13.07.2015 Aufrufe

2-Gedichte immer bewegt in sich - Helmut Martens

2-Gedichte immer bewegt in sich - Helmut Martens

2-Gedichte immer bewegt in sich - Helmut Martens

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

ich sie nicht sogleich wirklich erkannte. Es waren e<strong>in</strong>zelne <strong>Gedichte</strong>, bei denen ich an etwasgestreift war und an denen ich <strong>sich</strong> ewig Bewegendes und mich Bewegendes verspürte. Inden vielleicht besten Stücken war es eng verwoben mit der Gebrauchslyrik, derdemokratischen Sprache, der Zugänglichkeit, die diese Texte eigentlich für Jeden habenmussten, aber es war etwas tiefer liegendes, das diese <strong>Gedichte</strong> so besonders machte. Eswar etwas <strong>in</strong> diesen <strong>Gedichte</strong>n, was vielleicht zum Kern von Poesie h<strong>in</strong>führt, jedenfalls zudem, was für mich diesen Kern ausmacht, etwas, was ich <strong>in</strong> den <strong>Gedichte</strong>n von Kästnerzuvor so wenig gefunden hatte, wie später <strong>in</strong> denen der „neuen Frankfurter Schule“ – undauch kaum <strong>in</strong> denen von Rühmkorf oder von Enzensberger, <strong>in</strong> denen die Dialektik derAufklärung nachkl<strong>in</strong>gt, jene Desillusionierung, die wir heute auch dr<strong>in</strong>gend benötigen, ehewir, vielleicht, aus<strong>sich</strong>tsreicher e<strong>in</strong>en neuen Anlauf unternehmen können, um unsere Lage zuverbessern.Dem, was <strong>in</strong> dieser Lyrik e<strong>in</strong>gefangen war und hoch „verdichtet“ zum Ausdruck kam, als Teilunseres profanen, oft schmutzigen Alltags <strong>in</strong> manchen Augenblicken als e<strong>in</strong>e Ahnung vone<strong>in</strong>em Gefühl „so ungeheuer oben“ (be)greifbar zu werden schien, gilt es auf die Spur zukommen. He<strong>in</strong>rich He<strong>in</strong>e verknüpft es <strong>in</strong> der Darstellung se<strong>in</strong>er Erfahrungen mit der LyrikGoethes selbstredend nicht nur mit der Form, sondern auch mit dem Inhalt, mit demGoetheschen Pantheismus, der <strong>sich</strong> gerade <strong>in</strong> dessen kle<strong>in</strong>en Liedern bekunde. DiesesVerständnis von Goethe als „Sp<strong>in</strong>oza der Poesie“ habe ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiteren Essay überPhilosophie <strong>immer</strong>h<strong>in</strong> e<strong>in</strong> wenig erläutert. Hier will ich auf philosophische Vertiefungenverzichten. Es geht mir ohne sie um Erfahrungen mit Poesie. Es geht mir darum, auf e<strong>in</strong>erweniger analytischen Ebene wenigstens halbwegs e<strong>in</strong>e Vorstellung davon zu gew<strong>in</strong>nen, wasetwa Wislawa Szymborska mit dem „rettenden Geländer der Poesie“ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ihrer <strong>Gedichte</strong>me<strong>in</strong>en könnte. Es ist etwas, das uns schon <strong>in</strong> den ältesten uns aus den europäischenHochkulturen überlieferten Versen begegnet, etwa bei Homer, etwas, das das, was unsmenschlich macht, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kunstform zum Ausdruck br<strong>in</strong>gt, die mir näher ist als Malerei undMusik, und andere Formen von Dichtung für me<strong>in</strong> Empf<strong>in</strong>den steigert. Es ist jener Glanz, denman, wie es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gedicht Goethes über <strong>Gedichte</strong> heißt, nur „im <strong>in</strong>neren der Kapelle“erschauen kann. Es ist etwas, was man bisweilen <strong>in</strong> jener Gebrauchslyrik oder im politischenLied f<strong>in</strong>det – wie könnte man von der Lyrik He<strong>in</strong>rich He<strong>in</strong>es oder Pablo Nerudas nichtverzaubert werden, sofern man überhaupt e<strong>in</strong>e Ader für Lyrik hat. Diese Art der Lyrik, die aufbreite Öffentlichkeit und Resonanz zielt, bleibt mir unverändert wichtig, aber es entstand mitder Zeit auch e<strong>in</strong>e wachsende Nähe zu jenen großen Dichter<strong>in</strong>nen und Dichtern, denen diepolitische Abzweckung ihrer Arbeit eher ferner liegt und die man eher still für <strong>sich</strong> liest. Mankann eben, wenn man <strong>sich</strong> auf Lyrik e<strong>in</strong>mal wirklich e<strong>in</strong>gelassen hat, auch von CharlesBaudlaire, von Ra<strong>in</strong>er Maria Rilke, von Gottfried Benn, von Wislawa Szymborska oder von

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!