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Vertreibung und Völkerrecht - Sudetendeutsche Landsmannschaft ...

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Klosterneuburg, 16. September 2007VERTREIBUNG UND VÖLKERRECHTVon Alfred de ZayasMeine sehr verehrten Damen, meine Herren.<strong>Vertreibung</strong> ist Völkermord –Aber nicht nur Völkermord. Sie ist auch Verbrechen gegen dieMenschheit, Rassismus, Terror.<strong>Vertreibung</strong> ist völkerrechtswidrig heute – <strong>und</strong> sie war es auch imJahre 1945. Sie verletzt nämlich die Haager Konvention Nummer 4von 1907 <strong>und</strong> die Genfer Konvention Nr. 4 von 1949, insbesondereArtikel 49. Sie ist inkompatibel mit der EuropäischenMenschenrechtskonvention <strong>und</strong> ihrem Protokoll Nr. 4, Sie istinkompatibel mit dem UNO Pakt über bürgerliche <strong>und</strong> politischeRechte, mit dem UNO Pakt über wirtschaftliche, soziale <strong>und</strong>kulturelle Rechte, mit der Konvention über die Eliminierung allerFormen der Rassendiskriminierung, usw. Sie ist als Verbrechenkodifiziert – <strong>und</strong> zwar verletzt sie Artikel 6, 7 <strong>und</strong> 8 des Status desInternationalen Strafgerichthofs.In ihrer Resolution 47/121 vom 18. Dezember 1992 hat die UNOGeneralversammlung die ethnischen Säuberungen, die seinerzeit inJugoslawien stattfanden, als Völkermord eingestuft. DieseResolution wurde bestätigt <strong>und</strong> bekräftigt in Resolutionen 48/143vom Dezember 1993, 49/205 vom Dezember 1994, 50/192 vomDezember 1995, 51/115 vom März 1997, usw.Der erste Hochkommissar für Menschenrechte Dr. Jose AyalaLasso hat sich mit den ethnischen Säuberungen in Jugoslawienbeschäftigt <strong>und</strong> eine Studie über die menschenrechtlichen Aspektevon <strong>Vertreibung</strong>en veranlasst. Er hat sich nicht nur mit denEreignissen in Jugoslawien beschäftigt, sondern auch mit anderen1


<strong>Vertreibung</strong>en in Europa <strong>und</strong> der Welt. Ayala Lasso hat sich derEreignisse von 1945 gestellt <strong>und</strong> die deutschen Vertriebenen inihrer Opfer Eigenschaft anerkannt. Er stellte am 28. Mai 1995 Maianläßlich der Gedenkst<strong>und</strong>e „50 Jahre <strong>Vertreibung</strong>“ in derPaulskirche zu Frankfurt a.M. fest:„Das Recht, aus der angestammten Heimat nicht vertrieben zuwerden, ist ein f<strong>und</strong>amentales Menschenrecht“.Zehn Jahre später, am 6. August 2005 in Berlin, anläßlich derGedenkst<strong>und</strong>e „60 Jahre <strong>Vertreibung</strong>“ sagte er:„Das Recht auf die eigene Heimat ist allerdings nicht nur einkollektives, sondern auch ein individuelles Recht <strong>und</strong> eineGr<strong>und</strong>voraussetzung für die Ausübung zahlreicher bürgerlicher,politischer, wirtschaftlicher, sozialer <strong>und</strong> kultureller Rechte“Die von Ayala Lasso begleitete Studie des UNO-Sonderberichterstatters Awn Shawkat Al-Khasawneh (heuteVizepräsident des Internationalen Gerichtshofes in den Haag)mündete in einen Schlussbericht vom Juli 1997, in welchem alle<strong>Vertreibung</strong>en verurteilt werden. Der Bericht zogSchlussfolgerungen <strong>und</strong> formulierte eine Erklärung über die<strong>Völkerrecht</strong>swidrigkeit von <strong>Vertreibung</strong>en.Artikel 4 stellt fest:1. Jeder Mensch hat das Recht, in Frieden, Sicherheit <strong>und</strong> Würdein seiner Wohnstätte, in seiner Heimat <strong>und</strong> in seinem Land zuverbleiben.2. Niemand darf dazu gezwungen werden, seine Wohnstätte zuverlassenArtikel 6 stellt fest:2


Jegliche Praxis oder Politik, die das Ziel oder den Effekt hat, diedemographische Zusammensetzung einer Region, in der einenationale, ethnische, sprachliche oder andere Minderheit oder eineautochthone Bevölkerung ansässig ist, zu ändern, sei es durch<strong>Vertreibung</strong>, Umsiedlung <strong>und</strong>/oder durch die Sesshaftmachungvon Siedlern oder eine Kombination davon, ist rechtswidrig.Artikel 7 besagtBevölkerungstransfers oder -austausche können nicht durchinternationale Vereinbarungen legalisiert werden û..Also, auch die Potsdamer Vereinbarungen könnten die <strong>Vertreibung</strong>der Deutschen nicht legalisieren, <strong>und</strong> sie haben auch keineLegalisierung erwirkt, obwohl polnische <strong>und</strong> tschechischeJournalisten, Politiker <strong>und</strong> Historiker dies behaupten..Artikel 8Jeder Mensch hat das Recht, in freier Entscheidung <strong>und</strong> inSicherheit <strong>und</strong> Würde in das Land seiner Herkunft sowie innerhalbdessen an den Ort seiner Herkunft oder nach freier Wahlzurückzukehren. Die Ausübung des Rückkehrrechts schließt dasRecht der Opfer auf angemessene Wiedergutmachung nicht aus,sei dies durch die Rückgabe von Gütern, die ihnen imZusammenhang mit dem oder als Ergebnis desBevölkerungstransfers entzogen wurden, oder durchEntschädigung für jegliches Eigentum, das ihnen nichtzurückgegeben werden kann bzw. durch allfällige anderevölkerrechtlich vorgesehene Reparationen.Diese Erklärung wurde von der UNO Menschenrechtskommissionim Jahre 1998 angenommen <strong>und</strong> anschliessend vom Wirtschafts-3


<strong>und</strong> Sozialrat verkündet. Die Generalversammlung hat dieseErklärung noch nicht verabschiedet – aber, meine Damen <strong>und</strong>Herren, haben Sie Geduld – denn die Generalversammlung nimmtsich immer ihre Zeit – so hat sie beinahe 20 Jahre gebraucht, umeine Erklärung über die Rechte der autochthonen Völker zuverabschieden.Nun möchte ich auf meine Feststellung zurückkommen, dass<strong>Vertreibung</strong> Völkermord ist.Welche Kriterien müssen erfüllt werden?Die Völkermordkonvention vom 9. Dezember 1948 spricht von derAbsicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppeganz oder teilweise zu zerstören – z.B.1) durch Tötung von Mitgliedern der Gruppe2) durch Verursachung von schweren körperlichen oderseelischen Schäden an Mitgliedern der Gruppe,3) durch Auferlegung von Lebensbedingungen, die geeignetsind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder nur Teilweiseherbeizuführen.Den Beweis dieser Tatbestände liefern abertausendeErlebnisberichte der Opfer – <strong>und</strong> zwar nicht nur im Werk Ost-Dokumente des B<strong>und</strong>esarchivs, sondern auch in den einschlägigenBeständen in den britischen, amerikanischen <strong>und</strong> schweizerischenArchiven. Auch die Beobachtungen von amerikanischenPolitikern wie Robert Murphy, James Byrnes <strong>und</strong> GeneralEisenhower, sowie von britischen Persönlichkeiten wie VictorGollancz, Bishop Bell of Chichester <strong>und</strong> Bertrand Russell belegendie Tötungen <strong>und</strong> die schweren körperlichen <strong>und</strong> seelischenSchäden, die die deutschen Vertriebenen erdulden mussten.Was die Absicht der Täter betrifft, belegen die Benes Dekrete Nr.12, 33 <strong>und</strong> 108 diese Absicht, auch die Reden <strong>und</strong> Erklärungen4


von Benes, Ripka, Bierut, Tito <strong>und</strong> anderen Politikern in Polen, derTschechoslowakei <strong>und</strong> Jugoslawien.Das Internationale Strafrechtstribunal für das ehemaligeJugoslawien hat Aspekte der ethnischen Säuberungen imehemaligen Jugoslawien als Völkermord eingestuft, <strong>und</strong> dasMassaker von Srebenica als Teilaspekt des Genozids anerkannt.Nun war die <strong>Vertreibung</strong> der Deutschen vielfach schlimmer als dieethnischen Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien. Und, wennSrebenica Völkermord darstellt, so waren auch der BrünnerTodesmarsch, das Massaker von Aussig, die Tötungen in denLagerns von Lamsdorf, Swientochlowice, Theresienstadt, Gakowo,Rudolfgnad usw. ebenfalls Völkermord.Erlauben Sie mir nun, auf die Entwicklung der Normierung desvölkerrechtlichen <strong>Vertreibung</strong>sverbotes zurückzukommen. Bereitswährend des 1. Weltkrieges beschränkte das Kriegsvölkerrecht dieAusübung der militärischen Gewalt auf besetztem feindlichenGebiet, so zum Beispiel in den Artikeln 42-56 der Haager-Landkriegsordnung (1907), die bestimmten, daß „die Ehre <strong>und</strong> dieRechte der Familie, das Leben der Bürger <strong>und</strong> das Privateigentumsowie die religiösen Überzeugungen <strong>und</strong> gottesdienstlichenHandlungen“ (Art. 46) zu achten, hingegen Kollektivstrafen (Art.50) sowie die Beschlagnahme oder Zerstörung wissenschaftlicherAnstalten <strong>und</strong> kultureller Einrichtungen (Art. 56) verboten sind.Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts führten die bewaffneten Konflikte aufdem Balkan 1912-13 zur Terrorisierung der Zivilbevölkerung, vorallem der ethnischen <strong>und</strong> religiösen Minderheiten, die entwederzur Flucht gezwungen oder brutal vertrieben wurden. Der ErsteWeltkrieg wurde von noch größeren <strong>Vertreibung</strong>en begleitetet.Zwar wurden die christlichen Minderheiten im Osmanischen Reichbereits im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert bedrängt, aber eine konsequente<strong>Vertreibung</strong>spolitik wurde erst im Krieg praktiziert. So wurde die2-Millionen zählende armenische Bevölkerung aus ihrenJahrtausende alten Siedlungsgebieten in Ost-Anatolien vertrieben5


<strong>und</strong> massakriert. Dabei starben mehr als eine MillionenMenschen, <strong>und</strong> die Überlebenden gingen in die Diaspora. Es lebenkeine Armenier mehr in ihrer alten historischen Heimat um Ararat,Kars <strong>und</strong> Ardahan. Die Nachkommen der Überlebenden desGenozids leben im viel kleineren Gebiet am Kaukasus, das nachdem Ersten Weltkrieg die Armenische Sowjetrepublik <strong>und</strong> nach1990 die Republik Armenien wurde. In einer diplomatischenProtestnote im Mai 1915 bezeichneten die britische <strong>und</strong> diefranzösische Regierung diese <strong>Vertreibung</strong>en als ein „Verbrechengegen die Menschheit <strong>und</strong> gegen die Zivilisation“. Artikel 230 desFriedensvertrags von Sevres, der vom Sultan 1920 unterschriebenwurde, sah vor, diese Verbrechen durch einen InternationalenStrafgerichtshof zu ahnden. Aber dazu kam es nicht mehr, dennder Sultan musste abdanken <strong>und</strong> Mustafa Kemal (später Atatürkgenannt) hat einen neuen Friedensvertrag ausgehandelt, denVertrag von Lausanne von 1923.Während des Krieges wurden auch die assyrischen Christen <strong>und</strong>die Griechen vertrieben <strong>und</strong> massakriert. Etwa 2.5 MillionenGriechen, deren Vorfahren seit Jahrtausenden in Anatolien lebten,mußten nach Westen fliehen. Etwa eine halbe Millionmuslimische Türken flohen nach Osten von Griechenland in dieTürkei. Dieser so-genannte „Bevölkerungsausstausch“, der imLausanner Vertrag von 1923 gutgeheißen wurde, war <strong>und</strong> bliebumstritten. Der britische Aussenminister Lord Curzon beschriebihn als eine „durch <strong>und</strong> durch schlechte, verwerfliche Lösung, fürwelche die Welt in den nächsten h<strong>und</strong>ert Jahren schwer büßenwird“. Allerdings hatte der Vertrag keinen eigentlichen Austauschangeordnet, sondern vielmehr ein fait accompli hingenommen <strong>und</strong>dem Völkerb<strong>und</strong> die Verantwortung für die Frage derEntschädigung der Opfer übertragen. Diese Frage bereitete solcheKomplikationen, daß die Ansprüche schließlich pauschalabgegolten wurden.6


Trotz dieser für die Menschenrechte unerfreulichen Entwicklung,bewegten sich die Geister gleichzeitig auch in Richtung einerAnerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Völker, wie in den14. Punkten des US-Präsidenten Woodrow Wilson dargelegt, <strong>und</strong>im Sinne einer Garantie der Minderheitenrechte. Allerdingsverwirklichten nicht alle Völker ihre Ansprüche aufSelbstbestimmung. Dieses Recht blieb den Deutschen, denÖsterreichern <strong>und</strong> insbesondere den <strong>Sudetendeutsche</strong>n versagt.In der Pariser Friedenskonferenz von 1919/1920 wurden mehrereMinderheitenschutzverträge ausgehandelt <strong>und</strong> u.a. vonDeutschland, Österreich, Polen, der Tchechoslowakei, Rumänien,Ungarn, Albanien, Griechenland <strong>und</strong> Jugoslawien unterschrieben.Die Minderheitenschutzverträge, die gleichzeitig mit denFriedensvertägen abgeschlossen wurden, sollten u.a. den Erwerbder Staatsangehörigkeit des neuen Wohnlandes ermöglichen,Schutz der Person, des Eigentums <strong>und</strong> der Religionsfreiheitsichern, <strong>und</strong> den freien Gebrauch der eigenen Sprache im privatenVerkehr <strong>und</strong> in den Beziehungen mit den Behördern sowie dasRecht auf Gründung eingener Schulen garantieren.Somit war es klar, daß die Pariser Friedensordnung keine Lösungin Zwangsumsiedlungen sah, sondern vielmehr die Rechte derbetroffenen Minderheiten sichern wollte. Allerdings wurden dieMinderheitenschutzverträge von den Vertragsparteien nicht immerbeachtet, wie in Tausenden von Petitionen im Archiv desVölkerb<strong>und</strong>es in Genf belegt ist. Ich habe persönlich imVölkerb<strong>und</strong>archiv gearbeitet <strong>und</strong> leider auch erfahren, dasspraktisch keine Historiker sich für diese Akten interessieren,obwohl diese den klaren Beweis der Diskriminierung gegen diedeutschen Minderheiten in Polen <strong>und</strong> in der Tschechoslowakeiliefern.Auch der Ständige Internationale Gerichtshof in Den Haagbeschäftigte sich mit dem Bruch der Minderheitenschutzverträge,so z.B. befand er am 10. September 1923 in einem Fall über dieDeutschen in Polen: „daß die angefochtenen (polnischen)7


Maßnahmen eine Aufhebung legaler Rechte sind, die den(deutschen) Bauern vertraglich zustehen. Da sie (die Maßnahmen)tatächlich gegen eine Minderheit gerichtet sind, sie einerdiskriminierenden <strong>und</strong> ungerechten Behandlung ausliefern, derandere Bürger mit Verträgen über Kauf <strong>und</strong> Pacht nichtunterworfen sind, stellen sie einen Bruch der von Poleneigegangenen Verpflichtungen innerhalb desMinderheitenabkommens dar.“ Jedoch halfen weder die Petitionenvor dem Völkerb<strong>und</strong> noch die Urteile des Weltgerichts. Von denzwei Millionen Deutschen, die nach der Grenzziehung imVersailler Vertrag in Polen geblieben waren, mußten etwa eineMillion in den Zwischenkriegsjahren nach Westen ziehen.Bei der 3.5 Millionen zählenden deutschen Minderheit in derTschechoslowakei sah es ähnlich aus. Sie wurden derSelbstbestimmung beraubt, wurden bei friedlichenDemonstrationen verhaftet oder getötet, <strong>und</strong> genossen ohnehinkeinen Minderheitenschutz. Ihre systematische Diskriminierungwurde u.a. von Lord Walter Runciman in seinen Berichten an diebritische Regierung <strong>und</strong> an die tschechoslowakische Regierungnach seiner offiziellen Mission im August 1938 moniert, <strong>und</strong>ähnlich von anderen Beobachtern, u.a. dem britischen HistorikerArnold Toynbee bestätigt.Nach dem Hitler-Überfall auf Polen in 1939 änderte sich dieohnehin schwache Sympathie für die Minderheiten, <strong>und</strong> dieDeutschen in Polen <strong>und</strong> in der Tschechoslowakei wurden für denKrieg mitveratwortlich gemacht. Menschen, die auf ihren inVerträgen festgelegten Minderheitenrechten beharrten, wurdenkollektiv als „illoyale Elemente“ oder gar als „fünfte Kolonne“bezichztigt, <strong>und</strong> ihre <strong>Vertreibung</strong> aus Jahrh<strong>und</strong>erte altenSiedlungsgebieten wurde als notwendige „friedensstiftende“Maßnahme vorgeschlagen.8


Mittlerweile hatten sich im Krieg verschiedene <strong>Vertreibung</strong>enabgespielt, die von der Anti-Hitler Koalition als Verbrechenbezeichnet wurden. Am 13. Januar 1942 hatten in London dieVertreter von neun besetzten Ländern erklärt: „Im Hinblickdarauf, daß Deutschland seit Beginn des gegenwärtigen Konfliktesin den besetzten Gebieten ein Terrorregime errichtet hat...insbesondere gekennzeichnet durch ... Massenvertreibungen...,stellen die Unterzeichnenden Vertreterû unter ihrehauptsächlichen Kriegsziele die Bestrafung der Verantwortlichenfür diese Verbrechen auf dem Wege der rechtsstaatlichen Justiz.“Am 17. Oktober 1942 billigte das polnische Exilkabinett inLondon ein Dekret, das die Todesstrafe für Deportationen <strong>und</strong><strong>Vertreibung</strong>en vorsah.Die von den Nazis durchgeführten <strong>Vertreibung</strong>en von etwa650.000 Polen aus dem Warthegau ins GeneralgouvernementPolen <strong>und</strong> von etwa 100.000 Franzosen aus dem Elsaß ins Vichy-Frankreich wurden, wie angekündigt, als Kriegsverbrechen(Artikel 6(b) des 1945 Nürnberg Statuts) <strong>und</strong> als Verbrechen gegendie Menschheit (Artikel 6(c)) definiert. Das Nürnberger Tribunalhat die Nazi <strong>Vertreibung</strong>en konsequent verurteilt <strong>und</strong> mit derTodesstrafe belegt.Eine Anomalie lag daran, daß sich die Alliierten zur selben Zeit ineine gigantische <strong>Vertreibung</strong>spolitik verwickelten. Artikel XIIIdes Potsdamer Schlußkommuniques bestimmte u.a.„Die drei Regierungen... erkennen an, daß die Überführung derdeutschen Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen,Tschechoslowakei <strong>und</strong> Ungarn zurückgeblieben sind, nachDeutschland durchgeführt werden muss. Sie stimmen darinüberein, daß jede derartige Überführung die stattfinden wird, inordnungsgemäßer <strong>und</strong> humaner Weise erfolgen soll ...“Sir Geoffrey Harrison, Mitglied der britischen Delegation inPotsdam, war der Verfasser des Entwurfs dieses Artikels. In einem9


Brief an Sir John Troutbeck, Chef der Deutschland-Abteilung imBritischen Foreign Office, datiert vom 1. August 1945, erklärteHarrison :« Sobolew (das sowjetische Ausschußmitglied) vertrat die Ansicht,daß der polnische <strong>und</strong> tschechoslowakische Wunsch, ihredeutschen Bevölkerungen auszuweisen, einer historischen Missionentspreche, welche die sowjetische Regierung keineswegs zuverhindern suche. Die sowjetische Regierung halte es für dieAufgabe des Alliierten Kontrollrats in Deutschland, die Aufnahmeder ausgesiedelten Bevölkerung möglichst rasch zu erleichtern.Cannon (das amerikanische Mitglied) <strong>und</strong> ich wandten unsnachdrücklich gegen diesen Standpunkt. Wir erklärten, daß wir fürden Gedanken an Massenausweisungen ohnehin nichts übrighätten. Da wir sie aber nicht verhindern konnten, wollten wir dafürsorgen, daß sie in einer möglichst geordneten <strong>und</strong> humanen Weisedurchgeführt würden, aber auch auf eine Art, die denBesatzungsmächten in Deutschland keine untragbare Belastungauferlegt. »Ähnlich äußerte sich am 19. Oktober 1945 der amerikanischeAussenminister James Byrnes: « Wir sahen ein, daß gewisseAussiedlungen unvermeidlich waren, aber wir beabsichtigten inPotsdam nicht, zu Aussiedlungen anzuregen oder in Fällen, woandere Regelungen praktikabel waren, Verpflichtungeneinzugehen »Es bedarf keiner juristischen Fachkenntnisse, um aus der Lektüredes Artikels XIII zu ersehen, daß in Potsdam die <strong>Vertreibung</strong> nichtangeordnet wurde. Auch eine Billigung der bereits durchgeführtenoder im Gange befindlichen <strong>Vertreibung</strong> lässt sich daraus nichtableiten. Der Artikel war vielmehr ein anglo-amerikanischer« Vorschlag », um mit den polnischen <strong>und</strong> tschechoslowakischenRegierungen sprechen zu können, <strong>und</strong> dabei die laufenden10


<strong>Vertreibung</strong>en zu stoppen <strong>und</strong> künftige Umsiedlungenkontrollieren <strong>und</strong> beaufsichtigen zu können.Was die Methode der Umsiedlung betrifft, warnte am 12. Oktober1945 der politische Berater von General Eisenhower, RobertMurphy, in einem Memorandum nach Washington:« In Potsdam kamen die drei Regierungen überein, daß dieUmsiedlungen in geregelter <strong>und</strong> humaner Weise druchgeführt <strong>und</strong>Polen <strong>und</strong> die Tschechoslowakei aufgefordert werden sollten, dieAusweisungen von Deutschen vorübergehend einzustellen. Trotzoffizieller Beteuerungen spricht doch alles dafür, daß man diebeiden Punkte nicht beachtet hat û Wenn die Vereinigten Staatenauch vielleicht keine Mittel haben, einen grausamen,unmenschlichen <strong>und</strong> immer noch fortgesetzten Prozeß aufzuhalten,so scheint es doch, daß unsere Regierung unsere in Potsdam klardargelegte Einstellung unmißverständlich wiederholen könnte <strong>und</strong>müßte. »Am 18. Oktober 1945 berichtete General Eisenhower nachWashington. « In Schlesien verursachen die polnische Verwaltung<strong>und</strong> ihre Methoden eine große Flucht der deutschen Bevölkerungnach Westen ... Viele, die nicht weg können, werden in Lagerninterniert, wo unzureichende Rationen <strong>und</strong> schlechte Hygieneherrschen. Tod <strong>und</strong> Krankheit in diesen Lagern sind extrem hoch... Die von den Polen angewandten Methoden entsprechen ganzgewiß nicht der Potsdamer Vereinbarungen... » DiesesTelegramm sowie auch andere U.S. Dokumente von 1945 belegenausreichend die Völkermordabsicht der Polen – <strong>und</strong> auch derTschechen.Immerhin kann keiner sich auf Artikel XIII stützen, um zubehaupten, daß die <strong>Vertreibung</strong> in Potsdam legalisiert wurde.Sogar der anglo-amerikanische Versuch, die <strong>Vertreibung</strong>vorübergehend zu stoppen <strong>und</strong> künftige Umsiedlungen in11


geordneter Weise durchzuführen, scheiterte an dem Mangel anKooperation der Vertreiberstaaten. Das Resultat war ein extremhoher Verlust an Menschenleben.Noch schlimmer <strong>und</strong> unmenschlicher als die <strong>Vertreibung</strong>en warendie Verschleppungen zur Sklavenarbeit im Ural, Workuta, Sibirien.Etwa 1.8 Millionen Reichs- <strong>und</strong> Volksdeutsche wurden unterfurchtbaren Bedingungen verschleppt, <strong>und</strong> nach Angaben desRoten Kreuzes starben schätzungsweise 35% dieser unglücklichen„Reparationsverchleppten“.Diese Verschleppungen verletzten in besonders eklatanter Weisedie Bestimmungen der Haager Landkriegsorgnung <strong>und</strong> stellten imSinne vom Artikel 6(b) <strong>und</strong> vom Artikel 6(c) des NürnbergerStatuts ebenfalls Kriegsverbrechen <strong>und</strong> Verbrechen gegen dieMenschheit dar. Allerdings wurde Keiner wegen dieserMegaverbrechen vor ein Tribunal gebracht, geschweige dennbestraft.Eine weitergehende Kodifizierung des <strong>Vertreibung</strong>s- <strong>und</strong>Verschleppungsverbotes erfolgte mit der Verkündung derVölkermordkonvention von 1948 <strong>und</strong> mit der IV. Genfer RotkreuzKonvention über den Schutz der Zivilbevölkerung, dessen Artikel49 bestimmt: „Einzel- <strong>und</strong> Massenzwangsverschickungen sowieVerschleppungen von geschützten Personen aus besetztem Gebiet... sind ohne Rücksicht auf deren Beweggr<strong>und</strong> untersagt“. GemäßArtikel 147 gilt die Verletzung dieses Artikels der GenferKonvention als „schwere Verletzung“, die geahndet werden muß.Da es sich um erga omnes Verbrechen handelt, ist jeder Staatgemäss des Prinzips der universalen Jurisdiktion berechtigt, dieTäter zu verhaften <strong>und</strong> vor Gericht zu bringen.Die „ethnischen Säuberungen“ im ehemaligen Jugoslawien werdenheute vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemaligeJugoslawien in Den Haag geahndet. Slobodan Milosevic stand vordem Tribunal, des Kriegsverbrechens <strong>und</strong> des Verbrechens des12


Völkermords angeklagt. Auch General Mladic <strong>und</strong> RadovanKaradzic stehen unter Anklage des Völkermords.Im Prozess Bosnien <strong>und</strong> Herzegowina v. Jugoslawien vor demInternationalen Gerichtshof erging ein Urteil am 26. Februar 2007,wo das Verbrechen des Völkermordes – etwa in Srebenica –festgestellt wurde.Auch in Africa, in Darfur, ist von Völkermord die Rede. Abergewiss hat die <strong>Vertreibung</strong> <strong>und</strong> die Verschleppung der Deutschen1945-48 viel mehr Opfer <strong>und</strong> viel mehr Tote gefordert als dieEreignisse in Jugoslawien <strong>und</strong> Darfur. Es ist bedauerlich, dass diePolitiker in Polen, Tchechien, der Slowakei, Slowenien, Kroatien<strong>und</strong> Serbien dies nicht wahrhaben wollen – auch nicht 60 Jahredanach.Meine Damen <strong>und</strong> HerrenDie andere Seite des völkerrechtlichen <strong>Vertreibung</strong>sverbotes isteben das Recht auf die Heimat. Die Vereinten Nationen haben inetlichen Resolutionen die drei Hauptelemente des Rechtes auf dieHeimat bekräftigt, 1) das Recht, in Sicherheit <strong>und</strong> Würde in derHeimat zu verbleiben, 2) das Recht von Flüchtlingen <strong>und</strong>Vertriebenen, in die Heimat zurückzukehren, <strong>und</strong> 3) das Recht aufRestitution.Diese Rechte wurden in Resolutionen des Sicherheitsrates, derGeneralversammlung <strong>und</strong> der UNO-Menschenrechtskommissionbezüglich der 200,000 Zyprioten, die 1974 bei der InvasionZyperns durch die Türkei vertrieben wurden, anerkannt <strong>und</strong>bestätigt. Dies taten ebenfalls die EuropäischeMenschenrechtskommission <strong>und</strong> der Europäische Gerichtshof fürMenschenrechte in mehreren Urteilen gegen die Türkei.Bezüglich des Rechts auf Entschädigung besteht imallgemeinen<strong>Völkerrecht</strong> die Norm, dass Privateigentum ohneEntschädigung nicht beschlagnahmt werden kann. Das Recht,13


Repressalien zu ergreifen, erstreckt sich nur auf Staatseigentum,nicht aber auf private Häuser, Fabriken, Banken usw.Die <strong>Völkerrecht</strong>swidrigkeit von Konfiskationen jeglichenPrivateigentums wurde auch in mehreren Urteilen desEuropäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festgestellt, z.B. inden Urteilen von 1996 <strong>und</strong> 1998 im Fall Loizidou v. Türkei. Imübrigen wurden die Loizidou Urteile z.T. umgesetzt, <strong>und</strong> am 3.Dezember 2003 erhielt Frau Titina Loizidou mehr als eine MillionEuro als Entschädigung für ihr in Nordzypern widerrechtlichbeschlagnahmtes Eigentum. Ihr Recht auf Rückkehr in die Heimatbleibt jedoch unerfüllt.Der UNO-Menschenrechtsausschuss, dessen Sekretär ich war, hatdie Republik Tschechien in drei Fällen betreffend <strong>Sudetendeutsche</strong>verurteilt:Des Fours Walderode gegen TschechienPetzoldova gegen Tschechien<strong>und</strong>Czernin gegen TschechienJedoch hat die Tschechische Republik diese Urteile bis heute nichtin die Tat umgesetzt, was der Ausschuss im Juli 2007, anlässlichder Untersuchung des zweiten Staatenberichtes von Tschechien,schwer monierte.Wie Sie sehen, sind das <strong>Völkerrecht</strong> <strong>und</strong> seine Umsetzung nichtidentisch. So können das Rückkehrrecht <strong>und</strong> das Recht aufRestitution nicht immer verwirklicht werden. In der Tat wartenviele Bosnier auf Rückkehr in ihre Dörfer, ebenfalls wartenMillionen von Diaspora-Palästinensern auf Rückkehr in Palästina,auch Millionen von Diaspora-Armeniern.Meine Damen <strong>und</strong> Herren,14


Es gilt, mit den Normen des <strong>Völkerrecht</strong>s an die Weltöffentlichkeitzu gehen <strong>und</strong> solidarisch die gleichen Rechte der deutschenVertriebenen zu artikulieren <strong>und</strong> dafür Anerkennung,Rehabilitierung <strong>und</strong> Restitution zu verlangen.Um das Informationsdefizit der Weltöffentlichkeit zu überwinden,müssen die Medien darüber berichten, die Universitäten weiterhinforschen, Wanderausstellungen für das allgemeine Publikumorganisiert werden. Darum ist auch das Zentrum gegen<strong>Vertreibung</strong>en in Berlin so wichtig – sowie auch die Ausstellung„Erzwungene Wege“, die hoffentlich bald nach Wien kommenwird.Ihnen wünsche ich Kraft <strong>und</strong> Beharrlichkeit. Sie können davonüberzeugt sein, dass das <strong>Völkerrecht</strong> <strong>und</strong> die Menschenrechte aufIhre Seite stehen.Aber das <strong>Völkerrecht</strong> ist eben keine Mathematik. Wenn es so wäre,so hätten Sie Restitution <strong>und</strong> Rückkehrrecht schon verwirklicht.Trotzdem, wie Ovidius es sagte. Gutta cavat lapidem – steterTropfen höhlt den Stein.Darum sollen Sie auf Ihre Menschenrechte bestehen. Denn das<strong>Völkerrecht</strong> ist nur dann gerecht, <strong>und</strong> die Menschenrechte sind nurdann echt, wenn beide Rechte in allen Situationen gleich für alleMenschen <strong>und</strong> Völker angewandt werden.Meine Damen <strong>und</strong> Herren,Das <strong>Völkerrecht</strong> ist kein Selbstbedienungsladen, wo man à la cartedas nimmt <strong>und</strong> das beiseite lässt.15


Wenn das <strong>Völkerrecht</strong> für die Polen, Tschechen, Slowaken,Slowenen, Kroaten, Bosnier, Serben, Armenier, Türken <strong>und</strong>Griechen gilt, so gilt es genauso für die Deutschen <strong>und</strong> für dieÖsterreicher – es gilt ohne deren Diskriminierung.Es gilt für alle Vertriebenen <strong>und</strong> Ihre Nachkommen.Was fehlt ist nämlich politischer Wille <strong>und</strong> intellektuelleRedlichkeit bei den Medien, bei den Historikern, bei den Juristen,bei den Politikern – in Polen, Tschechien, der Slowakei,Slowenien, Kroatien, Serbien – aber auch in Österreich <strong>und</strong> inDeutschland.Man braucht diese ungerechte Situation nicht hinzunehmen. Alsoresignieren Sie nicht, denn Verzicht erlaubt nur die Fortsetzung<strong>und</strong> die Wiederholung des Unrechts.Die Menschenwürde ermächtigt Sie, auf Ihre Menschenrechte zubestehen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.Professor Dr.iur. et phil. Alfred de ZayasGeneva School of Diplomacyzayas@bluewin.chwww.alfreddezayas.comAutor der BücherDie Nemesis von Potsdam, Herbig, München 2005.Die Deutschen Vertriebenen, Leopold Stocker, Graz, 2006Heimatrecht ist Menschenrecht, Universitas, München, 2001.Und der BroschüreThesen zur <strong>Vertreibung</strong>, BdV/NRW, Düsseldorf, 200616

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