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15 - Fédération des enrôlés de force

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6Aufgabe <strong><strong>de</strong>s</strong> „Comité directeur pour le souvenir <strong>de</strong> l'enrôlement forcé“Rolle ins rechte Licht rückenPräsi<strong>de</strong>ntin Marie-Anne Thommes über das Schicksal <strong>de</strong>r Zwangsrekrutierten und welche Lehren daraus zu ziehen sindVON NATHALIE ROVATTIAuch 70 Jahre nach <strong>de</strong>r Proklamationdurch Gauleiter Gustav Simonist <strong>de</strong>r Stellenwert <strong>de</strong>r Zwangsrekrutiertenund ihr Kriegsschicksalin <strong>de</strong>r kollektiven Erinnerung <strong><strong>de</strong>s</strong>Lan<strong><strong>de</strong>s</strong> noch nicht richtig aufgearbeitet.Erst langsam wird Licht indieses dunkle Kapitel <strong>de</strong>r GeschichteLuxemburgs im ZweitenWeltkrieg gebracht und dieZwangsrekrutierten wer<strong>de</strong>n endlichaus <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>r „Opfer zweiterKlasse“ herausgeholt. Welche Be<strong>de</strong>utungdie Zwangsrekrutierungfür die Vergangenheit und Zukunft<strong><strong>de</strong>s</strong> Lan<strong><strong>de</strong>s</strong> hatte und hat, darüberunterhielt sich das „LuxemburgerWort“ mit Marie-Anne Thommes,<strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>ntin <strong><strong>de</strong>s</strong> „Comité directeurpour le souvenir <strong>de</strong> l'enrôlementforcé“.Nicht „Opfer zweiter Klasse“, son<strong>de</strong>rnWi<strong>de</strong>rständler seien dieZwangsrekrutierten laut heutigerDefinition <strong><strong>de</strong>s</strong> Begriffs „Resistenz“gewesen, erklärte Erny Lamborelle,Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r „<strong>Fédération</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong><strong>enrôlés</strong> <strong>de</strong> <strong>force</strong> – Victimes dunazisme“ im vergangenen Mai auf<strong>de</strong>m diesjährigen Verbandskongress.Bezug nehmend auf <strong>de</strong>n HistorikerJacques Maas, erläuterte er,dass auch „individuelle Akte <strong>de</strong>rVerweigerung zum Schutz <strong>de</strong>r eigenenPerson und <strong><strong>de</strong>s</strong> eigenen Umfelds“zu <strong>de</strong>n Handlungen <strong><strong>de</strong>s</strong> Wi<strong>de</strong>rstandsgehört haben.CDREF als Ansprechpartner<strong><strong>de</strong>s</strong> StaatesSeit 2005 gibt es das „Comitédirecteur pour le souvenir <strong>de</strong> l'enrôlementforcé“ (CDREF). Währendsich <strong>de</strong>r Zwangsrekrutierten-Verbandaus <strong>de</strong>n vielen Lokalsektionenzusammensetzt, dienach <strong>de</strong>r Heimkehr <strong>de</strong>r „Jongen“überall im Land entstan<strong>de</strong>n sind,ist das CDREF heute <strong>de</strong>r offizielleAnsprechpartner <strong><strong>de</strong>s</strong> Staates fürdie Organisation von Zeremonienauf nationaler Ebene, z. B. anlässlichvon Staatsbesuchen. Geschaffenwur<strong>de</strong> es von <strong>de</strong>r Regierung,um sicherzustellen, dass die Erinnerungan die Zwangsrekrutiertenauch dann gesichert und weitergeführtwird, wenn es keineZeitzeugen mehr gibt.Die Büros <strong><strong>de</strong>s</strong> CDREF befin<strong>de</strong>nsich, genau wie das „Centre <strong>de</strong>documentation et <strong>de</strong> recherchesur l'enrôlement forcé“, im früherenBahnhof Hollerich, ein Gebäu<strong>de</strong>mit beson<strong>de</strong>rer symbolischerBe<strong>de</strong>utung: Vo hier auswur<strong>de</strong>n viele Luxemburger ins„Dritte Reich“ verschleppt. Bereitsseit Mitte <strong>de</strong>r 1990er-Jahrebeherbergt das historische Bahnhofsgebäu<strong>de</strong>das „Mémorial <strong>de</strong> ladéportation“, das an die Verschleppungtausen<strong>de</strong>r „Jongen“(wie die Zwangsrekrutierten genanntwur<strong>de</strong>n), Zwangsumgesie<strong>de</strong>lterund auch Ju<strong>de</strong>n erinnert.Vorsitzen<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> CDREF ist Marie-AnneThommes. „Im Gegensatzzur Resistenz wur<strong>de</strong> dieZwangsrekrutierung jahrzehntelangin Luxemburg nicht groß thematisiert.Das lag teilweise daran,dass die Mehrzahl <strong>de</strong>r Zwangsrekrutiertenselbst nach ihrer Rückkehrin die Heimat nicht über ihreErlebnisse sprechen wollten. Siewaren traumatisiert, wollten vergessen,haben verdrängt. Es galt,sich eine Zukunft aufzubauen unddiese zu gestalten. Auch in ihrenFamilien, mit ihren Kin<strong>de</strong>rn, habenviele Zwangsrekrutierte nichto<strong>de</strong>r nur sehr wenig über dasgesprochen, was sie durchgemachthaben. Dadurch ist die Situationentstan<strong>de</strong>n, dass die nachfolgen<strong>de</strong>nGenerationen fastnichts über die Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>rZwangsrekrutierten erfahren habenund <strong>de</strong>mnach sehr wenig Interessean einer Aufarbeitung <strong>de</strong>rGeschichte bestan<strong>de</strong>n hat“, erklärtMarie-Anne Thommes.Das hat sich in jüngster Vergangenheitaber geän<strong>de</strong>rt. Einenwichtigen Beitrag dazu liefernZeitzeugen selbst, die mit zunehmen<strong>de</strong>mAlter bereit sind, sich zuöffnen, ihre Geschichte aufzuarbeitenund über ihr Schicksalsprechen. „Viele ehemaligeZwangsrekrutierte gehen heute inSchulen und erzählen <strong>de</strong>n Schülern,was ihnen wi<strong>de</strong>rfahren ist.Das war bis vor ein paar Jahrenun<strong>de</strong>nkbar. Bei <strong>de</strong>n Schülern stoßendie Zeitzeugen meistens aufstarkes Interesse, wie sie immerwie<strong>de</strong>r selbst feststellen. DieZwangsrekrutierung hat das Landgeprägt, macht seine I<strong>de</strong>ntität aus.Niemand kann Kin<strong>de</strong>rn und Jugendlichendas besser vermittelnals jene, die es erlebt haben“, sodie CDREF-Vorsitzen<strong>de</strong>.I<strong>de</strong>ntitätund europäischer GedankeIn frem<strong>de</strong>n Uniformen an dieFront geschickt wor<strong>de</strong>n zu sein,habe eine ganze Generation geprägtund an <strong>de</strong>r Nachwelt sei es,klarzustellen und vor allem dieErinnerung daran zu bewahren,dass die heutige I<strong>de</strong>ntität Luxemburgsihre Wurzeln in <strong>de</strong>rZwangsrekrutierung habe, erklärteMarie-Anne Thommes.Auch die Verbun<strong>de</strong>nheit <strong><strong>de</strong>s</strong>Großherzogtums zu Europa fußein diesem Kapitel <strong>de</strong>r Geschichte:„Der Ursprung <strong><strong>de</strong>s</strong> europäischenGedankens ist, als Gemeinschaftzu verhin<strong>de</strong>rn, dass noch einmalein <strong>de</strong>rartiger Krieg ausbrechenund <strong>de</strong>n Kontinent in Schutt undMarie-AnneThommes steht<strong>de</strong>m 2005 insLeben gerufenen„Comité directeurpour lesouvenir <strong>de</strong>l'enrôlementforcé“ mit Sitzim HollericherBahnhof vor.(FOTOS: GUYJALLAY)Asche legen kann. Das ist bisheute <strong>de</strong>r Motor, <strong>de</strong>r diejenigenantreibt, die sich für ein gemeinsamesEuropa einsetzen.“Als be<strong>de</strong>nklich empfin<strong>de</strong>tMarie-Anne Thommes <strong>de</strong>n <strong>de</strong>rzeitigenEuropa-Frust, <strong>de</strong>r sichangesichts <strong>de</strong>r aktuellen Wirtschafts-und Euro-Krise auch inLuxemburg breit macht. Wer 60Jahre in Frie<strong>de</strong>n und Überflussgelebt habe, könne oft nicht mehrnachvollziehen, warum <strong>de</strong>r Völkerbun<strong>de</strong>inst gegrün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>.„Je weiter die Kriegsjahre zurückliegen,<strong><strong>de</strong>s</strong>to mehr nimmt dieKraft und die Bereitschaft, auch inschweren Zeiten für ein geeintesEuropa einzustehen, ab“. Deshalbsieht das CDREF seine Rolle, neben<strong>de</strong>r Bewahrung <strong>de</strong>r Erinnerung,auch darin, <strong>de</strong>n europäischenGedanken weiterzuführen,damit das Unfassbare nicht nocheinmal geschieht.„Wo sie auch waren, überall spürt mandie seelische Anhänglichkeit dieserJugend an ihre Heimat. Mit <strong>de</strong>m Kreuz,das sie trugen, nahmen sie die Heimatmit an die Front, die Votivmedaille amHals, <strong>de</strong>n Ring mit <strong>de</strong>m Löwen, dasFoto <strong>de</strong>r Großherzogin, ein Fähncheno<strong>de</strong>r drei farbige Fetzen zum Zusammennähen...“(Christian Calmes)Die Ge<strong>de</strong>nkzeremonien, wie hier eine Blumennie<strong>de</strong>rlegung <strong>de</strong>r „Enrôlés <strong>de</strong> <strong>force</strong>“-Sektion <strong>de</strong>r Hauptstadt vor <strong>de</strong>m „Monument <strong>de</strong> la déportation“ in Hollerich,sind <strong>de</strong>n Zeitzeugen bis heute sehr wichtig.


770 Jahre nach <strong>de</strong>r ZwangsrekrutierungWissen, was man nicht verstehen kannGespräch mit <strong>de</strong>m Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r „Amicale <strong><strong>de</strong>s</strong> anciens <strong>de</strong> Tambow“, Gaston JunckVON DIANE LECORSAISDer Terminkalen<strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>s</strong> 89-jährigenGaston Junck ist prall gefüllt.Schulklassen besuchen. Ein Terminmit Forschern <strong>de</strong>r Universität. EinGespräch mit <strong>de</strong>m LuxemburgerWort. Vor genau 70 Jahren, 1942,wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r damals 19-jährigezwangsrekrutiert. Nach<strong>de</strong>m er zu<strong>de</strong>n Russen übergelaufen war, kamJunck 1944 ins Gefangenenlager inTambow. Als Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r „Amicale<strong><strong>de</strong>s</strong> Anciens <strong>de</strong> Tambow“ hälter die Erinnerung an die damaligeZeit bis heute aufrecht.Als am 30. August 1942 in <strong>de</strong>nLimpertsberger Ausstellungshallendie Wehrmacht proklamiertwur<strong>de</strong>, war Gaston Junck 19 Jahrealt. An jenen Tag erinnert er sichnoch gut. Auf <strong>de</strong>m Glacis war„Schueberfouer“. Mit ein paarweiteren „Jongen“ konnte er sichan <strong>de</strong>m Abend im „Pafendall“ zunächstnoch verstecken. Doch wie<strong>15</strong> 408 an<strong>de</strong>re Luxemburger wur<strong>de</strong><strong>de</strong>r junge Mann, <strong>de</strong>r zum damaligenZeitpunkt eine Lehre zumKoch absolvierte und plante, eineHotelschule in Straßburg zu besuchen,zwangsrekrutiert. „Mit <strong>de</strong>menrôlement <strong>de</strong> <strong>force</strong> hat alles angefangen,richtig angefangen“,sagt Junck heute, 70 Jahre später.In seine Heimat kehrte er am 6.Juni 1945 zurück. Anfang <strong>de</strong>r1950er-Jahre grün<strong>de</strong>te er gemeinsammit zwei weiteren „TambowerJongen“ die „Amicale <strong><strong>de</strong>s</strong> Anciens<strong>de</strong> Tambow“, in <strong>de</strong>r er bisheute aktiv ist.Gast Junck wird heute oft danachgefragt, warum die Kin<strong>de</strong>r<strong>de</strong>r ehemaligen Tambow-Gefangenenso wenig über das Schicksalihrer Eltern wissen. „Wir wolltenunseren Kin<strong>de</strong>rn nichts erzählen.Wir hatten <strong>de</strong>rmaßen genug davon,und wollten ruhig sein. Je<strong>de</strong>rhatte genug mit sich selbst zu tun“,erklärt Junck. „Unsere Enkelkin<strong>de</strong>rjedoch, die wissen besser Bescheidals wir selber. Die habengefragt. Deshalb sind wir dannauch in die Schulen gegangen.“Der 11. November 1943Zahlreiche Schulen <strong><strong>de</strong>s</strong> Lan<strong><strong>de</strong>s</strong>,von Esch bis ins Ösling, hat Junckinzwischen besucht, um seine Geschichtezu erzählen: Zunächst absolvierteer <strong>de</strong>n Arbeitsdienst inPolen. Nach einer militärischenAusbildung in Russland kam er andie Ostfront, wo er aufseiten <strong>de</strong>rWehrmacht kämpfen musste. ImNovember 1943 fasste er schließlicheinen entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Entschluss:Zusammen mit einem Luxemburgerund einem Elsässer liefer über zu <strong>de</strong>n Russen. „Sie habenuns zunächst gefilzt und dann verhört“,erinnert sich Junck an jenen11. November im Jahr 1943. „Siestellten uns die gängige Frage,nämlich warum wir übergelaufensind. Wir antworteten: Wir sindkeine Deutschen, wir sind Luxemburger!Wir wollen nichts mit <strong>de</strong>nDeutschen zu tun haben!“ Unddann? „Wir rechneten damit, nachEngland gehen zu können, naiv wiewir waren“, erklärt Junck. Doch dieRussen waren auch Alliierte.„Dunn haten se eis schéi kritt“, sagtJunck. Schließlich kam es zu einerAbmachung: Einer <strong>de</strong>r dreien,nämlich er, verpflichtete sich,während eines Jahres an <strong>de</strong>r russischenFront zu bleiben. Im Gegenzugerhielt er die Zusicherung,nach En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Krieges sofort zurückkehrenzu können. „Das habensie gehalten“, weiß Junck heute.Nach einigen Monaten an <strong>de</strong>rrussischen Front musste <strong>de</strong>r jungeLuxemburger aufgrund von Verletzungenan <strong>de</strong>n Beinen ein Lazarettaufsuchen, in welchem er dienächsten zwei Monate verbringensollte. Da seine Einheit sich in <strong>de</strong>rZwischenzeit weit entfernt hatte,konnte er nicht mehr zurück andie Front. Eine Ärztin erzählte ihmschließlich vom GefangenenlagerTambow, wo sich mehrere Franzosenbefin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>n. Da ihmkeine an<strong>de</strong>re Möglichkeit blieb,ging Junck nach Tambow. Die erstenLuxemburger befan<strong>de</strong>n sich zu<strong>de</strong>m Zeitpunkt bereits dort.In die kleine Stadt, die 450 Kilometersüdöstlich von Moskauliegt, ist Gast Junck inzwischenzehnmal zurückgekehrt, zum erstenMal im Jahr 1988. Inzwischenzählt Tambow rund 300 000 Einwohner,vom Lager, das in einemWald gelegen war, ist nichts mehrübrig. Seit Jahren setzt die Amicalesich dafür ein, dass in Tambowein Denkmal aufgerichtetwird, um an die Luxemburger„Jongen“ im Gefangenenlager zuerinnern. Bislang konnte man sichmit <strong>de</strong>n russischen Autoritäten jedochnoch nicht über <strong>de</strong>n Standorteinigen. Die I<strong>de</strong>e für das Denkmalselbst steht aber.Während <strong><strong>de</strong>s</strong> Krieges war Juncketwa ein Jahr in Tambow. Dortangekommen war er 1944. „Ichhatte meine Papiere, und ich hatteeine Präferenz“, berichtet er überdie erste Zeit im Lager. Er umfragtesich nach <strong>de</strong>n Möglichkeiten,in <strong>de</strong>r Küche zu arbeiten. Daes dort aber keinen freien Platzgab, erhielt er schließlich eine Arbeitin <strong>de</strong>r Wäscherei. „Man darfsich nicht auf <strong>de</strong>n Bauch legen undwarten, bis etwas kommt“, hatJunck gelernt. Denn auf dieseWeise erhielt er eine Beschäftigung.Die Wäsche lieferte er unteran<strong>de</strong>rem an die Küche eines Lazaretts,so dass <strong>de</strong>r junge Mann genügendzu essen erhielt. „Das warganz wichtig“. Auch die an<strong>de</strong>renBil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Erinnerung: Das Foto, das Gaston Junck hier in die Kamera hält,zeigt ihn (Bildmitte) in <strong>de</strong>r russischen Uniform.(FOTO: GUY JALLAY)„Jongen“ konnte er so mit Essenversorgen. Am En<strong>de</strong> seiner Zeit imTambower Lager waren nebenJunck noch etwa 400 an<strong>de</strong>re Luxemburgerdort. Später waren esgar 1 004.Im Diekircher Militärmuseumerinnert heute ein ganzer Raum andie Luxemburger im Gefangenenlager.Eingerichtet wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Saalvon <strong>de</strong>n „Tambower Jongen“. Zuvor,in <strong>de</strong>n 1970er-Jahren, warensie mit einer Wan<strong>de</strong>rausstellungdurch das Land gezogen, erzähltJunck. Nun können die Gegenstän<strong>de</strong>in Diekirch eingesehenwer<strong>de</strong>n: Die erste Fahne <strong>de</strong>r„Tambower Jongen“. Klei<strong>de</strong>r, Objekte,Pläne. Und die russischeUniform von Gast Junck.Zehn Tage nach En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Krieges,am 21. Mai 1945, konnte er dasGefangenenlager in Tambow gemeinsammit vier weiteren Luxemburgernverlassen. ÜberO<strong><strong>de</strong>s</strong>sa und Marseille kehrten sieam 6. Juni als erste zurück nachLuxemburg. Bis die letzten „Jongen“endlich nach Luxemburg zurückkehrendurften, sollte es jedochnoch fast sechs Monate, biszum 5. November 1945, dauern. 167Luxemburger kamen in Tambowums Leben – 50 weitere starbenauf <strong>de</strong>r Rückreise.Erste Statuten im Jahr 1955Knapp zehn Jahre später, 1955, gabes die ersten Statuten <strong>de</strong>r „Amicale<strong><strong>de</strong>s</strong> Anciens <strong>de</strong> Tambow“. In <strong>de</strong>n26. Juli 1944:Genau 1 500 ElsässerundLothringer durftenTambow andiesem Tagverlassen. DerfranzösischeGeneral Petitund <strong>de</strong>r russischeGeneralPetrov hattenzuvor ein entsprechen<strong><strong>de</strong>s</strong>Abkommen unterzeichnet.DieLuxemburgermussten jedochzurückbleiben.(FOTO: LW-ARCHIV)Jahren zuvor galt es zunächst, die„Tambower Jongen“ zurückzufin<strong>de</strong>n.Zwar hatten Junck und diezwei weiteren Tambow-Überleben<strong>de</strong>n,die Anfang <strong>de</strong>r 1950er-Jahre die „Amicale“ ins Leben gerufenhatten, die Adressen <strong>de</strong>r ehemaligenLuxemburger Gefangenen.Viele von ihnen hatten ihrenWohnsitz in Zwischenzeit jedochgewechselt. „Daraufhin haben wirAnzeigen in <strong>de</strong>r Zeitung veröffentlicht“,erinnert sich Junck. Im Restaurant„Commerce“ auf <strong>de</strong>r Placed'Armes fand schließlich die ersteVersammlung <strong>de</strong>r „Amicale <strong><strong>de</strong>s</strong>Anciens <strong>de</strong> Tambow“ statt. Dievielen Bemühungen hatten sich gelohnt:„Wir waren sehr verwun<strong>de</strong>rtüber die vielen Menschen, die gekommensind“, so Junck. Gemeinsamfan<strong>de</strong>n sie nach und nach <strong>de</strong>nGroßteil <strong>de</strong>r 787 Luxemburger, dieTambow überlebt hatten. Nochheute zählt die Vereinigung mehrals 200 Mitglie<strong>de</strong>r, je<strong><strong>de</strong>s</strong> Jahr gibtes ein großes Treffen. Dieses fin<strong>de</strong>tsymbolisch am ersten Samstagnach <strong>de</strong>m 5. November statt. Von<strong>de</strong>njenigen, die damals im Gefangenenlagerin Tambow waren, sindheute jedoch nur noch um die 50,60 Menschen am Leben.Nächstes Jahr wird GastonJunck 90 Jahre alt. Aus <strong>de</strong>m Clubvorstandmöchte er sich dann zurückziehen,um Zeit für sich zuhaben. Die Aufgabe, die Erinnerungan Tambow aufrecht zu erhalten,hat er erfüllt. ZahlreichenMenschen hat er über seineschweren Erlebnisse erzählt.Junck erinnert sich an seine Besuchein Schulen, an das große Interesse<strong>de</strong>r Schüler. Und wie er <strong>de</strong>nKin<strong>de</strong>rn erklären musste, dass <strong>de</strong>rBus draußen auf sie warte, und sienun wirklich aufhören müssten.„Kommen Sie <strong>de</strong>nn zurück?“ hättendie Kin<strong>de</strong>r ihm dann entgegnet.„Sie waren interessiert, habenFragen gestellt. Sie wollten dasalles wissen. Das, was man nichtverstehen kann.“ Drei Bücher hatdie „Amicale“ zu<strong>de</strong>m über dasGefangenenlager in Tambow veröffentlicht.Gaston Juncks Wunsch für dieZukunft? Dass die jungen Leute,die nun im Vorstand sind, dieseArbeit fortsetzen. Und diejenigen,<strong>de</strong>nen diese Aufgabe von <strong>de</strong>r Regierungzugetragen wur<strong>de</strong>. Die„Amicale" setzt auf die nachfolgen<strong>de</strong>Generation: Sechs Mitglie<strong>de</strong>r<strong><strong>de</strong>s</strong> neuen Vorstands sind Kin<strong>de</strong>rvon ehemaligen Tambow-Gefangenen.Und <strong>de</strong>r Verein zählt soviele Mitglie<strong>de</strong>r wie nie zuvor.„Das ist die einzige Möglichkeit,damit das weiter besteht“, meintJunck.„Ich glaube, noch nie hatte auf <strong>de</strong>rJugend unseres Lan<strong><strong>de</strong>s</strong> eine solcheMasse von physischen und seelischenLei<strong>de</strong>n gelastet, und nicht nur während<strong>de</strong>r Kriegszeit. Die Luxemburger Jugend– eingezogen o<strong>de</strong>r nicht – hat indiesem Krieg großen Mut bewiesen,wie z. B. die 263 gemaßregelten Jungenund Mädchen <strong>de</strong>r Mittelschulen soauch die etwa 600 aus <strong>de</strong>n Studienentfernten Schüler.“(Christian Calmes)


8Gespräch mit Paul Dostert, Direktor <strong><strong>de</strong>s</strong> „Centre <strong>de</strong> documentation et <strong>de</strong> recherche sur la Résistance“Für Synergien zur Erhaltung <strong><strong>de</strong>s</strong> An<strong>de</strong>nkensHistoriker schlägt einheitliches Dokumentationszentrum und verstärkte Zusammenarbeit <strong>de</strong>r Akteure vorVON RAPHAEL ZWANKDie Einführung <strong>de</strong>r Wehrpflicht inLuxemburg war für die Besatzerlaut Paul Dostert, Direktor <strong><strong>de</strong>s</strong>„Centre <strong>de</strong> documentation et <strong>de</strong>recherche sur la Résistance“,keine leichte Entscheidung. Dochunter <strong>de</strong>m Druck <strong>de</strong>r Verlustebeim Russlandfeldzug wur<strong>de</strong>n alleBe<strong>de</strong>nken beiseitegeschoben – miteinem Generalstreik als Folge.Über die daraufhin beschlosseneUmsiedlung ist laut Paul Dostertnoch viel Forschungsarbeit nötig.An das Schicksal <strong>de</strong>r Betroffenenerinnern soll eine Ge<strong>de</strong>nkstätte inLeubus. Doch auch in Luxemburgsollte das An<strong>de</strong>nken laut Paul Dostertverstärkt in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrundrücken.Aus heiterem Himmel kam dieZwangsrekrutierung En<strong>de</strong> August1942 nicht: „Als im Mai 1941 dieReichsarbeitsdienst-Pflicht verfügtwur<strong>de</strong>, dachten bereits vieleLuxemburger, dass dies eine Vorstufesei.“ Dass das Ziel <strong>de</strong>r Besatzerdarin bestand, Luxemburgnach <strong>de</strong>m „Endsieg“ nicht nur <strong>de</strong>facto, son<strong>de</strong>rn auch völkerrechtlich<strong>de</strong>m Dritten Reich einzuverleiben,sei praktisch je<strong>de</strong>m klargewesen.Weil Luxemburg aber nicht aufgehörthatte, als Land zu existieren,zögerten die Deutschen, dieLuxemburger zum Wehrdienst zuverpflichten. Erst die schwerenVerluste beim Russlandfeldzugwen<strong>de</strong>ten das Blatt. Die Nazis versuchtenzunächst Anfang 1942,Freiwillige anzuwerben. Es mel<strong>de</strong>tensich relativ viele: „In meinerDatei befin<strong>de</strong>n sich rund 2 000Namen“, so Paul Dostert. Ob essich immer um freiwillige Luxemburgerhan<strong>de</strong>lte, müsse aber imEinzelfall untersucht wer<strong>de</strong>n. Zudieser Zeit lebten <strong>15</strong> 000 bis20 000 Deutsche in Luxemburg. Esgab aber auch Polizisten, die betrunkenenjungen Männern, diepatriotische Lie<strong>de</strong>r gesungen hatten,auf <strong>de</strong>m Revier einen Zettelzur Unterschrift vorlegten. O<strong>de</strong>reinen Arzt, <strong>de</strong>r Abtreibungen vorgenommenhatte, und zwischen<strong>de</strong>m KZ o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Wehrdienstwählen konnte.Die Freiwilligen reichten angesichts<strong>de</strong>r Verluste an <strong>de</strong>r Frontnicht. Bei einer Unterredung <strong>de</strong>rGauleiter Luxemburgs, Lothringensund <strong><strong>de</strong>s</strong> Elsass mit Hitlerwur<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong>halb die Zwangsrekrutierungbeschlossen. Da nur Deutschein <strong>de</strong>r Wehrmacht dienenkonnten, wur<strong>de</strong> verfügt, dass alleLuxemburger mit <strong>de</strong>m Eintritt indie Wehrmacht die <strong>de</strong>utsche Nationalitätannehmen. „Dies war einklarer Verstoß gegen das Völkerrechtund gegen die Haager Landkriegsordnung“,betont Paul Dostert.Im Auswärtigen Amt in Berlinhabe es durchaus Juristen und Diplomatengegeben, die sich dagegengewehrt hätten. Durchsetzenkonnten sie sich allerdings nicht.Durch die Wehrpflicht wur<strong>de</strong> –beabsichtigt o<strong>de</strong>r nicht – auch dieResistenz geschwächt, die zueinem großen Teil aus jungenMenschen bestand. Größere Vereinigungenwie die „LëtzebuergerVollekslegioun“ (LVL), <strong>de</strong>renChef Aloyse Raths zwangsrekrutiertwur<strong>de</strong>, funktionierten weiter,während kleinere Vereinigungenschwer getroffen wur<strong>de</strong>n.Paul DostertHeftige ReaktionIm Vergleich zu <strong>de</strong>n Reaktionenauf <strong>de</strong>n obligatorischen Beitrittzum Reichsarbeitsdienst – ab Mai1941 verließen manche Luxemburgerdas Land und viele Mädchenheirateten, um <strong>de</strong>m RAD zu entgehen– war die Reaktion <strong>de</strong>r Luxemburgerauf die Zwangsrekrutierungweitaus heftiger. Gerüchteüber die bevorstehen<strong>de</strong> Einführung<strong>de</strong>r Maßnahme hatte es seitlangem gegeben, doch eine Einigungüber <strong>de</strong>n Generalstreikwur<strong>de</strong> laut Aloyse Raths erst eineWoche vor <strong>de</strong>r Verkündung <strong>de</strong>rWehrpflicht gefun<strong>de</strong>n.Dabei stellte sich das Problem,wie die Bevölkerung zu informierenwar. Zuerst sollten keine Zügefahren, doch da die Bekanntmachungvon Gustav Simon an einemSonntag erfolgte, fuhren <strong>de</strong>ren nurwenige, und montags begann einean<strong>de</strong>re Schicht, sodass diese Lokführernicht informiert wer<strong>de</strong>nkonnten. In Brüssel gedruckteFlugblätter wur<strong>de</strong>n mit Koffernnach Luxemburg gebracht, konntenaber zum größten Teil nichtverteilt wer<strong>de</strong>n und enthielten zu<strong>de</strong>meinen unglaublichen Fehler,<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m Korrekturlesen passiertwar: Das wichtigste Wort,„Generalstreik“, war durch „Maj.“ersetzt wor<strong>de</strong>n – eine Anmerkung,die eigentlich nur ausdrücken sollte,dass das Wort fett gedrucktwer<strong>de</strong>n sollte.So blieb es bei vereinzeltenStreikaktionen, die sehr mutig,aber vor allem symbolisch waren:„Wirtschaftlich richtete <strong>de</strong>r Streikkeinen Scha<strong>de</strong>n an, doch die Deutschenreagierten mit Panik“, soPaul Dostert. Das Standrechtwur<strong>de</strong> in Luxemburg eingeführt.Das Standgericht bestand aus Gestapo-ChefFritz Hartmann undzwei weiteren Polizisten, die wieer Juristen waren, sich aber in <strong>de</strong>nDienst <strong><strong>de</strong>s</strong> Unrechts stellten. Siesprachen 20 To<strong><strong>de</strong>s</strong>urteile aus,überstellten 125 Personen an dieGestapo (die eine Einlieferung insKZ beschloss) und sprachen 20zumeist min<strong>de</strong>rjährige Personenfrei. Viele Schüler wur<strong>de</strong>n in Umerziehungslagerninterniert.Umsiedlungen waren bis dahinnicht vorgekommen – mit Ausnahmevon 20 Geistlichen, darunter<strong>de</strong>r spätere Bischof Léon Lommel,die sich für eine unabhängigeKirche eingesetzt hatten. Bei <strong>de</strong>rUmsiedlung ganzer Familien, dieals Folge <strong><strong>de</strong>s</strong> Generalstreiks einsetzte,spielte die Rasseni<strong>de</strong>ologie<strong>de</strong>r Nazis eine Rolle: Die Luxemburgerwur<strong>de</strong>n nicht etwa nach(FOTO: MICHEL BRUMAT)Frankreich <strong>de</strong>portiert, son<strong>de</strong>rnnach Westen, die meisten nachSchlesien.Dort wird das An<strong>de</strong>nken an jeneZeit zum Teil aufrechterhalten:„Das Grab eines Luxemburgersauf <strong>de</strong>m Friedhof von Leubus wirdvon <strong>de</strong>n Polen sehr gepflegt undLuxemburger, die es besuchen, legenBlumen darauf nie<strong>de</strong>r.“ Insgesamtwur<strong>de</strong>n rund 70 Luxemburgerin Schlesien begraben, darunterauch Kleinkin<strong>de</strong>r, die früh verstorbenwaren. Luxemburger habenauch Geld gespen<strong>de</strong>t für dieRenovierung <strong><strong>de</strong>s</strong> barocken Predigtstuhls<strong>de</strong>r Pfarrkirche vonLeubus. An <strong>de</strong>r Mauer <strong><strong>de</strong>s</strong> Klostersvon Leubus, in <strong>de</strong>m die Luxemburgeruntergebracht waren,ist eine Ge<strong>de</strong>nktafel befestigt.Auch gibt es Bestrebungen, eineGe<strong>de</strong>nkstätte in diesem Klostereinzurichten, wo die Besucherüber die Umsiedlung, aber auchüber das heutige Luxemburg, informiertwür<strong>de</strong>n. Über die Umsiedlungmüsste laut Paul Dostertnoch viel Forschungsarbeit geleistetwer<strong>de</strong>n – z. B. in Form einerMaster- o<strong>de</strong>r Doktorarbeit.Was die Aufrechterhaltung <strong>de</strong>rErinnerung in Luxemburg betrifft,wur<strong>de</strong> laut Paul Dostert viel Materialgesammelt, darunter auchviele Berichte von Zeitzeugen.Noch viel zu tun bleibe in punctoAufarbeitung, z.B. im Bereich <strong>de</strong>rGerichtsprozesse in <strong>de</strong>r Nachkriegszeit.Paul Dostert hält aucheine verstärkte Zusammenarbeitaller Akteure für erfor<strong>de</strong>rlich, umüber die einzelnen Opfergruppenhinaus das An<strong>de</strong>nken an alle Opfer<strong>de</strong>r Naziherrschaft zu erhalten. Esgebe bereits eine engere Zusammenarbeitzwischen <strong>de</strong>m „Comitédirecteur pour le souvenir <strong>de</strong> laRésistance“ und <strong>de</strong>m „Comité directeurpour le souvenir <strong>de</strong> l'enrôlementforcé“.Für drei nationale Ge<strong>de</strong>nktagePaul Dostert wür<strong>de</strong> eine Zusammenlegungseines Dokumentationszentrumsüber die Resistenz(in <strong>de</strong>r Villa Pauly) mit <strong>de</strong>m Dokumentationszentrumüber dieZwangsrekrutierung (im altenHollericher Bahnhof) nach seinerPensionierung für sinnvoll halten– wodurch es zu Synergien kommeund z. B. ein zusätzlicher Historikereingestellt wer<strong>de</strong>n könnte.Darüber hinaus wür<strong>de</strong> PaulDostert weitere Bemühungen <strong>de</strong>rRegierung begrüßen – nicht nurfinanzieller Art, wozu die seit Jahrenangekündigte Renovierung<strong><strong>de</strong>s</strong> Resistenzmuseums in Esch/Alzette gehöre, son<strong>de</strong>rn auch dieEinführung von zwei weiteren nationalenGe<strong>de</strong>nktagen über die„Journée <strong>de</strong> commémoration nationale“hinaus – einen für dieResistenzler und einen für dieZwangsrekrutierten. Wünschenwür<strong>de</strong> sich Paul Dostert auch eineverstärkte I<strong>de</strong>ntifikation <strong>de</strong>r Abgeordnetenkammermit <strong>de</strong>mThema und eine größere Präsenzin <strong>de</strong>n Schulen. „Immerhin ist <strong>de</strong>rZweite Weltkrieg <strong>de</strong>r kruzialePunkt, als Luxemburger sich einsetztenund ihr Leben riskiertenfür ein freies, unabhängiges Luxemburg.“„Die Luxemburger Jugend hat mit ihrer34-prozentigen Wehrmachtsentziehungo<strong>de</strong>r ,Desertionen‘ ihrem Lan<strong>de</strong>in einzigartiges Attest ausgestellt. In<strong>de</strong>r Militärgeschichte Europas ist einsolcher Prozentsatz noch nie erreichtwor<strong>de</strong>n.“(Christian Calmes, 1995)Junge Luxemburger wur<strong>de</strong>n ab <strong>de</strong>m Bahnhof Luxemburg in die Kasernen <strong><strong>de</strong>s</strong> Dritten Reiches verschleppt. (FOTO: AUS ANDRÉ HEIDERSCHEID, ZWANGSREKRUTIERT, BAND 2)


9Laurent Moyse über die Situation <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n in Luxemburg während <strong><strong>de</strong>s</strong> Zweiten Weltkriegs„Sie waren nicht mehr Teil <strong>de</strong>r Gesellschaft“Kurz vor <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Invasion lebten etwa 4 000 Ju<strong>de</strong>n im Land – eine Zahl, die En<strong>de</strong> 1941 auf etwa 300 gesunken istVON NICOLAS ANENDen Generalstreik vor 70 Jahrenhaben die meisten Ju<strong>de</strong>n, die nochvor <strong>de</strong>m Krieg in Luxemburgwohnten, nicht miterlebt. Währen<strong>de</strong>in Großteil <strong>de</strong>r jüdischen Bevölkerungnoch am selben Tag flüchtete,an <strong>de</strong>m die <strong>de</strong>utschen Truppendas Großherzogtum besetzten, erwartetedie Zurückgebliebenen einschreckliches Schicksal, erzähltLaurent Moyse, Autor <strong><strong>de</strong>s</strong> Buchs„Du rejet à l'intégration. Histoire<strong><strong>de</strong>s</strong> Juifs du Luxembourg <strong><strong>de</strong>s</strong> originesà nos jours“. Nach einersystematischen Diskriminierungorganisierte die Besatzungsmachtam 16. Oktober 1941 <strong>de</strong>n erstenDeportationstransport von Luxemburgaus. Am Tage darauf erklärtendie Nazis Luxemburg als ju<strong>de</strong>nrein...Um auf die Situation <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n imZweiten Weltkrieg in Luxemburgeinzugehen, muss man erst etwasausholen, erklärt Laurent Moyse,Autor <strong><strong>de</strong>s</strong> Buchs „Du rejet à l'intégration.Histoire <strong><strong>de</strong>s</strong> Juifs duLuxembourg <strong><strong>de</strong>s</strong> origines à nosjours“.Denn die Zahl <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n in Luxemburgist in <strong>de</strong>n dreißiger Jahrenstark gestiegen. Viele warenFlüchtlinge, die meisten kamenaus Deutschland und Österreich,und hofften, wahrscheinlich nurkurze Zeit in Luxemburg zu verweilen.Dies weil das Großherzogtumnur eine Etappe auf ihrerFlucht darstellen sollte o<strong>de</strong>r weilsie hofften, dass die Lage sich inihrem Ursprungsland wie<strong>de</strong>r normalisierenwür<strong>de</strong>.Etwa 4 000 Ju<strong>de</strong>n sollen schätzungsweiseim Mai 1940 in Luxemburggelebt haben. Doch da vieleFlüchtlinge auch während dieserZeit illegal eingewan<strong>de</strong>rt waren,soll man mit <strong>de</strong>n Zahlen vorsichtigsein, unterstreicht Laurent Moyse.Viele hatten ihr letztes Vermögenfür die Reise ausgegeben. Die Esra(„Entre-ai<strong>de</strong> israélite“) setzte sichdamals stark ein und half <strong>de</strong>n Migranten,soweit es ihr möglich war,ihre Reise fortzuführen.Aber auch in Luxemburg wareine rechtsextreme Szene vorhan<strong>de</strong>n,erklärt Laurent Moyse weiter.Diese scheute sich nicht, anhandvon Graffiti (im März 1938 warenHakenkreuze auf die Schaufenstervon Lä<strong>de</strong>n, die Ju<strong>de</strong>n gehörten, gezeichnetwor<strong>de</strong>n) o<strong>de</strong>r auf Flugblätternihre Unterstützung <strong><strong>de</strong>s</strong> Nazi-Regimeszu untermauern. Inwiefernaber die Gesamtbevölkerungdiese Ansichten teilte, ist schwer zusagen, so Laurent Moyse.Massive Flucht noch am Tag<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen InvasionAm 10. Mai 1940 fand schließlichdie Invasion Luxemburgs durch<strong>de</strong>utsche Truppen statt. „VieleJu<strong>de</strong>n hatten nicht viel Zeit zumÜberlegen, sie mussten weglaufen.Sie wussten ja schon, was inDeutschland passiert war. Seit1935 waren die Nürnberger Rassengesetzein Kraft, 1938 war dieReichskristallnacht. Man konntesich ganz einfach ausmalen, dasseine ähnliche Situation in Luxemburgentstehen konnte“, erklärtLaurent Moyse.Schätzungen zufolge soll etwaein Drittel <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n am Tageselbst die Flucht ergriffen haben.Wobei dieses Entkommen allesan<strong>de</strong>re als einfach war, da sich dieganze Grenzregion um Luxemburgim Krieg befand. Bis 1941wur<strong>de</strong> versucht, sowohl vonseiten<strong><strong>de</strong>s</strong> „Consistoire israélite“ als auchvonseiten <strong>de</strong>r Esra so viele Ju<strong>de</strong>nwie möglich aus <strong>de</strong>m Land zuschleusen. Dafür waren Transitvisennötig, um Frankreich und Spanienzu durchqueren und in Portugalein Schiff nach Nordamerika,via Kuba o<strong>de</strong>r die DominikanischeRepublik, nehmen zu können. „BisMitte Oktober 1941 konnten über3 000 Ju<strong>de</strong>n flüchten“, erklärt LaurentMoyse.In <strong>de</strong>r Zwischenzeit hatte dasNazi-Regime zahlreiche Maßnahmengetroffen, um die Ju<strong>de</strong>n aus<strong>de</strong>r Gesellschaft auszuschließen.„Sie haben ihre Arbeit verloren,jene, die Geschäfte betrieben,mussten diese abgeben, die Kin<strong>de</strong>rdürften nicht mehr zur Schule gehen.Ab Sommer 1941 mussten sieauch <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>nstern tragen. Siedurften ihre Wohnviertel nichtverlassen, durften nur zubestimmten Zeiten einkaufen, <strong>de</strong>nöffentlichen Transport nicht benutzenusw. Diese Leute wur<strong>de</strong>nganz aus <strong>de</strong>m öffentlichen Lebenausgeschlossen“, erzählt LaurentMoyse.Fünfbrunnen: „Eine Maßnahme<strong>de</strong>r Verzweiflung“Da viele ältere und kranke Menschenzurückgeblieben waren,versuchte das „Consistoire israélite“diese an einem Ort zusammenzubringen,wo sie gepflegtwer<strong>de</strong>n konnten. Nach langen undzähen Verhandlungen stimmte dieGestapo schließlich zu, sodassviele Ju<strong>de</strong>n in Fünfbrunnen, ineinem ehemaligen Kloster, untergebrachtwur<strong>de</strong>n. „Ein Ort, <strong>de</strong>rnicht dazu geeignet war, und esDer Einsatz von Robert SerebrenikDer Großrabbiner verhalf vielen Ju<strong>de</strong>n zur FluchtEine sehr wichtige Rolle während<strong><strong>de</strong>s</strong> Zweiten Weltkriegs spielte <strong>de</strong>rGroßrabbiner Robert Serebrenik,„eine schillern<strong>de</strong> Figur“, so LaurentMoyse. „Als es kritisch wur<strong>de</strong>,bewies er sehr viel Mut. Das sagtman nicht oft genug. Sein Verdienstist enorm“.Durch seine Kontakte hatte <strong>de</strong>rGroßrabbiner zahlreichen Ju<strong>de</strong>ndie Flucht nach Portugal ermöglichtund ihnen so höchstwahrscheinlichdas Leben gerettet. InLissabon hatte er eine luxemburgischeAntenne <strong><strong>de</strong>s</strong> „Jewish JointDistribution Committee“ gegrün<strong>de</strong>t.So konnten im Oktober 1940<strong>15</strong>0 Ju<strong>de</strong>n nach Portugal flüchten,um von dort aus <strong>de</strong>n europäischenKontinent zu verlassen. Doch RobertSerebreniks Taten bliebennicht unbemerkt. Er bekam imMärz 1941 <strong>de</strong>n Or<strong>de</strong>r, nach Berlinzu reisen, um Adolf Eichmann (<strong>de</strong>rzu <strong>de</strong>n Hauptorganisatoren <strong><strong>de</strong>s</strong>Holocaust zählte) zu begegnen.Von Gestapo-Offizieren im Zug„begleitet“, wur<strong>de</strong> er am 24. Märzin Eichmanns Büro gebracht.Während sich <strong>de</strong>r Großrabbinerwohl auf das Schlimmste vorbereitethatte, kam <strong>de</strong>r Befehl von Eichmannetwas unerwartet: RobertSerebrenik sollte Transitvisen füretwa 4 000 <strong>de</strong>utsche Ju<strong>de</strong>n organisieren.Diese waren nämlich inBerlin blockiert, weil ihre Zügenicht durch Spanien durften.„Eichmann war <strong>de</strong>r Meinung, Serebrenikkönne etwas zustan<strong>de</strong> bringen,was er selber nicht hätte bewirkenkönnen“, unterstreichtLaurent Moyse. Robert Serebrenikbekam ein paar Tage Zeit, und mangab ihm zu verstehen, dass, solltedieser Transit nicht gelingen, dieZüge nach Osten fahren wür<strong>de</strong>n,Richtung Konzentrationslager.„Es war eine ,Mission impossible‘.Aber sein Einsatz war bisBerlin bekannt“, unterstreicht LaurentMoyse, was er „ein erstaunlichesKapitel <strong><strong>de</strong>s</strong> Zweiten Weltkriegs“,nennt.Am 26. Mai flüchtete <strong>de</strong>r Großrabbiner,da in Luxemburg sein Lebennicht mehr sicher war. Mit 66Personen fuhr er nach Lissabon, woer mit einem Dampfschiff nachAmerika weiterreiste. Unter <strong>de</strong>nSchiffspassagieren war übrigensauch ein gewisser Marc Chagall. InNew York grün<strong>de</strong>te er das „LuxembourgJewish Information Center“und schaffte es noch, Visen für 125Personen zu organisieren.Der Großrabbiner blieb <strong>de</strong>finitivin Amerika, wo er in New Yorkmit luxemburgischen Flüchtlingeneine eigene Gemeinschaft grün<strong>de</strong>te,die Ramath Orah, die heutenoch besteht.Laurent Moyseist Autor <strong><strong>de</strong>s</strong>Buchs „Du rejetà l'intégration.Histoire <strong><strong>de</strong>s</strong>Juifs du Luxembourg<strong><strong>de</strong>s</strong> originesà nosjours“.(FOTO: MARCWILWERT)folgten schreckliche Lebensbedingungen“,so Laurent Moyse. Das„Consistoire“ war damals <strong>de</strong>r Meinung,dass die Ju<strong>de</strong>n, sollten sieerst einmal etwas abseits sein,endlich in Ruhe gelassen wer<strong>de</strong>nwür<strong>de</strong>n. „Es war eine Maßnahme<strong>de</strong>r Verzweiflung“, erklärt LaurentMoyse.Am 16. Oktober fuhr <strong>de</strong>r ersteDeportationstransport mit um die330 Ju<strong>de</strong>n von Luxemburg aus. Dasjüngste Opfer war gera<strong>de</strong> einmalsieben Wochen alt. Drei Tage langdauerte die Fahrt (in Deutschlandwaren zusätzliche Ju<strong>de</strong>n an Bordgebracht wor<strong>de</strong>n) bis ins polnischenLodz. Dort wur<strong>de</strong>n sie ineinem überbevölkerten Ghetto untergebracht.Doch dies sollte sichim Nachhinein nur als eine Zwischenstationherausstellen. Denndas eigentliche Ziel waren die Arbeits-und Tötungslager.Am Tag darauf erklärten dieNazis Luxemburg als „ju<strong>de</strong>nrein“.Von <strong>de</strong>n etwa 4 000 Ju<strong>de</strong>n, die1940 in Luxemburg lebten, warenzu <strong>de</strong>m Zeitpunkt nur noch zwischen300 und 400 im besetztenGroßherzogtum. Laut <strong>de</strong>r „Commissionspéciale pour l’étu<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong>spoliations <strong><strong>de</strong>s</strong> biens juifs au Luxembourgpendant les années <strong>de</strong>guerre 1940-1945“ sind insgesamt677 Ju<strong>de</strong>n von Luxemburg aus <strong>de</strong>portiertwor<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>nen nur 43überlebten sollten. Schätzungenzufolge sind 35 Prozent <strong>de</strong>r jüdischenBevölkerung, die 1940 nochauf luxemburgischem Territoriumlebten, während <strong>de</strong>r Kriegsjahreumgekommen.Keine sichtbare Reaktionvonseiten <strong>de</strong>r Bevölkerung ...„Vonseiten <strong>de</strong>r Bevölkerung gabes keine sichtbare Reaktion aufdieses Verschwin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r jüdischenBevölkerung“, erklärteLaurent Moyse. „Die Attitü<strong>de</strong>, dieam meisten vorherrschte, war dieGleichgültigkeit.“ Die Grün<strong>de</strong> dafürsind vielfältig. Einerseits wardie luxemburgische Bevölkerunggenügend mit ihren eigenen Problemenbeschäftigt: „Sodass manannehmen kann, dass die Ju<strong>de</strong>nnicht ihre erste Sorge darstellten“,erklärt Laurent Moyse. Auchwaren viele Ju<strong>de</strong>n von einem Tagauf <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren geflüchtet und<strong>de</strong>mnach von <strong>de</strong>r Bildfläche verschwun<strong>de</strong>n.Ein weiterer Grund dieserGleichgültigkeit besteht wohl darin,dass sich unter <strong>de</strong>r jüdischenBevölkerung viele Auslän<strong>de</strong>r befan<strong>de</strong>n,die erst kürzlich nach Luxemburggezogen waren. „Vielehatten noch keinen großen Bekanntenkreisund viele unter ihnenwaren gera<strong>de</strong> so schnell wie<strong>de</strong>rweg, wie sie gekommen waren.“So dass <strong>de</strong>ren Abwesenheitnicht sofort je<strong>de</strong>m aufgefallen sei.Eine dritte Ursache für dieseGleichgültigkeit bestand aber wohlauch darin, dass es manch einenarrangierte. „Die einen aus politischeno<strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ologischen Motiven,die an<strong>de</strong>ren, weil sie die Ju<strong>de</strong>n alseine Konkurrenz, zum Beispiel imHan<strong>de</strong>l, empfan<strong>de</strong>n. Auch religiöseGrün<strong>de</strong> können mitgespielthaben“, so Laurent Moyse.... aber individuelle Hilfebei <strong>de</strong>r Flucht„Man merkt auch, dass sehrwenige Ju<strong>de</strong>n in Luxemburg verstecktwur<strong>de</strong>n. Man muss abergleichzeitig auch sagen, dass eineReihe von Menschen dank <strong>de</strong>rHilfe von Freun<strong>de</strong>n flüchten konnte.Seien es ,Passeurs‘ o<strong>de</strong>r Familiengewesen, die jüdischeFreun<strong>de</strong> hatten, und alles getanhaben, damit diese Luxemburgverlassen konnten. Aber wennman die allgemeine Situation betrachtet,war die Gleichgültigkeitschon vorherrschend.“ Auch darfman in diesem Zusammenhang dieMaßnahmen nicht vergessen, diedazu dienen sollten, die Ju<strong>de</strong>nnach und nach aus <strong>de</strong>m öffentlichenLeben auszuschalten: „Siewaren nicht mehr Teil <strong>de</strong>r Gesellschaft“,unterstreicht LaurentMoyse.Bis 1943 lebten Ju<strong>de</strong>n in Fünfbrunnen.Ein letzter Transportwur<strong>de</strong> am 17. Juni 1943 von <strong>de</strong>nNazis organisiert. „Das Leben hatnach <strong>de</strong>m Krieg wie<strong>de</strong>r langsamangefangen, sowohl auf individuellerals auf gemeinschaftlicherBasis“, erklärt Laurent Moyse, wobeidie einzelnen Schicksale sehrunterschiedlich waren. Währendmanche ihre Häuser wie<strong>de</strong>rfan<strong>de</strong>n,hatten an<strong>de</strong>re alles verloren.Laut <strong>de</strong>r ersten Volkszählungnach <strong>de</strong>m Krieg (1947) wur<strong>de</strong>n 870Ju<strong>de</strong>n in Luxemburg gezählt, davon487 mit <strong>de</strong>r luxemburgischenNationalität. „Fakt ist, dass diejüdische Gemeinschaft nach <strong>de</strong>mKrieg nie mehr die Dynamik wie<strong>de</strong>rfand,die sie vor <strong>de</strong>m Krieghatte“, so Laurent Moyse abschließend.Symbolisch dafür die Einweihungeiner neuen Synagoge inLuxemburg, die erst 1953 stattfin<strong>de</strong>nkonnte.„Zu all diesen Leistungen <strong>de</strong>r Jugendunseres Volkes hat sich also das Landzu bekennen, so wie sie es mit <strong>de</strong>nOpfern aus an<strong>de</strong>ren Teilen <strong>de</strong>r Bevölkerungtat, darunter die politischenHäftlinge, die Umgesie<strong>de</strong>lten, die Abgesetzten,die Geschädigten usw.“(Christian Calmes, 1995)


10Zu Gast im „Mémorial <strong>de</strong> la Déportation“ im ehemaligen Hollericher BahnhofEin Ort sagt mehr als tausend WorteGuy <strong>de</strong> Muyser, Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r „Fondation du Mémorial“, über Erinnerungsstätten, Engagement und EmotionenEs gibt Orte, an <strong>de</strong>nen sich das kollektiveGedächtnis einer ganzen Nationkristallisiert. In Luxemburg gehörtzu diesen zweifelsohne auchdas „Mémorial <strong>de</strong> la Déportation“ inHollerich. Für unzählige Zwangsrekrutierteund Umgesie<strong>de</strong>lte wur<strong>de</strong>das so unscheinbare Bahnhofsgebäu<strong>de</strong>während <strong>de</strong>r Jahre <strong>de</strong>r Nazi-Besatzung zu einem Ort <strong>de</strong>r Tragikund <strong>de</strong>r Tränen. Viele, die damals<strong>de</strong>n Zug in eine ungewisse Zukunftbesteigen mussten, sollten hier zumletzten Mal Abschied von Heimatund Familie nehmen. Mit <strong>de</strong>m Präsi<strong>de</strong>nten<strong>de</strong>r „Mémorial“-Stiftung,Guy De Muyser, unterhielten wiruns über die Be<strong>de</strong>utung solcher Erinnerungsstättenund ihre Rolle imnationalen Gedächtnis.■ Guy De Muyser, seit 1996 erinnertdas „Mémorial <strong>de</strong> la Déportation“in Hollerich an <strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>nsweg<strong>de</strong>r Zwangsrekrutierten und<strong>de</strong>r Umgesie<strong>de</strong>lten, wie auch andas Schicksal <strong>de</strong>r Luxemburger Ju<strong>de</strong>n.Wie wichtig ist eine solcheGe<strong>de</strong>nkstätte für die Betroffenenselbst bzw. für die Erinnerungskulturunserer Nation?Der beson<strong>de</strong>re Wert einer Stättewie <strong><strong>de</strong>s</strong> „Mémorial <strong>de</strong> la Déportation“liegt sicherlich darin, dass sieeinen festen Raum schafft für dieBewahrung von Erinnerung. Diesist nicht nur für die Betroffenenvon damals, die hier ihre eigenenErlebnisse erhalten und aufbereitetwissen, von höchster Be<strong>de</strong>utung,son<strong>de</strong>rn auch für die Nachwelt.Ihr soll ein Bewusstsein un<strong>de</strong>in Verständnis dafür vermitteltwer<strong>de</strong>n, welche Folgen es hat,wenn Menschenrechte mit Füßengetreten wer<strong>de</strong>n. Die didaktischeund erzieherische Funktion ist daherbeson<strong>de</strong>rs wichtig. Gäbe eskeine solchen Erinnerungsorte,wäre die Gefahr <strong><strong>de</strong>s</strong> Vergessensallgegenwärtig.„Nach <strong>de</strong>r Kapitulation Deutschlandswar die Tragödie für die Überleben<strong>de</strong>ninsbeson<strong>de</strong>re an <strong>de</strong>r Ostfront nochnicht been<strong>de</strong>t. Der Tragödie zweiterTeil war die Gefangenschaft in Russlandbis zum August, ja bis zumOktober 1945. Anstatt sich über dasKriegsen<strong>de</strong> freuen zu können wie je<strong>de</strong>ran<strong>de</strong>re Luxemburger, verdoppeltensich die Qualen <strong>de</strong>r Russlandgefangenen.Kann man sich überhaupt vorstellen,was <strong>de</strong>r Satz heißt, <strong>de</strong>r sagt: ,In<strong>de</strong>m Lager von Tambow und in <strong>de</strong>nNebenlagern starben 167 junge Luxemburger<strong>de</strong>n Hunger- o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Seuchentod‘?“(Christian Calmes, 1995)Der Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r „Mémorial“-Stiftung, Guy De Muyser, spricht im LW-Interview über die Be<strong>de</strong>utung von Erinnerungsstätten und ihre wichtige Rolle imnationalen Gedächtnis.(FOTOS: ANOUK ANTONY)■ Der Historiker und stellvertreten<strong>de</strong>Chefredakteur <strong>de</strong>r „Zeit“,Bernd Ulrich, schrieb 2005 mitBlick auf Auschwitz, die wahre Gefahrliege heute wohl weniger imVergessen, als vielmehr darin, „hinzuschauen,ohne Schmerz zu empfin<strong>de</strong>no<strong>de</strong>r in seinem Menschseinwirklich verunsichert zu sein“. Bestehtnach <strong>de</strong>m Verlust <strong>de</strong>r letztenZeitzeugen nicht auch in Luxemburgdie Gefahr, dass die Erinnerungin unseren Mahnmälern imwahrsten Sinne <strong><strong>de</strong>s</strong> Wortes „versteinert“und unsere Ge<strong>de</strong>nkfeiernzu reinen Ritualen wer<strong>de</strong>n?Ja, diese Gefahr besteht durchaus.Und es drängt uns zu <strong>de</strong>r Frage,wie wir <strong>de</strong>m entgegenwirken können.Ich bin aber davon überzeugt,dass Ge<strong>de</strong>nkstätten wie das„Mémorial“ einen Teil <strong>de</strong>r Antwortauf diese Frage darstellen.Denkmäler an sich sprechennicht. Das „Mémorial“ ist aber sokonzipiert, dass es die Zeitzeugenselbst in Dokumenten, Archivfilmenund Bil<strong>de</strong>rn sprechen lässt.Der Aspekt <strong><strong>de</strong>s</strong> „témoignage personnel“lässt die Botschaft beimBesucher viel eindringlicher undnachhaltiger wirken, als etwa einereine Ansammlung von Museumsexponaten.Darüber hinausscheint mir aber auch die erst seiteinigen Jahren verfestigte Einbindung<strong>de</strong>r nationalen Kriegs- undBesatzungsgeschichte in <strong>de</strong>nSchulbüchern für die Wahrung<strong>de</strong>r Erinnerung von beson<strong>de</strong>rerBe<strong>de</strong>utung. Ein Bewusstsein fürunsere Vergangenheit kann nurdurch Vermittlung entstehen.■ Dennoch wäre man bei einerUmfrage wohl überrascht, wie vieleJugendliche, aber auch Erwachsene,mit zentralen Daten wie <strong>de</strong>m 10.Mai 1940 o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m 30./31. August1942 nicht viel anfangen können. Istein gewisser historischer Kenntnisstandnicht doch die Voraussetzungfür das Verständnis von Ge<strong>de</strong>nktageno<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Botschaften einer Erinnerungsstätte?Ich will die Be<strong>de</strong>utung <strong><strong>de</strong>s</strong> Wissensum zentrale Geschehnisse und Datenunserer Geschichte ganz sichernicht in Abre<strong>de</strong> stellen. Dennochwür<strong>de</strong> ich nicht sagen, dass man füreinen aufschlussreichen undfruchtbaren Besuch einer Ge<strong>de</strong>nkstättewie <strong><strong>de</strong>s</strong> „Mémorial“ unbedingttiefere historische Vorkenntnissemitbringen muss. Für dieWerte, die hier vermittelt wer<strong>de</strong>n,ich re<strong>de</strong> dabei etwa vom Schutz <strong>de</strong>rMenschenwür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>m Engagementgegen Gewalt, Zwang und Unterdrückung,<strong>de</strong>m Einsatz für <strong>de</strong>n Erhaltunserer <strong>de</strong>mokratischenGrundlagen o<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>r Solidaritätin Not, ist eigentlich je<strong>de</strong>rmannempfänglich. Eine anschaulicheDarstellung <strong>de</strong>r Geschehnisse während<strong>de</strong>r Nazi-Zeit unterstreichtdabei ganz von allein die Wichtigkeit,sich seiner Herkunft und seinerI<strong>de</strong>ntität bewusst zu sein.■ In seinem vielbeachteten Werk„Les Lieux <strong>de</strong> mémoire“ hat <strong>de</strong>rfranzösische Historiker Pierre Noraja gera<strong>de</strong> auf die i<strong>de</strong>ntitätsstiften<strong>de</strong>Funktion nationaler Erinnerungsortehingewiesen. Auf Luxemburg,wo die Ereignisse während<strong>de</strong>r Besatzungszeit gera<strong>de</strong>zu zumKern <strong>de</strong>r nationalen I<strong>de</strong>ntität gewor<strong>de</strong>nsind, dürfte dies umsomehr zutreffen. Riskiert unser soemotionsgela<strong>de</strong>ne Blick auf die eigeneGeschichte nicht manchmal,eine objektive Betrachtung undDeutung unserer Vergangenheitbzw. <strong>de</strong>r Rolle bestimmter Akteureund Gruppen zu durchkreuzen?Im Schicksal <strong>de</strong>r Einzelnen wird im „Mémorial <strong>de</strong> la Déportation“ <strong>de</strong>rSchrecken <strong><strong>de</strong>s</strong> Ganzen erkennbar gemacht.Nun ja, wenn man sich anschaut,wie etwa Frankreich o<strong>de</strong>r auchItalien in <strong>de</strong>r Nachkriegszeit darumbemüht waren, u. a. durcheine entsprechen<strong>de</strong> Deutung <strong>de</strong>reigenen Kriegsgeschichte und dieEntstehung einer ganz charakteristischenErinnerungskultur, ihrenPlatz unter <strong>de</strong>n Siegermächtenzu untermauern, so wird natürlich<strong>de</strong>utlich, was Pierre Noraanmahnen will. Eine Ten<strong>de</strong>nz, dieeigene Vergangenheit möglichstpositiv zu betrachten, ist wohl beiallen Völkern vorhan<strong>de</strong>n, so auchbei <strong>de</strong>n Luxemburgern. Das sollaber keineswegs be<strong>de</strong>uten, dassunser Geschichtsverständnis eineobjektive Beurteilung <strong>de</strong>r Nazi-Zeit beeinträchtigen sollte. Es gibtja durchaus kritische Untersuchungenzu Akteuren und Ereignissenwährend <strong><strong>de</strong>s</strong> ZweitenWeltkriegs. So etwa die Debatte,ob <strong>de</strong>r Generalstreik vom 31. August1942 als Nationalstreik bezeichnetwer<strong>de</strong>n kann. In meinerErfahrung war er es in <strong>de</strong>r Tat.Und ich möchte darauf hinweisen,dass auch bei unseren Alliiertenim Krieg dieser Streik ganz ein<strong>de</strong>utigals ein „Streik <strong><strong>de</strong>s</strong> LuxemburgerVolkes“ anerkannt wur<strong>de</strong>und daher wesentlich dazu beitrug,dass ein nachhaltig wirken<strong><strong>de</strong>s</strong>Bild Luxemburgs als „Resistenznation“entstand, was vielzum Prestige unseres Lan<strong><strong>de</strong>s</strong> beigetragenhat. Darüber hinaus habenihn ja auch die Nazis selbst alsnationale Revolte empfun<strong>de</strong>n.Dass unser Land, das sich zunächsteher über die Abgrenzungzu seinen Nachbarlän<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>finierte,erst durch das gemeinsameDurchleben <strong>de</strong>r schicksalhaftenNazi- und Kriegsjahre zu einertieferen, auf einem positiven Zusammengehörigkeitsgefühlberuhen<strong>de</strong>nnationalen I<strong>de</strong>ntität gefun<strong>de</strong>nhat, ist eben objektiv Bestandteilunserer Geschichte.■ Interview: John Lamberty


11Gespräch mit <strong>de</strong>m Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r „<strong>Fédération</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>enrôlés</strong> <strong>de</strong> <strong>force</strong> – Victimes du nazisme“ (Fe<strong>de</strong>f)Eine Frage <strong>de</strong>r Interpretation?Aufwertung <strong><strong>de</strong>s</strong> Stellenwerts <strong>de</strong>r Zwangsrekrutierten ist Hauptanliegen von Erny LamborelleVON MIREILLE MEYERAls große Herausfor<strong>de</strong>rung für dieZukunft <strong>de</strong>r Vereinigung, an seineArbeit als Präsi<strong>de</strong>nt und für dasGe<strong>de</strong>nken an die Opfer <strong>de</strong>r Gräueltatenwährend <strong><strong>de</strong>s</strong> Zweiten Weltkriegessieht Erny Lamborelle dieAufwertung <strong><strong>de</strong>s</strong> Stellenwerts <strong>de</strong>rZwangsrekrutierten. Dieser seiheute immer noch nicht gleichgesetztmit <strong>de</strong>m Ansehen, das hingegenan<strong>de</strong>re Naziopfer seit jeher genießenwür<strong>de</strong>n.In <strong>de</strong>r bisherigen Geschichtsschreibungtrete nicht <strong>de</strong>utlich genughervor, dass in Luxemburg <strong>de</strong>rwirkliche Wi<strong>de</strong>rstand erst begann,als Gauleiter Gustav Simon am 30.August 1942 die Einführung <strong>de</strong>rWehrpflicht für die Luxemburger<strong>de</strong>r Jahrgänge 1920-1924, und später1925-1927, verkün<strong>de</strong>te. Insgesamt13 825 Jugendliche erhielteneinen Stellungsbefehl, damit warfast je<strong>de</strong> Familie im Land auf dieeine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Art und Weisedavon betroffen.Dem Fe<strong>de</strong>f-Präsi<strong>de</strong>nten liegt amHerzen, dass heute, 70 Jahre danach,nicht pauschal über diezwangsrekrutierten 18- bis 22-jährigen„Jongen a Mee<strong>de</strong>rcher“ vondamals geurteilt wird. Vielmehrmüsse man die Einzelschicksalebetrachten. Die Beweggrün<strong>de</strong>,<strong>de</strong>m Stellungsbefehl zu folgen,seien <strong>de</strong>rart verschie<strong>de</strong>n gewesenund die Entscheidung meist nichtaus freien Stücken, son<strong>de</strong>rn ausRücksicht auf die Familien getroffenwor<strong>de</strong>n. „Gewiss gab es auchLuxemburger, die freiwillig zurWehrmacht gegangen sind. Ausdiesem Grund kann man dochnicht einfach die Verdienste vonall <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren, zwangsrekrutiertenJungen in Frage stellen“, meintErny Lamborelle, <strong>de</strong>r betont, dassdie Fe<strong>de</strong>f nicht nur die in dieWehrmacht zwangsrekrutiertenJungen von damals vertritt, son<strong>de</strong>rnauch die Mädchen und Frauen,die im Arbeitsdienst für dieDeutschen schuften mussten. Untererbärmlichen Bedingungen lebtenund Demütigungen bis hin zuVergewaltigungen über sich ergehenlassen mussten.Die ersten Nachkriegshistorikerwür<strong>de</strong>n innerhalb <strong>de</strong>r Zwangsrekrutierungallein die Desertierungunter gewissen Umstän<strong>de</strong>n, unddie Refraktion als einen Akt <strong><strong>de</strong>s</strong>Abfahrt <strong><strong>de</strong>s</strong> ersten Zuges mit luxemburgischen Zwangsrekrutierten im Bahnhof Hollerich.Wi<strong>de</strong>rstan<strong><strong>de</strong>s</strong> qualifizieren. Damitgibt sich <strong>de</strong>r Fe<strong>de</strong>f-Präsi<strong>de</strong>nt nichtzufrie<strong>de</strong>n: „Die vorliegen<strong>de</strong>n Aussagen<strong>de</strong>r Zeitzeugen belegen ein<strong>de</strong>utig,dass in unzähligen großenund kleinen Taten die ,Jongen aMee<strong>de</strong>rcher‘ <strong>de</strong>m Naziregime Wi<strong>de</strong>rstandgeleistet haben. Folgtendie ,Jongen‘ <strong>de</strong>m Stellungsbefehlnicht, bestand Gefahr für die ganzeFamilie, nach Osteuropa umgesie<strong>de</strong>ltzu wer<strong>de</strong>n. Ohne Besitz undohne Aussicht auf Rückkehr! Manmuss be<strong>de</strong>nken, was für eine Verantwortungdamals auf <strong>de</strong>n Schultern<strong>de</strong>r Jungen lastete. Auch warenunter <strong>de</strong>n Jugendlichen, dieeinen Stellungsbefehl erhielten,rund 3 500 Refraktäre, die sich versteckthielten. Das war bereits hartan <strong>de</strong>r Grenze <strong><strong>de</strong>s</strong>sen, was dasLand überhaupt bewältigen konnte,nämlich im Durchschnitt 30versteckte Jungen für je<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 120Gemein<strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>s</strong> Lan<strong><strong>de</strong>s</strong>. Man musssich die Frage stellen, ob nichtallein die Aufopferung für die Familieschon ein Akt <strong><strong>de</strong>s</strong> Wi<strong>de</strong>rstan<strong><strong>de</strong>s</strong>war.“Für <strong>de</strong>n Fe<strong>de</strong>f-Präsi<strong>de</strong>nten stehtfest: „Sowohl quantitativ wie qualitativhaben die Zwangsrekrutiertenmin<strong><strong>de</strong>s</strong>tens so viele Wi<strong>de</strong>rstandsaktionengeleistet wie diean<strong>de</strong>ren Nazi-Opfer, wenn nichtsogar noch mehr. Man darf zu<strong>de</strong>mnicht vergessen, dass die meistenWi<strong>de</strong>rstandsorganisationen und-aktionen in direktem Zusammenhangmit <strong>de</strong>r Zwangsrekrutierungstan<strong>de</strong>n. Wur<strong>de</strong> ein Fluchthelferdabei erwischt, wie er <strong>de</strong>n Jungenüber die Grenze half – und <strong>de</strong>rergab es Hun<strong>de</strong>rte – , so steht dies indirekter Beziehung zur Zwangsrekrutierung.So auch <strong>de</strong>r Generalstreikvom 31. August 1942, <strong>de</strong>n 21Streiken<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m Leben bezahlten“,sagt Erny Lamborelle un<strong>de</strong>rzählt eine seinen Worten entsprechend„typische“ Geschichteeines Zwangsrekrutierten.(FOTO: LW-ARCHIV)Spionagewährend <strong><strong>de</strong>s</strong> ArbeitsdienstesEin Bekannter von ihm sei 1940,wie viele an<strong>de</strong>re Jugendliche, mit17 Jahren Mitglied <strong>de</strong>r „LëtzebuergerPatriote Liga“ (LPL) gewor<strong>de</strong>n.Im Zuge <strong>de</strong>r Zwangsrekrutierungsei er, mit 235 an<strong>de</strong>ren Luxemburgern,in <strong>de</strong>n Arbeitsdienst nachPeenemün<strong>de</strong> gekommen. Schnellsei ihnen klar gewor<strong>de</strong>n, dass dortAußergewöhnliches vor sich gehe.Tatsächlich wur<strong>de</strong>n in Peenemün<strong>de</strong>-West,<strong>de</strong>r Versuchsstelle <strong>de</strong>rLuftwaffe, die Flugbombe V1 unddie ferngesteuerte Großrakete V2entwickelt und getestet. DieZwangsrekrutierten hätten Plänevon <strong>de</strong>r Anlage angefertigt und sienach Luxemburg geschmuggelt.„Mit an<strong>de</strong>ren Worten: Diese Jungenhaben während <strong><strong>de</strong>s</strong> ArbeitsdienstesSpionage betrieben! ÜberBrüssel gelangten die Pläne nachEngland und trugen mit Sicherheitihren Teil dazu bei, dass die Britenin <strong>de</strong>r Nacht vom 17. zum 18. August1943 die Anlage bombardierten.Derselbe ,Jong‘ ist nach einerVerwundung an <strong>de</strong>r russischenFront während <strong><strong>de</strong>s</strong> Genesungsurlaubs<strong><strong>de</strong>s</strong>ertiert. Er hielt sich inBelgien versteckt und hat tatkräftigbei <strong>de</strong>n belgischen MaquisardsAktionen gegen das Naziregimegeführt. Und dies ist nur ein Beispielunter vielen. Sind dies etwakeine Wi<strong>de</strong>rstandsaktionen? O<strong>de</strong>rist das nicht einfach nur eine Frage<strong>de</strong>r Interpretation?“In diesem Zusammenhang erinnertErny Lamborelle an die physischenund psychischen Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>rüber 1 100 Luxemburger Zwangsrekrutierten,die im russischenKriegsgefangenenlager Tambowfestsaßen. Erst im November 1945sind sie wie<strong>de</strong>r freigekommen, siebenMonate nach Kriegsen<strong>de</strong>. „Siewur<strong>de</strong>n nicht befreit, weil es diedamalige Luxemburger Regierungnicht wollte. Man hatte Angst, sieseien von <strong>de</strong>n Russen indoktriniertwor<strong>de</strong>n!“ (So hieß es gelegentlich.)Als Problem, das sich auchheute noch bei <strong>de</strong>m Ge<strong>de</strong>nken andie Opfer <strong><strong>de</strong>s</strong> Nazi-Regimes stelle,sieht Erny Lamborelle (in <strong><strong>de</strong>s</strong>senFamilie drei „Jongen“ zwangsrekrutiertwur<strong>de</strong>n und vier Personenim Krieg ums Leben gekommensind) die ungenügen<strong>de</strong> Aufarbeitung<strong>de</strong>r Geschehnisse. „Je<strong>de</strong> Familiein Luxemburg hat ihre eigeneGeschichte aus dieser schrecklichenZeit, und die Problematik <strong><strong>de</strong>s</strong>Krieges wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n ersten Jahrzehntennach Kriegsen<strong>de</strong> nichtrichtig verarbeitet, ja sogar verdrängt.Ich wur<strong>de</strong> 1949 geborenund die ersten 35 Jahre meinesLebens hat mir niemand über seineErlebnisse während <strong><strong>de</strong>s</strong> Kriegeserzählt.“Es mache ihn traurig und wütend,wenn Personen <strong>de</strong>r Nachkriegsgenerationendie Naziopferimmer noch in Kategorien einteilen.Der Generationenwechselhabe in diesem Punkt noch nichtviel bewirkt. „Heute müssen sichdie verschie<strong>de</strong>nen Naziopfer-Organisationenzusammentun, damitdas Ge<strong>de</strong>nken an die Opfer <strong><strong>de</strong>s</strong>Zweiten Weltkrieges auch in Zukunftaufrechterhalten wer<strong>de</strong>nkann. Von Seiten <strong>de</strong>r Regierungbesteht auch <strong>de</strong>r Wille, nur nocheine gemeinsame ,Journée nationale<strong>de</strong> commémoration‘ zu veranstalten.Aber es ist natürlich nichteinfach, dies politisch durchzusetzen,und das ist scha<strong>de</strong>. Eine solchegemeinsame Ge<strong>de</strong>nkfeier setzt ausunserer Sicht jedoch die Erfüllungeiner Bedingung voraus: Respektund Anerkennung vor <strong>de</strong>n Leistungen<strong>de</strong>r Zwangsrekrutierten zu zeigen!“Der bisherigen Form <strong><strong>de</strong>s</strong> Ge<strong>de</strong>nkenszollt <strong>de</strong>r Fe<strong>de</strong>f-Präsi<strong>de</strong>ntgroße Bewun<strong>de</strong>rung, und dochmüsse die Kommemoration sichmo<strong>de</strong>rnisieren. „Von <strong>de</strong>n noch leben<strong>de</strong>nZeitzeugen wollen wir weiterSchil<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r damaligenUmstän<strong>de</strong> sammeln und versuchen,dabei so objektiv wie möglichvorzugehen. Zurzeit wird mit Hilfe<strong>de</strong>r Fe<strong>de</strong>f eine Datei mit allen verfügbarenInformationen über die<strong>15</strong> 000 ,Jongen a Mee<strong>de</strong>rcher‘ zusammengestellt.Historiker sollenmit mo<strong>de</strong>rnen Augen betrachten,was damals wirklich in Luxemburgpassiert ist. Es gibt bereits eineReihe Programme, in <strong>de</strong>nen Schülervom Zweiten Weltkrieg erfahren.Das wahre Problem sind auchnicht die Kin<strong>de</strong>r, die meist Interessean <strong>de</strong>m Thema zeigen, son<strong>de</strong>rnvielmehr das Lehrpersonal,das oft nicht entsprechend ausgebil<strong>de</strong>tist. Darüber hinaus liegt <strong>de</strong>rFokus zu sehr auf <strong>de</strong>r Grundschule,in <strong>de</strong>r Sekundarschule wird dasThema zu wenig behan<strong>de</strong>lt. DasBewusstsein für die Geschichte imAllgemeinen ist lei<strong>de</strong>r nicht genugausgebil<strong>de</strong>t. Wir müssen verstehen,um zu verzeihen, aber vergessendürfen wir nie.“Luxemburger Zwangsrekrutierte an <strong>de</strong>r Ostfront.(FOTO: MHVL)Erny Lamborelle,Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r„<strong>Fédération</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong><strong>enrôlés</strong> <strong>de</strong> <strong>force</strong>– Victimes dunazisme“: „Wirmüssen verstehen,um zu verzeihen,abervergessen dürfenwir nie.“(FOTO: ARMANDWAGNER)„Die 34-prozentige Wehrmachtsentziehung<strong>de</strong>r Refraktäre und ,Deserteure‘war eine Glanzleistung unseres Volkes,und gera<strong>de</strong> dieses Faktum konnte nurim Klima <strong><strong>de</strong>s</strong> allgemeinen Wi<strong>de</strong>rstan<strong><strong>de</strong>s</strong>durch das Zusammenwirken allerFaktoren – Bevölkerung, Resistenzler,Passeure, Maquisar<strong>de</strong>n und Soldaten<strong>de</strong>r Freiheit – entstehen.“(Christian Calmes, 1995)


12Erënneronge vun <strong>de</strong>emoolsDe Max Goebel* erzieltEch wor <strong>15</strong> Joer al <strong>de</strong>n 31. August1942, wou <strong>de</strong> Streik ugefaangenhuet a sech an <strong>de</strong>enen Deeg duernoduerch d'ganzt Land ausgebreethuet. Meng Mamm an ech worenzesumme mat menger Schwëster amengem Schwoer, <strong>de</strong>m Konz Nicky,an engem Stot a hu gewunnt umBelair an <strong>de</strong>r Franziskanerstrooss.Den 1. September koumen <strong>de</strong> FournellsRoger an <strong>de</strong>n Dansarts Albertons et soen, datt d'Gestapo <strong>de</strong>n Nickyverhaft an an d'Villa Paulybruecht hätt. Wei<strong>de</strong>r si mir näischtgewuer ginn. Den 3. September1942 muerges hunn ech als éischtendéi feierrout Plakate mat <strong>de</strong>n Dou<strong><strong>de</strong>s</strong>uerteelenun <strong>de</strong> Litfaßseile gesinn.Ech konnt et net gläwen a siséier heemgerannt, fir déi schrecklechNuwell ze iwwerbréngen.Abrëll/Mee 1943: Lëtzebuerger Familljen am Lager Nr. 121a vun Nestomitz.Et wor <strong>de</strong> schrecklechsten Dag,<strong>de</strong>en ech am Krees vu menger Famillerlieft hunn. Vun alle Säiten huFamill a Frënn ons opgesicht, firons ze tréischten. Et konnt een netrealiséieren, wat dat be<strong>de</strong>ite géif.Wéi mir spéi<strong>de</strong>r gewuer goufen,sinn all déi, déi beim Streik and'Villa Pauly koumen, schwéiermalträtéiert an dunn no Hinzertbruecht ginn. No enger kuerzerZäit krut meng Schwëster déi perséinlechSaache vun hirem Manngeschéckt: Auer, Portefeuille, Rousekranz,Rénk an e gebracheneBrëll. Et wor fir ons eng grujelegZäit. (1950 bei <strong>de</strong>m Standgerichtsprozessass ënner anerëm Folgen<strong><strong>de</strong>s</strong>ze liesen: Nicky Konz, employé<strong><strong>de</strong>s</strong> PTT, en tête <strong><strong>de</strong>s</strong> grévistes <strong><strong>de</strong>s</strong>eptembre 1942, qui s'écria <strong>de</strong>vantle peloton d'exécution, dans la clairière<strong>de</strong> Hinzert, avant <strong>de</strong> tombersous les balles meurtrières: „Viveeis Muttergottes vu Lëtzebuerg,Vive eis Gran<strong>de</strong>-Duchesse“. Le SS-Oberscharführer Pammer avoua<strong>de</strong>vant les juges: „So habe ich nochniemand sterben gesehen!“) Dräibatter Woche si vergaangen.De 25. September 1942 um 6Auer muerges huet et bei ons geschellt(mir wore prevenéiert ginnduerch gutt Frënn). D'Gestapo,véier Mann héich, huet ons matge<strong>de</strong>elt,datt mir ëm 10 Auer noSchlesien ëmgesi<strong>de</strong>lt géife ginn.Bis dohin hätte mir Zäit, dat Néi<strong>de</strong>gstanzepaken. Mir woren allwéi gelähmt. Ons Grousseltere worenop Besuch; och si wollte semathuelen, hunn ower duerchZourie<strong>de</strong>n dovun ofgesinn. Watsollt een apaken, wor et fir e puerMéint, 't wousst een näischt. ZumSchluss wollt meng Mamm nacheng Ham mathuelen, mä ee vun <strong>de</strong>rGestapo sot zu hir: „Lassen Sie diehier, das fin<strong>de</strong>n Sie alles dahinten“.A wat mengt Dir, wat mir zu Leubusa Schlesien fonnt hunn? Enaalt, kaalt Zëmmer an engemgrousse Klouschter mat fënnefBetter iwwereneen an zéng Stréisäck.Zwou Walissen an zwou Poschen,dat wor alles, wat mirkonnte mathuelen. D'Wunneng assversigelt ginn a mir goufe mateisem Gepäck bei d'HollerecherGare gefuer. Mir haten eng Extravoiture,déi ass un <strong>de</strong>n Zuch noKoblenz ugehaange ginn. OnsGrousseltere si matgefuer bis opWaasserbëlleg, wou si gewunnthunn. Sie stungen um Quai ze wénken.An hiren An huet alles secherëmgespigelt, wat si <strong>de</strong>e Momentgefillt hunn. Mir hunn alleguer gekrasch.Ouni Courage wore mir,wéi <strong>de</strong>n Zuch zu Waasserbëllegiwwert d'Bréck an d'Ongewëssheetgefuer ass. 't huet eng Famillsech un <strong>de</strong>r anerer getréischt, jid<strong>de</strong>reewousst ze erzielen, a fir ee<strong>15</strong>-jierege Bouf wor alles méi liichtze erdroe wéi z. B. fir meng Mamma besonnesch meng Schwëster.Mir woren zesummegepercht, 48Leit, Jonk an Al an och kleng Kanner.No zwéin Deeg an och engerlaanger Nuecht si mir zu Leubus aSchlesien ukomm.Mir woren net déi éischt, wellmir si vu Lëtzebuerger op <strong>de</strong>r Gareempfaange gin. Onsen Transportwor <strong>de</strong>n véierten. Zu Leubus woremir bis <strong>de</strong>n 20. Januar 1943. D'Wan<strong>de</strong>rschaftass virugaangen op Flinsbergbis <strong>de</strong>n 20. Mee 1943. Vun doaus ass e speziellen Transport zesummegestalltginn no Marklissamat nëmme Famillje vun <strong>de</strong> Streikaffer.Do blouwe mir och nëmmevéier Méint, an <strong>de</strong> 25.9.1943 si mirnees op Flinsberg komm, dës Kéiernure fir zwee Méint. Do ass d'Geplënnerserëm lassgaangen, an <strong>de</strong>25.11.1943 bis <strong>de</strong> <strong>15</strong>.6.1944 wore mirzu Boberstein.Direkt no <strong>de</strong>enen éischtenDeportatiounen hu sech zu LëtzebuergPostjeeën zesummegedoen,Tëschenetapp 1944 am Lager vu Strassberg. 14 Deeg duerno ass Strassberg vun <strong>de</strong>n Amerikaner befreit ginn.


Vom Standgericht zum To<strong>de</strong> verurteiltund hingerichtet wur<strong>de</strong>n:René Angelsberg(geboren am <strong>15</strong>. Juli1923), Arbeiter, Differdingen:hingerichtetam 4. September1942Nicolas Konz(geboren am 27. Januar1914), Postbeamter,Luxemburg:hingerichtet am 3.September 194213Jean Schroe<strong>de</strong>r(geboren am 1. April1914), Postbeamter,Luxemburg: hingerichtetam 4. September1942Nicolas Betz(geboren am 2. Februar1914), Arbeiter,Differdingen: hingerichtetam 3. September1942Célestin Lommel(geboren am 28.September 1890),Lehrer, Wiltz: hingerichtetam 3. September1942Jean Thull(geboren am 30. Januar1919), Eisenbahnarbeiter,Ettelbrück:hingerichtetam 5. September1942Eugène Biren(geboren am 6. April1914), Arbeiter,Schifflingen: hingerichtetam 9. September1942Charles Meiers(geboren am 20. August1886), Lehrer,Wiltz: hingerichtetam 3. September1942Ernest Toussaint(geboren am 6. März1908), Arbeiter, Differdingen:hingerichtetam 3. September1942Alfred Bruck(geboren am 28. November1896), Lehrer,Wiltz: hingerichtetam 3. September1942Robert Mischo(geboren am 29. Dezember1920), Arbeiter,Differdingen: hingerichtetam 4. September1942Alphonse Weets(geboren am 10.April 1889), Arbeiter,Differdingen: hingerichtetam 3. September1942ënnert <strong>de</strong>m Numm „FRIKONI“,d'Ofkierzung vu Frick, Kops an Nimax.Si hu Liewensmëttelen, Klee<strong>de</strong>ra Geld gesammelt duerchd'ganzt Land, hunn Transporter zesummegesat,a sinn dacks ënnerLiewesgefor an d'Lagere gefuer.Dat wor eng Solidaritéit!All <strong>de</strong>ene „Liwweranten“ vun<strong>de</strong>emools soen ech vun dëser Plazaus nach eng Kéier villmools merci.Bekannt o<strong>de</strong>r onbekannt, si hu matgehollef,d'Moral an <strong>de</strong> Fräiheetswëllenhéich ze halen.Vu Boberstein si mir <strong>de</strong> <strong>15</strong>.6.1944„lagerfräi“ ginn. Duerch gutt Frënn,déi zu Altenkirchen am Westerwald„déngschtverflicht“ woren,ënner anerëm och mäi spéi<strong>de</strong>renonvergiessleche Chef, <strong>de</strong> KnafeCharel, hu si ons eng Aarbecht aneng Wunneng besuergt. Aus <strong>de</strong>rganzer Emgéigend hunn d'Lëtzebuergersech afonnt zu Altenkirchen.De Molitors Vic, spéi<strong>de</strong>renDirekter vun onser Nationalloterie,<strong>de</strong> Wilmese Gorry an <strong>de</strong> Van <strong>de</strong>nBulckes René, zwee Postjeeën, <strong>de</strong>Ruppesch Albert, Polizist, <strong>de</strong>nDaubenfelds Néckel, Gendaarm, an<strong>de</strong> Paschtouer Theise Néckel, <strong>de</strong>enzu Horhausen am Westerwald och„déngschtverflicht“ wor. Bei himhunn all Lëtzebuerger ëmmer engoffen Dier fonnt.Zu Altenkirchen wore mir bis<strong>de</strong>n 12.4.1945. No enger abenteuerlecherFahrt sinn <strong>de</strong>n Här PaschtouerNicolas Theis an ech <strong>de</strong>n19.4.1945 nees zu Lëtzebuergukomm. Meng Mamm a mengSchwëster koumen ee Mount méispéit, well si net transportfähegworen. No zweeandrësseg MéintDeportatioun si mir iwwer Waasserbëllegnees an onser fräier Heemechtukomm.Och no 70 Joer hu mir net vergiessdéi grujeleg Zäit. All Lëtzebuergerkënnen dat verstoen, déisech <strong>de</strong>emools zesummefonnt hatenam Glaf un ons Fräiheet, déi mirverluer haten an nees erëmgewonnhunn duerch <strong>de</strong> Streik vun 1942,wou ee ganzt Vollek opgestanenass géint Onfräiheet an Diktatur.* Max Goebel, Deportatiounsnummer 051, in: DerStreik im Hauptpostamt Luxemburg, hg. vonRoger GaspartMichel Daxgeboren am <strong>15</strong>. August1920), Eisenbahnarbeiter,Ettelbruck:hingerichtetam 5. September1942Joseph Ewen(geboren am 1. Oktober1900), Lehrer,Wiltz: hingerichtetam 3. September1942Emile Hei<strong>de</strong>rscheid(geboren am 19.September 1919),Dach<strong>de</strong>cker, Diekirch:hingerichtet am 5.September 1942Nicolas Muller(geboren am 7. Dezember1893), Gemein<strong>de</strong>beamter,Wiltz: hingerichtetam 2. September1942Alphonse Schmit(geboren am 23.September 1908),Professor, Echternach:hingerichtetam 5. September1942Jean-Pierre Schnei<strong>de</strong>r(geboren am 14. Januar1909), Arbeiter,Differdingen: hingerichtetam 3. September1942Michel Worré(geboren am 22.April 1893), Gemein<strong>de</strong>beamter,Wiltz:hingerichtet am 2.September 1942Léon Zeimes(geboren am 24.Februar 1916),Schriftsetzer, Itzig:hingerichtet am 4.September 1942Vom Son<strong>de</strong>rgerichtverurteilt und in Kölnam 11. September1942 hingerichtetwur<strong>de</strong>: Heinrich„Hans“ Adam (geborenam 23. Februar1894), Arbeiter,SchifflingenWat war d'Emsiedlung?D'Emsiedlungs-Actioun war speziell doropausgeriicht, fir Famillen, déi als „volks<strong>de</strong>utsch“mä net als sécher gehale goufen,aus <strong>de</strong>m Westen erauszehuelen a sibannen am „Reich“ festzesetzen, wou siassimiléiert sollte ginn.Et war also en <strong>de</strong>mografesche Plang oplaang Zäit, <strong>de</strong>en <strong>de</strong> preisesche Gauleiterower profitéiert huet, fir sech Elementerlasszemaachen, an <strong>de</strong>enen hien d'Fëllementvun <strong>de</strong>r organiséierter Resistenzgesinn huet (Intellektueller, héich Fonktionären,Aarbechter, Handwierker, Beamten).Vum Summer 1943 u goufen d'Familljevu Refraktären an Deserteuren aus<strong>de</strong>r „Wehrmacht“ och <strong>de</strong>portéiert, an datno <strong>de</strong>em barbaresche „Sippenhaft-Prinzip“.Déi Lëtzebuerger politesch Deportéiertginn duerch 26 Lageren geschleist: 17 aSchlesien, fënnef a Béimen, een an Éisterräichan dräi am Honsréck.Nom Streik, ufangs September 1942,huet d'Emsiedlungsaktioun ugefaangen.Vum 17. September 1942 bis <strong>de</strong>n 31.August 1944 sinn esou 1 139 Famillenzwangsverschleeft ginn, zesummen 4 186Leit. (1 995 Männer a 2 191 Fraen aKanner) <strong>15</strong>4 sinn an <strong>de</strong>r Deportatioungestuerwen, dovun 22 Kanner. Am Exilsinn <strong>de</strong>r och 39 op d'Welt komm.Op <strong>de</strong>r Gare zu Marklissa <strong>de</strong>n 20. Mee 1943: d'Famillje Clau<strong>de</strong>, Toussaint, Bruck a Konz-Goebel (Streikaffer).


14Diskussion um„Viel hatDirektionsbeauftragterVON NATHALIE ROVATTIAuch dieGeschichte <strong>de</strong>rLuxemburgerJu<strong>de</strong>n wird inEsch thematisiert.Wer sich <strong>de</strong>m Escher Brillplatz nähert,sieht sich zuallererst einer riesigenBaustelle gegenüber. Den Wegins „Musée national <strong>de</strong> la Résistance“zu fin<strong>de</strong>n, ist <strong>de</strong>rzeit garnicht so einfach. Nur ein halb verstecktesSchild zeigt, wo es langgeht.Die Baustelle vor <strong>de</strong>r Tür istaber bei weitem nicht das einzigeProblem <strong><strong>de</strong>s</strong> Museums-Direktionsbeauftragten.Die wahre Baustelle seidas Resistenzmuseum selbst, soFrank Schroe<strong>de</strong>r. Seit Jahren sindAusbau und Mo<strong>de</strong>rnisierung ein Thema.Gut gemeinte Ansätze verliefenaber stets im Sand. „Doch seit kurzemist wirklich Bewegung in die Sachegekommen“, so Schroe<strong>de</strong>r imGespräch mit <strong>de</strong>m LW.In <strong>de</strong>n Vitrinenund an <strong>de</strong>nWän<strong>de</strong>n sindzahlreicheDokumente undGegenstän<strong>de</strong>zusammengetragen.Im Mai dieses Jahres war Kammerpräsi<strong>de</strong>ntLaurent Mosar in Esch/Alzettezu Besuch, um sich ein Bild von<strong>de</strong>r nationalen Erinnerungsstätte<strong>de</strong>r Resistenzbewegungen gegen dasNaziregime zu machen. Im Anschlussan seine Visite erklärte Mosar,er wolle versuchen, die nötigenpolitischen Hebel in Gang zu setzen,damit endlich mit <strong>de</strong>r lang versprochenenRenovierung begonnen wer<strong>de</strong>.„Der Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Abgeordnetenkammerhat Wort gehaltenund sich schriftlich mit <strong>de</strong>m Anliegenan <strong>de</strong>n Premierminister gewandt.Nun ist das Kulturministeriumdabei, eine Arbeitsgruppe zusammenzustellen,die ein Projektausarbeiten soll“, freut sich FrankSchroe<strong>de</strong>r.Das nationale „Musée <strong>de</strong> la Résistance“ inVermittlung ethischer WerteVor vier Jahren hat Schroe<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>rbis dahin als Kunstlehrer im „Lycée<strong>de</strong> Garçons“ in Esch tätig war, dieLeitung <strong><strong>de</strong>s</strong> Museums übernommen.Er wur<strong>de</strong> vom Kulturministeriumfür diese Arbeit freigestellt.Mit seinem Konzept, will er inerster Linie junge Menschen ansprechen.Die Vermittlung ethischerWerte steht für ihn im Mittelpunkt.„Wenn die heutigen GenerationenHitler bloß als historische Figur betrachten,haben wir unser Ziel verfehlt“,so Frank Schroe<strong>de</strong>r. Dasgrößte Problem <strong><strong>de</strong>s</strong> Resistenzmuseumsist <strong>de</strong>r knapp bemessene Platz.An<strong>de</strong>rs als es das imposante Bauwerkvon außen vermuten lässt, verfügtdas Museum nur über einengroßen Raum.Am 22. Juli 1956 wur<strong>de</strong> das Resistenzmuseumim Beisein von GroßherzoginCharlotte offiziell eingeweiht.Treiben<strong>de</strong> Kräfte waren ehemaligeWi<strong>de</strong>rständler, die sich in<strong>de</strong>r „Ligue <strong><strong>de</strong>s</strong> prisonniers politiqueset déportés“ (LPPD) zusammengeschlossenhatte. Ein Ort <strong>de</strong>rErinnerung, von <strong>de</strong>r Kriegsgenerationfür die Kriegsgeneration gemacht.Und hier liegt in <strong>de</strong>n Augenvon Frank Schroe<strong>de</strong>r das große Problem<strong><strong>de</strong>s</strong> Museums. „Viel hat sich in<strong>de</strong>n vergangenen 56 Jahren im Museumnicht geän<strong>de</strong>rt. Bis in die1980er-Jahre hat sich die LPPD umdie Ausstellung gekümmert. Bei <strong>de</strong>nExponaten han<strong>de</strong>lt es sich in ersterLinie um eine Sammlung von Dokumenten,Zeitungsartikeln und priva-Platzmangel: DieStellwän<strong>de</strong> <strong>de</strong>rWechselausstellungenverbergenteilweise dieSicht auf die eigentlichenExponate<strong><strong>de</strong>s</strong> Museums.Doch sin<strong><strong>de</strong>s</strong> gera<strong>de</strong> dieWechselausstellungen,die einbreites Publikumanziehen.Der Direktionsbeauftragte Frank Schroe<strong>de</strong>r ist guter Hoffnung, dass Staat undGemein<strong>de</strong> Esch sich <strong>de</strong>mnächst auf ein Mo<strong>de</strong>rnisierungskonzept für dasMuseum einigen. Die Dialogbereitschaft sei endlich da. (FOTOS: GUY JALLAY)


<strong>15</strong>Mo<strong>de</strong>rnisierung <strong><strong>de</strong>s</strong> „Musée national <strong>de</strong> la Résistance“ in Esch/Alzette ist aktueller <strong>de</strong>nn jesich in 56 Jahren nicht geän<strong>de</strong>rt“Frank Schroe<strong>de</strong>r strebt eine pädagogische Wissensvermittlung <strong>de</strong>r geschichtlichen Ereignisse anEsch/Alzette fristete lange Zeit ein Schattendasein in <strong>de</strong>r Luxemburger Museumslandschaft.ten Gegenstän<strong>de</strong>n und Erinnerungsstücken,die einfach zusammengetragenund hier einem breiten Publikumzugänglich gemacht wur<strong>de</strong>n.Diese Herangehensweise funktioniertein <strong>de</strong>n ersten Jahren nachKriegsen<strong>de</strong>, wo die Ereignisse in <strong>de</strong>nKöpfen <strong>de</strong>r Menschen noch präsentwaren. Heute fehlen <strong>de</strong>n meistenBesuchern aber die historischenVorkenntnisse, um die damaligenEreignisse auf die Gegenwart unddie eignen Lebenserfahrungen zubeziehen“, erklärt er.Seit er das Ru<strong>de</strong>r im Museumübernommen hat, sorgt FrankSchroe<strong>de</strong>r dafür, dass neben <strong>de</strong>rpermanenten Ausstellung auchregelmäßig aktualitätsbezogeneWechselausstellungen mit Bezügenzur heutigen Zeit am Brillplatz, <strong>de</strong>roffiziell ebenfalls „Place <strong>de</strong> la Résistance“heißt, Station machen. Dassdie Stellwän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wechselausstellungendie Sicht auf die eigentlichenExponate <strong><strong>de</strong>s</strong> Museums verbergen,nimmt er in Kauf. Denn die Besucherzahlengeben ihm Recht. 2011wur<strong>de</strong>n über 3 500 Besucher gezählt,was eine Verdopplung im Vergleichzu 2008 darstellt. Allein in <strong>de</strong>n erstensechseinhalb Monaten diesesJahres waren bereits 2 952 Besucherim Museum.Diese Zahlen zeigen, dass das MuseumPotenzial hat. Vorausgesetzt,Staat und Gemein<strong>de</strong> Esch sind bereit,das Haus zu unterstützen. „Dasgroße Problem <strong><strong>de</strong>s</strong> Museums – dasauch <strong>de</strong>r so dringend benötigtenRenovierung bis jetzt immer imWege stand – ist, dass sein Statut nieklar <strong>de</strong>finiert wur<strong>de</strong>. Eröffnet wur<strong>de</strong>das Museum seinerzeit auf Druck<strong>de</strong>r LPPD, die in <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> Escheinen Partner gefun<strong>de</strong>n hatte. DasMuseumsgebäu<strong>de</strong> ist Eigentum <strong>de</strong>rKommune. Die Ausrichtung <strong><strong>de</strong>s</strong> Resistenzmuseumswar aber seit ihrenAnfängen keine lokale, son<strong>de</strong>rn eine(FOTO: NATHALIE ROVATTI)nationale und so sah sich <strong>de</strong>r Staatauch von Beginn an in <strong>de</strong>r Verantwortung.1986 wur<strong>de</strong> die Ausstellungneu sortiert und auf Initiative<strong><strong>de</strong>s</strong> damaligen KulturministersRobert Krieps wur<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m Resistenzmuseumdas nationale Resistenzmuseum.Für <strong>de</strong>n Unterhaltblieb aber weiter die Gemein<strong>de</strong> Eschzuständig und das ist bis heute so“,bedauert Frank Schroe<strong>de</strong>r.Die angespannte Situation zwischenKommune und Staat in Bezugauf das Resistenzmuseum führt <strong>de</strong>rDirektionsbeauftragte vor allem daraufzurück, dass man nie eine Einigungfand, wer für welchen finanziellenPart im Museum aufkommenmüsse.Das führte dazu, dass En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r1990er-Jahre fast keine Aktivitätenmehr im Resistenzmuseum stattfan<strong>de</strong>nund dieses drohte in Vergessenheitzu geraten, zumal die Kriegsveteranenin die Jahre gekommen warenund sich immer mehr zurückzogen.Immer noch AussagekraftSeit 2010 fin<strong>de</strong>t Frank Schroe<strong>de</strong>r inseinen Bemühungen, das Museumwie<strong>de</strong>rzubeleben, Unterstützung in<strong>de</strong>n „Frënn vum Resistenzmuseum“.Präsi<strong>de</strong>nt <strong><strong>de</strong>s</strong> För<strong>de</strong>rvereins ist <strong>de</strong>rehemalige Abgeordnete und EscherLokalpolitiker André Hoffmann, <strong>de</strong>rsich in seiner aktiven Zeit als Vorsitzen<strong>de</strong>r<strong>de</strong>r zuständigen Verwaltungskommissionbereits für die Belange<strong><strong>de</strong>s</strong> Museums einsetzte.Das Resistenzmuseum habe auchheute – 67 Jahre nach Kriegsen<strong>de</strong> –nichts von seiner Aussagekraft eingebüßt,so André Hoffmann anlässlich<strong>de</strong>r Vorstellung <strong><strong>de</strong>s</strong> För<strong>de</strong>rvereins.„Es wur<strong>de</strong> errichtet im Ge<strong>de</strong>nkenan jene, die <strong>de</strong>n Mut hatten, sich<strong>de</strong>m Naziterror zu wi<strong>de</strong>rsetzen unddas bis in die Hölle <strong>de</strong>r Konzentrationslager.Wer in dieses Museumkommt und sieht, was hier ausgestelltist, <strong>de</strong>r beschäftigt sich mit<strong>de</strong>m Gedanken daran, wie es damalsso weit kommen konnte. Inwieweitsind Menschen manipulierbar?Warum haben so viele tatenlos zugeschaut?Wie konnten brave Familienväterzu Mör<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n? Dassind Fragen, die nie etwas von ihrerBe<strong>de</strong>utung verlieren wer<strong>de</strong>n und inAnbetracht <strong>de</strong>r weltweiten politischenEntwicklung in <strong>de</strong>n vergangenenJahren nach wie vor aktuellsind“, erklärte <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong>damals. In diesem Jahr haben die„Frënn vum Resistenzmuseum“ einePetition in Umlauf gebracht, um Unterschriftenfür <strong>de</strong>n Ausbau und dieMo<strong>de</strong>rnisierung <strong><strong>de</strong>s</strong> Museums zusammeln. Diese soll im Herbst in <strong>de</strong>rAbgeordnetenkammer überreichtwer<strong>de</strong>n. Zuvor hatte <strong>de</strong>r Escher Gemein<strong>de</strong>ratbereits 2011 eine Resolution,ebenfalls in diesem Sinne, verabschie<strong>de</strong>tund auch in <strong>de</strong>n Medienwur<strong>de</strong> immer wie<strong>de</strong>r über <strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>s</strong>olatenZustand <strong><strong>de</strong>s</strong> Museums berichtet.„All dies hat einen positivenDruck aufgebaut, <strong>de</strong>r uns zuversichtlichstimmt, dass tatsächlichbald etwas passiert“, freut sichFrank Schroe<strong>de</strong>r.Große Hoffnungen setzt er vorallem in die pädagogische Rolle, diedas Museum erfüllen könnte, wennes entsprechend ausgestattet wäre.Dass Kin<strong>de</strong>r und Jugendliche großesInteresse an diesem Teil <strong>de</strong>r GeschichteLuxemburgs hätten, zeigesich immer wie<strong>de</strong>r aufs Neue, wennSchulklassen zu Besuch seien.Im Laufe <strong><strong>de</strong>s</strong> Schuljahres kommenimmer wie<strong>de</strong>r Klassen aus Eschund zwei Nachbargemein<strong>de</strong>n fürRundgänge mit anschließen<strong>de</strong>nWorkshops. „Mehr Klassen könnenwir aus Platz- und Personalmangelnicht annehmen“ , so Schroe<strong>de</strong>r. Umeine anständige pädagogische Arbeitverrichten zu können, muss lautFrank Schroe<strong>de</strong>r nicht nur die Ausstellungselbst mo<strong>de</strong>rnisiert undnach historischen Komponentenneu aufgebaut wer<strong>de</strong>n. Es müsstenauch neue Räumlichkeiten für eineBibliothek/Mediathek, ein Archivund Arbeitszimmer geschaffen wer<strong>de</strong>n.Der Museumsleiter hofft in diesemPunkt auf <strong>de</strong>n guten Willen <strong>de</strong>rStadtverantwortlichen von Esch.Denn innerhalb weniger Monatewur<strong>de</strong>n sowohl die Räumlichkeiten<strong><strong>de</strong>s</strong> alten Frie<strong>de</strong>nsgerichts als auchjene <strong>de</strong>r A<strong>de</strong>m leer, die sich rechtsund links vom Museums im gleichenGebäu<strong>de</strong> befan<strong>de</strong>n. Noch ist allerdingsnicht gewusst, ob angedachtist, <strong>de</strong>m Museum wenigstens einenTeil dieser Räumlichkeiten zur Verfügungzu stellen. Auch die Infrastrukturenim Museumsgebäu<strong><strong>de</strong>s</strong>elbst bedürfen einer Generalüberholung.So sind sowohl die Fenster,als auch die gesamte Elektrizität unddie sanitären Einrichtungen noch imOriginalzustand von 1956.In einem Nebenraum wur<strong>de</strong>n ineiner provisorischen Bibliothekrund 1 800 Titel zum Thema Wi<strong>de</strong>rstandin Luxemburg zusammengetragen.„Da passt nicht ein weiteresBuch rein“, bedauert Schroe<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>rgleichzeitig darauf hinweist, dassdas Thema <strong>de</strong>r Resistenzbewegungenin Luxemburg noch lange nichtaufgearbeitet sei. Spätestens, wenndie Uni Luxemburg mit ihrer Geschichtsfakultätnach Esch ziehe,müssten die Stu<strong>de</strong>nten ein Resistenzmuseumvorfin<strong>de</strong>n, das seinenNamen auch verdiene und in <strong>de</strong>mebenfalls Forschung betrieben wer<strong>de</strong>nkönne.Eines <strong>de</strong>r Exponate: Die Werkssirene,mit <strong>de</strong>r vor 70 Jahren in Schifflingen<strong>de</strong>r Generalstreik eingeläutet wur<strong>de</strong>.Am 22. Juli 1956 wur<strong>de</strong> das Resistenzmuseum am Brillplatz in Esch/Alzette offiziell seiner Bestimmung übergeben.Treiben<strong>de</strong> Kräfte waren ehemalige Wi<strong>de</strong>rständler,die sich in <strong>de</strong>r „Ligue <strong><strong>de</strong>s</strong> prisonniers politiques et déportés“ (LPPD) zusammengeschlossen hatten. Ein Ort <strong>de</strong>r Erinnerung, von <strong>de</strong>r Kriegsgeneration für dieKriegsgeneration gemacht.(FOTO: LW-ARCHIV)


16„Centre <strong>de</strong> documentation et <strong>de</strong> recherche sur l'Enrôlement forcé“ (CDREF)„Kein Erinnern ohne Verstehen“Direktor Steve Kayser for<strong>de</strong>rt konsequente Thematisierung Luxemburgs während <strong><strong>de</strong>s</strong> Zweiten Weltkriegs im Schulunterricht■ Herr Kayser, mittlerweile jährtsich <strong>de</strong>r Generalstreik zum 70. Mal.Grund genug, die Frage nach <strong>de</strong>mFortbestand <strong><strong>de</strong>s</strong> An<strong>de</strong>nkens an diesesdunkle Kapitel <strong>de</strong>r LuxemburgerGeschichte zu stellen.In <strong>de</strong>r Tat! Es ist nämlich lei<strong>de</strong>r so,dass uns die Zeitzeugen allmählichverlassen. Dieser Umstand berechtigtuns zu <strong>de</strong>r von Ihnengestellten Frage. Und die ist akuter<strong>de</strong>nn je! Dennoch sehe ich dasAn<strong>de</strong>nken nicht wirklich gefähr<strong>de</strong>t.Denn die Regierung hat mit<strong>de</strong>m „Centre <strong>de</strong> documentation et<strong>de</strong> recherche sur la Résistance“(CDRR) und <strong>de</strong>m „Centre <strong>de</strong> documentationet <strong>de</strong> recherche surl'Enrôlement forcé“ (CDREF) sowie<strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n „Comités directeurs“rechtzeitig dafür gesorgt,dass die Aufarbeitung <strong>de</strong>rKriegsgeschichte und die Erinnerungan jene Zeiten nicht ins Stockengerät. Dennoch befin<strong>de</strong>n wiruns in einer Zeit <strong><strong>de</strong>s</strong> Umbruchs ...■ Was verstehen Sie in diesemZusammenhang unter <strong>de</strong>m Begriff„Umbruch“?Es geht konkret um die Historisierungdieses dunklen Kapitels <strong>de</strong>reuropäischen Geschichte. DasWissen um das Geschehene mussverbindlich und vor allem verständlichan die nachfolgen<strong>de</strong>nGenerationen weitergereicht wer<strong>de</strong>n,damit auch diese sich mit<strong>de</strong>m Thema befassen und das An<strong>de</strong>nkenweitertragen. So wer<strong>de</strong>ndiese zu Geschichts- und Erinnerungsträgern.Es gibt kein Erinnernohne Verstehen! In diesemPunkt sind dann auch die Pädagogengefor<strong>de</strong>rt!■ Wie meinen Sie das?Der Zweite Weltkrieg und seineKonsequenzen für das Großherzogtumwer<strong>de</strong>n im LuxemburgerSchulunterricht eher stiefmütterlichbehan<strong>de</strong>lt. Es gibt kein wirklichesKonzept, das Thema tauchtin verschie<strong>de</strong>nen Altersstufen undin verschie<strong>de</strong>nen Fächern zwarimmer wie<strong>de</strong>r auf, aber eineSteve Kayser ist <strong>de</strong>r Meinung, dass das Thema „Luxemburg und <strong>de</strong>r Zweite Weltkrieg" nicht ausreichend in <strong>de</strong>r Schule behan<strong>de</strong>lt wird.konsequente Auseinan<strong>de</strong>rsetzungmit <strong>de</strong>n historischen Gegebenheitenist das nicht.■ Inwiefern müssten die bei<strong>de</strong>nDokumentations- und Forschungszentrenvor diesem Hintergrundihre Verantwortung übernehmen?Die Dokumentations- und Forschungszentrenhaben selbstverständlichauch eine pädagogischeAufgabe! Ich kann natürlich momentannur für die Forschungseinrichtungre<strong>de</strong>n, die ich leite.Ich verrate aber kein Geheimnis,wenn ich Ihnen hier und jetzt sage,„Mémorial <strong>de</strong> la Déportation“Nützliche Infos zu einer ErinnerungsstätteWährend <strong>de</strong>r Nazi-Besatzung Luxemburgs(Mai 1940-September 1944)diente <strong>de</strong>r Hollericher Bahnhof als Sammelstelleund Abfahrtsort für die jungenZwangsrekrutierten in <strong>de</strong>n Reichsarbeitsdienst(RAD) und in die <strong>de</strong>utsche Wehrmacht,sowie für tausen<strong>de</strong> als politischunerwünscht enigestufte umgesie<strong>de</strong>lteLuxemburger. Einige hun<strong>de</strong>rt Meterweiter pferchte man einen Teil <strong>de</strong>r inLuxemburg leben<strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n auf dieTransporte in die Ghettos o<strong>de</strong>r dieTo<strong><strong>de</strong>s</strong>lager.Heute ist das Bahnhofsgebäu<strong>de</strong> einErinnerungsort an die Zwangsrekrutiertenund Umgesie<strong>de</strong>lten und die jüdischenOpfer <strong><strong>de</strong>s</strong> NS-Regimes. Zugleich ist <strong>de</strong>rBahnhof Sitz <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>de</strong>m Staatsministeriumunterstehen<strong>de</strong>n „Centre <strong>de</strong> documentationet <strong>de</strong> Recherche sur l'Enrôlementforcé“, <strong><strong>de</strong>s</strong> „Comité directeur pour lesouvenir <strong>de</strong> l'Enrôlement forcé“, <strong>de</strong>r„Fondation du Mémorial <strong>de</strong> la Déportation“,<strong>de</strong>r „<strong>Fédération</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Enrôlés <strong>de</strong>for<strong>de</strong>, victimes du nazisme“ sowie <strong>de</strong>r„Amicale <strong><strong>de</strong>s</strong> volontaires <strong>de</strong> guerre 1944-1945 – Corps Charlotte“.Das Museum im Erdgeschoss bieteteine umfangreiche Ausstellung an. Esversucht das Schicksal Luxemburgswährend <strong><strong>de</strong>s</strong> Zweiten Weltkriegs zudokumentieren. Das „Mémorial“ (3A, rue<strong>de</strong> la Déportation, L-14<strong>15</strong> Luxembourg-Hollerich) ist montags bis freitags, von 9bis 11.30 Uhr bzw. von 14 bis 16 Uhrgeöffnet. Buchungen wer<strong>de</strong>n unter Tel.2478-8191 bzw. per E-mail an secretariat@cdref.etat.luangenommen. (C.)dass die entsprechen<strong>de</strong>n MitarbeiterLehrern so gut wie möglich mitRat und Tat zur Seite stehen, wenndies <strong>de</strong>nn gewünscht wird. DasCDREF ist gerne bereit, ihnen bei<strong>de</strong>r Gestaltung ihrer Unterrichtseinheiten,die sich mit <strong>de</strong>m Themabefassen, unter die Arme zu greifen.Wir arbeiten aus diesemGrund eng mit <strong>de</strong>m Bildungsministeriumzusammen.■ Wie wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>nn Ihr Lösungsvorschlagin <strong>de</strong>r Praxis aussehen,um möglichst schnell mit <strong>de</strong>r aktuellenSituation aufzuräumen?Da Luxemburg im Zweiten Weltkriegmangels eines Konzepts –auch in Bezug auf die Darstellungdieser Epoche! – und einheitlichenSchulmaterials nur spärlichthematisiert wird, müsste mit <strong>de</strong>rErstellung eines Lehrbuchs zunächsteinmal eine gemeinsameBasis geschaffen wer<strong>de</strong>n. Dieses„Manuel d'histoire du Luxembourgdurant la Deuxième Guerremondiale“ müsste allerdings bereitsbeim Ersten Weltkrieg ansetzen,damit die Leser verstehen,dass Erster und Zweiter Weltkriegeng miteinan<strong>de</strong>r verflochten sind.Das „letzte“ weiterführen<strong>de</strong> Kapitelwür<strong>de</strong> dann vom Schuman-Plan han<strong>de</strong>ln.■ Wer könnte <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Autordieses Buches sein?Ich könnte mir durchaus vorstellen,dass ein solches Buch unter<strong>de</strong>r Leitung unseres Dokumentations-und Forschungszentrums inenger Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>mBildungsministerium und <strong>de</strong>r UniversitätLuxemburg entsteht.■ Die Thematisierung <strong><strong>de</strong>s</strong> ZweitenWeltkriegs im Allgemeinen und Luxemburgswährend dieser Perio<strong>de</strong>im Beson<strong>de</strong>ren ist eine Sache, aberherrscht nicht auch Klärungsbedarfauf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r zahlreichen Vereinigungen,die sich (berechtigterweise)<strong>de</strong>m An<strong>de</strong>nken an diese schrecklicheZeit verschrieben haben?Ja, in gewissem Sinne besteht auchauf dieser Ebene Klärungsbedarf.Die Vereinigungen verfolgen docheigentlich alle dasselbe Ziel, dochlei<strong>de</strong>r herrscht nicht immer Konsens.■ Wie wollen Sie diese verfahreneSituation regeln?(FOTO: MARC WILWERT)Wir müssen uns zunächst einmaldie Frage stellen – gera<strong>de</strong> in Zeiten<strong><strong>de</strong>s</strong> eingangs erwähnten „Umbruchs“–, was wir eigentlich wollen!Ich habe <strong>de</strong>n Eindruck, dassmanche Vereinigungen, aber auchmanche Institutionen sich diesewesentliche Frage nicht stellen. Esgeht doch um die Vermittlung vonGeschichte und nicht um privateInteressen! Ich kann zwar nur fürmich und das CDREF sprechen,doch gilt unser einziges Interesseallem, was zum besseren Verständnisdieser Epoche und <strong>de</strong>rvon Luxemburgern ertragenenLei<strong>de</strong>n beiträgt. Wenn ich „alles“sage, meine ich damit Informationenjeglicher Art: Sekundärliteratur,Dokumente, Zeitzeugen undihre Aussagen. Auch wenn dasCDREF arg unter akutem Personalmangellei<strong>de</strong>t, seine Mitarbeiterversuchen unserer gemeinsamenAufgabe gerecht zu wer<strong>de</strong>n.■ Wie könnte <strong>de</strong>nn Abhilfe geschaffenwer<strong>de</strong>n? Wie könnten dieHistoriker <strong>de</strong>r Dokumentations- undForschungszentren und die Mitglie<strong>de</strong>r<strong>de</strong>r Vereinigungen gleichermaßenzufrie<strong>de</strong>ngestellt wer<strong>de</strong>n?Ein Schritt in die richtige Richtungwäre zunächst einmal dieZusammenlegung von „Centre <strong>de</strong>documentation et <strong>de</strong> recherchesur la Résistance“ und „Centre <strong>de</strong>documentation et <strong>de</strong> recherchesur l'Enrôlement forcé“. Denn esbedarf eigentlich nur einer zentralenAnlaufstelle, die sich einerseitsmit <strong>de</strong>r Aufarbeitung <strong><strong>de</strong>s</strong>Zweiten Weltkriegs befasst, an<strong>de</strong>rerseitsaber auch <strong>de</strong>n Kontakt zu<strong>de</strong>n Museen und Vereinigungenim In- und Ausland pflegt.■ Da scheint ja in <strong>de</strong>r Tat einigesim Argen zu liegen. Wo wür<strong>de</strong>n Sie<strong>de</strong>nn <strong>de</strong>n Hebel sofort ansetzen?Fachpersonal einstellen! Ein Konzepterarbeiten! Konkret und unmittelbarliegt mir aber noch einan<strong>de</strong>rer Gedächtnisort auf <strong>de</strong>mMagen. Das nationale „Monument<strong>de</strong> la Solidarité luxembourgeoise“auf <strong>de</strong>m „Kanounenhiwwel“!Das befin<strong>de</strong>t sich in einembe<strong>de</strong>nklichen Zustand und istdoch gewissermaßen Ausdruckunseres Geschichtsbewusstseinsals Luxemburger in Europa.O<strong>de</strong>r?■ Interview: Clau<strong>de</strong> Feyereisen

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