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Würdigung grosser Persönlichkeiten vom ... - Christoph Blocher

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Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaSPERRFRIST: 15. September 2013, 16 Uhr<strong>Würdigung</strong> <strong>grosser</strong> <strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>vom</strong> ZürichseeJohann Kaspar Pfenninger (1760 - 1838)Conrad Ferdinand Meyer (1825 - 1898)Karl Landolt (1925 - 2009)und ihre Bedeutung für die heutige SchweizReferat anlässlich der Bettags-Kulturveranstaltung in Stäfa amEidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag, 15. September 2013von <strong>Christoph</strong> <strong>Blocher</strong>Es gilt das schriftliche und das mündliche Wort.Der Redner behält sich vor, auch stark <strong>vom</strong> Manuskript abzuweichen.www.blocher.ch, www.svp.ch, www.svp-staefa.chSeite 1 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaINHALTSVERZEICHNISI. Einleitung 31. Kulturveranstaltung 32. Lob der Zürichsee-Heimat 4II. Johann Kaspar Pfenninger (1760-1838): 5verbannt – verkannt – verehrt 51. Das Stäfner Memorial von 1794 72. Die Zeit der Verbannung 83. Sein Leben 94. Zürcher Regierungsstatthalter 105. Liberaler Regierungsrat 116. Politisches Vermächtnis 12III. Conrad Ferdinand Meyer (1825-1895): Poetisches <strong>vom</strong> Zürichsee 151. Gefährdetes Künstlerleben 172. Der Vater Ferdinand Meyer 183. Die Mutter Elisabeth Ulrich 194. Die geliebte Schwester Betsy 225. Im „Seehof“ Küsnacht 236. Im „Seehof“ Meilen 247. Gattin Luise Ziegler 258. Familienleben in Kilchberg 269. Verdunklung und Tod 29IV. Karl Landolt (1925-2009): Malerei in Licht und Schatten 311. Maler des Zürichsees 312. Vom Bäcker zum Künstler 333. Familienleben 344. Von der Nähe in die Ferne 355. Der Holzschneider 376. Natur und Heimatschützer 387. Ein „Stäfner Maler“ 398. Der Porträtist 409. Karl Landolt – wie ich ihn erlebte 41Seite 2 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaLiebe Stäfnerinnen und StäfnerLiebi Seemeitli und SeebuebeLiebe Zürcherinnen und ZürcherLiebe Frauen und Männer von nah und fernI. Einleitung1. KulturveranstaltungBild 1: Zürichsee <strong>vom</strong> Stäfner KehlhofWir treffen uns hier – anlässlich des Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettags –auf dem Stäfner Frohberg, in der „Halle für alle“.Nachdem ich schon über verschiedene <strong>Persönlichkeiten</strong> und deren Bedeutung fürdie heutige Schweiz im Berner Seeland, im Toggenburg, im Emmental und imZürcher Unterland gesprochen hatte, hielt man mir hier am Zürichsee etwasvorwurfsvoll entgegen: „Warum reist Du immer so weit herum und sprichst nichteinmal zu Deinen Landsleuten in der engeren Umgebung?“ Der Vorwurf sass. Als ichentgegnete, ich sei ja auch noch nie eingeladen worden, hatte ich flugs schon eineEinladung aus Stäfa im Haus. Und für jede Ausrede war’s zu spät…Und so stehe ich also vor Ihnen.„Warum sprechen Sie stets über <strong>Persönlichkeiten</strong>, die längst tot sind, gibt esdenn keine Zeitgenossen?“, so werde ich oft gefragt.Ich glaube, dass man <strong>Persönlichkeiten</strong> und ihr Werk erst nach dem Tod richtigbeurteilen kann.Oder: „Ist es nicht kleinlich, in der heutigen globalisierten Welt<strong>Persönlichkeiten</strong> aus kleinräumigen Verhältnissen zu würdigen?“. Das Leben<strong>grosser</strong> Menschen beginnt in der Region und strahlt dann hinaus in die ganze Welt.Aber die Landschaft prägt den Menschen.Seite 3 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaAber Ende des 18. Jahrhunderts wollten sich an vielen Orten die so genanntenUntertanen diese Zurücksetzung nicht mehr gefallen lassen. Der Durst nachFreiheit brannte – so im Kanton Zürich, vor allem am Zürichsee, amausgeprägtesten in Stäfa.Bild 4: Johann Kaspar PfenningerAls führende Persönlichkeit setzte sich insbesondere der Stäfner Chirurgus JohannKaspar Pfenninger an die Spitze des Widerstandes (Abb. 4).Dieser robuste und anerkannte Freiheitskämpfer war der Hauptverantwortliche fürden entbehrungsreichen und harten Kampf für die Freiheitsrechte derLandbevölkerung.So versammelte sich 1793 ein Dutzend angesehener Männer aus denSeegemeinden im Gasthof „Krone“ in Stäfa zu einer Lesegesellschaft – eineGesellschaft, die heute noch in Stäfa blüht.Dort las man in Zeitungen von den Ereignissen der französischen Revolution mitihrer Forderung nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.Und man forschte nach alten, urkundlich verbrieften Rechten des ZürcherLandvolkes.Schliesslich forderte Pfenninger die Beteiligten auf, ihre Unzufriedenheit mit all denBenachteiligungen zu Papier zu bringen.Kaspar Pfenninger forderte den schreibgewandten Stäfner Hafner (Ofenbauer)Heinrich Nehracher auf, das in der Lesegesellschaft gesammelte Material zuordnen und zu einer Bittschrift an die Obrigkeit zusammenzustellen.Seite 6 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaSo entstand schliesslich die Bittschrift des berühmten „Stäfner Memorials“(Abb. 6).Bild 6: Das Stäfner Memorial1. Das Stäfner Memorial von 1794Dieses so genannte „Stäfner Memorial“ – betitelt als „Ein Wort zur Beherzigung anunsere teuersten Landesväter“ – war in durchaus ehrerbietigem Ton abgefasst,forderte aber deutlich• das Ende des Zunftzwangs und somit Wirtschaftsfreiheit• Studierfreiheit• Gleichstellung im Militär• Entschuldung des Bauernstandes• Wiederherstellung früherer Freiheitsrechte• Auch fehlte nicht der Hinweis auf die unveräusserlichen Menschenrechte.Das Memorial wurde von der städtischen Obrigkeit schlecht aufgenommen.Es kam zu Untersuchungen, Vorladungen und Verhaftungen. Kaspar Pfenningermusste sechs Wochen ins Gefängnis und im erpresserischen Verhör auchNehracher als Verfasser des Memorials nennen.Schliesslich schickte der Grosse Rat Pfenninger für vier Jahre, Nehracher fürsechs Jahre in die Verbannung.Der sensible Nehracher starb als Verbannter im Elsass.Pfenninger musste seine Frau und sechs kleine Kinder verlassen – eine harteStrafe, die ihn verständlicherweise erbitterte.Seite 7 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 7: Wohnhaus von Kaspar Pfenninger2. Die Zeit der VerbannungKaspar Pfenninger durfte also sein Haus an der Chapf in Stäfa (Abb. 7) – wo nochheute seine Nachkommen wohnen, die sein Andenken pflegen und wo eineGedenktafel angebracht ist – nicht mehr betreten, auch nicht die heimatliche Erde.Zunächst hatte Pfenninger Glück im Unglück, denn das Verbannungsurteil wurdeanfänglich nicht allzu konsequent überprüft; so weilte er zeitweise bei seinerSchwester in Stein am Rhein und tauchte mehrmals heimlich bei seiner Familie inStäfa auf.Als die aufständische Gemeinde Stäfa am 5. Juli 1795 von 2000 Mann militärischbesetzt wurde, musste er in Frauenkleidern fliehen.Bild 8: Militärische Besetzung von StäfaDie Obrigkeit reagierte hart und fantasielos. Die Truppe marschierte ins völligfriedliche Stäfa ein, liess entwaffnen, verhaften, bestrafen (Abb. 8).Da Pfenninger verbannt war, war an seine Stelle der Stäfner und SäckelmeisterJohann Jakob Bodmer als Anführer des Aufruhrs getreten. Bodmer wurde alstodeswürdig verurteilt und musste auf dem Zürcher Richtplatz niederknien, woder Scharfrichter das Schwert über seinem Haupt schwang.Nur aus Gnade wurde dem Stäfner die Strafe gemildert – statt der Todesstrafeerhielt er lebenslänglich Gefängnis.Seite 8 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaZeitgleich wurden 267 Landleute mit Verbannung, Züchtigung, Pranger,Geldstrafen oder Verlust der bürgerlichen Ehren bestraft.Die Gemeinde Stäfa – damals hinter Zürich die bevölkerungsreichste desKantons – musste 63‘000 Gulden Strafe bezahlen und brach damit wirtschaftlichund kulturell zusammen.3. Sein LebenWer war dieser Mann, den man in Zürich nicht zu Unrecht als Drahtzieher jenerEreignisse vermutete, die später als „Memorial- und Stäfnerhandel“ in dieGeschichtsbücher eingingen und den man in Stäfa zurecht als Freiheitskämpferehrt?Bild 5: Werkstatt eines Zürcher WundarztesKaspar Pfenninger wurde 1760 als dreizehntes Kind des Säckelmeisters JakobPfenninger auf Dorf geboren. Sein Geschlecht war in Stäfa seit dem 14. Jahrhunderturkundlich verbürgt.Kaspar wurde zum Arzt bestimmt und durchlebte den damals typischenBildungsgang eines medizinischen Handwerkers: Schon als Elfjähriger wurde er zueinem Chirurgus nach Grüningen geschickt, wo er grösstes Heimweh litt, undabsolvierte nach „Lehr- und Wanderjahren“ sein Examen als Wundarzt (Abb. 5).Er heiratete die begüterte Müllerstochter Anna Elisabeth Schulthess, was ihn künftigaller existentieller Geldsorgen enthob.Seite 9 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaEs fällt auf: Die Landärzte spielten damals eine tragende Rolle unter den politischUnzufriedenen – neben Fabrikanten, Wirten, Müllern und andern Vertreter derdörflichen Oberschicht. Vielleicht darum, weil die Mediziner im Studium lernten,dass es kein vornehmes, blaues Blut gibt, sondern in allen Menschen dasselbe roteBlut fliesst.Bild 9 Befreiung des gefangenen Bodmer4. Zürcher RegierungsstatthalterErinnern wir uns, was in jenen Jahren in der Schweiz passierte:1798 marschierten, die Franzosen in die Schweiz ein und wurden in denUntertanengebieten als Befreier begrüsst.Unter diesem Druck musste auch in Zürich die städtische Obrigkeit abdanken. Deralte Bodmer wurde im Triumph aus dem Gefängnis geholt (Abb. 9) und zumSenator gewählt, alle Verurteilten des Stäfner Handels erhielten Amnestie, undKaspar Pfenninger wurde Zürcher Regierungsstatthalter mit fast diktatorischenVollmachten.Er war ein entschiedener Parteigänger der franzosenfreundlichen Befürworter deshelvetischen Einheitsstaates, die sich „Patrioten“ nannten. Wer will es ihmverübeln, dass er nach all den Erniedrigungen in der Vergangenheit diesem neuenEinheitsstaat nur allzu unkritisch gegenüberstand?Seite 10 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 10: „Steinhaus“ an der Zürcher KirchgasseAls Regierungsstatthalter residierte Pfenninger jetzt an der Zürcher Kirchgasse(Abb. 10).Er musste erkennen: Die Besatzung der Franzosen war nicht freiheitlich, sonderndrückend und teuer.Unter Pfenningers Ägide erfolgte die berüchtigte Deportation einiger konservativerStadtzürcher nach Basel. Auch bei ihm führte die Macht zu Rache.So scheiterte er schliesslich an seiner Aufgabe.Bild 11: Ustertag <strong>vom</strong> 22. November 18305. Liberaler RegierungsratSchlussendlich kehrte Kaspar Pfenninger Anfang 1800 wieder in sein HeimatdorfStäfa zurück und wurde Distriktstatthalter in Meilen. Nach einem erneuten Sieg derKonservativen wurde er nochmals gefangen genommen und einen Monat langin Schwyz inhaftiert.Seite 11 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaNapoleon begriff schlussendlich, dass er der Schweiz keinen zentralistischenEinheitsstaat überstülpen konnte. Er soll fluchend gesagt haben, die Schweizerwürden sich nicht für einen Zentralstaat eignen, liessen sich nicht führen und jederSchweizer rede dauernd dreist mit – was zum Glück bis heute so geblieben ist.Nachdem Kaspar Pfenninger mit seiner Frau noch das Fest der Goldenen Hochzeithatte feiern können, verstarb er 1838 als 77-Jähriger.Immerhin durfte er in den letzten Jahren die Früchte seiner schmach- undschmerzvollen Zeit ernten. Mit Freuden erlebte er den denkwürdigen, heute nochgefeierten Ustertag <strong>vom</strong> 22. November 1830 – wir sehen hier die Versammlungvon über 10‘000 Männern <strong>vom</strong> Land (Abb. 11).1831 erhielt der Kanton Zürich als einer der ersten Kantone eine liberaleVerfassung und 1848 mit der Gründung des Bundesstaates schliesslich auchdie Schweiz.Jetzt setzte sich die Freiheit für alle Bürger durch. Endlich fielen die Schrankenzwischen Stadt und ländlichen Untertanen.Äusseres Zeichen war die Schleifung der städtischen Befestigungsanlagen, waserst die spätere Ausweitung Zürichs zum schweizerischen Wirtschaftszentrumermöglichte.Bild 12: Pfenninger-Porträt am Stäfner Denkmal6. Politisches VermächtnisFür diese Entwicklung hat Johann Kaspar Pfenninger entscheidenden Verdienst. Inallem, was er tat, war er von der Mission der Freiheit durchdrungen. Hier sehen Siesein Bronzeporträt am Sockel des Stäfner Patriotendenkmals (Abb. 12).Seite 12 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaVon uns Nachgeborenen verdient dieser Mann höchsten Respekt, weil er alseiner der Ersten und Lautesten seine Stimme gegen das politische,wirtschaftliche und gesellschaftliche Unrecht erhob.Und wir, die Meinungsäusserungsfreiheit als Selbstverständlichkeit kennen, dürfennie vergessen: Dies geschah in einer Zeit – so hat es die Zürcher „Freitagszeitung“im Nachruf auf Pfenninger richtig bemerkt – als (Zitat) „solches Sprechen undHandeln noch an den Hals ging“.Bild 13: Stäfner „Patriot“Heute erinnert das 1898 eingeweihte Denkmal – das Sie hier sehen – (Abb. 13) mitdem kraftvollen Landmann, der die Ketten des Unrechts sprengt, an die StäfnerPatrioten, vor allem an Pfenninger, Nehracher und Bodmer.Und Johann Kaspar Pfenninger hat uns Nachgeborenen vor seinem Tod folgendespolitisches Vermächtnis zur Beherzigung hinterlassen:„Euch verlasse nie die Tugend der Vaterlandsliebe!Fasset Mut, wenn auch der Geist der Zeit in einen dunklen Wolkenschleier sichverhüllen sollte.Mit der Vorsicht der Weisen begegnet dem Übel der Zeit. Nicht die, die euerVaterland umgarnen, sind eure gefährlichsten Feinde. Selbstsucht im eigenenBusen ist der Würgeengel der Freiheit und des Vaterlandes.Seite 13 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaIn euren Herzen walte fort und fort der edle Gemeingeist, der unerschütterlicheSinn für Recht und Wahrheit, der Einmütigkeit und die Eintracht, die Liebe zuGott und dem Vaterlande. (…)Lebt ewig wohl!Der Geist des Allmächtigen segne euch und eure Kinder und Enkel! Er segneunser liebes, teures Vaterland!“Gerade in der heutigen Zeit ist der Kampf um die Freiheit hochaktuell. Von allenSeiten wird unsere Freiheit stückchenweise und beharrlich eingeschränkt.Ahmen wir das Beispiel Pfenningers nach: Nicht im Strome der Gleichgültigenmitschwimmen, sondern mutig die Stimme erheben, und die Missstände anprangern,um sie zu beseitigen – das ist auch das Gebot unserer Zeit.Seite 14 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaIII.Conrad Ferdinand Meyer (1825-1895): Poetisches <strong>vom</strong>ZürichseeBild 14 Porträt von C. F. Meyer von S. F. von LehnbachWenden wir uns nun einer ganz anderen Persönlichkeit unserer Region zu, die aufganz andere Weise für die heutige Schweiz von Bedeutung ist.Es ist Conrad Ferdinand Meyer (Abb. 14), der zwei Generationen nachPfenninger lebte, nämlich von 1825 bis 1898. Er gehört neben Gottfried Kellerund Jeremias Gotthelf zu den drei grossen Dichtern, die das Leben im 19.Jahrhundert in der Schweiz prägten.Allerdings liess sich Meyer nicht in die leidenschaftliche soziale und politischeAuseinandersetzung mit der Schweiz ein, wie das Gotthelf und Keller in ihrenWerken getan haben.C. F. Meyer widmete sich dem Zeitlosen. Ausgehend von der gewaltigenZürichsee-Landschaft reicht seine Dichtung in die Tiefe von Leben und Tod.Ich bin ja in einer ganz anderen Gegend als am Zürichsee aufgewachsen. Aber auchdort musste ich in der Primar- und Sekundarschule viele Gedichte – auch von C.F.Meyer – auswendig lernen. Ich tat es jeweils laut schimpfend und verfluchte denLehrer, der mir diese eintrichterte. Erst später merkte ich den Segen dieses –damals m.E. „stupiden“ – Auswendiglernens.Gerade seit ich hier am Zürichsee lebe, bin ich meinem Lehrer gerade für dieGedichte von Conrad Ferdinand Meyer dankbar.Wie oft sitze ich doch in meiner Klause und blicke grübelnd, versonnen oderschreibend über den See hinüber zu den Bergen, wo hell z.B. Vrenelis Gärtli oder dieBerner Oberländer Bergspitzen über den Wald ragen.Seite 15 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaUnd da fällt‘s mir ein und will mir nicht aus dem Sinn: Conrad Ferdinand MeyersGedicht „Das weisse Spitzchen“Ein blendendes Spitzchen blickt über den Wald,Das ruft mich, das zieht mich, das tut mir Gewalt:"Was schaffst du noch unten im Menschengewühl,Hier oben ists einsam! Hier oben ists kühl!“ (....)Oder in der letzten Strophe:Leis wandelt in Lüften ein Herdegeläut:"Lass offen die Truhen! Komm lieber noch heut."Was dieses Gedichtchen in sich hat, habe ich als Schüler nicht verstanden. Heuteweiss ich es.Oder nähere ich mich im Schiff der Insel Ufenau, tönt’s in meinen Ohren aus Meyers„Huttens letzte Tage“:„Schiffer! Wie nennst du dort im Wellenblau das Eiland?“ – „Herr, es ist dieUfenau!“„Ein grüner Ort. Dank, Zwingli, für die Rast, die Du, der Gute, mir bereitet hast!“(.....)Und bei einem Besuch der Kirche auf der Insel, wo Huttens Grab vor etlichen Jahrenentdeckt worden ist, entzückt einen stets Meyers unglaubliche Geschichtskenntnisund Geschichtstreue.Meine Gedanken sind aber auch bei Meyer, wenn ich in der Morgenfrühe über diefrischgesäten Felder am Pfannenstil gehe. Da bringt mich Conrad Ferdinand Meyers„Säerspruch“ zur Besinnung:Bemeßt den Schritt, bemeßt den Schwung!Die Erde bleibt noch lange jung!Dort fällt ein Korn, das stirbt und ruht.Die Ruh ist süß. Es hat es gut.Hier eins, das durch die Scholle bricht.Es hat es gut. Süß ist das Licht.Und keines fällt aus dieser Welt.Und jedes fällt, wie's Gott gefällt.Seite 16 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in Stäfa1. Gefährdetes KünstlerlebenJa, ein <strong>grosser</strong> Dichter <strong>vom</strong> Zürichsee mit weit über die Schweiz hinausragenderBedeutung auch für uns Heutige! C.F. Meyer war von ganz anderer persönlichenBeschaffenheit als der robuste Freiheitskämpfer Kaspar Pfenninger. Ihm eigen warnämlich eine äusserste Empfindsamkeit, er war seelisch immer hochgefährdet undvon scheuem Misstrauen gegen die Welt, gegen die Mitmenschen, ja auch gegensich selbst. Meyer war erblich und durch sein familiäres Umfeld psychisch schwerbelastet. Er war unsicher, neigte jederzeit zu Flucht, zu sich selbst, zurAbgeschiedenheit und Isolierung.Viel Dunkles, auch Krankes hat dieses Künstlerleben geprägt. Melancholie undWahnsinn lauerten im Hintergrund; am Anfang und am Ende von MeyersKünstlerlaufbahn stand das Irrenhaus – so nannte man damals psychiatrischeKliniken.Die Lichtstrecke seines Schaffens dauerte in seinem 70-jährigen Leben nur gerade15 Jahre.Aber für diese kostbaren Augenblicke des Lichts und für diese Augenblicke desTriumphs der Kunst, dafür hat Conrad Ferdinand Meyer gelebt und gelitten. In dieserZeit hat er uns historische Romane, Dramen, Novellen, vor allem aber seineGedichte geschenkt, die zum Schönsten und Wichtigsten gehören, was in derdeutschen Sprache je geschaffen wurde.Meyer lebte hauptsächlich am Zürichsee, blickte in Küsnacht, Meilen oderKilchberg <strong>vom</strong> Uferschatten ins Leben. Er sehnte sich zwar nach dem Leben,nahm daran aber nur von aussen teil. Ihn selber verlangte nach Ruhe. Und stetsstand der Tod in seiner Nähe.Seite 17 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 15: Regierungsrat Ferdinand Meyer2. Der Vater Ferdinand MeyerManches im Leben von Conrad Ferdinand Meyer ist zu erklären mit seiner Herkunft.Er wurde 1825 in eine wohlhabende Stadtzürcher Patrizierfamilie geboren, dieallerdings 1831, als sich das Gedankengut des Stäfner‘s Pfenninger durchsetzte, ihrepolitischen Vorrechte verlor.Meyer soll ein aufgewecktes, aber auch hoch empfindsames Kind gewesen sein, dasvon seiner Mutter und Grossmutter vergöttert wurde. Sein Vater, FerdinandMeyer (Abb. 15), war Jurist, Staatsschreiber, zeitweise Regierungsrat, Erziehungsratund Professor an der Kantonsschule für Geschichte und Geografie.Überhäuft von Geschäften und von schwacher Konstitution, verstarb VaterFerdinand Meyer bereits mit 41 Jahren – als Conrad 15 Jahre alt war!„Todesstoss“ – schrieb seine Gattin in ihr Tagebuch. Auch für Sohn Conrad war diesein schwerer, entscheidender Schlag; später wählte er aus Verehrung für seinenVater als zweiten Vornamen „Ferdinand“.Seite 18 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 16: Mutter Elisabeth, geborene Ulrich3. Die Mutter Elisabeth UlrichNun war der zunehmend nachdenkliche, schüchterne Junge einzig derschwermütigen Mutter Elisabeth, geborene Ulrich (Abb. 16), anvertraut. Siebelastete den Heranwachsenden mit allzu drückender pietistischer Frömmigkeit,mit Angst und Schuldgefühlen, verweigerte sich selber jede Zärtlichkeit,verzärtelte aber ihren Conrad und dessen jüngere Schwester Betsy imÜbermass.Diese Betsy war der Sonnenschein der Familie und für den versonnenen,zurückgezogenen Bruder übermässig das „Liebste“ auf Erden.Mit in der Familie lebte ein geistig behinderter, liebenswürdiger Hausgenosse ausvornehmem Genfer Geschlecht namens Antonin Mallet, dank dem der junge Meyerperfekt Französisch lernte.Seite 19 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 17: Jugendbild von C. F. MeyerMutter Elisabeth war mit dem pubertierenden Sohn Conrad (Abb. 17) totalüberfordert. Dieser kam im Gymnasium mit liberal-radikalem Gedankengut inVerbindung, was dem christlich-konservativen Denken der Mutter in die Quere kam.Manche Verwandte redeten dem störrischen Jungen zu, drohten ihm mitHöllenstrafen, oder er wurde kurzerhand verprügelt.Endlich forderte die Mutter den 27-Jährigen auf, in die Nervenklinik in Préfargieram Neuenburgersee einzutreten. Dort, unter verständigerer Betreuung, gewannConrad Ferdinand Meyer mehr Selbstvertrauen und fühlte sich ernst genommen. InLausanne fand er dann im Historiker Louis Vulliement einen Ersatzvater und dachtean einen Beruf, etwa Übersetzer oder Französischlehrer.Seite 20 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 18: Mutter Elisabeth als NonneNach der Heimkehr nach Zürich, machte sich Mutter Elisabeth grösste Vorwürfewegen ihres Erziehungsversagens. Ihre tiefe Frömmigkeit, verbunden mit fastklösterlicher Zurückgezogenheit, zeigt sich in diesem von ihr gewünschten Porträt innonnenartiger Tracht (Abb. 18).Ihre zunehmende Depression führte nun zu ihrem Eintritt in die NervenklinikPréfargier. Hier nahm sie sich bei einem Spaziergang in einem Anfall vonSchwermut das Leben, indem sie sich ertränkte.Der nun seinerseits von Schuldgefühlen geplagte Sohn schrieb in seinen späteren„Seegedichten“ oft von der Gegenwart der toten Mutter. So, wenn er schreibt:Eine liebe, liebe Stimme ruftMich beständig aus der Wassergruft –Weg, Gespenst, das oft ich winken sah!Sterne, Sterne, seid ihr nicht mehr da?Oder das Gedicht über „das Spätboot“, das damals über den Zürichsee in derDunkelheit verkehrte:Hüben hier und wieder drüben dortHält das Boot an manchem kleinen Port:Bei der Schiffslaterne kargem ScheinSteigt ein Schatten aus und niemand ein.Nur der Steurer noch, der wacht und steht!Nur der Wind, der mir die Haare weht!Schmerz und Lust erleiden sanften Tod:Einen Schlummrer trägt das dunkle Boot.“Seite 21 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 19: C. F. Meyer und Schwester Betsy4. Die geliebte Schwester BetsyDas Erbe erlaubte Conrad Ferdinand Meyer und seiner Schwester Betsy ein Lebenohne finanzielle Sorgen. Conrad Ferdinand Meyer liebte seine Schwester überalles. Sie sehen hier die einzige, leider unscharf geratene gemeinsame Fotografie(Abb. 19).Zusammen mit der begabten Betsy, die ihm zeitlebens von allen Menschen amnächsten stand, lebte er zwanzig Jahre in dem von ihr geführten Haushalt;überhaupt war sie seine verständnisvollste Gefährtin, Mitarbeiterin und Ermutigerin.Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass Betsy Meyer im späteren LebenGemütskranke betreute – unter anderem in Männedorf.Seite 22 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 20: „Seehof“ Küsnacht5. Im „Seehof“ Küsnacht1868 verliessen die Geschwister Meyer ihre Zürcher Behausung und bezogeneine schöne Wohnung im 1606 errichteten Patrizierhaus „Seehof“ in Küsnacht(Abb. 20), wo heute das C.G. Jung-Institut untergebracht ist. An diesem Wohnsitzvollzog sich Conrad Ferdinand Meyers Durchbruch zum Dichter. Er war bereits43-jährig! Von seinem Arbeitszimmer aus genoss Meyer den Ausblick auf dengeliebten See, auf Schiffe und Segelboote und aufs gegenüber liegende Ufer.Bild 21: Ulrich von Hutten von J. C. BosshardtDen dichterischen Durchbruch schaffte Meyer im ganzen deutschsprachigenRaum 1872 mit dem Werk „Huttens letzte Tage“. Hutten, der katholische Ritterund Schriftsteller des Humanismus, dem Reformator Zwingli die Ufenau alsSterbensort zugewiesen hat, durchlebt dort in der Erinnerung sein wechselvollesLeben in der dramatischen Zeit der Religionsstürme. Mit diesem Werk hatte sichConrad Ferdinand Meyer als Bilingue für die deutsche statt für die französischeSprache entschieden.Wir sehen hier Hutten auf der Ufenau im historisierenden Stil des 19. Jahrhunderts(Abb. 21).Seite 23 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 22: „Seehof“ in Meilen6. Im „Seehof“ Meilen1872 wechselten die Geschwister <strong>vom</strong> „Seehof“ in Küsnacht in den „Seehof“ inMeilen, wo sie bis 1875 den zweiten Stock des vornehmen Gebäudesbewohnten (Abb. 22). Es war Conrad Ferdinand Meyers fruchtbarste Zeit inseinem Dichterleben.Nach und nach entstanden nun auch seine epischen Werke mit grossenhistorischen Stoffen aus dem Mittelalter, der Renaissance, denGlaubenskriegen, wie „Das Amulett“, „Jürg Jenatsch“ oder die heitere Novelle„Der Schuss von den Kanzel“, deren Schauplatz der Zürichsee bot.Seite 24 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 23: Gattin Luise Ziegler7. Gattin Luise Ziegler1875 verliess der fünfzigjährige Meyer sein Haus und seine Schwester inMeilen, denn er vermählte sich mit Luise Ziegler (Abb. 23). Sie stammte wie er ausaltem Zürcher Geschlecht und war die Tochter des bekannten Stadtpräsidenten undObersten Eduard Ziegler, der die Zürcher Division im Sonderbundkriegerfolgreich kommandiert hatte.Der Junggeselle Gottfried Keller spottete – vielleicht etwas neidisch –, Meyer habenun glücklich „eine Million geheiratet“.Überhaupt ärgerte sich Keller, mit dem zusammen Conrad Ferdinand Meyer immeröfter genannt wurde, über die angeblich „ewigen siamesischen Zwillinge“ undüber die – Zitat – „Schweizerfirma Meyer & Keller“.Die zwölf Jahre jüngere Luise sorgte sich zwar aufopferungsvoll um ihrenKünstlergatten, hegte aber eine starke Eifersucht auf dessen Schwester Betsyund liess ihrem Mann kaum noch den ihm nötigen Freiraum.Seite 25 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 24: C. F. Meyer im Kilchberger Arbeitszimmer8. Familienleben in Kilchberg1877 bis zu Meyers Tod 1898 wohnte das Ehepaar Meyer-Ziegler im eigenenHaus auf aussichtsreicher Höhe in Kilchberg. Conrad Ferdinand selbst schriebüber sein Arbeitszimmer (Abb. 24):„Seebreite, ein Dutzend Kirchtürme, die ganze Flucht der Alpen. Es istgeradezu die schönste Aussicht am See.“Das junge Eheglück hatte er aber schon in Meilen im Gedicht „Zwei Segel“beschrieben:Zwei Segel erhellendDie tiefblaue Bucht!Zwei Segel sich schwellendZu ruhiger Flucht!Wie eins in den WindenSich wölbt und bewegt,Wird auch das EmpfindenDes andern erregt.Begehrt eins zu hasten,Das andre geht schnell,Verlangt eins zu rasten,Ruht auch sein Gesell.Seite 26 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 25: Rebgut „Auf Brunnen“, KilchbergIn diesem geräumigen Kilchberger Rebgut an der Alten Landstrasse (Abb. 25) hatConrad Ferdinand Meyer die meisten seiner Werke geschrieben. Hier wurde demEhepaar auch die einzige Tochter Camilla geboren. (Hier auf Bild 26 sehen Sie dieEltern Meyer mit Camilla.) Später wurde das Gebäude durch die Gemeinde Kilchbergangekauft, heisst heute Conrad-Ferdinand Meyer-Haus und dient als Ortsmuseum.Bild 26: Eltern Meyer mit CamillaAuch Camilla litt leider an der ererbten Melancholie und suchte später den Freitodim Zürichsee.Zuvor aber hatte sie den Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis für jüngere Forscher,Gelehrte und Künstler gestiftet.1997 war übrigens der Preisträger ein Stäfner. Er wurde geehrt für seine Verdiensteum die Medizingeschichte und hiess – <strong>Christoph</strong> Mörgeli!Seite 27 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 27: C. F. Meyer von Karl StaufferVon Kilchberg aus erschienen von C. F. Meyer – hier in einer Radierung von KarlStauffer (Abb. 27), Bern – wichtige Novellen und Dramen aus historischer Zeit. Sozurückgezogen und schüchtern Meyer selber war, so sehr zog es ihn literarischzu kraftvollen, lebenstätigen, geschichtsträchtigen Figuren, zu Leidenschaft,Liebe und Hass, Treue und Verrat, Macht, Raffinesse und Mord, zu den ganzgrossen, heldenhaften Gestalten der Geschichte und zu den bedeutsamenSchauplätzen der Vergangenheit.Gleichzeitig bearbeitete er aber auch seine feinsinnigen Gedichtbände. Erperfektionierte seine Poesie so sehr, dass zwanzigfache Überarbeitungenseiner Gedichte nicht selten waren. Zumindest ein Dutzend dieser Gedichtewerden stets zum Allerbesten gehören, was je in deutscher Sprache geschriebenwurde.Wer sich diese Gedichte verinnerlicht, dem öffnen sie die Augen für die Schönheitund die Zusammenhänge der Welt. Sie gehen beispielsweise mit ganz anderenAugen und einem beglückenden Gefühl an römischen Brunnen vorbei, wenn Sie C.F. Meyers Gedicht „Der römische Brunnen“ kennen.Aufsteigt der Strahl und fallend gießtEr voll der Marmorschale Rund,Die, sich verschleiernd, überfließtIn einer zweiten Schale Grund;Die zweite gibt, sie wird zu reich,Der dritten wallend ihre Flut,Und jede nimmt und gibt zugleichUnd strömt und ruht.Seite 28 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaDem einstigen Sonderling wurde jetzt die gesellschaftliche Anerkennung imAusland, aber auch in zahlreichen Zürcher Gesellschaften in reichem Massezuteil.Zum Tode von Gottfried Keller, der 1890, also 8 Jahre vor C.F. Meyer, starb, schriebMeyer:„Am meisten aber und gewaltig imponierte mir seine Stellung zur Heimat,welche in der Tat der eines Schutzgeistes glich: er sorgte, lehrte, predigte,warnte, schmollte, strafte väterlich und sah überall zu dem, was er für rechthielt.“Bild 28: C. F. Meyer im Alter9. Verdunklung und Tod1892 wurde Conrad Ferdinand Meyer von einer Altersdepression und wohl auch voneiner Alterspsychose ergriffen, was die Einlieferung in die Klinik Königsfeldennötig machte. Zurück in Kilchberg, lebte er äusserst zurückgezogen in geistigerDunkelheit (Abb. 28).Ein hässlicher Streit zwischen Ehefrau und Schwester überforderte ihn undverdüsterte ihm die letzten sieben Lebensjahre.An einem milden Herbsttag wurde Conrad Ferdinand Meyer 1898 von seinemLeiden erlöst. Er fand die letzte Ruhe auf dem Friedhof Kilchberg über demgeliebten Zürichsee.Seite 29 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaUnd die Kirche Kilchberg, die ich heute von meinem Heim aus sehe, beschäftigtmich vor allen an den Samstagen, wenn rund um den See die abendlichen Betzeit-Glocken läuten. Wer am Zürichsee wohnt, weiss es: Der abendliche Sonnenscheinweicht nicht in allen Dörfern am See zur gleichen Zeit. Je nach Lage dunkeln dieeinen Dörfer früher ein als die anderen. Und die Kirche Kilchberg hoch oben isteine der letzten am linken Seeufer, die in die Dunkelheit versinkt.C.F. Meyer hat dies in einer für seine Empfindsamkeit typischen Art wundervoll imGedicht „Requiem“ verewigt. Und schon ist es wieder da:Bei der Abendsonne Wandern,wann ein Dorf den Strahl verlor,klagt sein Dunkeln es den andernmit vertrauten Tönen vor. (...)Und zum Schluss:Noch ein Glöcklein hat geschwiegenVon der Höhe bis zuletzt.Nun beginnt es sich zu wiegen,Horch, mein Kilchberg läutet jetzt.Seite 30 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaIV.Karl Landolt (1925-2009): Malerei in Licht und SchattenBild 29: „Und über dem See die Wolken“, Öl auf Leinwand, 1965Wenden wir uns ab von Conrad Ferdinand Meyer. Er hat uns trotz – oder vielleichtgerade wegen – seiner psychischen Krankheit so viel prachtvolle Poesie aus derZürichsee-Gegend in die Welt gebracht. Gehen wir weiter zu einem Maler, der Lichtund Schatten in der Malkunst verewigte. Es ist der Stäfner Karl Landolt!1. Maler des ZürichseesGenau hundert Jahre nach Conrad Ferdinand Meyer – nämlich 1925 – erblickte KarlLandolt in Stäfa das Licht der Welt.Damals konnte Landolt allerdings noch nicht wissen, dass er genau vierzig Jahrespäter, 1965, mit dem Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis ausgezeichnet werdensollte.Die vielleicht liebste Stelle in Meyers Werk war für Landolt das Hutten-Gedicht, woMeyer in der ersten Fassung den Zürichsee als „hellsten See der Schweiz“beschreibt.Landolt selber empfand das Licht des Zürichsees als „südlich“, ganz besondersin der Zeit des Vorfrühlings. Trotz starker Überbauung der Uferpartien bot der Seeseinem Malerauge ein ständig wechselndes Naturschauspiel einer lichtenAtmosphäre.Genau wie der See die ihn umgebende Landschaft prägt, so ist der See es auch,der auf Landolts Bildern wohl am meisten vorkommt. Oft – wie hier – im Bild 29„Und über dem See die Wolken“ im <strong>vom</strong> Künstler so geschätzten Quadratformat.Seite 31 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaKarl Landolt malte, zeichnete oder aquarellierte den See <strong>vom</strong> Landungssteg aus,oder – wie bei diesem Bild (Abb.30) – in einem Ruderboot. Sehen Sie die FreudeLandolts am Licht!Bild 30: „Uf em See am halbi nüüni“, Öl auf Leinwand, 1980Auf der offenen Wasserfläche ist 1980 dieses Aquarell entstanden, wo zwischenHimmel und See einzig die Schiffe und die Uferpartie ein Grössenmass in die weiteLandschaft legen. Oft sass der Maler mit seiner Staffelei an der Stäfner Haab, undman konnte auf den Bildern seinem Blick direkt von Ufer zu Ufer folgen. Das Wasserbildete für Karl Landolt den zuverlässigsten Spiegel aller atmosphärischenVeränderungen. Da Wasser ohne eigene Farbe ist, spiegelt es immer nur Licht- undFarbreflexe der Umgebung. Jede Wolkenbewegung, jeder Windstoss, jederSonnenstrahl verändert die Wasserfläche schlagartig.Seite 32 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 31: „Mein Vater in der Backstube“, Öl auf Leinwand, um 19502. Vom Bäcker zum KünstlerKarl Landolt wurde im Frühling 1925 in eine tüchtige Bäcker-Konditorenmeister-Familie in Stäfa geboren. Nach der Schule absolvierte er in den Kriegsjahren imelterlichen Betrieb eine Berufslehre als Bäcker und Konditor. Doch schon frühregte sich sein zeichnerisches und malerisches Talent, und Karl Landolt durfte sichseit 1945 an der Kunstgewerbeschule Zürich zum professionellen, akademischgeschulten Kunstmaler ausbilden. Nach einer Weiterbildungszeit in Paris und demStudium als Gymnasiallehrer für das Fach Zeichnen, führte er zunächst ein„Doppelleben“ als Bäcker-Konditor in der väterlichen Backstube – hier sein VaterCharles-Henri 1950 bei der Arbeit (Abb. 31) – und als Kunstmaler. Späterunterrichtete Landolt in einem halben Pensum als Kunstlehrer an der WinterthurerKantonsschule, wo er bis zur Pensionierung unterrichtete. Das halbzeitige Lehramterlaubte ihm fortan, sich ganz seiner Kunst zu widmen, was damals immerhin einWagnis bedeutete. Dies umso mehr, als er inzwischen eine eigene Familiegegründet hatte.Seite 33 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 32: „Familienbild“, Öl auf Leinwand, 19583. Familienleben1950, anlässlich seiner ersten Hollandreise, hat Karl Landolt Rie Hennink kennenund lieben gelernt. Sie war ihm künftig lebenslang eine einzigartige Stütze mitviel Verständnis für seine Künstlernatur, sie umsorgte die wachsende Familie,arbeitete hart in Haus und Garten, war Managerin, Chauffeurin und unterstützteihn auch beim lebensnotwendigen Verkauf seiner Bilder. Nacheinanderentsprossen der Ehe fünf Kinder (Abb. 32)In der umgebauten Scheune des grossmütterlichen Hauses im „Grund“ in Stäfahatte Karl Landolt schon 1949 sein Atelier errichtet, und zehn Jahre späterkonnte die Familie daneben auch das grossmütterliche Wohnhaus beziehen.Dieses offene Haus an der Grundstrasse war für Besucher ein Faszinosum: Einscheinbares Durcheinander von Obstkörben, Blumentöpfen, Einmachgläsern,Kinderspielzeug, an den Wänden Bilder verschiedenster Künstler, in der KücheBackmodel, auf Stühlen stapelweise Kataloge, Bücher, Zeitungen. Alles zeugtevon Leben, Vielfalt, Betriebsamkeit, vor allem aber von Arbeit.In Landolts Bildern wurde jedes Wirrwarr übersichtlich, das Durcheinander ruhig. Woer ein Motiv bildhaft sehen konnte – so sagte er selber – fühlte er sich daheim.Sonst leide er.Seite 34 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 33: „Herbstsegen“, Öl auf Leinwand, 20014. Von der Nähe in die FerneDas örtliche Zentrum seiner Themenwelt bildete zunächst sein Zuhause. DasStillleben häuslicher Motive bot den am engsten gefassten bildnerischen Ausdruck.Karl Landolt malte immer neue Variationen von Stillleben mit Früchten jeder Art,einzeln daliegend, mehrere auf einem Tischtuch, auf einem Teller oder Trauben inAuslage am Fenster (wie hier im „Herbstsegen“ von 2001), Kuchen oder Käse(Abb 33). Einmal musste die versammelte Familie sogar auf den bereitsaufgetischten Sonntagsbraten verzichten, um Vater Karl nicht das Motiv zurauben… Landolt stellte die Motive nicht bewusst zusammen, sondern bildete inerfrischender Naivität Situationen des Alltags ab.Bild 34: „Kinderzimmer“, Öl auf Leinwand, 1958Vom Stillleben weitete sich Karl Landolts Blick auf den Innenraum, auf denfamiliären Lebensraum, etwa hier im Bild „Kinderzimmer“ (Abb. 34). Trotz derUmgebung in einem Zimmer, wo es wohl äusserst lebhaft zuging, spüren wir dieRuhe, die Geborgenheit, die Einheit.Seite 35 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 35: „Rittersporn und Hundskamille“, Öl auf Leinwand, 1980Die Linse des Sehens öffnet sich weiter: In der nächsten Umgebung von LandoltsHaus, im üppig bewachsenen Garten, boten Blumen, Wiesen, Gemüse,Beerensträucher und Obstbäume einen unendlichen Motivschatz. Mitten in derGartenarbeit legte Landolt zuweilen die Schere weg und griff zu Zeichenstift, Pinselund Farben. Die sommerlichen Blumenbeete zeigten sich in leuchtenderFarbenpracht, wie hier auf dem Ölbild „Rittersporn und Hundskamille (Abb. 35).An einem solchen Bild arbeitete Landolt oft über Monate, liess es lange stehen,nahm es sich wieder vor, veränderte und verbesserte.Bild 36: „Blühendes Aprikosenbäumchen“, Öl auf Leinwand, 1982Vom Garten und der nächsten Hausumgebung mit dem Astwerk des blühendenAprikosenbäumchens (Abb. 36) geht der Blick hinaus in die Quartierlandschaft undweiter zu den beiden Kirchtürmen, hier im Frühjahr 1982. Ein Bild des grossennatürlichen Optimismus.Seite 36 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 37: „Sibni-Schiff“, Öl auf Leinwand, 1969Und schliesslich weitet sich die Perspektive nochmals weiter aus und wird zureigentlichen Landschaftsmalerei, wo etwa die Rebberge von Stäfa und Ürikon imJahreswechsel vielfältigste Motive anboten. Beim Seegemälde „Sibni-Schiff“ (Abb.37) bilden nur gerade Kursschiff und Uferpartie ein abschätzbares Mass;ansonsten verlieren sich See, Horizont und Himmel in der von Karl Landoltbesonders gern und variantenreich eingesetzten Farbe Gelb in der Unendlichkeit desRaumes.Bild 38: „Chälbli-Puur“, Holzschnitt, um 19555. Der HolzschneiderDoch nicht nur im Zusammenspiel von Licht, Schatten und Farbe, auch in derZeichnung und besonders im Holzschnitt, auch im Farbholzschnitt, brachte esKarl Landolt zu wahrer Meisterschaft. Der Holzschnitt zwingt ganz besonders zurBeschränkung auf das Wesentliche. Grossartig in der Reduktion undAussagekraft ist der „Chälbli-Puur“ (Abb. 38), ein von der Arbeit gezeichneter, inGedanken versunkener Bauer, der sein widerstrebendes Kälbchen kraftvoll unddennoch geduldig hinter sich herzieht. Das Bild strahlt neben der Ruhe desbäuerlichen Tagwerks auch etwas Fröhliches, ja Humoristisches aus.Seite 37 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 39: „Milchmaa Wäber“, Farbholzschnitt, 1962Ebenso gelungen scheint mir der Farbholzschnitt „Milchmaa Wäber“ (Abb. 39). Deralte Mann gibt im Porträt von hinten – eine Spezialität von Karl Landolt – fastmehr von sich preis als von vorne, nämlich die Beschwernisse, aber auch dieSinnhaftigkeit eines langen, arbeitsamen Lebens. Das Holzschneiden ist mehrnoch als das Malen Handwerk im besten Sinne, genau wie es zu Karl Landoltpasste, der zeitlebens stolz war, als Bäcker-Konditor ein währschaftes, ja einnahrhaftes Handwerk gelernt zu haben.Bild 40: „Corporation Romoos“, Tusche/Pinsel, 19776. Natur und HeimatschützerKarl Landolt war beileibe kein Politiker, aber er war keineswegs unpolitisch. Ihninteressierte und faszinierte die direkte Demokratie, die Möglichkeit der Bürger,sich einzubringen, die Meinung zu sagen und – wo nötig – unbequem zuopponieren. Er malte gerne Gemeindeversammlungen oder – wie hier – eineSitzung der Korporation Romoos im Entlebuch (Abb. 40). Die Natur lag ihm nahe.So gehörte er zur lautstarken und glücklicherweise siegreichen Opposition, welcheeine Überbauung der Rebhänge Lattenberg und Sternenhalde verhinderte.Seite 38 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaAls ein Architekt und Gemeinderat die Seebadi Lattenberg mit einem weit in den Seeragenden Pier schmücken wollte, nannte Landolt diesen Pier eine „Pier-Idee“. Unddas Projekt verschwand auf immer in der Schublade.Bild 41: „Lattenberg und Mutzmalen im Schnee“, Tusche/Pinsel, um 19747. Ein „Stäfner Maler“Auch wenn sich Karl Landolt mit seiner Heimat- und Wohngemeinde Stäfa engverbunden fühlte (hier eine schöne Tusche/Pinsel-Darstellung <strong>vom</strong> Lattenberg undMutzmalen im Schnee – Abb. 41), und obwohl er für viele Stäfnerinnen und Stäfner„ihr“ Maler war und heute seine Ölbilder, Aquarelle und Holzschnitte in vielen StäfnerStuben hängen: Landolts Wirkungsstätte bestimmte nur den Schauplatz seinerWerke, er strebte die allgemeine Gültigkeit an. Er war eher unglücklich, wennseine Arbeiten nur deshalb gewürdigt wurden, weil der Bildgegenstand, das lokaleMotiv, erkennbar war. Darum konnte Karl Landolt unwillig werden, wenn Stäfner beiseinen Bildern entzückt ausriefen: „Sieh nur, die Mutzmalen <strong>vom</strong> Häxentanz aus!“Oder: „Jööö, das Itziker Hüüsli!“Stäfa hat sich <strong>vom</strong> ländlichen Dorf zur Stadt mit über 14‘000 Einwohnern gewandelt.Obwohl grossflächige Überbauungen das Wiesland zerstückeln und die Naturgefährden, lebte Karl Landolt mit seiner Frau Rie in fast bäuerlicher Atmosphäre, wosich die Malerei ganz natürlich einfügte. Die Natur seines Gartens bewahrte sich,und so lebte er schon fast in einer Art Gegenwelt. Der Zersetzung,Aufspaltung, Spezialisierung setzte Landolt seine ganzheitlicheLebensauffassung entgegen.Seite 39 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 42: Skizze von <strong>Christoph</strong> <strong>Blocher</strong>, 20088. Der PorträtistIch selber bin Karl Landolt 1972 erstmals begegnet. Damals war ich Präsident derMittwochgesellschaft Meilen und wir organisierten die Ausstellung „Züri Land“, fürdie Landolt in der Jury sass. Seither kannten und schätzten wir einander. 2008fragte meine Frau seine Frau – es soll ja immer der stärkere Teil verhandeln! –, obLandolt bereit wäre, für die so genannte Zürcher „Ahnengalerie“ im Kaspar-Escher-Haus ein Porträt von mir zu malen. Und das kam so: 1930 hat ein reicherKaufmann dem Kanton ein Legat gestiftet, um Porträts aller ZürcherRegierungs- und Bundesräte malen zu lassen, wo sie seither denn auch imKaspar-Escher-Haus hängen. Mittlerweile ist der Fonds allerdings aufgebraucht, sodass der „Tages-Anzeiger“ zum vorgesehenen Gemälde einer aus Ürikonstammenden Politikerin etwas respektlos titelte: „Das Geld reicht nur für einehalbe Aeppli“.Karl Landolt war einverstanden, mein Porträt zu malen. So fuhr seine Frau Rie denKünstler zu uns nach Herrliberg, wo er Skizzen im Freien anfertigte und mir verhiess,er würde mich ernsthaft blickend abbilden und die markante Unterlippe nicht allzusehr betonen.Seite 40 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaBild 43: <strong>Christoph</strong> <strong>Blocher</strong>, Öl auf Leinwand, 2008Da der mittlerweile 83-jährige Künstler seine Staffelei nicht mehr herumschleppenmochte, vollendete er das Bild in seinem Atelier. Vorher hatte er sich aber meinGesicht, meine Haltung und die Umgebung genau eingeprägt – „auswendiglernen“, nannte er das. Tatsächlich blicke ich jetzt in der Zürcher Ahnengalerie ohneLächeln, dafür vor einer weit ausladenden Landschaftskulisse (Abb. 43). Da ichwusste, dass Landolt kein typischer Porträtist, kein Maler der erzwungenen Posewar, fehlt dem Porträt zu meiner Freude das Schwere, Dumpfe und Langweilige.Bild 44: Karl Landolt im Alter, Fotografie9. Karl Landolt – wie ich ihn erlebte (Abb. 44)Karl Landolt hatte es nicht nötig, sich gegen aussen als exaltierten Künstler zugeben. Er trug einfache, zweckmässige Kleidung, oft eine Dächlikappe, war vonSeite 41 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in Stäfafeingliedriger Gestalt und ruhig und bestimmt in seinen Bewegungen. Seineaufmerksamen, hellen Augen schienen immer ein Motiv zu erspähen.Über sein Werk und über das anderer Künstler sprach er überlegt, abwägend,kritisch, vor allem aber selbstkritisch.Es war ein Genuss, seinen Erklärungen zu lauschen, denn zu jedem Bild gehörte einspannendes Erlebnis. Landolts schöne Zürichsee-Mundart war bildhaft undtreffsicher.Er konnte sehen, und er konnte staunen. Brüche der Stilrichtungen gibt es bei ihmüber Jahrzehnte kaum, obwohl er zweifellos künstlerisch auch gekämpft undgerungen hat. Im Jahr 2009 ist Karl Landolt nach seinem reich erfüllten Lebenverstorben.Bild 45: Bilder von Landolt im AtelierWas bleibt, ist sein Werk.Auch heute noch lagern manche seiner Bilder im Stäfner Atelier (Abb. 45) undkönnen auch erworben werden. Ich bin vor dem Referat gefragt worden: „Hatdenn auch Karl Landolt als typisch regionaler Kunstmaler eine Bedeutung fürdie heutige Schweiz?“Seite 42 von 43


Schriftliche Fassung 13.09.2013Bettags-Kulturveranstaltung <strong>vom</strong> 15. September 2013 in StäfaIch habe diese Frage mit Überzeugung bejaht. Unser Land, und das ist gerade seineStärke, besteht aus verschiedensten Regionen und Landesteilen. Überall treffen wirauf unterschiedliche Landschaft und auf andere Menschen. Wir kennen zumGlück keine Nationalkunst, keine Nationalmaler und haben auch keineNationalgalerie.Wir danken Karl Landolt für seinen Beitrag. Wie ein anderer <strong>grosser</strong> SchweizerMaler hat Landolt sein Land für Studien in Paris verlassen, ist in die Heimatzurückgekehrt, hat in einer ländlichen Umgebung gearbeitet und eine grosseFamilie mit Fleiss und Disziplin ernährt – ich spreche von Albert Anker. Und wieAlbert Anker es tat, könnten wir auch über die uns froh stimmenden Bilder vonKarl Landolt die trostreiche Devise Ankers setzen: „Siehe, die Welt ist nichtverdammt!“Ich danke Ihnen.Seite 43 von 43

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