angewandte kunst | formgestaltung - The Hansen Family
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Sitzgruppe aus sechs Elementen, die immer neue Kombinationen<br />
aus konvexen und konkaven Formen bilden.<br />
Es lebe der Leichtsinn<br />
Ende des letzten Jahrhunderts formulierte der italienische Schriftsteller<br />
Italo Calvino sechs Forderungen für die Zukunft: Leichtigkeit,<br />
Schnelligkeit, Genauigkeit, Anschaulichkeit, Vielschichtigkeit<br />
und Konsistenz. Die vielzitierten »Sechs Vorschläge für das nächste<br />
Jahrtausend« 6 gehen über eine literarische Bestandsaufnahme<br />
weit hinaus. Calvino lieferte die Blaupause für unser Leben, die<br />
sich schon bald in designtheoretischen Ansätzen wiederfand.<br />
Calvino forderte eine »Leichtigkeit der Nachdenklichkeit« 7 , einen<br />
»schwerelosen Ernst« 8 , noch bevor Begriffe wie Nachhaltigkeit<br />
die Debatten prägten.<br />
Leichtigkeit umschreibt ziemlich genau das, was Richard Horden<br />
antreibt: weg von den massiven Bauten der Vergangenheit, hin<br />
zu flexiblen Formen, die sich niemandem aufzwingen, am wenigsten<br />
der Natur. »Touch the earth lightly«, lautet das Motto von<br />
Horden, der an der Technischen Universität München den Lehrstuhl<br />
für Gebäudelehre und Produktentwicklung bis 2010 innehatte.<br />
»In Zukunft«, prophezeit Horden, »müssen wir lernen, mehr<br />
mit erheblich weniger Aufwand herzustellen.« 9 Wie flexibel und<br />
zugleich belastbar kann man bauen? Und wie viel Material braucht<br />
eigentlich eine Wetterstation, ein Bootshaus oder ein Ateliergebäude?<br />
Ziemlich wenig, wenn man auf die Prototypen schaut,<br />
die Horden zusammen mit den Studenten entwickelt hat. Die Arbeiten<br />
erinnern an Jachten, die mal kurz vor Anker gegangen<br />
sind, oder an verwegene Kreuzungen aus Zelt und Surfbrett.<br />
»Cliffhanger« heißt eine Plattform aus etwas Kunststoff und Metall.<br />
Wie ein Schwalbennest klebt sie an einer Steilwand über dem<br />
Gardasee und dient Seglern und Kletterern als Ort zum Ausruhen,<br />
Sonnenbaden und Beobachten. Wer genug hat von spartanischen,<br />
auf das Minimum reduzierten Konstruktionen, ist mit dem<br />
»Sky Motel« besser bedient. Die aerodynamisch geformte Aluminiumschlange<br />
hängt direkt unter der Brennerautobahn, zumindest<br />
in der Simulation. In über 70 m Höhe bietet die Raststätte<br />
einen phantastischen Blick auf die Alpen, während sich darüber<br />
der Schwerlastverkehr über den Pass quält. »Es geht immer mit<br />
weniger Material«, meint Horden. Wie oft habe er angehende Architekten<br />
gefragt: »Wie schwer ist das?«, um einen überarbeiteten,<br />
eleganteren Entwurf zu erhalten.<br />
Wie eine solche Architektur konkret aussehen kann, zeigt seit<br />
November 2005 das »O2 Village« inmitten der Studentenstadt<br />
Freimann. Das Münchner Studentenwerk ließ eine Miniatursiedlung<br />
aus zunächst sieben kompakten Wohnwürfeln errichten.<br />
16<br />
Das Innenleben des gerade 6,50 m2 großen »micro compact<br />
home« von Horden, Cherry, Lee Architects aus London und<br />
Haack + Höpfner Architekten aus München lässt sich dank versenkbarer<br />
und flexibler Möbel im Handumdrehen umbauen. Das<br />
mobile Wohnmodell bietet den Studenten in einer Stadt mit wenig<br />
bezahlbarem Wohnraum eine kostengünstige Alternative.<br />
Das Leichte wirkt schwer nach in der Bauwelt, als subversive<br />
Botschaft, Ressourcen anders, nämlich intelligenter einzusetzen.<br />
Ephemere Architekturen, die genau dann entstehen, wenn sie<br />
gebraucht werden und wie Jahrmarktsbuden oder Zeltstädte<br />
wieder verschwinden, haben die Chance, ein zen-trales Diktum<br />
der Moderne einzulösen: Weniger ist tatsächlich mehr. Oder wie<br />
Calvino meinte: »So nähern wir uns auf unserem Kübel reitend<br />
dem neuen Jahrtausend, ohne Hoffnung, dort mehr vorzufinden<br />
als das, was wir selber dort hinzubringen vermögen. Beispielsweise<br />
durch Leichtigkeit (...).« 10<br />
Welches Minimum? Kleinstarchitekturen zum Wohnen<br />
Shigeru Ban, beheimatet in Japan, wo Kleinststrukturen, die<br />
jede Nische besetzen, das Straßenbild von Millionenstädten wesentlich<br />
prägen, ist weltweit bekannt geworden mit seinem japanischen<br />
Pavillon für die Expo 2000 in Hannover. Zusammen<br />
mit Frei Otto hatte Ban ein Geflecht von Papprollen entworfen,<br />
die bis zu 40 m lang und 12 cm dick sind. Über Steckverbindungen<br />
sind sie zusammengefügt und untereinander mit Polyesterbändern<br />
verschnürt. Ein speziell imprägniertes Gewebe aus<br />
Textilien und Papier bildet die Dachhaut. Dass der Japaner nach<br />
dem gleichen Prinzip für das UN-Hochkommissariat bereits in<br />
Ruanda Flüchtlingsunterkünfte errichtet hatte, ging angesichts<br />
des spektakulären Expo-Baus unter. 50 Prototypen hatte er getestet,<br />
alle aus Papp rohren, die insbesondere Termiten widerstehen<br />
mussten. Ban ersann eine Konstruktion aus vorgefertigten<br />
Plastik-Steckverbindungen, über die Planen als Wind- und Wetterschutz<br />
gezogen wurde. Ein verwandtes System hatte Ban<br />
1994 bereits nach dem verheerenden Erdbeben von Kobe eingesetzt.<br />
Auf ausgedienten und mit Sand gefüllten Bierkästen<br />
entstanden Notunterkünfte aus vertikalen Pappröhren, Materialien,<br />
die kaum mehr als 2000 Euro pro Einheit kosteten und<br />
leicht zu entsorgen waren.<br />
Bisweilen ist der Krieg doch Vater aller Dinge. Das Militärzelt<br />
»Eureka RDS« (Rapid Deployable System) von Johnson Outdoors<br />
– nach eigenen Angaben das augenblicklich am schnellsten zu<br />
entfaltende Notzelt der Welt – ist ein kleines großes konstruktives<br />
Wunder. Das knapp 10 m lange Notzelt lässt sich von vier bis<br />
fünf Helfern in nur 14 Minuten aufbauen. Möglich macht dies ein<br />
faltbarer Aluminiumrahmen, der selbst gerade 315 kg wiegt,