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De:Bug 180

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TEXT JAN WEHN<br />

<strong>180</strong> — 5<br />

Auf Soundcloud hat sich<br />

eine neue Produzenten-garde<br />

formiert. Ihre Formel: ein<br />

Laptop, viel gefährliches<br />

H a l b w i s s e n u n d e i n e<br />

halbronische Schwäche für<br />

die Nostalgie der Neunziger.<br />

S i e b e z i e h e n s i c h<br />

gleichermaßen auf Aphex<br />

T win und A aliyah. Ihre<br />

P r o d u k t i o n e n h ä n g e n<br />

irgendwo zwischen Baltimore<br />

und Jersey Club, zwischen<br />

der Chopped-&-Screwed-<br />

Ästhetik des Südstaaten-<br />

Rap und Baauers "Harlem<br />

Shake"-Geballer, zwischen<br />

Chillwave und Ghetto house.<br />

Was ist da los? Jan Wehn<br />

sucht antworten in der<br />

darnieder komprimierten<br />

Soundcloud-pampe.<br />

Klänge wie warmes Wachs, Kastagnetten<br />

und Kirchenglocken, Pitchwheel-Jaulen und<br />

dämonisches Grollen, Klaviertappser und<br />

angeschnittene Geigen, die auch dem späten<br />

R’n’B der Neunzigerjahre gut gestanden<br />

hätte, Britzelbässe, die am Trommelfell<br />

raspeln, Panflöten und Phazergeballer. Das<br />

klingt wie die Titelmelodie einer Cartoon-<br />

Serie dazu EDM-Gimmicks Build-ups, Drops,<br />

Breakdowns und Filter. Wahnsinn, was in vier<br />

Minuten alles möglich ist<br />

Das sind meine Notizen zur "Wedding<br />

Bells"-EP von Cashmere Cat, die gerade<br />

auf LuckyMe erschienen ist. Hier in der<br />

Redaktion schlug mir eine extreme Aversion<br />

gegen Cashmere Cats Musik entgegen. Sie<br />

klinge dumm und grässlich. Irgendwie auch<br />

nach Zuckerwatte. Helena Hauff nennt den<br />

Titeltrack im Musikhören-Mit "grauenhaft"<br />

und "furchtbar". Das sei Plastikmusik von<br />

Plastic People, das Gegenteil von dem, was<br />

man eigentlich gut findet. Ja, fast scheint<br />

mir, als sei Cashmere Cats Musik die<br />

Akustikwerdung all dessen, was man an der<br />

Musik-und Medienwelt so sehr verabscheut.<br />

In dieser flächendeckenden Verachtung<br />

unterscheidet sich Cashmere Cat nicht viel<br />

von unser aller liebstem Sidecut-Träger mit<br />

dem Kassengestell auf der Nase. Wieder so<br />

ein Langhaariger, der den Totalverrat an der<br />

Musik wagt!<br />

Ich konnte das Gemeckere nicht<br />

verstehen. Ja, natürlich klang das manchmal<br />

ein bisschen trashig und künstlich. Natürlich<br />

war das in Sachen Sound-<strong>De</strong>sign wahnsinnig<br />

glatt und ging runter wie eine Flasche<br />

lauwarmer, abgestandener Robby-Bubble-<br />

Kindersekt - aber der krasse Kontrast<br />

zwischen ultra-klarem Klangbild und<br />

wahnsinniger Verspieltheit, der Gegensatz<br />

von totaler Struktur und gleichzeitiger Vielfalt<br />

und Abgedrehtheit in den Sounds machten<br />

mich viel zu neugierig, als dass ich diese<br />

Veröffentlichung in bester Musiksnob-Manier<br />

unter den Tisch hätte fallen lassen können.<br />

Zwischen mir und der schnurrenden<br />

Kaschmirkatze, das habe ich sofort gemerkt,<br />

bestand nämlich eine ganz eigenartige<br />

Verbindung. So ein bisschen wie in einer<br />

ganz frischen Liebesbeziehung, wo man<br />

sich oft ganz lange nur in die Augen sieht<br />

und zu wissen meint, was der andere denkt<br />

- natürlich ist das totaler Quatsch. Aber das<br />

hier war echt, ich schwöre! Uns verband eine<br />

ganz eigene, über allem stehende knowledge,<br />

eine gemeinsame Auskennerei, die an allen<br />

anderen vorbeiging. Sollen sie doch alle von<br />

Plastik und Zuckerwatte reden! In Cashmere<br />

Cat habe ich einen Seelenverwandten<br />

gefunden. Jemand, der endlich mal alle<br />

guilty pleasures, mit denen man bei seinen<br />

Auskennerfreunden gar nicht ankommen<br />

braucht, zu einem großen, gutklingenden<br />

Nostalgiebrei vermengt: Backstreet Boys,<br />

Aaliyah, 112, Craig David, <strong>De</strong>stiny’s Child,<br />

Modjo, Janet Jackson, Amerie, Ginuwine<br />

und ganz, ganz viel R. Kelly – kurzum: ein<br />

bisschen von all dem, was dieser Tage so<br />

halbironisch auf Neunziger-Trash-Partys<br />

verhandelt wird. Nur eben ernstgenommen<br />

und mit Trap-Rhythmen aus der 88.<br />

Cashmere Cat - Magnus August Høiber,<br />

24 Jahre, aus Olso, DMC-Championship-<br />

Finalist - macht keinen Hehl aus seiner<br />

Faszination für kitschige Auto-Tune-<br />

Standardwerke wie "Thr33 Ringz" von T-Pain<br />

jund Kanye Wests "88s & Heartbreak". Und<br />

wenn er davon erzählt, auf der Suche nach<br />

einem neuen Outlet erst Progressive House<br />

und dann HipHop produziert zu haben, dann<br />

ist sein Produzenten-Projekt Cashmere Cat<br />

die logische Folge davon, gerade mit dem<br />

kitischen Crossover-Ansatz. Seinen Ursprung<br />

hat Cashmere Cats Klang - die harten<br />

Drums, gechoppten Vocals, die Schüsse und<br />

allerhand obskuren Samples - im Jersey Club,<br />

jenem Amalgam aus HipHop, Downtempo,<br />

R’n’B und Trap, das seinen Ursprung im<br />

US-Prollstaat New Jersey hat und das von<br />

DJs wie Tameil, Tim Dolla, Mike V und Black<br />

Mic und der Brick Bandits Crew populär<br />

gemacht wurde. Cashmere Cats zeitgemäße<br />

Interpretation des Jersey-Club-Sounds hat<br />

ihn mittlerweile aus dem Schlafzimmer in<br />

die großen Studios gebracht. Er produziert<br />

für namenhafte Rapper; zuletzt etwa "Party<br />

Girls" mit Ludacris, Wiz Khalifa und Jeremih.<br />

Dabei ist Cashmere Cat bei weitem nicht<br />

der einzige Laptop-Produzent, der mit<br />

seinem Faible für Contemporary R’n’B und<br />

88-Drums Welle macht. Kaytranada,<br />

Giraffage, Ryan Hemsworth, Carling Ruse,<br />

Bear//Face und NVIE Motho wirken fast<br />

wie ein Sound-Kollektiv, das zu moderatschnellen<br />

Beats Maschinengewehrgleichen<br />

Drum-Salven, warme Synths und<br />

soulige Samples spielt. Vielleicht ist das die<br />

Weiterentwicklung von dem, was Hudson<br />

Mohawke und Flying Lotus vor einigen<br />

Jahren begonnen haben: das nächste

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