Jahresbericht 2011 des Ev. Beratungszentrums - Diakonisches ...
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„Zwiegespräche“ in der Paarberatung<br />
In der Paarberatung erlebe ich es häufig,<br />
dass die Partner gegenseitig in einer recht<br />
starren Sichtweise über ihren Partner<br />
verstrickt sind. Oft findet diese Sichtweise<br />
in pauschalierten Urteilen über den<br />
Anderen ihren Ausdruck. „Nie bist Du da,<br />
wenn ich Dich dringend brauche“, beklagt<br />
sich z. B. eine Ehefrau über ihren Mann.<br />
Der Ehemann wiederum wirft seiner Frau<br />
vor: „Immer wenn ich mit Dir ernste<br />
Gespräche führen möchte, weichst Du mir<br />
aus“. Die Eheleute werden mit solchen<br />
Ausschließlichkeits-Formulierungen (wie:<br />
‚von jeher warst Du so’ oder ‚grundsätzlich<br />
verhältst Du Dich so’) der Person <strong>des</strong><br />
Partners natürlich nicht gerecht. Zur<br />
Veranschaulichung verwende ich hierbei<br />
gerne die Metapher von einem riesigen<br />
Mosaik-Bild, welches im übertragenen<br />
Sinne die Individualität eines jeden<br />
Menschen darstellt. In Beziehungen<br />
neigen wir dazu, einige wenige Mosaik-<br />
Steinchen stark in den Focus zu nehmen<br />
und diese dadurch so groß werden zu<br />
lassen, dass die vielen anderen Steinchen<br />
nicht mehr sichtbar sind. Mehr noch: im<br />
Laufe der Zeit sind wir der irrigen<br />
Meinung, die Person <strong>des</strong> Partners<br />
bestünde ausschließlich aus diesen<br />
wenigen Steinchen: „Du bist SO und nicht<br />
anders“. Meiner Meinung nach ist die<br />
menschliche Psyche aber so komplex und<br />
vielschichtig, dass im Grunde genommen<br />
jeder sich selbst kaum zu 100% kennen<br />
kann – geschweige denn sein Gegenüber.<br />
Um sich - losgelöst von <strong>des</strong>truktiven<br />
Urteilen über den Partner - mit einer<br />
neugierigen Haltung wieder aufeinander<br />
zu bewegen zu können, biete ich Paaren<br />
gerne eine Kommunikationsübung der<br />
sogenannten Zwiegespräche 1 an. Hierbei<br />
setzen sich beide Partner regelmäßig,<br />
verbindlich und mit bestimmten Regeln zu<br />
(vorher vereinbarten) Gesprächsterminen<br />
für 30 Minuten zusammen. In dieser<br />
halben Stunde hat jeder Partner 15<br />
Minuten Redezeit, in der er thematisch<br />
völlig frei ist (er kann über das Wetter,<br />
Politik, Job, Sport etc., aber auch über die<br />
1 Vgl.: Möller, M. L.: Die Wahrheit beginnt zu<br />
zweit. Reinbek (Rowohlt Verlag) 1988<br />
7<br />
Paarbeziehung sprechen). Jedoch darf er<br />
keine Du-Botschaften verwenden (z. B.<br />
„Ich muss immer noch daran denken, wie<br />
böse Du mich neulich angeschaut hast.“).<br />
Der Zuhörer stellt in dieser Viertelstunde<br />
Redezeit seines Partners keinerlei Fragen<br />
und gibt keine Kommentare, sondern hört<br />
stumm zu. Dies gibt dem Redner die<br />
Möglichkeit, sich ohne Unterbrechung<br />
ganz auf sich zu konzentrieren. Außerdem<br />
schafft dieser Rahmen eine Atmosphäre,<br />
in der der Redner sich seine Worte nicht<br />
im Hinblick auf einen möglichen<br />
Widerspruch <strong>des</strong> Zuhörers zurechtlegen<br />
(bzw. gar zensieren) muss, sondern<br />
seinen spontanen Gedanken und<br />
Gefühlen direkt Ausdruck verleihen kann -<br />
quasi „frisch von der Leber weg“.<br />
Nach 15 Minuten findet ein Wechsel der<br />
Positionen statt, indem der Redner in der<br />
darauffolgenden Viertelstunde Zuhörer<br />
und der Zuhörer nun Redner ist. Letzterer<br />
nimmt jedoch keinen Bezug auf das zuvor<br />
vom Partner Gehörte (etwa: „Das, was ich<br />
gerade von Dir gehört habe, sehe ich ganz<br />
anders). Wenn die Übung schließlich nach<br />
30 Minuten beendet ist. bleibt das<br />
Gesagte nach wie vor unkommentiert<br />
stehen und es findet kein inhaltlicher<br />
Austausch statt. Auch mit dieser Regel soll<br />
dem Redner die Sicherheit gegeben<br />
werden, seine Worte frei und ohne<br />
Bedacht wählen zu können und nicht am<br />
Ende <strong>des</strong> Gesprächs vom Zuhörer etwa<br />
gegen ihn verwendet zu werden (z. B.:<br />
„Hätte ich schon früher gewusst, dass Du<br />
solch schräge Gedanken hegst!“).<br />
Idealerweise schafft der skizzierte<br />
Gesprächsrahmen die Möglichkeit, bei<br />
sich und bei seinem Partner in<br />
Vergessenheit geratene oder sogar neue<br />
Mosaik-Steinchen der Persönlichkeit zu<br />
entdecken. Dies gilt umso mehr, je<br />
häufiger diese Zwiegespräche geführt<br />
werden - eine vertrauensvolle Atmosphäre<br />
vorausgesetzt.<br />
Stefan Pydde