<strong>EndStation</strong> <strong>C2</strong> Kap. 5 Kap. 1 Kap. 2 Kap. 3 Kap. 4 Kap. 6 Kap. 7 Kap. 8 Kap. 9 Kap. 10 Lesen / Teil 2 / Prüfungsteil 00:20 Sieben der folgenden Aussagen entsprechen dem Inhalt des Artikels „Wissen mit Sinn“. Ordnen Sie die Aussagen den jeweiligen Textabschnitten (11–16) zu. Eine Aussage ist bereits als Beispiel markiert und zugeordnet. Zwei Aussagen passen nicht. Beispiel 0 Goethe – Studiosus mit Wissenslücken Aussagen A Die These, pure Paukerei ermögliche keine Bildung, besitzt heute noch Gültigkeit. B Ein Überprüfen von Wissen über das Ausschlussverfahren gilt als effektiv. C D E F Für eine gesellschaftliche Anerkennung als Gebildeter ist ausschlaggebend, wie der Wissenserwerb stattgefunden hat. Der Ausdruck des Orientierungswissens suggeriert einen Ausweg aus einem desolaten Schulsystem. Je unüberschaubarer sich das Wissensangebot gestaltet, desto stärker sind wir dem Terminus „Allgemeinbildung“ verhaftet. Das Herankommen an Informationen sowie ein kritisch-eigenständiger Umgang damit ist dem Detailwissen übergeordnet. G Sinnvolles Wissen zeigt sich in der Verzahnung von aktuell Wissenswertem. H Fach- und Allgemeinwissen klar gegeneinander abzugrenzen, stößt weiterhin auf Schwierigkeiten. - 266 - Praxis Verlag
<strong>EndStation</strong> <strong>C2</strong> Kap. 1 Kap. 2 Kap. 3 Kap. 4 Kap. 5 Kap. 6 Kap. 7 Kap. 8 Kap. 9 Kap. 10 Lesen / Teil 2 / Prüfungsteil 00:20 5 10 15 20 25 30 35 40 45 Der amerikanische Schriftsteller Herman Melville hatte bis zu seinem Lebensende weder Abitur noch Staatsexamen. Als sein Vater pleiteging, musste er die Schule verlassen, er arbeitete als Gehilfe in einer Bank und heuerte 1841 auf einem Walfänger an. Da war er zweiundzwanzig. Seinen Romanen aber, ob Billy Budd oder Moby Dick kann man entnehmen, dass er umfassend gebildet war. Er kannte nahezu alle zentralen Werke seiner Zeit, die Bibel natürlich, bedeutende Schriftsteller, auch grundlegende philosophische Werke und selbstredend allerlei Fachbücher, über den Walfang etwa, über Nautik und Geografie. Er wusste das Wichtigste, was es damals zu wissen gab, und er brachte es sich selber bei. Beispiel Würden wir lieber im 19. Jahrhundert leben? Während Goethes Amtszeit in Weimar wuchs der Bestand der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek auf 80.000 Bände, sie enthielt im Wesentlichen alles Wissenswerte. Die Library of Congress in Washington besitzt heute 31 Millionen Bücher. Es gibt niemanden, der sie alle kennt. Auch Goethe wird nicht alle Werke der Weimarer Bibliothek gelesen haben. Aber er kannte genug von ihnen, um sein Nicht-Wissen überspringen zu können – so wie der Bewohner einer Stadt mit ihr vertraut sein kann, ohne jede Straße zu kennen. 11 In dieser glücklichen Lage sind wir längst nicht mehr und doch können oder wollen wir den Begriff der Allgemeinbildung nicht aufgeben. Im Gegenteil: Je undurchdringlicher das Wissensdickicht, umso hartnäckiger halten wir fest an der Idee des Polyhistors, des Universalgelehrten. Zwar steht es den meisten von uns fern, ein solcher sein zu wollen, aber wir achten ihn hoch – im Gegensatz zum Fachidioten, der die ersten hundert Primzahlen auswendig weiß. Was aber hat Wissen mit Bildung zu tun? Das probate Argument lautet: nichts. Der wahrhaft Gebildete könnte sich auf den berühmten Satz zurückziehen: „Ich weiß nur eins: dass ich nichts weiß.“ Dieses Diktum wird Sokrates zugeschrieben, der aber wörtlich gesagt hat: „Ich weiß als Nichtwissender.“ Frei übersetzt: „Ich weiß mich als einen, der zum Kern der Wahrheit noch nicht vorgestoßen ist.“ Niemals hätte Sokrates dagegen plädiert, möglichst viel wissen zu wollen. Die Frage lautet allerdings, welches Wissen das sein soll. Manche Menschen verfügen über einen Haufen von Detailwissen, und doch würden wir sie keineswegs gebildet nennen, denn sie vermögen es nicht, ihr Sammelsurium an Wissen in eine Ordnung zu bringen. Gebildet nennen wir deshalb jemanden, der das, was er weiß, zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen kann. Sinnvoll wiederum kann es für ihn nur sein, wenn es sich auf der Höhe der Zeitgenossenschaft befindet. In seinem Roman Tom Jones definiert Henry Fielding, was den wahren Schriftsteller ausmache (und an seine Stelle 12 13 (0) Goethe – Studiosus mit Wissenslücken Wissen mit Sinn können wir getrost den gebildeten Menschen setzen): Erstens „die Kraft des Geistes, die alles, was wir erfahren und lernen, zu durchschauen und die wesentlichen Unterschiede zu entdecken vermag“, zweitens „eine gesunde Portion Gelehrsamkeit“ (womit er Wissen meint) und drittens, „könne man dieses Wissen nicht aus Büchern erwerben, sondern nur im Umgang mit Menschen.“ Sein Hinweis, dass man Bildung nicht durch schiere Büffelei erwirbt, sondern im tätigen, argumentierenden Austausch, ist nach wie vor triftig. Fielding schrieb seinen Tom Jones 1749, zu einer Zeit also, als es vergleichsweise wenige Bücher gab. Die ungeheure Vermehrung des Wissens und der Informationen seitdem erscheint uns manchmal wie ein Fluch. Aber das ist ein Irrtum. Denn einerseits profitiert ein jeder vom Zuwachs der Kenntnisse, auch wenn keiner sie alle besitzt. Andererseits gibt es nach wie vor den Unterschied zwischen dem Spezialwissen und dem Allgemeinwissen. Dass er schwer zu definieren ist, liegt auf der Hand. Aber jede Schulbildung, jede Vermittlung eines Grundlagenwissens in einem bestimmten Fach oder auf einem bestimmten Gebiet lebt von dieser Unterscheidung. Man versucht dem Dilemma dadurch zu entkommen, dass man den Begriff „Orientierungswissen“ einführt. Die Schüler sollen nicht mehr Jahreszeiten pauken und Gedichte auswendig lernen, sondern Zusammenhänge begreifen. Und sie sollen in der Kulturtechnik bewandert sein, sich Informationen zu beschaffen, sie unterscheiden und beurteilen zu können. Das ist in der Tat heute lebenswichtig. Die Kenntnis von Details gilt als nebensächlich, weil alles mit einem Mausklick erreichbar scheint; das neue Verb „googeln“ bezeichnet die Veränderung des Wissenserwerbs. Nun ist allerdings die Rede vom Orientierungswissen durchaus schönfärberisch. Zusammenhänge kann ich nur begreifen, wenn gewusste Dinge da sind, zwischen denen ein Zusammenhang hergestellt werden kann. Wir können uns den Schüler als jemanden vorstellen, der einen Bach trockenen Fußes überqueren soll und sich vorsichtig von einem Stein zum nächsten bewegt. Werden die Abstände zwischen den Steinen zu groß, weiß er nicht weiter und fällt ins Wasser. 14 15 16 Deshalb ist das sogenannte Multiple-Choice-Verfahren 85 keine schlechte Methode, Wissen abzufragen. Auch dann, wenn man einen Sachverhalt nicht genau kennt, kann man die richtige Antwort geben, indem man die eigenen Kenntnisse mit den gegebenen Informationen verknüpft. Hier ein kleiner spielerischer Wissenstest: Welches war Goethes Geburtsjahr – 1749, 90 1794, 1497 oder 1974? Wer nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, wird die beiden letzten Jahreszahlen ausschließen. Bei den beiden ersten wird er eventuell etwas nachdenken müssen und da spielt es schon eine Rolle, ob er im Unterricht aufgepasst hat oder nicht. Und im ungünstigsten Fall lehrt das Ergebnis: 95 Ich weiß, dass ich nichts weiß. 50 55 60 65 70 75 80 - 267 - Praxis Verlag