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Klaus Berger, Darf man an Wunder glauben? - Alternativ-Grammatik

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<strong>Alternativ</strong>-<strong>Grammatik</strong>,"bergerwunder" - 3 -Der Sünder ist gefallen, der Gelähmte ist zum Fall geworden.Der Sünder hat Verg<strong>an</strong>genheit und keine Zukunft, der Gelähmtehat vermutlich auch bessere Tage gesehen, aber hoffnungsloslebt er vor sich hin.Auf Sünde steht die Todesstrafe, der Gelähmte ist auf demunaufhaltsam abschüssigen Weg zum Tod.Sünde hat den Tod verdient, Lähmung ist der starre Vorbotedes Sterbens.Sünde und Schuld, Vergehen und Last sind für die Menschender Bibel ein unzertrennbares Geflecht. Auch bei der Lähmungsind die Folgen verwoben mit der Kr<strong>an</strong>kheit, ja sie sind dasSchlimmere: wie abgeschnitten zu sein vom L<strong>an</strong>d der Lebenden.Die Sünde k<strong>an</strong>n nur der Schöpfer aufheben, nur er macht Geschehenesungeschehen. Von der Lähmung k<strong>an</strong>n nur der Schöpferbefreien, nur er macht Abgestorbenes neu lebendig. N ur werim Namen Gottes kommt, k<strong>an</strong>n Schuld wegwischen. Nur der Erlöserk<strong>an</strong>n im Namen Gottes die Fesseln der Lähmung zerschneiden.L<strong>an</strong>g, oft schwierig und g<strong>an</strong>z persönlich ist der Anweg desSünders bis zur Schwelle der Vergebung. Und hier decken dieFreunde des Gelähmten das Dach ab, um zu Jesus zu gel<strong>an</strong>gen.Bei den meisten <strong>Wunder</strong>n sind die Anwege das wichtigste Thema:Wie kommt je<strong>m<strong>an</strong></strong>d zu Jesus, auf vielen Wegen und Umwegen,auf gerade seinen Wegen? - Auch die Sündenvergebung liegtals Angebot bereit. Nur bis dahin zu gel<strong>an</strong>gen, das ist derg<strong>an</strong>ze Weg eines jeden Lebens. Das ist mein Weg, und es wirdam Ende mein Weg gewesen sein.Der Weg bis dahin - diese umständliche, weite W<strong>an</strong>derschaftgräbt Spuren in Herz und Gesicht.Der Befreier heilt durch ein Wort und vergibt durch einWort.(42)EingrenzungIm Sinne der Bibel gibt es <strong>Wunder</strong> nur in Erzählungen überPropheten oder ähnliche Gestalten und Ges<strong>an</strong>dte Gottes. Dasbedeutet: Es geht immer (wenigstens dem Sinne nach) um dreiParteien in einer <strong>Wunder</strong>erzählung: Gott hat einen Prophetengeschickt und ihn mit der Vollmacht ausgerüstet, <strong>Wunder</strong> zuwirken. Der Prophet repräsentiert Gott und ist der eigentliche<strong>Wunder</strong>täter. Die dritte Partei aber ist der Adressat des<strong>Wunder</strong>s, und das können auch mehrere Menschen sein, wie etwabei den Speisungsgeschichten. - Der Pro(43) phet wirkt (inder Regel) das <strong>Wunder</strong> vor den Augen des erstaunten Adressaten,dem mit dem <strong>Wunder</strong> etwas gesagt werden soll. Das <strong>Wunder</strong>gehört zu seiner Sendung durch Gott, es weist ihn aus, beglaubigtihn, soweit das eindeutig geschehen k<strong>an</strong>n. DerAdressaFsoll durch das <strong>Wunder</strong> aufmerksam gemacht und bewegtwerden, ihm wird vor Augen geführt, daß der »Prophet« nichtleere Worte sagt, sondern daß hinter seiner Botschaft unddurch sie hindurch die Wirklichkeit Gottes physisch greifbarwird. Gott bleibt, das scheint der Sinn der staunenswertenTaten zu sein, nicht Idee oder »Schall und Rauch«, sondernwird greifbare, widerständige Wirklichkeit. Das <strong>Wunder</strong> ist


<strong>Alternativ</strong>-<strong>Grammatik</strong>,"bergerwunder" - 4 -immer ein Stück des G<strong>an</strong>zen, um das es jeweils in der Botschaftgeht, es bedeutet immer entweder Heil oder bisweilenauch Unheil des Adressaten; im letzteren Fall spricht <strong>m<strong>an</strong></strong>von Strafwundern.Vor allem k<strong>an</strong>n <strong>m<strong>an</strong></strong> beobachten, daß nicht beliebige Taten zumAusweis der Botschaft werden, sondern immer solche, die diegewohnte Normalität durchbrechen, die unalltäglich sind undden Blick »nach oben« lenken, die zumindest Reaktionen entstehenlassen wie diese: Das ist eine Tat, die ein Menschnicht wirken k<strong>an</strong>n. Wer gab dem Propheten solche Vollmacht?Solche Kraft oder Macht k<strong>an</strong>n nur von Gott oder vom Teufelkommen, also aus dem Unsichtbaren.Aus diesen Beobachtungen folgt für <strong>Wunder</strong>, so wie wir hierdas Wort gebrauchen und wie es der Sprache der Bibel (»<strong>Wunder</strong>und Zeichen«) entspricht:- <strong>Wunder</strong> haben immer etwas mit einem Boten Gottes und seinerBotschaft zu tun.- <strong>Wunder</strong> weisen immer über den Boten und seine Botschafthinaus auf den Bereich des Unsichtbaren.- Gerade deswegen sind <strong>Wunder</strong> immer und prinzipiell sichtbar.Denn sie sollen im Sinne von Zeugnissen verwendbarsein.- Von <strong>Wunder</strong>n k<strong>an</strong>n <strong>m<strong>an</strong></strong> nicht sprechen ohne ein Autoritätsgefällezwischen dem <strong>Wunder</strong>täter und dem Empfänger des <strong>Wunder</strong>s.Diese Beziehung ist übrigens nicht die zwischen (44)Amtsinhaber und Laie. Aber der <strong>Wunder</strong>täter vertritt die Botschaft,der Empfänger des <strong>Wunder</strong>s ist oft derjenige, der mitder Botschaft zum ersten Mal vertraut gemacht werden soll.Dabei ist der <strong>Wunder</strong>täter oft nicht Träger eines Amtes odergar eines r<strong>an</strong>ghohen Amtes.- <strong>Wunder</strong> bedeuten immer Heil oder Strafe, sie sind nicht»neutral« nur Information oder nur zum Anschauen. Auch das»W<strong>an</strong>deln« Jesu auf dem Meer ist nicht ein Kunststück zumAnschauen, sondern auch hier ist nach Heil oder Unheil zufragen.- <strong>Wunder</strong> offenbaren immer eine Kraft, die das Menschenmögliche,wie <strong>m<strong>an</strong></strong> es gewohnt ist, bei weitem übersteigt. M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>nnicht sagen, sie »zerstörten« die Naturgesetze, da solchenicht der Adressat sind und auch gar nicht zur Debatte stehen.Adressat ist der Mensch darin, daß er auf Heil und Rettung<strong>an</strong>gewiesen ist.Nun k<strong>an</strong>n <strong>m<strong>an</strong></strong> fragen, ob das alles überhaupt möglich ist.Bevor wir das tun, ist darauf hinzuweisen, daß diese Fragefür die Bibel und alle ihre Adressaten, auch die ungläubigsten,nicht das entscheidende Problem ist. Die Frage ist immernur: Stammt die Vollmacht von Gott oder von der Gegenseite?,nicht: Gibt es sie überhaupt?Es lohnt sich, über diesen offenkundigen Unterschied zwischender Bibel und uns kurz nachzudenken.»<strong>Wunder</strong> gibt es einfach«Für uns heute besteht das Problem: K<strong>an</strong>n es überhaupt <strong>Wunder</strong>(in dem oben gen<strong>an</strong>nten eingeschränkten Sinn) geben? - Fürdie Menschen im Umfeld der Bibel ist es dagegen keine Frage,


<strong>Alternativ</strong>-<strong>Grammatik</strong>,"bergerwunder" - 5 -daß immer wieder unsichtbare Mächte in das Sichtbare eingreifen.Denn das Leben ist auch sonst wesentlich eine bunteAbfolge von Unvorhersehbarem. Wer - im Unterschied zu uns -weder Naturgesetze noch all die Versicherungen kennt, dieauch Überraschendes zu verkraften helfen, der (45) wirdbuchstäblich »von Klippe zu Klippe geworfen« (Hölderlin) undmuß sich ständig mit neuen Mächtigen und neuen Mächten arr<strong>an</strong>gieren.Angesichts dieses Wechselbades ist die Bedeutungvon Glauben als »Treue« gar nicht hoch genug einzuschätzen,ja sie gewinnt erst eigentlich in diesen unsicheren VerhältnissenSinn.Da es also in der Geschichte nichts Sicheres gibt, auch keinebehelfsmäßigen Sicherheitsvorkehrungen, ist dem Maß desUnvorhersehbaren keine Grenze gesetzt. Das Pendel k<strong>an</strong>n so,oder so g<strong>an</strong>z weit ausschlagen.Wir halten fest: Voraussetzung dafür, daß <strong>Wunder</strong> erlebt underfahren werden können, ist, daß das menschliche Dasein inhohem Maße ungesichert ist. Der M<strong>an</strong>gel <strong>an</strong> festen Strukturenist die Kehrseite für die Ch<strong>an</strong>ce, <strong>Wunder</strong> überhaupt nochwahrnehmen zu können.Und wir beobachten auch: Gerade in der Situation der erstmaligenBerührung mit dem Ev<strong>an</strong>gelium, in der Situation dermöglichen Bekehrung, sind die Unsicherheiten am größten. Inder <strong>an</strong>tiken Kirche betrifft diese Unsicherheit auch den familiärenund materiellen Kontext des Lebens. Denn sich zumChristentum zu bekehren bedeutete, die bisherigen Bindungenzu verlassen. Um so wichtiger wird in einer solchen Situationder Verunsicherung die Person des <strong>Wunder</strong>täters. - Ausalledem wird klar erkennbar, warum <strong>Wunder</strong> fast immer im Zusammenh<strong>an</strong>gmit (Erst-)Mission überliefert sind. <strong>Wunder</strong> werdendaher dort erfahren, wo <strong>m<strong>an</strong></strong> mit fast allem rechnet, mitRettung oder Tod, mit einer radikalen Wende der Lebensumständeund allen Folgen, die das haben k<strong>an</strong>n. Muß <strong>m<strong>an</strong></strong> <strong>an</strong> <strong>Wunder</strong><strong>glauben</strong>?Wir unterscheiden für eine Weile zwischen dem <strong>an</strong>tiken Menschenzur Zeit und im Umkreis der Bibel und dem heutigenMenschen.(52) KonkretionenWas ist das für ein Glaube?Ein Haupt<strong>m<strong>an</strong></strong>n hatte einen Knecht, der ihm lieb und wert war;der lag todkr<strong>an</strong>k. Als er aber von Jesus hörte, s<strong>an</strong>dte er dieÄltesten der Juden zu ihm und bat ihn zu kommen und seinenKnecht gesund zu machen. Als sie aber zu Jesus kamen, batensie ihn sehr und sprachen: Er ist es wert, daß du ihm dieBitte erfüllst; denn er hat unser Volk lieb, und die Synagogehat er uns erbaut. Da ging Jesus mit ihnen. - Als er abernicht mehr fern von dem Haus war, s<strong>an</strong>dte der Haupt<strong>m<strong>an</strong></strong>nFreunde zu ihm und ließ ihm sagen: Ach Herr, bemühe dichnicht; ich bin nicht wert, daß du unter mein Dach gehst;darum habe ich auch mich selbst nicht für würdig geachtet,zu dir zu kommen; sondern sprich ein Wort, so wird meinKnecht gesund. Denn auch ich hin ein Mensch, der ObrigkeitUntert<strong>an</strong>, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einemsage: Geh hin!, so geht er hin; und zu einem ändern: Kommher!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut


<strong>Alternativ</strong>-<strong>Grammatik</strong>,"bergerwunder" - 6 -eràs. - Als aber Jesus das hörte, wunderte er sich über ihnund w<strong>an</strong>dte sich um und sprach zu dem Volk, das ihm nachfolgte:Ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel nichtgefunden. Und als die Boten wieder nach Hause kamen, f<strong>an</strong>densie den Knecht gesund. (Lukas 7,2-10)Von Fernheilungen hört <strong>m<strong>an</strong></strong> immer wieder. Sie gehören zumBeruf des Heilers dazu. Insofern sind sie nichts Besonderes.Denn das homöopathische Prinzip der Unverhältnismäßigkeit,das sich immer wieder bei <strong>Wunder</strong>n findet, gilt auch (53)hier. Wer durch ein Wort Tote erweckt, durch eine Berührungl<strong>an</strong>ges Siechtum enden läßt, der k<strong>an</strong>n auch über eine großeEntfernung hin wirken. Immer ist es das Allerwenigste, wo<strong>m<strong>an</strong></strong> fast keine Energie mehr spürt, das am meisten wirkt, dasein <strong>Wunder</strong> vollbringt. War es nicht auch mit dem Reich Gottesso - groß wie ein Senfkorn? Heißt es nicht über diesenMessias: Seine Stimme hört <strong>m<strong>an</strong></strong> nicht laut auf den Gassen?Das <strong>Wunder</strong> ist hier eher, daß Jesus dieses Zutrauen, dasMenschen in Not auch hergelaufenen <strong>Wunder</strong>doktoren schenken,als Glauben deutet und <strong>an</strong>nimmt. Denn dies ist kein frommerKirchenglaube, kein Bekenntnis- und Rechtfertigungsglaube.Das alles wäre viel zu hoch und eine Zumutung hier und auchsonst. Hier geht es viel einfacher zu: Das Christentum hatseinen Weg in die Herzen der Menschen genommen, weil <strong>m<strong>an</strong></strong>Gott um alles bitten darf, auch um Gesundheit. Weil dieEv<strong>an</strong>gelien voll sind von <strong>Wunder</strong>geschichten.An der Unpopularität unserer Kr<strong>an</strong>kenkassenreformen sieht<strong>m<strong>an</strong></strong>, wie wichtig das Thema für die Menschen ist. Auch heutenoch sind wir im Fall von Kr<strong>an</strong>kheiten wirklich in Not. Dieverzweifelte Hoffnung richtet sich hier auf Jesus. Und ernimmt diesen allzu menschlichen Notschrei als Glauben <strong>an</strong>.Vielleicht ist dies das eigentliche <strong>Wunder</strong>: Welchen Glaubenauch immer wir haben, wir werden akzeptiert, wenn sich Klageund Hoffnung nur auf ihn, auf Jesus richten. Unsere Frömmigkeitist oft allzu akademisch, unsere Gebete sind zu gebildet,sind unserem Herzen und unserem Eeib zu fremd.So k<strong>an</strong>n <strong>m<strong>an</strong></strong> sich über unsere Geschichte nur wundern. Mitguter Beobachtungsgabe, was Menschen <strong>an</strong>geht, stellt Lukasdie rührenden Versuche der Leute hier dar, <strong>an</strong> Jesus her<strong>an</strong>zukommen.Die Juden sagen: Der Haupt<strong>m<strong>an</strong></strong>n ist unser würdig,denn er liebt unsere Nation und hat uns eine Synagoge gebaut.Und Jesus akzeptiert das. Als ob sich je<strong>m<strong>an</strong></strong>d durchGeldaufwendungen würdig machen könnte für den Besuch desHerrn in seinem Haus. Wie menschlich, allzu menschlich, (54)dieses Urteil des jüdischen Publikums. Aber Jesus läßt sichdarauf ein und zieht mit.Auch die nächste Station ist nicht weniger rührend. DerHaupt<strong>m<strong>an</strong></strong>n denkt g<strong>an</strong>z als Militarist. Wenn er zu seinen Soldatensagt: Zack, zack, d<strong>an</strong>n tun sie es. Und so stellt ersich auch Jesus vor. Eben jenen Jesus, der wenige Verse zuvorin der Feldrede Feindesliebe und Gewaltverzicht gepredigthatte. G<strong>an</strong>z sicher hatte Jesus mit höheren Offizierenauf den ersten Blick nicht viel gemeinsam, mit Menschenalso, deren militärische Welt sich bisweilen, wie hier, bisin die Artikulation ihres Glaubens hinein erstreckt. Auchdiesen Offizier, der sich Jesu H<strong>an</strong>deln wie das Kom<strong>m<strong>an</strong></strong>dierenauf dem Exerzierplatz vorstellt, nimmt Jesus <strong>an</strong>.


<strong>Alternativ</strong>-<strong>Grammatik</strong>,"bergerwunder" - 7 -An drei Stellen unserer Erzählung also, bei den Juden, beimHaupt<strong>m<strong>an</strong></strong>n und beim Vertrauen auf die Fernheilung, akzeptiertJesus abergläubische oder allzu naive Vorstellungen, die wirkaum Glauben zu nennen wagten.Wir können dar<strong>an</strong> erkennen: Glauben ist keine Leistung, auchkein besonders klares Denken, sondern Glaube ist eine Richtung,die wir unsere Not und Verzweiflung nehmen lassen.Eine Richtung unseres Schreiens. Wir heutigen Menschen abersind oft wie altkluge Kinder, die sich immer schon selbstdie Antwort geben. Wir <strong>an</strong>geln d<strong>an</strong>n nach Glaubensvorstellungen,statt die Antwort ihm zu überlassen. Lassen wir ihndoch einfach die Mauer sein, vor der wir klagen. Wir müssenuns nichts Kluges dazu einfallen lassen. Sollten wir demHerrn nicht auch einmal Grund geben, über unseren Glauben zustaunen?Und von da aus k<strong>an</strong>n <strong>m<strong>an</strong></strong> d<strong>an</strong>n die g<strong>an</strong>ze Geschichte noch einmallesen. D<strong>an</strong>n bemerken wir, daß der Haupt<strong>m<strong>an</strong></strong>n Jesus garnicht begegnet, nur über Mittelsmänner hat er Kontakt zuihm. So ist er in der gleichen Lage wie wir. Die Menschenbei Jesus, die in seiner Nähe sind, treten für den Haupt<strong>m<strong>an</strong></strong>nein, so wie Menschen für ein<strong>an</strong>der Fürbitte leisten. Wie derheidnische Haupt<strong>m<strong>an</strong></strong>n sind wir fernen Heidenchristen dar(55)auf <strong>an</strong>gewiesen, daß Menschen uns von Jesus erzählen. Wie ersind wir durch eine Menschenkette von Zeugen mit Jesus verbunden.Zwei Formen der Nächstenliebe, g<strong>an</strong>z unauffällig nebenbeigeübt: Zeugen vermitteln, Menschen treten für ein<strong>an</strong>derein.Und wir bemerken auch diese Abweichung von der Regel solcherErzählungen: Nicht die Leute staunen über Jesus, sondernJesus staunt über ihren Glauben. Denn, wie er selbst sagt,nicht Jesus wirkt das <strong>Wunder</strong>, sondern der Glaube. Der Glaube,zu dem Jesus den Anlaß gab, er ist das wahre <strong>Wunder</strong> unddie Kraft, aus der <strong>Wunder</strong> kommen. All die Erzählungen, nachdenen Jesus sagt »Dein Glaube hat dich gerettet«, könnenbesonders in den Zeiten, in denen Jesus nicht mehr selbstauf Erden <strong>Wunder</strong> wirken k<strong>an</strong>n, den Menschen sagen, daß sienicht auf die irdische Gegenwart Jesu <strong>an</strong>gewiesen sind, sonderndaß die Kraft ihres Glaubens genügt.Denn unser Glaube ist noch immer dem des Haupt<strong>m<strong>an</strong></strong>ns ähnlich.Wir wissen über Jesus nur von ferne her einiges, auch unsereNöte sind elementar, aber auch uns sagt der Herr: Wer nichtgegen mich ist, der ist für mich. Nur die Richtung muß stimmen,die aber g<strong>an</strong>z. Wenn wir nur eine Ahnung davon haben,daß durch ihn alles gut werden k<strong>an</strong>n, wenn wir nur, wie indirektauch und über tausend Ecken vermittelt, in Berührungkommen mit ihm, d<strong>an</strong>n wird er alle unseren naiven, falschenund abergläubischen Hoffnungen <strong>an</strong>nehmen, wie sie sind. Soermuntert er uns zu dem, was wir heimlich ersehnen und ebenso oft nicht wagen, uns nicht trauen zu tun, zu einem Lebenvor seinem AngesichtWenn nur die Richtung stimmt, wenn wir nur irgendwie ahnen,daß wir uns dem Gott Jesu Christi wie einer Klagemauer näherndürfen, d<strong>an</strong>n müssen wir keine Angst mehr haben vor den<strong>an</strong>geblichen Mängeln unseres Glaubens, als wäre er nicht salonfähigoder nicht kirchlich genug. Wenn nur die Richtungstimmt, d<strong>an</strong>n gilt auch dieser Satz: Wir werden uns noch wundern,wie barmherzig Gott ist.


<strong>Alternativ</strong>-<strong>Grammatik</strong>,"bergerwunder" - 8 -(82) Gemeinsamkeitender verschiedenen mythischen ErfahrungenWir fragen: K<strong>an</strong>n <strong>m<strong>an</strong></strong> für die verschiedenen hier gen<strong>an</strong>ntenFormen heute noch gegenwärtigen mythischen Wahrnehmens einengemeinsamen Nenner finden und d<strong>an</strong>n von dort aus Brücken zum<strong>Wunder</strong> schlagen?Gemeinsam ist ihnen, daß der gleichmäßige Fluß des Geschehensunterbrochen wird. Es ist auch nicht mehr alles, waswirklich ist, gleich weit entfernt von Gott; es gibt Wirklichkeit(Personen oder Dinge), die ihm nahe ist, und solche,die weit entfernt ist von ihm. Räumliche und zeitlicheDifferenzen werden aufgehoben, und es kommt zu einer Verdichtung,zu einer Konzentration von Wirklichkeit, die dieBibel »Heiligkeit« nennt. - Beim mythischenSprechen trittdie geballte Kraft des Schöpfungswortes zutage, so etwa beiden <strong>Wunder</strong> wirkenden Machtworten Jesu. Beim Segnen wird derUnterschied zwischen bloßem Meinen (Ged<strong>an</strong>ke) und Faktum aufgehoben.- Bei der mythischen Zeiterfahrung im Fest wird dieDifferenz zwischen dem Ur-Geschehen und dem Gedenken räumlichund zeitlich aufgehoben, beide werden »in einem versammelt«.- Bei der mythischen Personalität sind verschiedenePersonen in einer einzigen gegenwärtig. - Bei der mythischenRaumerfahrung wird ein Ort (oder Gegenst<strong>an</strong>d) durch die Vergegenwärtigungeines sonst Abwesenden zum »heiligen« Ort. -In der mythischen Ordnungserfahrung schließlich werden dieunterschiedlichen Regeln für die ein(83) zelnen Stationendes Zyklus als komplementäre, sich gegenseitig ergänzendeEinheit erfahren.Mythische Erfahrungen sind also nicht einfach irrational,sondern folgen einer eigenen Logik.Konsequenzen für die <strong>Wunder</strong>Die Brücke zum Neuen Testament, zu den <strong>Wunder</strong>n Jesu, zu seinerEntstehung durch den Heiligen Geist und seiner Auferweckung,zum Glauben, der Berge versetzt und seinen Trägergesund macht, liegt in folgendem:Machtworte: Immer wieder geht es im Neuen Testament um Anteilhabe<strong>an</strong> der Schöpfermacht Gottes; daher wird JesusT derTräger des vollmächtigen Wortes, Schopfungsmittler gen<strong>an</strong>nt.Anknüpfungspunkt sind daher »performative" Worth<strong>an</strong>dlungen,wie sie auch heute noch geschehen und erfahren werden, zumBeispiel beim Segen.Die Kraft des Liedes: Beim Lied und bei verw<strong>an</strong>dten Artenliturgischer Dramatik (zum Beispiel Sprechchor) geht es umeine mythische Einheitserfahrung, die den Schlüssel liefertzum Verständnis des schlechthin wunderhaften Charakters vonEinheit unter Menschen und mit Gott im Neuen Testament. -Zum Lied ist etwas Besonderes zu sagen. Die Kirchenvätersind (wie schon die Hymnendichter von Qumr<strong>an</strong>) der Ansicht,das Lied schmiede als begrenzte und streng gegliederte Einheitvon Rhythmus, Melodie und Inhalt die Gemeinde so engzusammen, daß sie als singende Gemeinde unbesiegbar sei unddie bösen Geister keinen Einlaß hätten. Indem die Gemeindemit einer Stimme mit den Engeln gemeinsam ein einzigesLied singt, schafft und ist sie ein Bollwerk gegen die Mächteder Finsternis. Hier wird eine einzigartige wundertätige


<strong>Alternativ</strong>-<strong>Grammatik</strong>,"bergerwunder" - 9 -Bedeutung des Liedes erk<strong>an</strong>nt, die freilich in diesem Zusammenh<strong>an</strong>gfür die singende Gemeinde gilt. Ein Abgl<strong>an</strong>z davonist auch heute noch Musiktherapie, bei der es gleichfallsdarum geht, Zerstörerisches abzuwen-(102) <strong>Wunder</strong> als Lösen der FesselnDas Bild der Befreiung, der Lösung von Verhärtung, der Freisetzungvon Kräften, des Abstreifens von Fesseln, ja derEntkrampfung und der Beseitigung von Blockaden und Verschlossenheitenscheint mir wesentlich <strong>an</strong>gemessener als dieRede von »Veränderung« und »Neuschöpfung«.Damit soll es mir nicht darum zu tun sein, <strong>Wunder</strong> rationalverständlicher zu machen. Nein, für den technischen Verst<strong>an</strong>dbleiben <strong>Wunder</strong> Unsinn oder Geheimnis, je nachdem, ob <strong>m<strong>an</strong></strong>sich aggressiv oder zurückhaltend verhält. - Hier geht esvielmehr darum, gewissermaßen »inner-mythisch« zu klären,wie <strong>Wunder</strong> und Schöpfung sich zuein<strong>an</strong>der verhalten. Dennauch in der Welt der <strong>Wunder</strong> gehen die Ged<strong>an</strong>ken nicht durchein<strong>an</strong>derwie die Sprünge junger Ziegenböcke.(103) Einige Beispiele sollen daher die oben <strong>an</strong>geregte Wahlder Bilder verdeutlichen.In Hebräer 11,11 heißt es von Sara, Abrahams Frau: Durch denGlauben empfing auch Sara selbst die Kraft dazu, daß (Abraham)seinen Samen in sie hineinlegen konnte... Normalerweisegilt diese Stelle als unübersetzbar, weil nie<strong>m<strong>an</strong></strong>d einsieht,warum Sara Kraft brauchte, damit Abrahams Same in ihrem Mutterschoßfruchtbar werden konnte. Doch es geht um eine besondereAbw<strong>an</strong>dlung der Vorstellung von »Kraft« und damit von<strong>Wunder</strong>. Und die übliche Auffassung, ein <strong>Wunder</strong> sei wie das»Erschaffen einer großen Sache«, verhindert das Verständnis.- Denn Glaube wirkt hier in der Tat ein <strong>Wunder</strong> - oder schönerund differenzierter in der Sprache des Hebräerbriefesausgedrückt: Die Wirklichkeit des Glaubens in Sara ist Empfänglichkeitdafür, daß Gott seine Kraft und Macht in einembesonderen Geschehen erweisen k<strong>an</strong>n. Das <strong>Wunder</strong> geschiehtnicht bei Abraham, sondern bei Sara. Abraham bringt den Samenhervor, aber Sara muß ihn aufnehmen können. Die Kraftdazu besteht darin, daß sich die Sperre ihres Mutterschoßeslöste, daß sich ihre Verschlossenheit öffnete, so daß derSame dort niederfallen konnte, wo die Tür verriegelt war.Das <strong>Wunder</strong> besteht darin, daß sich etwas löst. - In gewisserHinsicht ähnlich bittet die Kirche um den Heiligen Geist:»Beuge, was verhärtet ist.«Noch ein <strong>an</strong>deres <strong>Wunder</strong> <strong>an</strong> einer Frau ist zu nennen. Lukas13,11f berichtet von einer Frau, die gekrümmt war und sichnicht vollständig aufrichten konnte. Und Jesus sah sie, riefsie herbei und sagte zu ihr: Frau, sei befreit von deinerKr<strong>an</strong>kheit. Auch wenn Jesus nach Lukas 4,18 die Freilassungder Gef<strong>an</strong>genen verheißt und dazu <strong>an</strong> Jesaja 61,If <strong>an</strong>knüpft,wird dies als Befreiung von unrechtmäßiger Fesselung begriffen.Rettung durch den eigenen GlaubenBesonders zu nennen sind aber die zahlreichen <strong>Wunder</strong>berichte,nach denen Jesus sagt: Dein Glaube hat dir geholfen.


<strong>Alternativ</strong>-<strong>Grammatik</strong>,"bergerwunder" - 10 -(120) 4. Teil<strong>Wunder</strong> contra Naturwissenschaft?AnfragenFrage: Es ist eine Sache, Wirklichkeit auf mythische Weisezu erleben (Fest, Segen), aber eine <strong>an</strong>dere, <strong>Wunder</strong> als Effektezu »erzeugen«, die sich innerweltlich und für allenachprüfen lassen müssen. Eine Heilung ist geschehen odernicht, der Mediziner wird es beurteilen können. Zwischen Jaund Nein gibt es da keinen Mittelweg. Im Resultat ist Heilungdurchaus ein hartes Faktum. Hilft also der Verweis aufmythisches Denken wirklich weiter?Antwort: Wir müssen, wie oben schon geschehen, unterscheidenzwischen weichen und harten Fakten. Die oben <strong>an</strong>gedeutetenUnterschiedlichkeiten in der L<strong>an</strong>dschaft der <strong>Wunder</strong> werdenhier deutlich sichtbar. Denn da gibt es Dinge, die zumindestim Resultat auch außerhalb mythischer Wahrnehmung zugänglichsind (zum Beispiel daß ein zuvor Gelähmter wieder gehenk<strong>an</strong>n), und <strong>an</strong>dererseits Phänomene und Ereignisse, die nurdie »Zeugen« sehen, wie etwa die Himmelfahrt Jesu. Hier istsorgsam zu unterscheiden.»Weiche« FaktenBeispiele: Daß Jesus auf dem Meer gehen k<strong>an</strong>n oder daß Jesusauferst<strong>an</strong>den ist, dies sind nach den Aussagen des Neuen Testamentselbst Erfahrungen von Jüngern oder Feinden, alsojedenfalls qualifizierte Erfahrungen. Diese weichen Faktenliegen auf der Ebene der mythischen Wahrnehmungen. Sie werdenvon »normalen« Zeitgenossen in nördlichen Brei(121) ten- <strong>an</strong>ders als Gesund- oder Lebendigsein - in der Regel nichtgemacht und sind nicht zugänglich. Sie sind als eigene, insich geschlossene Größe im Zusammenh<strong>an</strong>g unserer Überlegungenleichter verständlich. So wird in der Apostelgeschichte beider Bekehrung des Paulus ausdrücklich gesagt, er allein habeden Herrn sehen können.Das alles besagt nichts gegen Faktizität überhaupt, nur istes für uns (aufgrund unserer Begrenztheiten - nicht aufgrundunseres Fortschritts) nicht möglich, dieses wahrzunehmen.Jedenfalls denken wir es, unser Erwartungshorizont ist soausgerichtet.»Harte« FaktenBei den Heilungsgeschichten jedoch geht es <strong>an</strong> der Zielliniedurchaus um harte Fakten. Es ist geradezu Merkmal dieser<strong>Wunder</strong>, daß sie zwar aus einer bestimmten Weltsicht und Lebenspraxisgeboren werden, aber im Resultat feststellbarsein müssen. Denn selbstverständlich ist je<strong>m<strong>an</strong></strong>d nicht fürdie Augen der Glaubenden geheilt, für die der <strong>an</strong>deren abernoch kr<strong>an</strong>k.Die Frage ist nur, wie es dazu gekommen ist. Bedeutet »<strong>Wunder</strong>«einfach eine <strong>an</strong>dere Kausalität? Wird hier die üblicheEntstehung von Fakten (durch physikalische, chemische, nervliche,psychologische usw. Ursachen) ersetzt durch eine <strong>an</strong>dere?Hier taucht das Gespenst des Fundamentalismus auf. Allerdingswird es ein Gespenst bleiben. Denn nach biblischemVerständnis geht es nicht um eine Durchbrechung der Kausali-


<strong>Alternativ</strong>-<strong>Grammatik</strong>,"bergerwunder" - 11 -tät. So etwas steht gar nicht im Blick, da das Prinzip Kausalitätselbst jedenfalls zur Zeit des Neuen Testaments alsPhänomen unbek<strong>an</strong>nt ist. Wo zeitgenössisch keine naturwissenschaftlicheErklärung gesucht wurde, konnte eine solche auchnicht torpediert werden. Was das <strong>Wunder</strong> von <strong>an</strong>deren Ereignissenunterscheidet, sind vielmehr scheinbar äußer-(136)KonkretionJesus nachts auf dem MeerUnd sogleich hieß Jesus seine Jünger mit dem Boot <strong>an</strong> dasgegenüberliegende Seeufer nach Bethsaida segeln. Er selbstschickte das Volk fort und stieg auf den Berg, um zu beten.Wie es dunkel wurde, war das Boot mitten auf dem See undJesus allem <strong>an</strong> L<strong>an</strong>d. Als er sah, daß sie große Mühe hatten,gegen den Sturm zu kreuzen, machte er sich auf, morgens zurZeit der vierten Nachtwache, und schritt einfach über dasWasser auf sie zu. Er war schon beinahe <strong>an</strong> ihnen vorüber, damerkten sie, daß er auf dem Wasser ging, und dachten, siesähen ein Gespenst. Da schrien sie laut auf, denn sie warenalle außer sich vor Schreck bei diesem Anblick. Er abersprach sie sogleich <strong>an</strong> und sagte: Habt keine Angst, ich bines doch, fürchtet euch nicht. Er stieg zu ihnen ins Boot,und schon legte sich der Sturm, und ihr Erstaunen k<strong>an</strong>ntekeine Grenzen. (Markus 6,45-51)Wo konnte <strong>m<strong>an</strong></strong> Jesus finden, wenn <strong>m<strong>an</strong></strong> ihn suchte - oder wenn<strong>m<strong>an</strong></strong> ihn nicht suchte? Welches war sein Element? Die Erzählungen,daß Jesus auf dem Meer geg<strong>an</strong>gen sei, geben daraufeine zunächst bestürzende und schockierende Antwort: imSturm, nachts auf dem Meer.(137) Nachts auf dem Meer ist es unheimlich genug. UndSchiffe hatten zur Zeit Jesu keine Lichter und Beleuchtungen.Also nichts als die wäßrige Finsternis und Tiefe um dasSchiff herum und der schwarze Nachthimmel darüber, dasGlucksen der Wellen am Schiff. Keine Leuchten am Ufer, diehell genug gewesen wären, die Finsternis zu erhellen. D<strong>an</strong>naber noch Sturm, dem die Schiffsleute fast hilflos ausgesetztsind.Dort also, im Sturm über dem Meer, ist Jesus, wenn auch ruhigmitten darin. Der Sturm ist wie um ihn herum. Aber doch- es ist sein Ort. Dies ist keine Erzählung für Gelehrte,die mit Parallelen und mit Fußnoten die Geschichte zudecken.Es ist eine Erzählung, die erschrecken läßt. Denn dies istder Gott Elias und Hiobs, der aus dem Sturm sich offenbart.Und vergessen wir nicht, daß auch der »Heilige Geist« Gottesnach der hebräischen Bibel ein Sturmwind ist.Vor allem Elia steht Jesus nahe, seine Gotteserfahrung wirdin Jesus wieder lebendig. An der Elia-Erzählung wird deutlich,daß der Sturm selbst Gott nur vor<strong>an</strong>geht wie ein Vorbote,der wie eine Eskorte dem Herrn vorauszieht. »Siehe, dazog der Herr vorüber, ein starker, mächtiger Sturm, der dieBerge zerriß und die Felsen zerbrach, ging vor dem Herrneinher, doch im Sturm war der Herr nicht.« Erdbeben und Feuerschließen sich <strong>an</strong>, erst in einem leisen Windhauch sprichtGott zu Elia (l Könige 19,9-13). Anders nach Hiob 38,1, wo


<strong>Alternativ</strong>-<strong>Grammatik</strong>,"bergerwunder" - 12 -es heißt: »Da <strong>an</strong>twortete der Herr dem Hiob aus dem Wettersturm...«Und daß Jesus nach Markus <strong>an</strong> den Jüngern vorübergehen wollte(6,48), ist gleichfalls ein Stück Gotteserfahrung Israels.Nach 2 Mose 33,22 gibt Gott Mose Anweisungen, wie er sichverhalten soll, wenn seine Herrlichkeit vorüberzieht. Nach34,5f zieht der Herr d<strong>an</strong>n <strong>an</strong> Mose vorüber. Auch nach l Könige19,11 »zog der Herr vorüber«.Kein Zweifel: Jesus erscheint hier wie der Gott Israels.Denn auch daß er auf dem Wasser geht, ist nichts weiter alsdie Offenbarung seiner Gottheit. Nach allen Zeugnissen derReli(138) gionen im näheren und weiteren Umfeld k<strong>an</strong>n nurGott auf dem Meer gehen.Meer, Nacht und Sturm sind die tödliche Bedrohung. In dieserunheimlichen Szene ist Jesus der gegenwärtige Gott. Denn werauf dem Meer gehen k<strong>an</strong>n. hat den Tod besiegt. Er ist Herrüber den größten, unheimlichsten Schrecken.Die Jünger entdecken plötzlich ihren vertrauten Meister indieser Sturmnacht. Sie sind aufs äußerste erschrocken. Wiek<strong>an</strong>n der freundliche Lehrer plötzlich in einer surrealenSzenerie vorkommen?Das Besondere <strong>an</strong> dieser Erzählung ist: Sturm und Finsternissind nicht nur die Vorboten Gottes, der sich d<strong>an</strong>n selbst inihrer Mitte in Ruhe befindet wie im Auge des Sturms. Nein,gleichzeitig wird er als der Herr dieser Elemente dargestellt.Er ist auch der Sieger über die finsteren Gewalten.Er schreitet darauf wie auf einem Teppich. Äußerster Schreckenund ruhige Souveränität kommen hier zusammen.Was für eine merkwürdige Erzählung! M<strong>an</strong> sollte <strong>an</strong>gesichtsihrer nicht kleinkariert nach der Historizität fragen. EineVision oder auch eine symbolische Erfahrung, der VerklärungJesu ähnlich.Die Botschaft selbst ist viel zu ungeheuerlich, und als Erbscnzählerwird <strong>m<strong>an</strong></strong> sich leicht die Finger dar<strong>an</strong> verbrennen.Die Botschaft: In Jesus ist Gott gegenwärtig, der souveräneHerr über Gewalten und Tod. Diese Gewalten sind um ihn herumsichtbar. Ohne das nächtliche Grauen, das diese Gewaltenverbreiten, gibt es auch keine Erfahrung Gottes. Um zu erfassen,wer der Sieger ist, muß <strong>m<strong>an</strong></strong> wissen, was er besiegt.Die Erzählung ist realistisch, weil das Grauen des Todeskaum zutreffender eingef<strong>an</strong>gen wird als in der Not einesnächtlichen Seesturms. Nicht nur für Fischer in Galiläa k<strong>an</strong>n<strong>m<strong>an</strong></strong> so das Ev<strong>an</strong>gelium erzählen.Fort<strong>an</strong> wird dieses typisch christlich sein: In der kleinenAlltagswelt zum Beispiel der Fischer ist doch mit Jesus dergroße (139) Gott gegenwärtig. G<strong>an</strong>z nah ist dieser siegreicheGott den Menschen.Indem bei Matthäus die Erzählung um den im Meer versinkendenPetrus erweitert wird (14,22-36), gibt dieser Ev<strong>an</strong>gelisteine Anwendung für die Jünger: Wenn <strong>m<strong>an</strong></strong> nur ein wenig Glaubenhat, d<strong>an</strong>n darf <strong>m<strong>an</strong></strong> teilhaben <strong>an</strong> dieser Kraft, die überMächte und Tod triumphiert.Gespenster<strong>glauben</strong> wird wieder groß geschrieben in unserenTagen. Die sichtbar-unsichtbaren Mächte sind zurückgekehrt.


<strong>Alternativ</strong>-<strong>Grammatik</strong>,"bergerwunder" - 13 -Totengeister, obskure Kräfte, Mächte und diverse Engel bevölkernnicht nur die Ph<strong>an</strong>tasie. Daß sie wirklich sind, bezweifelnjedenfalls all die nicht, die den Esoterik-Eckender Buchläden dreißig Prozent alles Gedruckten abkaufen.Und weil die g<strong>an</strong>ze Esoterik-Welle nur Reaktion auf einkirchliches Defizit ist und auf eine Über-Aufgeklärtheitunserer Theologie, nimmt es nicht wunder, daß der Berichtvon Jesu Gehen auf dem Meer und mitten im Sturm unter denBibelauslegern nicht viele Freunde hat. Denn dies ist einesolche »esoterische« Geschichte, oder besser gesagt: eineErzählung für Menschen, die das Grauen vor den unbek<strong>an</strong>ntenMächten kennen, die <strong>an</strong> Gespenster <strong>glauben</strong>. Denn es ist eineBegegnung der dritten Art, die hier berichtet wird. Stilechtbesonders im Joh<strong>an</strong>nes-Ev<strong>an</strong>gelium: Als die Jünger Jesus insBoot nehmen wollen, ist er selbst offenbar weg, das Bootaber ist <strong>an</strong> L<strong>an</strong>d (Joh<strong>an</strong>nes 6,16-21). Aus der Traum. Ausdrücklichfällt das Wort »Gespenst« in den Versionen beiMarkus und bei Matthäus. Allem Anschein nach ist es einesolche Begegnung.Würden wir nicht schon erschrecken, wenn nachts im Wald eineGestalt geradewegs auf uns zukäme? Wie viel mehr erst, wenndie Gestalt über das Wasser schritte! Haben Gespenstergeschichtensolcher Art nicht seit jeher die Ängste der Menschenbewegt, von Wüstengeistern über den Geist, der dieGestalt des Petrus hatte, wie die Gemeinde dachte (Apostelgeschichte12,15), bis hin zum Schimmelreiter?

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