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Zeitgeist in Flaschen - Ott Verlag

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<strong>Zeitgeist</strong> <strong>in</strong> <strong>Flaschen</strong>Andrea Sailer ★ Barbara Weber-Ruppli


Inhalt★ Vorwort 10★ Artur O. Müller 10Se<strong>in</strong> Vater soll den Schaum auf demVivi Kola erfunden haben★ Florian Schlegel 10Er lenkt zwei Mal den Vivi Kola-Werbebusan die Tour de Suisse★ Aurelia Schaad 10Die Etikette mit den Negerle<strong>in</strong> stach ihrschon als K<strong>in</strong>d <strong>in</strong>s Auge★ Karl Bodmer 10Vivi Kola begleitete ihn fast se<strong>in</strong> ganzes Leben lang★ Werner Dubno 10Fuhr für e<strong>in</strong> Fläschchen Rennfahrerbierals K<strong>in</strong>d 60 Kilometer Velo★ Mart<strong>in</strong> Born 10Erzählt von den Glanzzeiten des Radsports★ Göpf Weilenmann 10Gewann 1949 die Tour de Suisse★ Christian Forrer 10Ohne ihn wäre das Vivi Kola vielleichtnie mehr auferstanden★ Ursula Fehr 10Wegen Vivi Kola entschwand e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>stigerVerehrer aus ihrem Leben★ Thomas Stamm 10Verhalf Vivi Kola zur «Wiederauferstehung»★ Tony Meier 10Hat nie Öl am Hut aber immer«e Vivichappe uf em Gr<strong>in</strong>d»


★ Urs Wallimann 10Tüftelte so lange, bis das neue Vivi Kolawie das frühere schmeckte★ Hans Jörg Stahl 10Mischte bei der Vivi Kola-Werbung mit★ Kaspar Müri 10Hat Vivi Kola als erster <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Getränkesortimentaufgenommen★ Franz Wirth 10Jeder Eglisauer se<strong>in</strong>es Jahrgangs hatVivi Kola im Blut★ Veronika Wuchner 10Beobachtet wie die M<strong>in</strong>eralquelle Vivi Kolazu Tode wirtschaftet★ Felix Schaad 10E<strong>in</strong> ganzes Vivi ist für ihn zu viel des Guten★ Judd Francis Nicolay 10Kapstadter zeigt Eglisauern, wie manVivi Cafe röstet★ Men Haupt 10Ihn freut, dass die 24-jährigeVivi-Zwangspause vorbei ist★ Stefan Forrer 10Denkt von früh bis spät an Vivi Kola★ N<strong>in</strong>a Fröhlich 10Servierte e<strong>in</strong> Jahr lang kühles Vivi oder«es heisses Espresso»★ Urs Berger 10«Negerschweiss» war die verboteneVersuchung se<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dheit★ Rolf Caviezel 10Kocht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er molekularen Küche mit Vivi Kola


★ Benj Kern 10In se<strong>in</strong>em Geburtsjahr verschw<strong>in</strong>detVivi Kola vom Markt★ Roman Signer 10Pilgerte e<strong>in</strong>st für e<strong>in</strong> Süssgetränk vonAppenzell nach St. Gallen★ Urs Pape 10Tr<strong>in</strong>kt Vivi Kola für den ultimativen Zuckerschlag★ Hugo Faas 10Möchte mit se<strong>in</strong>en Radsportkollegen aufe<strong>in</strong>em Pass Vivi tr<strong>in</strong>ken★ Hanna Brauchli 10Hat «im Strafvollzug» Vivi getrunken★ Dani Honegger 10Vivi Kola lenkte e<strong>in</strong>st die Familienspaziergänge★ Marc Jäggi 10Schwärmt von den <strong>in</strong>novativen EglisauerVivi Kola-Machern★ Nick Werner 10Kurz nach «Mami» und «Papi» habense<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der «Vivi» gesagt★ Simeon, Quir<strong>in</strong> und Lovis Stecher 10Die Untergass-Kids gehören zur neuenGeneration Vivi-Fans★ «QUell»-Geschichte <strong>in</strong> Kürze★ Nachwort 10★ Dank 10★ Bildnachweis 10★ Die Autor<strong>in</strong>nen 10Andrea Sailer und Barbara Weber-Ruppli


Zeit lang soll es nur Vivi Kola gewesen se<strong>in</strong>, behaupten e<strong>in</strong>ige.Sie können sich aber nicht er<strong>in</strong>nern, ob unter den begierigdieses Angebot Nutzenden auch Schüler<strong>in</strong>nen waren. Dies,obwohl die Berichterstatter damals im absolut mädchenaff<strong>in</strong>enAlter gestanden haben müssten… Vivi sticht eben jeglicheKonkurrenz aus, frauliche sowieso. Gilt se<strong>in</strong>er SchweizerFan-Geme<strong>in</strong>de jedoch als Mass aller Kolas.Streng zeitgeschichtlich gewertet ist jedes, dem amerikanischenCoca nachfolgende Cola oder Kola e<strong>in</strong> Plagiat. Wo aberholt das von e<strong>in</strong>er Extraportion Kohlensäure getriebene, dadurchspeziell aufbrausende Vivi so viele positive bis überschwängliche,vornehmlich männliche Treue her?Antworten stecken zwischen den zwei dunkelbraunen Buchdeckelnund <strong>in</strong> unzähligen <strong>Flaschen</strong>, die beim Öffnen<strong>Zeitgeist</strong> freigeben. Wenn geschüttelt, dann durchaus auchfeuchtfröhlichen.Prost, viel Spass beim Lesen, Entdecken oder schlicht:vivaVivi! ** Werbeslogan-Kreation e<strong>in</strong>esauf den nachfolgendenSeiten <strong>in</strong>terviewtenVivianers.Vorwort9


Artur O. Müller (1929),über <strong>Ott</strong>o Müller (1895-1964), Betriebs- und Werkleiterder M<strong>in</strong>eralquellen AG von 1925 – 1963Der erste Sud mit Kolasaftköchelt auf dem heimischenHerd des «Schümlimüllers»<strong>Ott</strong>o Müller, 1947Zur Geburtsstunde des ersten Schweizer Kolas ist Artur 9Jahre alt und e<strong>in</strong>ziges K<strong>in</strong>d von <strong>Ott</strong>o Müller, dem Erf<strong>in</strong>der desSchaums auf dem damals exotischsten Süssgetränk. JedenTag muss der Bub für den Weg zur Mittelschule kurz nachsechs Uhr früh die Eisenbahn <strong>in</strong> Richtung Zürich erreichen.Der Bahnhof liegt knapp 500 Meter Luftl<strong>in</strong>ie von daheimentfernt, getrennt durch das Tal des Rhe<strong>in</strong>s. Was bedeutet:die Schaffhauserstrasse h<strong>in</strong>ab, über den Fluss, die Kastanienalleeherauf zur Zugsstation rennen. Das braucht e<strong>in</strong>enEnergiestoss. Sonst läuft sich diese Strecke schlecht <strong>in</strong>nertnützlicher Frist. Ist die von Mutter bereit gestellte TasseMilchkaffee noch zu heiss, schnappt sich der Sohn angesichtsdes allmorgendlich heiklen Faktors Zeit e<strong>in</strong> Glas kühlesVivi Kola, die neueste Innovation von Vaters Arbeitgeber,bevor er losstürzt.Reicht es e<strong>in</strong>mal für Kaffee plus Vivi wird der Spurt zumK<strong>in</strong>derspiel. Dieser Mix «chlöpft uf», gibt ihm regelrecht dieSporen, er<strong>in</strong>nert sich Artur O. Müller. Potenziertes Koffe<strong>in</strong>,weiss er heute, verlieh schon damals Flügel. Ohne dass sichder <strong>Zeitgeist</strong> 1938 bereits von Dop<strong>in</strong>g getrieben sah.Arturs Vater ist Fe<strong>in</strong>mechaniker und Absolvent e<strong>in</strong>es Abendtechnikums.Landet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zürcher Firma, die Brauereimasch<strong>in</strong>enherstellt, sich mit dem Automatisieren der <strong>Flaschen</strong>re<strong>in</strong>gung,Abfüllen, Etikettieren befasst. Er hat Kontakt zurBierbranche. Besucht Restaurants. Optimiert die Schaumbildungund m<strong>in</strong>imiert den Flüssigkeitsverlust beim Ausschank.F<strong>in</strong>det das Gebiet hoch<strong>in</strong>teressant. Nimmt 30-jährig e<strong>in</strong> Angebotder Eglisauer M<strong>in</strong>eralquellen AG als Betriebs- und Werkleiteran. Kümmert sich dort zuerst um die Modernisierungder Technik. Denn bei dem <strong>in</strong> Eglisau kurz «Quell» genanntenArbeitgeber, fliesst das Wasser für die Getränkeherstellungnicht e<strong>in</strong>fach aus dem Hahn. Entspr<strong>in</strong>gt dem Untergrunddes alten Städtlis am Zürcher Rhe<strong>in</strong>. Soll den neuen Durstder Konsumenten auf M<strong>in</strong>eralien stillen. Sprudelt jedochzu spärlich für die Grossproduktion. Enthält viel Jod. Wasleider bitter schmeckt. Dem Werkleiter am Familientisch das10 Artur O. Müller Artur O. Müller mit Portrait se<strong>in</strong>er Eltern Marta und <strong>Ott</strong>o Müller, 2013


Die erste Bohrung von 1922 sprudelt heute noch im Keller deszum Wohnhaus umgebauten, alten M<strong>in</strong>eralquellengebäudes.★Kurzhistorie der Anfänge:1821 erste Bohrversuche nach Salz, stattdessenstösst man auf e<strong>in</strong>e Quelle. Sie soll e<strong>in</strong>e der tiefstgelegenen,da vollständig von Geste<strong>in</strong> umschlossen,bakteriologisch re<strong>in</strong>sten Quellen Mitteleuropasse<strong>in</strong>. Wird 240 Meter unter Boden gefasst. 1880entsteht darauf basierend e<strong>in</strong> Kurhaus für BadeundTr<strong>in</strong>kanwendungen. 1924 erfolgt die Gründungder M<strong>in</strong>eralquelle Eglisau.★etwas resignierte Résumé entlockt:«Mit diesem Wasser ist nicht viel zumachen! ‹En nature› s<strong>in</strong>d Évian undEpt<strong>in</strong>ger e<strong>in</strong>fach besser.» Den Beweisdafür lieferte das EidgenössischeSchützenfest <strong>in</strong> Zürich 1924, e<strong>in</strong>Jahr vor der Anstellung <strong>Ott</strong>o Müllersbei der M<strong>in</strong>eralquelle. Sie schicktestolze 20’000 <strong>Flaschen</strong> sogenanntes«Birmowasser» nach Luzern. 19’500Stück kamen retour. Für die Gesundheitder Nation darf, ja soll es sogar«st<strong>in</strong>kig» schmecken, nicht aber ane<strong>in</strong>em Fest. Der Moment für e<strong>in</strong>eandere Geschmacksrichtung ist da.Der Werkleiter ist e<strong>in</strong> vielseitigerMann. Lässt vorerst nach mehr Druckund M<strong>in</strong>eralwassermengen im Untergrundfahnden. Via Bohrturmauf dem Feld ennet dem Rhe<strong>in</strong> e<strong>in</strong>eleistungsfähigere Stelle desselbenStroms suchen, ausgraben, erfassen.Wendet sich danach der chemischenZusammensetzung des naturgegebenenFliessguts zu. Beobachtet beider Konkurrenz, wie das Mischen vonnatürlich m<strong>in</strong>eralisiertem Wassermit Zuckersaft, Zitronenessenz, vorallem aber e<strong>in</strong> Versatz mit Kohlensäureden Geschmacksnerv der Zeitkitzelt. Eglisana entsteht. Br<strong>in</strong>gt der«Quell» e<strong>in</strong>en grossen Aufschwung.Sie erwischt damit gerade rechtzeitigdie anrollende Welle der boomendenSüsswasser-Ära.Doch e<strong>in</strong> erfolgreiches Produkt alle<strong>in</strong>genügt nicht, um als Betrieb zu wachsen.Also <strong>in</strong>formiert sich <strong>Ott</strong>o Müller,was auf der Welt sonst noch so getrunkenwird. Folgt dem Lockruf vonValencias Orangen. Ist spontan begeistert vom <strong>in</strong>tensiven Geschmackund der Durstlöscherqualität des dortigen Fruchtsafts.Initiiert e<strong>in</strong>en Mix aus Eglisauer M<strong>in</strong>eralwasser undspanischem Orangenkonzentrat. Will den Fruchtfleischanteildar<strong>in</strong> dicht, lebendig, sichtbar, ungefiltert haben. Denkt fortanTag und Nacht, samt Frau und Sohn über e<strong>in</strong>e <strong>Flaschen</strong>formnach, die diese besondere Qualität zukünftiger Kundschaftpublik macht.12 Artur O. Müller


Orang<strong>in</strong>a-Chugeliflaschen werden vor e<strong>in</strong>er Lichtquelle kontrolliert, um 1940.Artur O. Müller13


Die M<strong>in</strong>eralquelle Eglisau, um 1949.Die Abfüllanlage beim heutigen Quellhof, um 1947.14 Artur O. MüllerDie neue Limonade kommt <strong>in</strong> e<strong>in</strong> bauchig rundes Glas – diesogenannte Chugeliflasche – das e<strong>in</strong>er Orange gleicht. DieseWerbestrategie erweist sich als Nachteil <strong>in</strong> der Handhabung.Braucht neben traditionell schmalen <strong>Flaschen</strong> stehend doppeltenPlatz im Kühlschrank von Wirtshäusern, ohne stapelbarzu se<strong>in</strong>. Makel Nummer 2 ist ausgerechnet der hohe Obstgehalt.Zieht Wespen an. Die gelegentlich der Re<strong>in</strong>igung trotzen.Nicht ausgeschwemmt werden. Tot im gewaschenen Leergutliegen. E<strong>in</strong> Albtraum, wenn die nächste Abfüllung sie obenaufschwimmen liesse. Also wird jedes Glas vor der Füllungdurchleuchtet. Bis Verpackung und Rezept Nachbesserungerfahren. Orang<strong>in</strong>a wird und bleibt über lange Zeit e<strong>in</strong> solider,beliebter Artikel im Sortiment der immer hochtourigerproduzierenden Firma.Mit Blick auf die Konkurrenz wollen die Quanten stetig erhöhtse<strong>in</strong>. Dank zweiter Quellfassung ist unterdessen genugWasser abrufbar. Doch das Reservoir ist noch zu kle<strong>in</strong>. ImSommer beg<strong>in</strong>nt die Frühschicht um 4 Uhr. Die Lastwagenstauen sich, um laden zu können, von der Fabrikrampebis zur Rhe<strong>in</strong>brücke h<strong>in</strong>auf. DerBetrieb muss ausgebaut, grössereAnlagen beschafft, das f<strong>in</strong>anzielle Risikoerwogen werden. Unterstützungerfährt Werkleiter Müller vom kaufmännischenChef Meier. Die Inhaberhalten sich eher zurück.Am Mittagstisch der Müllers sitzenneben Saftimporteuren nun auchMasch<strong>in</strong>enverkäufer. Der kle<strong>in</strong>e Sohnhört von e<strong>in</strong>er riesengrossen Produktionsanlage,die <strong>in</strong> Mannheim schonbestellt ist. Obwohl kaum transportierbarund nicht <strong>in</strong>s Firmengebäudezu kriegen. Wochenlang sitzt derVater daheim am Reissbrett. Zirkel,Massstab und Rechenwalze liegenherum. Bis die Lösung gefunden ist.Der Maurer schlägt bei tiefem Wasserstandund ruhiger Wetterlageflussseitig die Fabrikwand e<strong>in</strong>. Teiledes gelieferten Ungetüms werden amBahnhof auf starke Wagen der Mühleverladen. Kräftige Pferde schleppensie ans Flussufer. Dort warten vonPontonieren zusammengezimmerteSchwimmkörper. Damit gelangt dieungewöhnliche Fracht von der Lochmühleüber den Rhe<strong>in</strong>. Wird durch


Plakatentwurf, Künstler unbekannt, um 1940Artur O. Müller15


★1938Vivi Kola wird vonder M<strong>in</strong>eralquelleEglisau AG lanciertund mit demSlogan «chlöpft uf»als erstes SchweizerKola verkauft.★die eröffnete «Quell»-Fassade geschoben. Der notwendigeSchaden wieder zugepflastert. Die Masch<strong>in</strong>e im Haus zusammengesetzt.Endlich steht genügend Kapazität da. ErmöglichtExpansion. E<strong>in</strong> Wagnis <strong>in</strong> schwierigen Zeiten vor und währenddem Zweiten Weltkrieg kann beg<strong>in</strong>nen.<strong>Ott</strong>o Müller leistet quasi berufsbegleitend Militärdienst. Schläftoft der nahen Grenze wegen statt zuhause, direkt gegenüberam anderen Ufer. E<strong>in</strong>quartiert mit anderen Dienstleistendenim heutigen Hotel Rhe<strong>in</strong>fels, damit er auf der richtigen Seitesteht, sollte der e<strong>in</strong>zige Flussübergang dieser Gegend gesprengtwerden müssen, um e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>marsch der Deutschenzu verh<strong>in</strong>dern. Dort vernimmt er Gerüchte aus Amerika übere<strong>in</strong> zukunftsträchtiges Getränk zwischen Mediz<strong>in</strong> und aufputschendemGenuss. Gleichzeitig lechzt die Schweizer Volksgesundheitnach e<strong>in</strong>er echten Alternative zu Alkohol.Wieder begibt er sich auf Geschäftsreisen durch ganz Europa.Stösst <strong>in</strong> Schweden auf e<strong>in</strong>e Art erstes «Queens». Doch ihn<strong>in</strong>teressiert jetzt dieser Kolasaft. Niemand hat e<strong>in</strong>e genaueVorstellung davon. Er reizt die Fantasie, heizt den Ehrgeizan. Damit will er e<strong>in</strong>steigen! Besorgt sich die verheissungsvolleEssenz durch se<strong>in</strong>e Saftimporteure. Will mit vere<strong>in</strong>tenKräften der M<strong>in</strong>eralquelle die schwarzafrikanische Nussknacken, auspressen – lange bevor der erste dunkelhäutigeMensch, e<strong>in</strong> Ami-Soldat, durch Eglisau spaziert.Bald köchelt <strong>in</strong> der Küche der Müllers an der Eglisauer Schaffhauserstrassee<strong>in</strong> erster Sud des braunen Konzentrats ausKamerun – dem Land der Kolanüsse. Mit zunehmendemInteresse an Lebensmittelchemie ist <strong>Ott</strong>o Müller häufig imLabor der Fabrik anzutreffen. Erste Resultate s<strong>in</strong>d zu zuckrig.Trotzdem lasch. Er bes<strong>in</strong>nt sich auf se<strong>in</strong>e Beziehung zumBierbrauermilieu. Die Erfahrung im Zusammenspiel von Lagerung,Kohlensäure, Fett, Temperatur und deren E<strong>in</strong>fluss aufdie Schaumbildung des beliebten alkoholischen Getränks.Er pröbelt, experimentiert, widmet sich ganz der phänomenalenIdee e<strong>in</strong> «Schümli» aufs gesüsste M<strong>in</strong>eralwasser zuzaubern – als noch nie dagewesener Effekt, perfektes Zusatz-Verkaufsargument. Es gel<strong>in</strong>gt. Macht aus <strong>Ott</strong>o Müller den«Schümlimüller». Alle anderen Versuche der M<strong>in</strong>eralquellemit Nebenprodukten – wie Pral<strong>in</strong>ées, Geléefrüchten, heissemRumi-Punsch im speziell designten Becher (damit sich ke<strong>in</strong>erdie F<strong>in</strong>ger verbrennt) – werden e<strong>in</strong>gestellt. Die Strategie heisstab sofort: Zurück zu den Leisten, den Getränken. Hier setztman ganz auf die Markte<strong>in</strong>führung von Vivi Kola.Der Name ist Programm. Vivi vom französischen «vivre», «lavie» und late<strong>in</strong>ischen «vivere» abgeleitet, auch vom MädchennamenVivienne (dessen berühmteste Vertreter<strong>in</strong> Vivi Bachnur wenige Monate nach Vivi Kola zur Welt kommt, Jahrespäter mit ihrem Ehemann Dietmar Schönherr im benach-16 Artur O. Müller


arten Kaiserstuhl lebt) verheisst Leben, Lust, Vorwärtsbewegung,Freude, Fortschritt. Kola benennt den fremdländischenGeschmack. Riecht nach Ferne, Abenteuer, Unbekanntem,Eroberung. In Arbeitspausen sitzen die Belegschaft, Kunden,Aussenmitarbeiter, das Kader beisammen. Statt gejasst, wirdskizziert, gezeichnet, entworfen. E<strong>in</strong>e Landkarte entsteht.Darauf tragen vier kle<strong>in</strong>e Negerle<strong>in</strong> grosse Körbe auf ihremKopf aus der Mitte des afrikanischen Kont<strong>in</strong>ents ans Meer.Laden ihre Fracht auf Schiffe. Schicken sie nach Europa. DieGrundlage der legendären Etikette entspr<strong>in</strong>gt quasi der Firmenkant<strong>in</strong>ee<strong>in</strong>es neutralen B<strong>in</strong>nenlandes und den Geme<strong>in</strong>schaftsfantasiene<strong>in</strong>er Generation <strong>in</strong> Kriegsjahren.Irgendwann während dieser Zeit hat Charly Keller – e<strong>in</strong> verrückterKerl, ehemaliger Boxer, Allerweltsmann, schillerndeFigur, Vertreter der M<strong>in</strong>eraquelle, Importeur von amerikanischenStrassenbaumasch<strong>in</strong>en auf Pump und per Leas<strong>in</strong>g– nach e<strong>in</strong>em Deal <strong>in</strong> Übersee, nebst Kugelschreibern, e<strong>in</strong>Muster der braunen Flüssigkeit von drüben im Gepäck. Diefabrik<strong>in</strong>terne Degustation stärkt beim Vergleich mit der eigenenInnovation das Selbstbewusstse<strong>in</strong>. Treibt aber auchzur Eile an. Coca Cola landet exakt 50 Jahre nach se<strong>in</strong>er Erf<strong>in</strong>dung<strong>in</strong> den Staaten,1936, bei uns. Kann sich vor der gutvorbereiteten Lancierung des e<strong>in</strong>heimischen Vivi Kolas 1938jedoch nicht etablieren.Vivi macht das Rennen auf dem e<strong>in</strong>heimischen Markt. Daranglauben Vater und Sohn Müller seit dem Tag, als sie zusammendas Restaurant Bahnhof <strong>in</strong> Eglisaubetreten. Da sitzt der CamioneurBaumann – Fuhrhalter, Müllabfuhrmann,Zubr<strong>in</strong>ger von schweren Paketen,aber allem voran We<strong>in</strong>bauer– nicht etwa vor e<strong>in</strong>em Glas se<strong>in</strong>esRoten. Ne<strong>in</strong>, sie erwischen ihn beimGenuss von Vivi Kola! Er berichtetüber Dauerkopfweh. Es plagte ihnbis zur Entdeckung Vivis. Seit derW<strong>in</strong>zer täglich davon tr<strong>in</strong>kt, ist esweg! Das rechtfertigt se<strong>in</strong>en Treuebruch:«Vivi hilft mir, aber selbstverständlichmag ich We<strong>in</strong> lieber.»★ Barbara Weber-Ruppli★1949Vivi Kola wird nachdem Krieg schnell zumKola-Marktleader <strong>in</strong>der Schweiz.Es tritt bei Radrennenals Sponsor auf, unteranderen der«Tour de Suisse»,und begleitet dasVelorennen mit Werbewagen.Im Volksmundwird Vivi Kolaals «Rennfahrerbier»bezeichnet.★erste Vivi Kola-Etikette,entworfen 1938,2013 wieder <strong>in</strong> Gebrauch.Artur O. Müller17


Men Haupt (1955)Jurist und Verleger aus dem Raum BernVivi-Revival als Jungbrunnen«Das gibt’s wieder!», ruft der Berner Jurist und Verleger erfreutaus. Men Haupt hat Vivi Kola auf der Getränkekartee<strong>in</strong>es Eglisauer Restaurants entdeckt. Tr<strong>in</strong>kt aber trotz lebendiggebliebener Begeisterung für diese Jugendliebe e<strong>in</strong>Glas We<strong>in</strong> zum Essen. Doch der anschliessende Espressogenussf<strong>in</strong>det im neu eröffneten Vivi Cafe gegenüber statt – demHauptvertriebszentrum der Vivi-Wiedererweckung. Endet mitdem Erwerb e<strong>in</strong>es Sixpacks se<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>stigen Schwarms, nachüber e<strong>in</strong>em Vierteljahrhundert Entwöhnungszeit und Zwangspause.Dass dieses Getränk e<strong>in</strong>e halbe Ewigkeit Abwesenheitvom Markt glänzte, weiss der Mann genau. Zwei Kollegenund er haben e<strong>in</strong>st die allerletzten Harasse davon bei e<strong>in</strong>emKehrsatzer Getränke-Distributor aufgekauft. Das muss <strong>in</strong> den1980ern gewesen se<strong>in</strong>, rekonstruiert er se<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerungen.Sie s<strong>in</strong>d nachhaltig. Als Jugendlicher macht er bei e<strong>in</strong>emFreund daheim Vivis Bekanntschaft. Dort im Kühlschrankliegen immer e<strong>in</strong> paar <strong>Flaschen</strong> bereit. Werden dem Besucherkühl aufgetischt. Ihr Inhalt übertrifft alle bisher gekanntenGeschmackserlebnisse. Optische dazu. Die sagenhafte Etikettezeigt den gelben afrikanischen Kont<strong>in</strong>ent <strong>in</strong> blauem Meerschwimmend, leuchtend vom dunklen H<strong>in</strong>tergrund des exotischenGebräus <strong>in</strong> der Glasflasche abgehoben. E<strong>in</strong> Anblick,der <strong>in</strong>tensives Fernweh auslöst.Sogleich führt Men Haupt die revolutionäre braune Brauseauch <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Elternhaus e<strong>in</strong>. Die Mutter ist offen dafür. Obwohlsie selbst auf Pepita schwört – heute ebenfalls wiederim Retro-Design erhältlich, <strong>in</strong> alter, süsser Bitterkeit. DochVivi schien den Jungen damals spezieller, bee<strong>in</strong>druckender,erwachsener, fast e<strong>in</strong>e Art Bier.Die Berner «Giele» holen es sich stets per Töffli, beim gleichenHändler, e<strong>in</strong>e Viertelstunde von der Hauptstadt entfernt. Aufse<strong>in</strong>e Nachricht über den endgültigen Abruf dieser Marke vomMarkt legen sie, unterdessen erwachsen, den Weg e<strong>in</strong> letztes Malim Auto zurück. Transportieren die für sie zurückgestelltenKisten ab. Schade, dass es ke<strong>in</strong>en Nachschub mehr gibt!Jetzt ist Vivi wieder da. Die kurz auf diese positive Überraschunge<strong>in</strong>treffende Frage an den Leiter des ott verlags, ober e<strong>in</strong> Buch über besagte Flüssigkeit verlegen würde, beantwortetMen Haupt be<strong>in</strong>ahe bedenkzeitlos mit Ja. Beste Gelegenheit,um damit auf das Vivi Kola-Buch anzustossen!★ Barbara Weber-Ruppli132 Men HauptMen Haupt im Büro von ProLitteris <strong>in</strong> Zürich, 2013.

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