03.07.2016 Aufrufe

Teil III - Die Dreiländersafari

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Teil</strong> <strong>III</strong><br />

<strong>Die</strong><br />

<strong>Dreiländersafari</strong>


Route:<br />

Nairobi – Kampala – Dar es Salaam<br />

Mombasa<br />

84


Äquatortreffen<br />

Kenia<br />

V<br />

om Piloten erfahren wir, dass wir uns in einer Höhe<br />

von 3000 Fuß über den Sudan hinweg bewegen. Beim<br />

Blick durch die Luke läuft es mir eiskalt über den Rücken,<br />

erst jetzt wird mir klar was unter Sudan zu verstehen ist.<br />

Der flächenmäßig größte Staat Afrikas, auf dessen Gebiet<br />

ein Großteil Westeuropas unterzubringen wäre, gilt als<br />

einer der unzugänglichsten und schwierigsten Länder des<br />

Kontinents. Nachdem was ich davon zu sehen bekomme,<br />

ist er alles andere als einladend.<br />

Der Norden wird von einer gewaltigen Wüste und einer<br />

anschließenden Steppen- und Savannenlandschaft eingenommen.<br />

Von Armut und Hunger geplagt sind diese<br />

Gebiete zwar mit denen im Süden politisch vereint, in den<br />

Sumpflandschaften des Sudd entflammt jedoch immer<br />

wieder der Bürgerkrieg, weil sich die dort lebenden schwarz<br />

afrikanischen Völker gegen die Beherrschung durch den<br />

arabischen Norden auflehnen.<br />

Mit abnehmender Flughöhe steigt die Stimmung an Bord.<br />

Neben dem kunterbunten Treiben in den Sitzen, sorgen die<br />

Gesänge auf Swahili, einer Sprache die aus arabischen und<br />

afrikanischen Dialekten entstanden ist, für exotische Unterhaltung<br />

bis es schließlich heißt:<br />

„Stop smoking and fasten your seat belts! “<br />

„Unatoka wapi?“ - Das braune Fräulein neben mir möchte<br />

noch rasch wissen woher ich komme.<br />

„Mimi ninatoka Ujerumani!“ – rufe ich ihr zurück.<br />

Während des Landeanfluges erfahren wir aus den Lautsprechern<br />

von der Schönheit des Landes. Wie es heißt,<br />

fasziniere Kenia besonders durch seinen landschaftlichen<br />

Reichtum.<br />

85


Palmenstrände am Indischen Ozean, endlose Savannen,<br />

grünes Hochland und die schneebedeckten Gipfel des<br />

Mount Kenia bilden vielfältige Naturkontraste, die es zu<br />

entdecken gilt.<br />

Bis wir den Flughafen verlassen, bin ich nass geschwitzt.<br />

Der Zöllner will uns nur einreisen lassen, wenn wir ihm ein<br />

Rückflugticket vorweisen können. Da wir nicht vorhaben,<br />

in absehbarer Zeit den Rückzug anzutreten, können wir<br />

natürlich kein entsprechendes Papier vorlegen. Es kostet<br />

unendlich viel Zeit, ihn zu bewegen, uns die geliebte<br />

Freiheit einfach so zu schenken.<br />

Draußen erteilen wir den Angeboten der Taxifahrer eine<br />

Absage, weil wir nun wieder auf eigenen Füssen stehen<br />

wollen. Nachdem die Pedale anmontiert sind und der<br />

Druck der Reifen auf Vordermann gebracht ist, stehen wir<br />

bereit. Ich brenne darauf meinen Erlebnishunger zu stillen,<br />

auch wenn mir der Schlafentzug der letzten Nacht noch<br />

immer in den Knochen steckt.<br />

Vom Kenyatta-Airport starten wir in den ungewohnten<br />

Linksverkehr, schon bald stellt sich die Routine wieder ein.<br />

Wir spurten durch sattes Grün, bis wir durch einige<br />

herumliegende Nagelbretter ausgebremst werden.<br />

Ich versuche dem Stachelwerk und einer Gewehrmündung<br />

auszuweichen, lande aber unsanft im Straßengraben.<br />

<strong>Die</strong> Polizisten haben ihren Spaß daran, sie stellen mich aber<br />

gleich wieder auf die Beine. Wie sich danach herausstellt,<br />

befinden wir uns auf dem Weg hinunter nach Mombasa.<br />

Wir schlagen umgehend wieder die Gegenrichtung ein und<br />

erreichen so über den Uhuru-Highway das Zentrum von<br />

Nairobi.<br />

<strong>Die</strong> Stadt präsentiert sich mit seiner Hochhausarchitektur<br />

modern. Erst Ende des vorigen Jahrhunderts wurde<br />

Nairobi als Eisenbahncamp im Hochland angelegt, es<br />

beherbergt heute bereits über eine Million Einwohner.<br />

86


So befindet sich neben den Hotels, Bankpalästen und<br />

noblen Geschäften auch die andere Seite der Realität,<br />

nämlich die Slums am Rande des Wohlstandes. Nairobi ist<br />

nicht unbedingt schön, aber auch nicht besonders hässlich.<br />

Andererseits ist die Stadt für afrikanische Verhältnisse recht<br />

ordentlich und sauber.<br />

Trotzdem haben wir bereits nach wenigen Tagen genug<br />

von diesem Ort, in dem der Krawall in den Strassen<br />

besonders in der Nacht nicht zu überhören ist.<br />

Indem die neuesten Nachrichten vom Golf schon um fünf<br />

Uhr morgens aus den Radios plärren, machen wir uns auf<br />

die Socken.<br />

Beim Verlassen des Hotels brummt einer hinter uns her:<br />

„Don´t worry, Kenya is a peacefull country! “<br />

Hinter der Stadt erwartet uns eine sanfte Hügellandschaft,<br />

ein frischer Wind weht uns um die Ohren. <strong>Die</strong> alte Limuru-<br />

Road führt an den gut bewachten Landsitzen der Herrschaften<br />

vorbei. Nur ein Stück des Weges weiter finden<br />

sich Teefelder und Stroh gedeckte Hüttendörfer.<br />

In Kaufladen von Limuru gibt es ein karges Angebot<br />

genießbarer Produkte. Mehr als Weißbrot, Marmelade und<br />

Erdnussbutter darf man hier nicht erwarten.<br />

In den Regalen befinden sind in erster Linie nur giftige<br />

Produkte. Das Angebot erstreckt sich über Mückenspray<br />

und Seife bis hin zum Unkrautvertilgungsmittel, sogar das<br />

Trinkwasser welches wir gereicht bekommen schmeckt<br />

nach Petroleum.<br />

<strong>Die</strong> Strasse nach Longonot hat sich in eine lange Baustelle<br />

verwandelt.<br />

Mit Hängen und Würgen müssen wir uns gelegentlich in<br />

die Büsche zurückziehen, weil uns der üble Gestank<br />

aufgeblähter Zebrakadavers den Magen umdreht.<br />

Am Ende des Tages schlagen wir unser Zelt im Camp der<br />

Straßenbauarbeiter neben einer alten Dampfwalze auf.<br />

87


Auch hier ist das Gesprächsthema der Krieg im Irak. Ein<br />

Alter hofft darauf, dass Präsident Bush möglichst viele<br />

Schwarze in den Krieg schicken möge, damit diese den<br />

Arabern einmal gründlich einheizen.<br />

<strong>Die</strong> anderen Männer klagen über die steigenden Preise und<br />

den chronischen Wassermangel der Gegend. Wir<br />

schlendern zusammen zur nahen Bierbar, aber die<br />

Stimmung liegt auch dort am Boden, der Barkeeper ist in<br />

seinem Drahtkäfig gefangen. Als ich die kleine Luke an der<br />

Getränkeausgabe anpeile, werde ich eifrig von einigen<br />

gelangweilten Damen begrüßt. Da ich mich dem<br />

herrschenden Treiben und ihrem Freibierdurst nicht<br />

gewachsen fühle, kehre ich auf der Stelle um.<br />

Das ostafrikanische Rift-Valley ist <strong>Teil</strong> eines der größten<br />

geologischen Wunder der Erde. Es durchzieht das Hochland<br />

Kenias und ist Hauptteil des Ostafrikanischen<br />

Grabensystems, das einst durch einen Riss in der Erdkruste<br />

entstand. <strong>Die</strong> Erde ist hier in langen schmalen Abschnitten<br />

eingesunken und hat auf diese Weise Täler mit den<br />

angrenzenden Vulkanen und ganze Seenketten zurück<br />

gelassen. Mit einer Länge von über 5000 Kilometern<br />

erstreckt sich das Rift-Valley über das Rote Meer bis nach<br />

Vorderasien.<br />

Im Schatten des malerischen Berges Mount-Longonot liegt<br />

der Naivasha See. Auf einer Höhe von über 1800 Metern<br />

gelegen, gilt er als der höchste und sauberste See des Rift-<br />

Valleys. Während wir uns dem See nähern trabt ein hoch<br />

gewachsener Mann fleißig neben mir her. Ich staune,<br />

welche Ausdauer er dabei an den Tag legt, zumal er sich<br />

andauernd mit mir unterhält. Wie die Farmen im<br />

Kolonialstil entlang der Straße bezeugen, begann der Ort<br />

einst als eine Siedlergemeinschaft, heute ist er Versorgungspunkt<br />

für die Besucher des Sees.<br />

88


Ganz in der Nähe Hell´s-Gate-Nationalparks übernachten<br />

wir auf einem Campingplatz.<br />

Früh stehen wir wieder auf den Beinen.<br />

Am Seeufer trotten die Flusspferde recht verschlafenen<br />

durch den Schlamm, sie nutzen die angrenzende Wiese als<br />

Weidegrund.<br />

Der Hells-Gate National Park ist mit den Rädern rasch<br />

erreicht. Am Eingang erfahren wir von den Rangern<br />

Interessantes über dieses Gebiet. Der Park wurde 1984<br />

eröffnet und hat sich schnell zu einem einzigartigen Biotop<br />

entwickelt, indem eine große Artenvielfalt wilder Tiere, eine<br />

außergewöhnliche Flora und eine bunte Vogelwelt anzutreffen<br />

ist. <strong>Die</strong> Landschaft ist der vulkanischen Tätigkeit<br />

früherer Zeiten entsprungen, heiße Quellen und hoch<br />

aufsteigende Dampfwolken unterhalb des Mount-Longonot<br />

erinnern daran, dass der letzte Vulkanausbruch gerade<br />

einmal hundert Jahre zurückliegt. Vom Olkaria, einem<br />

inzwischen erloschenen Vulkan im Westen, floss damals die<br />

heiße Lava herunter. Sie ließ eine raue und zackige<br />

Landschaft entstehen.<br />

Zum Schluss unserer Unterhaltung werden wir eindringlich<br />

darauf hingewiesen, dem Wild nicht zu nahe zu kommen,<br />

besonders mit den Büffeln sei nicht zu spaßen.<br />

Mit einer Landkarte bewaffnet und mit einem mulmigen<br />

Gefühl im Bauch strampeln wir über staubige Wege in ein<br />

enges Tal. Von steilen Felsen flankiert, lassen wir uns von<br />

einem spitzen Kegel der hoch aus der Erde ragt anlocken.<br />

Der spitze Turm aus Basaltsäulen ist das Markenzeichen<br />

des Nationalparks. Er wurde nach dem deutschen Naturforscher<br />

G.A. Fischer benannt, der im Jahre 1885 als erster<br />

Europäer seine Augen auf ihn richtete. Wir folgen dem<br />

Wegweiser und begegnen grasenden Zebraherden und<br />

hüpfenden Antilopen.<br />

An einem hervorragenden Aussichtspunkt verschlägt es uns<br />

beim Blick über die Steppe den Atem.<br />

89


Ich erkenne in der Ferne einige Giraffen, die kaum dass sie<br />

uns gewittert haben, ihre langen Beine schwingen.<br />

Es ist einfach toll wie diese grazilen Tiere fast schwerelos<br />

und mit hohem Tempo über den Steppenboden traben.<br />

An den ausgedörrten Skeletten gerissener Antilopen vorbei<br />

holpern wir einen Berghang hinunter. An den Wasserlöchern<br />

dieser trockenen Region treffen wir auf Zebras,<br />

Büffel und Thomson Gazellen. <strong>Die</strong> Spuren im Sand sind<br />

eindeutig, es gibt im Park Raubkatzen. Zum unserem Glück<br />

jagen die Leoparden und Löwen überwiegend in der Nacht.<br />

Wir geraten in einen Canyon mit zerklüfteten Felswänden,<br />

es riecht nach faulen Eiern weil dort giftige Schwefeldämpfe<br />

den heißen Quellen entweichen.<br />

Eine Straußendame keift uns überaus böse hinterher.<br />

„Mensch, fahr doch schneller!<br />

Siehst du nicht den Löwen?!<br />

Das kräftige Biest weiß genau was es will.<br />

Ich kann ihm einfach nicht entkommen – meine Beine<br />

lassen mich im Stich. Ich schaue in die mörderischen<br />

Augen und kann den faulen Atem der Katze riechen …<br />

Dann ist es vorbei - Straßenlärm dringt an meine Ohren.<br />

Blutrünstige Moskitos kreisen über mir und ich frage mich<br />

wo ich gelandet bin.<br />

In einem düsteren Loch finde ich mich wieder und ich<br />

besinne mich.<br />

Nachdem wir am Naivasha-Lake unser Zelt zusammen<br />

packten, erreichten wir nach einer heißen Etappe Nakuru.<br />

Nicht der miserable Zustand der Straße machte uns an<br />

diesem Tag so fertig, sondern die diabolische Fahrweise<br />

unserer lieben Mitmenschen gab uns den Rest.<br />

Mehrmals sind wir dem Tod von der Schippe gesprungen,<br />

indem wir uns in die Gräben zu den toten Zebras stürzten.<br />

<strong>Die</strong> Ufer des Sees bei Nakuru wurden einst von bis zu<br />

zwei Millionen Flamingos bevölkert. Mitte der siebziger<br />

Jahre, begannen die Vögel einfach fortzuziehen.<br />

90


Über mehrere Jahre lang blieben nur wenige übrig - nicht<br />

genügend um das Touristenspektakel des rosa gesäumten<br />

Sees aufrechtzuerhalten. Niemand weiß mit Sicherheit,<br />

warum die Vögel den Ort verließen oder warum sie<br />

allmählich wieder zurückkehren.<br />

Schon seit Tagen verfolgten uns die Msungu-Rufe der<br />

Kinder am Straßenrand, die Hüttenbewohner brechen in<br />

schallendes Gelächter aus, sobald sie uns zu Gesicht<br />

bekommen.<br />

Wir erhalten weite Ausblicke in die uns umgebenden<br />

Landschaften und tiefe Einblicke in stachelige Kakteenfelder.<br />

Am größten Breitenkreis der Erde, wo unser Planet<br />

in die nördliche und südliche Halbkugel aufgeteilt wird,<br />

machen wir an einer Gedenktafel Pause.<br />

Neben dem Fußvolk gesellt sich auch ein Radprofi aus<br />

Nairobi zu unserer Äquatortaufe, dazu braust eine Wolke<br />

aus Staub heran und ein Mann in Leder gesteht vom<br />

Motorrad herunter: „<strong>Die</strong>se See-Piste ist eine der<br />

schlechtesten Straßen die ich je gefahren bin!“<br />

Der Norddeutsche, der mit seinem qualmenden Vehikel<br />

zuletzt durch Zaire und Uganda fuhr, ist auf dem Weg zum<br />

Kap der guten Hoffnung. Ich würde um keinen Preis der<br />

Welt mit ihm tauschen mögen. Wenn ich es mir recht<br />

überlege, ist es doch öde mit einer Maschine die Kilometer<br />

nur so zu fressen. Viele Details nimmt man bei dieser Art<br />

der Fortbewegung einfach nicht mehr wahr, zudem bin ich<br />

überzeugt davon, dass nur langsames Reisen der Seele<br />

ermöglicht, Schritt zu halten.<br />

<strong>Die</strong> Sonnenstrahlen sind mittags fast unerträglich, zwischen<br />

den Anpflanzungen einer Sisal-Fabrik staut sich die Hitze<br />

über der rot getönten Erde. Erleichtert nehmen wir den<br />

Abzweig zum Bogoria See, der zunächst steil über Felsabsätze<br />

auf losem Gestein abwärts führt.<br />

Trotz aller Widrigkeiten wuchten wir die Packesel bis zum<br />

Emsos-Gate, wo der Wildhüter große Augen macht.<br />

91


Der Bogoria-See liegt in einer versengten, felsigen Landschaft<br />

mit heißen Quellen und explodierenden Geysiren<br />

entlang des westlichen Ufers und einer steilen dunklen<br />

Wand des hoch thronenden Laikipafelsens in östlicher<br />

Richtung. Der erste Eindruck aus der Ferne war der einer<br />

schroffen, leblosen Umwelt, nun aber sehen wir die<br />

Flamingoscharen die den ganzen Salzsee rosa färben. Der<br />

Park beherbergt neben Gazellen- und Antilopenherden<br />

auch wilde Affenhorden.<br />

Am Seeufer schlagen wir unter riesigen Feigenbäumen<br />

unser Lager auf, an diesem herrlichen Flecken bleiben wir<br />

gerne für einige Zeit.<br />

In den Bäumen haben sich die Baboons versammelt, diese<br />

kräftigen Affen mit ihren langen Schnauzen und dem<br />

raubtierartigen Gebiss halten aber einen respektvollen<br />

Abstand ein. <strong>Die</strong> Schlange, die aus den Blättern eines<br />

Busches heraus züngelt, verzieht sich auch gleich wieder.<br />

<strong>Die</strong> Mückenvölker schwärmen in den Abend, der Himmel<br />

verdüstert sich und ein Gewitter zieht auf.<br />

Wir verkriechen uns schnell im Zelt.<br />

Im Wald ist es bald stockfinster geworden, vom See weht<br />

Flamingogeschnatter herüber. <strong>Die</strong> anderen Laute die durch<br />

die Zeltplane dringen, lassen mich erschaudern.<br />

Für einen kurzen Augenblick zuckt ein Blitz, der Donner<br />

grollt und endlich setzt der Regen ein. Mit einem<br />

stürmischen Guss peitscht er über uns hinweg.<br />

Im Wald beginnt ein riesiges Affenspektakel. Als die Ruhe<br />

wieder einkehrt, versinke ich in einen flüchtigen Schlaf, der<br />

jedoch mit einem kurzen Stoß in die Rippen beendet wird.<br />

„Hey, da schleicht doch jemand ums Zelt!“ - Blitzschnell<br />

ergreife ich die Initiative und fasse die Taschenlampe.<br />

Es sind die kleinen Hände der Affen, die sich an unserer<br />

Behausung zu schaffen machen. Ich leuchte in eine wilde<br />

Mähne und blicke in abscheuliche Zähne.<br />

92


Aus vollem Herzen brülle ich in das betagte Gesicht, dabei<br />

gerät alles außer Rand und Band. Wie vom Hafer gestochen<br />

rast die haarige Bande durch den Wald.<br />

Am nächsten Morgen lacht mir die Sonne ins Gesicht.<br />

Ich traue meinen Augen kaum, als ich den Baboon<br />

bemerke, der die frühen Stunden in unserer Nachbarschaft<br />

genießt. Ich frage mich ob er bei der nächtlichen Aktion<br />

dabei war, obwohl er irgendwie gebrechlich auf mich wirkt .<br />

Als ich mich aufrichte, humpelt er schwerfällig davon.<br />

Mit einem Keks versuche ich ihn zu besänftigen, doch das<br />

ist ein Fehler.<br />

Der Affe beginnt mit einem Mal frech zu werden.<br />

Zunächst gelingt es mir, ihn mit einem Stock auf Distanz<br />

zu halten, doch dann ist der Alte nicht mehr zu bremsen.<br />

<strong>Die</strong> Hiebe mit dem Knüppel beantwortet er mit einem<br />

weit aufgerissenen Maul. Das Affengebiss ist dabei so<br />

beeindruckend, dass ich vorsichtshalber weitere Prügel<br />

erteile.<br />

Nachdem sich der zottige <strong>Die</strong>b mit unseren Brotvorräten<br />

in den Wald verkrümelt hat, betrachte ich die Beziehung<br />

unter den Primaten als gestört. Mit der Idylle am See ist es<br />

nun endgültig vorbei.<br />

Ich gehe viele große Steine sammeln.<br />

Dass es bei uns was zu holen gibt, hat sich schnell herum<br />

gesprochen. Mit gezielten Steinwürfen und knurrendem<br />

Magen gelingt es aber, die Affenbande auf Distanz zu<br />

halten.<br />

Gegen Abend bekommen wir erneuten Besuch, dieses Mal<br />

in Form einer Arztfamilie mit Jeep. Das kluge Paar ist<br />

gleich bei der Begrüßung der festen Überzeugung, dass uns<br />

bald die Malaria holen wird. In dieser Hinsicht um einiges<br />

optimistischer, verweisen wir auf die aktuelle Bedrohungslage<br />

direkt aus dem Dschungel.<br />

93


Das Affentheater geht mit dem Sonnenaufgang weiter.<br />

Herr Doktor beginnt nach einer turbulenten Nacht im<br />

nassen Schlafsack mit dem Abriss des undichten Zeltes.<br />

Frau Doktor hat sich bereits in die Sicherheit ihres Wagens<br />

begeben. Durch einen Fensterschlitz berichtet sie mir, dass<br />

sich ihre Lebensmittel in fremden Händen auf dem<br />

Feigenbaum befinden.<br />

Schon hüpfen die Affen wieder von den Ästen und<br />

formieren sich zu einem neuen Angriff.<br />

Nun wird auch der Doktor böse und verflucht die Bande.<br />

So wie dieser Zweibeiner herumtobt und seiner Zeltplane<br />

hinterher jagt, ist leicht zu erkennen, dass zwischen Affen<br />

und Menschen kein all zu großer Unterschied besteht.<br />

Am Westufer setzen wir die Reise fort.<br />

Es folgt ein ewiges auf und ab, mit kümmerlichem Schatten<br />

und herrlichen Ausblicken über den See.<br />

Es wimmelt nur so von Flamingos.<br />

Mit ihren langen Beinen, dem rosa Gefieder, den beilförmigen<br />

Schnäbeln und den gebogenen Hälsen bieten sie<br />

uns einen wunderschönen Anblick.<br />

Zu Hunderten stehen sie am Rande des Sees und filtern mit<br />

abwärts gekehrtem Schnabel die Nahrung aus dem Wasser.<br />

In dichten Schwärmen fliegen sie an uns vorbei.<br />

<strong>Die</strong> Start und Landetechnik der Vögel fasziniert mich ganz<br />

besonders, ihr rasanter Spurt auf der Wasseroberfläche ist<br />

einzigartig.<br />

<strong>Die</strong> Seeadler lauern geduldig im Hintergrund.<br />

So mancher Flamingo wurde schon von ihnen vernascht,<br />

wie zum Beweis türmen sich bei den heißen Quellen die<br />

Gerippe auf.<br />

Der Grund des Rift-Valleys besteht aus der typischen<br />

ostafrikanischen Savanne, in der es die meiste Zeit des<br />

Jahres über trocken und heiß ist.<br />

94


Trotz der Kultivierung einiger Flächen wurde die Tierwelt<br />

noch nicht ganz verdrängt, es gibt Giraffen, Zebras,<br />

Gazellen, Paviane, Geparde und Leoparden, sogar einige<br />

Löwen haben sich hier gehalten. Zu den heimischen<br />

Pflanzenarten gehört die farbenprächtige Feuerlilie, die<br />

Aloe, die Dornakazie mit ihren runden, ameisengefüllten<br />

Auswüchsen an den Zweigen sowie der kaktusartige<br />

Euphorbiabaum.<br />

Wie befürchtet, wird der Anstieg überaus anstrengend, an<br />

jeder Straßenkehre holen wir tief Luft, aber mit jedem<br />

Höhenmeter gewinnen wir einen besseren Überblick über<br />

das weite Tal um den Baringo-See.<br />

Von Karbanet geht es in kurvenreicher Abfahrt hinunter,<br />

unsere mühevoll erklommene Höhe geht dabei wie im Flug<br />

verloren. Auf einer pfeilgeraden Strecke durchqueren wir<br />

eine trockene Landschaft, bis die mächtige Felswand des<br />

zweiten Anstieges vor uns protzt.<br />

In Biretwo, einem Straßendorf mit ein paar Ziegen sowie<br />

einer Bar mit Sonnenschirm tanken wir Flüssigkeit auf.<br />

In flimmernder Hitze nehmen wir den nächsten Anstieg,<br />

der sich in weiten Kurven hinauf windet.<br />

Wir schieben von Schatten zu Schatten, die Sonne über<br />

dem Rift-Valley brennt gnadenlos auf uns herab. Um nicht<br />

zu verschmoren verpflastern wir die Gesichter.<br />

Eine bewachsene Bergkante ragt in leuchtendem Grün<br />

hoch über uns auf, nur ein kümmerlicher Wasserstrahl rinnt<br />

aus den heißen Felsen.<br />

Eldoret ist ein blühendes Städtchen mit einem Geschäftszentrum,<br />

es liegt etwa 300 Kilometer nordwestlich von<br />

Nairobi entfernt. Wie die meisten Besucher dieses Landstriches<br />

ziehen wir auf dem Weg nach Uganda hier vorbei.<br />

<strong>Die</strong> Stadt bietet eine gute Gelegenheit, sich mit dem Allernötigsten<br />

einzudecken.<br />

95


Schon mittags ist die Bar gerammelt voll. Wir gesellen uns<br />

zu heiteren Afrikanern, die sich hier aber etwas derber<br />

geben als die Leute im Südosten.<br />

Mit dem Schreiben des Tagebuches erregen wir bald<br />

allgemeines Misstrauen, man ist sich ziemlich sicher, dass<br />

Madam nur schlechtes von hier zu berichten weiß.<br />

In aller Frühe suchen wir unseren Weg aus Eldoret.<br />

Runde 60 Kilometer weiter erscheint in unserem Blickfeld<br />

die Papierfabrik von Webuye.<br />

Zunächst überwinden wir eine lang gestreckte Anhöhe,<br />

dann erreichen wir die Fabrik an einem schmutzigen Fluss.<br />

Der Ort ist einfach strukturiert, er besteht aus zwei<br />

Gebäudereihen mit einfachen Geschäften sowie mehreren<br />

Bars. Wir mieten uns im Western-Hotel ein, in dem es<br />

erbärmlich aus den Toiletten stinkt, weil es derzeit im<br />

ganzen Ort kein Wasser gibt.<br />

Passend zum Thema finde ich in der Zeitung die Zeilen<br />

eines gewissen Herrn van Hout:<br />

Haben sie schon gewusst, dass die Panafrican-Paper-Mills<br />

in Webuye etwa sieben Millionen Gallonen Wasser an<br />

einem Tag verbrauchen, während vielen Menschen in dieser<br />

Stadt nicht eine Gallone für den ganzen Monat zur<br />

Verfügung steht?<br />

96


Uganda<br />

W<br />

ir schieben nach Uganda rüber, wo uns der<br />

Grenzposten schon im Morgengrauen mit seinen<br />

blöden Fragen die Laune verdirbt.<br />

Warum wir auf Fahrrädern einreisen wollen, wie groß<br />

unsere mitgeführte Geldmenge ist, beziehungsweise wann<br />

und wo wir gedenken wieder auszureisen.<br />

Der Gipfel aber ist die völlig ernst gemeinte Frage:<br />

„Sir, weshalb tragen sie diese komischen Hosen?“<br />

Es wird an unserer Kleidung herum gemäkelt, bis ich die<br />

Herren über den Sinn und den Zweck von Radlerhosen<br />

aufkläre. Wie sich später herausstellt, steht die hier<br />

dargestellte Prüderie in keinerlei Verhältnis zur tatsächlichen<br />

Kleiderordnung des Landes. Wir fühlen uns vor den<br />

Kopf gestoßen und als unser Monatsvisum auch noch<br />

ohne Angabe von Gründen einfach um eine Woche<br />

gekürzt wird, empfinden wir uns in Uganda nicht<br />

willkommen.<br />

Das Grenzgebiet zwischen Kenia und Uganda wird von<br />

einem großen erloschenen Vulkan, dem Mount-Elgon<br />

besetzt. Vor Millionen Jahren ist er entstanden und noch<br />

heute befinden sich in seinem Krater heiße Quellen.<br />

Seine gut 100 km breite Grundfläche gibt Anlass zur<br />

Vermutung, dass dieser Vulkan in Urzeiten alle anderen<br />

Berge Afrikas, wenn nicht sogar der ganzen Erde, überragt<br />

hat. Inzwischen rangiert er, hinter dem Kilimandscharo,<br />

dem Mt. Kenia und der Ruwenzori-Kette an vierter Stelle<br />

innerhalb des afrikanischen Kontinents.<br />

Aufgrund seiner Höhenlage hat das Äquatorland Uganda<br />

ein tropisch mildes Klima mit Temperaturen um die 22<br />

Grad Celsius, schon deshalb ist das Land reich von<br />

Grünpflanzen bedeckt.<br />

97


Dem Dickicht entspringt eine gut getarnte Mannschaft<br />

und stellt sich uns in den Weg. <strong>Die</strong> Panzerfaust welche aus<br />

der Flora ragt unterstreicht den Ernst der Lage.<br />

Da Uganda immer noch ein Land ist, in dem Gesetz und<br />

Ordnung nicht vollkommen wieder hergestellt sind, soll mit<br />

derartigen Militärkontrollen dem inneren Frieden nachgeholfen<br />

werden.<br />

Winston Churchill hat Uganda einst die Perle Afrikas<br />

genannt. Das Land, war die wohlhabendste Nation der Ostafrikanischen<br />

Gemeinschaft. Unter der Militärdiktatur von<br />

Idi Amin machte dieses Land nur noch durch Skandale von<br />

sich reden. Mehr als zwanzig Jahre Diktatur, Korruption<br />

und Bürgerkrieg haben Uganda in einen Sumpf der Rückständigkeit<br />

getrieben. Der jetzige Regierungschef Yoweri<br />

Museveni, versucht dem Land neue Hoffnung zu geben.<br />

<strong>Die</strong> Trümmer, die der Krieg hinterlassen hat, verschwinden<br />

aber nur langsam.<br />

Mit der Dämmerung meistern wir eine letzte Anhöhe, die<br />

Lichter von Buguri sind schon zu erkennen.<br />

<strong>Die</strong> Nacht bleibt drückend schwül, erst der nächste Tag<br />

bringt eine umfassende Erfrischung.<br />

Bevor wir die schützenden Dächer von Iganga erreichen,<br />

schüttet es aus vollen Kübeln. Sofort steht die Straße unter<br />

Wasser, die Sintflut sorgt für ein Chaos aus Schlamm.<br />

Der Victoriasee ist mit fast 70.000 Quadratkilometern etwa<br />

so groß wie Bayern, damit ist er das größte Binnengewässer<br />

Afrikas. Fast die Hälfte des Sees gehört zu Uganda, er<br />

bildet dank seines enormen Fischreichtums eine wichtige<br />

Nahrungsquelle für das Land. Auch wenn die Straße dicht<br />

am Ufer entlang führt, bekommen wir den Viktoriasee<br />

kaum zu sehen. Das Ufer ist stellenweise so versumpft,<br />

dass sich die Wasserfläche in weitem Abstand zur Straße<br />

befindet.<br />

98


<strong>Die</strong> vorbei rasenden Fahrzeuge, lassen auf ein größeres<br />

Gewässer schließen, weil an ihnen besonders dicke Fische<br />

baumeln. <strong>Die</strong> tropische Luft liegt schwer über dem Viktoria<br />

Nil, der Wald dampft und trieft vor sich hin.<br />

Ein hartnäckiger Regen verfolgt uns bis in die Hauptstadt,<br />

wo wir gleich im ersten Kreisverkehr von der Bahn<br />

gedrängt werden.<br />

Getreu dem Motto „Lieber nachgeben als sterben“ hetzen<br />

wir weiter. Während am Schlachthof der letzte Wagen eines<br />

Transporters entladen wird, schieben Menschen ihre voll<br />

beladenen Fahrräder vom Hof. Auf der geteerten Hauptstraße<br />

strampeln sie in blutigen Kitteln durch den dichten<br />

Verkehr. Mit einem Sack voll Innereien über dem Rahmen,<br />

einigen Rinderbeinen auf dem Gepäckträger und einem<br />

Rinderkopf an der Lenkerstange ziehen sie zum Markt. An<br />

den festen Buden, auf kleinen Tischen oder aus einem<br />

einzigen Korb am Boden gibt es dort fast alles zu kaufen.<br />

Auf der Zufahrtsstraße vor dem Hindutempel und der<br />

Moschee liefern die Fischer ihren Fang an. Von einem<br />

Lastwagen werden Matokestämme, die beliebten grünen<br />

Kochbananen abgeladen.<br />

Gleich daneben bieten die Metzger ihre Ware in der prallen<br />

Sonne an, während die Marabus auf den Dächern nach<br />

einer fetten Beute Ausschau halten.<br />

Im Zentrum Kampalas herrscht während der Geschäftsstunden<br />

emsiges Treiben. Auf der Kampala Road und im<br />

anschließenden Regierungsviertel mit Rathaus, Ministerien<br />

und Banken drängen sich die Geschäftsleute, Bankangestellten<br />

und die Beamten. Bis hinauf zum Nakasero<br />

Hill herrschen gepflegte Anzüge und adrette Kleider vor.<br />

Auch indischen Händler sieht man wieder, nachdem sie<br />

Anfang der siebziger Jahre aus dem Land verjagt wurden.<br />

Damals hatte man ihren Besitz enteignet und damit der<br />

ugandischen Wirtschaft einen Riesendienst erwiesen.<br />

99


<strong>Die</strong> Quartiersuche gestaltet sich schwierig. Ratlos sehen<br />

wir uns um, bis uns ein Schlitzohr anspricht und zum<br />

christlichen Verein junger Männer begleitet. In dieser Stadt<br />

ist es überaus schwierig die Spreu vom Weizen zu trennen,<br />

die Art und Weise in der hier versucht wird, an Geld zu<br />

kommen, ist nicht immer die Feinste. Erst als wir im Backsteinbau<br />

der Schule verschwinden, haben wir Ruhe.<br />

Heute ist fast die Hälfte der Bevölkerung Ugandas jünger<br />

als 15 Jahre alt, die Kinder auf den Straßen versprühen die<br />

reinste Lebensfreude. <strong>Die</strong> uniformierten Schüler versammeln<br />

sich zahlreich auf dem Sportplatz. Durch ihre<br />

einheitliche Kleidung, dem roten Hemd und der khakifarbenen<br />

Hose ist der soziale Unterschied aus ihrem<br />

Schulalltag verbannt. Sie dürfen sich glücklich schätzen,<br />

denn nur etwa die Hälfte der Kinder Ugandas durchläuft<br />

die siebenjährige Grundschulausbildung.<br />

<strong>Die</strong> Analphabetenquote der über 15jährigen liegt immer<br />

noch bei 50 Prozent. <strong>Die</strong> Hälfte der Afrikaner wird dem<br />

Christentum zugerechnet, aber die traditionellen Glaubensvorstellungen<br />

dürften noch immer überwiegen.<br />

Sonntags wird für alle gepredigt. Im nahen Baptisten-Zelt<br />

lässt sich die versammelte Gemeinde von einem weißen<br />

Prediger die Leviten lesen.<br />

<strong>Die</strong> armen Sünder werden unüberhörbar missioniert.<br />

Wir singen „Kwa heri Kampala“ und kehren der Stadt<br />

gerne den Rücken. Mit Ananas und Bananen im Gepäck<br />

bewegen wir uns durch eine dicht bewaldete Hügellandschaft<br />

in Richtung Masaka.<br />

Ein weiteres Mal überqueren wir bei Nabusanke den<br />

Äquator. Barfüßige Kinder rennen uns solange hinterher,<br />

bis ihnen die Puste ausgeht. Der letzte Posten Ugandas liegt<br />

bei Mutukula, er hat uns außer lethargischen Beamten<br />

nichts zu bieten.<br />

100


Dornen der Savanne<br />

Tansania<br />

W<br />

ieder einmal wird mir schmerzlich bewusst, das in<br />

Afrika das Geld nicht auf der Straße liegt. Wir hatten<br />

damit gerechnet, gleich bei unserer Ankunft in die<br />

Tansanische Währung wechseln zu können, was sich aber<br />

als Illusion herausstellt.<br />

Wir beugen uns dem Schicksal und radeln in den neuen Tag<br />

hinein. Bis Bukoba liegen runde 100 Kilometer vor uns.<br />

Ohne einen müden Pfennig in der Tasche bekommt das<br />

Reisen den Hauch von Abenteuer, auf den ich in diesen<br />

Breiten gerne verzichtet hätte. Wir holpern auf einer<br />

miserablen Piste weiter, die Zunge klebt mir im Hals.<br />

Im Schatten einer Banane treffen wir auf nette Leute. <strong>Die</strong><br />

Einen füttern uns mit Ananas, die Anderen helfen uns die<br />

Räder über einen steilen Buckel zu schieben. Der Verkehr<br />

hält sich zwar in Grenzen, die Strecke wird nach dem Überqueren<br />

eines Flusses aber nicht einfacher. <strong>Die</strong> wenigen<br />

Dörfer entlang des Weges wirken wie ausgestorben, die<br />

herrschende Armut bleibt uns nicht verborgen. Ich fühle<br />

mich nicht wohl in meiner Haut, nur widerwillig lasse ich<br />

mich zu neuen Leistungen anspornen. Auf der mit Sand<br />

gepuderten Piste bedeutet das Vorankommen harte<br />

Muskelarbeit.<br />

Bis zum späten Nachmittag dämmert mir, dass wir Bukoba<br />

nicht bei Tageslicht erreichen werden, zu viele Kilometer<br />

trennen uns von der Stadt. Was uns bevorsteht, wenn es<br />

erst einmal finster geworden ist, wage ich mir nicht<br />

auszumalen.<br />

Das Glück im Unglück poltert plötzlich in Form eines<br />

Geländewagens heran. Wir können es kaum fassen, in<br />

dieser Gegend auf eine deutsche Familie treffen.<br />

101


Für Peter, Renate und die Kinder sind wir ebenfalls keine<br />

alltägliche Erscheinung, sie nehmen uns daher einfach mit.<br />

Wir atmen auf, denn nun brauchen wir die kommende<br />

Nacht nicht im Busch verbringen, somit werden wir den<br />

Löwen heute nicht zur Verfügung stehen.<br />

Wir erreichen eine Stadt mit einer eingezäunten Bungalowsiedlung.<br />

Da es hier komfortabler zugeht als in den Dörfern<br />

im Busch, werden wir bei den irischen Bekannten zum<br />

Duschen abgeliefert, unsere Lebensgeister kehren beim<br />

anschließenden Dinner schnell wieder zurück.<br />

Gegen Mitternacht brechen wir zu Peters Hospital auf.<br />

Wir rasen hinter dem Scheinwerferkegel her, bis wir<br />

zerrüttet unser Ziel erreichen. Das Haus steht abseits im<br />

Dunkeln.<br />

Peter beleuchtet mit seiner Taschenlampe den Weg und<br />

flucht: „Verdammt noch mal - diese Biester.<br />

Rührt euch bloß nicht vom Fleck!“<br />

<strong>Die</strong> Kinder kennen dass schon, ihr Daddy deutet mit dem<br />

Spaten zur Erde, wo die Puffotter liegt.<br />

Sie ist fast einen Meter lang, extrem giftig und vor allem<br />

deshalb gefährlich, weil sie nicht wie ihre Artgenossen den<br />

Rückzug antritt, wenn sie sich bedroht fühlt. Kommt man<br />

ihr zu nahe, gibt sie ein tiefes Zischen von sich und<br />

schnappt zu. Bevor sie den leisesten Puff ausstößt, ist sie<br />

fachgerecht in Stücke gehackt und aus dem Weg geräumt<br />

worden.<br />

Das Hospital in Kemondo existiert seit 70 Jahren, es wird<br />

von der Diözese in Würzburg finanziell unterstützt. Eine<br />

ärztliche Behandlung ist hier im Gegensatz zu den staatlichen<br />

Einrichtungen zwar kostenpflichtig, aber die Leute<br />

bevorzugen die bessere Behandlung in solchen Missions-<br />

Krankenhäusern.<br />

Im Hospital ist die Atmosphäre familiär.<br />

102


<strong>Die</strong> Kranken werden von ihren Verwandten mit dem<br />

Nötigsten versorgt, das Essen wird auf einem Holzfeuer in<br />

der Gemeinschaftsküche zubereitet. Für die Angehörigen<br />

der Patienten sind einige Wohnplätze vorhanden, so dass<br />

hier mit wenig Personal viel erreicht werden kann. Es gibt<br />

eine Leprastation mit zwei akuten Fällen, eine Tuberkuloseabteilung,<br />

einen Röntgenapparat sowie einen kleinen, aber<br />

gut ausgestatteten Operationsraum.<br />

Und es gibt die HIV-Abteilung, weil der Aids Virus zum<br />

Hauptkiller in Ostafrika geworden ist. In manchen Orten<br />

sind bis zu 40% der Bevölkerung infiziert.<br />

Ausländische Ärzte sind schon deshalb kaum hierher zu<br />

bewegen. Peter ist zwar der Chef, aber im Hospital ist er<br />

gleichzeitig Mädchen für alles. Als Chirurg muss er sich<br />

zudem um viele andere Belange kümmern. Seit einigen<br />

Wochen betreibt er eine neue Solaranlage für die<br />

Haustechnik.<br />

In letzter Zeit ist er sehr nachdenklich geworden. Tag für<br />

Tag hält er beim Operieren das Skalpell in der Hand, dabei<br />

fließt natürlich auch infiziertes Blut. Der kleinste Kratzer<br />

kann für ihn bedeuten, dass er sich zu den „Verlorenen“<br />

zählen muss. Bisher konnte er mit dem Risiko umgehen,<br />

aber wegen der sich rasant abzeichnenden Entwicklung<br />

möchte er bald wie möglichst Tansania verlassen.<br />

Der Besuch der Aidsstation führt uns das entsetzliche<br />

Elend vor Augen. <strong>Die</strong> Kranken liegen auf einfachen Metallbetten<br />

in einem schlichten Raum. In einem Land, wo<br />

Medikamente für die meisten Menschen unerschwinglich<br />

sind, ist das Kreuz an der fahlen Wand oft der einzige<br />

Trost.<br />

Im Hof begegnen wir einem Rollstuhlfahrer, auch er ist<br />

ein bedauerlicher Fall. Während der Arbeit im Zuckerrohrfeld<br />

ist er unter die Messer einer Erntemaschine<br />

geraten. Dabei wurde ihm ein Arm abgetrennt und das<br />

linke Bein zerquetscht.<br />

103


Inzwischen ist der Arm wieder mit Erfolg angenäht<br />

worden, doch das Bein verursacht immer noch Sorgenfalten<br />

auf Peters Stirn.<br />

„Hallo Doktor, sieh mal, meine Finger lassen sich<br />

bewegen!“ - Der Verletzte ringt sich ein schmerzvolles<br />

Lächeln ab.<br />

„Mein Bein macht auch Fortschritte, stimmt´s Doktor?“<br />

<strong>Die</strong> Stimme des Jungen klingt unsicher.<br />

Peter tätschelt seine Schulter, die bittere Wahrheit gesteht<br />

er jedoch nur uns: „Das Bein ist von einer Entzündung des<br />

Knochenmarks sehr stark in Mitleidenschaft gezogen. Um<br />

das Leben des Jungen zu retten, werde ich das Bein in den<br />

nächsten Tagen amputieren müssen.“<br />

Was es für einen Menschen in Afrika bedeutet, mit nur<br />

einem Bein im Leben zu stehen, steht auf einem ganz<br />

anderen Blatt geschrieben.<br />

Und dann ist da auch noch das Schicksal des vier Monate<br />

alten Babys, dessen Mutter bei der Geburt gestorben ist.<br />

Der Vater ist nicht in der Lage, alleine für das Kind zu<br />

sorgen, geschweige denn fünfzig Mark für die dringend<br />

erforderliche Fußbehandlung aufzubringen. Gäbe es nicht<br />

Peter und Renate, wäre das Kind schon als Baby zum<br />

Krüppel verurteilt worden. Im Moment wird die<br />

Deformation der Knochen mit Gipsverbänden behandelt.<br />

Für das Kind ist vorerst bestens gesorgt, aber wie die<br />

Zukunft aussieht steht in den Sternen. <strong>Die</strong> Waisenhäuser<br />

entlassen die Kinder meist schon mit drei Jahren in die<br />

Familien der Dörfer, ohne sich weiter um deren Schicksal<br />

zu kümmern. <strong>Die</strong> Waisenbabys sind anfangs vollkommen<br />

auf die Hilfe solcher Häuser angewiesen, da die Menschen<br />

im Dorf die Babys unter den herrschenden Bedingungen<br />

nicht groß ziehen können.<br />

Es mangelt hier an fast allem und Milch für die Kinder ist<br />

viel zu teuer.<br />

104


<strong>Die</strong> Unkenntnis um die einfachsten Dinge bei der Hygiene<br />

und der Ernährung führt für die Kleinsten schnell in die<br />

Katastrophe.<br />

Uns Europäern fällt es schwer diese Situation zu begreifen.<br />

Es ist kaum zu glauben, dass in den mehr oder weniger<br />

regendichten Lehmhütten bis zu zehn Leute hausen sollen.<br />

Auch wenn sie mit Gras ausgelegt wurden, sind Sandflöhe<br />

und Ratten allgegenwärtige Plagegeister.<br />

Gekocht wird im Freien an einer überdachten Feuerstelle<br />

neben dem Garten. Das kleinste Kind auf den Rücken<br />

gebunden, versorgen die armen Frauen ihre Familien. Sie<br />

bestellen das Feld und schleppen Wasser aus den Tümpeln<br />

der Umgebung heran. Unter Umständen gibt es noch ältere<br />

Angehörige zu pflegen, während die Männer sich oft anderweitig<br />

betätigen. So Mancher verdient ein wenig Geld, dass<br />

er gleich wieder für Alkohol ausgibt. Andere lassen sich<br />

gleich tagelang nicht zu Hause blicken und wenn sie nach<br />

Hause kommen besteht für die Frauen die Gefahr erneut<br />

Schwanger zu werden oder Aids zu bekommen.<br />

So in etwa ergeht es Jenny, die wir abends in ihrer Hütte<br />

besuchen. Gemeinsam mit ihrer Schwester hat sie einige<br />

Mäuler zu stopfen. <strong>Die</strong> bemerkenswerte Frau gesteht uns,<br />

darüber froh zu sein, dass sich ihr Mann wieder einmal in<br />

Luft aufgelöst hat. Jenny hilft sich so gut es geht aus der<br />

Misere, indem sie sich mit der Nähmaschine ein wenig<br />

Geld dazu verdient.<br />

Unsere Stunden in Kemondo sind gezählt, Peter hat mir<br />

für die Weiterreise etwas Geld geborgt, so dass wir die<br />

Nachtfähre von Bukoba über den Victoriasee nach Mwanza<br />

nehmen können. Wir sind für die Hilfe sehr dankbar und<br />

wünschen Ihm und seiner Familie alles Gute.<br />

Im Hafen herrscht Gedränge, vor der Ticketausgabe balgen<br />

sich die Leute. Wieder einmal haben wir Glück, ein hilfsbereiter<br />

Mann besorgt uns über seine guten Beziehungen<br />

die nötigen Fahrscheine.<br />

105


Der alte Kahn ist wirkt stark mitgekommen, mit Sicherheit<br />

war er schon in Schuss. In den letzten Jahren sind einige<br />

Exemplare dieser Flotte samt Mann und Maus in den<br />

Tiefen des Victoriasees versunken.<br />

Um uns tobt ein Chaos, die Kletterei über unseren Köpfen<br />

geht mir auf die Nerven. Wir sitzen auf dem Deck und<br />

hoffen, dass wir keinen Schiffbruch erleiden.<br />

Nach kurzer Zeit ist der Getränkevorrat an Bord erschöpft,<br />

sogar das Wasser ist ausverkauft. Unter Deck treiben einige<br />

Damen in den Kabinen ihr Unwesen. Nicht zu überhören<br />

ist, dass sie dabei viel geschäftstüchtiger sind, als der<br />

Barkeeper der auf dem Trockenen sitzt.<br />

Der Wind bläst lau durch eine stockfinstere Nacht.<br />

Nach Mitternacht wird es still an Bord, nur die Anopheles<br />

Mücken sind noch aktiv, sie stechen überwiegend in der<br />

Nacht. <strong>Die</strong> weibliche Mücke ist Trägerin der Malaria<br />

Parasiten, die sie in den menschlichen Körper überträgt,<br />

während sie sich von dessen Blut ernährt, das sie zur<br />

Entwicklung ihrer Eier braucht. An der Art, wie sie den<br />

Hinterleib in die Höhe reckt, ist sie leicht zu erkennen. <strong>Die</strong><br />

gefährlichsten Wesen des Kontinentes verursachen in<br />

Afrika mehr Todesfälle als jedes andere Tier. Ich erschlage<br />

einige dieser Biester und versuche zu einzuschlafen. Erst als<br />

es kühler wird, öffne ich die Augen und erblicke am<br />

Südufer des Victoria-Sees die Lichter von Mwanza.<br />

Mit einer Fläche von fast einer Million Quadratkilometern,<br />

ist Tansania das größte Land Ostafrikas. <strong>Die</strong> Landschaft<br />

beeindruckt zunächst mit Felsformationen, die aussehen<br />

als hätte sie jemand aufeinander gestapelt. Dahinter breitet<br />

sich die Hochebene der Dornensavanne aus. <strong>Die</strong><br />

Lehmpiste verlangt uns einiges ab, die unzähligen Schlaglöcher<br />

sind nur im Dauerslalom zu bewältigen. Zeitweise<br />

bevorzugen wir die kleinen Parallelwege neben der Piste,<br />

weil diese besser für Zweiräder befahrbar sind.<br />

106


Vor Rundere gilt es ein Sumpfgelände zu durchqueren, zur<br />

Schlammschlacht zwitschert eine bunte Vogelwelt.<br />

Wir haben alle Hände voll zu tun, einem festgefahrenen<br />

Laster können wir beim besten Willen nicht helfen.<br />

Zu allem Übel zieht eine Gewitterwolke über uns hinweg.<br />

In Lehm gebadet bewegen wir uns später zwischen<br />

Shinyanga und Igunga durch die brutale Hitze. <strong>Die</strong> spitzen<br />

Dornen am Boden treiben mich an den Rand des Wahnsinns.<br />

Laufend stehen wir auf platten Reifen in der Savanne<br />

und reparieren die zerstochenen Schläuche.<br />

Das Angebot auf dem Markt in Nzega ist äußerst mager.<br />

<strong>Die</strong> Marmelade ist unerschwinglich und der Trockenfisch<br />

riecht nach Hundefutter. Schließlich können wir bei einem<br />

Händler eine Milchpackung zum gerechten Preis erstehen.<br />

Der freundliche Mann lebte in den siebziger Jahren in der<br />

BRD. Es ist erstaunlich, dass er noch immer einige<br />

Brocken unserer Sprache auf Lager hat.<br />

Von ihm lassen wir uns die Geschichte Deutsch-Ostafrikas<br />

erzählen: <strong>Die</strong> Engländer und Franzosen hatten Afrika<br />

weitgehend unter sich aufgeteilt, nur ein paar Flecken<br />

waren noch übrig geblieben. Bis vor Hundert Jahren gab es<br />

in Tansania noch herrenloses Land. Da die deutsche<br />

Nation bei der Verteilung der Erde mehr oder weniger leer<br />

ausgegangen war, wollte man es sich hier holen. So zog ein<br />

gewisser Peters von Dorf zu Dorf und handelte sich gegen<br />

Schnaps und anderen Waren die Hoheitsrechte ein.<br />

Nachdem Sansibar im Austausch gegen Helgoland an die<br />

Engländer abgetreten worden war, übernahm das Deutsche<br />

Reich im Jahre 1891 die Herrschaft über dieses Deutsch-<br />

Ostafrika. Doch ganz ohne Widerstand und Kämpfe ging<br />

es dabei natürlich nicht ab. Der Stamm der Hehe erhob<br />

sich gegen Peters. Danach hatten die Deutschen jahrelang<br />

gegen die von Häuptling Mkwawa angeführten Afrikaner<br />

zu kämpfen und sie taten es mit großer Brutalität.<br />

107


Als Mkwawa 1898 endgültig erlag, schickte man seinen<br />

abgeschlagenen Kopf als Zeichen des Triumphes nach<br />

Deutschland.<br />

Bei Ausbruch des ersten Weltkrieges lebten in Deutsch-<br />

Ostafrika neben den knapp acht Millionen Afrikanern<br />

weniger als 6000 Europäer. Mit dem Ende des Krieges<br />

musste dann Deutschland sämtliche Kolonien abtreten.<br />

Der letzte Februartag ist angebrochen. Auf beiden Seiten<br />

der Piste gedeihen prächtige Sträucher, die sich mit ihren<br />

langen Stacheln Respekt verschaffen. Wie gewohnt zischt<br />

es aus meinem Reifen während Suzi Schmerz gepeinigt<br />

stöhnt, da ihr ein Insekt in den Rücken gestochen hat. Ich<br />

ziehe den triefenden Stachel aus der Haut und verarzte die<br />

angeschwollene Stelle. Irgendwann fragen wir uns im<br />

Schutze eines Baobab-Baumes, wie wir mit dem<br />

Wolkenbruch und den Windböen klar kommen sollen. Im<br />

Nu hat sich die Straße in reinen Schlamm verwandelt. Auf<br />

der nächsten Anhöhe blubbert wieder Luft aus meinem<br />

Reifen. Frustriert halte ich auf einige Lehmhütten zu,<br />

Kinder lotsen uns zu ihrer Behausung. Besudelt wie wir<br />

daher kommen, bleiben wir aber besser draußen stehen.<br />

Sobald die Sonne untergegangen ist, verschwinden die<br />

Eingeborenen in ihren Hütten. <strong>Die</strong> Angst vor der Dunkelheit<br />

ist hierzulande nicht ganz unbegründet, denn es ist die<br />

Zeit der Jäger und Räuber. <strong>Die</strong> Spuren sind mir nicht<br />

entgangen, auch wenn ich bisher noch keine Raubkatze zu<br />

Gesicht bekommen habe. Bis Singida liegen noch einige<br />

Kilometer vor uns, am Himmel steht der volle Mond. Seine<br />

Leuchtkraft kommt uns mehr als gelegen. Wenigstens<br />

tappen wir so nicht völlig im Dunkeln. Zu Fuß erscheint<br />

mir die Einsamkeit bedrohlich, ich konzentriere mich auf<br />

den Weg und balanciere um die Tümpel, in denen sich der<br />

Mondschein spiegelt. Ich gebe mir dabei große Mühe, nicht<br />

auf eine Schlange zu treten.<br />

108


<strong>Die</strong> unsicheren Schritte verhallen in der Stille, ein ungutes<br />

Gefühl beschleicht mich. Mein Herz pocht in der Brust als<br />

wolle es fliehen. <strong>Die</strong> Beklemmung schnürt mir die Kehle<br />

zu, ich weiß dass uns jetzt mit Panik am Wenigsten<br />

geholfen ist.<br />

Es ist gegen Mitternacht, als uns ein Lichtstrahl streift.<br />

Durch das Gelände klappert ein Fahrzeug. Wir sind nicht<br />

sicher, was zu tun ist und überlegen, ob es nicht besser ist<br />

in Deckung zu gehen. Dann entscheiden wir uns zur<br />

Kontaktaufnahme mittels Taschenlampe. Ein Lastwagen<br />

mit Anhänger wackelt langsam heran und bleibt stehen.<br />

Weiße Augäpfel blicken überrascht auf uns herunter bis die<br />

Türen geöffnet werden. <strong>Die</strong> beiden Fahrer aus Somalia<br />

sprechen nur ein gebrochenes Englisch, erkennen aber<br />

sofort den Ernst der Lage. Sie kennen die Gefahren der<br />

Wildnis, manch einer der nur mal eben zum Pinkeln in den<br />

Büschen verschwand, wurde nie wieder gesehen. Im<br />

Fahrzeug fühlen wir uns sicher. Ich richte mich auf dem<br />

offenen Anhänger ein, Suzanne kommt vorne bei Rashid<br />

und Farah unter. Wir bewegen uns nur im Schritttempo<br />

voran. <strong>Die</strong> Fahrspur ist mit Vorsicht zu genießen, zu leicht<br />

kann man in Abgründe versinken.<br />

Der Untergrund macht sich mit der Zeit unangenehm<br />

bemerkbar. Den Stößen der Gesteinsbrocken folgt eine<br />

zermürbende Rüttelei im Minutentakt, wobei wir mal in der<br />

einen, mal in der anderen Lage durch eine gespenstische<br />

Landschaft poltern.<br />

<strong>Die</strong> Bruchbuden eines verlassenen Dorfes schweigen sich<br />

hartnäckig aus, es herrscht Geisterstunde. <strong>Die</strong>ses Nest wäre<br />

eine herbe Enttäuschung geworden, hätten wir den Weg<br />

bis hierher überstanden. Müde rumpeln wir über eine Piste,<br />

die weiterhin bescheiden bleibt. Ich erkenne einen umgestürzten<br />

Lastwagen, dessen Frontscheibe in unzählige<br />

Splitter zertrümmert ist. <strong>Die</strong> verschreckte Besatzung sitzt<br />

am Lagerfeuer daneben.<br />

109


Sie berichten uns von einem Überfall, bei dem durch Steinattacken<br />

das Fenster zerstört wurde. Von der Landung im<br />

Graben bis zur Ausplünderung soll die gesamte Aktion nur<br />

wenige Minuten gedauert haben. Derartige Zwischenfälle<br />

nehmen oft ein böses Ende, die Männer raten uns daher<br />

zur größten Vorsicht.<br />

Wieder mache ich es mir wieder auf den staubigen Säcken<br />

bequem, später verliere mich ganz und gar in einem<br />

phantastischen Sternenhimmel.<br />

Ein harter Schlag holt mich auf den Boden der Tatsachen<br />

zurück – um Haaresbreite verfehlt mich ein grober Stein<br />

und kracht gegen das Fahrzeugblech. Wie ein Blitz klettert<br />

Farah zu mir herüber um Licht ins Dunkel zu bringen.<br />

„Hast du was abbekommen, bist du in Ordnung?“<br />

Im Gebüsch bleibt es still, weit und breit rührt sich absolut<br />

nichts. Doch das ist jetzt völlig egal, Rashid beginnt Kopf<br />

und Kragen zu riskieren um nicht in die Hände von<br />

Ganoven zu fallen. Er verlangt seinem Motor das Letzte<br />

ab. Räder drehen durch, Erde spritzt durch die Luft.<br />

Damit ich nicht verloren gehe, kralle ich mich so fest wie<br />

möglich an den Jutesäcken fest.<br />

Der Höllentrip ist am Ortseingang von Singida beendet.<br />

<strong>Die</strong> Stadt ist für unliebsame Überraschungen in der Nacht<br />

bekannt, daher ziehen wir es vor bis zum Tagesanbruch vor<br />

ihren Toren abzuwarten.<br />

Am folgenden Tag unternehmen wir einen weiteren<br />

Schritt in die Richtung der Zivilisation. <strong>Die</strong> folgende gut<br />

200 Kilometer lange Piste bis Dodoma ist als Straße der<br />

Gesetzlosen bei den Truckern berüchtigt. <strong>Die</strong> Mitfahrgelegenheit<br />

auf einem Futtertransporter kommt uns gerade<br />

recht, nur zu gerne quetschen wir uns in den Schaumstoff<br />

zwischen Fahrer und Kompagnon. Auch wenn uns die<br />

marode Technik immer wieder zum Aufenthalt zwingt,<br />

lassen wir uns bis Manyoni von der schönen Landschaft<br />

aus Felsformationen und Buschland beeindrucken.<br />

110


Unablässig glimmen zwischen den wulstigen Lippen der<br />

Fahrer die Zigaretten Marke Sportsmann. Ständig rutscht<br />

die Kupplung und aus dem lecken Tank tropft der Sprit.<br />

An einigen Stellen droht der Anhänger beinahe umzukippen.<br />

Das Sitzpolster zeigt keine Wirkung mehr, ich<br />

spüre alle Knochen.<br />

In Manyoni werden wir zu Pilaw mit Bohnen einladen -<br />

wegen einer Reifenpanne müssen wir bei Kilimatinde<br />

anhalten. Es folgt harte Arbeit unter den schlechtesten<br />

Bedingungen. Mit dem Wagenheber und einem Vorschlaghammer<br />

gehen wir gewaltsam ans Werk.<br />

Stunden später rollen wir auf dem frischen Asphalt von<br />

Dodoma ein. In der zukünftigen Hauptstadt Tansanias ist<br />

es bereits Dunkel geworden, als wir das Rasthaus ansteuern.<br />

<strong>Die</strong> Anlage ist gut bewacht, schon beim Näherkommen<br />

werden wir von einem betagten Krieger mit Pfeil und<br />

Bogen aufgehalten. Erst als sich sicher ist, dass wir keine<br />

Bedrohung für seine Umwelt darstellen, lässt er uns ziehen.<br />

Bereits 1973 wurde beschlossen, die Hauptstadt Daressalam<br />

aufzugeben. Im Landesinneren sollte in zentraler<br />

und vor allem klimatisch günstiger Lage eine neue<br />

Hauptstadt errichten werden.<br />

<strong>Die</strong> Verlegung sollte innerhalb von zehn Jahren erfolgen.<br />

So hat der Premierminister seine Residenz inzwischen hier<br />

eingerichtet, aber nach wie vor amtiert er die meiste Zeit in<br />

Daressalam. Wie es im Augenblick aussieht, wird wohl erst<br />

im nächsten Jahrhundert umgezogen werden.<br />

In Afrika ist eben einiges anders, man hat viel Zeit.<br />

Mit einem guten Fahrgefühl schweben wir durch ein<br />

schönes Hochland aus Savanne und Buschland hinunter<br />

zur Küste.<br />

An den Südosthängen der Berge gedeiht der Nebelwald.<br />

Wir vollenden diese Etappe bei Gairo, einem Ort der nach<br />

Ansicht der Einheimischen in einer Kältezone liegt.<br />

111


Das bedeutet, dass die Thermometer Nachts schon mal auf<br />

unter 20 Grad Celsius abfallen können. Bei den heißblütigen<br />

Afrikanern führen solche Temperaturen schnell zu<br />

Zähnegeklapper.<br />

<strong>Die</strong> Route über Morogoro in Richtung Daressalam führt<br />

durch abwechslungsreiche Gebiete. <strong>Die</strong> Gesichter der<br />

Berge variieren zwischen schroffen Granitkuppen und<br />

dunklen Flanken die von mattem Grün durchsetzt werden.<br />

Wir begegnen hier zum ersten Mal den Massais.<br />

<strong>Die</strong> Viehzucht liegt hauptsächlich in den Händen dieses<br />

außergewöhnlichen Stammes. Sie sind eine kleine aufsässige<br />

Minderheit, die die Gesetze des Staates nicht anerkennen<br />

wollen, da sie ihre eigenen haben. Sie gelten nach wie vor<br />

als nicht integrierbar. Der junge Murani zieht mit seinen<br />

Leuten und den Kühen als Nomaden durch das Land.<br />

Stolz und unbeugsam halten sie, wie die meisten Massai an<br />

ihrer traditionellen Lebensweise fest. Sie haben gelernt mit<br />

den Touristen und deren Jagdgeräten um zu gehen. Weil sie<br />

inzwischen wissen wie man einen Photoapparat bedient,<br />

lichten wir uns gegenseitig ab.<br />

Es ist schade dass wir ihre Sprache nicht verstehen, so<br />

bleiben viele Fragen offen. <strong>Die</strong> Massai sind nicht nur als<br />

Hirten, sondern auch als Krieger berüchtigt. <strong>Die</strong> alte<br />

Mannbarkeitssitte, einen Löwen im Zweikampf zu erlegen,<br />

wird heutzutage weit weniger praktiziert. Einerseits leben<br />

die wilden Tiere in den Parks relativ gut geschützt,<br />

andererseits gibt es weit ungefährlichere Erwerbsquellen<br />

für die Massai. Ihre Tradition können sie gerade wegen der<br />

Touristen bewahren, denn die Reisenden sind immer auf<br />

der Fotojagd nach urtümlichen Kriegern in bunten<br />

Tüchern.<br />

Vier Tage später holt uns die Zivilisation endgültig ein.<br />

Von einer Anhöhe ist der Indischen Ozean zu sehen, der<br />

wunderbare Blick auf Daressalaam ist nur von kurzer<br />

Dauer.<br />

112


<strong>Die</strong> verrückten Busfahrer versuchen uns von der Strasse zu<br />

drängen. Unsere Annäherung an die Stadt erfolgt im<br />

Tiefsandstreifen neben der Piste, weil wir im Fluss aus<br />

mobilem Schrott keinen Platz mehr finden. In den<br />

endlosen Wellblechsiedlungen am Stadtrand haust die<br />

Armut, im Innern beherbergt Daressalaam verschiedene<br />

Bauepochen und Stile.<br />

Am folgenden Tag ist die Kanalisation durch Wolkenbrüche<br />

schnell überfordert, so dass die Straßen bald im<br />

Dreck versinken. Wir waten durch die lauwarme Brühe<br />

hinunter zum Ozean. Am Hafentor erläutern wir einem<br />

Offizier, dass wir das Land gerne verlassen würden und<br />

deshalb ein geeignetes Schiff suchen. Er verweist uns auf<br />

ein großes Gebäude, wo uns geraten wird den schnellen<br />

Luftweg zu nehmen.<br />

Wir erkundigen uns nach Flügen in Richtung Indien, für<br />

360 Dollar ist Bombay zu haben. <strong>Die</strong> Sache hat einen<br />

Haken, denn keine Agentur ist bereit unsere Eurocard zu<br />

akzeptieren. Unsere letzten Dollars helfen nicht weiter und<br />

weil ohne Moos auch hier nicht viel los ist, müssen wir den<br />

Kauf vorerst vergessen. Fast mittellos und mit einem<br />

abgelaufenen Visum in der Tasche kommen wir nicht von<br />

der Stelle.<br />

Wenn sich nicht bald eine Bank unser erbarmt, sehe ich<br />

schwarz. Erst im Immigration-Office hellt sich meine<br />

Stimmung auf, weil wir dort wenigstens eine Aufenthaltsverlängerung<br />

bekommen. Dennoch führt kein Weg an<br />

Kenia vorbei, weil es nur dort frisches Bargeld für uns gibt.<br />

Mombasa oder Nairobi, das ist jetzt die Frage.<br />

Am Bahnhof hilft der Fahrplan weiter - die Züge bis Tanga<br />

fahren nach Mitternacht los.<br />

Bis Moshi am Kilimandscharo braucht die Bahn nur 16<br />

Stunden, das gefällt uns gut.<br />

113


Am Fahrkartenschalter herrscht eine unvorstellbare Hektik.<br />

Einer bucht lautstark einen Sitzplatz, ein anderer lamentiert<br />

in vorderster Front wegen seines Wechselgeldes herum. Als<br />

ich an der Reihe bin, schaut der Kartenverkäufer ratlos. Da<br />

die zweite Klasse so gut wie ausgebucht ist, preist er mir<br />

seine erste Klasse an. Beim Hinblättern der Scheine wird<br />

der doppelte Fahrpreis fällig, dafür nehmen sich die hilfsbereiten<br />

Eisenbahner aber sofort unserer Räder an.<br />

Ich hege meine Bedenken, zumal der Gepäckwagen nur<br />

versiegelt und nicht verschlossen wird. <strong>Die</strong> zertrümmerten<br />

Fensterscheiben und die Einschusslöcher an den Wagen,<br />

lassen kein Vertrauen in das Unternehmen wachsen.<br />

Für 16 Uhr ist die Abfahrt geplant. Eine Stunde lang rührt<br />

sich fast nichts, nur das Gerücht einer Verspätung dreht die<br />

Bahnsteigrunde. Gegen 18 Uhr trifft der Zug aus Mwanza<br />

ein und um 19 Uhr erscheint endlich der Zug nach Moshi.<br />

Bis dieser weiterfährt, dürfen wir uns weitere sechzig<br />

Minuten gedulden, dann erfolgt der Sturm auf den spärlich<br />

beleuchteten Zug. Wir tasten uns in ein antikes Abteil vor,<br />

wo uns die Pritschenfüllung aus den Ledernähten entgegen<br />

springt.<br />

Edle Hölzer an der Decke und den Wänden sorgen für<br />

gediegene Atmosphäre im Stile der Kolonialzeit. Es gibt<br />

einen Schrank und ein aufklappbares Waschbecken, dessen<br />

Deckel beim Waschen festzuhalten ist.<br />

Ja, das ist die erste Klasse, so sieht der reine Luxus aus.<br />

Abgesehen davon, dass dem Wasserhahn kein einziger<br />

Tropfen mehr zu entlocken ist und der Ventilator für<br />

immer streikt.<br />

Über der Savanne geht die Sonne auf, ein winziger<br />

Bahnhof stellt den Abzweig zur Küste nach Tanga dar.<br />

<strong>Die</strong> Landschaft wird jetzt zunehmend staubiger.<br />

<strong>Die</strong> Straße die durch diesen verdörrten Landstrich führt,<br />

ist nur ein unscheinbarer Pfad.<br />

114


<strong>Die</strong> Dörfer leben gut von der Eisenbahnstrecke, unsere<br />

Ankunft in den Bahnhöfen sorgt jedes Mal für Aufregung.<br />

Kleine wie große Leute eilen mit ihren Lebensmitteln zu<br />

den Gleisen, um mit den Reisenden ins Geschäft zu<br />

kommen.<br />

Das Usambara Gebirge zieht an uns vorbei, seine höchsten<br />

Gipfel sind mit Wolken behangen, unmittelbar dahinter<br />

erstreckt sich eine weite Ebene. Zu Füßen des<br />

Kilimandscharo packen wir unseren Krempel und springen<br />

aus dem Zug.<br />

Der Berg ist mit fast 6000 Metern nicht nur der höchste<br />

Afrikas, sondern zugleich der einzige mit dieser Höhe, der<br />

von normalen Touristen ohne besondere Erfahrung und<br />

Ausrüstung bestiegen werden kann.<br />

Das Moshi ein Zentrum für die Bergsteiger ist, wird mir<br />

auf dem Bahnsteig bewusst, wo wir die ersten hartnäckigen<br />

Kletterangebote bekommen.<br />

Für 200 Dollar will man uns hinauf zum Gipfel führen.<br />

Nein, nein und nochmals nein - mir genügt der Anblick des<br />

Riesen, auch wenn sein schneegekröntes Haupt derzeit in<br />

den Wolken steckt.<br />

Für die Massai ist der Kilimandscharo der leuchtende Berg,<br />

für die Karawanenleute von der Küste war er der Berg des<br />

bösen Geistes.<br />

Nur die Tschagga, die an seinen Hängen leben und ihm<br />

dabei so nahe sind, dass sie nie das ganze Bergmassiv<br />

sehen, haben keinen Namen für ihn.<br />

<strong>Die</strong> Bergmasse, die sich erst am Abend vollständig aus der<br />

umgebenden Ebene erhebt, bietet ein phantastisches Bild<br />

und die vereiste Spitze des Kili wirkt im Licht der Abendsonne<br />

gewaltig.<br />

Ein Einheimischer wendet sich mit leuchtenden Augen an<br />

uns: „Mountains never meet, but people do! “<br />

115


Nach seiner Überzeugung sind die Berge einsame Gesellen,<br />

weil sie zur Bewegungslosigkeit verdammt sind.<br />

Irgendwie hat er Recht.<br />

Zu genüge haben wir mittlerweile selbst erfahren was es<br />

heißt, ständig Unterwegs zu sein.<br />

Seit Monaten treiben wir uns in der Weltgeschichte herum.<br />

Vielen Menschen sind wir dabei begegnet, wie oft haben<br />

wir beim Plaudern mit ihnen die Zeit vergessen?<br />

Unzählige Gesichter sind mir in Erinnerung geblieben,<br />

besonders solche die es gut mit uns meinten.<br />

Ich muss an die zahnlose Bäuerin in der Puszta denken, auf<br />

deren Hof wir vorzüglich bewirtet wurden oder an die<br />

Kamelkarawane der Libyer, denen wir im Süden Ungarns<br />

begegneten.<br />

Unvergessen bleibt auch die Gastfreundschaft der<br />

Jugoslawen, die gerne mit ihrem Slibowitz auf uns angestoßen<br />

haben.<br />

Der würzige Duft griechischer Pinienwälder, das ruhige<br />

Leben auf den Inseln im Mittelmeer, die stille Weite der<br />

Wüste Nordafrikas sowie der Trubel am ägyptischen Nil.<br />

Alle diese Bilder trage ich in mir - und das ist gut so.<br />

116


Flamingos am Bogoria See<br />

Äquatortaufe in Uganda<br />

117


Auf Tansanias Pisten<br />

118

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!