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Allgemeinbildung in der Grundschule und der Bildungsauftrag des ...

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www.wi<strong>der</strong>streit-sachunterricht.de/Ausgabe Nr. 4/März 2005<br />

Nun galt man <strong>in</strong> den letzten zweie<strong>in</strong>halb Jahrzehnten, wenn man jene Ansätze weiterzuverfolgen versuchte,<br />

etlichen Zeit- <strong>und</strong> Zunftgenossen allerd<strong>in</strong>gs als historisch etwas zurückgeblieben. Hier zeichnen sich seit e<strong>in</strong>igen<br />

Jahren offensichtlich Wandlungsprozesse ab. Gewiß kann es nicht darum gehen, die klassischen Bildungskonzepte<br />

unhistorisch <strong>und</strong> unkritisch e<strong>in</strong>fach fortschreiben zu wollen. Es gilt vielmehr, sie konstruktiv auf die Bed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>und</strong> Möglichkeiten unserer Zeit h<strong>in</strong> weiterzudenken <strong>und</strong> dabei auch die Grenzen <strong>der</strong> „klassischen“<br />

Vordenker zu überw<strong>in</strong>den, etwa die Schwächen jener Theorien h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Analyse <strong>des</strong> Zusammenhanges<br />

zwischen Bildung <strong>und</strong> politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen o<strong>der</strong> die e<strong>in</strong>seitige Konzentration <strong>der</strong> bildungstheoretischen<br />

Klassiker auf die männliche Hälfte <strong>der</strong> Menschheit.<br />

Im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> kritischen <strong>und</strong> konstruktiven Anknüpfung an das aufklärerische <strong>und</strong> das klassische Bildungsdenken<br />

lege ich den Begriff <strong>der</strong> Bildung als <strong>Allgeme<strong>in</strong>bildung</strong> bzw. allgeme<strong>in</strong>e Bildung heute <strong>in</strong> zweifacher<br />

Dimensionierung aus, <strong>und</strong> zwar für alle Bildungsstufen, von <strong>der</strong> vorschulischen Erziehung <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Gr<strong>und</strong>schule</strong><br />

bis zur Erwachsenenbildung:<br />

In e<strong>in</strong>er ersten Dimension muß <strong>Allgeme<strong>in</strong>bildung</strong> heute m.E. als Zusammenhang von Selbstbestimmungs-,<br />

Mitbestimmungs- <strong>und</strong> Solidaritätsfähigkeit ausgelegt werden:<br />

• als Fähigkeit zur Selbstbestimmung je<strong>des</strong> e<strong>in</strong>zelnen über se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuellen Lebensbeziehungen <strong>und</strong><br />

S<strong>in</strong>ndeutungen zwischenmenschlicher, beruflicher, ethischer, religiöser Art;<br />

• als Mitbestimmungsfähigkeit, <strong>in</strong>sofern jede <strong>und</strong> je<strong>der</strong> Anspruch, Möglichkeit <strong>und</strong> Verantwortung für<br />

die Gestaltung unserer geme<strong>in</strong>samen kulturellen, gesellschaftlichen <strong>und</strong> politischen Verhältnisse hat;<br />

• als Solidaritätsfähigkeit, <strong>in</strong>sofern <strong>der</strong> eigene Anspruch auf Selbst- <strong>und</strong> Mitbestimmung nur gerechtfertigt<br />

werden kann, wenn er nicht nur mit <strong>der</strong> Anerkennung, son<strong>der</strong>n mit dem E<strong>in</strong>satz für diejenigen <strong>und</strong><br />

dem Zusammenschluß mit ihnen verb<strong>und</strong>en ist, denen eben solche Selbst- <strong>und</strong> Mitbestimmungsmöglichkeiten<br />

aufgr<strong>und</strong> gesellschaftlicher Verhältnisse, Unterprivilegierung, politischer E<strong>in</strong>schränkungen<br />

o<strong>der</strong> Unterdrückungen vorenthalten o<strong>der</strong> begrenzt werden.<br />

Auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Dimension ergibt sich e<strong>in</strong>e Bedeutungsdifferenzierung dreifacher Art. Bildung muß verstanden<br />

werden<br />

• als Bildung für alle; die <strong>Gr<strong>und</strong>schule</strong> <strong>und</strong> die Gesamtschule s<strong>in</strong>d, schulorganisatorisch gesehen, bislang<br />

die konsequentesten Formen <strong>der</strong> Annäherung an dieses Pr<strong>in</strong>zip;<br />

• als Bildung im Medium <strong>des</strong> Allgeme<strong>in</strong>en, d.h. als Aneignung <strong>der</strong> die Menschen geme<strong>in</strong>sam angehenden<br />

Frage- <strong>und</strong> Problemstellungen ihrer geschichtlich gewordenen Gegenwart <strong>und</strong> <strong>der</strong> sich abzeichnenden<br />

Zukunft sowie als Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit diesen geme<strong>in</strong>samen Aufgaben <strong>und</strong> Problemen <strong>und</strong> den<br />

<strong>in</strong> ihnen steckenden Gefahren <strong>und</strong> Möglichkeiten;<br />

• als Bildung <strong>in</strong> allen Gr<strong>und</strong>dimensionen menschlicher Interessen <strong>und</strong> Fähigkeiten, also<br />

- <strong>der</strong> kognitiven Möglichkeiten,<br />

- <strong>der</strong> handwerklich-technischen Produktivität,<br />

- <strong>der</strong> Ausbildung zwischenmenschlicher Beziehungsmöglichkeiten, m.a.W.: <strong>der</strong> Sozialität <strong>des</strong> Menschen,<br />

- <strong>der</strong> ästhetischen Wahrnehmungs-, Gestaltungs- <strong>und</strong> Urteilsfähigkeit,<br />

- schließlich <strong>und</strong> nicht zuletzt <strong>der</strong> ethischen <strong>und</strong> politischen Entscheidungs- <strong>und</strong> Handlungsfähigkeit.<br />

Ich unterstreiche noch e<strong>in</strong>mal: Dieses Bildungsverständnis müßte m.E. auch als Orientierungsmaßstab für die<br />

<strong>Gr<strong>und</strong>schule</strong> <strong>und</strong> damit für die Gr<strong>und</strong>schuldidaktik anerkannt werden. Ich halte es also für möglich <strong>und</strong> für notwendig,<br />

e<strong>in</strong>e Vorstellung von k<strong>in</strong>dlicher Bildung − hier speziell im Blick auf das Gr<strong>und</strong>schulalter − zu entwickeln,<br />

m.a.W. e<strong>in</strong>e Vorstellung von jenen Möglichkeiten <strong>des</strong> Welt- <strong>und</strong> <strong>des</strong> Selbstverstehens <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er darauf<br />

gestützten Handlungsfähigkeit, die heutige K<strong>in</strong><strong>der</strong> unter den Bed<strong>in</strong>gungen unserer Zeit <strong>und</strong> im Blick auf die<br />

vorhersehbare Zukunft mit angemessener pädagogischer Hilfe entwickeln können <strong>und</strong> entwickeln sollten <strong>und</strong> die<br />

ihnen die weitere Entwicklung auf nachfolgenden Bildungsstufen offenhalten, Selbstverständlich ist diese Auffassung<br />

nur haltbar, wenn gezeigt werden kann, daß <strong>und</strong> wie jene allgeme<strong>in</strong>en Bestimmungen auf die Bed<strong>in</strong>gungen<br />

von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>schulalters h<strong>in</strong> ausgelegt werden können: zum e<strong>in</strong>en auf die aktuellen Erfahrungen,<br />

Bedürfnisse <strong>und</strong> Interessen von Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n, zum an<strong>der</strong>en auf die potentiellen Entwicklungsmöglichkeiten<br />

<strong>in</strong>nerhalb dieser Stufe 3 .<br />

Insofern die För<strong>der</strong>ung so verstandener Bildungsprozesse durch Schulen zugleich e<strong>in</strong> rechtsgültiger Anspruch<br />

je<strong>des</strong> K<strong>in</strong><strong>des</strong> <strong>in</strong> unserer Gesellschaft <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e verb<strong>in</strong>dliche Anfor<strong>der</strong>ung ist <strong>und</strong> <strong>in</strong>sofern die Gr<strong>und</strong>schulphase<br />

e<strong>in</strong>e Stufe <strong>der</strong> pädagogisch unterstützten Gesamtentwicklung aller K<strong>in</strong><strong>der</strong> darstellt o<strong>der</strong> darstellen sollte, die von<br />

den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n als <strong>in</strong> sich selbst s<strong>in</strong>nvoll <strong>und</strong> zugleich als Zugang zu weiteren Bildungsstufen erfahren werden<br />

kann, darf man sie treffend auch als „Anfang <strong>der</strong> <strong>Allgeme<strong>in</strong>bildung</strong>“ (Glöckel 1988, S. 18) bezeichnen o<strong>der</strong> als<br />

Stufe <strong>der</strong> „Gr<strong>und</strong>bildung“ bzw. <strong>der</strong> „gr<strong>und</strong>legenden Bildung“, so schon <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Begründungsdokumente<br />

<strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>en deutschen <strong>Gr<strong>und</strong>schule</strong> (vgl. Preußische Richtl<strong>in</strong>ien für die <strong>Gr<strong>und</strong>schule</strong> (1921) zit. nach Reble<br />

1971, S. 527f.) <strong>und</strong> bis heute h<strong>in</strong> immer wie<strong>der</strong>, beispielsweise bei Ilse Lichtenste<strong>in</strong>-Rother (Rother 1980, S.<br />

3 Vgl. dazu auch me<strong>in</strong>en Aufsatz „Aufgaben <strong>der</strong> <strong>Gr<strong>und</strong>schule</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schulreform“ (Klafki 1986).

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