Delir und Delirmanagement
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Leitthema<br />
Med Klin Intensivmed Notfmed 2016 · 111:14–21<br />
DOI 10.1007/s00063-015-0130-z<br />
Eingegangen: 19. Oktober 2015<br />
Überarbeitet: 14. Dezember 2015<br />
Angenommen: 14. Dezember 2015<br />
Online publiziert: 21. Januar 2016<br />
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016<br />
Redaktion<br />
S. Reith, Aachen<br />
H. Hetz, Wien<br />
A. Kersten · S. Reith<br />
Medizinische Klinik I, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Aachen, Deutschland<br />
<strong>Delir</strong> <strong>und</strong> <strong>Delir</strong>management<br />
bei kritisch kranken Patienten<br />
Das <strong>Delir</strong> ist gekennzeichnet durch eine<br />
fluktuierende Alteration von Kognition<br />
<strong>und</strong> Aufmerksamkeit bei zugr<strong>und</strong>e<br />
liegender systemischer Erkrankung<br />
<strong>und</strong> metabolischen Störungen oder in<br />
Assoziation mit verabreichten Medikamenten<br />
bzw. dem Entzug dieser Medikamente.<br />
Unter hospitalisierten Patienten<br />
sind mehr als 30 % der kritisch Kranken<br />
betroffen. So ist das <strong>Delir</strong> eine der am<br />
häufigsten beschriebenen Organdysfunktionen<br />
auf Intensivstationen [1, 2].<br />
Das <strong>Delir</strong> zeigt eine enge Interaktion<br />
mit Schmerz, Stress, Angst <strong>und</strong> einem<br />
gestörten Schlafrhythmus, u. a. bedingt<br />
durch pflegerische Routinetätigkeiten,<br />
das Vorhandensein eines endotrachealen<br />
Tubus, Gewebsverletzungen, Agitation,<br />
z. B. durch Ventilatordyssynchronität,<br />
den Verlust der Kommunikationsfähigkeit,<br />
Immobilisierung oder Lärm [3].<br />
Das Auftreten eines <strong>Delir</strong>s ist assoziiert<br />
mit einer Verschlechterung von kurzfristigen<br />
Outcomeparametern; die<br />
Krankenhausliegedauer <strong>und</strong> Krankenhausmortalität<br />
erhöhen sich um das bis<br />
zu 3-fache [4]. Zusätzlich bestehen Hinweise<br />
auf langfristige Konsequenzen mit<br />
einer erhöhten extrahospitalen Mortalität,<br />
funktionellen <strong>und</strong> kognitiven Einschränkungen<br />
des Patienten im Anschluss<br />
an die Hospitalisierung <strong>und</strong> einer<br />
gehäuften Demenzentwicklung im Verlauf<br />
[5–7].<br />
DDDas <strong>Delir</strong> wird bei kritisch<br />
kranken Patienten auf der<br />
Intensivstation vielfach übersehen<br />
<strong>und</strong> fehldiagnostiziert.<br />
In seiner Signifikanz wird es häufig<br />
unterschätzt [8]. Zahlreiche Studien<br />
der letzten 10 Jahre haben das <strong>Delir</strong> auf<br />
Intensivstationen allerdings stärker in<br />
den Fokus der Behandlungsteams gerückt.<br />
Inzwischen existieren verschiedene<br />
etablierte Methoden zur Identifikation<br />
<strong>und</strong> Graduierung des <strong>Delir</strong>s, zudem gibt<br />
es Empfehlungen zur pharmakologischen<br />
<strong>und</strong> nichtpharmakologischen Therapie.<br />
Aktuell stehen die 2015 überarbeiteten<br />
S3-Leitlinien zum Management von <strong>Delir</strong>,<br />
Analgesie <strong>und</strong> Sedierung in der Intensivmedizin<br />
zur Verfügung. Sie wurden unter<br />
Federführung der Deutschen Gesellschaft<br />
für Anästhesiologie <strong>und</strong> Intensivmedizin<br />
(DGAI) <strong>und</strong> der Deutschen<br />
Interdisziplinären Vereinigung für<br />
Intensiv- <strong>und</strong> Notfallmedizin (DIVI) erstellt<br />
<strong>und</strong> sollen als symptomorientierter<br />
Leitfaden zur Prävention, Diagnostik<br />
<strong>und</strong> Therapie von <strong>Delir</strong>, Angst <strong>und</strong> Stress<br />
sowie zur protokollbasierten Analgesie<br />
<strong>und</strong> Sedierung in der Intensivmedizin<br />
dienen [1].<br />
Epidemiologie<br />
Das Krankheitsbild <strong>Delir</strong> kann in verschiedenen<br />
klinischen Entitäten auftreten,<br />
wobei die Prävalenz mit der<br />
Akuität des jeweiligen Krankheitsbilds<br />
variiert [8]. Die Inzidenz in einer allgemeinen<br />
Population klinisch stabiler<br />
internistischer, geriatrischer <strong>und</strong>/oder<br />
chirurgischer Patienten beträgt etwa<br />
11–42 %, wohingegen kritisch kranke<br />
intensivmedizinische Patienten ein deutlich<br />
höheres <strong>Delir</strong>risiko haben; die Prävalenz<br />
liegt hier bei bis zu 80 % [9]. Innerhalb<br />
des intensivmedizinischen Kollektivs<br />
wiederum muss zwischen beatmeten<br />
Patienten mit einer hohen <strong>Delir</strong>inzidenz<br />
von 60–80 % <strong>und</strong> nichtbeatmeten<br />
Patienten mit einer <strong>Delir</strong>inzidenz von 40–<br />
60 % unterschieden werden [10]. Damit<br />
stellt das <strong>Delir</strong> in der Intensivmedizin die<br />
häufigste akut-psychiatrische Erkrankung<br />
dar [9].<br />
Auch die klinische Präsentation<br />
deliranter Patienten ist sehr variabel.<br />
Eine Subkategorisierung erfolgt in Abhängigkeit<br />
vom Aktivitätszustand der<br />
Patienten. Die Mehrheit der Patienten<br />
(60 %) präsentieren das Bild eines gemischt<br />
hypo- <strong>und</strong> hyperaktiven <strong>Delir</strong>s,<br />
etwa 35 % das Bild eines hypoaktiven <strong>und</strong><br />
lediglich 5 % das Erscheinungsbild eines<br />
hyperaktiven <strong>Delir</strong>s [11].<br />
Zahlreiche Untersuchungen konnten<br />
eine strenge Assoziation zwischen dem<br />
Krankheitsbild <strong>Delir</strong> einerseits <strong>und</strong> einer<br />
Erhöhung von Morbidität, Mortalität<br />
<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitskosten andererseits<br />
aufzeigen [9, 12]. Dabei geht ein <strong>Delir</strong><br />
mit einem gleichzeitigen Anstieg der<br />
Hospitalisierungsdauer um bis zu 15 Tage<br />
[13] <strong>und</strong> einem Anstieg der 6-Monats-<br />
Mortalität um bis zu 19 % einher [2].<br />
Van den Boogaard [14] <strong>und</strong> Shehabi [15]<br />
konnten darüber hinaus nachweisen,<br />
dass die verlängerte Dauer eines <strong>Delir</strong>s<br />
während eines intensivmedizinischen<br />
Aufenthalts mit einer erhöhten 1-Jahres-<br />
Mortalität korreliert. Weiterhin führt<br />
das Auftreten eines <strong>Delir</strong>s zu einer vermehrten<br />
Entwicklung eines späteren posttraumatischen<br />
Stresssyndroms [16] <strong>und</strong><br />
einer im Langzeitverlauf persistierenden<br />
Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten<br />
[6]. Das zunehmende Bewusstsein<br />
der klinischen <strong>und</strong> prognostischen<br />
14 | Medizinische Klinik - Intensivmedizin <strong>und</strong> Notfallmedizin 1 · 2016
Tab. 1 Sedierungsskalen. (Nach [22])<br />
Skala/Wert<br />
Beschreibung<br />
Riker Sedation-Agitation Scale (SAS)<br />
Nicht erweckbar (1) Keine oder nur minimale Reaktion auf Schmerzreiz, keine Kommunikation,<br />
kein Befolgen von Anweisungen<br />
Tief sediert (2)<br />
Ungezielte Wachreaktion auf körperliche Reize, spontane Bewegungen,<br />
keine Kommunikation, kein Befolgen von Anweisungen<br />
Sediert (3)<br />
Erweckbar durch Ansprechen oder Anfassen, befolgt einfache Anweisungen<br />
Ruhig/kooperativ (4) Ruhig, leicht erweckbar, befolgt Anweisungen<br />
Agitiert (5)<br />
Körperliche Agitation, Angst, lässt sich durch Reden beruhigen<br />
Stark agitiert (6)<br />
Fixierung notwendig, häufige verbale Zurechtweisung nötig<br />
Gefährliche Agitation (7) Eigen- <strong>und</strong> Fremdgefährdung, Aggression, starke körperliche Unruhe<br />
Richmond Agitation-Sedation Scale (RASS)<br />
Nicht erweckbar (− 5) Keine Reaktion auf körperliche oder verbale Stimulation<br />
Tiefe Sedierung (− 4) Keine Antwort auf Ansprache, aber Bewegung oder kurzes Augenöffnen<br />
Moderate Sedierung<br />
(− 3)<br />
Leichte Sedierung (− 2)<br />
Schläfrig (− 1)<br />
Wach <strong>und</strong> ruhig (0)<br />
Unruhig (1)<br />
Agitiert (2)<br />
Sehr agitiert (3)<br />
Wehrhaft (4)<br />
Bewegung oder Augenöffnen auf Ansprache, aber kein fixierter Augenkontakt<br />
Kurzes Erwachen mit Augenkontakt < 10 s<br />
Längeres Erwachen, aber nicht vollständig wach, Augenkontakt > 10 s<br />
Wach, ruhig<br />
Ängstlich, aber keine agitierten oder aggressiven Bewegungen<br />
Häufige ungezielte Bewegungen, „kämpft“ mit Beatmungsgerät<br />
Zieht Tubus, Katheter etc., aggressiv<br />
Aggression mit unmittelbarer Gefahr für Personal<br />
längeren Zeitraum beobachtet werden<br />
können.<br />
Kritisch muss man anmerken, dass<br />
es widersprüchliche Daten zur Sensitivität<br />
dieser Skalen als Screening-Test gibt.<br />
Es bleibt unklar, ob die Verwendung<br />
der Skalen einer unstrukturierten bettseitigen<br />
Erfassung eines möglichen <strong>Delir</strong>s<br />
durch geschulte intensivmedizinische<br />
Pflegekräfte überlegen ist [20, 21]. Weiterhin<br />
muss betont werden, dass die Verwendung<br />
von CAM-ICU oder ICDSC<br />
die gleichzeitige Verwendung von<br />
Sedierungsskalen wie der Riker Sedation-<br />
Agitation Scale (SAS) oder der Richmond<br />
Agitation-Sedation Scale (RASS) voraussetzt.<br />
Beide sind häufig verwendete <strong>und</strong><br />
äquipotente Skalen zur Angabe <strong>und</strong> Bewertung<br />
der Sedierungstiefe bei invasiv<br />
<strong>und</strong> mechanisch ventilierten Patienten<br />
[22]. Aktuell sind CAM-ICU <strong>und</strong> ICDSC<br />
die beiden akzeptierten Methoden zur<br />
Detektion des <strong>Delir</strong>s als Ausdruck einer<br />
zerebralen Organdysfunktion beim<br />
kritisch kranken Patienten [23].<br />
Allgemeine Therapieaspekte<br />
Relevanz des <strong>Delir</strong>s beim hospitalisierten<br />
Patienten erfordert insofern die korrekte<br />
Erkennung, Prävention <strong>und</strong> optimale<br />
Therapieplanung.<br />
Erkennung des <strong>Delir</strong>s<br />
In der Routineversorgung wird ein <strong>Delir</strong><br />
in bis zu 75 % der Fälle nicht adäquat erkannt<br />
[17]. Zur Diagnostik eines <strong>Delir</strong>s<br />
müssen die Domänen, die im Diagnostic<br />
and Statistical Manual of Mental Disorders<br />
(DSM-5) ein <strong>Delir</strong> in der allgemeinen<br />
internistischen Population identifizieren,<br />
auf kritisch kranke Patienten übertragen<br />
werden. Hierbei sind die Dynamik der<br />
kritischen Erkrankung mit raschen<br />
Schwankungen des Schweregrads sowie<br />
die Nebenwirkungen der intensivmedizinischen<br />
medikamentösen Therapie<br />
mit Analgetika <strong>und</strong> Sedativa Barrieren<br />
für die Umsetzung einer einfachen Erkennung.<br />
Weiterhin ist aufgr<strong>und</strong> des peroralen<br />
Tubus oder der endotrachealen<br />
Kanüle ein großer Teil der Patienten<br />
nicht in der Lage, sich verbal zu äußern.<br />
Differenzialdiagnostisch müssen u. a. eine<br />
Hypoxie, Infektionen, metabolische Entgleisungen,<br />
Intoxikationen <strong>und</strong> fokalneurologische<br />
Defizite ausgeschlossen<br />
werden [1].<br />
»<br />
Aktuell sind CAM-ICU<br />
<strong>und</strong> ICDSC die beiden<br />
akzeptierten Methoden<br />
zur Detektion des <strong>Delir</strong>s<br />
Die beiden am weitesten verbreiteten<br />
Skalen zur Identifikation des <strong>Delir</strong>s bei<br />
intensivmedizinischen Patienten sind<br />
die Confusion Assessment Method for<br />
the Intensive Care Unit (CAM-ICU) <strong>und</strong><br />
die Intensive Care <strong>Delir</strong>ium Screening<br />
Checklist (ICDSC). Mit ihnen sollen<br />
die o. g. Barrieren überw<strong>und</strong>en werden<br />
(. Tab. 1 <strong>und</strong> 2). Beide Skalen sind im<br />
intensivmedizinischen Alltag rasch verwendbar<br />
<strong>und</strong> erzielen valide Ergebnisse<br />
[18, 19]. Während CAM-ICU ein dichotomes<br />
Ergebnis für den Erhebungszeitpunkt<br />
mit der Feststellung „<strong>Delir</strong> vorhanden“<br />
oder „<strong>Delir</strong> nicht vorhanden“<br />
liefert, erfasst die ICDSC Symptome<br />
<strong>und</strong> Zeichen des <strong>Delir</strong>s, die über einen<br />
Als therapeutische Strategien kommen<br />
pharmakologische <strong>und</strong> nichtpharmakologische<br />
Verfahren infrage. Pharmaka<br />
haben in der medikamentösen Therapie<br />
des <strong>Delir</strong>s einen hohen <strong>und</strong> etablierten<br />
Stellenwert, so etwa antipsychotische<br />
Medikamente (beispielsweise Haloperidol<br />
<strong>und</strong> atypische Antipsychotika) oder<br />
α2-Agonisten (beispielsweise Dexmedetomidin).<br />
Gleichzeitig muss die Pharmakotherapie<br />
allerdings als integrativer Teil<br />
einer breiteren Therapiestrategie unter<br />
Zuhilfenahme auch nichtpharmakologischer<br />
Interventionen angesehen<br />
werden. Daher ist die Entwicklung <strong>und</strong><br />
Anwendung eines evidenzbasierten Ansatzes,<br />
der sowohl pharmakologische als<br />
auch nichtpharmakologische Therapieoptionen<br />
beinhaltet, essenziell, um<br />
diesem ätiologisch multifaktoriellen<br />
Syndrom gerecht zu werden, das Auftreten<br />
eines <strong>Delir</strong>s <strong>und</strong> der damit verb<strong>und</strong>enen<br />
Komplikationen zu vermeiden<br />
<strong>und</strong> den Schweregrad sowie die Dauer des<br />
<strong>Delir</strong>s zu vermindern [4].<br />
Das American College of Critical Care<br />
Medicine spricht in den 2013 publizierten<br />
Leitlinien zur Therapie von Schmerz,<br />
Medizinische Klinik - Intensivmedizin <strong>und</strong> Notfallmedizin 1 · 2016 |<br />
15
Zusammenfassung · Abstract<br />
Agitation <strong>und</strong> <strong>Delir</strong> [23] generell eine<br />
Empfehlung für beide Therapieansätze<br />
aus, allerdings mit unterschiedlichen<br />
Empfehlungsgraden. Während der<br />
Empfehlungsgrad für eine pharmakologische<br />
<strong>Delir</strong>prävention in diesen Leitlinien<br />
lediglich mit 2C angegeben wird, ist<br />
die Wertigkeit der Empfehlung für nichtpharmakologische<br />
Interventionen mit 1B<br />
deutlich höher.<br />
»<br />
Ein standardisiertes Protokoll<br />
der konservativen <strong>Delir</strong>prävention<br />
<strong>und</strong> -therapie fehlt bislang<br />
Als eine der wichtigsten Therapiestrategien<br />
des <strong>Delir</strong>s hat sich in den vergangenen<br />
Jahren die Vermeidung einer<br />
exzessiven Sedierung herauskristallisiert.<br />
Es hat sich gezeigt, dass eine medizinisch<br />
nicht indizierte Sedierung von intensivpflichtigen<br />
Patienten, die mit dem Verlust<br />
der Kontaktfähigkeit (RASS ≤ − 2) einhergeht,<br />
mit einer erhöhten <strong>Delir</strong>inzidenz<br />
verb<strong>und</strong>en ist. Konsekutiv ist sie auch<br />
mit einer signifikant höheren Mortalität,<br />
einer verlängerten Beatmungsdauer <strong>und</strong><br />
einer verlängerten intensivmedizinischen<br />
Behandlungs- <strong>und</strong> Krankenhausverweildauer<br />
assoziiert [1].<br />
Nichtpharmakologische<br />
Therapie<br />
Med Klin Intensivmed Notfmed 2016 · 111:14–21<br />
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016<br />
Die Mehrzahl der Publikationen über<br />
nichtpharmakologische Therapiemöglichkeiten<br />
des <strong>Delir</strong>s betrachten vornehmlich<br />
klinisch stabile internistische,<br />
geriatrische oder perioperative Patientenkollektive<br />
<strong>und</strong> weniger kritisch kranke<br />
Patienten auf einer Intensivstation<br />
[24, 25]. Eine große Metaanalyse von<br />
17 Studien, die den Effekt nichtpharmakologischer<br />
Interventionen bei Patienten<br />
mit einem <strong>Delir</strong> untersucht hatten, enthielt<br />
lediglich 7 Studien an kritisch<br />
kranken Patienten einer Intensivstation<br />
[26]. Verschiedene Studien belegen, dass<br />
sich die Inzidenz des <strong>Delir</strong>s durch eine<br />
konsequente nichtpharmakologische<br />
Prävention um bis zu 40 % reduzieren<br />
lässt. Entsprechend konnte in den westlichen<br />
Ländern inzwischen die <strong>Delir</strong>rate<br />
als Qualitätsparameter der Versorgungsqualität<br />
<strong>und</strong> Patientensicherheit implementiert<br />
werden [26].<br />
Daher erscheint es sinnvoll, nichtpharmakologische<br />
Maßnahmen zur<br />
<strong>Delir</strong>prävention wann immer möglich<br />
einzusetzen. Zum jetzigen Zeitpunkt<br />
gibt es allerdings in Ermangelung großer<br />
randomisierter Studien noch kein<br />
definitives <strong>und</strong> standardisiertes Protokoll<br />
der konservativen Prävention bzw. Therapie.<br />
DOI 10.1007/s00063-015-0130-z<br />
A. Kersten · S. Reith<br />
<strong>Delir</strong> <strong>und</strong> <strong>Delir</strong>management bei kritisch kranken Patienten<br />
Zusammenfassung<br />
Das <strong>Delir</strong> bei kritisch kranken Patienten ist<br />
als Ausdruck einer zerebralen Organdysfunktion<br />
eine häufige Entität auf der Intensivstation.<br />
Kennzeichnend ist eine Störung<br />
des Bewusstseins <strong>und</strong> der Kognition, verb<strong>und</strong>en<br />
mit Aufmerksamkeitsschwierigkeiten<br />
<strong>und</strong> Veränderungen der Wahrnehmung,<br />
die sich in einem zeitlichen Intervall<br />
von St<strong>und</strong>en bis Tagen manifestieren<br />
können. Das Auftreten eines <strong>Delir</strong>s hat<br />
nachgewiesene negative Effekte auf kurz<strong>und</strong><br />
langfristige Outcomeparameter des<br />
Patienten <strong>und</strong> erhöht die Morbidität <strong>und</strong><br />
Mortalität. Trotz seiner Signifikanz wird das<br />
<strong>Delir</strong> in der Routineversorgung vom intensivmedizinischen<br />
Team in vielen Fällen nicht<br />
adäquat diagnostiziert. Als Instrumente zur<br />
standardisierten Erkennung des <strong>Delir</strong>s haben<br />
sich die gut validierten Skalen der Confusion<br />
Assessment Method for the Intensive<br />
Care Unit (CAM-ICU) <strong>und</strong> der Intensive<br />
Care <strong>Delir</strong>ium Screening Checklist (ICDSC)<br />
etabliert. Diese sind sowohl für ärztliches<br />
als auch nichtärztliches Personal einfach anwendbar.<br />
Die Therapie des <strong>Delir</strong>s ist bestimmt<br />
durch nichtpharmakologische Maßnahmen.<br />
Ziele sind die frühe Identifikation,<br />
Reorientierung <strong>und</strong> Mobilisierung des<br />
Patienten, darüber hinaus die Förderung der<br />
geistigen Aktivität <strong>und</strong> die Etablierung eines<br />
adäquaten Tag-Nacht-Rhythmus. Die Evidenz<br />
bezüglich der pharmakologischen Therapie<br />
ist gering, wobei die Wahl der sedierenden<br />
Medikation einen nachgewiesenen Einfluss<br />
auf Entstehung <strong>und</strong> Dauer eines <strong>Delir</strong>s auf<br />
der Intensivstation hat.<br />
Schlüsselwörter<br />
Sedierung · Mobilisierung · Orientierung ·<br />
Haloperidol · Dexmedetomidin<br />
<strong>Delir</strong>ium and delirium management in critically ill patients<br />
Abstract<br />
<strong>Delir</strong>ium in critically ill patients is a common<br />
entity in the intensive care unit (ICU) and is<br />
an expression of the cerebral organ dysfunction<br />
of the patient. The hallmark signs are disturbed<br />
consciousness and cognition in combination<br />
with inattentiveness and alterations<br />
in perception, which are manifested within<br />
a time interval of hours to days during treatment<br />
on the ICU. <strong>Delir</strong>ium has been shown to<br />
have negative effects on patient short-term<br />
and long-term outcome parameters and increases<br />
morbidity and mortality. Despite its<br />
significance in many cases delirium remains<br />
inadequately diagnosed during routine treatment<br />
by ICU personnel. There are two validated<br />
and easily applicable scales for the standardized<br />
diagnosis of delirium: the confusion<br />
assessment method for the ICU (CAM-ICU)<br />
and the intensive care delirium screening<br />
checklist (ICDSC). These are simple to apply<br />
by medical as well as non-medical personnel.<br />
The therapy of delirium is mostly determined<br />
by non-pharmacological measures aiming at<br />
early identification, reorientation and mobilization<br />
of the patient, improving cerebral activity<br />
and establishing adequate wake-sleep<br />
cycles. There is only sparse evidence for pharmacological<br />
treatment of delirium; however,<br />
the choice of sedative agent has a proven effect<br />
on the incidence and duration of delirium<br />
in the ICU.<br />
Keywords<br />
Sedation · Mobilization · Orientation ·<br />
Haloperidol · Dexmedetomidine<br />
Gr<strong>und</strong>lage einer solchen nichtpharmakologischen<br />
<strong>Delir</strong>intervention ist die<br />
frühzeitige Identifikation anerkannter<br />
Risikofaktoren für die Entstehung eines<br />
<strong>Delir</strong>s. Sie ermöglicht dann eine zielgerichtete<br />
Intervention. Im sog. Hospital<br />
Elder Life Program wurden beispielsweise<br />
interdisziplinäre Teams darauf trainiert,<br />
6 relevante Risikofaktoren eines <strong>Delir</strong>s zu<br />
identifizieren <strong>und</strong> zu therapieren:<br />
16 | Medizinische Klinik - Intensivmedizin <strong>und</strong> Notfallmedizin 1 · 2016
Tab. 2 Diagnosescores für <strong>Delir</strong> bei kritisch kranken Patienten. Methodik <strong>und</strong> Kriterien<br />
Confusion Assessment Method for the Intensive Care<br />
Unit (CAM-ICU) a<br />
Der Score wird als positiv (= <strong>Delir</strong> vorhanden) gewertet<br />
in Abhängigkeit vom Vorhandensein aller folgenden<br />
4 Kriterien:<br />
– Patient ist ausreichend wach (RASS > − 3)<br />
– Akute Änderungen des mentalen Status gegenüber<br />
dem Ausgangszustand oder fluktuierender mentaler<br />
Status in den letzten 24 h<br />
– > 2 Fehler in Test für Aufmerksamkeitsstörung (verbal<br />
oder mit Bildtafel)<br />
– Wenn die zuvor genannten Punkte erfüllt sind: RASS<br />
≠ 0 oder RASS = 0, aber > 1 Fehler in Test für unorganisiertes<br />
Denken mit 4 Ja/Nein-Fragen <strong>und</strong> 2-teiliger<br />
Anweisung zum Befolgen einer Bewegung<br />
RASS < - 3, Fehlen der Änderungen im mentalen Status,<br />
≤ 2 Fehler in Test für Aufmerksamkeitsstörung führen zu<br />
einer Wertung als negativ (= <strong>Delir</strong> ist nicht vorhanden).<br />
Wenn in der letzten Kategorie bei RASS = 0 nur ≤ 1 Fehler<br />
im Test für unorganisiertes Denken auftreten, wird der<br />
Score als negativ (= <strong>Delir</strong> ist nicht vorhanden) gewertet.<br />
a Angepasst nach Ely et al. [18].<br />
b Angepasst nach Bergeron et al. [19].<br />
RASS Richmond Agitation-Sedation Scale.<br />
55Optimierung bzw. Wiederherstellung<br />
einer fehlenden räumlichen <strong>und</strong>/oder<br />
zeitlichen Orientierung<br />
55Therapeutische Aktivität<br />
55Frühzeitige Mobilisierung<br />
55Optimierung des Hör- <strong>und</strong> Sehvermögens<br />
55Vermeidung von Malnutrition <strong>und</strong><br />
Dehydratation<br />
55Vermeidung von Schlafentzug<br />
Die konsequente Implementierung dieses<br />
Programms hat in vielen Zentren zu einer<br />
verbesserten Versorgung älterer Patienten<br />
beigetragen [24, 27].<br />
In der sog. Prediction-of-<strong>Delir</strong>iumin-ICU-Patients-Studie<br />
(PRE-DELIRIC;<br />
[28]) konnten 10 von 25 Risikofaktoren als<br />
prädiktiv für das spätere Auftreten eines<br />
<strong>Delir</strong>s bei Intensivpatienten identifiziert<br />
werden. Allerdings waren viele dieser prädiktiven<br />
Werte als fixe Charakteristika<br />
per se nicht durch nichtpharmakologische<br />
Maßnahmen beeinflussbar, so etwa das<br />
Alter oder der APACHE-II-Score. Entsprechend<br />
steht bei der konservativen<br />
nichtmedikamentösen Therapie des<br />
<strong>Delir</strong>s eine Vermeidung dieser für das<br />
Krankheitsbild prädisponierenden<br />
Faktoren im Vordergr<strong>und</strong>.<br />
Intensiv Care <strong>Delir</strong>ium Screening<br />
Checklist (ICDSC) b<br />
Ein Score ≥ 4 wertet den Test als positiv<br />
für ein <strong>Delir</strong>. Scores von 1 bis 3 werden<br />
als subsyndromales <strong>Delir</strong> beschrieben.<br />
Der Patient zeigt eine Reaktion auf<br />
zumindest moderate Stimulation.<br />
Hiernach wird je 1 Punkt für jedes der<br />
folgenden Kriterien vergeben:<br />
– Abweichung des mentalen Zustands<br />
von „normaler Wachheit“<br />
– Unaufmerksamkeit<br />
– Desorientiertheit<br />
– Halluzinationen<br />
– Psychomotorische Agitation<br />
– Inadäquate verbale Äußerungen,<br />
inadäquate Stimmung<br />
– Veränderungen in Schlaf-/<br />
Wachrhythmus<br />
– Fluktuierende Symptome<br />
Die Säulen solcher individueller nichtpharmakologischer<br />
Therapie- <strong>und</strong> Präventionsmaßnahmen<br />
sind<br />
55eine frühzeitige Mobilisierung,<br />
55Maßnahmen zur Reorientierung,<br />
55die Förderung der geistigen Aktivität<br />
der Patienten <strong>und</strong> Schulung des<br />
medizinischen Pflegepersonals sowie<br />
55die Förderung des Tag-Nacht-Rhythmus.<br />
Hierbei muss zwischen dem isolierten<br />
Effekt einer einzelnen Maßnahme <strong>und</strong><br />
der gleichzeitigen Behandlung mehrerer<br />
Risikofaktoren im Sinne eines Protokolls<br />
differenziert werden. Aktuelle Daten<br />
deuten darauf hin, dass multifaktorielle<br />
Interventionsprotokolle in der Prävention<br />
eines <strong>Delir</strong>s vorteilhafter sind [29, 30].<br />
Frühzeitige Mobilisierung<br />
Die internationalen Leitlinien zur<br />
Therapie von Schmerz, Agitation <strong>und</strong><br />
<strong>Delir</strong> des American College of Critical<br />
Care Medicine geben der frühzeitigen<br />
Mobilisierung von Patienten gerade<br />
auf einer Intensivstation den höchsten<br />
Stellenwert aller nichtmedikamentösen<br />
Therapieinterventionen des <strong>Delir</strong>s [23].<br />
Insbesondere bei bettlägerigen, beatmeten<br />
<strong>und</strong> längerfristig immobilisierten<br />
Patienten ist die rasche Muskelatrophie<br />
ein relevantes klinisches Problem. Sie beeinträchtigt<br />
den weiteren Behandlungs<strong>und</strong><br />
Genesungsprozess maßgeblich.<br />
Schweickert et al. [31] konnten in<br />
einer randomisierten Studie an einem<br />
chirurgischen Patientenkollektiv nachweisen,<br />
dass eine frühzeitig eingeleitete<br />
Physio- <strong>und</strong> Ergotherapie die Prognose<br />
des intensivmedizinischen Patienten<br />
positiv beeinflusst. Dabei zeigte sich<br />
eine Reduktion der Beatmungstage, der<br />
<strong>Delir</strong>dauer <strong>und</strong> der <strong>Delir</strong>rate im Vergleich<br />
zu einer Kontrollgruppe ohne frühzeitige<br />
Physio- <strong>und</strong> Ergotherapie. Entsprechend<br />
sollte die sofortige, regelmäßige <strong>und</strong><br />
intensive Physio- <strong>und</strong> Ergotherapie im<br />
intensivmedizinischen Setting eine unverzichtbare<br />
Standardmaßnahme zur Vermeidung<br />
bzw. Therapie eines <strong>Delir</strong>s sein.<br />
Die frühzeitige tägliche Mobilisierung<br />
kann dabei in Abhängigkeit von der<br />
Krankheitsschwere auf unterschiedliche<br />
Weise erfolgen, variabel als aktive<br />
Mobilisierung oder lediglich als passives<br />
Durchbewegen. Darüber hinaus kann<br />
insbesondere im intensivmedizinischen<br />
Bereich das zeitgerechte Entfernen von<br />
Tuben, Dauerkathetern <strong>und</strong> zentralen<br />
Venenkathetern den Mobilisierungsprozess<br />
fördern [26].<br />
Reorientierung<br />
Die ungewohnte <strong>und</strong> fremde Umgebung<br />
der Intensivstation mit fehlender räumlicher<br />
wie auch zeitlicher Orientierung<br />
des Patienten stellt einen wesentlichen<br />
Risikofaktor für die Entwicklung<br />
eines <strong>Delir</strong>s dar. Insofern erscheint der<br />
konsequente <strong>und</strong> frühzeitige Einsatz<br />
von reorientierenden <strong>und</strong> orientierungserhaltenden<br />
Maßnahmen essenziell für<br />
die Senkung der <strong>Delir</strong>rate [26].<br />
Einen wichtigen Beitrag leisten Maßnahmen<br />
zur Optimierung der Sinneswahrnehmung,<br />
vordergründig der<br />
visuellen <strong>und</strong> auditiven Wahrnehmungsfähigkeit.<br />
Dabei ist es unabdingbar, dem<br />
Patienten frühzeitig seine Seh- <strong>und</strong> Hörhilfen<br />
zur Verfügung zu stellen, soweit<br />
diese vorhanden sind [26]. Erst hierdurch<br />
wird es dem Patienten ermöglicht,<br />
seine neue <strong>und</strong> ungewohnte Umgebung<br />
tatsächlich zu realisieren <strong>und</strong><br />
wahrzunehmen <strong>und</strong> darüber hinaus<br />
Medizinische Klinik - Intensivmedizin <strong>und</strong> Notfallmedizin 1 · 2016 |<br />
17
Leitthema<br />
auch mit dem medizinischen Personal zu<br />
kommunizieren.<br />
DDEine weitere entscheidende<br />
Komponente ist die Sicherstellung<br />
der zeitlichen Orientierung.<br />
Hier helfen bereits einfache Maßnahmen<br />
wie die sichtbare Platzierung von großen<br />
Uhren im Patientenzimmer <strong>und</strong> eine<br />
klare <strong>und</strong> verständliche Kommunikation<br />
des Pflegepersonals mit dem Patienten<br />
[26].<br />
Förderung der geistigen Aktivität<br />
der Patienten <strong>und</strong> Schulung des<br />
medizinischen Pflegepersonals<br />
Gerade bei langwierigen Aufenthalten<br />
auf der Intensivstation unterliegen die<br />
Patienten sehr rasch einer ausgeprägten<br />
Monotonie. Dies resultiert bereits kurzfristig<br />
in einer deutlichen Abnahme der<br />
geistigen Anforderungen <strong>und</strong> damit<br />
der Kognition. Verstärkend wirkt die<br />
begleitende Analgosedierung, die bei<br />
Intensivpatienten vielfach besteht. Sie verursacht<br />
eine zusätzliche Beeinträchtigung<br />
der Kognition <strong>und</strong> des Denkvermögens<br />
[26].<br />
In diesem Zusammenhang sind<br />
insbesondere die regelmäßige Kommunikation<br />
zwischen dem Intensivpatienten<br />
<strong>und</strong> dem behandelnden ärztlichen<br />
<strong>und</strong> pflegerischen Personal von entscheidender<br />
Bedeutung. Hier scheinen<br />
auch ein entsprechendes Training <strong>und</strong><br />
Schulungen des pflegerischen Personals<br />
im Erkennen <strong>und</strong> adäquaten Umgang mit<br />
<strong>Delir</strong>patienten eine wichtige Komponente<br />
zu sein. In der Literatur werden verschiedene<br />
Möglichkeiten von Schulungsmaßnahmen<br />
des medizinischen Personals<br />
in Bezug auf die Erkennung, Prävention<br />
<strong>und</strong> Therapie des <strong>Delir</strong>s beschrieben<br />
[29]. Pflegekräfte sollten im Umgang mit<br />
Patienten <strong>und</strong> <strong>Delir</strong> dahingehend trainiert<br />
werden, dass sie in der Kommunikation<br />
repetitiv Ort <strong>und</strong> Zeit, den aktuellen<br />
individuellen Behandlungsplan <strong>und</strong> den<br />
aktuellen klinischen Status des Patienten<br />
verbalisieren [26].<br />
Förderung des<br />
Tag-Nacht-Rhythmus<br />
Die Vielzahl an diagnostischen <strong>und</strong><br />
therapeutischen Interventionen auf<br />
einer Intensivstation ist abgekoppelt vom<br />
eigentlichen Tag-Nacht-Rhythmus. Dies<br />
trägt ganz wesentlich zu einer Beeinträchtigung<br />
bzw. Aufhebung des physiologischen<br />
Tag-Nacht-Rhythmus bei.<br />
Zum Tragen kommen v. a. die nächtlichen<br />
Störungen durch helle <strong>und</strong> ständig<br />
wechselnde Lichteinflüsse sowie die hohe<br />
Geräuschbelastung auf der Intensivstation<br />
durch intensivmedizinische Maßnahmen,<br />
nächtliche Neuaufnahmen oder Notfallsituationen.<br />
Einfache, aber sehr effektive Maßnahmen,<br />
wie das Tragen von Augenmasken<br />
<strong>und</strong> Ohrstöpseln während<br />
des regulären Nachtintervalls, können<br />
zu einer deutlichen Verbesserung der<br />
Schlafqualität <strong>und</strong> einer Verlängerung<br />
der Rapid-eye-movement(REM)-<br />
Schlafphasen führen [31–33]. Darüber<br />
hinaus ist auch eine Selbstdisziplinierung<br />
des intensivmedizinischen Personals mit<br />
Vermeidung einer zu großen Gesprächslautstärke<br />
<strong>und</strong> Ausschaltung unnötiger<br />
Hintergr<strong>und</strong>geräusche erforderlich [26].<br />
Auf der Basis der aktuellen Leitlinienempfehlungen<br />
<strong>und</strong> der derzeit vorhandenen<br />
Literatur sollten entsprechende<br />
Protokolle in Bezug auf nichtpharmakologische<br />
Maßnahmen des <strong>Delir</strong>s definitiv<br />
die frühzeitige Mobilisierung, die<br />
kognitive Stimulation, die Reorientierung<br />
<strong>und</strong> Schulungsmaßnahmen für das<br />
Pflegepersonal enthalten.<br />
Analgosedierung<br />
Speziell im intensivmedizinischen Bereich<br />
sollten sich die Bestrebungen, die<br />
Inzidenz des <strong>Delir</strong>s <strong>und</strong> die <strong>Delir</strong>dauer<br />
zu reduzieren, v. a. auf Fortschritte in<br />
der Analgosedierung <strong>und</strong> des Analgosedierungsmonitorings<br />
sowie des<br />
modernen Beatmungsmanagements<br />
konzentrieren. In diesem Zusammenhang<br />
wurde für Strategien wie den<br />
„spontaneous awakening trial“ (SAT;<br />
[34]) <strong>und</strong> die „spontaneous awakening/<br />
spontaneous breathing trials“ (SAT/<br />
SBT; [35]) gezeigt, dass eine ziel- <strong>und</strong><br />
bedarfsadaptierte Analgosedierung<br />
verb<strong>und</strong>en mit dem Einsatz von<br />
Spontanatmungsverfahren zu einer<br />
Reduktion der Gesamtbeatmungs- <strong>und</strong><br />
Hospitalisierungszeiten von Intensivpatienten<br />
beitragen kann.<br />
Im Vordergr<strong>und</strong> sollte einerseits eine<br />
dominante Analgesie <strong>und</strong> andererseits<br />
die Vermeidung von Stress <strong>und</strong> Angst<br />
durch optimierte nichtpharmakologische<br />
Maßnahmen stehen [1]. Die Sedierungstherapie<br />
sollte zum Einsatz kommen,<br />
wenn Patienten unter diesen Maßnahmen<br />
weiter unruhig <strong>und</strong> gestresst<br />
sind oder wenn sie Halluzinationen bzw.<br />
psychotische Symptome aufweisen. Eine<br />
Übersedierung muss dann unbedingt<br />
vermieden werden [1]. Die Kombination<br />
dieser für Intensivpatienten evidenzbasierten<br />
Schritte mit weiteren Maßnahmen<br />
der frühen Mobilisierung <strong>und</strong><br />
Bewegung kann entscheidend auch zur<br />
Reduktion der <strong>Delir</strong>rate <strong>und</strong> <strong>Delir</strong>dauer<br />
bei Intensivpatienten beitragen [1, 25]<br />
Pharmakologische Therapie<br />
Bei der medikamentösen Therapie des<br />
<strong>Delir</strong>s sollte man a priori zwei Kategorien<br />
unterscheiden: die präventive Medikation<br />
zur Verminderung des Auftretens eines<br />
<strong>Delir</strong>s <strong>und</strong> die gezielte Medikation bei<br />
Patienten mit einem <strong>Delir</strong>.<br />
In einer Studie an chirurgischen<br />
Patienten mit Hüftoperation reduzierten<br />
sich unter prophylaktischer Therapie<br />
mit Haloperidol der Schweregrad <strong>und</strong><br />
die Dauer des <strong>Delir</strong>s [36]. Ebenso gibt es<br />
Studien, die bei elektiven Operationen<br />
eine Verminderung der <strong>Delir</strong>inzidenz<br />
durch die Verwendung des Neuroleptikums<br />
Haloperidol oder Risperidon in<br />
niedriger Dosis zeigen. Allerdings ist fraglich,<br />
ob sich diese Ergebnisse auf eine allgemeine<br />
intensivmedizinische Population<br />
übertragen lassen [37, 38].<br />
DDDie Wahl des Sedativums hat Einfluss<br />
auf die Entstehung eines <strong>Delir</strong>s.<br />
Neuere Studien belegen die Überlegenheit<br />
des kurz wirksamen, α-agonistischen<br />
Dexmedetomidins gegenüber Sedierungsstandards<br />
mit Benzodiazepinen bezüglich<br />
der Reduktion des <strong>Delir</strong>s auf<br />
Intensivstationen. So zeigte Riker [39]<br />
im Jahr 2009, dass die Verwendung von<br />
18 | Medizinische Klinik - Intensivmedizin <strong>und</strong> Notfallmedizin 1 · 2016
Sedierungspause<br />
RASS < -2 RASS ≥ -2<br />
Differenzialdiagnose:<br />
Koma<br />
Dexmedetomidin gegenüber Midazolam<br />
mit einem selteneren Auftreten eines<br />
<strong>Delir</strong>s <strong>und</strong> mit kürzeren Beatmungszeiten<br />
verb<strong>und</strong>en war, während die Effektivität<br />
im Erzielen der Sedierungstiefe gleich<br />
war. Im Vergleich zu Lorazepam wiesen<br />
Pandharipande et al. [40] 2007 ebenfalls<br />
eine Überlegenheit von Dexmedetomidin<br />
nach; das Überleben ohne ein <strong>Delir</strong> war<br />
verlängert <strong>und</strong> das Erreichen der gewünschten<br />
Sedierungstiefe verbessert. In<br />
der aktuellsten Studie zu dem Komplex<br />
aus Sedierung <strong>und</strong> <strong>Delir</strong> wurde 2012 ein<br />
Wechsel von der bestehenden Sedierung<br />
mit Midazolam oder Propofol zu<br />
Sedierungsmonitoring<br />
RASS ≥ -2<br />
Validierte<br />
<strong>Delir</strong>skalen:<br />
CAM-ICU<br />
ICDSC<br />
Ausschluss von Differenzialdiagnosen des <strong>Delir</strong>s<br />
- Hypoxie - Intoxikation<br />
- Anämie - Metabolische Entgleisung<br />
- Fieber/ Infektion/Sepsis - Fokal-neurologisches Defizit …<br />
Symptomorientierte Therapie<br />
• Adaptation Patient-Beatmungsgerät<br />
• Behandlung der respiratorischen Insuffizienz<br />
• Umgebungsfaktoren (Reduktion von<br />
Geräuschen <strong>und</strong> Licht auf Intensivstation)<br />
• Reorientierende Maßnahmen (Seh- <strong>und</strong><br />
Hörhilfen, Kommunikation)<br />
• Psychotische Symptome/<br />
Halluzinationen<br />
• Angst<br />
• Stress<br />
• Gestörter zirkadianer<br />
Rhythmus<br />
NEIN<br />
+<br />
JA<br />
Nichtpharmakologische Maßnahmen<br />
Pharmakologische Maßnahmen<br />
1. Zielorientierte (Score-orientierte) Analgesie<br />
2. Symptomorientierte pharmakologische Therapie:<br />
• Frühzeitige Physiotherapie<br />
• Kognitive Stimulation (psychologische/<br />
psychiatrische Unterstützung)<br />
• Verbesserung des Tag-Nacht-Rhythmus<br />
(Lichtreduktion, Ohrstöpsel)<br />
• Frühzeitige enterale Ernährung<br />
• Neuroleptika: Haloperidol, Risperidon,<br />
Quetiapin, Olanzapin<br />
• Benzodiazepine<br />
• α2-Agonisten (Clonidin, Dexmedetomidin)<br />
• Melatonin<br />
Abb. 1 8 Erfassung <strong>und</strong> symptomorientierte Therapie des kritisch kranken Patienten. CAM-ICU<br />
Confusion Assessment Method for the Intensive Care Unit; ICDSC Intensive Care <strong>Delir</strong>ium Screening<br />
Checklist; RASS Richmond Agitation-Sedation Scale. (Adaptiert nach [1])<br />
-<br />
Dexmedetomidin untersucht <strong>und</strong> mit der<br />
Fortführung des bestehenden Regimes<br />
verglichen [41]. Hinsichtlich eines<br />
kombinierten Endpunkts aus Agitation,<br />
Angst <strong>und</strong> <strong>Delir</strong> zeigte sich eine Überlegenheit<br />
gegenüber Propofol; in der<br />
Gruppe der Patienten mit fortgeführter<br />
Midazolamtherapie war dieser Endpunkt<br />
gleich häufig. 48 h nach Beendigung<br />
der Sedierung war mit CAM-ICU kein<br />
Unterschied in der <strong>Delir</strong>häufigkeit mehr<br />
zwischen den Gruppen festzustellen. Insgesamt<br />
ist die Datenlage zur pharmakologischen<br />
Prophylaxe eines <strong>Delir</strong>s unzureichend.<br />
Aktuelle Leitlinien geben<br />
aufgr<strong>und</strong> der geringen Evidenz keine<br />
Empfehlung für eine medikamentöse Prophylaxe<br />
des <strong>Delir</strong>s bei kritisch Kranken<br />
[1, 23].<br />
Die Evidenz in Bezug auf die<br />
medikamentöse Behandlung, wenn ein<br />
<strong>Delir</strong> aufgetreten ist, ist verglichen mit<br />
den Untersuchungen zur Prävention<br />
sehr gering <strong>und</strong> beruht in erster Linie<br />
auf Pilotstudien. Devlin [42] zeigte 2010<br />
in einer kleinen Gruppe aus 36 Patienten<br />
eine Überlegenheit der <strong>Delir</strong>behandlung<br />
mit dem atypischen Antipsychotikum<br />
Quetiapin gegenüber einem Placebo. Eine<br />
Studie von Girard [43] mit 103 Patienten<br />
ergab keinen Unterschied in Bezug auf<br />
delirfreie Tage bei Behandlung mit<br />
Haloperidol, dem atypischen Antipsychotikum<br />
Ziprasidon oder Placebo. Ähnlich<br />
wie Riker, in dessen Studie Dexmedetomidin<br />
zur geringeren Prävalenz<br />
von <strong>Delir</strong> führte, zeigte Reade in einer<br />
Pilotstudie eine Assoziation von Dexmedetomidin<br />
mit einem schnelleren Abklingen<br />
des <strong>Delir</strong>s als bei Behandlung<br />
mit Haloperidol [44]. Größere multizentrische,<br />
randomisierte, verblindete<br />
Studien existieren nicht. Somit erhält<br />
die medikamentöse Therapie des vorhandenen<br />
<strong>Delir</strong>s nur eine Grad-2C-<br />
Empfehlung [22].<br />
Eine in den aktuellen S3-Leitlinien beschriebene<br />
präventive Therapieoption,<br />
insbesondere bei älteren Patienten, stellt<br />
die Gabe von Melatonin dar [1].<br />
. Abb. 1 gibt einen Überblick über<br />
die diagnostischen <strong>und</strong> therapeutischen<br />
Arbeitsschritte in der Behandlung des<br />
<strong>Delir</strong>s.<br />
Resümee<br />
Ein <strong>Delir</strong> bei kritisch kranken Patienten<br />
auf der Intensivstation ist ein häufiges<br />
Ereignis mit ausgeprägten negativen<br />
Effekten auf Morbidität <strong>und</strong> Mortalität<br />
der betroffenen Patienten. Intrinsische<br />
Risikofaktoren sind der Schweregrad<br />
der kritischen Erkrankung, der vorbestehende<br />
zerebrale Status <strong>und</strong> die vorbestehende<br />
Medikation. Hinzu kommen<br />
Risikofaktoren, die sich aus der intensivmedizinischen<br />
Behandlung selbst ergeben,<br />
v. a. Faktoren, die Schmerz <strong>und</strong><br />
Agitation bedingen, sowie die Steuerung<br />
<strong>und</strong> Tiefe der Sedierung <strong>und</strong> die Wahl des<br />
Medizinische Klinik - Intensivmedizin <strong>und</strong> Notfallmedizin 1 · 2016 |<br />
19
Leitthema<br />
Sedativums. Eine Identifikation des <strong>Delir</strong>s<br />
ist mithilfe von CAM-ICU <strong>und</strong> ICDSC<br />
standardisiert möglich.<br />
Die Therapie des <strong>Delir</strong>s besteht in<br />
erster Linie in einem nichtpharmakologischen<br />
Ansatz mit früher Identifikation,<br />
Reorientierung <strong>und</strong> Mobilisierung<br />
des Patienten. Des Weiteren sollten<br />
die geistige Aktivität gefördert <strong>und</strong><br />
ein adäquater Tag-Nacht-Rhythmus<br />
etabliert werden. In der pharmakologischen<br />
Therapie scheinen Haloperidol<br />
<strong>und</strong> Dexmedetomidin einen präventiven<br />
Effekt zu haben. Die pharmakologische<br />
Therapie des bestehenden <strong>Delir</strong>s ist<br />
nur mit sehr geringer Evidenz belegt<br />
<strong>und</strong> zeigt allenfalls hypothesengenerierend<br />
eine mögliche Überlegenheit<br />
von Dexmedetomidin gegenüber den<br />
etablierten Standardsedativa.<br />
Fazit für die Praxis<br />
55Ein <strong>Delir</strong> ist bei kritisch kranken<br />
Patienten auf der Intensivstation ein<br />
häufiges Ereignis mit ausgeprägten<br />
negativen Effekten auf die Morbidität<br />
<strong>und</strong> Mortalität der betroffenen<br />
Patienten.<br />
55Eine Identifikation des <strong>Delir</strong>s ist<br />
mithilfe der CAM-ICU <strong>und</strong> ICDSC<br />
standardisiert möglich.<br />
55Die Therapie des <strong>Delir</strong>s besteht<br />
in erster Linie in einem nichtpharmakologischen<br />
Ansatz mit<br />
früher Identifikation, Reorientierung<br />
<strong>und</strong> Mobilisierung des Patienten,<br />
Förderung von geistiger Aktivität <strong>und</strong><br />
Etablierung eines adäquaten Tag-<br />
Nacht-Rhythmus.<br />
55Eine zu tiefe Sedierung sollte möglichst<br />
vermieden werden.<br />
55Die Wahl des Sedativums beeinflusst<br />
die Häufigkeit der <strong>Delir</strong>entstehung.<br />
55Haloperidol <strong>und</strong> Dexmedetomidin<br />
scheinen einen präventiven Effekt<br />
zu haben. Aufgr<strong>und</strong> der eingeschränkten<br />
Datenlage wird<br />
eine regelhafte medikamentöse<br />
<strong>Delir</strong>prävention derzeit aber nicht<br />
empfohlen.<br />
Korrespondenzadresse<br />
Dr. A. Kersten<br />
Medizinische Klinik I,<br />
Universitätsklinikum der<br />
RWTH Aachen<br />
Pauwelsstr. 30, 52074 Aachen<br />
akersten@ukaachen.de<br />
Einhaltung ethischer Richtlinien<br />
Interessenkonflikt. A. Kersten <strong>und</strong> S. Reith geben<br />
an, dass kein Interessenkonflikt besteht.<br />
Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen<br />
oder Tieren.<br />
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mechanically ventilated patients: the MENDS<br />
randomized controlled trial. JAMA 298:2644–2653<br />
41. Jakob SM, Ruokonen E, Gro<strong>und</strong>s RM et al (2012)<br />
Dexmedetomidine vs midazolam or propofol for<br />
sedation during prolonged mechanical ventilation:<br />
two randomized controlled trials. JAMA 307:1151–<br />
1160<br />
42. Devlin JW, Roberts RJ, Fong JJ et al (2010)<br />
Efficacy and safety of quetiapine in critically ill<br />
patients with delirium: a prospective, multicenter,<br />
randomized, doubleblind, placebo-controlled pilot<br />
study. Crit Care Med 38:419–427<br />
43. Girard TD, Pandharipande PP, Carson SS et al<br />
(2010) Feasibility, efficacy, and safety of<br />
antipsychotics for intensive care unit delirium: the<br />
MIND randomized, placebo-controlled trial. Crit<br />
Care Med 38:428–437<br />
44. Reade MC, O’Sullivan K, Bates S, Goldsmith D,<br />
Ainslie WR, Bellomo R (2009) Dexmedetomidine<br />
vs. haloperidol in delirious, agitated, intubated<br />
patients: a randomised open-label trial. Crit Care<br />
13:R75<br />
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Medizinische Klinik - Intensivmedizin <strong>und</strong> Notfallmedizin 1 · 2016 |<br />
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