Juni 2003 (PDF) - an.schläge
Juni 2003 (PDF) - an.schläge
Juni 2003 (PDF) - an.schläge
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Verena Fabris<br />
Zermürbungstaktik<br />
Es ist 8.00 Früh. Ich warte. Ich warte seit gut zw<strong>an</strong>zig<br />
Minuten. Eine Stimme, unterlegt mit Popmusik, säuselt<br />
mir ins Ohr:„Arbeitsmarktservice Wien. Guten<br />
Tag. Sie erreichen unsere Berater und Beraterinnen<br />
Montag bis Donnerstag von 7.30 bis 17.00 Freitag bis<br />
15.30“. Ich frage mich, ob das Wort „erreichen“ im AMS-Kontext<br />
vielleicht eine <strong>an</strong>dere als die übliche Bedeutung hat.<br />
Endlich hebt jem<strong>an</strong>d ab. „Guten Tag, was k<strong>an</strong>n ich für Sie<br />
tun?“ Ich bringe mein Anliegen vor und werde verbunden.<br />
Und: warte wieder. In mir wächst die Gewissheit, dass das<br />
Wartenlassen eine Zermürbungsstrategie des Arbeitsmarktservices<br />
ist. Jem<strong>an</strong>den warten zu lassen, ist ein Zeichen von<br />
Macht. Vor allem in einem Abhängigkeitsverhältnis. Wenn<br />
ich eine Information vom AMS will, muss ich eben warten.<br />
Beim Arbeitsmarktservice Wien gibt es Wartezeiten jedoch<br />
nicht nur am Telefon. Wer einen Termin um 9.30 hat, kommt<br />
bestimmt nicht vor 11.30 dr<strong>an</strong>. Als „Service“ k<strong>an</strong>n das sicher<br />
nicht bezeichnet werden. Ich erinnere mich <strong>an</strong> einen Besuch<br />
beim AMS vor etwas mehr als einem Jahr, kurz nach der Umbenennung<br />
von Arbeitsamt in Arbeitsmarktservice. An der<br />
Eing<strong>an</strong>gstür klebt ein h<strong>an</strong>dschriftlicher Zettel:„Wir sind nun<br />
ein Servicecenter. Bitte wenden Sie sich <strong>an</strong> den Informationsschalter“.<br />
Dort wird mir gesagt, ich müsse mich im zweiten<br />
Stock bei Frau XY <strong>an</strong>melden. Nach über zwei Stunden Wartezeit<br />
bin ich endlich <strong>an</strong> der Reihe. Frau XY fragt nach dem Anf<strong>an</strong>gsbuchstaben<br />
meines Familiennamens und teilt mir<br />
d<strong>an</strong>n mit, dass sie leider nicht für mich zuständig sei. Ich<br />
müsse einen Stock höher zu Frau Z. Aber ich müsse mich beeilen,<br />
denn die Tür werde gerade geschlossen, und d<strong>an</strong>n müsse<br />
ich am nächsten Tag wiederkommen. Und wieder warten.<br />
Warten lassen ist aber nur eine Zermürbungstaktik. Eine<br />
<strong>an</strong>dere sind sinnlose bürokratische Anforderungen. Es fängt<br />
damit <strong>an</strong>, dass der erste Termin darin besteht, sich ein Formular<br />
abzuholen, um mit diesem ein weiteres Formular zu<br />
bekommen, mit dem d<strong>an</strong>n der Antrag auf Arbeitslosengeld<br />
gestellt werden k<strong>an</strong>n. Auch wenn schon mehrmals Arbeitslo-<br />
sengeld be<strong>an</strong>tragt wurde und alle Daten im Computer vorh<strong>an</strong>den<br />
sind, müssen die Formulare immer wieder neu ausgefüllt<br />
werden. Ein <strong>an</strong>deres Beispiel: Bei einer Unterbrechung<br />
des Arbeitslosengeldbezuges wegen einer freiberuflichen<br />
Tätigkeit, muss bei Wieder<strong>an</strong>meldung eine Arbeitsbestätigung<br />
gebracht werden bzw. müssen Honorarnoten vorgewiesen<br />
werden. Es reicht nicht, einen Werkvertrag vorzuzeigen.<br />
Es muss eine Honorarnote sein. Dass diese ja jederzeit<br />
produziert werden k<strong>an</strong>n und <strong>an</strong>ders als ein Werkvertrag, auf<br />
dem der/die ArbeitgeberIn unterschreiben muss, keinerlei<br />
Auskunft darüber gibt, ob tatsächlich ein Dienstverhältnis<br />
best<strong>an</strong>d, ist Nebensache. Auf dem Formular steht Honorarnote,<br />
also muss es eine Honorarnote sein.<br />
Die dritte Taktik, um Arbeitsuchende gänzlich zu verunsichern,<br />
sind falsche Informationen. Ich zum Beispiel erfahre<br />
eher zufällig als gezielt, dass meine Bezüge eingestellt sind,<br />
da ich noch keinen Beschäftigungsnachweis vorgelegt habe,<br />
nachdem es bei meinem Termin zwei Wochen zuvor geheißen<br />
hat, das sei nicht notwendig. Noch bezeichnender ist<br />
folgende Begebenheit: Ich schlage meiner Beraterin einen<br />
Kurs vor, den ich gerne machen möchte. Sie bucht mich für<br />
diesen Kurs, drückt mir einen Zettel in die H<strong>an</strong>d und sagt, damit<br />
solle ich bei Kursbeginn am betreffenden Kursinstitut<br />
auftauchen. Da auf dem Zettel die Aufforderung zur persönlichen<br />
Terminvereinbarung zu lesen ist und ich aufgrund des<br />
prompten Services etwas misstrauisch bin, vereinbare ich einen<br />
Termin. Um festzustellen, dass der Kurs ausgebucht ist.<br />
Ich bin die dritte auf der Warteliste. Wobei wir wieder beim<br />
Thema „Warten“ wären. Und die eigentliche Aufgabe des<br />
AMS, die Vermittlung von Arbeitsstellen? Mir wurde bis jetzt<br />
eine einzige Stelle <strong>an</strong>geboten.<br />
Fazit:Wo Service draufsteht, ist nicht immer Service drinnen.<br />
Im Sinne von mehr Wahrheitsgehalt schlage ich die Umbenennung<br />
von Arbeitsmarktservice – AMS – in Arbeitslosenverwaltung<br />
– ALV – vor. Noch näher der Wahrheit käme Arbeitsloszermürbungsapparat<br />
– ALZA. .❚<br />
<strong>an</strong>.spruch<br />
juni <strong>2003</strong><strong>an</strong>.<strong>schläge</strong> 05