strong>r Mauer <strong><strong>de</strong>s</strong> Klostersvon Leubus, in <strong>de</strong>m die Luxemburgeruntergebracht waren,ist eine Ge<strong>de</strong>nktafel befestigt.Auch gibt es Bestrebungen, eineGe<strong>de</strong>nkstätte in diesem Klostereinzurichten, wo die Besucherüber die Umsiedlung, aber auchüber das heutige Luxemburg, informiertwür<strong>de</strong>n. Über die Umsiedlungmüsste laut Paul Dostertnoch viel Forschungsarbeit geleistetwer<strong>de</strong>n – z. B. in Form einerMaster- o<strong>de</strong>r Doktorarbeit.Was die Aufrechterhaltung <strong>de</strong>rErinnerung in Luxemburg betrifft,wur<strong>de</strong> laut Paul Dostert viel Materialgesammelt, darunter auchviele Berichte von Zeitzeugen.Noch viel zu tun bleibe in punctoAufarbeitung, z.B. im Bereich <strong>de</strong>rGerichtsprozesse in <strong>de</strong>r Nachkriegszeit.Paul Dostert hält aucheine verstärkte Zusammenarbeitaller Akteure für erfor<strong>de</strong>rlich, umüber die einzelnen Opfergruppenhinaus das An<strong>de</strong>nken an alle Opfer<strong>de</strong>r Naziherrschaft zu erhalten. Esgebe bereits eine engere Zusammenarbeitzwischen <strong>de</strong>m „Comitédirecteur pour le souvenir <strong>de</strong> laRésistance“ und <strong>de</strong>m „Comité directeurpour le souvenir <strong>de</strong> l'enrôlementforcé“.Für drei nationale Ge<strong>de</strong>nktagePaul Dostert wür<strong>de</strong> eine Zusammenlegungseines Dokumentationszentrumsüber die Resistenz(in <strong>de</strong>r Villa Pauly) mit <strong>de</strong>m Dokumentationszentrumüber dieZwangsrekrutierung (im altenHollericher Bahnhof) nach seinerPensionierung für sinnvoll halten– wodurch es zu Synergien kommeund z. B. ein zusätzlicher Historikereingestellt wer<strong>de</strong>n könnte.Darüber hinaus wür<strong>de</strong> PaulDostert weitere Bemühungen <strong>de</strong>rRegierung begrüßen – nicht nurfinanzieller Art, wozu die seit Jahrenangekündigte Renovierung<strong><strong>de</strong>s</strong> Resistenzmuseums in Esch/Alzette gehöre, son<strong>de</strong>rn auch dieEinführung von zwei weiteren nationalenGe<strong>de</strong>nktagen über die„Journée <strong>de</strong> commémoration nationale“hinaus – einen für dieResistenzler und einen für dieZwangsrekrutierten. Wünschenwür<strong>de</strong> sich Paul Dostert auch eineverstärkte I<strong>de</strong>ntifikation <strong>de</strong>r Abgeordnetenkammermit <strong>de</strong>mThema und eine größere Präsenzin <strong>de</strong>n Schulen. „Immerhin ist <strong>de</strong>rZweite Weltkrieg <strong>de</strong>r kruzialePunkt, als Luxemburger sich einsetztenund ihr Leben riskiertenfür ein freies, unabhängiges Luxemburg.“„Die Luxemburger Jugend hat mit ihrer34-prozentigen Wehrmachtsentziehungo<strong>de</strong>r ,Desertionen‘ ihrem Lan<strong>de</strong>in einzigartiges Attest ausgestellt. In<strong>de</strong>r Militärgeschichte Europas ist einsolcher Prozentsatz noch nie erreichtwor<strong>de</strong>n.“(Christian Calmes, 1995)Junge Luxemburger wur<strong>de</strong>n ab <strong>de</strong>m Bahnhof Luxemburg in die Kasernen <strong><strong>de</strong>s</strong> Dritten Reiches verschleppt. (FOTO: AUS ANDRÉ HEIDERSCHEID, ZWANGSREKRUTIERT, BAND 2)