Clausewitz-Gesellschaft
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Exemplarische Adaptation<br />
Im realen Leben leisten sich Akteure Grenzverletzungen bei der Zielverfolgung.<br />
Sie setzen so oft unbedacht eine dramatische Kettenreaktion in Gang. <strong>Clausewitz</strong><br />
beschreibt den Krieg entsprechend dieser Kettenreaktion: Krieg, sagt<br />
er, ist nichts als ein erweiterter Zweikampf. Agonist und Antagonist eskalieren<br />
ihren Einsatz, bis einer tot am Boden liegt 5 .<br />
Zwei Beispiele dienen der Illustration: Um Konflikte zu dramatisieren, rät Egri<br />
Protagonist und Antagonist mit Hilfe einer Konstruktion, die er als „Einheit<br />
der Gegensätze“ bezeichnet, aneinander zu ketten. Zwei Akteure stehen in Abhängigkeit<br />
zueinander und können deshalb ihrem Konflikt nicht entweichen.<br />
<strong>Clausewitz</strong>: Krieg ist nichts als ein erweiterter<br />
Zweikampf. Agonist und Antagonist<br />
eskalieren ihren Einsatz, bis einer tot<br />
am Boden liegt.<br />
Mann und Frau, Mutter und Kind, Chef<br />
und Mitarbeiter, Arzt und Patient 6 bilden<br />
diese Art der Einheit. Das erklärt, warum<br />
ihre Konflikte die fatale Tendenz haben bis<br />
zum Äußersten zu gehen. Zweites Beispiel:<br />
Egri sagt, dass ein Charakter drei Dimensionen hat: Physiologie, Soziologie<br />
und Psychologie. Er zeigt in vielen Beispielen, wie man in Kenntnis der Details<br />
aus diesen Dimensionen menschliches Verhalten erklären und vorhersagen<br />
kann. Gute Strategen üben sich in genau dieser Kunst. Wenn sie gut sind, ahnen<br />
sie im Voraus, was ihre Mitmenschen in bestimmten Situationen tun werden.<br />
Bei Austerlitz beispielsweise wurde die vereinte Übermacht von Russen<br />
und Österreichern Opfer einer List der Franzosen. Napoleon kannte die Motive<br />
seiner Gegner und rechnete damit, dass ihre emotionalen Befindlichkeiten<br />
sie direkt in seine Falle führen würden 7 . Auch in der Therapie muss der Arzt die<br />
Charakterdimensionen seines Patienten erfassen, um abzuschätzen, wie sich<br />
sein Patient in der Krise der Erkrankung verhalten wird. Nur wenn er das richtig<br />
einschätzt, kann er erfolgreich therapeutisch tätig sein 6 .<br />
Prinzip: Der Charismatiker<br />
Die zentrale Rolle des Charakters ist nicht nur im Drama typisch. Auch die<br />
Klassiker der Strategie heben auf die tragende Rolle charismatischer Akteure<br />
ab: Ein Fürst oder ein Feldherr hat einen Wusch: Er will seine Macht erhalten,<br />
einen Krieg gewinnen oder etwas Land dazu gewinnen. <strong>Clausewitz</strong> beschäftigt<br />
sich in seinem Hauptwerk „Vom Kriege“ ausführlich mit der tragenden<br />
Rolle von Charakteren. Kriegerischer Genius, moralische Größen, moralische<br />
Hauptpotenzen, die Kühnheit, und Beharrlichkeit sind Titel aus einigen seiner<br />
glanzvollsten Kapitel. Wörtlich schreibt er: „Sowie die Kräfte in dem einzelnen<br />
ersterben, diese nicht mehr vom eigenen Willen angeregt und getragen werden,<br />
lastet nach und nach die ganze Inertie der Masse auf dem Willen des Feldherrn;<br />
an der Glut in seiner Brust, an dem Lichte seines Geistes soll sich die Glut des<br />
Vorsatzes, das Licht der Hoffnung aller anderen von neuem entzünden; nur<br />
insoweit er dies vermag, insoweit gebietet er über die Masse und bleibt Herr<br />
derselben …“ 5 .<br />
2. Struktur<br />
Die herrschende Lehre über das dramatische Schreiben liest sich fast wie eine<br />
Umkehrung dessen, was wir im vorigen Absatz schreiben: Nicht der Charakter,<br />
sondern die Struktur erzeugt das Drama. Seit Aristoteles die Poetik verfasste<br />
versteht sich die Lehre vom dramatischen Schreiben zuerst als Kunst der Konstruktion.<br />
Arthur McKee ist Hollywoods große Autorität im Bereich des Drehbuchschreibens.<br />
In seinem Lehrbuch „Story“ liefert er dem Autor Bauanleitungen<br />
für Filme mit dramatischer Handlung 4 . Bei ihm werden Charaktere<br />
zu Puzzleteilchen, die der Autor in die Struktur der Story einpasst. Ändert der<br />
Autor die Struktur, fällt der Charakter aus ihr heraus. Ändert er den Charakter,<br />
zerstört er die Struktur. Die Konstruktion des Dramas fordert vom Autor also<br />
eine wechselnde Anpassung von Handlung und Charakter, bis die Gesamtkonstruktion<br />
vollkommene Stimmigkeit erreicht.<br />
Stützapparat der Handlung<br />
McKee sagt, dass Formen die Kunst definieren. Die Form macht in der Musik<br />
aus Lärm beispielweise eine Symphonie oder ein Rockstück. In der Malerei<br />
macht sie aus Gekritzel eine impressionistische Zeichnung oder ein kubistisches<br />
Gemälde 4 . In gleicher Weise macht die Form des Dramas aus Begebenheiten<br />
dramatische Handlung. Trotz endloser Variationen ist die Grundform<br />
des Dramas universell.<br />
Die Konstruktion des Dramas ist komplex und erinnert an die Architektur<br />
einer Kathedrale. Zur Konstruktion der Statik dienen Szenen als kleinste Baueinheit.<br />
Diese setzt der Autor mit Hilfe ausgeklügelter Pläne zu einem kompletten<br />
Drama zusammen. Aus Szenen fügt der Autor Sequenzen. Aus Sequenzen<br />
erstellt er einen Akt. Nach der Zahl der Akte bestimmt sich der Modelltyp des<br />
Dramas, wobei McKee drei Akte für die Mindestausstattung eines Dramas<br />
in klassischer Erzähltechnik hält. Jede Handlungseinheit hat Anfang, Mitte,<br />
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