Der Wind in den Weiden
Ein Klassiker der Kinderbuchliteratur – mit bunten Zeichnungen
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Kenneth Grahame<br />
<strong>Der</strong> <strong>W<strong>in</strong>d</strong> <strong>in</strong> <strong>den</strong><br />
Wei<strong>den</strong><br />
Mit Zeichnungen
Kenneth Grahame<br />
<strong>Der</strong> <strong>W<strong>in</strong>d</strong> <strong>in</strong> <strong>den</strong><br />
Wei<strong>den</strong><br />
Mit Zeichnungen<br />
Übersetzung: J. Schulze und E. Steup<br />
Zeichnungen: Ilse Stams-Nitzschke<br />
Published by Null Papier Verlag, Deutschland<br />
Copyright © 2015 by Null Papier Verlag<br />
1. Auflage, ISBN 978-3-95418-668-6<br />
www.null-papier.de/331
Verlag<br />
<strong>Der</strong> Null Papier Verlag wurde 2011 von Jürgen Schulze gegründet.<br />
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Inhaltsangabe<br />
VERLAG.....................................................................................5<br />
1. DAS FLUSSUFER.....................................................................7<br />
2. AUF DER LANDSTRASSE......................................................28<br />
3. DER WALDSCHRECK...........................................................47<br />
4. BEI HERRN EINSIEDEL.......................................................65<br />
5. WIE DER MAULWURF NACH HAUSE KAM..........................82<br />
6. HERR GROSSMAUL...........................................................104<br />
7. ABENTEUER AUF DER FLUCHT..........................................123<br />
8. WANDERER SIND SIE ALLE.................................................141<br />
9. GROSSMAULS WEITERE ABENTEUER................................162<br />
10. EINE BÖSE ÜBERRASCHUNG...........................................189<br />
11. KAMPF UND SIEG.............................................................214<br />
99 WELT-KLASSIKER...........................................................237<br />
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1. Das Flussufer<br />
<strong>Der</strong> Maulwurf entläuft dem Frühl<strong>in</strong>gsre<strong>in</strong>emachen und<br />
schließt Freundschaft mit Christoph Braunröckchen —<br />
vergnügtes Picknick am Flussufer — unfreiwilliges Bad<br />
des ungeschickten Ruderers.<br />
<strong>Der</strong> Maulwurf, Cornelius Grabfuß, hatte großes<br />
Frühl<strong>in</strong>gsre<strong>in</strong>emachen. Er hatte <strong>den</strong> ganzen Morgen<br />
wie wild <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Häuschen geschuftet,<br />
erst mit Besen, dann mit Staubtüchern und dann mit<br />
e<strong>in</strong>em Eimer voll Tünche und e<strong>in</strong>em P<strong>in</strong>sel auf Leitern und<br />
Tritten und Stühlen. Schließlich hatte er Hals und Augen<br />
voll Staub, se<strong>in</strong>en schwarzen Pelz voller Tüncheflecken,<br />
und dazu taten ihm Rücken und Arme weh. Überallh<strong>in</strong><br />
drangen die Frühl<strong>in</strong>gslüfte, sie waren oben <strong>in</strong> der Luft und<br />
unten <strong>in</strong> der Erde um ihn herum. Sie erfüllten sogar se<strong>in</strong><br />
düsteres armseliges Häuschen mit ihrem Geist göttlicher<br />
Unruhe und Sehnsucht. Ke<strong>in</strong> Wunder, dass er plötzlich<br />
<strong>den</strong> P<strong>in</strong>sel auf die Erde schmiss, das ganze Frühl<strong>in</strong>gsre<strong>in</strong>e-<br />
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machen zum Teufel wünschte und so hastig aus dem Hause<br />
stürzte, dass er sich nicht e<strong>in</strong>mal die Zeit nahm, se<strong>in</strong>en<br />
Rock anzuziehen. Er eilte nach se<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en steilen Tunnel<br />
und kratzte und scharrte und krabbelte und grub und<br />
grub, und kratzte und scharrte und arbeitete eifrig mit se<strong>in</strong>en<br />
kle<strong>in</strong>en Pfoten und sagte immerzu vor sich h<strong>in</strong>: »Aufwärts,<br />
aufwärts.« Auf e<strong>in</strong>mal — puff — war er durch, mit der<br />
Schnauze im hellen Sonnenlicht und überkugelte sich im<br />
warmen Gras auf e<strong>in</strong>er großen Wiese.<br />
»Das ist prachtvoll!«, sagte er, »das ist was Besseres, als<br />
Wände weißen.«<br />
Die Sonne brannte heiß auf se<strong>in</strong>en Pelz, sanfte Lüfte<br />
liebkosten se<strong>in</strong>e erhitzte Stirn, und nach der langen E<strong>in</strong>geschlossenheit<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kellerwohnung klang das Lied der<br />
glücklichen Vögel se<strong>in</strong>en entwöhnten Ohren wie Jubelgeschrei.<br />
Er sprang mit allen Vieren zugleich <strong>in</strong> die Luft vor<br />
Freude am Leben und am Frühl<strong>in</strong>g ohne Re<strong>in</strong>emachen,<br />
dann setzte er se<strong>in</strong>en Weg über die Wiese fort, bis er die<br />
Hecke an der anderen Seite erreichte.<br />
»Halt«, sagte e<strong>in</strong> ältliches Kan<strong>in</strong>chen, das am Loch<br />
stand, »die Benutzung der Privatstraße kostet fünfzig<br />
Pfennig.« Im nächsten Augenblick saß es rückl<strong>in</strong>gs auf der<br />
Erde. <strong>Der</strong> ungeduldige Maulwurf hatte ihm als Antwort<br />
e<strong>in</strong>en or<strong>den</strong>tlichen Puff gegeben, trabte an der Hecke entlang<br />
und grunzte die andern Kan<strong>in</strong>chen, die neugierig aus<br />
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ihren Löchern stürzten, an: »Glotzköpfe.« Ehe sie e<strong>in</strong>e<br />
passende Antwort bereithatten, war er schon längst weiter.<br />
Nun beschimpften sie sich gegenseitig: »Wie dämlich<br />
hast du dich angestellt! Warum hast du ihm nichts gesagt?«<br />
»Warum hast du ihm nichts gesagt?« und so weiter,<br />
wie man das immer so macht. Aber dann war es natürlich<br />
zu spät, wie das auch immer so ist.<br />
<strong>Der</strong> Maulwurf lief eilfertig über die Wiesen, an Hecken<br />
entlang und kreuzte kle<strong>in</strong>e Gehölze. Überall fand er Vögel,<br />
die ihre Nester bauten, Knospen, die sich öffneten, Blätter,<br />
die hervorkamen — alles glücklich und eifrig und tätig. Anstatt<br />
nun e<strong>in</strong> schlechtes Gewissen zu haben, wenn er an<br />
das Tünchen dachte, machte ihn vielmehr der Gedanke<br />
froh, dass er unter all diesen fleißigen Bürgern der e<strong>in</strong>zige<br />
faule Hund war. Das Beste an e<strong>in</strong>em Urlaub ist ja auch eigentlich<br />
nicht so sehr das Feiern selbst, als dass man all die<br />
andern eifrig an der Arbeit sieht.<br />
Er glaubte <strong>den</strong> Gipfel des Glückes erreicht zu haben,<br />
aber da geriet er bei se<strong>in</strong>em ziellosen Herumwandern<br />
plötzlich an das Ufer e<strong>in</strong>es schäumen<strong>den</strong> Flusses. Er hatte<br />
noch nie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben e<strong>in</strong>en Fluss gesehen, und er war<br />
bezaubert und entzückt von diesem mächtigen Tier, das<br />
dah<strong>in</strong>jagte, gurgelnd alle möglichen Gegenstände ergriff<br />
und lachend wieder losließ, um sich auf neue Spielgenossen<br />
zu stürzen, die sich frei schüttelten und wieder gefan-<br />
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gen und losgelassen wur<strong>den</strong>. Alles war Bewegung und Tumult<br />
— Glitzern und Leuchten und Funkeln, Rauschen und<br />
Wirbeln und Schwatzen und Murmeln. Cornelius trottete<br />
am Ufer des Flusses entlang wie e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d neben e<strong>in</strong>em<br />
Mann, der es durch Erzählungen gefesselt hält. Und als er<br />
schließlich müde wurde, setzte er sich am Ufer h<strong>in</strong>, während<br />
die kle<strong>in</strong>en Wellen weiterschwatzten und ihm e<strong>in</strong>e<br />
ganze Reihe der schönsten Geschichten erzählten.<br />
Als er so im Grase saß und über das Wasser blickte, fiel<br />
se<strong>in</strong> Auge auf e<strong>in</strong> dunkles Loch, das sich am jenseitigen<br />
Ufer gerade über dem Wasserspiegel befand, und halb im<br />
Traum g<strong>in</strong>g es ihm durch <strong>den</strong> S<strong>in</strong>n, das wäre doch eigentlich<br />
so e<strong>in</strong>e recht gemütliche Wohnung für e<strong>in</strong> Wesen mit<br />
wenig Bedürfnissen und e<strong>in</strong>er Vorliebe für e<strong>in</strong> trautes<br />
Heim mit Wasserfront, fern von Staub und Lärm. Jetzt sah<br />
er, wie irgendetwas Kle<strong>in</strong>es, Glänzendes tief dr<strong>in</strong>nen glitzerte,<br />
verschwand und dann wieder glitzerte wie e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er<br />
Stern. Aber <strong>in</strong> dieser wenig passen<strong>den</strong> Lage konnte es<br />
kaum e<strong>in</strong> Stern se<strong>in</strong>, und für e<strong>in</strong>en Glühwurm war es zu<br />
flimmernd und zu kle<strong>in</strong>. Als er wieder guckte, zw<strong>in</strong>kerte es<br />
ihm zu und bewies dadurch, dass es e<strong>in</strong> Auge war. Dann<br />
wuchs nach und nach e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Gesicht darum herum,<br />
wie e<strong>in</strong> Rahmen um e<strong>in</strong> Bild. E<strong>in</strong> braunes, kle<strong>in</strong>es Gesicht<br />
mit Schnurrhaaren. — E<strong>in</strong> ernsthaftes rundes Gesicht mit<br />
dem Glitzern im Auge, das zuerst die Aufmerksamkeit des<br />
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Maulwurfs erregt hatte. — Kle<strong>in</strong>e fe<strong>in</strong>e Ohren und dickes<br />
seidiges Haar. — Es war Christoph Braunröckchen, die<br />
Wasserratte.<br />
Die bei<strong>den</strong> stan<strong>den</strong> da und sahen sich forschend an. —<br />
»Hallo!«, sagte Christoph. — »Hallo!«, sagte Cornelius. —<br />
»Hast du Lust, rüberzukommen?«, fragte Christoph. —<br />
»Red’ nicht so dumm«, sagte Cornelius Grabfuß übellaunig,<br />
<strong>den</strong>n er war e<strong>in</strong> Neul<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Bezug auf Fluss- und Uferleben<br />
und se<strong>in</strong>e Sitten und Gebräuche.<br />
Christoph Braunröckchen sagte nichts. Er bückte sich,<br />
machte e<strong>in</strong>en Strick los und holte e<strong>in</strong>. Dann stieg er mit<br />
leichtem Schritt <strong>in</strong> e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Boot, das der Maulwurf<br />
nicht bemerkt hatte. Es war außen blau und <strong>in</strong>nen weiß<br />
und gerade groß genug für zwei. Cornelius war sofort begeistert<br />
davon, obwohl er se<strong>in</strong>en Zweck noch nicht recht<br />
e<strong>in</strong>sah. Mit e<strong>in</strong>igen geschickten Ruderschlägen war Christoph<br />
drüben und machte das Boot fest. Dann hielt er se<strong>in</strong>e<br />
Vorderpfote hoch und behutsam kam Cornelius herunter.<br />
»Stütz’ dich«, sagte Christoph, »bitte mehr nach der<br />
Mitte treten«, und der Maulwurf fand sich plötzlich zu se<strong>in</strong>er<br />
Überraschung und zu se<strong>in</strong>em Entzücken vom <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
richtigen Boot.<br />
»Welch herrlicher Tag«, sagte er, während Christoph<br />
<strong>den</strong> Strick löste und die Ruder wieder ergriff, »kannst du<br />
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dir vorstellen, dass ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em ganzen Leben noch nie<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Boot war?«<br />
»Was«, schrie Christoph und sperrte <strong>den</strong> Mund vor<br />
Verwunderung weit auf, »du bist nie, — nie, sagst du, — bist<br />
nie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Boot, — nun sag mir nur mal, was hast du eigentlich<br />
de<strong>in</strong> Leben lang getan?«<br />
»Ist es wirklich so schön?«, fragte Cornelius schüchtern<br />
und war dabei schon ganz überzeugt, als er sich <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>em Sitz zurücklehnte, die Ruder, die Kissen und die<br />
ganze entzückende Ausrüstung bewunderte und dabei<br />
fühlte, wie das Boot leicht unter ihm dah<strong>in</strong>glitt.<br />
»Schön? Es ist das e<strong>in</strong>zig Schöne«, sagte Christoph feierlich,<br />
während er sich zum Rudern vorbeugte. »Junger<br />
Freund, glaube mir, es gibt nichts—absolut nichts, was nur<br />
halb soviel wert wäre wie im Boot herumzuwursteln, e<strong>in</strong>fach<br />
herumzuwursteln«, fuhr er träumerisch fort, »im Boot<br />
herumzuwursteln.« »Vorsicht!«, schrie Cornelius. Es war<br />
zu spät. Mit voller Wucht fuhr das Boot auf, und der <strong>in</strong><br />
Träumereien versunkene fröhliche Ruderer lag auf dem<br />
Rücken, mit <strong>den</strong> Be<strong>in</strong>en <strong>in</strong> der Luft.<br />
»Im Boot oder mit Booten«, fuhr Christoph gelassen<br />
fort, während er sich mit behaglichem Lachen <strong>in</strong> die Höhe<br />
richtete. »Im Boot oder daneben, das ist egal. Es ist überhaupt<br />
alles egal, das ist der Hauptreiz. Ob du vorwärtskommst,<br />
ob du stehen bleibst, ob du de<strong>in</strong> Ziel erreichst<br />
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oder irgendwo anders landest, oder ob du nirgendwo h<strong>in</strong>kommst,<br />
du hast immer was zu tun und tust doch nichts<br />
Besonderes. Bist du fertig, ist wieder was anderes zu tun.<br />
Wenn du Lust hast, kannst du drangehen, besser ist’s, du<br />
lässt es. Nun hör mal zu. Wenn du tatsächlich heute Morgen<br />
nichts Besseres vorhast, dann könnten wir doch eigentlich<br />
weiter fahren und uns e<strong>in</strong>en guten Tag machen.«<br />
<strong>Der</strong> Maulwurf wackelte vor Vergnügen mit <strong>den</strong> Zehen,<br />
und die Freude ließ ihn schneller atmen, während er selig<br />
<strong>in</strong> die Kissen zurücksank. »Was für e<strong>in</strong> herrlicher Tag«,<br />
sagte er, »kann’s gleich losgehen?«<br />
»E<strong>in</strong>en Augenblick«, sagte Christoph Braunröckchen.<br />
Er wand <strong>den</strong> Strick um <strong>den</strong> Pflock am Landungssteg, kletterte<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong> Loch und erschien nach wenigen M<strong>in</strong>uten<br />
schwer bela<strong>den</strong> wieder mit e<strong>in</strong>em umfangreichen Frühstückskorb.<br />
»Schiebe ihn unter <strong>den</strong> Sitz«, bemerkte er, als<br />
er <strong>den</strong> Korb <strong>in</strong>s Boot reichte. Dann machte er <strong>den</strong> Strick<br />
los und griff wieder nach <strong>den</strong> Rudern. »Was ist dr<strong>in</strong>?«,<br />
fragte der Maulwurf, der vor Neugierde zappelte.<br />
»Kalbsrückenhammelkotelettbismarckher<strong>in</strong>gkopfsalatwarmewürstchenpastetenmalzbierlimonadeselterwasser<br />
—«<br />
»Hör auf! Hör auf!«, schrie Cornelius Grabfuß außer<br />
sich vor Entzücken, »das ist zu viel.« — »Me<strong>in</strong>st du das<br />
wirklich?«, fragte Christoph ernsthaft. »Das bisschen neh-<br />
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me ich eigentlich immer auf diese kle<strong>in</strong>en Ausflüge mit,<br />
und die andern sagen, ich wäre e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>er Kerl und hätte<br />
alles sehr knapp.«<br />
<strong>Der</strong> Maulwurf hörte von der ganzen Rede ke<strong>in</strong> Wort. Er<br />
war zu sehr erfüllt von dem neuen Leben, das er heute begonnen<br />
hatte, berauscht von dem Funkeln und Wellengekräusel,<br />
<strong>den</strong> Düften und Geräuschen und dem Sonnenlicht.<br />
Er ließ se<strong>in</strong>e Pfote im Wasser nachschleppen und<br />
träumte lange wache Träume. Da Christoph e<strong>in</strong> gutmütiger<br />
kle<strong>in</strong>er Bursche war, ruderte er ruhig weiter und ließ<br />
ihn ungestört träumen.<br />
»Ich mag de<strong>in</strong>en Anzug riesig gern«, bemerkte er, als<br />
etwa e<strong>in</strong>e halbe Stunde vergangen war. »Ich will mir auch<br />
e<strong>in</strong>e schwarze Samtjacke machen lassen, sobald ich es mir<br />
leisten kann.«<br />
»Verzeih«, sagte Cornelius und fasste sich gewaltsam.<br />
»Du hältst mich gewiss für schrecklich unhöflich, aber dies<br />
alles ist mir so neu. Also — dies — ist — e<strong>in</strong> Fluss?« — »<strong>Der</strong><br />
Fluss«, verbesserte Christoph. — »Und du lebst richtig am<br />
Fluss! Was für e<strong>in</strong> herrliches Leben!«<br />
»Am Fluss und mit dem Fluss und auf dem Fluss und <strong>in</strong><br />
dem Fluss«, sagte Christoph. »Er ist mir Bruder und<br />
Schwester und Tanten und Gesellschaft und Essen und<br />
Tr<strong>in</strong>ken und natürlich waschen. Er ist me<strong>in</strong>e Welt und ich<br />
will ke<strong>in</strong>e andere, was er nicht hat, ist nichts wert, und was<br />
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er nicht weiß, ist nicht wissenswert. Ach, was für Zeiten<br />
haben wir zusammen verlebt! Ob W<strong>in</strong>ter oder Sommer,<br />
Frühl<strong>in</strong>g oder Herbst, der Fluss hat immer se<strong>in</strong>e Freu<strong>den</strong><br />
und Aufregungen, wenn im Frühl<strong>in</strong>g die Überschwemmung<br />
kommt und me<strong>in</strong>e Keller bis zum Rande voll Flüssigkeit<br />
s<strong>in</strong>d, die ich nicht tr<strong>in</strong>ken kann, und das braune Wasser<br />
me<strong>in</strong> schönstes Schlafzimmerfenster überflutet, oder<br />
wenn es sich verläuft und Schlammpfützen zurücklässt,<br />
die wie Topfkuchen riechen.«<br />
»Aber ist es nicht doch manchmal e<strong>in</strong> bisschen langweilig?«,<br />
wagte der Maulwurf zu fragen. »Nur du und der<br />
Fluss und jemand, mit dem man mal e<strong>in</strong> Wort wechseln<br />
kann?«<br />
»Niemand, mit dem man mal e<strong>in</strong> Wort wechseln kann?<br />
— Na, bei dir darf ich’s nicht so genau nehmen«, sagte<br />
Christoph sehr nachsichtig. »Du bist e<strong>in</strong> Neul<strong>in</strong>g und<br />
weißt es nicht besser. Die Ufer s<strong>in</strong>d heute so besetzt, dass<br />
manche Leute deswegen ganz fortziehen. Ach ne<strong>in</strong>, es ist<br />
gar nicht mehr so wie früher. Fischottern, Eisvögel, Taucherenten,<br />
Moorhennen, alle treiben sich ewig hier herum<br />
und wollen immerzu was, als wenn e<strong>in</strong>en nicht das eigene<br />
Geschäft ganz und gar <strong>in</strong> Anspruch nähme.«<br />
»Was liegt da drüben?«, fragte der Maulwurf und zeigte<br />
mit der Pfote auf e<strong>in</strong>en Wald im H<strong>in</strong>tergrund, der die Wiesen<br />
auf der e<strong>in</strong>en Wasserseite düster umrahmte. — »Das,<br />
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ach, das ist nur der Wilde Wald«, sagte Christoph kurz.<br />
»Da gehen wir nicht viel h<strong>in</strong>, wir Uferbewohner.« — »S<strong>in</strong>d<br />
die Leute, — ich me<strong>in</strong>e, die Leute im Walde, s<strong>in</strong>d die nicht<br />
nett?«, fragte Cornelius etwas unruhig.<br />
»Hm, wollen mal sehen«, sagte Christoph. »Die Eichhörnchen<br />
s<strong>in</strong>d sehr nett. Und die Kan<strong>in</strong>chen, wenigstens<br />
e<strong>in</strong>ige. Kan<strong>in</strong>chen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e etwas gemischte Gesellschaft.<br />
Und dann ist da natürlich Ulrich E<strong>in</strong>siedel, der Dachs. <strong>Der</strong><br />
lebt mittendr<strong>in</strong>. <strong>Der</strong> möchte gar nicht woanders leben, du<br />
könntest ihm sonst was bieten. <strong>Der</strong> gute alte Ulrich! Dem<br />
tut ke<strong>in</strong>er was. Die wür<strong>den</strong> sich schön hüten«, fügte er bedeutsam<br />
h<strong>in</strong>zu.<br />
»Wer? Wer möchte ihm wohl was tun?«, fragte der<br />
Maulwurf.<br />
»Ja, siehst du, weißt du, da s<strong>in</strong>d auch noch andere«, erklärte<br />
Christoph etwas zögernd. »Wiesel und Iltisse — und<br />
Füchse und so weiter. Die s<strong>in</strong>d sonst ganz nett — wir s<strong>in</strong>d<br />
ganz gute Freunde, begrüßen uns, wenn wir uns sehen<br />
und all das, aber sie vergessen sich manchmal, das lässt<br />
sich nicht leugnen. Du kannst ihnen eben nicht so recht<br />
trauen.«<br />
<strong>Der</strong> Maulwurf wusste, dass die Tieretikette es verbietet,<br />
Böses, was passieren könnte, an die Wand zu malen<br />
oder nur anzudeuten, deshalb ließ er <strong>den</strong> Gegenstand fallen.<br />
— »Und h<strong>in</strong>ter dem Wil<strong>den</strong> Wald?«, fragte er, »wo alles<br />
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so blau und verschwommen ist, und man was sieht, was<br />
Hügel se<strong>in</strong> könnten oder vielleicht auch nicht und so was<br />
wie Rauch von Städten oder vielleicht auch nur eilende<br />
Wolken?«<br />
»H<strong>in</strong>ter dem Wil<strong>den</strong> Wald liegt die weite Welt«, sagte<br />
Christoph, »und die geht weder dich noch mich an. Ich b<strong>in</strong><br />
nie dagewesen und werde nie h<strong>in</strong>gehen und du auch nicht,<br />
wenn du nicht ganz verdreht bist. Bitte, sprich nie wieder<br />
davon. — Na, endlich, hier ist me<strong>in</strong> stiller W<strong>in</strong>kel, wo wir<br />
frühstücken können.«<br />
Sie verließen <strong>den</strong> Hauptstrom und kamen an e<strong>in</strong>e Stelle,<br />
die beim ersten Anblick e<strong>in</strong> landumschlossener See zu<br />
se<strong>in</strong> schien. Grüner Rasen g<strong>in</strong>g zu bei<strong>den</strong> Seiten schräg<br />
herunter, braune, schlangengleiche Baumwurzeln schimmerten<br />
unter der Oberfläche des ruhigen Wassers. Über<br />
ihnen war der silberne Rücken und der schäumende Fall<br />
e<strong>in</strong>es Wehrs. Es war so schön, dass Cornelius Grabfuß nur<br />
se<strong>in</strong>e Vorderpfoten ausbreiten konnte und atemlos stammeln:<br />
»Oh! Oh!«<br />
Christoph Braunröckchen brachte das Boot längsseits<br />
des Ufers, machte es fest, expedierte <strong>den</strong> unbeholfenen<br />
Maulwurf an Land und holte mit e<strong>in</strong>em Schwung <strong>den</strong><br />
Frühstückskorb heraus. Cornelius bat um die Vergünstigung,<br />
ihn alle<strong>in</strong> auspacken zu dürfen, womit Christoph<br />
Braunröckchen sofort e<strong>in</strong>verstan<strong>den</strong> war. Er streckte sich<br />
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lang <strong>in</strong>s Gras und ruhte, während se<strong>in</strong> Freund voller Aufregung<br />
das Tischtuch aus dem Korb schüttelte und ausbreitete,<br />
alle geheimnisvollen Pakete e<strong>in</strong>s nach dem andern<br />
herausnahm, ihren Inhalt <strong>in</strong> der richtigen Ordnung aufbaute<br />
und bei jeder neuen Enthüllung wieder atemlos hervorstieß:<br />
»Oh! Oh!« — Als alles fertig war, sagte Christoph:<br />
»Nun lang zu, alter Junge!«, und der Maulwurf gehorchte<br />
mit Freu<strong>den</strong>. Er hatte se<strong>in</strong> Frühl<strong>in</strong>gsre<strong>in</strong>emachen zu e<strong>in</strong>er<br />
sehr frühen Morgenstunde begonnen, wie das so üblich<br />
ist, hatte zwischendurch weder gegessen noch getrunken,<br />
und seit jener fernen Zeit, die jetzt tagelang zurückzuliegen<br />
schien, wirklich viel erlebt.<br />
»Wonach siehst du?«, fragte Christoph, als der erste<br />
Hunger gestillt war und der Maulwurf se<strong>in</strong>e Augen schon<br />
mal e<strong>in</strong> bisschen vom Tischtuch losreißen und herumwandern<br />
lassen konnte.<br />
»Ich sehe nach e<strong>in</strong>em Streifen Blasen«, sagte der Maulwurf,<br />
»die auf der Oberfläche des Wassers immer weiterwandern.<br />
Das kommt mir merkwürdig vor.« — »Blasen?<br />
Oho!«, sagte Christoph und pfiff fröhlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>la<strong>den</strong>der<br />
Weise. — E<strong>in</strong>e breite, glitzernde Schnauze zeigte sich über<br />
dem Flussufer. <strong>Der</strong> Fischotter schwang sich heraus und<br />
schüttelte das Wasser aus se<strong>in</strong>em Rock.<br />
»Fresssäcke«, bemerkte er und machte sich an die Vorräte,<br />
»warum hast du mich nicht e<strong>in</strong>gela<strong>den</strong>, du Ratten-<br />
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jüngl<strong>in</strong>g?« — »Die Partie kam ganz zufällig zustande«, erklärte<br />
Christoph. »Übrigens, — me<strong>in</strong> Freund, Herr Grabfuß.<br />
Joachim Wellenblitz.« »Fühle mich geehrt«, sagte der Otter,<br />
und die bei<strong>den</strong> wur<strong>den</strong> sogleich Freunde.<br />
»Heute ist überall solch e<strong>in</strong> Betrieb«, fuhr Joachim fort.<br />
»Alle Welt sche<strong>in</strong>t auf dem Wasser zu se<strong>in</strong>. Ich kam hier<br />
herunter, um e<strong>in</strong>en Augenblick Ruhe zu haben und muss<br />
nun ausgerechnet auf euch stoßen! Wenigstens! — Verzeihung<br />
— ich me<strong>in</strong>e es nicht so schlimm.«<br />
H<strong>in</strong>ter ihnen erhob sich e<strong>in</strong> Rascheln, das aus e<strong>in</strong>er<br />
Hecke kam, <strong>in</strong> der noch die Blätter des letzten Jahres dicht<br />
h<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong> gestreifter Kopf mit hohen Schultern dah<strong>in</strong>ter<br />
guckte heraus. »Immer ran, alter Freund!«, schrie Christoph.<br />
— E<strong>in</strong>en oder zwei Schritte kam der Dachs angetrottet,<br />
dann grunzte er: »Brr! Gesellschaft!« drehte sich<br />
um und verschwand.<br />
»So ist er nun«, bemerkte der enttäuschte Christoph.<br />
»Hasst geradezu Gesellschaft. Heute wer<strong>den</strong> wir nichts<br />
mehr von ihm sehen. Wer ist übrigens auf dem Wasser?« —<br />
»Natürlich unser Freund Großmaul von Krötenste<strong>in</strong>«, erwiderte<br />
Joachim, »<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em funkelnagelneuen Rennboot,<br />
neue Ausleger, alles neu.« — Die bei<strong>den</strong> sahen sich an und<br />
lachten.<br />
»E<strong>in</strong>e Zeitlang war es nur Segeln«, sagte Christoph,<br />
»dann bekam er es satt und f<strong>in</strong>g mit Staken an. Es gab für<br />
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ihn <strong>den</strong> ganzen Tag nichts anderes als Staken, und das<br />
wurde e<strong>in</strong>e nette Wirtschaft bei ihm. Letztes Jahr war es<br />
das Leben im Hausboot, und wir mussten alle kommen<br />
und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Hausboot wohnen und so tun, als ob uns<br />
das Spaß machte. Er wollte <strong>den</strong> Rest se<strong>in</strong>es Lebens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Hausboot zubr<strong>in</strong>gen. Was er auch anfängt, immer ist<br />
es dasselbe. Er bekommt es bald über und fängt was Neues<br />
an.«<br />
»Dabei ist er e<strong>in</strong> guter Kerl«, bemerkte der Otter nach<strong>den</strong>klich,<br />
»aber ke<strong>in</strong>e Ausdauer — besonders nicht genug<br />
für e<strong>in</strong> Boot.«<br />
Von dort, wo sie saßen, hatten sie e<strong>in</strong>en Blick auf <strong>den</strong><br />
Hauptstrom über die Insel h<strong>in</strong>weg, die sie trennte, und gerade<br />
<strong>in</strong> diesem Augenblick schoss e<strong>in</strong> Rennboot <strong>in</strong> Sicht.<br />
<strong>Der</strong> Ruderer — e<strong>in</strong>e kurze, gedrungene Figur — spritzte<br />
fürchterlich und rollte tüchtig, strengte sich dabei kolossal<br />
an. Christoph stand auf und rief ihn an, aber Großmaul,<br />
der Kröterich — <strong>den</strong>n er war’s —, schüttelte <strong>den</strong> Kopf und<br />
arbeitete unentwegt weiter. »Er wird gleich rausfallen,<br />
wenn er so rollt«, sagte Christoph und setzte sich wieder.<br />
— »Natürlich«, kicherte der Otter, »habe ich dir jemals die<br />
gute Geschichte von Großmaul und dem Schleusenwärter<br />
erzählt? Die Sache g<strong>in</strong>g so zu. Großmaul …«<br />
E<strong>in</strong>e herumschwirrende Libelle schwankte unsicher<br />
quer über die Strömung <strong>in</strong> der torkeln<strong>den</strong> Art, die junge<br />
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Libellen annehmen, wenn sie Leben spüren. E<strong>in</strong> Wasserwirbel,<br />
e<strong>in</strong> Sprung, und die Libelle war nicht mehr sichtbar.<br />
— <strong>Der</strong> Otter auch nicht. — <strong>Der</strong> Maulwurf sah h<strong>in</strong>unter.<br />
Die Stimme klang noch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Ohren, aber der Rasen,<br />
auf dem Joachim Wellenblitz sich geräkelt hatte, war leer.<br />
Bis zum fernen Horizont war ke<strong>in</strong> Otter mehr zu sehen.<br />
Doch da war wieder e<strong>in</strong> Streifen Blasen auf der Oberfläche<br />
des Wassers. Christoph summte e<strong>in</strong>e Melodie, und dem<br />
Maulwurf fiel e<strong>in</strong>, dass die Tieretikette jede Bemerkung<br />
über das plötzliche Verschw<strong>in</strong><strong>den</strong> von Freun<strong>den</strong> zu irgende<strong>in</strong>em<br />
Augenblick und aus irgende<strong>in</strong>em Grunde oder<br />
aus gar ke<strong>in</strong>em Grunde verbot.<br />
»Ja, ja«, sagte Christoph, »ich <strong>den</strong>ke, wir sollten auch<br />
aufbrechen. Ich b<strong>in</strong> doch neugierig, wer von uns <strong>den</strong> Frühstückskorb<br />
wieder e<strong>in</strong>packen wird?« Er sprach nicht so,<br />
als ob ihm an diesem Vergnügen sehr viel gelegen wäre. —<br />
»Ach, bitte, lass mich«, sagte der Maulwurf, und natürlich<br />
erlaubte es ihm Christoph. Ganz so angenehm wie das<br />
Auspacken war das E<strong>in</strong>packen nicht. Das ist es nie. Aber<br />
Cornelius war fest entschlossen, sich über alles zu freuen,<br />
wenn er auch e<strong>in</strong>en Teller sah, der ihn aus dem Grase anstarrte,<br />
gerade als er <strong>den</strong> Korb gepackt und fest verschnürt<br />
hatte, und wenn auch Christoph, als er zum zweiten<br />
Mal soweit war, ihm e<strong>in</strong>e Gabel zeigte, die e<strong>in</strong> gewisser<br />
Jemand hätte sehen müssen, und wenn auch dann noch<br />
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der Senftopf dazukam, auf dem er, ohne es zu wissen, gesessen<br />
hatte — irgendwie wurde die Sache doch fertig,<br />
ohne dass er etwas von se<strong>in</strong>er guten Laune verloren hatte.<br />
Die Abendsonne begann zu s<strong>in</strong>ken, während Christoph<br />
<strong>in</strong> träumerischer Stimmung sanft heimwärts ruderte, Poesiekram<br />
vor sich h<strong>in</strong>murmelte und dem Maulwurf ke<strong>in</strong>e<br />
besondere Beachtung schenkte. Aber Cornelius war erfüllt<br />
von se<strong>in</strong>em Essen, von Stolz und Selbstzufrie<strong>den</strong>heit, fühlte<br />
sich ganz wie zu Hause <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Boot (wenigstens nach<br />
se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung) und f<strong>in</strong>g an, unruhig zu wer<strong>den</strong>. Auf e<strong>in</strong>mal<br />
sagte er: »Lieber Christoph, bitte, ich möchte mal rudern,<br />
jetzt gleich!«<br />
Christoph schüttelte lächelnd <strong>den</strong> Kopf. »Jetzt noch<br />
nicht, me<strong>in</strong> junger Freund«, sagte er — »warte, bis du e<strong>in</strong><br />
paar Lehrstun<strong>den</strong> gehabt hast. Es ist nicht so leicht, wie es<br />
aussieht.«<br />
E<strong>in</strong>en Augenblick war der Maulwurf ruhig. Aber er wurde<br />
immer eifersüchtiger auf Christoph, der so kräftig und<br />
leicht dah<strong>in</strong>ruderte, und se<strong>in</strong> Stolz flüsterte ihm zu, er<br />
könnte es genau so gut machen. Er sprang auf und ergriff<br />
die Ruder so plötzlich, dass Christoph Braunröckchen, der<br />
über das Wasser blickte und sich lyrische Gedichte aufsagte,<br />
überrumpelt wurde. Zum zweiten Mal lag er auf dem<br />
Rücken mit <strong>den</strong> Be<strong>in</strong>en <strong>in</strong> der Luft, während der trium-<br />
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phierende Maulwurf sich auf se<strong>in</strong>en Platz setzte und die<br />
Ruder mit völligem Selbstvertrauen ergriff.<br />
»Hör auf, du dämlicher Esel!«, schrie Christoph vom<br />
Bo<strong>den</strong> des Bootes aus. »Du kannst es nicht! Du wirst uns<br />
zum Umschlagen br<strong>in</strong>gen!« — Cornelius warf die Ruder mit<br />
Schwung zurück, wollte tief e<strong>in</strong>tauchen, verfehlte aber die<br />
Oberfläche — se<strong>in</strong>e Be<strong>in</strong>e flogen über <strong>den</strong> Kopf, und er<br />
fand sich oben auf dem protestieren<strong>den</strong> Christoph. In heller<br />
Aufregung griff er nach dem Bootsrand und im nächsten<br />
Augenblick — platsch! — das Boot schlug um, und er<br />
kämpfte verzweifelt mit <strong>den</strong> Wellen. Hu, wie kalt das Wasser<br />
war, und oh weh, wie nass fühlte er sich, wie brauste es<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Ohren, als er tiefer, tiefer sank! Wie hell und<br />
freundlich blickte die Sonne, als er hustend und prustend<br />
an die Oberfläche kam! Wie groß war se<strong>in</strong>e Verzweiflung,<br />
als er sich wieder s<strong>in</strong>ken fühlte! Dann griff ihn e<strong>in</strong>e kräftige<br />
Pfote am Nacken. Es war Christoph, und Christoph lachte.<br />
Cornelius konnte das Lachen fühlen, es lief Christophs<br />
Arm herunter und durch se<strong>in</strong>e Pfote, und von da <strong>in</strong> <strong>den</strong><br />
Nacken von Cornelius. Christoph bekam e<strong>in</strong> Ruder zu fassen<br />
und schob es unter des Maulwurfs Arm, worauf er dasselbe<br />
an der anderen Seite tat. Dann schwamm er nach<br />
h<strong>in</strong>ten, dirigierte das hilflose Geschöpf ans Ufer, half ihm<br />
mit e<strong>in</strong>em Schwung h<strong>in</strong>aus und setzte es <strong>in</strong>s Gras — e<strong>in</strong><br />
triefendes, kraftloses Häufchen Elend.<br />
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Nachdem Christoph ihn e<strong>in</strong> bisschen abgerieben und<br />
ausgewrungen hatte, sagte er: »Nun, alter Junge, renn <strong>den</strong><br />
Treidelweg so schnell wie möglich rauf und runter, bis du<br />
wieder warm und trocken bist, während ich nach dem<br />
Frühstückskorb tauche.«<br />
So trottete der betrübte Maulwurf, außen nass und <strong>in</strong>nen<br />
beschämt, auf und ab, bis er ziemlich trocken war.<br />
Christoph sprang <strong>in</strong>s Wasser, fasste das Boot, richtete es<br />
auf und machte es fest, brachte se<strong>in</strong>e herumschwimmen<strong>den</strong><br />
Besitztümer nach und nach an Land und tauchte<br />
schließlich mit Erfolg nach dem Frühstückskorb. — <strong>Der</strong><br />
h<strong>in</strong>kende, niedergeschlagene Maulwurf setzte sich wieder<br />
auf se<strong>in</strong>en Platz vorn im Boot, und als sie losfuhren, sagte<br />
er mit leiser, durch <strong>in</strong>nere Bewegung erschütterter Stimme:<br />
»Oh, Christoph, me<strong>in</strong> großmütiger Freund! Me<strong>in</strong> törichtes<br />
und undankbares Benehmen tut mir schrecklich<br />
leid. Mir s<strong>in</strong>kt das Herz, wenn ich daran <strong>den</strong>ke, dass ich am<br />
Verlust des herrlichen Frühstückskorbs hätte schuld se<strong>in</strong><br />
können. Ich b<strong>in</strong> wirklich e<strong>in</strong> richtiger Esel gewesen, und<br />
ich weiß es. Kannst du mir vergeben?«<br />
»Lieber Junge«, antwortete Christoph vergnügt, »was<br />
bedeutet e<strong>in</strong> bisschen Nässe für e<strong>in</strong>e Wasserratte. Ich b<strong>in</strong><br />
an <strong>den</strong> meisten Tagen mehr dr<strong>in</strong>nen als draußen. Denk<br />
nicht mehr dran, und nun pass mal auf. Ich f<strong>in</strong>de, du könntest<br />
wirklich e<strong>in</strong> bisschen bei mir bleiben. Es ist alles sehr<br />
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e<strong>in</strong>fach, weißt du — nicht wie bei Großmaul — aber das<br />
hast du noch nicht gesehen. Ich kann es dir aber behaglich<br />
machen, und ich lehre dich rudern und schwimmen, und<br />
du wirst bald ebenso gewandt auf dem Wasser se<strong>in</strong> wie<br />
nur e<strong>in</strong>er von uns.«<br />
<strong>Der</strong> Maulwurf war durch Christophs freundliche Art zu<br />
sprechen so gerührt, dass ihm die Stimme versagte, und er<br />
musste mit dem Rücken se<strong>in</strong>er Pfote e<strong>in</strong>e Träne aus dem<br />
Auge wischen. Aber Christoph sah taktvoll nach e<strong>in</strong>er anderen<br />
Richtung.<br />
Als sie nach Hause kamen, machte Christoph im Wohnzimmer<br />
e<strong>in</strong> helles Feuer an und setzte <strong>den</strong> Maulwurf <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>en Sessel davor, vorher hatte er ihm noch e<strong>in</strong>en Schlafrock<br />
und Hausschuhe geholt, und nun erzählte er ihm bis<br />
zum Abend Flussgeschichten. Für e<strong>in</strong>en Erdbewohner wie<br />
<strong>den</strong> Maulwurf waren sie riesig spannend. Geschichten<br />
über Wehre und plötzliche Überschwemmungen und<br />
spr<strong>in</strong>gende Hechte, und Dampfschiffe, die harte Flaschen<br />
herunterschmissen. Das Abendessen verlief sehr fröhlich,<br />
aber kurz danach musste e<strong>in</strong> schrecklich schläfriger Maulwurf<br />
von se<strong>in</strong>em treusorgen<strong>den</strong> Wirt die Treppe h<strong>in</strong>aufgeschleift<br />
wer<strong>den</strong> <strong>in</strong> das beste Schlafzimmer. Dort legte er<br />
bald darauf se<strong>in</strong>en Kopf ruhig und zufrie<strong>den</strong> auf se<strong>in</strong> Kopfkissen<br />
mit dem Bewusstse<strong>in</strong>, dass se<strong>in</strong> neuer Freund, der<br />
Fluss, am Fensterrahmen plätscherte.<br />
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Dies war der erste <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reihe von glücklichen Tagen,<br />
die nun für <strong>den</strong> se<strong>in</strong>er Häuslichkeit entronnenen<br />
Maulwurf anbrachen — Tage, so voll fesselnder D<strong>in</strong>ge, dass<br />
sie endlos schienen. Sie reichten weit <strong>in</strong> <strong>den</strong> reifen<strong>den</strong><br />
Sommer h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Cornelius lernte schwimmen und rudern.<br />
Er fand immer mehr Geschmack am fließen<strong>den</strong> Wasser,<br />
und wenn se<strong>in</strong> Ohr die Schilfstängel streifte, so f<strong>in</strong>g es<br />
manchmal Bruchstücke ihrer flüstern<strong>den</strong> Zwiegespräche<br />
mit dem <strong>W<strong>in</strong>d</strong>e auf.<br />
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