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zett-Magazin Oktober / November

Magazin für Stadtkultur, Schlachthof / Lagerhaus

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THE<br />

MA<br />

6<br />

F o t o : BEGÜM YÜCELAY<br />

J O S C H K A S C H M I T T<br />

WERDER OFFIZIELL<br />

DER GRUNSTE ¨ VEREIN DER LIGA<br />

Das prominenteste Solarium Bremens steht dort, wo die Weser einen großen<br />

Bogen macht. Es ist ein nach dem angrenzenden Fluss benanntes Stadion.<br />

Es arbeitet mit Sonnenlicht und Strom. Und es macht den darin spielenden<br />

Verein dank massig Solarenergie zum Ökomeister des Landes. Mit Abstand.<br />

Das ergibt eine kürzlich von den Grünen aufgestellte Bundesligatabelle<br />

erneuerbarer Energien in und um Fußballstadien. Berücksichtigt wurden<br />

etwa Bemühungen um Ökobilanz und Energieeffizienz, Anteile an Ökostrom<br />

oder Nutzung von Photovoltaik. Seit einigen Jahren Werders Fachgebiet.<br />

Sage und schreibe 200.000 Solarzellen sind in die Fassade des<br />

Stadions integriert. Mit einer Größe von 16.000 Quadratmetern könnte<br />

diese Fläche zwei Fußballfelder abdecken.<br />

Wilfried Rehling von der Bremer Weser-Stadion GmbH (BWS) sagt:<br />

›Werder hatte im Rahmen des letzten großen Umbaus des Weserstadions<br />

die Motivation, eine markante Fassade mit einem hohen ökologischen<br />

Nutzen zu verbinden.‹ Das Resultat: Deutschlands größte gebäudeintegrierte<br />

Photovoltaikanlage und zudem die leistungsfähigste in<br />

einem Sportbetrieb. ›Diese neue Photovoltaikfassade ist in dieser<br />

Größenordnung eine Innovation, für die es keine Vergleichsbauten als<br />

Vorbilder gibt‹, so Rehling weiter. Mit einer Leistung von etwa einer Million<br />

Kilowattstunden Strom pro Jahr, was für etwa 300 Haushalte reicht.<br />

Investor, Betreiber und Stadionpartner sind EWE und SWB, weswegen<br />

Rehling zur konkreten ökonomischen Kosten-Nutzen-Rechnung wenig<br />

sagen kann. Die Energiekonzerne verfolgen ein Gesamtkonzept, zu dem<br />

neben der Photovoltaik eine Heizzentrale mit integrierter Mikrogasturbine<br />

gehört, die direkt vor Ort Strom erzeugt und den Brennstoff<br />

Erdgas optimal nutzt. Energieverluste und Emissionen sollen auf diese<br />

Weise stark reduziert werden. So wird ein hoher Nutzen der Energie<br />

garantiert. ›Durch Aufschaltung sämtlicher Stromverbraucher des<br />

Stadions auf eine Gebäudeleittechnik kann der Stromverbrauch über<br />

Kontrolleinheiten wirkungsvoll reduziert werden.‹<br />

Es läge nahe, zum Energiekonzept auch sich daraus ergebende<br />

Imagefragen zu zählen. Rehling hält sich dazu bedeckt: ›Die Außendarstellung<br />

als ökologisches Stadion hat sicherlich eine größere Rolle<br />

gespielt als Marketingfragen.‹ Der immaterielle Wert eines grünen,<br />

modernen und nachhaltigen Vereins dürfte deutlich höher sein als der<br />

Gewinn aus dem ›Werder-Strom‹. Auch die Politik habe die Anlage<br />

sehr begrüßt und die Stadt, die sich die BWS mit Werder teilt, hat sich<br />

am angeblich etwa 80 Millionen Euro teuren Umbau ab 2009 beteiligt.<br />

Für manche mag die Fassade ein architektonisches Highlight abseits<br />

grauen Betons darstellen. Anderen ist sie vielleicht zu glatt und<br />

zu weit weg vom kantigen Charakter früherer Zeiten. Das ist Geschmackssache,<br />

doch Rehling betont: ›Die Reaktionen waren durchweg<br />

positiv.‹ Manch einer wäre gar der Auffassung, diese Fassade<br />

könne zu einem neuen weiteren Wahrzeichen der Stadt werden.<br />

Und in der Tat macht sie sich in kunstvollen Aneinanderreihungen<br />

der Bremer Skyline gut, gleich neben dem Universum.<br />

Rundum ein gelungenes Projekt, könnte man also meinen. Jedoch<br />

gibt es ein Dilemma, das das Öko-Image empfindlich stört. Durch die<br />

Renovierung und die ausladende Fassade bleibt zu viel kostbares Sonnenlicht<br />

an der Außenseite hängen – zulasten des Grüns im Stadioninnern.<br />

Zeitweise soll der schattige Rasen nicht mal mehr ein Jahr<br />

gehalten haben. Die Konsequenz: Aus Holland wurde eine künstliche<br />

Sonne bestellt, um das Spielfeld nachts aus der Konserve zu bestrahlen.<br />

Der Rasen wächst nun wieder vorzüglich – und mit ihm die<br />

Stromrechnung. Schon 2011 erklärte dazu Matthias Güldner, Fraktionsvorsitzender<br />

der Grünen und Mitglied im Aufsichtsrat der BWS:<br />

›Diese Energieverschwendung im hohen Maße verdient die rote Karte.‹<br />

Es sei unverständlich, ›dass der Sonnenstrom der Weserstadion-<br />

Anlage nur zur Dauerbeleuchtung der Grashalme genutzt wird. Das<br />

Stadion ist mit der größten Solaranlage Norddeutschlands ein ökologisches<br />

Vorzeigeobjekt.‹ Rehling entgegnet dem heute: ›Der Strom<br />

aus der Photovoltaikanlage wird vollständig in das Netz eingespeist.‹<br />

Gemeinsam mit Kohle, Öl, Gas, Atom-, Wind- und Wasserkraft sowie<br />

Biomasse wird dieser Mix als ›Werder-Strom‹ für externe Kunden und<br />

Verbraucher vermarktet. ›Der Strom für die Rasenbeleuchtung kommt<br />

CO2-neutral als Ökostrom aus einem Wasserkraftwerk, wie auch der<br />

gesamte Strom für das Stadion‹, so Rehling weiter.<br />

Insgesamt lässt sich also feststellen: Werder macht als Branchenprimus<br />

schon vieles richtig. Die aufwändige Bestrahlung des Spielfelds<br />

ist in großen Stadien nicht unüblich und doch ist es schade um den<br />

Gesamteindruck, zumal selbstverschuldet anmutend. Für die Zukunft<br />

also noch Luft nach oben. Vielleicht mit Windrädern an den erhaltenen<br />

gebliebenen charakteristischen Scheinwerfermasten?

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