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De:Bug 180

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William S. Burroughs,<br />

Radiert die Worte aus:<br />

Briefe 1959 - 1974,<br />

ist beim Verlag Nagel<br />

& Kimche AG<br />

erschienen.<br />

<strong>180</strong> — 51<br />

Burroughs<br />

Briefsammlung,<br />

Hinterlassenschaften<br />

eines<br />

Infragestellers<br />

Die in Buchform gebrachte Briefsammlung ist so eine Sache für<br />

sich: Wer, bitte schön, nimmt sich eigentlich die Zeit zu lesen,<br />

was ein motivierter Bewunderer da in liebevoller Kleinstarbeit<br />

aus Wagenladungen an Larmoyanz heraussortiert, geordnet,<br />

geschönt und in Form gebracht hat, wenn man so gerade eben<br />

mit der eigenen Inbox-Zero-Policy hinterherzukommen versucht?<br />

Natürlich, die Kenner, die Fans, die Junkies eben.<br />

Zum 100. Geburtstag von William S. Burroughs ist nun<br />

eine Briefsammlung des amerikanischen Beat-Schriftstellers<br />

erschienen. Auf 299 Seiten hat Bill Morgan Briefe aus der Zeit<br />

zwischen 1959 und 1974 zusammengestellt, die der rastlose<br />

Burroughs von überall auf der Welt aus – Paris, San Francisco oder<br />

London – an Freunde wie Allen Ginsberg und Timothy Leary und<br />

seine Eltern geschrieben hat. Zuerst denkt man, dass man sich<br />

durch gut 300 Seiten Druffinotizen und hingekritzelten Wahnwitz<br />

kämpfen muss und nichts versteht. Zumal der erste Brief, übrigens<br />

an Allen Ginsberg, dann auch direkt mit "tausend Dank für das<br />

Meskalin" losgeht. Von da aus ist es dann nicht mehr weit zu<br />

allerlei Traumdeutungen und Ideen über Gedankenmanipulation<br />

und -kontrolle, die er mit seinen Wegbegleitern teilt. Das ist<br />

interessant und intensiv. Auch, weil man Burroughs zugleich bei<br />

der Entwicklung seiner Cut-up-Technik und auf seiner ewigen<br />

Suche nach neuen Lesern - bei gleichzeitiger Verschmähung des<br />

Mainstream - begleitet.<br />

Herausgeber Bill Morgan betont im Vorwort, dass er Burroughs<br />

Briefe für sich sprechen lassen möchte, schiebt aber immer<br />

wieder Anmerkungen zur korrekten Verortung der verfassten<br />

Briefe ein - die für die deutsche Ausgabe von Übersetzer<br />

Michael Kellner noch um weitere Erklärungen ergänzt wurden.<br />

Und dennoch wünscht man sich hie und da, nicht nur eine recht<br />

einseitige Sammlung versendeter Briefe, sondern eben auch eine<br />

richtige Korrespondenz in den Händen zu halten.<br />

So bleibt immerhin der Genuss langer Selbstreflexione im<br />

Dialog mit dem stummen Gegenüber. Wer glaubt, mithilfe dieser<br />

Briefe, diesen Großmeister der uneindeutigen Biographie besser<br />

zu Greifen zu bekommen, dürfte enttäuscht werden. Aber das ist<br />

gar nicht so schlimm. "Burroughs", so stand es neulich sehr schön<br />

in der taz, "wird weiterhin gebraucht. Sei es als Infragesteller<br />

aller gesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten in der<br />

spätjugendlichen Selbstfindungsphase oder es als literarischer<br />

Punk, dessen Werk auch aktuelle Schreibweisen noch immer<br />

beeinflussen kann." Nun, dafür braucht es nicht unbedingt diese<br />

Briefsammlung, aber sie ist dennoch eine tolle paratextuelle<br />

Ergänzung zum Burroughs’schen Lebenswerk.<br />

JAN WEHN

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