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GardistLauper_Leseprobe

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HUNGER UND GOLD<br />

Rotten Verlags AG, Visp


DAS LEBEN DES NEUSEELAND PIONIERS<br />

UND FRÜHEREN SCHWEIZERGARDISTEN<br />

JAKOB LAUPER (1815–1891) UND SEIN<br />

EXPEDITIONSBERICHT AUS DEN ALPEN<br />

NEUSEELANDS VON 1863 IM ORIGINAL-<br />

WORTLAUT.<br />

HUNGER UND GOLD<br />

Damian Zingg Hilary Low Hans Kalbermatten Edward Cary


Inhalt<br />

Wir danken herzlich für die Unterstützung<br />

• Franz Brändle, Steinhausen / Zug<br />

• Liliane Dubois-Boschung, Martigny<br />

Inhalt<br />

Impressum<br />

Texte<br />

Damian Zingg<br />

Transkriptionen Hilary Low, Hans Kalbermatten<br />

Lektorat Hans Kalbermatten, Werner Bellwald<br />

Fotos<br />

Edward Cary (Christchurch / Neuseeland), Damian Zingg (Andermatt/Schweiz),<br />

Hilary Low (Wellington / Neuseeland) und Werner Bellwald (Naters/Schweiz)<br />

Umschlag Urban Zingg<br />

Layout<br />

Sven Frachebourg, Naters<br />

Druck<br />

Mengis Druck AG, Visp<br />

ISBN 978-3-906118-35-2<br />

Veröffentlichungen des Kulturzentrums der päpstlichen Schweizergarde, 4<br />

© zentrum garde, naters 2015<br />

Kapitel I<br />

Prolog8<br />

Vorwort9<br />

Bauernbub, Kollegiumsschüler, Gardist.<br />

Jakob Laupers erste 20 Jahre 12<br />

«Nicht einmal eine charakteristische und originelle Leibgarde!»<br />

Jakob Laupers Zeit als Gardist in Rom 14<br />

«Kennt Ihr mich denn nicht mehr?»<br />

Laupers Rückkehr nach Freiburg, Heirat und Alltag als Bauer 21<br />

«Taktlose Leute, die auf der Suche nach Gold westwärts ziehen.»<br />

Von Giffers über Liverpool nach Australien und Neuseeland 26<br />

5


Inhalt<br />

Kapitel II<br />

Durch Dornen und tiefe Sümpfe<br />

Originalbericht über die Neuseelandexpedition 1863 39<br />

Kapitel III<br />

‹Er (der Schweizer) war sehr entkräftet und erschöpft› 101<br />

Exponat mit schicksalhafter Geschichte –<br />

Whitcombes Taschenuhr im Museum Zentrum Garde 103<br />

‹Sichtlich gealtert, verbrämt, verzweifelt auf der Suche nach Arbeit› 105<br />

Die Frage der 1000-Pfund-Belohnung 109<br />

Hünenhafte Gestalt, mit wettergegerbtem, braunem Gesicht<br />

und schneeweissem Bart 118<br />

«Flieht, flieht, flieht, Laupers Zahggi chuunt!» 119<br />

«Whitcombe und Lauper müsste man nicht Entdecker,<br />

sondern eher Reisende, wenn nicht sogar Touristen, nennen.» 123<br />

Dienstmädchen, 33 Jahre, unverheiratet 125<br />

Epilog132<br />

6<br />

Literatur134


Prolog<br />

Vorwort<br />

Prolog<br />

Vorwort<br />

Jakob Lauper (1815–1891) – Stationen eines bewegten Lebens<br />

Sohn des Landammans von Giffers (Senseland, Kanton Freiburg)<br />

Student am Jesuitenkollegium St. Michael, Freiburg<br />

Hellebardier in der päpstlichen Schweizergarde, Rom<br />

Verschollen in der Fremde<br />

Kleinbauer, Familienvater, Friedensrichter und Börsenhasardeur<br />

Auswanderer nach Australien<br />

Vor über 10 Jahren machte mich eine kurze Zeitungsmeldung aus Neuseeland neugierig.<br />

Darin war die Rede von einem Schweizer Abenteurer, nach dem einige geografische<br />

Landmarken bezeichnet wurden. Man hatte seinen Namen jedoch damals, vor über 150<br />

Jahren, phonetisch wiedergegeben. So hiess eine Bergspitze auf der Südinsel fälschlicherweise<br />

Louper Peak. Ein Missstand, der 2004 von den verantwortlichen Stellen<br />

Neuseelands offiziell behoben wurde. Heute findet man auf aktualisierten Karten den<br />

erwähnten Berggipfel namens Lauper Peak, in dessen unmittelbarer Nähe der Gebirgsbach<br />

Lauper Stream talwärts fliesst. Daneben gibt es am Ufer des Rakaia-Flusses eine<br />

kleine Schutzhütte, die den Namen Lauper Bivouac trägt.<br />

Abenteurer in Neuseeland<br />

Fragen drängten sich auf: Wer war dieser Lauper? Wie kommt es, dass er auf der neuseeländischen<br />

Gefeierter Held, unverstandener Aussenseiter<br />

Südinsel Spuren in der Geografie und der Geschichte hinterlassen hat?<br />

Greiser Weltenbummler<br />

Ich wollte mehr darüber erfahren. In der Zürcher Zentralbibliothek stiess ich auf ein<br />

Leuchtturmwärter<br />

Heimatkundebüchlein aus dem Jahre 1932. J. Kolly, Lehrer und Dorfchronist in Giffers,<br />

Kanton Freiburg, beschrieb darin, wie Jakob Lauper in den 1860er Jahren unter<br />

Verewigt in Neuseeland, vergessen in der Heimat<br />

dramatischen Umständen in die Geschichte Neuseelands eingegangen war.<br />

Denn Lauper, der zuvor auch in der päpstlichen Schweizergarde diente, gehörte zu<br />

den wagemutigen Pionieren, die einen der letzten weissen Flecken der Weltkarte erforschten:<br />

Die Westküste der neuseeländischen Südinsel, heute Westland genannt.<br />

Dieser abgeschiedene Landstrich gehört zu den regenreichsten Regionen der Erde. Imposante,<br />

gletscherreiche Gebirgsketten umschliessen ihn wie eine Mauer und grenzen<br />

8 ihn von den anderen Regionen der neuseeländischen Südinsel ab.<br />

9


Vorwort<br />

Vorwort<br />

Mein Interesse war geweckt – ich unternahm intensive Recherchen, die mich auf Laupers<br />

Spuren vom Deutschfreiburger Senseland über Rom und Liverpool in die neuseeländische<br />

Wildnis führten. 2006 konnte ich mein Buch «Zagi – historischer Roman über<br />

den Abenteurer Jakob Lauper» veröffentlichen. 1<br />

Bei meinen Nachforschungen rund um den Globus kam es zu vielen spannenden Begegnungen.<br />

Sie führten sogar dazu, dass sich Nachfahren von Jakob Lauper wieder<br />

fanden, deren Familien sich im Laufe der Zeiten aus den Augen verloren hatten. So<br />

gelang es auch, einige interessante Exponate zusammenzutragen, die ihren Weg ins<br />

Museum der Schweizergarde in Naters (Wallis) fanden. Dort ist dem Schweizer Neuseeland-Pionier<br />

Lauper eine kleine Ausstellungsvitrine gewidmet.<br />

Kernstück ist die Faksimile-Kopie eines wertvollen Dokuments aus dem Jahr 1863:<br />

Es handelt sich um Laupers handgeschriebenen, in deutscher Sprache verfassten Expeditionsbericht.<br />

Dieser wurde damals in Christchurch sofort nach der Niederschrift<br />

rudimentär ins Englische übersetzt und in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften<br />

abgedruckt. Da Laupers Originalfassung in Privatbesitz überging, übersetzten deutschsprachige<br />

Zeitungen die englische Version ins Deutsche. Dass es in der Folge beim<br />

Übersetzen von Übersetzungen zu Ungenauigkeiten kam, liegt auf der Hand.<br />

2010 gab die neuseeländische Historikerin Hilary Low (Wellington) das englischsprachige<br />

Buch ‚Pushing his luck‘ über Laupers Expedition heraus und transkribierte dafür erstmals<br />

seit über 150 Jahren den Originaltext sorgfältig. Sie analysierte den Text und gab<br />

ihn so genau wie möglich in englischer Sprache wieder. Auf Initiative von Dr. Werner Bellwald,<br />

Kurator des Museums Zentrum Garde, erscheint nun in der vorliegenden Publikation<br />

erstmals die exakte Transkription von Laupers Originalbericht in deutscher Sprache.<br />

Ohne die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Historikerin Hilary Low, Wellington<br />

(Neuseeland), meinem geschätzten Freund Werner Bellwald und dem Lötschentaler<br />

Spezialisten für Handschriften, Hans Kalbermatten, wäre diese Arbeit nicht möglich<br />

gewesen. Mein Dank gilt zudem Liliane Dubois und Evelyne Magee, die selber begeistert<br />

den Lebenslauf ihres Vorfahren erforschten und dem neuseeländischen Fotografen<br />

Edward Cary aus Christchurch für die aussergewöhnlichen Aufnahmen der Schauplätze.<br />

Grosszügige finanzielle Unterstützung verdanken wir unseren Partnern und Sponsoren:<br />

der Stiftung Zentrum Garde, Amt für Kultur des Kanton Freiburg, der Délégation<br />

valaisanne der Loterie Romande und dem Freundeskreis des Museums und den amici<br />

centro guardia. Auch private Gönner griffen diesem aufwändigen Publikationsprojekt<br />

unter die Arme und es liegt mir daran, Franz Brändle in Steinhausen, Theresia Noll<br />

vom Hotel Parnass in Zermatt und Liliane Dubois, einer Ur-urenkelin von Zaaghi, ganz<br />

herzlich zu danken.<br />

Es erfüllt mich mit grosser Freude, dass die Veröffentlichung mit dem 200. Geburtstag<br />

von Jakob Lauper zusammenfällt.<br />

Damian Zingg<br />

Andermatt, im September 2015<br />

Überblick über die<br />

Region Giffers, im<br />

Hintergrund das<br />

Gantrischgebirge<br />

(Foto Damian Zingg).<br />

10 1 Der Roman ist seit langem vergriffen, eventuell folgt eine Neuauflage.<br />

11


Kapitel I<br />

Kapitel I<br />

«Du bist ein Zaaghi!»<br />

Bauernbub, Kollegiumsschüler, Gardist.<br />

Jakob Laupers erste 20 Jahre<br />

Jakob Lauper erblickt am 5. April 1815 das Licht der Welt. Er wächst auf dem elterlichen<br />

Bauernhof in der Poplera bei Giffers auf, nur einen Steinwurf vom Fluss<br />

Ärgera entfernt. Das Dorf liegt im Senseland, einer lieblichen Voralpenlandschaft<br />

unweit der Stadt Freiburg. Das Gantrischgebirge und der tiefe Schwarzwassergraben<br />

bilden eine natürliche Grenze zum benachbarten Bernbiet.<br />

Die Sensler leben fast ausschliesslich von der Landwirtschaft. Die Lokalbevölkerung<br />

bildet eine eingeschworene Gesellschaft mit einem eigenen, charakteristischen<br />

und für Aussenstehende oft nur schwer verständlichen Dialekt. Die<br />

Volksseele ist geprägt vom ‚doppelten Inseldasein‘: Die katholischen, deutschsprachigen<br />

Sensler gehören zur Minderheit im mehrheitlich französischsprachigen<br />

Kanton Freiburg. Dieser wiederum ist vollständig von reformierten<br />

Jakob Lauper wurde 1815 als zweitältestes Kind des Gifferser Landammans Christoph<br />

Lauper geboren. Wie in Giffers üblich betrieb sein Vater einen Kleinbauernhof. Der junge<br />

Jakob Lauper besuchte nach einigen Jahren in der Gemeindeschule das renommierte<br />

Jesuitenkollegium St. Michel in Freiburg. Dies lässt aufhorchen, denn es gab nur<br />

wenige Sensler unter den Studenten. Das Kollegium zählte zu den prominentesten Bildungsinstituten<br />

überhaupt. Jesuiten unterrichteten dort vornehmlich Sprösslinge wohlsituierter<br />

Eidgenossen sowie deutscher und französischer Adeliger und Aristokraten.<br />

Lauper als Sohn eines Kleinbauern gehörte einer Minderheit an. Dass er überhaupt diese<br />

Schule besuchen konnte, dürfte mit der Stellung seines Vaters zusammenhängen.<br />

Als Landamman pflegte dieser wohl enge Kontakte zur katholischen Kirche, an der im<br />

damals ausgesprochen konservativen Kanton Freiburg ohnehin kein Weg vorbeiführte.<br />

Möglicherweise hatte ein einflussreicher Kleriker die Türen zur Jesuitenschule geöffnet,<br />

weil man für Jakob eine Laufbahn als Geistlichen ins Auge gefasst hatte.<br />

Seine schulische Laufbahn verlief ohne bekannte Glanzpunkte. Bekannt ist einzig, dass<br />

er als Schüler den Abenteuerroman über Robinson Crusoe mit grossem Interesse verschlang.<br />

Der junge Jakob konnte nicht ahnen, dass er sich im reellen Leben eines Tages<br />

am anderen Ende der Welt in der Rolle des Robinson wiederfinden würde. Doch<br />

davon später.<br />

Der Schulbesuch im Kollegium St. Michel hielt nicht lange an. Überlieferungen zu Folge<br />

hat man Jakob Lauper wegen üblen Streichen entlassen. Ein anderer denkbarer<br />

Grund könnten Scharmützel mit Ordnungskräften in der Stadt Freiburg gewesen sein.<br />

Gendarmen und Studenten des Kollegiums gerieten sich damals oft und heftig in die<br />

Haare. Dem auffällig grossgewachsenen, kräftigen Bauernjungen aus Giffers dürfte es<br />

mit Sicherheit nicht an Schlagkraft gemangelt haben.<br />

Der Rausschmiss aus der Schule löste bei Vater Lauper erwartungsgemäss keine<br />

Begeisterung aus. Im Gegenteil: Er schimpfte seinen Sohn einen ‚Zaaghi‘, was im<br />

12 Kantonen umgeben.<br />

lokalen Dialekt so viel wie ‚Taugenichts‘ oder ‚Versager‘ bedeutete. Der Kosename<br />

13


Kapitel I<br />

Kapitel I<br />

blieb ihm zeitlebens anhaften. Erstaunlicherweise ist noch heute, mehr als 120 Jahre<br />

nach seinem Tod, von ‚Zaaghi‘ die Rede, wenn über Jakob Lauper gesprochen wird.<br />

Seine Entlassung aus dem Kollegium weckte die Reiselust. Als 19-Jähriger stellte er zusammen<br />

mit den Gebrüdern Neuhaus aus dem Nachbardorf Rechthalten einen Passantrag.<br />

Sie begründeten ihn damit, als «Labourreure» 2 nach Rom zu reisen. Da Lauper und<br />

der eine der beiden Brüder nur wenig später in die päpstliche Schweizergarde in Rom<br />

eintraten, dürfte es sich bei der Angabe auf dem Antragsformular um eine bewusste<br />

Irreführung der Behörden gehandelt haben. Was bezweckten die drei jungen Männer<br />

damit? Möglicherweise kaschierten sie ihren wahren Ausreisegrund, weil die aufstrebende,<br />

liberale Elite im Kanton Freiburg der Reisläuferei einen Riegel schieben wollte.<br />

Bis anhin hatten Generationen junger Freiburger ihr Brot als Söldner in den Kriegsheeren<br />

fremder Mächte verdient. Im Falle der Schweizergarde gab es Familien, die während<br />

Jahrzehnten immer jeweils einen Mann dem Papst stellten. Die neue liberale Strömung<br />

erkannte aber in Monarchen und Kirchenfürsten Repräsentanten des verhassten konservativen<br />

Prinzips, das sie keinesfalls länger durch das Söldnertum unterstützen wollte.<br />

Das Mannschaftsrodel aus<br />

dem Jahre 1835: Jakob<br />

Lauper tritt als Hellebardier<br />

in die Schweizergarde ein<br />

(Archiv Päpstliche Schweizergarde,<br />

Rom, Nr. B 4, Foto<br />

Werner Bellwald, 2015).<br />

«Nicht einmal eine charakteristische und originelle Leibgarde!»<br />

Jakob Laupers Zeit als Gardist in Rom<br />

Zurück zu Jakob Lauper, der seinen Reisepass erhielt und als angehender Landarbeiter<br />

nach Italien auswanderte. Schon im Februar 1835 trat er als jüngster Hellebardier<br />

der Truppe in den Dienst der päpstlichen Schweizergarde. Von wegen Landarbeiter!<br />

Einen Monat später folgte einer der beiden Brüder, die mit ihm den Passantrag gestellt<br />

hatten. Der andere trifft in diesem Jahr jedoch nicht in der Garde ein. Im Jahre<br />

1835 erscheinen nebst Lauper und seinem Altersgenossen aus dem Nachbardorf und<br />

einem jungen Aargauer keine Neuzugänge auf den Mannschaftslisten der Truppe. Das<br />

spärliche Eintreffen neuer Gardisten in jenem Jahr könnte im Zusammenhang mit der<br />

restriktiven Reisepassvergabe stehen.<br />

Lauper Jakob, Sohn von Christoph u. Anna Mar. Zbinden von Geffers, Kanton Freÿburg, geboren den<br />

5ten April 1815.<br />

Grösse 5 Sch 5 Z 3<br />

Haare kastanienbraun<br />

Augenbrauen schwarze<br />

Nase mittlere<br />

Kinn etwas spitziges<br />

Gesicht ovales<br />

Best. Zeichen ---<br />

Körperbau kräftiger<br />

Stirne niedere<br />

Augen schwarzbraune<br />

Mund mittlerer<br />

Bart schwarzen<br />

Gesichtsfarbe dunkle<br />

Profession<br />

Als Halbardier ein=getretten den 1ten Hornung 1835. Den 1ten August mit abschied die Garde verlassen.<br />

2 3<br />

14 Landarbeiter oder Pächter.<br />

5 Schuh (zu ca. 32 cm) 5 Zoll (zu ca. 2,54 cm) entspricht Grösse von ca. 1.83 m.<br />

15


Kapitel I<br />

Kapitel I<br />

Unmittelbar in den ersten Tagen von Laupers Rom-Aufenthalt geriet die Schweizergarde<br />

in die Schlagzeilen: Am 9. Februar 1835 liessen Gardisten maskierte Personen unbehelligt<br />

den vatikanischen Palast betreten. Dieses Beispiel zeigt nur die Spitze eines<br />

Eisberges, denn die kleine, traditionsreiche Truppe durchlebte damals nicht gerade die<br />

glanzvollste Epoche ihrer langen Geschichte.<br />

Im Herbst 1834, kurz vor Laupers Ankunft in Rom, war der damalige Gardekommandant<br />

Karl Pfyffer von Altishofen nach einem Jagdausflug plötzlich verstorben. Sein<br />

Sohn Martin übernahm die Nachfolge. Neuer Gardeschreiber wurde dessen gerade<br />

erst dreizehnjähriger Sohn.<br />

Plausibler Reiseweg eines Freiburgers nach Rom<br />

Die kürzeste Route von Freiburg nach Rom führte via Martigny und den Grossen<br />

Sankt Bernhardpass ins Aostatal. Von dort Richtung Genua und per Schiff nach<br />

Livorno, sofern nicht Ostia, Roms Hafenstadt am Meer, angelaufen wurde.<br />

Von Livorno bot sich die Route durchs toskanische und umbrische Hinterland nach<br />

Rom an. Die küstennahen Wege durch die Sümpfe der Maremma standen wegen<br />

Banditentum und Malaria in Verruf und wurden eher gemieden.<br />

Als Alternative war südlich der Alpen auch die Reise via Lombardei und Emiglia<br />

Romana nach Florenz und weiter nach Rom möglich. Allerdings zwangen damals<br />

Wirren die Reisenden zu Umwegen: In Mittelitalien grassierte die Cholera, im Kirchenstaat<br />

kam es zu bewaffneten Aufständen, in der Lombardei wachte ein Polizeistaat<br />

und das Königreich Sardinien-Piemont schloss kurzzeitig seine Grenzen,<br />

Viele Gardisten, auch der Kommandant und sein Sohn, waren in Rom aufgewachsen<br />

oder bereits dort zur Welt gekommen. Die Truppe bestand zu einem Grossteil aus<br />

‚Secondos‘, die ihre Heimat nördlich der Alpen nur schlecht oder gar nicht kannten.<br />

Viele heirateten in Rom und wohnten mit kinderreichen Familien im Gardequartier.<br />

Dort vermieteten Gardisten auch Unterkünfte an Untermieter, was dem vatikanischen<br />

Staatssekretariat nicht entgangen war. Dieses beklagte sich, das «Haus des Papstes»<br />

sei zu einer Herberge für jedermann verkommen und die Mannschaft sei mehr italienisch<br />

denn schweizerisch geprägt. Neun Zehntel der Truppe würden bald nur noch<br />

aus ‚römischen Bürgern‘ bestehen, die bloss ihrem Namen nach schweizerisch seien.<br />

Der Kardinal-Staatssekretär liess zudem die Buchhaltung der Schweizergarde untersuchen,<br />

denn die kleinste aller vatikanischen Truppen mit gerade einmal rund 120 Mann<br />

verursachte sehr hohe Kosten. Der beauftragte Maggiorduomo stiess auf unbefriedigende<br />

Zustände. Der Gardekommandant verrechnete dem Vatikan fälschlicherweise<br />

oder bewusst Sold für Gardisten, die längst verstorben waren. Zudem beklagte das<br />

Staats-Sekretariat, für das viele Geld erhalte Papst Gregor XVI nicht einmal eine originelle,<br />

charakteristische Leibgarde.<br />

Aus Sicht des Vatikans mag es keine originelle Truppe gewesen sein, doch an Kreativität<br />

mangelte es der päpstlichen Schweizergarde nicht: Oft heuerten Gardisten Kollegen<br />

16 um das Einsickern von Revolutionären zu unterbinden.<br />

oder Tagelöhner an, die an ihrer Stelle Dienst leisteten. Die freie Zeit nutzten sie für<br />

17


Kapitel I<br />

Kapitel I<br />

Gardisten zur Zeit Laupers in Rom: Dienstuniformen der Schweizergarde um 1840, Unteroffizier, Tambour und<br />

Hellebardier (aus: «Gallerie der Costüme», herausgegeben von L. Schneider; Druck bei Winckelmann und Söhne,<br />

18 Berlin 1844/1848. Sammlung Zentrum Garde, Naters).<br />

Galaausfahrt Gregors des XVI. im Jahre 1835, mit Geleitschutz durch Hellebardiere (Kupferstich von F. Rust).<br />

19


Kapitel I<br />

Kapitel I<br />

Glücksspiele aller Art, oder um in der Stadt einem besser bezahlten Job nachzugehen.<br />

Diese Praxis wurde vom Kommando sogar toleriert, sofern der Betreffende wenigstens<br />

eine Woche pro Monat den Dienst persönlich absolvierte.<br />

In der Truppe hatte sich zudem eine Art ungeschriebenes ‚Erbrecht‘ breit gemacht.<br />

man nicht. Ebenso ist unbekannt, ob er in der Ewigen Stadt blieb oder weiterzog.<br />

Spuren hat er nirgendwo hinterlassen. Einzig die mündliche Überlieferung aus Giffers<br />

weiss eine kleine Anekdote zu berichten: Der junge Lauper hätte seinen Vater per Brief<br />

um Geld für seine Heimreise gebeten. Vater Lauper sandte Geld ins Ausland, doch der<br />

verlorene Sohn kehrte trotzdem nicht zurück.<br />

Gardistensöhne konnten Hellebardiere werden, sobald sie die notwendige Körpergrösse<br />

von 175 cm erreicht hatten. Wer kleiner war, erhielt eine Stelle als Trommler. Die<br />

Tambouren-Geschwader wurden während Laupers Dienstzeit sogar noch vergrössert.<br />

Unter dem neuen Kommandanten konnten Gardistensöhne schon im Kindesalter als<br />

Tambouren tätig werden. Die Dienstjahre als Kindertambour wurden bei einer späteren<br />

Karriere als Hellebardier und dem Aufstieg in einen Offiziersrang mitberücksichtigt.<br />

Allerdings wachte im fernen Luzern der hohe Rat streng darüber, dass nur Luzerner<br />

hohe Offiziere der päpstlichen Schweizergarde wurden. Ein altgedienter Korporal<br />

aus St. Gallen beschwerte sich deswegen bei Papst Gregor, der ihn kurzerhand zum<br />

Leutnant beförderte. Nach einem heftigen Protest aus Luzern wurde die Beförderung<br />

zurückgenommen. Altgediente Hellebardiere leisteten in dieser Zeit oft «Particolarer<br />

Dienst». Dabei handelt es sich um Sonderdienste, die sich nicht aus dem eigentlichen<br />

Zweck der päpstlichen Leibgarde ergaben: Aufgaben als Pförtner oder Wächter in den<br />

päpstlichen Fabriken für Tabak und Papier, bei der eben eröffneten Banco di Risparmo,<br />

auf dem Postamt und in grossen Stadtkirchen, im päpstlichen Pfandhaus, bei der Gesandtschaft<br />

des Ministers von Brasilien oder dem Botschafter von Österreich-Habsburg.<br />

Schweizergardisten arbeiteten aber auch als Diener und Botengänger von Adligen<br />

Römern und Kardinälen.<br />

«Kennt Ihr mich denn nicht mehr?»<br />

Laupers Rückkehr nach Freiburg, Heirat und Alltag als Bauer<br />

Hilary Low stellt in ihrem Buch ‚Pushing his Luck‘ über Laupers Leben die These auf, er<br />

habe sich wie viele junge Schweizer der französischen Fremdenlegion angeschlossen<br />

und sei in Algerien oder Nordafrika im Einsatz gestanden. Denkbar wäre auch, dass er<br />

sich einem der zahlreichen Söldnerheere des Kirchenstaates oder eines Monarchen<br />

auf der Apennin-Halbinsel anschloss, dass er im Gefängnis sass oder dass er herumvagabundierte<br />

und sich als Landarbeiter über Wasser hielt.<br />

Allerdings gibt Jakob Lauper in seinem neuseeländischen Expeditionsbericht einen Hinweis,<br />

der eher auf einen Kriegseinsatz deutet: «Ich habe dem Tode schon manchesmahl<br />

ins Auge gesehen sowohl in tobender Schlacht als an manchen gefährlichen Stellen …»<br />

Ein englischer Schriftsteller beschreibt zudem 1863, wie er Lauper in einem Busch-Camp<br />

überraschte und dieser «in Kriegsmanier» aufgeschossen sei. Wo auch immer sich Jakob<br />

Lauper zwischen 1835 und Anfang der 1840er-Jahre aufhielt und was er tat – er nahm<br />

dieses Geheimnis mit ins Grab.<br />

Im Heimatdorf Giffers ging das Leben auf dem elterlichen Bauernhof in der Poplera seinen<br />

Im Vatikan stand die alteingesessene päpstliche Schweizergarde in einer gewissen<br />

gewohnten Gang. Bis zu jenem denkwürdigen Tag – es dürfte um 1841 gewesen<br />

Konkurrenz mit anderen vatikanischen Einheiten wie der päpstlichen Polizei, der<br />

sein – als jemand an die Türe klopfte. Angesichts des verwahrlosten Landstreichers tischten<br />

Nobelgarde Guardia Nobile della Sua Santita oder der Guardia Palatina d’Onore.<br />

ihm Laupers eine Suppe als Armenspeisung auf. Der Unbekannte habe mit grosser<br />

Hast seinen Teller ausgelöffelt, sich dann aufgerichtet und gefragt: «Vater, kennt Ihr mich<br />

Über Laupers Lebensumstände in Rom ist nichts Näheres bekannt. Was ihn dazu<br />

denn nicht mehr?»<br />

20 brachte, der Schweizergarde schon nach 15 Monaten den Rücken zu kehren, weiss<br />

21


Kapitel I<br />

Kapitel I<br />

Die mündliche Überlieferung zeichnet das Bild einer theaterreifen Szene. Ob sich<br />

die Rückkehr des verlorenen Sohns auf diese Weise abgespielt hat, bleibe dahingestellt,<br />

ganz nach dem italienischen Bonmot: «Sè non é vero, é ben trovato!» 4 Mit<br />

Sicherheit sorgte das plötzliche, unerwartete Auftauchen nach jahrelanger Abwesenheit<br />

für Aufsehen.<br />

1843 heiratete Jakob Lauper seine Cousine Elisabeth. Er zog auf den Hof ihrer Familie.<br />

Das Gut befand sich an einem Hang im Eichholz, etwa zwei Kilometer vom Dorfzentrum<br />

entfernt. Jakob wurde Kleinbauer und zweifacher Vater. Alles deutete darauf hin,<br />

dass sich ‚Zaaghi‘ für einen bürgerlichen Lebensweg entschlossen hatte.<br />

zu bilden: Aus dem losen Staatenbund einzelner Kantonsrepubliken entstand ein<br />

moderner Bundesstaat.<br />

Im Zuge der Neustrukturierung der kantonalen Verwaltung kappte Freiburgs neue Regierung<br />

den Einfluss der konservativen Sensler. Nicht mehr die Kantonshauptstadt,<br />

sondern das kleine Dorf Tafers sollte von nun an ihr Bezirkshauptort sein. Im Zuge<br />

der Neuvergabe zahlreicher staatlicher Aufgaben wurde Jakob Lauper nebenamtlich<br />

Friedensrichter. Kurze Zeit später stieg er zum Beisitzer am neu geschaffenen<br />

Bezirksgericht auf. Dieses Amt bekleidete er bis 1858, das für ihn ein besonderes<br />

Schicksalsjahr werden sollte.<br />

Schicksalsjahr 1858<br />

Der bäuerliche Alltag dürfte bis 1847 ohne Aufregung verlaufen sein. Doch dann<br />

rückte ein Heer mit 100 000 Soldaten aus reformierten Kantonen an, um den Sonderbund<br />

der katholischen Kantone zu sprengen. Als erster sollte der Kanton Freiburg in<br />

die Knie gezwungen werden. Die Sensler Bauern, unter ihnen höchstwahrscheinlich<br />

auch Jakob Lauper, griffen zu den Waffen. Sie eilten nach Freiburg, um ihre Kantonshauptstadt<br />

gegen die anrückende Übermacht zu verteidigen. Nach einer kurzen<br />

Belagerung, einzelnen Scharmützeln und einem dreistündigen Artilleriegefecht um<br />

das Fort St. Jacques im Südwesten der Stadt kapitulierte die Kantonsregierung. Dadurch<br />

konnte ein Blutvergiessen vermieden werden. Der siegreiche General Dufour<br />

verbot seinen Truppen Plünderungen. Im Grossen und Ganzen hielten sich seine<br />

Soldaten daran. Einzig das Kollegium St. Michael wurde arg in Mitleidenschaft gezogen.<br />

Laupers ehemalige Lehrer, die Jesuiten, wurden des Landes verwiesen, denn<br />

man betrachtete sie als Agenten für Papst und Krone. Nach dem Fall Freiburgs zog<br />

General Dufour mit seiner Armee gegen Luzern ins Feld. Der Sonderbund fiel nach<br />

kurzer Zeit in sich zusammen. Nun war der Weg frei, eine neue Eidgenossenschaft<br />

Jahrzehntelang verliessen<br />

Auswandererschiffe<br />

den Hafen von Liverpool<br />

Richtung Neue Welt.<br />

(iStock.com/tupungato).<br />

4<br />

22 Wenn’s nicht wahr ist, so ist’s gut erfunden.<br />

23

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