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De:Bug 180

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TEXT BENEDIKT BENTLER<br />

<strong>180</strong> — 23<br />

Schwitzende<br />

Körper, viel zu<br />

große Pupillen,<br />

blitzendes Licht<br />

durchschneidet die<br />

feuchte Dunkelheit.<br />

Was zur Hölle?<br />

<strong>De</strong>r Schrecken<br />

über die eigenen<br />

Assoziationen zu<br />

"Asleep", der ersten<br />

Rumpistol-Single<br />

des neuen Albums<br />

ist groß: Viel zu nah<br />

dran am Techno-<br />

House-Gemisch, das<br />

dieser Tage etwa<br />

in Berliner Clubs<br />

serviert wird. ja,<br />

fast langweilig.<br />

Doch dann kommt<br />

die Einsamkeit.<br />

"Zurück in der Zeit ist nur<br />

eine andere Möglichkeit<br />

des ’Going Away’."<br />

Das erste Hören der LP in voller Länge<br />

verschafft Erleichterung. <strong>De</strong>nn tatsächlich<br />

liegt "Away" vom Dancefloor-Gedränge eine<br />

gefühlte Unendlichkeit entfernt. "Asleep" ist<br />

Ausnahme: "Das ist definitiv der Minimal-Tech-<br />

House-artigste Track, den ich jemals gemacht<br />

habe, auch wenn er weder traditioneller<br />

Taktart noch Akkordstruktur folgt. <strong>De</strong>r Clap-<br />

Sound und die Kickdrum - es überrascht<br />

viele, so etwas von mir zu hören", weiß Jens<br />

Berents Christiansen alias Rumpistol selbst.<br />

Als einzelner Hit wirkt "Asleep" auch völlig<br />

anders, als ins Album eingebettet - von<br />

wegen Disco. Kontext, darauf kommt es eben<br />

immer an. So ist "Away" auch unter ganz<br />

anderen Umständen entstanden, als die 211<br />

erschienene Melancholie-geschwängerte EP<br />

"Talk To You". "Die EP war sehr introvertiert<br />

und düster. Ich habe sie innerhalb eines<br />

Winters aufgenommen. Und dann wurde ich<br />

auch noch Vater, was trotz Planung ein echter<br />

Schock für mich war. Die Tracks zeugen von<br />

diesem Wahnsinn. Jetzt ist das anders, ich bin<br />

ausgeglichener. Das spiegelt sich in diesen<br />

zwölf Stücken wieder."<br />

"Ich mag keine Regeln"<br />

Dabei entführt einen Rumpistol auf den ersten<br />

Blick nicht in die Gefühlswelt eines vollkommen<br />

ausgeglichenen Menschen. Von Euphorie<br />

keine Spur. <strong>De</strong>r von Red Baron und Katherine<br />

Mills Rymer gesungene Titeltrack des Albums<br />

zeigt schon zu Beginn, dass die Welt, in der<br />

das Album seinen Platz hat, eine einsame ist:<br />

"Lost my way / left you all alone / couldn't<br />

find my way back home. You ran away / why<br />

did you leave behind / a thousand dreams."<br />

Die Emotionen und Inhalte seien die Eckpfeiler<br />

des Albums, erklärt der Däne: "'Away' mag<br />

an der ein oder anderen Stelle chaotisch<br />

klingen, weil ich so viele Stile auf einem<br />

Album vereint habe. Aber ich wusste schnell,<br />

was das Thema der LP sein sollte. In dieser<br />

Hinsicht ist es das konzeptionellste Album,<br />

das ich jemals gemacht habe. Es handelt von<br />

Abwesenheit, Realitätsferne, vom Unterschied<br />

zwischen diesen beiden Zuständen." Klingt<br />

ein bisschen nach der letzten Platte mit Red<br />

Baron namens "Floating" und baut auch<br />

genau darauf auf. "Floating Away", heißt es<br />

in "Floating" auf der gleichnamigen Platte<br />

aus dem Jahr 212. "Ich mag es, wenn meine<br />

Projekte ineinandergreifen, ich sehe dieses<br />

Album als Fortsetzung zu ’Floating’, als meine<br />

Solo-Interpretation. Nostalgie und Erinnerung<br />

bilden aber auch bei mir das Subthema der<br />

Platte."<br />

So erklingt zwischen field recordings<br />

von Kindern auch die Stimme von Berents<br />

Christiansens Tochter und seine eigene<br />

Stimme aus jungen Jahren - als noch die<br />

Folk-Community seiner Eltern inklusive Tanz<br />

und Gesang den musikalischen Horizont<br />

des kleinen Jens prägte: "Ich habe als Kind<br />

Kassetten aufgenommen und diese erst vor<br />

kurzem wiedergefunden. Zurück in der Zeit ist<br />

nur eine andere Möglichkeit des ’Going Away’."<br />

Klingt doch alles ziemlich konzeptionell. Ob<br />

die Menschen den roten Faden und die vielen<br />

Kontexte, in denen sich die Platte bewegt<br />

überhaupt erkennen können, weiß Rumpistol<br />

selbst nicht so genau. Doch zumindest<br />

der musikalische UK-Einschlag geht an<br />

niemandem vorbei. Nach dem Erkunden<br />

des Dubstep auf "Dynamo" hat dieser in<br />

weiterentwickelter Form seinen festen Platz<br />

in Rumpistols Soundpalette eingenommen:<br />

"Dubstep war eines der ersten Genres, in dem<br />

ich mich wirklich zu Hause gefühlt habe. Ich<br />

bin ja schon immer in diese Richtung tendiert,<br />

der Dub-Einfluss ist schon in meinen frühen<br />

Sachen zu hören. Nur mit der Szene habe ich<br />

nie etwas zu tun gehabt."<br />

"Qawawali" von Pinch und auch<br />

Shackeltons Releases auf Skull Disco<br />

mit orientalischen Einschlägen seien die<br />

wichtigsten Impressionen gewesen, später<br />

Mount Kimbie und frühe Sachen von<br />

James Blake. Womit wir beim, inzwischen<br />

höchst unrühmlichen Begriff Post-Dubstep<br />

angekommen wären. Jegliche Hoffnungen<br />

darüber, dass dieser Sound uns nicht auch<br />

noch 214 begleiten würde, werden mit<br />

Rumpistols Album zunichte gemacht -<br />

gleichzeitig kommen aber Zweifel an dessen<br />

Überdrüssigkeit auf. <strong>De</strong>nn Rumpistol hält sich<br />

wie schon bei "Asleep" keineswegs an typische<br />

Tempi, Rhythmen oder sonstige Strukturen.<br />

"Dubstep folgt bestimmten Regeln. Ich mag<br />

keine Regeln." Zum Glück, denn so bleiben<br />

nur einzelne Momente, die sich irgendwelchen<br />

Genre-Spezifitäten beugen: hier ein Synth,<br />

dort ein Bass, Klick, Klack, Glitch. Doch die<br />

einzige Kontinuität, der das Album folgt, ist<br />

die Einsamkeit, die sich während des Hörens<br />

immer mehr um einen legt.<br />

<strong>De</strong>r einsamste Ort der Welt<br />

So richtig weit scheint der Däne vom<br />

<strong>De</strong>pressiven also doch nicht weggekommen zu<br />

sein. Und doch ist genau das der Unterschied:<br />

Es ist vielmehr eine innere Zufriedenheit in<br />

einsamer Realitätsflucht, die sich mehr und<br />

mehr einstellt, während die Platte zunehmend<br />

das Tempo verliert. Etwa das Gleiche muss<br />

auch die leicht übersehbare Figur auf dem<br />

Cover empfinden, als einziger Mensch in<br />

einer surrealen Welt, die an einen Fels aus<br />

lila Gemüse, Früchten und Süßigkeiten<br />

erinnert. Ein Werk der niederländischen<br />

Grafikerin Zeloot, erklärt Rumpistol: "Sie hat<br />

auch das Cover für ’Talk to you’ gemacht.<br />

Ich kenne sie nun schon seit Jahren und<br />

liebe ihren Stil. Wir haben die gleichen Idole:<br />

Heins Edelmann, der das Beatles-Cover für<br />

’Yellow Submarine’ gemacht hat, und den<br />

Comiczeichner Jean Geraud alias Moebius.<br />

Auch Alejandro Jodorowsky spielt eine Rolle.<br />

<strong>De</strong>m Hier und Jetzt entfliehen, darum geht<br />

es. Das Gleiche schwingt in den einsamen<br />

Wüstenlandschaften mit, die Moebius und<br />

Jodorowsky in ihren Zeichnungen aufgreifen."<br />

An diesem Ort endet das Album mit<br />

dem Track "Atacama". Inspiriert durch den<br />

Film "Nostalgia For The Light" von Patricia<br />

Guzmán kommt er mit der butterweichen<br />

Stimme John LaMonicas als großes Finale<br />

daher. Hier, am trockensten Ort der Erde, von<br />

wo aus die Astronomen den weitesten Blick<br />

zurück in die Vergangenheit haben, ist die<br />

Einsamkeit am größten. "Wir sind alle allein<br />

in dieser Welt, jeder steckt in seinem eigenen<br />

Kopf, jeder stirbt allein. So ist es eben."<br />

FESTIVAL<br />

2014<br />

PRORA<br />

23 MAI 25 MAI<br />

RÜGEN<br />

WWW.FACEBOOK.COM/HMDSLFESTIVAL<br />

WWW.HER-DAMIT.INFO

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