Himmlische Konstellationen Oktober 2012 - Veranstaltungskalender ...
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16<br />
Verbunden sein<br />
Wir sind nicht eines, sondern viele, aber so auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden,<br />
dass niemand allein bestehen kann. Von Wolf Schneider<br />
Merkwürdig: Obwohl ich mich keineswegs nur in spirituellen<br />
Kreisen bewege, treffe ich zur Zeit keine Menschen<br />
mehr, die nicht spirituell unterwegs sind. Beim<br />
Zugfahren, beim Einkaufen, überall begegne ich bewegten<br />
Menschen, die aufbrechen, weil sie erschüttert sind.<br />
Weil unsere Welt in ihren Grundfesten erschüttert ist<br />
– das Geldsystem, das politische System, die religiösen<br />
und moralischen Autoritäten sowieso. Auf Nachfragen<br />
antworten sie mir, dass sie sich selbst nicht mehr als<br />
etwas Festes wahrnehmen und akzeptiert haben, dass<br />
sich alles bewegt. Einige von ihnen haben damit sogar<br />
tief Frieden geschlossen und eine Kontinuität des Staunens<br />
erlangt – ein Staunen, das sie die Wechselfälle und<br />
Widrigkeiten des Lebens hinnehmen lässt; nicht immer<br />
gleich mit Leichtigkeit, dann aber doch.<br />
So verschwimmen die Grenzen zwischen religiösen<br />
und nicht-religiösen Menschen. Die da sagen „Ich<br />
glaube an nichts“ und die Gläubigen, sie sind nur<br />
oberflächlich verschieden. Spirituell zu sein, ist ein Brückenbegriff<br />
geworden. So unklar dieser Begriff auch ist,<br />
heute können sich damit auch immer mehr Menschen<br />
identifizieren, die keiner religiösen Gruppe angehören<br />
und die man normalerweise profan oder ungläubig<br />
nennen würde. Der Grund für diese Brückenbildung<br />
scheint mir das Wissen um die Verbundenheit von allem<br />
zu sein, das immer mehr Menschen erreicht, religiöse<br />
wie profane, gläubige wie ungläubige.<br />
Wir sind eine Gemeinschaft – das Mikrobiom<br />
Der Spiegel brachte das Thema im Juni, der Economist<br />
im August dann sogar als Titelthema: das Mikrobiom.<br />
Damit ist die Gesamtheit aller den Menschen besiedelnden<br />
Mikroorganismen gemeint. Grundlage der Berichte<br />
waren zwei Veröffentlichungen in Nature, dem neben<br />
Science weltweit führenden wissenschaftlichen Fachblatt.<br />
Dort präsentierte das Human Mikrobiome Project<br />
(HMP) nach fünf Jahren der Forschung von über 80<br />
Forschungseinrichtungen in der ganzen Welt zum ersten<br />
Mal ein Zwischenergebnis, und eines, das es in sich<br />
hat. Das HMP hatte sich vorgenommen, die Vielfalt und<br />
das Ausmaß der im Menschen lebenden Bakterien zu<br />
erfassen und kommt nun zu Ergebnissen, die nicht nur<br />
Fachwissenschaftler staunen lassen, sondern die Identität<br />
von uns Menschen berühren. Wir sind nicht, was wir<br />
dachten – dieser aus etwa zehn Billionen Zellen bestehende<br />
Organismus, den Produkten unserer 23.000 Gene,<br />
sondern wir sind als Mensch jeweils ein Ökosystem, das<br />
auch die 100 Billionen Zellen seiner einzelligen Mitbewohner<br />
enthält, dieser mehrere tausend verschiedenen<br />
Bakterienarten, die aus deren mehreren Millionen Genen<br />
entstanden sind. Denn diese Bakterien sind keine<br />
Parasiten, sondern Symbionten: Sie leisten wertvolle<br />
Arbeit, vor allem im Darm, aber auch im Mundraum<br />
und auf der Haut und an vielen anderen Orten. Eine<br />
Arbeit, ohne die der Mensch nicht leben könnte – und<br />
sie nicht ohne den Menschen. Wir sind also kein aus<br />
Organen bestehender Organismus, sondern ein Superorganismus,<br />
der aus vielen Organismen besteht, die<br />
zusammenarbeiten. Anders gesagt: Jedes menschliche<br />
Individuum ist eigentlich ein Ökosystem, eine Gemeinschaft<br />
aus vielen Billionen Lebewesen, die auf Gedeih<br />
und Verderb aufeinander angewiesen sind.<br />
KGSBerlin 10/<strong>2012</strong><br />
Foto: © Richard Carey - Fotolia.com