22.03.2016 Aufrufe

Berner Kulturagenda 2016 N°11/12

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

24. März – 6. April <strong>2016</strong> Anzeiger Region Bern 37<br />

9<br />

«Einmal sinfonisch klingen»<br />

Der <strong>Berner</strong> Cellist und Komponist Thomas Demenga ist<br />

seit 2011 künstlerischer Leiter der Camerata Zürich. Nun<br />

präsentiert er das Streichensemble erstmals in seiner<br />

Heimatstadt.<br />

Das aktuelle Programm der Camerata<br />

Zürich besteht aus Werken von<br />

Schumann und Schostakowitsch.<br />

Diese sind aber für andere Formationen<br />

als für Streichorchester, wie die<br />

Camerata eines ist, vorgesehen.<br />

Weshalb haben Sie diese Werke<br />

ausgewählt?<br />

Wir wurden angefragt, in Turin ein<br />

Konzert zu spielen. Um den grossen<br />

Saal, in dem wir am 5. April auftreten,<br />

auszufüllen, mussten wir das Orchester<br />

mit Bläsern, Pauken und zusätzlichen<br />

Streichern vergrössern und folglich<br />

die Werkauswahl anpassen.<br />

Dasselbe Programm spielen wir nun<br />

auch in Bern und Zürich. Aber natürlich<br />

wünscht man sich als 16-köpfiges<br />

Ensemble auch manchmal, etwas sinfonischer<br />

zu klingen, und die Repertoireerweiterung<br />

kommt da noch hinzu.<br />

Es ist das erste Mal, dass die<br />

Camerata Zürich in so grosser Besetzung<br />

auftritt.<br />

Und dennoch spielt die Camerata<br />

Zürich ohne Dirigenten.<br />

Damit sind dann alle auf sich selbst<br />

angewiesen. Zwar sind die Musikerinnen<br />

und Musiker das Spielen ohne Dirigenten<br />

gewohnt, mit der Grösse des<br />

Orchesters wächst aber auch die Verantwortung<br />

jedes Einzelnen.<br />

Beim Konzert in Bern wird dem<br />

Orchester auch noch ein Streichquartett<br />

gegenübergestellt. Wozu<br />

dieser Aufwand?<br />

Es kommen vier Musikerinnen und<br />

Musiker dazu und spielen Themen aus<br />

Schostakowitschs drittem Streichquartett.<br />

Diesen wird das Orchester<br />

jeweils direkt dieselben Passagen aus<br />

der Kammersinfonie-Fassung von Rudolf<br />

Barschai gegenüberstellen. Das<br />

Publikum kann erkennen, wie die gleichen<br />

Takte in einer vollkommen neuen<br />

Farbe erklingen, wenn nur die Instrumentierung<br />

verändert wird.<br />

Musikvermittlung wird bei der<br />

Camerata Zürich grossgeschrieben.<br />

Es ist uns wichtig, junge Leute für<br />

Konzertbesuche zu animieren. Während<br />

des Studiums habe ich jedes Sinfoniekonzert<br />

besucht. Heute ist dieses<br />

Bedürfnis nicht mehr so gross, man<br />

kommt ja durch das Internet viel<br />

schneller an die Musik heran und kann<br />

alles zu Hause hören. Nur geht dabei<br />

das Erlebnis des Konzertbesuchs verloren,<br />

der direkte Kontakt zur Musik<br />

fehlt. Deshalb legen wir auch viel Wert<br />

auf die Arbeit mit den jüngsten Konzertbesucherinnen<br />

und Konzertbesuchern.<br />

In Konzerten für Kinder versuchen<br />

wir, diesen die Musik und die<br />

Instrumente näherzubringen und sie<br />

dafür zu sensibilisieren, dass ein Konzert<br />

Spass macht.<br />

Erreicht man mit Schostakowitsch<br />

das junge Publikum?<br />

Ja, unbedingt. Die Musik ist sehr<br />

rhythmisch, prägnant und eingängig.<br />

Sie besteht aus lauter Melodien und<br />

Rhythmen, die immer wiederkehren<br />

und die man sich gut einprägen kann.<br />

Aber Schostakowitsch befand sich mit<br />

seinen Kompositionen auf einer Gratwanderung<br />

zwischen Anpassung ans<br />

sowjetische System und dem Ausbruch<br />

daraus. So klingt in einem fröhlichen<br />

Walzer stets etwas Sarkastisches<br />

oder Trauriges mit.<br />

Im ersten Teil des Konzerts treten Sie<br />

als Solist in Schumanns Cellokonzert<br />

auf. Wird man vom «eigenen»<br />

Orchester gleich begleitet wie von<br />

anderen Orchestern?<br />

Das ist etwas völlig anderes – sowohl<br />

für mich als auch für das Orchester. Es<br />

ist viel mehr wie in einer Kammermusikgruppe,<br />

da ich alle persönlich kenne.<br />

Ich muss nicht erst mit dem Dirigenten<br />

sprechen, der dann für das<br />

Orchester übersetzt, sondern wir können<br />

direkt und auf Augenhöhe miteinander<br />

diskutieren. Die Zusammenarbeit<br />

gestaltet sich viel persönlicher,<br />

wenn alle etwas zu sagen haben.<br />

Kulturcasino, Bern<br />

Mi., 6.4., 19.30 Uhr<br />

www.cameratazuerich.ch<br />

Interview: Eva Bösch<br />

Till Horvath<br />

Thomas Demenga<br />

90 Minuten Einsamkeit<br />

TICKETS<br />

Aus der Welt gefallen: Tobias Nölles eigensinniges Langspielfilmdebüt<br />

«Aloys» über einen melancholischen Privatdetektiv<br />

läuft im Kino Rex.<br />

Tobias Nölles Vorliebe für traurige<br />

Randfiguren und Unorte zeigte sich<br />

bereits in seinem herausragenden<br />

Kurzfilm «René» (2008). Darin versucht<br />

ein Mann seiner Einsamkeit zu<br />

entkommen und schlittert in eine surreale<br />

Zwischenwelt. Auch das Langspielfilmdebüt<br />

«Aloys» des Zürchers,<br />

der Teil des Regiekollektivs des Episodenfilmes<br />

«Heimatland» ist, dreht<br />

sich um Einsamkeit.<br />

Aloys Adorn ist ein Privatdetektiv<br />

alter Schule. Eigentlich ist sein ganzes<br />

Leben alte Schule. Seine Wohnung<br />

scheint die 80er-Jahre nie überwunden<br />

zu haben, die staubigen Vorhänge<br />

riechen nach dem Tischgrill der letzten<br />

Neujahrsfeier. Aloys, verkörpert vom<br />

österreichischen Charakterschauspieler<br />

Georg Friedrich («Annelie»), lebt in<br />

einer Blase. Er spricht nur in der Wir-<br />

Form, hat einen Hang zur Kleptomanie,<br />

schlürft am liebsten geräuschvoll<br />

Capri-Sonne und lässt niemanden an<br />

sich heran. Die Welt nimmt er nur<br />

durch den Sucher seiner Kamera wahr.<br />

Amélies traurige Zwillingsschwester<br />

Als ihn eine Frau in ein skurriles Telefonspiel<br />

verwickelt, muss er sich neu<br />

erfinden. Vera, wunderbar widerborstig<br />

gespielt von Tilde von Overbeck, ist<br />

die todtraurige Zwillingsschwester<br />

von Amélie Poulain. Eine Zoowärterin,<br />

die mit einer Seehündin mitleidet, die<br />

sich nach dem Ozean sehnt.<br />

Verloren in der eigenen Fantasiewelt: Georg Friedrich als Aloys.<br />

«Aloys» ähnelt einem nebligen Fiebertraum.<br />

Die tollen Patio-Bilder (Kamera:<br />

Simon Guy Fässler) strahlen<br />

eine bleierne Schwere aus und lassen<br />

doch Raum für scheue, luftballonbunte<br />

Verspieltheiten. Einen grossen Teil<br />

zur Niemandsland-Atmosphäre des<br />

Filmes, der an der Berlinale den Kritikerpreis<br />

erhielt, macht der Wohnblock<br />

aus, in dem sich Aloys verschanzt: Gefilmt<br />

wurde im <strong>Berner</strong> Tscharnergut.<br />

Das Leben findet anderswo statt in<br />

dieser stilistisch konsequenten Studie<br />

über Entfremdung.<br />

Sarah Sartorius<br />

Kino Rex, Bern. Vorpremiere in<br />

Anwesenheit des Regisseurs:<br />

Mi., 30.3., 20.15 Uhr<br />

www.rexbern.ch<br />

Wir verlosen 2 × 2 Tickets:<br />

tickets@bka.ch<br />

Hugofilm/Simon Guy Faessler<br />

Florence Foster Jenkins in den Armen des Hüters ihres Traumes.<br />

Königin der schiefen Töne<br />

Christian Mair bringt die Feel-Good-Komödie «Glorious!» an<br />

die Effingerstrasse. Ein szenisch-musikalisches Loblied auf<br />

Florence Foster Jenkins.<br />

Als der «Hölle Rache» müsste man<br />

Florence Foster Jenkins Stimme, gemäss<br />

ihrer kultigen Einspielung von<br />

Mozarts Zauberflöten-Bravourarie,<br />

bezeichnen. Infantile Koloraturen?<br />

Korrekt. Unabwendbare Taktentgleisungen<br />

und ein katzenjammeriges<br />

Timbre? Gewiss. «Ihr Talent lag nicht<br />

im Gesang, sondern in ihrer Begeisterungsfähigkeit<br />

für die klassische Musik,<br />

mit der sie ihr Publikum im Sturm<br />

eroberte», sagt Christian Mair. Der<br />

Südtiroler Regisseur hat Peter Quilters<br />

Zweiakter «Glorious!» an den Vereinten<br />

Bühnen Bozen inszeniert.<br />

Schützende Seifenblase<br />

Das Stück, das jetzt in Bern zu sehen<br />

ist, ist eine Hommage des englischen<br />

Dramatikers an die Königin der<br />

schiefen Töne im Engelskostüm. In<br />

der Hauptrolle durchlebt die gesanglich<br />

ausgebildete Schauspielerin Brigitte<br />

Jaufenthaler die wichtigsten Stationen<br />

der skurrilen, aber wahren<br />

Geschichte. Diese endet mit Jenkins<br />

letztem und legendären Auftritt in der<br />

ausverkauften Carnegie Hall 1944.<br />

Die Alleinerbin eines vermögenden<br />

Bankiers, der nie an sie glaubte, setzte<br />

Marco Riebler<br />

sich in New York hingebungsvoll für<br />

die musischen Künste ein. Dort gründete<br />

sie 1917 den Verdi-Club, wo rund<br />

400 Mitglieder, darunter auch der<br />

Startenor Enrico Caruso, an Musikund<br />

szenischen Anlässen verkehrten.<br />

Jenkins nahm als unabhängige Veranstalterin<br />

eine Vorreiterrolle der<br />

Frauenbewegung ein.<br />

«Eine schützende Seifenblase»<br />

nennt Mair den stillschweigenden<br />

Pakt dieser eingeschworenen Fangemeinde,<br />

die Jenkins jahrzehntelang in<br />

deren Traum bestärkte, selbst auf der<br />

Bühne zu singen. Neben ihrem Lebensgefährten<br />

und Manager John St.<br />

Clair-Bayfield (Horst Krebs) weicht<br />

insbesondere der junge Pianist Cosme<br />

McMoon (Florian Eisner) nicht von ihrer<br />

Seite und begleitet sie durch jeden<br />

ihrer infernalen Vokalgaloppstrecken. <br />

Janina Neustupny<br />

Das Theater an der Effingerstrasse,<br />

Bern. Premiere: Di., 29.3., 20 Uhr<br />

Vorstellungen bis 22.4.<br />

www.dastheater-effingerstr.ch

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!