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Für: Thomas Steinfeld/Süddeutsche Zeitung Von: Stephan Opitz Der ...

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<strong>Für</strong>: <strong>Thomas</strong> <strong>Steinfeld</strong>/<strong>Süddeutsche</strong> <strong>Zeitung</strong><strong>Von</strong>: <strong>Stephan</strong> <strong>Opitz</strong><strong>Der</strong> „Literaturvorschlag“ im NordenAuch wenn die Stockholmer das lieber anders sähen: Einmal im Jahr ist das freundliche Göteborg amKattegat, die zweitgrößte Stadt Schwedens, der intellektuelle Mittelpunkt der skandinavischenLänder. Immer um das letzte Septemberwochenende, zur größten nordeuropäischen Buchmesse. Dieinzwischen mehr als 100 000 Besucher von „Bokmässan“ sind das eine – das andere ist der Umsatzder Buch-Verlage im Jahr 2012, der gegenüber dem Vorjahr mit 2,2 Milliarden Kronen auf jetzt 1,9abgesunken ist, ein Wert noch einiges unter dem aus dem Jahr 2000 (und ein ganz erheblicherSchwund gegenüber dem Jahr 2007 - mit mehr als 2,7 Milliarden absoluter Höhepunkt der Periode).Auch dem Auslandsgeschäft mit schwedischer Literatur, quantitativ vorzugsweise Krimis, geht esschlechter – aktuell wurden schwedische Bücher für 88 Millionen im Ausland abgesetzt, noch vor 3, 4Jahren waren es über 150 Millionen. Das ist ein ziemlicher Schock nach 10 Jahren großer Zuwächse.So war das eigentliche Schwerpunktthema der Buchmesse, die Literatur Rumäniens, eher einverantwortungsbewusst platziertes Nebenhauptthema. Die große Bildungsveranstaltung aber,welche die Göteborger Buchmesse seit 1985 mit einem gewaltigen Seminarprogramm in denMessehallen unweit des Ullevi-Fußballstadions auch immer ist, konzentrierte sich auf zwei weiteregroße Themen: Das neue Bibliotheksgesetz der Regierung (das am 3. Oktober bereits im Reichstagverhandelt wurde) und die „litteraturproposition“ der Regierung, die am Messe-Donnerstag von derKulturministerin Lena Adelsohn Liljeroth der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Dieser„Literaturvorschlag“ verdankt seine Entstehung der auf der Göteborger Buchmesse 2012veröffentlichten „litteraturutredningen“, einer Untersuchung über das Leseverhalten, dieLesekompetenz und den Literaturbetrieb, den die Regierung einem 5-köpfigen, sehr unabhängigemTeam (2 Kritiker, 1 Literaturwissenschaftler, 1 Hirnforscher und der ehemalige Chef der KöniglichenBibliothek) zuvor in Auftrag gegeben hatte. <strong>Der</strong> Befund war alarmierend, immer unter derVoraussetzung, man teilt die Auffassung des Papiers, dass Lesekompetenz und LiteraturkenntnisVoraussetzungen für eine demokratische Gesellschaft sind (die <strong>Zeitung</strong> Dagens Nyheter nannte beideden „härtesten Kern einer modernen Gesellschaft“). Denn um beide ist es schlecht bestellt, wasSchweden allerdings noch keine Alleinstellung in Europa verschafft. Das Papier „Literaturvorschlag“hat das ganz offensichtlich begriffen. Ein konkreteres Regierungspapier zur Literatur- undLeseförderung gibt es in Europa gegenwärtig wohl nicht – wenn es überhaupt Literaturpapiere vonRegierungen gibt. Zusammengefasst, so Lena Adelsohn Liljeroth, soll ab 2014 das folgende passieren:Das Lesen muss mehr öffentlich wahrgenommen werden – in seiner zentralen Funktion für Bildung,Ausbildung, Teilhabe an der Gesellschaft. Deswegen werden wir 15 Mill Kronen zusätzlich p.a. für„Leseförderung von national strategischem Interesse“ ausgeben. Deswegen werden wir in derVolkshochschularbeit 30 Mill Kronen p.a. durch Umverteilung ausschließlich für die Leseförderungreservieren. Das (dem deutschen Institut für Sprache etwas vergleichbare) staatliche „Institut fürSprache und das Gedächtnis des Volks“ erhält für die Arbeit mit den Sprachen der nationalenMinderheiten, mit Zeichensprache und für die Bürgerinnen und Bürger, deren Muttersprache nichtSchwedisch ist, 3 Mill Kronen p.a. Die Königliche Bibliothek als oberste bibliothekarische Instanzerhält 2 Mill p.a., sie soll bessere Distributionswege von e-books im öffentlichen Bibliothekswesenentwickeln. Und für ein literarisches Austauschprogramm, um schwedische Literatur im Ausland zubefördern, werden 1 Mill Kronen p.a. zusätzlich ausgegeben. Insgesamt müssen Zugänglichkeit zurund Teilhabe an Literatur für alle, die in Schweden wohnen, gesichert sein. Das betrifft Kultur- wieSchulpolitik.Soweit die Regierung – parallel zum „Literaturvorschlag“ (der ohne gesetzgebendes Verfahrenumgesetzt werden kann) geht sie mit einem novellierten Bibliotheksgesetz am 3. Oktober in denReichstag. Im Gesetzentwurf steht unmissverständlich, dass 1. alle Kommunen eine Bibliothekunterhalten, 2. alle Schulen eine Bibliothek haben müssen, 3. all das gebührenfrei zu geschehen hat,4. die Bibliotheken geordnet kooperieren sollen (dabei sind Krankenhausbibliotheken ausdrücklich


eingeschlossen). Das Gesetz formuliert auch Qualitäts- und Quantitätsstandards. Die könnten nochetwas genauer sein, findet der Generalsekretär von Bibliotheksforeningen, Niclas Lindberg, „aber ichbin zu 70-80% zufrieden mit dem Entwurf“. In der schwedischen Zivilgesellschaft hat sich paralleleine „Lesebewegung“ (läsrörelsen) gebildet. Die Vorsitzende, Elisabeth Reslegård, hat z.B. McDonaldsdavon überzeugt, dass es sinnvoll ist, einmal pro Jahr einen Monat lang das „Happy Meal“ Angebotan Kinder und Jugendliche mit Gratis-Büchern aufzuwerten. Und zwar mit Büchern, welche dieengagierte Kulturfrau mit ihren Mitstreitern nach Qualität aussuchen kann.Annina Rabe, Kulturjournalistin für Svenska Dagbladet und den öffentlichen Rundfunk und eine derVerfasserinnen der „Literaturerhebung“, ist der Sache kritisch-positiv gegenüber eingestellt. „Wirhaben keine literarische Orientierung mehr auf europäischem Niveau in den Medien – diePerspektive wird gleichzeitig enger und weiter. Wenn es in den Vororten brennt, will man wissen,was ein Schriftsteller dazu sagt, doch das Gewicht seines Romans ohne Tagesbezug zu vermitteln,wird immer schwerer. Aber ich glaube, anspruchsvolle Epik kommt wieder in Gang“.51 Mill Kronen sind ca. 5,5 Mill €; auf die Bevölkerung gerechnet wären das in Deutschland ca. 55 Mill€ für Literatur und Lesekompetenz, die zusätzlich und durch gezielte politische Umverteilungaufzubringen wären. An gesellschaftlich gut begründetem Geldmangel in Bibliotheken,Literaturinstitutionen und Schulen mangelt es hierzulande nicht – man könnte sich die Papiere ausdem Norden bei Bund, Ländern und Kommunen ja mal anschauen.

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