Die Direktmaschine der AustrianAirlines nach Tokyo ist halb leer.Ich sitze neben einer Wiener Geologin,die ein Billigangebot nützt, um erstmalsfür vier Tage nach Japan zu reisen. ImLauf der Unterhaltung gesteht sie, dasssie die Erdbebenwerte der letzten zweiWochen studiert habe und sich nichtnördlich von Tokyo aufhalten wolle.Ich spreche einen Österreicher im Flugzeugan, der seit vielen Jahren Geschäftsverbindungennach Japan hat. Es wärefür ihn überhaupt keine Fragegewesen, nach Tokyo zu reisen.Man müsse den MenschenMut machen, für Alternativenergienzu kämpfen.Erwartungsvoll trete ich 12Stunden später aus der Flughafenhalleund fahre mit dem Busnach Tokyo. In der Metropolegeht das Leben seinen normalenGang. Nichts weist im Momentauf eine drohende oderexistente Gefahr hin, keinerleiNervosität unter den Menschenauf der Straße ist zu bemerken.Mit großer Dankbarkeit werde ichvon Vertretern der Gemeinde Tokyo-Fuchu und Freunden empfangen. Ichkomme zu einem Zeitpunkt, wo vieleAusländer längst geflüchtet sind – jetzt,wo nach der Dreifach-Katastropheauch noch die japanischen Firmen inThailand vom Hochwasser weggeschwemmtwerden und der hohe Yen-Kurs die Wirtschaft zusätzlich schwächt.„Das Unglück ist auf allen Ebenen überuns hereingebrochen“, stöhnt ein alterFreund.Die extreme Krise hat die Menschenverändert. Ich erlebe Unsicherheit, Unbehagen,Frustration. Aber ich nehmeauch die ungeheure Solidarität mit denOpfern wahr. Nach 28 Jahren Japanerfahrungmuss ich diesmal nicht zwischenden Zeilen lesen sondern binohne lange Fragen stellen zu müssen mitemotionalen Schilderungen der Menschenkonfrontiert. Das ist neu für mich.Die Regierung habe beim Krisenmanagementversagt und es gäbe nochimmer keine zentral gelenkten Maßnahmen,um die riesigen Schuttmengenzu beseitigen, wird offen kritisiert.Auf meiner Fahrt entlang der Küste derPräfektur Miyagi sehe ich tatsächlichBerge von Autowracks und Bauschutt,gestrandete Schiffe, Häuser- und Fabriksruinen.Tokyo hat als erste Präfekturangeboten Schutt aufzunehmen. Dieerste Ladung landete Anfang Novembermedienwirksam in der Hauptstadt.Doch in vielen Präfekturen bombardierendie BewohnerInnen die lokalenStellen mit Anrufen, weil sie Angst vordem möglicherweise kontaminiertenMüll haben.In der Stadt Ishinomaki, ca. 50 kmnordöstlich von Sendai, zieht sich eineSpur der Verwüstung durch das Küstenviertel.Die Uhr auf dem vom Schlammbefreiten Volksschulgebäude zeigt14h48, den Zeitpunkt des Bebens. EineLinie an der Decke des Erdgeschoßesweist auf die Höhe des Tsunami hin. Als ich noch einige verdreckte Schultaschenentdecke, muss ich geschocktdas Gebäude verlassen. Eine Gruppeehrenamtlicher HelferInnen stapft anmir vorbei. Die meist jungen Leuteziehen sich um und verlassen in Bussendie Stadt. Die Koordination der vielenFreiwilligen klappt oft nicht, da in vielenFällen niemand für sie zuständig ist,erfahre ich. Letztlich funktioniert Eigeninitiativeam besten. Etwa die Hälfteder Betriebe im Katastrophengebiet istzerstört. Diese wieder aufzubauen, istRegierungssache. Die Menschen braucheneine Perspektive. Schon jetzt steigtdie Selbstmordrate in den betroffenenGebieten, neben derwirtschaftlichen wird die psychologischeHilfe wird immerwichtiger.Ich hatte es mir nicht vorstellenkönnen. Doch Shinjuku liegtabends tatsächlich im Halbdunkel,wie es mir beschriebenworden war. Als eines der pulsierendenZentren Tokyos wares mir nachts als stets von buntenNeonreklamen erhelltesViertel in Erinnerung. Jetzt istauch die Hauptstadt – sowohl die Unternehmenals auch die Bevölkerung -aufgerufen Strom zu sparen. Tatsächlichlag die Energieersparnis im vergangenenSommer bei 15%. Die Kapazitätender Elektrizitätswerke und damit dieVerordnungen zur Stromnutzung sindregional unterschiedlich. Ziel ist esderzeit, keines der momentan still stehendenAKWs – bemerkenswerte 80%- wieder hochzufahren. „Zum Glückist der heurige Herbst sehr warm“,fürchten Freunde bereits den kommendenWinter, wenn in den Haushaltenund Büros die elektrischen Heizgerätein Betrieb genommen werden. „Wirmüssen unsere Lebensweise neu überdenken.Die Frage ist, wie wir von unseremLuxus wegkommen,“ dermaßenselbstkritische Kommentare sind keineEinzelfälle mehr.Ein Lebensmitteleinkauf in Tokyowird zu einer zeit- und kräfteraubendenUnternehmung. Auf meine Frage
nach ihrem Angebot aus Fukushimaund Ibaragi erklärt mir die Gemüsehändlerin,ihre Ware sei selbstverständlichüberprüft. Ja, die Kunden würdenauch fragen. Ob sie kaufen oder nicht,müsse letztlich ihr „Herz“ entscheiden.Tatsächlich gibt es in Supermärktenneben Produkten aus Fukushima Aufrufe:„Mit Ihrem Einkauf unterstützenSie das Krisengebiet“. Vor allem fürMütter mit heranwachsenden Kindernist das eine Ungeheuerlichkeit. Oftfindet man die Herkunftsbezeichnungdes Gemüses nicht neben der Preistafelsondern kleingedruckt auf der Packung.Bei Fisch ist die gesetzliche Lageso, dass der Fangort oder der Hafen, andem der Fisch an Land gebracht wird,aufscheint. Für Konsumenten, die Sorgehaben, einen kontaminierten Fischzu kaufen, ist es damit schwierig festzustellen,aus welcher Region der Fischgenau stammt. In Fachkreisen gelten allerdingsnur wenige Fischarten als vonder radioaktiven Verstrahlung betroffen.Die öffentlich-rechtliche TV-AnstaltNHK, die für ihre seriösen Recherchenbekannt ist, schickt regelmäßigReporterInnen nach Fukushima, weildie Touristen auch an höchst beliebtenFremdenverkehrsorten ausbleiben.Mütter mit Kleinkindern werden dortinterviewt. Es gehe ihnen gut und –„bitte kommen Sie doch wieder zuuns“! Lokale Spezialitäten werden präsentiertund vor laufender Kamera vomjeweiligen Reporter verkostet: Günstigund guuut!Anfang November wurde erstmals einSystem vorgestellt, das den Boden inFukushima und anderen betroffenenGebieten dekontaminieren soll. DieFirma Toshiba, die in der japanischenAtomenergie eine wichtige Rollespielt, hat ein bewegliches System erfunden,das bei Versuchen in Fukushimaden Cäsiumgehalt im Boden aufunter ein Zehntel des ursprünglichenWertes verringert hat. Dabei wird dasCäsium mittels saurer Wasserlösungausgewaschen, das kontaminierte Wasseranschließend aufbereitet und wiederverwendet. Das System soll im Frühjahr2012 regulär in Betrieb gehen.Ein langer Weg steht noch bevor. Wohinwird Japan gehen?Dorit Illini-Ganster Musikverein 19:30 UhrZur Feier des 200-jährigen Geburtstages von Guiseppe Verdi:Verdi Concert Choir of Japan & Ambassade Orchester Wien,Dirigentin: Tomomi Nishimoto im Leopold Museum,Meisterwerke aus der Sammlung Genzō Hattori, kuratiert von Diethard Leopold.Die Ausstellung „Japan – Fragilität des Daseins“ zeigt erstmals in Österreich eine repräsentativeAuswahl von ca. 50 Meisterwerken der traditionellen japanischen Tuschmalerei (Sumi-e) undKalligraphie (Shodō) aus der Sammlung Genzō Hattori. Die Sammlung befindet sich im Privateigentumvon Frau Toyoko Hattori, der Schwiegertochter von Genzō Hattori, und umfasstWerke vom 12. bis zum 20. Jahrhundert. Noch nie zuvor war diese außergewöhnliche Sammlungöffentlich zu sehen. Ergänzt wird die Schau mit ebenfalls noch nie gezeigten japanischenFarbholzschnitten aus der Sammlung Leopold II vom 17. bis 20. Jahrhundert. Ebenfalls zu sehensind Fotografien von Katsuhiro Ichikawa aus Fukushima sowie Arbeiten von Kyoko Adaniya-Baier, Margit Hartnagel, Roman Scheidl, Kurt Spurey und Marko Zink.Nähere Informationen: www.leopoldmuseum.orgLeopold Museum, MuseumsQuartier Wien, Museumsplatz 1, 1070 Wienbis 18. Februar 2013, täglich außer Di 10.00-18.00 Uhr, Do bis 21.00 Uhr Vortrag über eine Pilgerreise zu den 88 Tempeln auf der Insel Shikoku von Oswald Stock. FürÖJG Mitglieder in der Residenz SE, des Jap. Botschafters Herrn Shigeo Iwatani