GLücksDueLL recycLinG Dr. FriGO VeGetarische ... - WWF Schweiz
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GUT GENIESSEN — Die <strong>WWF</strong>-Beilage in der SonntagsZeitung — 21. Oktober 2012 PORTRÄT — 11<br />
LUkaS LESSING TExT<br />
LaRS BORGES FOTO<br />
W<br />
ir sind am Rande eines winzigen<br />
Dörfchens 60 Kilometer<br />
ausserhalb Berlins.<br />
«Ich mag keine Show», sagt Michael<br />
Hoffmann. «Ich will die Hände wirklich<br />
in der Erde haben.» Dort stecken<br />
sie schon ein paar Augenblicke später:<br />
Da ist Unkraut zu zupfen, dort hat sich<br />
eine Tomatenstaude von ihrem Rankgerüst<br />
befreit. Sind hier schon Karotten<br />
reif? Hoffmann zieht eine Pflanze aus<br />
der Erde, befreit das leuchtend gelbe<br />
Gemüse mit den Fingern von der gröbsten<br />
Erde, beisst in die Wurzel und nickt<br />
sich selbst zufrieden zu.<br />
Dabei wird der beste Spitzenkoch<br />
Berlins stetig von vier fest installierten<br />
Kameras beobachtet: Jedes Gerät<br />
schiesst jede Minute ein Foto, um die<br />
Vorgänge in seinem Garten zu dokumentieren<br />
– im alten Glashaus, im halbblinden<br />
Folientunnel und im Freiland.<br />
Die Bilder zeigen die Witterung, das<br />
Öffnen der Tomatenblüten, die Reifung<br />
der Erdbeeren, die Tropfen des Taus.<br />
Hoffmann ist nicht nur Perfektionist,<br />
der in seinem Gartentagebuch jeden<br />
Arbeitsschritt seiner Helfer schriftlich<br />
dokumentieren lässt, er ist auch ein<br />
Ästhet, vernarrt in die Schönheit seines<br />
Gartens.<br />
200 Sorten Obst und Gemüse<br />
Dann geht es an die Ernte von Sellerie,<br />
Tomate, Schnittlauch, Zucchini und<br />
Haferwurzel. 200 Sorten Gemüse und<br />
Obst wachsen auf 10’000 Quadratmeter<br />
Garten. «Heute Abend liegt diese Ernte<br />
schon auf den Tellern», sagt er stolz,<br />
«diese Frische kann man nirgendwo<br />
kaufen, bei keinem Bioversand. Ich kann<br />
mir eine Küche ohne einen eigenen Garten<br />
längst nicht mehr vorstellen.» Was<br />
nicht frisch gegessen wird, kochen flinke<br />
Hände ein, trocknen es oder lagern es in<br />
Kisten voller kühlem Sand – oder gefrieren<br />
es ein, das aber nur im Ausnahmefall.<br />
«Wie meine Oma», sagt der Koch,<br />
«die hatte jede Menge Einweckgläser im<br />
Keller, die älter waren als man selbst.»<br />
Die jährlich 5000 eingeweckten Gläser<br />
von Michael Hoffmann werden nie<br />
alt, denn er ist der Chef des Restaurants<br />
Margaux, ein Stern im Guide Michelin,<br />
18 Punkte im Gault-Millau. In Berlins<br />
Innenstadt gelegen, einen Steinwurf<br />
vom Brandenburger Tor entfernt, mit<br />
hinterleuchteten Steinplatten getäfelt,<br />
mit weich gepolsterten Designerstühlen<br />
mehr Lässigkeit und doch genauso viel<br />
Eleganz wie die französische Edelgastronomie<br />
verströmend.<br />
Fois gras, Thun, Kalbfleisch oder<br />
Froschschenkel sucht der Gast auf der<br />
Karte dennoch vergebens. «Ich habe<br />
nach und nach alles weggelassen, hinter<br />
dem ich nicht stehen kann», sagt Hoffmann.<br />
«Das war nach der BSE-Krise.<br />
Da hatten wir eine Zeitlang nur noch<br />
Bressegeflügel von Jean-Claude Mieral,<br />
dem besten Züchter von dort. Alles andere<br />
erschien mir nicht verantwortbar.<br />
Dabei ist es fast bis heute geblieben.»<br />
Nun gibt es zwar auch wieder Lamm<br />
(«Aber kein Milchlamm – wir servieren<br />
Der Herr der Gemüse<br />
Wie der Berliner Starkoch Michael Hoffmann mit der Rückbesinnung auf<br />
alte Gemüsesorten und auf rein vegetarische kreationen die küche revolutioniert<br />
Guru der neuen vegetaris<br />
chen küche: Yotam<br />
Ottolenghi in der küche<br />
seines Londoner RestaurantsS<br />
«Wieso Dfsdfsfd können Tomaten<br />
so intensiv schmecken?»:<br />
Michael Hoffmann, 45, in der küche<br />
seines Restaurant Margaux<br />
keine Babys!»), Fisch oder Wild, nur aus<br />
artgerechter Haltung oder aus der Jagd,<br />
wenn möglich aus regionalen Quellen.<br />
Doch Fleisch ist nur die Beilage,<br />
die Hauptrolle spielt das Gemüse: «Ich<br />
weiss, dass das eine komische Karte ist<br />
für ein Sternenrestaurant, aber seit wir<br />
das machen, haben wir ein besseres Geschäft<br />
als vorher. Ich koche eben nicht<br />
für Gastrokritiker, sondern für meine<br />
Gäste, die hier einen schönen Abend<br />
verbringen wollen.» Hoffmanns Stern<br />
im Guide ist dennoch seit dreizehn Jahren<br />
fix, für einen zweiten Stern gilt er<br />
als Anwärter. «Ich stecke seit 30 Jahren<br />
in dieser weissen Jacke, doch mir macht<br />
es mehr Freude, Gemüse zu verarbeiten,<br />
weil es eine viel grössere Bandbreite<br />
bietet als Fleisch. Ich kann mir auch<br />
persönlich vorstellen, irgendwann mal<br />
gar kein Fleisch mehr zu essen – nicht<br />
aus politischen Gründen, sondern we-<br />
gen des Geschmacks, wegen der Gesundheit.<br />
Ich bin kein Vegetarier», fügt<br />
er erklärend hinzu, «ich halte ein sauber<br />
gekochtes Gulasch für eine feine Sache<br />
– aber ich muss nicht regelmässig<br />
Fleisch essen.»<br />
Völlig verrückte kreationen<br />
Hoffmann ist kein Überredungskünstler,<br />
er ist ein Überzeugungstäter: Wer<br />
sein gutes Dutzend Gemüsegänge<br />
durch hat, weiss um bis dahin ungeahnte<br />
Geschmacksexplosionen an seinem<br />
Gaumen («Wieso können Tomaten so<br />
intensiv schmecken? Wie kann man<br />
Sellerie in ein knusperndes Wunder verwandeln?<br />
Warum schmeckt ein Gemüseauszug<br />
dichter und würziger als jeder<br />
Fleischfond? Wieso duftet Eis gleichzeitig<br />
fruchtig und süss und ist doch<br />
aus roter Beete?»). Wer bei Hoffmann<br />
speiste, hat nicht nur heimische Ge-<br />
wächse auf seinem Teller gesehen, von<br />
deren Existenz er bis dato nichts geahnt<br />
hatte, sondern er ist von da an auch der<br />
festen Überzeugung, dass Essen ohne<br />
Fleisch keine Einschränkung bedeutet –<br />
selbst wenn der Kellner am Nebentisch<br />
ein ganzes duftendes Bressehuhn aus<br />
der Salzkruste klopft, bis dessen blaue<br />
Füsse kerzengerade in Richtung der dezenten<br />
Deckenlichter ragen.<br />
Nachhaltigkeit ist dem Maître<br />
wichtiger als purer Vegetarismus oder<br />
Prinzipienreiterei – selbst beim Wasser:<br />
«Nur ein einziges hervorragendes<br />
Brandenburger Wasser, das reicht! Beim<br />
VEGETaRIScHE aVaNTGaRDE<br />
Michael Hoffmann, 45, versteht sich als<br />
Gärtner und als koch. Er betreibt in Berlin<br />
das Restaurant Margaux und hat ein<br />
kochbuch für Blinde herausgegeben: «Trust<br />
in Taste», Justina Verlag, München.<br />
Wein machen wir das auch so – achtzig<br />
Prozent heimische Weine, dazu ein paar<br />
grosse Weine aus ganz Europa.»<br />
Soviel Sorgfalt im Umgang mit<br />
den Ressourcen hat ihren Preis – das<br />
grosse vegetarische Menü kostet rund<br />
150 Euro. «Zu zweit geben die Leute<br />
inklusive den Weinen bis zu 500 Euro<br />
aus», sagt Hoffmann, «aber dann haben<br />
sie etwas Tolles erlebt. Und vielleicht<br />
sind sie glücklich dabei.» Das klingt<br />
nach viel und ist dennoch zu billig: Die<br />
Gastgeber – Michael Hoffmanns Frau<br />
Kathrin leitet den Service – verdienen<br />
mit dem Gourmettempel zwar ihren<br />
Lebensunterhalt, doch nicht mehr. So<br />
«Ich koche<br />
nicht für<br />
Gastro kritiker,<br />
sondern für<br />
meine Gäste»<br />
ist das heute in der Spitzengastronomie,<br />
ohne Merchandising-, Kochshow- oder<br />
TV-Backup: Mit 20 Spitzenkräften in<br />
der Küche und im Service, die ab elf<br />
Uhr vormittags im Einsatz sind für das<br />
Dinner von täglich 40, 50 Gästen kann<br />
man nicht reich werden.<br />
Doch um den materiellen Gewinn<br />
geht es Michael Hoffmann nicht. Das ist<br />
zu merken, wenn er mit der Verpächterin<br />
seines Brandenburger Gartens in deren<br />
Küche sitzt. Die 84-jährige Bäuerin,<br />
die den Garten zusammen mit Helfern<br />
pflegt, bereitet umständlich Filterkaffee<br />
mit Kondensmilch zu. Das Gespräch<br />
dreht sich nicht um den abgehobenen<br />
Zirkus der Sternenküche, sondern um<br />
Gartenalltag: Welche Himbeerstauden<br />
diesen Herbst durch neue ersetzt werden<br />
sollen. Wie man es anstellen könnte, mit<br />
dem Traktor über den Grund des Nachbarn<br />
zu fahren, um den Boden eines<br />
brachliegenden Gartenstückes umzubrechen.<br />
Was der im Dorf zu jenem gesagt<br />
hat oder gesagt haben könnte. Rosa<br />
aus Derwitz kennt jeden Tratsch, und sie<br />
weiss alles über Gemüse – schliesslich<br />
hat sie sich in ihrem langen Leben vor<br />
allem damit beschäftigt. Für sie steht ein<br />
makellos gepflegter Garten im Vordergrund,<br />
der tadellose Produkte abwirft.<br />
Sie ist eine traditionelle Gemüsebäuerin,<br />
die trotzdem keine Miene verzieht,<br />
wenn sich Michael Hoffmann im Frühling<br />
tief über die Scholle beugt, um mit<br />
der Nagelschere persönlich die ersten<br />
Sauerampferstängel abzuschneiden. «Sie<br />
hat keine Ahnung, was ich damit anstelle»,<br />
sagt der Koch, «sie fände meine<br />
Kreationen vielleicht völlig verrückt,<br />
aber sie gibt mir die Erdung zurück, die<br />
man in der Spitzengastronomie leicht<br />
verlieren kann» – ausser, wenn man seine<br />
eigenen Hände alle paar Tage selbst<br />
in die Erde steckt.<br />
Rezept: www.wwf.ch/rezepte